7. Kapitel

Beate bereitete alles für die Besprechung vor. Sie verteilte Kopien des Ablaufplanes der Konferenz sowie des Sachverständigenberichtes an die Plätze. Kaffee und Erfrischungsgetränke standen bereit. Cornelia begrüßte mittlerweile die ankommenden Herren. Beate schaltete den Laptop ein. Sie würde den Besprechungsverlauf protokollieren.

»Wollen wir beginnen?« fragte Cornelia jetzt in die Runde. »Es sind alle da.«

Man setzte sich.

»Meine Herren«, begann Cornelia. »Gemäß der Ihnen vorliegenden Agenda wird zunächst der sachverständige Architekt, Herr Dewar, kurz berichten, was er bei der Besichtigung Ihres zur Versicherung angemeldeten Objektes festgestellt hat. Die Details finden Sie in seinem Bericht, der Ihnen vorliegt. Herr Dewar?«

»Ja.« Dewar nickte. »Ich habe die Baupläne des Möbelhauses Fischer vor Ort geprüft. Soweit ist alles in Ordnung. Die Gebäudeflächen stimmen mit den Angaben in den Bauplänen überein. Mit Ausnahme von zwei neuen Lagerhallen, die in den Plänen nicht enthalten sind. Ich habe die Zeichnungen zu Ihren Händen angefordert, Frau Mertens. Als Anlage für den Vertrag.«

Cornelia nickte. Sie lehnte sich leicht zu Beate. »Erinnern Sie mich bitte nachher, dass ich bei COMIMPEX anrufe und nach dem Prüfergebnis der Stichprobe frage. Da habe ich immer noch keinen Bescheid«, sagte sie leise, um Dewar in seinem Bericht nicht zu stören. Dabei streifte sie aus Versehen Beates Haar.

Für den Bruchteil einer Sekunde gingen Cornelias Gedanken ganz merkwürdige Wege: Sie berührte Beates Haar erneut, atmete bewusst deren Duft ein, strich sanft ihren Hals entlang. Cornelia schüttelte leicht den Kopf. Was waren das für absurde Hirngespinste? Resolut rief sie sich zur Ordnung und konzentrierte sich auf Dewars Ausführungen.

»Es ließ sich feststellen, dass die vorgeschriebenen schwerentflammbaren, feuerbeständigen Baustoffe verwendet wurden«, sagte Dewar gerade. »Es gibt aber einige gravierende Mängel, was die Sicherheitsvorschriften betrifft. Es fehlen diverse Feuermelder, Rauchabzüge, Brandschutztüren et cetera. Einige elektrische Leitungen sind in einem schlechten Zustand und müssen erneuert werden. Die genaue Aufstellung finden Sie im Bericht. Fazit: Nach Abstellung der Mängel kann ich die Gebäudeversicherung des begutachteten Objektes befürworten.«

Cornelia dankte Dewar und wandte sich an die beiden Vertreter ihres Kunden. »Das hört sich soweit für beide Seiten ganz gut an, meine ich.«

»Dann können wir ja direkt zur Preisverhandlung kommen«, schlug einer der Gäste, der offensichtlich die kaufmännische Seite des Möbelmarktes vertrat, vor.

»Ich habe Ihnen, wie angekündigt, verschiedene Paketlösungen zusammengestellt.« Cornelia gab Beate ein Zeichen. Die ließ die entsprechende Seite auf der Projektionsleinwand erscheinen. »Sollten Sie Abweichungen im Leistungsumfang wünschen, sprechen wir darüber«, fügte Cornelia hinzu.

Man wünschte und trat in die Verhandlung. Eine zähe halbe Stunde später war man sich einig.

»Ich lasse die Policen fertigmachen«, sagte Cornelia zum Schluss. »Sie bekommen den Entwurf im Laufe der nächsten drei Tage zugeschickt. Die Versicherung tritt nach Abstellung aller von Herrn Dewar angeführten Mängel in Kraft.«

Cornelia wechselte noch ein paar belanglose Worte mit den Männern. Beate speicherte das Protokoll und ließ die Projektionsleinwand hochrollen.

»In einer Viertelstunde kommt Herr Breuer«, sagte Beate, als Cornelia die Herren verabschiedet hatte. »Und ich sollte Sie erinnern, dass Sie bei COMIMPEX anrufen.«

»Danke.« Cornelia ging ins Büro.

Beate räumte Tassen, Gläser und Kaffeekannen aufs Tablett, brachte alles in die kleine Küche, wo sie das dreckige Geschirr in die Geschirrspülmaschine stellte und die Kannen auswusch. Anschließend holte sie den Laptop aus dem Besprechungszimmer. Als sie wieder auf den Flur trat, stieß sie mit Martin Breuer zusammen. Beate stöhnte innerlich in Erwartung des üblichen platten Komplimentes, welches auch nicht lange auf sich warten ließ.

»Sie sehen heute wieder hinreißend aus, meine Liebe«, begrüßte Breuer sie, wie immer von sich selbst eingenommen, und seine Hand streifte verdächtig nahe an Beates Hüfte vorbei. Eines Tages überkommt es mich, und ich versehe dein eitles Gesicht mit meinem hinreißenden Handabdruck, dachte Beate genervt. »Guten Tag, Herr Breuer«, erwiderte sie kühl lächelnd.

»Kann ich Ihnen etwas abnehmen?« bot Breuer sich an.

Den schweren Laptop für die zwanzig Meter über den Gang? Zuckersüß lächelnd erwiderte Beate: »Ja, ich habe noch einen großen Berg Bügelwäsche zu Hause. Den kann ich Ihnen ja mal mitbringen.«

»Aber ich bitte Sie, das meinte ich doch nicht.« Breuer überhörte den Spott. Oder bemerkte er ihn wirklich nicht?

Sie betraten den Vorraum des Büros. Die Tür zu Cornelias Zimmer stand offen.

Beate setzte sich an ihren Schreibtisch.

»Sind Sie heute abend auch schon verabredet?« fragte Breuer.

»Tut mir leid. Sie haben aber auch wirklich Pech«, seufzte Beate theatralisch und fügte hinzu: »Andere Männer würden ja System dahinter vermuten.« Konnte man mit dem Zaunpfahl eigentlich noch deutlicher winken? Irgendwann musste der Mann doch merken, dass sein zweifelhafter Charme bei ihr nicht wirkte.

»Herr Breuer?« Cornelia stand in der Tür zu ihrem Büro. Sie grinste. Offensichtlich hatte sie den letzten Wortwechsel mitbekommen. »Ich habe gleich einen anderen Termin. Wir haben nicht viel Zeit.« Breuer ging ins Büro. Bevor Cornelia die Tür schloss, zwinkerte sie Beate kurz zu. Was wohl soviel heißen sollte wie: Jetzt sind Sie von dem Macho befreit.

Cornelia hörte nur mit halbem Ohr, was Anke Riemann ihr über Zeit und Personalmangel sagte, um sich für die lange Wartezeit zu entschuldigen. Die Regulierung des Schadens dauerte um so länger, je mehr der Stichprobentest sich verzögerte. Das wusste man bei COMIMPEX. Es war also unnötig, Anke Riemann daran zu erinnern.

»Ist der Bericht nun fertig?« fragte Cornelia deshalb lediglich.

»Gerade heute morgen. Ich faxe Ihnen gleich alles zu.«

»In Ordnung.« Cornelia legte auf. Eine Viertelstunde später kamen aus dem Faxgerät mehrere Seiten an. Cornelia las sie aufmerksam durch. Die Ausfallrate war zwar höher als erwartet, aber immer noch niedrig genug für die angestrebte Vorgehensweise. Sehr gut. Dann konnte sie alles Nötige veranlassen.

Cornelia ging zu Beate. »Die Prüfungsunterlagen von der COMIMPEX sind endlich gekommen. Zweiundzwanzig Prozent Ausfälle bei der Stichprobe. Legen Sie das bitte zu den anderen Unterlagen.« Sie reichte Beate die Faxseiten.

Beate blätterte kurz durch. Versandscheine, Durchlaufpapiere, Prüfprotokoll mit Seriennummern. Alles in Ordnung soweit. Außer – »Auf dem Prüfprotokoll fehlt die Personalnummer des Prüfers«, stellte Beate fest.

Cornelia, die schon wieder kehrtgemacht hatte, blieb stehen. »Was meinen Sie?«

»Das Protokoll. Es ist unterschrieben, aber es fehlt die Personalnummer des Prüfers. Na ja. Wahrscheinlich vergessen. Ich rufe Frau Riemann gleich mal an.«

»Ich mache das schon.« Cornelia kam zurück, wollte Beate die Seiten aus der Hand nehmen.

Doch die blätterte noch suchend darin herum. »Merkwürdig.« Beate schüttelte den Kopf.

»Was noch?« fragte Cornelia.

»Der Rücksendeschein an die COMIMPEX hat keinen Stempel vom Wareneingang. Aber alle Lieferscheine eingehender Waren, sogar Muster ohne Wert, werden abgestempelt.«

»Dann liegt die Ware eben noch beim Hersteller, es wurde nur vorab ein Lieferschein erzeugt, den man uns schon mal zugefaxt hat.« Cornelia zuckte ungeduldig die Schultern.

»Wenn Sie meinen.« Beate gab Cornelia die Seiten. Ihr Gesicht zeigte jedoch deutliche Zweifel.

Cornelia zögerte. »Was meinen Sie denn?«

Beate wusste es selbst nicht. Aber in ihr keimte ein Verdacht, der sie nicht losließ: Anke war rachsüchtig. Die Vergangenheit zeigte, wenn sie Beate nur irgendwie schaden konnte, war es ihr egal, wer oder was auf dem Weg dahin lag. In ihrer Wut vergaß Anke die Grenzen. Doch würde sie wirklich so weit gehen, ein Prüfergebnis zu fälschen, damit Mertens Verluste machte? Nur weil sie, Beate, bei Mertens arbeitete? Schließlich gefährdete Anke ihren eigenen Job mit so einer Aktion.

Beate zögerte immer noch. »Natürlich kann alles eine ganz einfache Erklärung haben. Und die bekommen Sie sicher auch, wenn Sie Anke anrufen. Es ist nur komisch. Erst die lange Zeitverzögerung, dann diese Ungereimtheiten. Ich habe irgendwie ein ungutes Gefühl dabei.«

Cornelia wurde endgültig ungeduldig. »Nun sagen Sie schon!«

»Was ist, wenn Anke uns ein falsches Protokoll geschickt hat? Was ist, wenn die Prüfung wider Erwarten einen sehr hohen Anteil Ausfälle ergab?« äußerte Beate widerstrebend ihre Vermutung. »Sehr viel höher, als wir dachten. So hoch, dass Mertens erhebliche Verluste bei der besprochenen Vorgehensweise machen würde.«

Cornelias Ungläubigkeit stand ihr deutlich im Gesicht geschrieben. »Sie meinen . . . und das nur wegen . . .«

»Ja«, bestätigte Beate. »Sie wissen nicht, wozu Anke fähig ist. Was sie alles über mich im Betrieb verbreitet hat, nachdem ich mich von ihr getrennt hatte. Ich hoffe wirklich, ich irre mich. Aber ich muss leider sagen: Ich traue Anke so etwas zu.«

»Wie können wir, unter Umgehung von Frau Riemann, die Sache prüfen?« fragte Cornelia mehr sich selbst als an Beate gewandt. Sie kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe.

Beate überlegte kurz. »Ich kann im Prüffeld des Herstellerbetriebes anrufen. Wurde die Prüfung durchgeführt, ist das Protokoll auch intern bei der Firma abgeheftet. Ich lasse mir einfach eine Kopie faxen. Ist unsere eben verloren gegangen.«

Cornelia seufzte. »Tun Sie das . . .«

Der Anruf beim Prüffeldleiter bestätigte Beates Ahnung. Die Stichprobenprüfung wies eine Ausfallrate von dreiundneunzig Prozent aus. Grund waren Risse in den Leiterplatten. Die Baugruppen bestanden zwar den normalen Funktionstest, unter Dauerbelastung fielen sie aber aus. Dieser Test gehörte nicht zur normalen Prüfung. Angesichts der Umstände hatte man ihn jedoch durchgeführt, um sicherzugehen. Zum Glück, wie sich herausstellte. Die Produkte auf den Markt zu geben war unverantwortlich. Ein Imageverlust wäre unausweichlich gewesen. Nicht nur für das Produkt, sondern auch für den Hersteller. Der Markt würde nur die hohe Anzahl Ausfälle registrieren. Nicht die Umstände. Deshalb behielt man die Baugruppen gleich ein und deklarierte die gesamte Liste als Schrott. Das Ergebnis hatte man an den Vertrieb der COMIMPEX weitergeleitet, zu Händen Anke Riemann. Und wunderte sich über die ausbleibende Rückführung der restlichen Ware zur Verschrottung.

Beate ließ sich den gesamten Vorgang faxen und brachte ihn Cornelia. Die bedeutete Beate, sich zu setzen, während sie den neuen Bericht las.

Als sie damit fertig war, schaute Cornelia auf. »Also war es doch gut, dass ich Sie eingestellt habe«, meinte sie und lächelte Beate zu.

»Dieses Problem gibt es nur, weil Sie mich eingestellt haben!« stellte Beate dagegen deprimiert fest.

»Ich meine nicht Frau Riemann. Sondern die Idee mit der Stichprobe. Die kam von Ihnen.« Cornelia betrachtete Beate nachdenklich. »Und was das andere betrifft . . . Dafür können Sie diesmal wirklich nichts. Rein sachlich gesehen zumindest. Ich kann Sie ja nicht dafür verantwortlich machen, dass Ihre . . . dass Frau Riemann so reagiert. Aber eines versichere ich Ihnen: Die Dame wird große Schwierigkeiten bekommen.«

Beate sah betreten drein. Sie wusste, wenn Anke ihretwegen Schwierigkeiten bekam, würde sie einen Weg finden, sich zu revanchieren. Diese Aussicht war nicht eben verlockend.

»Was ist?« fragte Cornelia verwundert.

Beate atmete tief durch. »Das will ich nicht. Dass Anke wegen mir Probleme bekommt.«

Cornelia schüttelte rigoros den Kopf. »O nein. Das Problem hat sie sich ganz allein zu zuschreiben. Wir sind hier doch nicht im Kindergarten.«

»Und alles nur, weil Beate jetzt in meiner Firma arbeitet. Kannst du dir das vorstellen?« Cornelia sah Ramona fragend an, nachdem sie ihr die Geschichte erzählt hatte.

Ramona legte ihr Besteck auf dem Teller ab. »Nein.«

»Da sieht man es mal wieder: Liebe. Trennung. Drama! Eine unvermeidliche Kausalkette«, polemisierte Cornelia kauend. »Das alles bleibt uns glücklicherweise erspart.«

»Ich dachte, wir feiern deinen Geburtstag nach. Statt dessen erzählst du nur von deiner Assistentin.« Ramona schaute Cornelia prüfend an. »Ist sie eigentlich hübsch, diese Beate? Ihre Stimme klingt ja sehr nett.«

Cornelia überlegte kurz. »Sie ist nicht unattraktiv. Aber wie gesagt, viel zu emotional für meinen Geschmack.«

»Dann können wir zur Abwechslung ja mal von etwas anderem reden. Oder überhaupt etwas anderes tun als reden.«

Cornelia grinste. »Ich hatte gehofft, dass du das sagst.«