4. Kapitel

»Seit wann schickst du mir Rosen?« fragte Ramona belustigt. »Ich dachte, wir hätten eine moderne Beziehung. Von einer Hochzeit war nie die Rede.« Sie nahm das letzte Stück von der Roulade auf ihrem Teller und aß mit sichtlichem Genuss.

Cornelia winkte ab. »Meine neue Assistentin hat da etwas falsch verstanden.«

»Sie ist wohl eine Romantikerin?«

»Sie ist überhaupt recht gewöhnungsbedürftig«, brummte Cornelia.

»Warum feuerst du sie nicht, wenn sie so schwierig ist?«

»Schon vergessen? Laura heiratet in drei Tagen.« Cornelias Ton wirkte mehr als unwirsch.

»Schade. Ich hatte mich gerade an sie gewöhnt.« Ramona lächelte nur.

»Wem sagst du das. Können wir von etwas anderem reden?« bat Cornelia.

Ramona grinste, stand auf und ging um den Tisch herum zu Cornelia. Sie beugte sich hinunter, küsste Cornelias Hals. »Wie wäre es mit etwas ganz anderem als reden?« Ramona fuhr mit ihrer Zunge spielerisch über Cornelias Ohr.

Cornelia legte genießerisch den Kopf zur Seite. »Das ist genau nach meinem Geschmack.«

»Das hoffe ich doch«, flüsterte Ramona verführerisch.

Heute war Lauras letzter Arbeitstag. Beate kam eine halbe Stunde früher ins Büro als üblich, um auch rechtzeitig da zu sein, wenn der Bote mit dem Präsentkorb für Laura kam. Beate hatte den Korb gestern auf eigene Faust bestellt, nachdem sie bis dahin vergeblich darauf gewartet hatte, dass Cornelia ein Wort sagen würde, was sie Laura zum Abschied schenken wollte. Aber entweder vertrat Cornelia Mertens die Meinung, mit der Auszahlung eines monatlichen Gehaltes Lauras Arbeit genug gewürdigt zu haben, oder sie hatte einfach vergessen, dass heute Lauras letzter Tag war. Beate bezweifelte letzteres. Doch sicher war sie nicht. Vielleicht setzte Cornelia auch einfach voraus, dass ihre neue Assistentin ihre Aufgaben kannte und wusste, dass das Besorgen einer Aufmerksamkeit zu Lauras Abschied dazugehörte. Möglicherweise hatte Cornelia deshalb nichts gesagt.

Der Bote kam. Beate öffnete die Tür zu Cornelias Büro. »Stellen Sie ihn bitte da drin irgendwo ab, nur nicht auf dem Schreibtisch«, sagte sie. Cornelia Mertens hasste es, wenn jemand etwas auf ihrem Schreibtisch veränderte.

Der Bote setzte den Korb auf den kleinen Tisch neben dem Fenster. »Gut so?«

Beate nickte. »Ja, danke.«

Sie verfasste eine Nachricht für Cornelia. »Lauras letzter Tag. Abschiedsgeschenk«, schrieb sie kurz und bündig auf einen Zettel und legte ihn neben den Korb auf den Tisch.

Laura kam pünktlich um viertel nach sieben. »Na, wie fühlen Sie sich?« fragte sie fröhlich. »Ab morgen ist das hier Ihr Reich.«

»Und wie fühlen Sie sich? So kurz vor einem neuen Lebensabschnitt, wie man so schön sagt. Keine kalten Füße?«

»Nicht im geringsten.« Laura goss sich Kaffee ein.

»Was steht am letzten Tag auf dem Plan?« fragte Beate. »Noch irgendwelche letzten Tipps?«

Laura lächelte. »Ich habe Ihnen alles gezeigt, was zum Job gehört. Mein letzter Tipp ist: Denken Sie immer an eines: Cornelia Mertens’ Assistentin zu sein heißt, mit Gelassenheit das hinzunehmen, was Sie eigentlich zur Weißglut bringt. Ansonsten gilt als Rezept, dass es keines gibt.«

»Ich hätte es selbst nicht besser ausdrücken können.« Cornelia stand in der Tür.

Laura und Beate sahen überrascht in ihre Richtung. Sie hatten sie nicht kommen hören. »Na, Laura? Ein letzter Versuch, Frau Thiele in die Flucht zu schlagen? Das ist sehr unüberlegt. Wenn sie jetzt aufsteht und geht, müssen Sie bleiben«, sagte Cornelia mit ernstem Gesicht. Der Klang ihrer Stimme zeigte jedoch, dass sie es nicht so meinte.

»Sie könnten mich nicht zwingen. Ich bin ein freier Mensch«, erwiderte Laura gutgelaunt.

»Nicht, wenn ich keine neue Assistentin habe.« Cornelia zögerte, bevor sie weitersprach. »Ich dachte mir, wir könnten heute nachmittag eine halbe Stunde gemütlich zusammensitzen.«

Laura verschlug es die Sprache. Beate sah verblüfft auf. Beide starrten Cornelia an.

»Was ist?« fragte Cornelia. »Habe ich etwas Unanständiges gesagt?«

»Gemütlich zusammensitzen?« wiederholte Laura.

»Ja. Bei einen Kaffee oder einem Glas Sekt.« Cornelia nickte bekräftigend. In einem Anflug von Galgenhumor fügte sie hinzu: »Wir lachen über die wenigen lustigen Episoden der letzten drei Jahre und jagen Frau Thiele ein wenig Angst für die Zukunft ein. Das macht sicher Spaß.«

Laura sah Beate an. Beate sah Laura an. Der beherrschende Ausdruck auf ihren Gesichtern war derselbe: Verwunderung.

»Sagen wir halb zwei in meinem Büro?« schlug Cornelia vor.

»Sie sind die Chefin«, meinte Laura lakonisch.

Wie angekündigt stand pünktlich um halb zwei Kaffee auf dem Tisch, daneben eine Flasche Sekt. Cornelia führte Laura zu dem Präsentkorb. »Ich habe ein kleines Abschiedsgeschenk für Sie.«

Während Laura einigermaßen überrascht auf den Korb blickte, sah Cornelia Beate an. Ihre Lippen formten ein lautloses Danke.

Beate lächelte leicht.

»Ich bin ehrlich von den Socken«, staunte Laura. »Das habe ich jetzt nicht erwartet.«

Cornelia gab sich über alle Maßen harmlos. »Aber Laura. Wofür halten Sie mich? Ich werde doch meine treueste Mitarbeiterin nicht gehen lassen, ohne ihr eine kleine Aufmerksamkeit zu überreichen.«

Beate goss den Kaffee ein.

Cornelia meinte zu Laura: »Wenn Sie eines Tages feststellen sollten, dass Ihnen die Ehe und das faule Leben nicht bekommen, scheuen Sie sich nicht, sich bei mir zu melden. Für Sie habe ich immer einen Job. Das meine ich ernst.«

Laura grinste. »Sie klingen ja beinah ein wenig gefühlsduselig. Und das in Gegenwart Ihrer neuen Assistentin. Haben Sie keine Angst, dass das Ihrer Autorität schadet?«

Cornelia schaute von Laura zu Beate. »Ich fürchte, ich werde es so oder so nicht leicht mit ihr haben«, beklagte Cornelia sich dramatisch. Ihre Augen ruhten dabei auf Beate. »Sie ist noch schwieriger als Sie, Laura.«

»Toll. Genau das, was Sie brauchen«, erwiderte Laura prompt.

Cornelia schmunzelte. »Ich weiß, dass Ihnen das gefällt.«

Beate verfolgte das Gespräch zwischen den beiden interessiert. Das erste Mal, seit sie Cornelia kannte, bemerkte Beate so etwas wie Humor an ihr. Cornelia wirkte gelassen, ja sogar sympathisch. Sie war wie ausgewechselt. Und Beate fragte sich: Wer war die echte Cornelia Mertens?

War es die kühle, selbstsichere, manchmal auch schroffe Frau, die wie selbstverständlich davon ausging, dass ihre Anordnungen ausgeführt wurden? Die Frau, die es nicht merken wollte, wenn sie auf den Nerven anderer herumtrampelte? Oder war es die Frau, die jetzt bei Laura stand und lachte?

»Sie haben mit Beate mindestens einen gleichwertigen, wenn nicht besseren Ersatz gefunden«, sagte Laura jetzt.

»Danke für die Blumen«, gab Beate zurück. »Aber das wird sich erst noch zeigen.«

Das Telefon klingelte. Cornelia ging zum Schreibtisch. »Mertens«, meldete sie sich. Sie sprach einige Minuten, notierte etwas auf einem Zettel. Als sie sich zu den anderen beiden zurückgesellte, gab sie Beate den Zettel mit den Worten: »Bitte veranlassen Sie alles Notwendige.«

Beate nickte, las flüchtig – und schluckte. »Ja«, sagte sie so ruhig wie möglich, während sie die Notiz einsteckte. Ihr war plötzlich übel.

Während Cornelia und Laura ungewohnt redselig waren und spaßten, fluchte Beate in sich hinein. Verdammt! Das fehlte ihr gerade noch. Transportschaden bei COMIMPEX in Hamburg, ihrem alten Betrieb. Eine Gitterbox war beim Auslagern zwei Meter in die Tiefe gestürzt. Ein Vororttermin zur Begutachtung des Schadens war auf den kommenden Dienstag festgelegt. Die Vertriebsleiterin Anke Riemann würde die Vertreter der Versicherung empfangen. Anke! Ausgerechnet!