13. Kapitel

»Aber es muss doch noch in irgendeiner Maschine zwei freie Plätze für den Rückflug geben«, beschwor Beate die Frau vom Ticketverkauf. »Ich weiß, dass alle Welt zur Hannover Messe fliegt. Ich habe in Hannover studiert. Die Messeveranstaltungen boten immer gute Jobs.  . . . Auch keine Einzelplätze in zwei verschiedenen Flügen? . . . Das gibt es doch gar nicht.  . . . Also gut. Dann für den nächsten Tag? Samstag. Haben Sie da noch was? . . . Ja? Wunderbar.«

Beate legte auf. Wie sollte sie jetzt so kurzfristig noch eine Übernachtungsmöglichkeit herzaubern? Das Durchtelefonieren der Hotels war jedenfalls viel zu zeitraubend. Vielleicht kam sie ja mit einer Suche im Internet schneller zu einem Ergebnis.

Beate fand tatsächlich einen Vermittlungsservice für Unterkünfte. Dazu mehrere Veranstaltungskalender. Sie buchte eine Theatervorstellung für Cornelia. Sie selbst würde die Gelegenheit nutzen und den Abend mit ein paar Studienfreundinnen verbringen.

Beate informierte Cornelia über den Umstand, dass der Rückflug von der Messe erst einen Tag später möglich war. Die nahm es gelassen. »Wahrscheinlich ist es sogar besser so. Es spart uns viel Stress, weil wir nicht so hasten müssen.«

Was Cornelia unter nicht so hasten verstand, erfuhr Beate eine Woche später, als sie beide durch die Messehallen jagten. Eigentlich standen nicht übermäßig viele Kundenbesuche auf dem Terminplan, aber natürlich beließ es Cornelia nicht bei diesen. Sie kam immer wieder mit Vertretern anderer Firmen ins Gespräch, und Beate, die Order hatte, Prospekte der potentiellen Kunden zu sammeln, schleppte von Stunde zu Stunde mehr Kilo Papier mit sich herum.

»Der Flug muss sich ja schließlich lohnen«, meinte Cornelia.

Sie verließen das Messegelände keine Minute vor Schluss der Veranstaltung.

Als Cornelia dann noch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zum Hotel fahren wollte, protestierte Beate. »Ich weiß, Sie mögen es nicht, aber ich bestehe auf einem Taxi. Ich schleppe das Zeug jetzt nicht noch durch die halbe Stadt.« Beate hob demonstrativ die schweren Tragetaschen hoch.

Cornelia nahm ihr eine ab. »Besser?«

»Ja. Trotzdem. Ich fahre mit dem Taxi. Wenn Sie partout wollen, nehmen Sie die Öffentlichen.«

Cornelia gab sich geschlagen, nicht zuletzt, weil auch ihre Füße brannten, wie sie während der Diskussion mit Beate bemerkte.

»Jetzt Abendessen im Restaurant und anschließend ein ruhiger Abend im Theater«, sagte Cornelia zufrieden, als sie im Hotel ankamen.

Beate nickte nur. »Ihre Karte ist wie üblich an der Theaterkasse hinterlegt.«

Cornelia blieb stehen. »Nur eine?« fragte sie.

Beate verhielt ebenfalls und schaute Cornelia verwundert an. »Ja sicher.«

»Ich dachte, wir gehen gemeinsam«, sagte Cornelia. Sie hatte sich, seit Beate bei ihr wohnte, so daran gewöhnt, sie auch abends um sich zu haben, dass sie davon ausgegangen war, sie würden den heutigen Abend gemeinsam verbringen. Und sie hatte sich darauf gefreut.

»Aber ich komme doch nie mit, wenn Sie ausgehen«, meinte Beate.

»Nun ja, das stimmt, aber . . .« Cornelia lächelte. »Warum ändern wir das nicht? Die Vorstellung wird kaum ausverkauft sein. Was halten Sie davon?«

»Na ja . . .«, druckste Beate. herum »Das ist nett, aber . . . ich habe eine Verabredung mit einer Freundin.«

»Ach so.« Cornelia ging schnell weiter. Beate sollte nicht sehen, dass sie enttäuscht war.

»Ich kenne Jeanette vom Studium«, erklärte Beate und lief hinter Cornelia her. Ihr entging Cornelias Stimmungsumschwung nicht. »Ich habe sie angerufen und mich verabredet, weil ich ja wusste, dass wir heute nicht zurückkönnen.« Was hatte Cornelia denn plötzlich?

»Da hätten wir ja ein Hotelzimmer sparen können«, meinte Cornelia bissig. »Sicherlich wird es ein langer Abend.« Sie ging automatisch davon aus, dass Jeanette und Beate früher mal ein Paar waren. Da lag es nahe, dass die beiden nicht nur alte Erinnerungen im Gespräch auffrischten, sondern noch einiges mehr. Aber das ging sie nichts an. Und warum bist du dann plötzlich so schlecht gelaunt? Die Antwort blieb Cornelia sich schuldig.

Beate hatte die Anspielung nicht mitbekommen. Sie blickte zur Uhr. »Wahrscheinlich wartet Jeanette schon.«

»Na dann, viel Spaß«, wünschte Cornelia kurz angebunden. Sie war vor ihrem Zimmer angekommen, schloss die Tür auf und ließ sie krachend ins Schloss fallen.

Beate stand perplex da und schüttelte den Kopf. Das glich wieder der alten Cornelia. Jetzt war sie sauer, nur weil sie niemanden hatte, mit dem sie während der Vorstellungspause im Theater plaudern konnte. Beate seufzte. Sie hatte Jeanette nicht nur angerufen, um über alte Zeiten zu plaudern, sondern vor allem, um Cornelia aus dem Weg gehen zu können. Aber der Plan ging ja wohl nach hinten los. Wenn sie nicht wollte, dass Cornelia die nächsten Tage ungenießbar war, musste sie etwas unternehmen.

Beate klopfte an Cornelias Tür.

»Ja.«

Beate drückte die Klinke hinunter. »Ich bin es.«

Cornelia stand mitten im Raum. »Sie werden zu spät kommen«, sagte sie kühl.

Beate suchte nach Worten, die die Wogen glätten konnten. Aber was sollte sie sagen, angesichts so einer grotesken Situation? Cornelia war eingeschnappt wie ein Kind, das sich, weil es nicht bekam, was es wollte, hinstellte und laut losplärrte, um seinen Willen doch noch durchzusetzen. Nur dass Cornelia nicht plärrte, sondern sich schmollend zurückzog.

»Und wenn Sie mitkommen?« fragte Beate schließlich.

»Ich will nicht stören.« Cornelias Gesicht blieb abweisend.

Beate blickte verständnislos. »Stören?« Wobei denn stören? dachte sie verwundert. Doch dann begriff sie. Cornelia dachte, Jeanette wäre mehr als eine Freundin. Deshalb war Cornelia so verstimmt? Aber das würde ja bedeuten . . . War Cornelia etwa eifersüchtig? Beate dachte einen Augenblick darüber nach und beschloss dann, dass das nicht der Grund für Cornelias plötzliche schlechte Laune sein konnte. Nein. Die Erklärung war ganz simpel. Sie reagierte nur wie immer unwirsch, wenn etwas nicht nach ihrem Kopf ging. Das kannte Beate ja zur Genüge.

»Sie stören uns nicht«, versicherte Beate hilflos. Was sollte sie sonst sagen?

»Kommt rein«, begrüßte Jeanette ihre Gäste. Ein fragender Blick traf Beate, ein neugieriger Cornelia.

Beate umarmte Jeanette. »Schön, dich zu sehen. Ich habe jemanden mitgebracht. Ich hoffe, du hast nichts dagegen.«

»I wo. Wer ist diese wunderschöne Frau?« Jeanette zwinkerte Cornelia zu.

»Cornelia«, stellte die sich vor.

»Sie ist . . .«

». . . eine befreundete Kollegin«, unterbrach Cornelia Beates Erklärung. Die sah Cornelia verdutzt an.

Jeanette winkte ihnen, ihr zu folgen. »Bei dem schönen Wetter haben wir spontan beschlossen, den Grill nach der Winterpause zu entstauben«, verkündete sie gutgelaunt. »Die ersten Steaks sind gleich fertig.« Jeanette bog in die Küche ab. »Ich hole noch einen Teller. Geht schon mal durch.«

Beate warf Cornelia einen fragenden Blick zu. »Kollegin?«

»Im weitesten Sinne«, meinte Cornelia. »Bitte . . . Ich mag keine förmlichen, für alle Seiten langweiligen Fragen über Firmenleitung und Wirtschaftskrisen beantworten.«

Beate zuckte mit den Schultern. »Wenn Sie meinen.«

»Du!« korrigierte Cornelia.

»Was?«

»Als befreundete Kolleginnen sollten wir uns duzen«, erklärte Cornelia. Sie gingen durchs Wohnzimmer zur Terrasse. Dort wurden sie noch einmal fröhlich begrüßt. »Hallo, die Damen.«

Cornelia schaute überrascht auf die Frau mit der Grillzange in der Hand. Beate war also gar nicht mit Jeanette allein verabredet gewesen? Und du dachtest . . .

»Hallo, Bianca.« Beate ging zu der Frau und umarmte auch sie.

Bianca küsste Beate auf die Wange. »Ich bin heute Grillmeisterin«, verkündete sie.

»Warst du nicht diejenige, die früher sogar noch das Kaffeewasser hat anbrennen lassen?« griente Beate.

Bianca tat entsetzt. »Mögt ihr etwa keine Kruste?«

Jeanette erschien mit dem zusätzlichen Teller und einem Glas für Cornelia. »Erzähl«, forderte sie Beate auf. »Was machst du so?«

»Ach, da gibt es nicht viel zu erzählen.« Beate zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. »Ich arbeite bei einer Versicherung.«

Jeanette setzte sich ihr gegenüber und kicherte. »Du nummerierst Akten?«

Bianca verteilte die ersten Steaks.

»Ha, ha«, machte Beate. »Nein. Ich bin Assistentin der Geschäftsleitung – wie es so schön heißt.«

»Hört, hört. Und wie kommst du mit deinem Chef aus?

»Chefin«, korrigierte Beate. Sie zögerte. Wie konnte sie von Cornelia erzählen, wenn die direkt neben ihr saß? »Am Anfang war’s etwas schwierig. Mittlerweile geht es ganz gut«, flüchtete Beate sich in eine unverbindliche Antwort.

Jeanette grinste. »Und? Weiß sie, dass du lesbisch bist?«

»Ja.«

»Wie kam das? Du hast es ja wohl kaum in deine Bewerbung geschrieben.«

»Das war ’ne ziemlich blöde Geschichte.« Beate erzählte von dem Zusammentreffen mit Anke. Dabei streifte ihr Blick Cornelia. Die griente.

»Und deine Chefin hat gar nichts weiter dazu gesagt?« staunte Jeanette.

»Wahrscheinlich, weil es ihr peinlich war«, vermutete Bianca.

»Mit Sicherheit nicht«, erwiderte Beate und verfluchte sich gleich darauf. Das Thema Chefin war ihr angesichts Cornelias Anwesenheit unangenehm. Sie wollte es so schnell wie möglich beenden. Mit solchen Kommentaren weckte sie aber eher die Neugier der beiden anderen.

Prompt fragte Jeanette: »Du meinst . . . sie ist neugierig? Hat sie Andeutungen gemacht, dass sie interessiert ist?«

Beate schüttelte hastig den Kopf. »Nein, nein. Nur keine falschen Schlussfolgerungen.«

»Die Chefin ist lesbisch«, sagte Cornelia trocken. Und setzte frech hinzu: »Manchmal glaube ich, Beate ist deshalb etwas nervös.«

Verblüfftes Schweigen, gefolgt von Gekicher. »Flirtet sie mit dir?« fragte Jeanette.

Beate verdrehte die Augen angesichts solcher Tratschsucht. »Nein. Ich bin nicht ihr Typ. Können wir jetzt von etwas anderem reden?«

»Und sie? Ist sie dein Typ?«

Beate errötete.

Cornelia grinste. »Nur keine Scheu, Beate. Ich verpfeife dich nicht.«

Beate verzog das Gesicht zu einer schiefen Grimasse. »Sie ist viel zu sehr von sich eingenommen«, sagte sie und sah Cornelia strafend an.

»Das beantwortet aber nicht Jeanettes Frage.« Cornelia schaute Beate mit treuherzigen Augen an. »Ist sie dein Typ?«

Beate schaute verdattert. Hatte Cornelia sie das wirklich gerade gefragt? Das konnte doch nur ein Scherz sein. Genau! Das ist ein Scherz, Beate. Nichts weiter. Sie will dich in Verlegenheit bringen. Und, nebenbei gesagt, schafft sie das auch.

»Na?« Cornelias Augen blitzten.

»Vielleicht«, sagte Beate gedehnt.

Jeanette und Bianca sahen sich vielsagend an. Sie verstanden sich ohne Worte: Zwischen Beate und Cornelia lief was, ganz klar! Sie schienen es nur noch nicht zu wissen.

»Alle satt?« fragte Jeanette in die Runde. »Dann räume ich schnell mal ab und hole das Dessert.« Sie begann die Teller zusammenzustellen.

»Dessert? Warum habt ihr das nicht vorher gesagt! Ich habe keine Ecke Platz mehr in meinem Magen«, stöhnte Cornelia.

»Das ist doch nur, um die Löcher zu stopfen«, winkte Jeanette lachend ab.

»Ich helfe dir«, sagte Beate, nahm ihr die Teller ab und ging in die Küche. Jeanette kam mit den leeren Salatschüsseln hinterher. Beate sortierte bereits das Geschirr in die Spülmaschine. Sie war immer noch in Rage, weil Cornelia sie so in Verlegenheit gebracht hatte. Deshalb klirrte es ab und zu gefährlich.

»Was hast du denn?« fragte Jeanette verwundert.

»Das verstehst du nicht«, brummte Beate mürrisch.

»Dann erklär es mir.«

»Kann ich nicht.«

»Wieso?«

»Es ist zu kompliziert.«

Jeanette wartete, bis Beate mit dem Einräumen fertig war und sie ansah. »Um wen geht es? Um deine Chefin oder um Cornelia?«

»Das kannst du nehmen, wie du willst.«

»Auf die Gefahr hin, dass ich es begreife – kannst du das etwas ausführen?«

Beate seufzte. »Cornelia ist meine Chefin!«

Jeanette schwieg verdutzt. »Echt?« fragte sie schließlich.

»Ja.«

Schweigen.

»Es sieht so aus, als ob sie dich mag«, meinte Jeanette.

»Ach ja? Dann war es mir lieber, als sie mich nicht mochte. Da war alles einfacher. Ich fand sie furchtbar und fertig.«

»Und wie findest du sie jetzt?«

Beate schüttelte den Kopf. »Sie ist so ungewohnt nett in letzter Zeit. Das beunruhigt mich. Ich weiß nicht, was sie vorhat.«

»Vorhat?«

»Es muss doch einen Grund für die seltsame Veränderung geben. Aber welchen? Das frage ich mich schon seit Tagen.«

»Wie gesagt, ich glaube, sie mag dich.«

Beate schüttelte rigoros den Kopf. »Du kennst Cornelia nicht! Sie lässt sich von allem möglichen leiten, aber nie von Gefühlen.«

Darauf wusste Jeanette nichts zu erwidern. Sie öffnete den Kühlschrank, drückte Beate zwei Gläser mit Götterspeise in die Hand, nahm selber zwei und die Vanillesauce dazu. Sie gingen zurück zu den beiden anderen.

Die Rückfahrt zum Hotel verlief schweigend. Beate schaute aus dem Fenster des Taxis. Sie war verärgert, hatte aber keine Lust, Cornelia Vorwürfe zu machen, weil die sie so vor ihren Freundinnen in Verlegenheit gebracht hatte. Das würde Cornelia nur noch mehr amüsieren. Beate zog es vor, ihren Ärger hinunterzuschlucken. Im Hotel angekommen, ging sie schnurstracks zu ihrem Zimmer. Als sie die Tür öffnete, fühlte Beate plötzlich Cornelias Hand auf ihrer Schulter.

»Was ist los mit Ihnen?« fragte Cornelia, schob Beate ins Zimmer und kam hinterher. Sie schloss die Tür.

»Da fragen Sie noch?« Beate beherrschte nur mühsam ihren Groll. »Erst bitten Sie mich, dass Sie inkognito bleiben, und dann amüsieren Sie sich auf meine Kosten.«

Cornelia lachte unbekümmert. »Seit wann sind Sie so empfindlich? Sie schmollen, nur weil ich Sie ein wenig geneckt habe?«

»Ein wenig? Sie waren in Hochform«, brummte Beate.

Cornelia gluckste vor Vergnügen. »Entschuldigung. Aber ich konnte eben nicht widerstehen.«

»Ich verstehe nicht, was daran so witzig war«, sagte Beate gereizt.

Der Spott verschwand aus Cornelias Augen. »Ihr Gesicht. Es sah irgendwie süß aus, wie Sie so verlegen dasaßen.«

»Seit wann sind für Cornelia Mertens süße Gesichter ein Entscheidungskriterium?« fragte Beate bissig.

Cornelia näherte sich Beate bis auf wenige Zentimeter, beugte sich zu ihr und streifte mit der Hand zart ihre Wange. »Es war ja nicht irgendein Gesicht«, sagte sie ungewohnt sanft.

Beate stand wie erstarrt. Sie fühlte ihre Wange glühen, wo Cornelias Finger sie eben berührt hatten.

»Wenn Sie jemand fragen würde, was ich für Sie bin, wie würden Sie demjenigen antworten?« fragte Cornelia leise in Beates Verwirrung hinein.

Ihr Blick schien Beate seltsam weich. Ihr wurde es ziemlich merkwürdig im Magen. »Sie sind . . . meine Chefin«, erwiderte sie zögernd, mit fragendem Unterton.

»Was haben wir für ein Verhältnis?«

»Haben wir eines?«

»Nicht wahr? Eine interessante Frage.« Cornelia schaute Beate eindringlich an. Beate senkte verwirrt den Blick.

»Denn sehen Sie«, fuhr Cornelia fort, »wenn wir eines hätten, wie sollte es aussehen? Sie die Verfechterin der Romantik. Ich die absolute Pragmatikerin. Wir gehören zwei völlig verschiedenen Weltanschauungen an, was das betrifft.«

Das war Beate nicht neu. Neu war ihr allerdings, dass sich Cornelia mit solcherlei Gedanken beschäftigte. Und diese Gedanken gingen noch weiter, vermutete Beate, die Cornelias grüblerischen Blick auf sich ruhen sah.

»Ich gebe zu«, sagte Cornelia, »ich habe an die Möglichkeit gedacht, mit Ihnen zu schlafen. Sicher gelänge es mir, Sie zu verführen. Aber was käme danach? Sie lehnen ein bloßes Verhältnis ab, ich eine feste Beziehung. Wir könnten unmöglich länger zusammen arbeiten. Sie würden kündigen, oder ich müsste Sie entlassen. Sie stehen ohne Job da, ich ohne Assistentin. Das ist für uns beide keine gute Lösung. Nicht wahr?«

»Nein. Ich . . . ich meine ja, Sie haben recht«, stotterte Beate.

»Ich weiß. Und damit ist die Frage nach unserem Verhältnis beantwortet. Es beschränkt sich auf unsere gemeinsame Arbeit«, beendete Cornelia ihren seltsamen Monolog und ging aus dem Zimmer.

Beate blieb konsterniert zurück. Was hatte Cornelia da gerade gesagt? Sie spielte mit dem Gedanken, mit ihr zu schlafen? Sie hatte ernsthaft die Vor- und Nachteile abgewogen? Beate schüttelte den Kopf. Das brachte nur Cornelia fertig! Erst stellte sie fest, dass ihr Interesse an ihr, Beate, durchaus auch ein sinnliches war. Um anschließend im Stil einer wissenschaftlichen Beweisführung messerscharf darzulegen, warum es nicht angebracht war, diesem Verlangen nachzugeben.

Beate, du hast einen wesentlichen Punkt vergessen! Auch dein Interesse an Cornelia geht etwas über das platonische hinaus. Gott sei Dank weiß sie das nicht. Und du tust gut daran, es dabei zu belassen. Denn, auch wenn Cornelias Auftritt eben recht ungewöhnlich war, so musst du eines zugeben: Sie hat absolut recht. Ihr beide könnt nichts miteinander anfangen.

Das Frühstück am nächsten Morgen im Hotelrestaurant verlief zunächst schweigend. Beate fühlte immer wieder Cornelias nachdenklichen Blick auf sich ruhen.

»Es tut mir leid.« Cornelia räusperte sich. »Ich hätte das nicht sagen dürfen. Ich war gestern abend wohl für einen Moment irgendwie nicht ganz bei mir.«

Beate schaute Cornelia an. Nicht ganz bei sich? Hieß das, was Cornelia gestern gesagt hatte, stimmte gar nicht? Es war nur eine Provokation gewesen? Das wurde ja immer besser! Beate schniefte.

»Entspannen Sie sich, Beate. Sie haben absolut nichts von mir zu befürchten. Unsere Zusammenarbeit ist mir viel zu wichtig, um sie leichtsinnig aufs Spiel zu setzen. Ich . . . ich schätze Sie, glauben Sie mir. Ich schätze Sie sehr.«

»Ach ja?« Beate schaute skeptisch auf.

»Absolut.« Cornelia griente. »Es fällt mir nur manchmal schwer zu ignorieren, wie attraktiv Sie sind. Aber in Zukunft werde ich mich besser zusammennehmen. Versprochen.«

»Sie sollten sich eine neue Freundin suchen«, meinte Beate. »Falls ich das sagen darf«, setzte sie schnell hinzu. Sie wollte Cornelia ja nicht verärgern. »Sie sind so merkwürdig, seit Frau Wagner weg ist. Ich glaube, es liegt daran.« Kaum ausgesprochen wurde Beate klar, dass dieser Rat ihren eigenen Interessen widersprach. Dass Cornelia sich nach einer neuen Freundin umschaute war das Letzte, was sie sich wünschte. Ach ja? Na, das ist ja interessant, Beate!

»Gut möglich«, erwiderte Cornelia leichthin. »Sogar sehr wahrscheinlich. Und wir hocken ständig zusammen. Ich habe mich so an Sie gewöhnt. Das alles hat mich wohl verwirrt.«

Also entbehrte Cornelias Provokation doch nicht so ganz jeder Grundlage! Die Freude, die Beate bei dieser Feststellung empfand, schien ihr albern. Aber sie war nicht zu leugnen.

Während des Rückfluges hing Beate ihren Gedanken nach. Cornelia las in einer der Broschüren, die sie auf der Messe eingesammelt hatten. Sie war ganz vertieft darin. Oder gab sie nur vor, vertieft zu sein? Beate musterte Cornelia von der Seite. Was bedeuteten all die merkwürdigen Episoden und Anspielungen der letzten Tage?

Beate ging die einzelnen Ereignisse in Gedanken noch einmal durch. Es begann mit der Fürsorge, die Cornelia ihr gegenüber überraschenderweise an den Tag gelegt hatte, als sie krank gewesen war. Dann Cornelias Angebot, bei ihr zu wohnen, um sie Ankes Attacken zu entziehen. Cornelias Kuss an dem Abend, bei dem sie ihr, oder besser Anna, in der Küche half. Die Erinnerung trieb Beate einen angenehmen Schauer durch den Magen. Cornelia spielte die Sache zwar herunter, indem sie einfach so tat, als wäre nichts geschehen, aber wenn dieser Kuss ohne Bedeutung für Cornelia war, warum hatte sie so provokativ mit ihr geflirtet? Noch dazu in Jeanettes und Biancas Gegenwart. Mal angenommen, all diese Dinge entsprangen nur der einen oder anderen Laune Cornelias, was war dann mit Cornelias Feststellung, dass sie mit ihr schlafen würde, wenn die Umstände andere wären? Zeigte das nicht, dass diese Dinge eben nicht einer Laune entsprangen, sondern dass Cornelia mehr interessiert war, als sie zugab? Oder war das alles nur ein Spiel für Cornelia? Der Flug war zu Ende, bevor Beate eine Antwort auf diese Fragen fand.

Clemens holte Cornelia und Beate vom Flughafen ab und fuhr sie nach Hause. Beate, die keine weiteren Pläne für den Tag hatte, ging hinauf in ihr Zimmer.

Es klopfte an die Tür. Beate legte das Buch, in dem sie las, zur Seite, stand vom Bett auf und öffnete.

Cornelia stand draußen. »Hallo«, sagte sie.

»Hallo«, erwiderte Beate verblüfft. »Ist etwas passiert?« fragte sie gleich darauf. Was sonst konnte Cornelias unerwarteter Besuch in ihrem Zimmer am Samstagnachmittag bedeuten?

»Nein, wie kommen Sie darauf? Ich wollte lediglich fragen, ob wir gemeinsam einen Kaffee trinken. Es sind auch Croissants da.«

Beate brauchte eine Zeit, um zu begreifen, dass Cornelia offensichtlich Langeweile hatte und Gesellschaft suchte. Ihre Gesellschaft! »Warum nicht?« nahm Beate die Einladung an.

Sie gingen hinunter. Cornelia machte Kaffee, deckte den Tisch und verbot Beate ausdrücklich, ihr zu helfen. »Das ist meine Sache«, sagte sie. »Sie sind mein Gast.«

Beate ließ sich den Service gern gefallen und spielte unterdessen mit Victor. Der kleine Kater war sich seiner Rolle als Liebling des Hauses sichtlich bewusst und ließ sich wie selbstverständlich verwöhnen.

Zehn Minuten später saßen Beate und Cornelia gemeinsam auf der Terrasse. Es ging ein leichter Wind. Die Sonne schien für Mai sehr warm.

»Was ich Sie schon lange fragen wollte«, begann Cornelia die Unterhaltung, »was haben Sie eigentlich in der ersten Nacht, als Sie hier schliefen, geträumt?« Sie blinzelte gegen das Sonnenlicht.

»Sie meinen, weil das in Erfüllung geht, was man in einem neuen Heim die erste Nacht träumt?« fragte Beate.

»Ja.«

»Ich habe nichts geträumt. Gott sei Dank. Denn es wäre sicher nur ein Alptraum gewesen, mit Anke in der Hauptrolle.«

»Erinnern Sie mich nicht an die Dame. Gott sei Dank scheint sie zur Vernunft gekommen zu sein.« Cornelia biss von ihrem Croissant ab. »Andererseits«, sprach sie vor sich hin, »verdanke ich ihr Ihre angenehme Gesellschaft.«

»Die haben Sie doch sowieso den ganzen Tag in der Firma«, meinte Beate. »Und da scheinen Sie mir nicht immer so angenehm berührt.«

»Weil Sie so ein verdammter Sturkopf sein können«, erinnerte Cornelia sie lächelnd.

»Na, da kenne ich aber noch jemanden«, verteidigte Beate sich.

Sie lachten.

»Schade«, sagte Beate.

»Was meinen Sie?«

»Dass solch idyllische Momente wie dieser so selten sind. Und vor allem, dass sie vorbei sind, sobald ich erst wieder in meiner eigenen Wohnung wohne.« Beate hielt bestürzt inne. Oje, ich glaube es nicht. Habe ich das gerade wirklich gesagt? Was wird Cornelia darüber denken? Beate wartete auf Cornelias spöttische Erwiderung.

»Solche idyllischen Momente müssen ja nicht unbedingt vorbei sein. Außerdem sagte ich schon, es eilt nicht mit Ihrem Auszug.« Cornelias Stimme enthielt nicht den Hauch von Spott.

»Ich kann Ihre Gastfreundschaft nicht ewig in Anspruch nehmen.« Beate setzte ein, wie sie hoffte, ungezwungenes Lächeln auf. »Aber vielleicht besuche ich Sie ja trotzdem nach dem Büro ab und zu.«

»Ach ja? Wie käme ich denn zu der Ehre?« fragte Cornelia interessiert.

»Natürlich wegen Annas Essen. Und wegen diesem kleinen Kerl hier.« Beate wies auf Victor, der auf ihrem Schoß lag.

»Ach so. Na klar, was sonst? Denn wenn Sie einfach nur so kämen, hieße das ja, Sie würden mich vermissen.«

Beate wiegte leicht den Kopf hin und her. »Irgendwie . . . nein, ich glaube nicht. Die Arbeitszeit im Büro ist mir eigentlich genug«, log sie. Cornelia sollte sich nur nichts einbilden.

»Aber ich würde Sie vermissen.« Cornelias Augen durchdrangen Beate für einige Sekunden.

Beate senkte verlegen den Blick. Wieder einmal wunderte sie sich über Cornelias rätselhaftes Verhalten. Ich kann mir auf all das keinen Reim machen. Flirtet sie? Oder was soll das darstellen? Weiß sie, was ihr Blick in mir auslöst? Beate schaute auf und in Cornelias Gesicht. Nein, sie weiß es nicht!

Cornelias Augen blitzten sie herausfordernd an. »Man kann Sie leicht in Verlegenheit bringen.«

»Das macht Ihnen Spaß, ich weiß. Sie flirten ja auch vor meinen Freundinnen mit mir, ohne sich etwas dabei zu denken.«

»Ich flirte mit Ihnen?« fragte Cornelia ungläubig.

»Ja!« Beate fühlte, wie die Anspannung der letzten Tage langsam hervorbrach. Merkte Cornelia denn nicht, was sie tat? »Oder wie würden Sie es nennen, wenn Sie mich fragen, ob meine Chefin mein Typ ist?«

»Ach, das meinen Sie. Na, ich denke, das ist wohl eher die pure Eitelkeit. Selbstverliebtheit, wenn Sie so wollen.«

»Und dass Sie mich einfach küssen?«

»Sie meinen . . . das war doch kein Kuss. Das war –« Cornelia brach irritiert ab. Ja, was war das eigentlich?

»Und die Krönung«, schniefte Beate. »Ihre komische Ansprache über unser Verhältnis. Was sollte das? Warum sagen Sie mir, dass Sie daran denken, mit mir zu schlafen?«

Cornelia zuckte hilflos mit den Schultern. »Weil es stimmt.« Was sollte sie sagen? So war es nun mal. »Für einen Augenblick kam mir der Gedanke. Aber das ist doch nur natürlich. Oder?«

Beate blieben angesichts dieser Logik die Worte weg. »Sie treiben mich noch in den Wahnsinn! Hören Sie auf damit. Ich will das nicht.« Beate stand auf und setzte Victor auf den Boden. »Hier meine klare Ansage: Sie sind nicht mein Typ. Und ich werde nicht mit Ihnen schlafen!«

Cornelia erhob sich ebenfalls. »Ich habe dir gesagt, du hast nichts von mir zu befürchten.« Cornelia ging automatisch zum Du über. »Das habe ich ernst gemeint.«

Beate schaute sehr skeptisch drein.

»Du glaubst mir nicht.« Cornelia nickte. »Das verstehe ich.« Sie holte Luft, setzte zu einer Erklärung an, brach ab. Das klang einfach zu absurd. Dennoch. »Es ist so«, begann Cornelia zögernd. »Immer, wenn ich mit einer Frau etwas anfange, trenne ich mich früher oder später wieder von ihr. Deshalb will ich nichts mit dir anfangen. Weil es der Anfang vom Ende wäre. Verstehst du?«

»Nicht so richtig.«

»Ich wäre gern einfach nur deine . . . Freundin.«

»Freundin?« fragte Beate.

»Ja.« Cornelia schaute Beate an. »Ich will nicht jedes Mal einen Vorwand suchen, um dich zum Essen einzuladen, dir meine Hilfe anzubieten oder einfach nur mit dir zusammen auf der Terrasse zu sitzen und zu reden. Ich will es einfach tun, wenn mir danach ist. Ist daran irgend etwas auszusetzen?«

Beate lächelte gequält. »Nicht das Geringste.« Mal davon abgesehen, dass es mich umbringen wird! Aber sie konnte Cornelia doch nicht sagen, dass sie sich in ihrer Nähe keine Minute entspannen konnte.

»Fein.« Cornelia lächelte erleichtert. »Darauf sollten wir anstoßen. Wie wäre es mit einem Cognac zum Kaffee?«

Beate atmete tief durch. »Gute Idee.« Den kann ich jetzt gut gebrauchen!

Cornelia ging ins Haus. Mit einer Flasche in der rechten und zwei Gläsern zwischen den Fingern der linken Hand kam sie zurück auf die Terrasse. Sie goss ein. »Bitte.« Sie hielt Beate die Hand hin. Die nahm eines der Gläser.

Bevor Beate es sich versah, küsste Cornelia sie auf die Wange. »Danke«, flüsterte Cornelia. »Du weißt nicht, wie viel mir das bedeutet.«

Nein, das weiß ich nicht, dachte Beate. Aber ich wüsste es gern. Hier läuft nämlich etwas, das ich nicht verstehe. Eigentlich gefällt mir die Richtung, aber es beunruhigt mich auch. Genau gesagt überwiegt die Unruhe.