15. Kapitel

»Hallo!« hörte Beate eine erfreute Stimme sagen, die ihr irgendwie bekannt vorkam, die sie aber nicht sofort einordnen konnte. Beate sah von ihrem Kaffee auf in zwei strahlende Augen.

Eine Woche war seit dem Besuch im Segelclub vergangen, und Beate hatte nach der Begegnung mit Jana Kamp diese schnell wieder vergessen. Jetzt stand sie vor ihr, zwischen den Tischen und Stühlen des Straßencafés, in dem Beate hängengeblieben war, um ein Eis zu essen.

»Darf ich mich dazusetzen?« fragte Jana.

»Bitte.« Beate wies auf den Stuhl ihr gegenüber.

Jana setzte sich. »Was für ein netter Zufall. Beim ersten Hinsehen dachte ich, es wäre ein Irrtum, aber dann habe ich dich ganz sicher erkannt.«

Ah, fiel Beate auf. Frau Kamp ist bereits zum Du übergegangen. Waren wir letztens nicht noch per Sie und sie eine unserer Versicherungskundinnen? Beate lächelte. »Heißer Tag heute. Ich habe mir gerade eine kalte Schlemmerei gegönnt.« Und weil ihr nichts Besseres einfiel, fragte sie: »Ist im Club soweit alles wieder in Ordnung?«

Jana lächelte leicht. »Ich hatte gehofft, du hättest mich angerufen, um mich das zu fragen. Dann hätte ich dich zum Eis eingeladen.« Janas Augen blitzten herausfordernd. »Ich verstehe ja, dass du dich nicht gleich auf das ungewisse Abenteuer einer Segeltour einlassen willst. Wir können es auch langsam angehen lassen.«

Beate verschlug es die Sprache angesichts dieser Offenheit. An dem Pfahl hing ja noch der ganze Zaun! »Du verschwendest nicht viel Zeit«, stellte sie fest. Jana Kamp weiterhin zu siezen, war wohl überflüssig, es sei denn, sie wollte sie vor den Kopf stoßen.

Jana lächelte. »War noch nie meine Art. Ich sage immer, was ich will. Meistens bekomme ich es auch.«

Unter Minderwertigkeitskomplexen litt Jana jedenfalls nicht. Cornelia hatte wohl recht mit ihrer Einschätzung. Beate verspürte jedoch weder Ärger noch Enttäuschung darüber. »Ich hoffe, du kannst auch mit Enttäuschungen leben. Zumindest was mich betrifft, wirst du nicht mit einer erfolgreichen Jagd rechnen können«, machte sie Jana lächelnd klar.

»Du bist in festen Händen?«

»Nein. Ich bin nur nicht interessiert.«

»Schade. Trotzdem. Mein Angebot steht. Wenn du Lust auf eine Segeltour hast, jederzeit. Mit oder ohne Freundin.«

Beate blinzelte überrascht. »Ehrlich?«

»Aber ja. Nachdem die Fronten geklärt sind, steht dem doch erst recht nichts mehr im Wege.« Jana gehörte anscheinend zu der seltenen Art Frau, die eine Enttäuschung verkraften konnte.

Beate war beeindruckt. »Also, dazu hätte ich schon mal Lust«, stellte sie in Aussicht.

»Wie wäre es am Samstag?« schlug Jana sofort vor. Zeitverschwendung war anscheinend generell nicht ihre Sache, egal um was es ging. »Die Wettervorhersage ist gut«, fügte sie hinzu. »Wir treffen uns im Club. Sagen wir neun Uhr?«

Beate fühlte sich nun doch ein wenig überrumpelt. »Ich weiß nicht so recht«, erwiderte sie zögernd.

»Was weißt du nicht? Ob ich nicht doch über dich herfalle?« Jana kicherte. »Wir segeln auf dem Wannsee, nicht auf dem Ozean. Es sind hundert andere Boote mit auf dem Wasser. Du kannst jederzeit über Bord springen und dich auffischen lassen. Du kannst doch schwimmen?«

»Natürlich.«

»Na also. Weitere Einwände?«

»Nein.«

»Also machen wir es so?«

Beate gab sich geschlagen. »Ja.«

Jana hatte sich mittlerweile einen Eiscafé bestellt und erzählte Beate jetzt begeistert von ihrer letzten Segeltour nach Norwegen, den kleinen, idyllischen Hafenstädten, der phantastischen Natur. Ein Blick auf die Uhr ließ sie aufschrecken. »Oje, jetzt habe ich mich ganz schön verplappert!« Sie stand auf. »Wir sehen uns dann Samstag?«

»Ja. Neun Uhr«, bestätigte Beate.

Jana ging.

Beate schüttelte den Kopf. Was für ein Energiebündel! Was für eine mitreißende Art. Erst jetzt ging Beate so richtig auf, dass sie einer völlig fremden Frau zugestimmt hatte, einen Ausflug mit ihr zu machen. Und dass sie sich sogar darauf freute.

Beate pfiff fröhlich vor sich hin. Sie hatte Jana gestern noch einmal angerufen und gefragt, was sie mitbringen musste.

»Gute Laune und zur Sicherheit Sachen zum Wechseln«, lautete die Antwort. »Falls wir ein unfreiwilliges Bad nehmen. Was ich doch nicht hoffe. Für alles andere sorge ich.«

Sie plauderten ein paar Minuten miteinander und verabschiedeten sich dann. Beate lehnte sich zurück. Sie lächelte.

Cornelia war nicht entgangen, dass Beate im Laufe der Woche zunehmend aufgekratzter wurde. Als sie nun heute auch noch zu pfeifen begann, stand für Cornelia fest: Da war was im Busch.

»Darf man den Grund für deine Fröhlichkeit erfahren?« fragte sie Beate.

»Was meinst du?« fragte Beate gutgelaunt.

»Man könnte meinen, du wärst verliebt, so wie du herumläufst und trällerst.«

»Wer weiß«, sagte Beate geheimnisvoll. Sollte Cornelia ruhig denken, sie wäre verliebt. Das war überhaupt das beste! Seit sie sich an jenem Abend geküsst hatten, spürte Beate immer wieder Cornelias Blick auf sich ruhen, wenn Cornelia glaubte, unbeobachtet zu sein. Auch wenn es bei diesem einen Kuss blieb und Cornelia keine weiteren Annäherungsversuche machte, hing da etwas in der Luft, das Beate zwar nicht benennen konnte, das sie aber sehr nervös machte. Sie konnte sich einfach nicht richtig entspannen. Vielleicht wurde es besser, wenn sie ein wenig Zeit mit Jana verbrachte und sich von ihren Gefühlen zu Cornelia ablenkte.

»Und wer ist die Glückliche?« wollte Cornelia wissen.

»Das wird nicht verraten.«

Cornelia spürte bei Beates Antwort einen kleinen Stich in der Brust. Beate hatte sich also verliebt? Oder doch nicht? Wollte sie sie nur ein wenig an der Nase herumführen? Einen Scherz machen? Aber seit wann scherzte Beate bei diesem Thema? »Warum willst du nicht sagen, wer es ist? Ist es dir peinlich?«

»Peinlich? Wieso sollte es mir denn peinlich sein?«

»Vielleicht ist sie hässlich.«

Beate schaute Cornelia ernst an. »Im Gegenteil.«

»Dick wie ein Nilpferd?«

»Nein.« Beate lachte.

»Zwanzig Jahre älter?«

»Nein.«

»Sie hat fünf Kinder.«

»Auch das nicht.«

»Dann kannst du doch sagen, wer es ist.« Cornelia ließ nicht locker.

»Ich denke nicht daran.« Um nichts in der Welt! setzte Beate für sich hinzu. »Und jetzt Schluss damit!« Denn dummerweise ist die Frau, die ich liebe, nicht in der Lage, meine Gefühle zu erwidern. Sie trifft zeitlich begrenzte Arrangements. Ohne Verpflichtungen, ohne tiefere Bindung. Das nennt sie zivilisiert.

»Schon gut«, lenkte Cornelia ein. »Wenn du mir nicht sagen willst, wer sie ist, erzähle mir wenigstens, wie ihr euch kennengelernt habt. Oder ist das auch ein Geheimnis?«

Doch Beate durchschaute Cornelia. »Warum interessiert dich das so brennend?«

»Es interessiert mich nicht brennend. Es interessiert mich nur. Aus reiner Neugier.«

»Neugier?«

»Ja.«

»Bisher war das nicht gerade eine deiner hervorstechenden Eigenschaften.« War Cornelia etwa eifersüchtig? Natürlich nicht in der klassischen Weise. Aber vielleicht befürchtete sie, ihren Stellenwert einzubüßen? Und deshalb gebärdete sie sich so merkwürdig.

»Schon gut, ich gebe es auf.« Cornelia sah ein, dass sie auf die Art nicht weiter kam. »Ich bin morgen nachmittag zu einem Geburtstag eingeladen. Ein Gartenfest. Willst du nicht mitkommen?« wechselte sie das Thema.

Beate schaute Cornelia überrascht an. »Ich?«

»Wieso nicht? Keine Angst, es ist ganz zwanglos.«

»Ich . . . das ist sehr kurzfristig«, wandte Beate ein.

Cornelia sah darin kein Problem. »Wie lange brauchst du, um dich auf ein Gartenfest vorzubereiten?«

»Nicht deswegen. . . . Ich bin schon verabredet.«

»Ach ja?« Cornelia schien ernsthaft überrascht. Doch ihr Gesichtsausdruck änderte sich schnell. »Oh, verstehe«, bemerkte sie säuerlich. »Mit ihr.«

Beate seufzte. Sie wäre gern mit Cornelia zu diesem Gartenfest gegangen. Aber sie hatte Jana fest zugesagt. »Ein anderes Mal gern.«

Cornelia schwieg enttäuscht.

»Wirklich«, setzte Beate hinzu.

»Ja.« Cornelia fragte nicht, was Beate und diese Frau gemeinsam vorhatten. Beate würde es ihr sowieso nicht verraten. »Viel Spaß jedenfalls.«

»Danke. Den werden wir sicher haben.« Beate tat Cornelia ein wenig leid, aber schließlich war das jetzt nur eine Folge von Cornelias eigenem Verhalten. Damit musste sie leben. Oder sich ändern . . .

»Wie lange kennt ihr euch schon?« fragte Cornelia. Ihr kam urplötzlich ein Verdacht, um wen es sich bei Beates neuer Freundin handeln könnte.

»Ich dachte, wir hätten das Thema abgeschlossen«, erwiderte Beate.

Cornelia konnte nicht an sich halten. »Ist es Jana Kamp?« Natürlich war sie es. Wer sonst? »Du hast dich von ihr einladen lassen?«

Beate verdrehte die Augen. »Ja. Und? Was ist dabei?«

»Ich dachte, du stehst nicht auf diesen Typ Frau.« Cornelia war fassungslos. Wie konnte Beate nur auf Jana hereinfallen? Die war doch ganz offensichtlich nur an einem interessiert. Das sah man doch auf den ersten Blick. Schon, wie sie Beate angemacht hatte . . .

»Sie ist eigentlich ganz nett«, meinte Beate. »Du bist nur voreingenommen.« Warum nur gebärdete Cornelia sich wie eine überbesorgte Mutter? »Und ich bin über achtzehn. Ich kann durchaus entscheiden, mit welcher Frau ich einen Tag verbringe und mit welcher nicht.«

»Mach doch, was du willst«, brummte Cornelia unwirsch.

»Das tue ich auch.« Wäre ja noch schöner, dachte Beate. Sie ließ sich doch von Cornelia nicht vorschreiben, was sie in ihrer Freizeit tat.

Cornelia sah demonstrativ auf ihre Uhr. »Ich muss noch zu einem Termin. Wir sehen uns nachher.« Sie ging ohne ein weiteres Wort.

Beate sah ihr kopfschüttelnd hinterher.