Die Dieselmotoren begannen laut zu brummen und das Schiff vibrierte. Yasha lief von einer Seite des Decks auf die andere. Fasziniert beobachtete er, wie der Frachter den Hafen von Istanbul verließ. Ein Schwarm Möwen begleitete ihn hinaus aufs Meer. Manchmal flogen die Vögel so dicht an Yasha vorbei, dass der Junge ihre kleinen gelben Augen listig funkeln sah. Der Wind wurde kräftiger. Eine Tür ging auf. Schnaufend und prustend wuchtete sich ein dicker Mann an Deck. Mit elegantem Schwung schüttete der Schiffskoch den Inhalt eines Eimers über Bord. »Mist!«, rief der Mann, wütend über sich, dass er die Windrichtung nicht bedacht hatte. Kreischend stürzten sich die Möwen auf die Küchenabfälle. Manche waren so geschickt, dass sie die Brocken noch in der Luft auffingen. Yasha lachte laut, denn der Schiffskoch grinste ihn verschmitzt an, während er versuchte, sich die Flecken aus dem Hemd zu reiben. »Hallo, du bist doch der Passagier mit dem kranken Freund. Kannst gleich mit mir in die Kombüse kommen und einen Teller Suppe mitnehmen!« Yashas fröhliche Stimmung war dahin. Sein Freund Graf Gregorio schlief unten in der Kabine. Es ging ihm gar nicht gut. Yasha runzelte sorgenvoll die Stirn und folgte dem Koch.

Unter Deck

mischte sich der Geruch

von Diesel aus dem Maschinenraum mit den Kochdünsten aus der Kombüse. Die Passagierkabinen lagen direkt unter der Brücke, nahe bei den Unterkünften des Kapitäns und seiner Offiziere. In die Kabine neben Yasha und Graf Gregorio zogen zwei Männer ein. Die beiden riesigen Rucksäcke, die vor der Kabine standen, waren Yasha sofort aufgefallen, als er in den Gang zu seiner Kabine abbog. Helles Licht fiel durch die offene Tür und aus dem kleinen Raum drang lautes Poltern. Interessiert spähte Yasha in die Kabine. Seine neuen Nachbarn sahen unternehmungslustig aus. Sie trugen klobige Lederstiefel, karierte Hemden und abgewetzte Jeanshosen. An den Kleiderhaken hingen zwei speckige Hüte, ein dunkelbrauner Ledermantel und eine alte Jeansjacke, die sicher schon bessere Zeiten gesehen hatte. Yasha hätte gerne eine Unterhaltung angefangen. Denn der Koch hatte ihm erzählt, dass die beiden Naturwissenschaftler aus Kanada waren. Eine Weile blieb Yasha mit dem Suppenteller in der Hand vor der Tür stehen, doch die beiden Männer bemerkten ihn leider nicht. Die beiden Kanadier waren in puncto Unterhaltungswert eine Enttäuschung. Sie grüßten zwar immer sehr freundlich, waren aber überhaupt nicht gesprächig, sondern immer vertieft in ihre wissenschaftliche Arbeit. Die meiste Zeit verbrachten sie in der kleinen Bordbibliothek. Verbarrikadiert hinter hohen Bücherstapeln diskutierten sie hitzig und machten sich Notizen. Auch bei den Mahlzeiten waren die Wissenschaftler recht wortkarg. Yasha fragte sich unentwegt, womit die beiden sich wohl beschäftigen mochten. Auf jeden Fall wirkten sie sehr abenteuerlich.

Graf Gregorio erholte sich nur sehr langsam. Den größten Teil des Tages schlief er. Yasha war jedes Mal froh, wenn sein Freund lange genug wach war, damit er ihm etwas zu trinken und zu essen einflößen konnte. Und auch jetzt fielen Graf Gregorio die Augen zu, kaum dass er ein paar Löffel gegessen hatte. Resigniert stellte Yasha den halbvollen Teller zurück auf den Tisch.

» Allein!

Immer bin ich

allein. Ich möchte zurück zu Mutter und Vater Gössler. Meine Eltern werde ich nie finden!«, dachte er verzweifelt und versuchte vergeblich, den Kloß im Hals herunterzuschlucken, aber das wollte ihm dieses Mal so gar nicht gelingen. Ganz im Gegenteil: Unerwünschte Bilder aus der Vergangenheit drängelten sich in seine Erinnerung. Der Kampf zwischen Valo und dem Medizinmann der Liaweps, das steinerne Gesicht seines Vaters, beleuchtet von einem grellen Blitz, das sich langsam zurückverwandelte. Nur dieses eine Mal hatte Yasha seinen Vater gesehen. Laszlo Dvorach hatte ihn so liebevoll und bittend angeschaut! Urplötzlich stieg eine enorme Wut in Yasha auf. »Warum hat der Riese meinen Vater nicht gerettet? Haben sich meine Eltern wiedergefunden? Sie sollen nicht so alleine sein wie ich!« Yasha begann zu weinen. Die Tränen besaßen eine besondere Magie. Sie wuschen nach und nach den Kummer aus Yashas Seele. Nach einer Weile beruhigte sich der Junge. Er schniefte noch einmal und wischte sich mit dem Ärmel über die Nase: »Merkwürdig, sogar meine Nase hat mit geweint.«

Als der Frachter die südlichen griechischen Inseln erreichte, fühlte sich Graf Gregorio zum ersten Mal kräftig genug, um mit Yashas Hilfe an Deck zu gehen. Yasha strahlte vor Glück, endlich ging es seinem Freund besser und die bedrückende Zeit am Krankenbett hatte ein Ende. »Schaut mal, ihr zwei! Da vorne, das ist die griechische Insel Kythira!«, sagte der Koch, der gerade Eis und Limonade servierte. Dabei bedachte er Graf Gregorio mit einer besonders großen Portion Eis und einem missbilligenden Blick. Seiner Meinung nach war der Kranke noch immer viel zu dünn, obwohl er, der Koch, doch so gut für ihn sorgte.

Graf Gregorio tat, als bemerkte er den Blick des Koches nicht. Er griff nach dem roten Samtkasten und nahm die kleine Geige heraus. »Kythira heißt ins Französische übersetzt Cithara. Und eine Cithara ist eine Leier, ein Musikinstrument. Ist es nicht schön, dass diese schöne Insel so heißt?«, rief er fröhlich. Die zauberhafte Stimme der kleinen Geige erklang und siehe da, im türkis schimmernden Wasser tauchte ein Schwarm Delfine auf. Zur Musik der kleinen Geige tummelten sich die glänzenden grauen Körper fröhlich neben dem Schiff. Im perfekten Rhythmus, zu dritt oder sogar zu viert, sprangen die Delfine hoch aus dem Wasser, um dann mit elegantem Schwung wieder einzutauchen. Es war wie ein Ballett.

Der Anblick

der Delfine und

der Gesang der kleinen Geige taten Graf Gregorio gut. Yasha war froh, dass es seinem Freund besser ging und er endlich jemanden hatte, mit dem er reden konnte. Von nun an verging die Reise wie im Flug.

Morgen früh sollte der Frachter Venedig erreichen. Yasha hatte in seiner Koje gelegen und gelesen. Nun klappte er das Buch erfreut zu, fertig! Graf Gregorio schmunzelte: »Es ist Zeit für das Abendessen, Yasha. Bring das Buch schnell in die Bibliothek zurück. Ich gehe schon in die Messe und warte dort auf dich.« »Messe?«, echote Yasha fragend. »Auf einem Schiff wird der Speisesaal Messe genannt. Beeile dich, Yasha, ich habe Hunger!« antwortete Graf Gregorio.

Yasha lachte fröhlich, als er durch die Gänge zur Bibliothek flitzte. Wahrscheinlich würde er die beiden Kanadier dort antreffen. Sie würden sich freuen, wenn er sie an das Abendbrot erinnerte. Das hatten die beiden vor lauter Arbeit schon öfter verpasst. Yasha fand die kanadischen Wissenschaftler, die er insgeheim »Ledermantel« und »Jeansjacke« nannte, sehr interessant. Mit Schwung öffnet der Junge die Tür zur Bordbücherei. »Zeit fürs Abendbrot!«, rief er dabei laut. Auf dem Tisch brannte eine kleine Lampe, die das Durcheinander am Arbeitsplatz der Wissenschaftler in gnädiges Halbdunkel tauchte. Von den Kanadiern keine Spur.

Neugierig schaute sich Yasha auf dem Schreibtisch um und blätterte in einer Mappe, die aufgeschlagen auf dem Platz von »Ledermantel« lag. »Wow!«, entfuhr es ihm. In der Mappe waren Zeichnungen von Drachen. Darunter standen in sauberer Handschrift wissenschaftliche Notizen. Auf einigen Seiten klebten Fotos. Yasha kicherte, als er Jeansjacke und Ledermantel erkannte, die zusammen mit einer Gruppe asiatisch aussehender Menschen auf einem tropischen Strand posierten und unbeholfen in die Kamera grinsten. Plötzlich wurde Yasha vor Aufregung ganz schwindelig. Auf einem der Fotos erkannte er seinen Vater! Der Weißmagier Laszlo Dvorach stand vor einer riesigen Echse, die fast zwei Köpfe größer war als er selber. Darunter stand geschrieben: »Der Steinfußmann, Mister Laszlo Dvorach, und ein gefährlicher Drache auf der Insel Padar.«

Mit zitternder Hand schob Yasha die Mappe in den Lichtkegel der Schreibtischlampe und betrachtete das Bild durch eine Lupe. Tatsächlich! Der Fuß seines Vaters war tatsächlich aus Stein. Irgendetwas musste die Rückverwandlung in seinen menschlichen Körper unterbrochen haben.

Yasha begann, nachdenklich

an seiner

Unterlippe zu kauen. Auf jeden Fall war das Foto ein Beweis dafür, dass sein Vater den Liaweps und Olav Zürban entkommen war. Tief in seinem Inneren fühlte er, dass er seine Eltern bald finden würde. Und auch der Talisman machte ihm Hoffnung. Er war ganz heiß geworden und leuchtete wie ein Glühwürmchen. Plötzlich hatte es Yasha eilig. Er musste sofort mit den beiden Kanadiern reden. Sie waren seinem Vater begegnet! Yasha nahm die Mappe und rannte durch die Gänge des Frachters zur Messe. In diesem Moment erschien ihm der Weg zwischen Bibliothek und Messe endlos lang.

Ungestüm griff Yasha nach der Klinke und erstarrte mitten in der Bewegung. Durch das kleine Fenster in der Tür sah er Ledermantel und Graf Gregorio bäuchlings auf dem Boden liegen, die Hände über ihre Köpfe gelegt. Von Jeansjacke und einigen der Matrosen sah er nur die Beine. Was weiter hinten im Raum vor sich ging, war durch das kleine Fenster nicht zu erkennen. Blitzartig ließ Yasha die Klinke los. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Ein maskierter Mann mit drohend gehobener Pistole trat in Yashas Sichtfeld. Er richtete seine Waffe auf Ledermantel. »Das ist ein Überfall!«, schoss es Yasha durch den Kopf. »Ich muss hoch zur Brücke und Hilfe holen!« Aus den Augenwinkeln nahm der Mann mit der Pistole eine Bewegung an der Tür wahr. Mit einem Satz sprang der Gangster auf den Gang. Eilige Schritte verrieten ihm die Richtung, in die sein Opfer floh. Die Turnschuhe des Mannes machten nicht das leiseste Geräusch, als er die Verfolgung aufnahm. Oben fiel eine schwere Metalltür krachend ins Schloss. Da grinste der Gangster, denn nun wusste er, dass sein Opfer an Deck geflüchtet war, um von der Brücke Hilfe zu holen. Dass die Gangster zuallererst die Brücke des Frachters gestürmt hatten und Kapitän und Funker ausschalteten, konnte sein Opfer natürlich nicht wissen.

Yasha hastete keuchend

über das Deck

und erreichte die Außentreppe, die zur Brücke führte. Sein Verfolger war ihm dicht auf den Fersen. Yasha hatte die Brücke fast erreicht und raste die Treppe hinauf. Durch die Gitterstufen sah er unter sich seinen Verfolger. Aber es war zu spät. Der feste Griff, der seinen Fuß packte, kam so unerwartet, dass Yasha stürzte. Benommen blieb er auf der Treppe liegen. Die Mappe mit dem Bild seines Vaters rutschte ihm aus der Hand und blieb unbeachtet auf dem Boden liegen. Brutal zerrte der Gangster den Jungen hoch und trieb ihn mit Flüchen vor sich her. Minuten später schubste er Yasha in die Messe.

In dem Raum befanden sich zwei weitere schwer bewaffnete Gangster. Sie hatten in der Zwischenzeit alle bis auf Jeansjacke gefesselt. Jeansjacke lag zusammengekrümmt auf dem Boden und auf seinem karierten Hemd breitete sich ein großer Blutfleck aus. Manchmal stöhnte der Kanadier leise. »Hinlegen, Bengel, und Hände über den Kopf!«, brüllte der Gangster und stieß Yasha die Pistole in den Rücken. Verängstigt kam der Junge der Aufforderung nach. Quälende Minuten passierte nichts, nur das Atmen der Gefangenen und die schweren Schritte der Bewacher waren zu hören. Das Warten zerrte an den Nerven. Yasha rutschte näher an Ledermantel heran. »Der Steinfußmann ist mein Vater. Ich suche ihn. Wissen Sie, wo er sich befindet?«, wisperte der Junge leise. Langsam drehte der Kanadier den Kopf. Yasha sah, dass sein Auge blutunterlaufen und geschwollen war. »Yes, yes, der Mann mit dem Steinfuß, Mister Dvorach. Wir trafen ihn auf der Insel Padar. Wir haben …« Mit einem Ruck wurde die Tür zur Messe aufgerissen.

Aus den

Augenwinkeln

sah Yasha auf dem Flur mehrere maskierte Männer stehen. Mit Schrecken bemerkte er, dass sie das Gepäck und die Aktenordner von Ledermantel und Jeansjacke bei sich hatten. Scharfe Befehle wurden gebrüllt, Yasha presste sein Gesicht auf den Boden und blieb stocksteif liegen. Neben ihm wurde Ledermantel hochgerissen und auf den Gang geschleift. Zwei Maskierte trugen Jeansjacke hinterher. »Keiner rührt sich! Gesicht nach unten!«, brüllte der Gangster, der Yasha eingefangen hatte und feuerte mit seiner Pistole in die Decke. Kleine Holzsplitter regneten auf die Gefangenen herunter. Dann fiel die Tür ins Schloss. Nach einer Weile ertönte das schrille Aufheulen eines Motors. Die Gangster hatten das Weite gesucht! Begleitet von einem Schnellboot der Wasserschutzpolizei steuerte der Frachter den nächsten Hafen an. Hier endete vorerst die Reise. Während die Beamten das Schiff durchsuchten und Spuren sicherten, machten Yasha und Graf Gregorio im Polizeigebäude ihre Aussagen zu dem Überfall.

Das Polizeigebäude war ein kleiner, weiß gestrichener Bau, der fast wie ein Würfel aussah. Die dunklen Fensterläden waren wegen der Hitze geschlossen. Im Inneren des Gebäudes roch es nach Aktenstaub und ein wenig nach grüner Seife.

Yasha zog unbehaglich die Schultern nach oben. Der Polizist, der vor ihnen an einem mächtigen, alten Holzschreibtisch saß und hingebungsvoll an seinem Bleistift kaute, sah aus wie eine schwer beleidigte Bulldogge. Er musterte die beiden Freunde so streng, als wären sie schuld an dem Überfall. Graf Gregorio hatte seine Aussage bereits zu Protokoll gegeben und die Bulldogge reichte ihm den angebissenen Stift. »Unterschreiben – hier unten!«

Dann war Yasha an der Reihe. Stockend begann er zu erzählen. Dabei dachte er mit schlechtem Gewissen an das zerknitterte Foto in seiner Hosentasche. Er hatte das Bild von seinem Vater und dem Drachen heimlich aus der Mappe herausgerissen und eingesteckt, bevor die Polizei an Bord gekommen war. Plötzlich funkelten die Augen der Bulldogge amüsiert: »Ledermantel und Jeansjacke«, dem Polizisten traten vor Lachen die Tränen in die Augen, »nein, nein, Junge, so kann ich die Namen nicht in das Protokoll schreiben. Laut der Passagierliste heißen die kanadischen Wissenschaftler Bud Miller und Tchokray, der zweite Miller – sie sind Brüder. Die Jeansjacke gehört zu Bud Miller, das wissen wir bereits. Also meinst du mit Ledermantel Tchokray, den zweiten Miller?« »Mmh, ja, dann meine ich Tchokray!«, antwortete Yasha folgsam.

Nachdem Yasha

und Graf Gregorio alle

Fragen beantwortet hatten, empfahl der Polizist ihnen, ihre Reise nach Venedig umgehend fortzusetzen. »Erzählen Sie keinem Menschen von dem Überfall und der Entführung! Die Mafia hat ihre Augen und Ohren überall. Sie bekommen sonst größte Schwierigkeiten!«, wisperte er Yasha und Graf Gregorio leise zu. Dann sagte die Bulldogge sehr laut: »Unten am Pier können Sie den Passagierdampfer nach Venedig nehmen. Er fährt in einer halben Stunde ab, beeilen Sie sich! Und hier, meine Herren, bitte sehr! Ihre Ausweise und Ihr Reisegepäck! Gute Fahrt! Arrivederci!«

Am nächsten Morgen erreichte der Passagierdampfer mit Yasha und Graf Gregorio sein Ziel. Vor ihnen glitzerte Venedig in den ersten Sonnenstrahlen. Der Anblick war wunderschön. »Träume ich?«, fragte Yasha erstaunt. »Aber nein, Yasha! Das ist Venedig!« Graf Gregorio öffnete den kleinen roten Samtkasten, holte seine kleine Geige heraus und spielte sein schönstes Lied zu Ehren dieser bezaubernden Stadt. Die Klänge der Musik schwebten in die Höhe und bildeten Tausende von kleinen, leuchtenden Perlen, die wie Sterne auf Venedig herunterregneten. Die kleine Geige sang mit ihrer unglaublich schönen Stimme und die Leute auf der Kaimauer drehten überrascht die Köpfe.

»Komm«, rief Graf Gregorio gut gelaunt, »jetzt will ich dir Venedig zeigen!« »Wo sind hier die Straßen?«, fragte Yasha. »Ich sehe nur Wasser!« Da lachte Graf Gregorio. »Das ist das Besondere an Venedig: Es ist eine Lagunenstadt. Die Hauptstraßen sind Kanäle. Es gibt zwar auch kleine Seitenstraßen, aber in Venedig fährt man fast nur mit Booten. Die heißen übrigens Vaporettos. Der historische Stadtkern wurde auf mehr als 100 kleinen Inseln erbaut. Damit die Häuser und Paläste nicht im schlammigen Untergrund versinken, rammte man Millionen von Holzpfählen in den Boden. Und nun, auf zum Campanile di San Marco!«, rief Graf Gregorio dem Fahrer eines Wassertaxis zu, und schon fuhren sie los. Elegant manövrierte sie der Fahrer durch die schmalen Kanäle. Hin und wieder hob er lässig die Hand und begrüßte einen seiner Kollegen. Yasha staunte über die wunderschönen alten Paläste und prächtigen Häuser, die direkt im Wasser standen.

Der Markusturm ist der Glockenturm des Markusdoms. Der Campanile di San Marco ist das höchste Gebäude in Venedig. Er ist 98,6 Meter hoch. Vor dem Kassenhäuschen hatte sich bereits eine lange Schlange von Menschen gebildet. Yasha und Graf Gregorio stellten sich an, um mit dem Fahrstuhl nach oben in die Glockenstube des Campanile di San Marco zu gelangen. Yasha drängte sich durch die Menschenmenge, bis er ganz vorne an der Aussichtsplattform stand. Ihm stockte der Atem. Es war eine atemberaubende Aussicht. Von hier oben sah man weit über die Stadt und die Lagune. Yasha konnte die Altstadt mit ihren vielen Kanälen und die einzelnen Inseln in der Lagune erkennen. Es sah so aus, als würden die Gebäude wie Blüten aus dem Wasser wachsen. Nun verstand Yasha, was Graf Gregorio meinte, als er von der Einzigartigkeit Venedigs geschwärmt hatte. Glücklich umarmte der Junge seinen Freund. »Danke, dass du mir etwas so Schönes zeigst!«, rief er begeistert aus. Langsam schlenderten sie einmal rund um den Turm und genossen die Aussicht nach allen Seiten. Dann machten sie sich auf den Weg nach unten. »Nun eine Gondelfahrt auf dem berühmten Canale Grande!«, verkündete Graf Gregorio. Noch ganz benommen kletterte Yasha hinter seinem Freund in eines der eleganten Boote. Herrliche bunte Kissen lagen auf den Sitzbänken und der Boden war mit weichen Teppichen ausgelegt. »Seit über 1 300 Jahren werden Gondeln auf die gleiche Weise gebaut. Sie bestehen aus 280 Teilen, die alle von Hand hergestellt und zusammengefügt werden«, erklärte Graf Gregorio.

Der Gondoliere war sehr geschickt. Er konnte in die kleinsten Kanäle einbiegen, unter tiefen Brücken hindurchgleiten und sang dabei, als würde sein Herz vor lauter Freude und Liebe zerbrechen. Yasha war begeistert, Venedig verzauberte ihn! Lautes Flattern riss Yasha aus seinen Träumen. Tausende von Tauben flogen auf.

Mit einem

eleganten Manöver legte

die Gondel am Markusplatz an. »Alles aussteigen, die Stadtbesichtigung geht weiter, bitte mir zu folgen!«, rief Graf Gregorio scherzhaft und zwinkerte Yasha verschmitzt zu. Hoch über ihnen läutete eine Turmuhr. Ein mit einem Hammer bewaffneter Riese schlug die Stunden. Lachend zählten die Freunde die Schläge mit. Sie schlenderten über den Markusplatz. Klick, klack, klick, klack, klick, klack. Der Meißel eines jungen Künstlers flog nur so über eine halbfertige Drachenstatue. Interessiert blieben Graf Gregorio und Yasha stehen und beobachten den staubigen jungen Mann bei seiner Arbeit. Plötzlich deute Graf Gregorio auf ein kleines Bild: »Schau mal, Yasha! Sieh dir das Foto an, nach dem er arbeitet! Das gleiche hast du doch auch!« Vorsichtig zog Yasha das zerknitterte Foto seines Vaters und des Drachens aus seiner Hosentasche. Das Gefühl, auf eine heiße Spur gestoßen zu sein, elektrisierte ihn förmlich. Der junge Künstler hörte mit der Arbeit auf und starrte auf die beiden Fotos. »Das ist mein Vater. Wie sind Sie zu dem Foto gekommen?«, fragte Yasha neugierig. »Eine Bestellung! Es ist ungefähr ein halbes Jahr her, als zwei kanadische Wissenschaftler mir den Auftrag gaben, einen möglichst realistischen Drachen für sie anzufertigen. Als Vorlage bekam ich von ihnen dieses Foto. Mit Hilfe der Drachenskulptur soll die hohe Kommission der Naturwissenschaftler überzeugt werden, dass es diese gefährlichen Drachen gibt. Nur so kann Geld für eine weitere Expedition bewilligt werden, um die Bevölkerung von der Drachenplage zu befreien. Der Mann auf dem Bild, Mister Dvorach, ist auf der Insel Padar geblieben, um der Bevölkerung zu helfen.« Umständlich kramte der junge Bildhauer in einem schmalen roten Ordner und zeigte Yasha den Auftragsschein. Darauf stand in krakeliger Schrift: »Eine Drachenskulptur für Bud Miller und Tchokray, den zweiten Miller. Lieferung so schnell wie möglich an die hohe Kommission der Naturwissenschaftler.«

Der steinerne

Schmetterling glühte. Graf Gregorio legt Yasha die Hand auf die Schulter: »Es sieht ganz so aus, als müsstest du schnell handeln! Lebe wohl, Yasha, und viel Glück!« »Bitte, lieber Talisman! Bring mich zur Insel Padar!«

Der steinerne Schmetterling wirbelte Yasha hoch. Mitten in einem Schwarm Tauben flog er immer höher und höher. Der Markusplatz, die wunderschöne Stadt Venedig und die Lagune wurden kleiner und kleiner.

Der Talisman
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