Nachwort

Wohl kaum ein Ereignis aus der Vorgeschichte der Bundesrepublik ist so sehr zum Mythos geworden wie die Währungsreform. Dabei ist jener regnerische Tag im Frühsommer des Jahres 1948, an dem sich alle Deutschen ihre 40 DM »Kopfgeld« abholen durften, ebenfalls ein Tag der Enttäuschung und des Verlustes gewesen – und auch des Verbrechens. Jene 5- und 10-Pfennig-Fehldrucke, die Staves und MacDonalds Aufmerksamkeit erregen, hat es tatsächlich gegeben. Sie wurden einige Tage vor dem 20. Juni von Mitarbeitern der Landeszentralbank feilgeboten, die sie aus den Trommeln fischten, in denen die Banknoten eigentlich zerstört werden sollten. (Genauso wie übrigens auf Schwarzmärkten das hochgiftige Torpedoöl als »Bratöl« angepriesen wurde.) Aus dramaturgischen Gründen habe ich nur den Schauplatz dieses illegalen Handels auf den Schwarzmarkt am Goldbekplatz verlegt. In Wahrheit wurden die Geldscheine auf dem Kiez in St. Pauli »verschanzt«, also auf der Reeperbahn. Kurt Flasch, Beamter der Landeszentralbank und Staves Nachbar, ist jedoch eine fiktive Figur.

Die im Roman genannte Radiorede von Bürgermeister Max Brauer ist hingegen authentisch, ebenso sind es die Bedingungen für den Geldumtausch von Reichsmark zu Deutscher Mark.

Das massive Gebäude der Landeszentralbank steht heute noch neben dem Rathaus und wird viel besucht, allerdings von Kunstfreunden. Das Bucerius Kunst Forum ist heute dort untergebracht. Das wuchtige Mauerwerk des einstigen Geldhauses ist gut zu erkennen. Und wer auf dem Rathausmarkt steht und nach oben sieht, erblickt im Giebel des Gebäudes immer noch fünf massige Steinfiguren, ein Wappen und die Aufschrift »Reichsbank«.

Die Geschichte jener Kunstwerke, die in der Weimarer Republik geschaffen und von den Nationalsozialisten als »entartet« diffamiert, aber als Requisiten in Filmen verwendet wurden, ist für diesen Kriminalroman adaptiert worden. Mindestens fünfzehn expressionistische Objekte der zwanziger Jahre sind bei Bauarbeiten tatsächlich gefunden worden, beschädigt, erdverkrustet, zerbeult. Allerdings ist diese Zufallsentdeckung nicht in Hamburg gemacht worden, sondern in Berlin – und dort erst im Jahr 2010.

Das Museum für Kunst und Gewerbe der Hansestadt hat diese Werke 2012 ausgestellt, und durchaus auch mit einer gewissen lokalen Berechtigung. Jener Bronzekopf der Schauspielerin Anni Mewes etwa wurde nicht vom fiktiven Meister Toni Weber (dessen Namen – aber nicht dessen Biografie – ich von einem Amateurmaler entliehen habe, der 1947 mit anderen Laien eine Ausstellung im Kaufhaus C & A beschickte) geschaffen, sondern zwischen 1917 und 1921 von Edwin Scharff. Der Künstler wirkte nach 1945 in seinem letzten Lebensjahrzehnt in Hamburg.

Der Propagandafilm, in dem manche dieser beschlagnahmten und anschließend vom NS-Propagandaministerium als Requisiten »ausgeliehenen« Kunstwerke verwendet wurden, war »Venus vor Gericht«. Der Regisseur Veit Harlan hat viele wirkmächtige Filme für das NS-Regime geschaffen, diesen jedoch nicht. In Wahrheit war Hans H. Zerlett für Drehbuch und Regie verantwortlich. Harlan lebte jedoch seit 1945 mit seiner schwedischen Frau Kristina Söderbaum unter den beschriebenen Umständen an der Alster und verteidigte sich, ähnlich wie hier beschrieben, vor Gericht wie in der Öffentlichkeit gegen Vorwürfe, er sei Propagandist der Nationalsozialisten gewesen.

Die Geschichte des sammelnden Bankiers Doktor Schramm und seiner tragischen Verstrickung nach einer Bombennacht 1943 ist hingegen ohne reales Vorbild.

Bedauerlicherweise äußerst real sind die milden Strafen oder gar Freisprüche, die führende NS-Täter bereits kurz nach Kriegsende erwarten konnten: Hamburgs Gauleiter Karl Kaufmann, politisch unter anderem für das KZ Neuengamme verantwortlich, verbrachte bis Anfang der fünfziger Jahre einige Zeit in diversen Internierungs- und Haftanstalten, musste jedoch nie längere Zeit einsitzen. Ab Mitte der fünfziger Jahre lebte er als angesehener Bürger und Teilhaber eines Versicherungsunternehmens und einer chemischen Fabrik in Hamburg. Der NS-Bürgermeister Carl Vincent Krogmann kam mit einer kurzen Internierungshaft davon, er arbeitete später ebenfalls unbehelligt in Industrie und Handel. Das Verfahren gegen den Kapitän zur See Rudolf Petersen, der noch nach der Kapitulation des NS-Regimes Matrosen erschießen ließ, das in diesem Roman Staatsanwalt Ehrlich führt, wurde 1948 tatsächlich angestrengt – und endete mit Freispruch.

Wer penibel recherchiert, der mag mir einige dichterische Freiheiten verzeihen. Die Wasserpumpe auf dem Rathausmarkt etwa, gegen die sich Oberinspektor Stave lehnt, wurde erst 1950 gegossen. Die beschriebene Schmuck- und Silberversteigerung durch den Auktionator Herbert Nattenheimer im Winterhuder Fährhaus fand schon im Oktober 1947 statt, nicht im Frühjahr 1948. George Orwells »Animal Farm« wurde als »Wie die Tiere« im Juli und nicht im Juni 1948 vom NWDR im Nachtprogramm als Hörspiel gebracht. Die anonyme Anzeige, die Stave beim Chefamt S lesen muss, ist in Inhalt und Rechtschreibung authentisch, der darin angeschwärzte Fuhrunternehmer ist jedoch eine Erfindung. Das Casino in Travemünde erhielt erst 1949 wieder eine Lizenz.

Manche Schauplätze sind, das ist nicht überraschend, heute spurlos verschwunden. Von den Ley-Hütten an der Langenhorner Chaussee etwa ist nichts mehr geblieben. Das Haus Lerchenstraße 23 mit der elenden Wohnung existiert nicht mehr, das ehemalige Schillertheater gegenüber als bis heute verfallendes Monument hingegen schon. Die Ohlendorff’sche Villa mit ihrem Park steht auch heute noch in Volksdorf. (Sie war tatsächlich ein britischer Offiziersclub und, ja, mindestens einmal galoppierte ein Gentleman hoch zu Ross in das Anwesen.) Der jüdische Friedhof in Jenfeld ist erhalten, ein nahezu unbeachtetes Zeugnis einer beinahe untergegangenen Kultur.

Der Reimershof ist, nach schweren Kriegsschäden, wieder aufgebaut worden. Man hat einen guten Blick auf das Kontorhaus, wenn man sich auf den bombenzernarbten Turm von Sankt Nikolai begibt – was heute in einem gläsernen Aufzug möglich ist, ganz ohne Lebensgefahr.