14

Ian malte mit der Asche eine Zielscheibe auf einen nahe gelegenen Baumstamm und holte sein Messer aus dem Stiefelschaft. Während er den Mädchen erklärte, welche Körperhaltung man einzunehmen hätte und worauf sie achten mussten, schweiften Dorotheas Gedanken auf das Schiff und zurück zu ihren Unterrichtsstunden mit ihm. Damals war ihr nicht aufgefallen, dass er solch ein guter Lehrer war. Er wurde nicht ungeduldig, auch wenn er zum zwanzigsten Mal die Körperhaltung korrigierte. Seine dementsprechenden Hinweise waren immer genau richtig, und er ermutigte Lischen, die schnell aufzugeben pflegte, mit großem Geschick.

Erst als beide Mädchen so weit waren, dass sie, wenn auch nicht immer die improvisierte Zielscheibe, so doch zumindest den Baumstamm trafen, war er zufrieden.

Erhitzt und durstig liefen Heather und Lischen zur nächsten Quelle. Ian jedoch rührte sich nicht vom Fleck. Rücklings an den Stamm gelehnt, die Beine lässig überkreuzt, balancierte er spielerisch das Messer auf seinen Fingerspitzen. »Es würde mich interessieren, ob du wirklich so gut geworden bist, wie Heather behauptete«, sagte er leise und warf ihr unter gesenkten Lidern einen herausfordernden Blick zu. »Was hältst du von einem kleinen Wettwerfen?«

War es dieser Blick, der sie fragen ließ: »Ehe ich die Herausforderung annehme: An welchen Gewinn hattest du dabei gedacht?«

»Wenn ich dich besiege, gehst du mit mir zu dem Maskenball beim Gouverneur«, erwiderte er. Dieser Maskenball versprach das gesellschaftliche Ereignis der Saison zu werden. Obwohl Dorothea keine begeisterte Gesellschaftsgängerin war, hatte sie in diesem Fall doch insgeheim bedauert, noch im Trauerjahr zu sein und somit auf den Besuch dieser Veranstaltung verzichten müssen, die unter dem Motto stand: »Am Hofe des Sultans von Konstantinopel«. Nach den Kostümen auf den Schneiderpuppen ihrer Mutter würde es ein äußerst prächtiger Ball werden. Selbst die nüchterne Miss Mary Kilner hatte sich eine Art Haremskostüm in Nilgrün bestellt. Ihr Verlobter, Protector Moorhouse, würde als muselmanischer Würdenträger erscheinen.

»Du weißt doch, dass ich noch nicht in der Öffentlichkeit tanzen darf«, wandte sie mit leisem Bedauern ein.

»Es ist ein Maskenball«, erinnerte er sie. »Demaskierung ist um Mitternacht, das heißt, wir hätten vier Stunden, um zu tanzen und das Büfett zu plündern. Wir verschwinden kurz davor. Niemand wird wissen, dass du dort warst. Na, was sagst du?«

»Ich würde schon gerne dorthin gehen«, gab sie zu. »Aber ich habe kein Kostüm!«

Ians siegessicheres Grinsen sagte ihr, dass er auch dieses Problem gelöst hatte. »Sei nicht so sicher, dass du gewinnst«, warnte Dorothea ihn, wider Willen beeindruckt von seinem Organisationstalent. Wie hatte er es nur geschafft, ein passendes Kostüm zu beschaffen, wo doch seit Wochen jedes einigermaßen orientalisch anmutende Accessoire von seiner Besitzerin eifersüchtig gehütet wurde? »Was ist, wenn ich gewinne?«

»Dann darfst du dir etwas von mir wünschen«, sagte Ian großmütig. »Aber das wird nicht geschehen. Also brauchst du dir darüber keine Gedanken zu machen.«

Spontaner Ärger über seine Herablassung schoss durch ihre Adern und ließ ihren Körper vibrieren. Plötzlich fühlte sie sich so lebendig wie seit Langem nicht mehr. »Da sei dir mal nicht so sicher«, murmelte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen. »Wie viele Würfe?«

»Zehn?«, schlug er vor.

»Einverstanden. – Wer fängt an?«

»Die Dame natürlich.« Ian verbeugte sich übertrieben höflich. »Bitte sehr.« Die breite, lanzettförmige Klinge glitzerte auf seiner Handfläche, als er ihr das Messer reichte. Ihre Finger berührten seine nur kurz, doch dieser Moment reichte aus, um ihre Treffsicherheit derart zu beeinträchtigen, dass das Messer gerade noch im äußersten Kreis stecken blieb. Ian hob stumm die Augenbrauen, enthielt sich jedoch jedes weiteren Kommentars, als er zu dem Baum ging und das Messer herauszog.

»Deine nächsten werden sicher besser«, bemerkte er, als er sich neben sie stellte. Er warf, ohne auch nur zu zielen. Trotzdem stak die Klinge mitten im Zentrum, wie Dorothea erbittert feststellen musste.

Aber auch ihre nächsten Würfe waren beschämend schlecht. »Du bist nicht bei der Sache«, stellte Ian kritisch fest. »Das wird nichts mehr. Gibst du auf?«

»Nein, das tue ich nicht«, fauchte Dorothea, stapfte mit wehenden Röcken zum Stamm und riss wütend das Messer aus der Rinde. »Ich werd’s dir noch zeigen.« Mit geschlossenen Augen atmete sie tief ein und aus, bis sie das Gefühl hatte, den Aufruhr in ihrem Inneren eingedämmt zu haben. Erst dann stellte sie sich in Wurfposition und zielte sorgfältig.

Ein lauter Schreckensschrei ließ sie so heftig zusammenzucken, dass das Messer ihren Fingern entglitt. »Doro, komm schnell, etwas hat Heather gebissen!«

Noch bevor sie die beiden Mädchen erreichte, war Ian schon dort und beugte sich über Heather, die kreidebleich und zitternd am Rand des Wasserbeckens hockte. Ihre Rechte hielt sie weit von sich gestreckt und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf das Blut, das aus einer kleinen, punktförmigen Wunde quoll.

»Was war es? Hast du gesehen, was dich gebissen hat?« Ian kniete nieder, ergriff ihr Handgelenk und inspizierte die Wunde.

»Ein Skorpion«, flüsterte Heather und wies mit dem Kinn auf ein zerquetschtes Etwas neben sich. »Ich habe ihn noch mit dem Stein erwischt.«

Ian lächelte. »Tapferes Mädchen«, sagte er. »Gott sei Dank! Diese Biester können zwar gemein zustechen, aber es ist nicht lebensgefährlich.« Mit einem Stöckchen stocherte er in den Resten, schob den Giftstachel hin und her und nickte dann erleichtert. »Die Sorte kenne ich. Du wirst ein paar Tage eine geschwollene Hand und ziemliche Schmerzen haben. Wir sollten sehen, dass wir schleunigst nach Adelaide zurückkommen und mit essigsaurer Tonerde kühlen.«

Ohne lange zu fackeln, nahm er sie auf die Arme und trug sie zum Wagen. Dorothea wollte ihnen schon folgen, als Lischen sie am Ärmel zupfte. »Das war wirklich seltsam, Doro«, flüsterte sie und wies mit bebenden Fingern auf das flache Becken voll klaren Wassers. »Ich hätte schwören können, dass nichts dort drin war. Aber als Heather ihre Hand mit dem Becher aus dem Wasser zog, hing er dran. Wo ist er denn bloß hergekommen?«

»Vielleicht ist er von oben heruntergefallen«, sagte Dorothea. »Außerdem können Skorpione gut klettern. Komm jetzt, wir sollten besser nicht trödeln.«

Ian trieb das Pferd so an, dass es schweißnass war, als sie Adelaide erreichten. Trotz der modernen Federung wurden sie ordentlich durchgeschüttelt, aber niemand beklagte sich. Auch Heather nicht, doch ihr kalkweißes Gesicht und die zerbissenen Lippen sprachen eine deutliche Sprache. Ihre Hand war inzwischen feuerrot und bis über das Handgelenk hinaus so geschwollen, dass die Haut darüber spannte.

»Um Himmels willen, was ist geschehen?«, fragte Mutter Schumann besorgt, kaum dass sie einen Blick auf das Häufchen Elend geworfen hatte. »Hat sie sich verletzt?«

»Nein, ein Skorpion hat sie gestochen«, gab Dorothea kurz zurück. Sie wartete nicht, dass Ian ihr half, sondern sprang vom Bock und hob die Arme. »Komm, Heather, ich bringe dich ins Bett und mache dir einen Umschlag mit essigsaurer Tonerde. Danach wirst du dich gleich besser fühlen.«

»Sollten wir nicht zur Sicherheit Dr. Woodforde kommen lassen?«, schlug Mutter Schumann vor. »Mr. Rathbone, wären Sie so freundlich, ihm Bescheid zu sagen?«

»Natürlich, gerne.« Mit dem denkbar kürzesten Gruß verschwand er in einer rötlichen Staubwolke.

Glücklicherweise hatte Dr. Woodforde seine Sprechstunde gerade beendet, und er ließ alles andere stehen und liegen, als er von Ian alarmiert wurde. »Na, wo ist denn die kleine Patientin?«, dröhnte seine Stimme im Flur, kaum dass Dorothea Heather ausgekleidet und ins Bett gesteckt hatte. Er war ein freundlicher alter Herr mit grauem Backenbart und einem stets leicht nach Mottenkugeln riechenden Gehrock. Bedächtig fühlte er Heathers Puls, nickte zufrieden und holte sein poliertes Hörrohr aus der Arzttasche, dessen Zustand von einem langen Berufsleben Zeugnis ablegte.

»Die kleine Dame ist in einem den Umständen entsprechenden guten Zustand. Ihr Puls ist etwas zu schnell, aber der Herzschlag ist regelmäßig«, erklärte er mit professionell beruhigender Stimme. »Sie ist jung und kräftig. Ihr Körper wird das Gift bald ausscheiden. Sie braucht jetzt ein paar Tage Schonung, leichte Kost und viel Schlaf. Dann ist es bald nur noch eine böse Erinnerung.«

Mit einem leisen Ächzen erhob er sich von der Bettkante. »Wenn sie über starke Schmerzen klagt – aber nur dann! –, geben Sie ihr zehn Tropfen davon. Zehn – keinesfalls mehr!«, sagte er zu Dorothea und reichte ihr ein kleines braunes Fläschchen. »Ich bin kein Freund von Laudanum, aber es wäre grausam, das Kind nur aus Prinzip leiden zu lassen. Sollte ihr Zustand sich überraschend verschlechtern, zögern Sie nicht, mich zu rufen. Ihr Diener, Madam.«

Gerade als er noch ein paar Abschiedsworte mit Mutter Schumann wechselte, kamen Karl und Koar aus der Lateinschule zurück. Die Überraschung war gegenseitig.

Dr. Woodforde fand zuerst die Sprache wieder. »Holla, ist das nicht mein junger Freund, der Medizinmann? Sie kommen wie gerufen: Wie würden Sie einen Skorpionstich behandeln? Na los, lassen Sie hören.«

»Mit einem Umschlag aus ngalyipi-Wurzelbrei«, antwortete Koar. »Aber danach muss man die Geister befragen, welcher Zauberer den Skorpion geschickt hat.«

»Hm, so, so.« Dr. Woodforde betrachtete Koar lange und nachdenklich, ehe er ihm väterlich die Hand auf die Schulter legte. »Mit dem Umschlag bin ich einverstanden. Dies scheint wirklich eine außergewöhnlich nützliche Heilpflanze zu sein. Sie haben meine Zustimmung, die Patientin damit zu behandeln. Den Rest vergessen wir besser. Diesen Geisterglauben müssen Sie ablegen, wenn es Ihnen mit dem Studium der Medizin ernst ist, junger Freund.«

»Es war nur ein Scherz«, sagte Karl rasch und stieß seinen Freund unauffällig mit dem Ellenbogen an. »Selbstverständlich glaubt Koar keinen solchen Unsinn.«

Ehe der protestieren konnte, hatte er den Arzt schon hinauskomplimentiert. »Und jetzt lass uns schleunigst diese Wurzeln besorgen.« Sobald er die Tür hinter Dr. Woodforde geschlossen hatte, betrachtete er Koar nachdenklich. »Es war doch ein Scherz, oder?«

»Nein«, erwiderte Koar. »Ein Skorpion sticht dich nicht zufällig. Es ist immer ein Zeichen dafür, dass jemand einen Fluch gegen dich ausgesprochen hat.«

»Selbst wenn du recht hättest: Wer sollte einen Fluch gegen ein kleines Mädchen aussprechen?«, wandte Dorothea ein. »Gegen ein Kind!«

»Ein Kind hat Eltern, die es lieben.« Der junge Aborigine sah sie eindringlich an. »Es ist nur das Mittel, um ihnen Schmerz zuzufügen.«

»Schluss mit dem Gerede«, unterbrach Karl ihn ungewohnt energisch. »Wie ich schon sagte: Wir sollten uns beeilen.«

»Musst du Doro mit solch morbidem Zeug Angst einjagen?«, hörte Dorothea ihn vorwurfsvoll sagen, als sie um die Hausecke bogen. »Das bringt doch nichts.«

Ihre Mutter hatte angeboten, sich bei der Wache an Heathers Bett mit ihr abzuwechseln, und die Stunden bis Mitternacht übernommen. »Der Umschlag scheint ihr gutzutun«, teilte sie Dorothea leise mit, als die kam, um sie abzulösen. »Aber sie fiebert, und wenn sie aufwacht, ist sie immer sehr durstig. Ich bringe dir noch einen Krug von der Limonade, die sie so gern mag.«

Tatsächlich waren Heathers Wangen hochrot, ihre Stirn glühend heiß, und sie warf sich unruhig in den Kissen hin und her, wobei sie Unverständliches vor sich hin murmelte. Dorothea, die als Krankenpflegerin völlig unerfahren war, da ihre Mutter bei Karls und Lischens früheren Erkrankungen keinem der anderen Kinder erlaubt hatte, das Zimmer zu betreten, wurde es mulmig zumute. Wie sollte sie erkennen, wann es nötig war, Dr. Woodforde zu rufen?

»Weck mich, wenn du denkst, dass ihr Zustand besorgniserregend ist«, sagte ihre Mutter ruhig und stellte den Krug mit der frischen Limonade auf den Waschtisch. »Gegen Morgen ist es immer am schlimmsten.«

Mit klopfendem Herzen verfolgte Dorothea jeden mühsamen Atemzug ihrer Stieftochter. War Dr. Woodforde wirklich so zuversichtlich gewesen, dass Heather es gut überstehen würde, oder hatte er es nur vorgetäuscht, um sie nicht zu beunruhigen? Sollte sie ihr von den Tropfen geben, wenn sie aufwachte? Und würde sie es rechtzeitig bemerken, wenn der Arzt benötigt würde? Sie kam sich so schrecklich hilflos vor, dass sie bedauerte, nicht rechtzeitig daran gedacht zu haben, Dr. Woodforde nach einer Pflegerin zu fragen. Eine erfahrene Frau gehörte an ihren Platz. Nicht eine wie sie, der vor lauter Angst, etwas falsch zu machen, die Hände zitterten.

Als das Mädchen plötzlich die Augen aufschlug, hätte sie vor Schreck fast aufgeschrien. Als Heather sie erkannte, lächelte sie schwach. »Dorothy«, flüsterte sie. »Ich habe so schrecklich Durst.«

»Möchtest du Limonade?«, fragte Dorothea, zutiefst erleichtert, dass Heather nicht halluzinierte, sondern fast normal wirkte. Heather nickte, und Dorothea flößte ihr ein halbes Glas der nach Zitrone duftenden Flüssigkeit ein.

»Glaubst du, der böse Mann hat den Skorpion geschickt?«, fragte Heather kaum hörbar, nachdem sie in die Kissen zurückgesunken war.

»Nein, das glaube ich nicht. Aber selbst wenn – gegen Koars Medizin kann er nichts ausrichten.« Sie wies auf den Breiumschlag.

»Koar ist auch ein Zauberer?«

Dorothea zögerte nur einen winzigen Moment. »Ja«, sagte sie dann entschieden. »Koar ist sogar ein überaus bedeutender Zauberer bei ihnen. Er ist zwar noch jung, aber sein Großvater, der ihn alles gelehrt hat, war einer ihrer größten.«

Diese Information hatte auf Heather eine erstaunliche Wirkung. Sie lächelte zufrieden. »Das habe ich gespürt«, wisperte sie und blickte fast ehrfürchtig auf den schlichten Breiumschlag. »Wenn Koar mich beschützt, habe ich keine Angst mehr.« Ihre Lider fielen zu, und schon nach kurzer Zeit zeigten ihre regelmäßigen Atemzüge, dass sie wieder eingeschlafen war. Verwundert sah Dorothea, dass die ungesunde Röte schwächer geworden war. Auch das Fieber schien gesunken. Heather schlummerte so ruhig und friedlich, als hätte sie ihr das ganze Fläschchen Laudanum eingeflößt.

Seltsam: Allein der Glaube, Koar sei ein mächtiger Zauberer, dessen Medizin selbst das Gift eines Skorpions unschädlich machen konnte, schien geradezu Wunder gewirkt zu haben. Sollte an diesem ganzen Brimborium doch etwas dran sein?

Am nächsten Tag ging es Heather schon bedeutend besser. Als Ian Rathbone zu einer Krankenvisite vorbeikam, wie er es nannte, konnte sie seine Genesungswünsche aufrecht im Bett sitzend entgegennehmen. »Ich dachte mir, daran hast du mehr Freude als an Blumen«, sagte er mit einem Augenzwinkern, als er ein Körbchen mit exquisiten Süßigkeiten von Lacy’s, dem besten Konditor der Stadt, vor sie auf die Bettdecke stellte. »Und ich hoffe, dadurch die schlechten Erinnerungen an unseren gestrigen Ausflug zu übertünchen.«

»Oh …« Lischen stierte gierig auf das Konfekt. »Dafür würde ich mich auch von einem Skorpion stechen lassen!«

August, der nach dem Frühstück vorbeigekommen war, betrachtete seine jüngste Schwester kopfschüttelnd. »Wie kann man nur so gefräßig sein?«

Dorothea und Ian sahen sich an und brachen unisono in schallendes Gelächter aus. »Untersteh dich, Mädel«, prustete Ian und wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln. »Wenn du das tust, kriegst du von mir kein Konfekt, sondern eine Gardinenpredigt, die sich gewaschen hat. Also lass es lieber sein.«

Anschließend führte Dorothea Ian in den Garten. »Du siehst müde aus«, sagte Ian fast schroff. »Ich habe dir doch gesagt, dass es nicht so schlimm ist. An einem Bienenstich stirbt man schließlich auch nicht.«

»Du hast gut reden. Robert hat mir Heather anvertraut. Ich bin für sie verantwortlich. Wenn ihr etwas zustieße …« Dorothea sprach nicht weiter.

»Schhh…« Ian zog sie tröstend in die Arme, und Dorothea war zu erschöpft, um sich zu wehren. Schließlich war es Ian. Ian, den sie seit Langem kannte. Warum sollte sie ihrem Bedürfnis widerstehen, sich an seine so beruhigend warme, feste Brust zu schmiegen?

»Ach, Ian, es ist so schön, dass ich dich wiederhabe«, murmelte sie. Der Druck seiner Arme verstärkte sich fast unmerklich, und sie spürte, wie sich sein Körper verhärtete, ehe er sie mit einem tiefen Seufzer sanft von sich schob.

»Setzen wir uns ein wenig auf die Bank dort. Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt, du und Robert? Soviel ich weiß, ist er möglichst selten in der Stadt.«

»Ich kannte ihn auch kaum. Es war das, was man gemeinhin eine arrangierte Ehe nennt.« Dorothea lächelte schwach, als sie sich an das denkwürdige Gespräch mit Mary Kilner erinnerte. »Wir waren durch den Tod meines Vaters in eine ziemliche Zwangslage geraten. Und Robert befand sich bereits in einer solchen. Wir haben uns sozusagen gegenseitig geholfen.«

»Das hat er mir nicht erzählt«, stieß Ian hervor. Als Dorothea ihm einen scheuen Seitenblick zuwarf, sahen seine Wangenmuskeln wie gemeißelt aus. »Er sagte nur, er werde einer alten Freundin ewig dankbar sein für ihre Vermittlung. Aber ich dachte natürlich, er meinte damit, sie hätte euch einander vorgestellt.« Ian schien ausgesprochen aufgebracht. Vermutete er, Robert hätte die Notlage ihrer Familie ausgenutzt und sie praktisch gekauft? Wenn man nicht wusste, dass ihr Interesse an einer raschen Heirat bedeutend größer gewesen war, musste es wohl so erscheinen. Und Robert war sicher zu sehr Gentleman gewesen, um ihren angeblichen Wunsch, das Trauerhaus möglichst schnell verlassen zu können, als Begründung für die ungewöhnlich hastige Eheschließung anzugeben.

»In gewisser Weise hat sie das auch nur«, sagte Dorothea begütigend. »Du musst wissen, ich war es, die hoffte, meiner Familie mit einer guten Heirat zu nützen. Inzwischen schäme ich mich dafür, denn Robert ist ein ganz wundervoller Ehemann, wie ich ihn besser nicht hätte finden können …«

»Genug«, unterbrach er sie und sprang auf. »Liebst du ihn?«

Dorothea zögerte mit einer Antwort. Diese Frage hatte sie sich selbst schon öfter gestellt. Was war Liebe? Zweifellos liebte sie ihre Familie: ihre Mutter, ihre Geschwister. Ihren Vater hatte sie so geliebt, dass der Schmerz über seinen Tod kaum zu ertragen gewesen war. Hatte sie Miles geliebt? Rückblickend musste sie das eher verneinen. Es war ein kurzer Rausch gewesen, ein körperliches Vergnügen gepaart mit der prickelnden Erregung des Verbotenen.

Für Robert empfand sie tiefe Zuneigung und Hochachtung. Und auch die körperliche Seite ihrer Ehe mit ihm war durchaus zufriedenstellend. Das Gefühl, dass etwas fehlte, war erst in den letzten Wochen aufgekommen, zunächst schemenhaft, dann immer klarer.

»Ja, ich liebe ihn von Herzen«, sagte sie mit einer Entschiedenheit, die zu einem guten Teil darauf zurückging, dass sie auch sich selbst davon überzeugen wollte, dass es so war. »Er ist ein wunderbarer Ehemann, und er wird ein genauso wundervoller Vater sein, wenn wir erst einmal Kinder haben werden.«

Ian fuhr zusammen, als hätte sie ihm einen Faustschlag in den Magen versetzt. Dann drehte er sich unvermittelt um und stürmte davon. Dorothea sah ihm niedergeschlagen nach. Warum benahm Ian sich auf einmal dermaßen seltsam? Hatte sie das Falsche gesagt? Es war so verwirrend: Anfangs hatte sie sich einfach nur gefreut, einen alten Freund wiedergefunden zu haben, aber etwas zwischen ihnen hatte sich verändert. Er war nicht mehr der Junge, mit dem sie auf den Taurollen gesessen und Lesen und Schreiben geübt hatte. Die kameradschaftliche Vertrautheit von damals war einer merkwürdig zwiespältigen Haltung gewichen. Der neue Ian zog sie magisch an, und doch ließ etwas sie fast ängstlich vor ihm zurückscheuen. Vielleicht war es gut, dass er so wütend davongestürmt war. Seine Nähe beunruhigte sie mehr, als es sich gehörte.

»Was hast du nur zu ihm gesagt, dass er aus dem Haus gestürmt ist wie eine angestochene Sau?« August betrachtete sie mit brüderlicher Missbilligung. »Schade, ich hatte ihn gerade fragen wollen, ob er heute Nacht mitkommen möchte.«

»Mitkommen wohin?«, erkundigte sich Dorothea automatisch, ohne nachzudenken. August errötete deutlich sichtbar. »Ach, nur in so ein neues Etablissement«, wiegelte er dermaßen offensichtlich ab, dass Dorothea argwöhnisch wurde. »Was für ein Etablissement?«

»Eines mit künstlerischen Darbietungen«, sagte er. »Und du brauchst mich gar nicht so anzuschauen, als wäre ich eine Kakerlake. Männer haben nun einmal andere Bedürfnisse als Frauen. Als Ehefrau solltest du das wissen.«

»Ist dieses Etablissement mit den künstlerischen Darbietungen etwa ein Bordell?«, fragte Dorothea, wobei sie die künstlerischen Darbietungen verächtlich betonte.

»Hast du etwas dagegen?«, gab August trotzig zurück. »Ist ja wohl besser, als Dienstmädchen schwängern, und Rathbone schien mir genau der Mann zu sein, der einen original orientalischen Schleiertanz zu würdigen weiß.«

Würde er das? Ihr Bruder war ebenfalls ein Mann. Vielleicht konnte er das besser beurteilen. Waren Männer wirklich so anders?

»Du weißt ja, wo er logiert«, sagte sie in neutralem Ton und wandte sich ab, um ins Haus zu gehen.

Dr. Woodfordes Zuversicht in Heathers Konstitution erwies sich als berechtigt: Ihre Genesung machte rasante Fortschritte. Zwei Tage nach dem Stich war sie so munter wie vorher, und es wurde zunehmend schwieriger, das Mädchen, das daran gewöhnt war, frei herumzustreifen, zu beschäftigen. Mutter Schumann schlug vor, die neue Leihbücherei aufzusuchen. »Dort gibt es sicher passende Lektüre«, meinte sie. »Außerdem habe ich gehört, dass es dort auch verschiedene Spiele zum Ausleihen geben soll.«

Dorothea, die bisher nur den Lesesaal der Literarischen Gesellschaft gekannt hatte, war angenehm überrascht. Die Bezeichnung Lesesaal war ziemlich euphemistisch – er enthielt außer einigen Sesseln nur zwei Vitrinen mit gespendeten Büchern, die ihren Vorbesitzern wohl nicht zugesagt hatten.

Die Leihbücherei Gibson dagegen wirkte äußerst geschäftig. An einer Theke aus hellem Eichenholz empfing sie eine ältere Dame mit schwarzen, fingerlosen Spitzenhandschuhen und erklärte ihnen, dass man sich zuerst einschreiben und einen Jahresbeitrag zahlen musste. Danach durfte man in die Räume dahinter, in denen lange Regale voller Bücher auf Leser warteten. »Einen Monat Leihfrist, Überschreitung kostet einen Shilling«, leierte sie mit ausdrucksloser Stimme herunter. »Hier ist Ihre Karte, bitte sehr.«

Dorothea nahm sie entgegen. Sie war aus stabilem, braunem Karton und ließ Raum für gut zwanzig Titel auf jeder Seite. »Rufen Sie mich ruhig, wenn Sie noch Fragen haben«, sagte die Dame und wandte sich einem älteren Herrn mit üppigem, grau meliertem Bart zu, der laut und vernehmlich forderte, ihm die neueste Ausgabe »dieses verdammten Schmierblatts« ins Lesezimmer zu bringen.

Während Lischen und Heather zwischen den Regalen verschwanden, folgte Dorothea dem Mann neugierig. Dank zahlreicher Fenster war der Raum lichtdurchflutet, dicke indische Wollteppiche dämpften jedes Geräusch. Die wuchtigen Ledersessel wirkten ausgesprochen bequem. Und ein üppig bestücktes Teetablett auf einem der Beistelltische zeigte, dass man hier durchaus angenehm erholsame Stunden verbringen konnte.

Es war nicht der Ort, an dem sie erwartet hätte, Ian wiederzubegegnen.

Er saß in einem der Sessel direkt vor dem Fenster und las mit gerunzelter Stirn in einer aufgeschlagenen Zeitung. So vertieft in seine Lektüre, dass er aufsprang, wie von der Tarantel gebissen, als sie leise sagte: »Guten Morgen, Ian. Ich wusste gar nicht, dass du ein Anhänger des Register bist.«

Aus einem mit dem Rücken zu ihnen stehenden Sessel ertönte ein mahnendes Räuspern; ein oder zwei ergraute Köpfe hoben sich von der Lektüre und musterten den Störenfried. Ian schüttelte nur den Kopf, legte die Zeitung hin und erhob sich mit der stummen Aufforderung, ihm nach draußen zu folgen. »Dort drinnen herrscht striktes Sprechverbot«, sagte er, während er so leise wie möglich die Tür hinter ihnen schloss. »Ich fürchte, du hast dich bei den Herrschaften nicht gerade beliebt gemacht.« Er sah sie fragend an. »Was machst du hier? Ich nehme nicht an, dass du mich gesucht hast.«

»Nein.« Dorothea senkte den Blick und gab vor, ihre Handschuhe zurechtzuziehen. »Die Mädchen wollten unbedingt hierher. Und ich muss zugeben: Ich war ebenfalls neugierig. – Bist du öfter hier?«

»Wundert es dich?«

»Ich hätte nicht gedacht, dass es dir Freude macht, deine Zeit in einer Bibliothek zu verbringen«, gab sie zu. »Aber als deine frühere Lehrerin freut es mich natürlich, dass meine Bemühungen so reiche Früchte tragen.«

Er verzog die Lippen zu einem amüsierten Lächeln. »Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen. Ich habe die Viehpreise studiert. Warum soll ich mir eine Gazette kaufen, wenn ich sie hier umsonst lesen kann?«

»Und was machen die Viehpreise? Steigen sie oder fallen sie?« In Wahrheit interessierte es sie nicht im Geringsten, aber wenn Ian die Viehpreise interessant fand, würde sie sich mit ihm eben über Viehpreise unterhalten. Sie hätte nicht erwartet, dass sie ihn vermissen würde, kaum dass er gegangen war. Und doch war es so. Am nächsten Tag hatte sie versucht, August auszuhorchen, ob er Ian tatsächlich mit ins Bordell genommen hatte. Aber ihr Bruder war für seine Verhältnisse ungewöhnlich verschwiegen gewesen. »Gentlemen reden mit anständigen Frauen nicht darüber«, hatte er hochnäsig erklärt. »Du solltest wenigstens so tun, als ob du keine Ahnung von solchen Dingen hättest.« Dorothea hatte nicht widerstehen können, ihn darauf hinzuweisen, dass ihr Wissen über dieses Thema ausschließlich von ihm stamme, der vor seiner Zeit als Gentleman so gut wie keine Geheimnisse vor ihr gehabt habe.

Das war ein taktischer Fehler gewesen, denn darauf hatte August so verärgert reagiert, dass er jede weitere Frage mit bockigem Schweigen quittierte.

»Sie steigen. Aber das war ja zu erwarten«, riss Ian sie aus ihren Überlegungen.

Wer stieg? Dorothea war so beschäftigt gewesen, ihn mit den Augen zu verschlingen, jede Einzelheit seiner Erscheinung in sich aufzunehmen, von dem gestärkten Halstuch bis zu den blank geputzten Stiefeln, dass sie kurz stutzte. Ach so, natürlich. Sie unterhielten sich ja gerade über die Viehpreise.

»Wieso?«

»Robert langweilt euch wohl nicht mit geschäftlichen Dingen, hm?« Ian nahm ihren Arm und führte sie zu einer grob gezeichneten Karte Südaustraliens, die an der Schmalseite der Büchereitheke hing. »Hier ist der Murray«, sein Finger fuhr einen Flusslauf entlang. »Hier etwa liegt Eden-House, hier Sweet Wellington. Und hier«, er tippte so energisch mit dem Zeigefinger auf den Bereich, dass die Dame mit den fingerlosen Spitzenhandschuhen pikiert zu ihnen hersah und die fein gezupften Brauen hob, »hier im Süden liegen ausgezeichnete Weidegründe. Nicht nur für Schafe, sondern auch für Rinder. Und Rinder bringen einen viel größeren Profit als Schafe.« Er grinste zufrieden. »Beim letzten Treck hat er sich vervierfacht. Durch die Probleme am Rufus River sind die Preise ins Astronomische gestiegen. Eigentlich müsste ich den Maraura richtig dankbar sein.«

Nachdenklich sah Dorothea auf die Karte. Nördlich des Murray River waren zahlreiche Siedlungen eingezeichnet: Macclesfield, Strathalbyn, Willunga, Hahndorf. Selbst im Norden von Adelaide reihten sich die Siedlungsnamen aneinander wie Perlen an einer Kette. Nur im Süden gähnte eine weiße Fläche. Seltsam.

»Wieso wohnt dort noch niemand?«

»Ganz einfach: weil das Gebiet erst seit Kurzem vermessen worden ist. Vorher hat man sich auf die nähere Umgebung von Adelaide konzentriert, und unter Grey wurde dann ja erst einmal alles gestoppt. Aber jetzt ist der Andrang auf das frische Weideland groß.«

»Und die Eingeborenen, die dort leben?«

Ian zuckte mit der Schulter. »Die werden sich schon daran gewöhnen. So oder so.«

»Wenn es nicht anders geht, muss Major O’Halloran die Schwarzen eben wieder Mores lehren«, warf die Dame vom Empfang ein, die das Gespräch interessiert verfolgt hatte. »Neulich hatte ich hier einen Herrn, der …«

»Mr. Rathbone, was machen Sie denn hier?« Heather sah strahlend zu ihm auf.

»Das Gleiche könnte ich dich fragen«, neckte er sie und zupfte an ihrer Zopfschleife. »Es freut mich, dass du bereits wieder auf den Beinen bist. Was hältst du davon, wenn ich euch alle zu Lacy’s einlade?«

»Ist das nicht ein bisschen zu extravagant?«, wandte Dorothea ein. »Es ist ein ganz normaler Wochentag.«

»Und wenn ich dir verriete, dass ich heute Geburtstag habe?« Ians Augen funkelten herausfordernd. »Ist es dann immer noch zu extravagant?«

»Du hast Geburtstag?« Dorothea fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen.

»Das soll vorkommen«, erwiderte er trocken. »Macht mir die Freude und leistet mir bei einer Tasse Tee Gesellschaft. An seinem Geburtstag sollte man nicht allein feiern müssen.«

»Herzlichen Glückwunsch.« Heather kam ihr um Haaresbreite zuvor. »Wie alt wirst du denn?«

»Ich weiß es nicht genau.«

Das Mädchen sah ihn ungläubig an. »Du ziehst mich auf. Jeder Mensch weiß doch, wie alt er ist!«

»Ich nicht. Ich weiß nur den Tag«, sagte Ian ohne merkliche Gefühlsregung.

»Aber …«

»Es reicht, Heather.« Dorothea hatte sich gefangen. »Dring nicht so in Mr. Rathbone. Das ist unhöflich. – Ian, ich wünsche dir alles Gute und dass alles gelingt, was du dir vornimmst.« Sie streckte die Hand aus, und er ergriff sie. Eine ganz normale, förmliche Gratulation. Er hielt sie nur eine winzige Spur länger als angemessen. Auch die sittenstrengste Gouvernante hätte es kaum der Rede wert gefunden. Aber der Moment reichte, um in Dorotheas Innerem etwas auszulösen, was sie nicht verstand. Eine irrwitzige Sehnsucht danach, sich an Ian zu schmiegen und mit ihm zu verschmelzen. Der Moment ging vorbei. Niemand hatte etwas bemerkt. Wie auch? Die Dame an der Theke wirkte nicht so, als seien ihr solche Anflüge vertraut. Dorothea trat zwei Schritte zurück und sah sich nach ihrer kleinen Schwester um. »Wo steckt Lischen bloß?«

»Sie ist ganz hinten bei den großen Büchern mit den Bildern. Ich hole sie«, sagte Heather und verschwand zwischen den Regalen.

Dorothea nestelte verlegen an ihrem Wiener Täschchen. Ihre Handschuhe schienen die Wärme von Ians Hand gespeichert zu haben. Sie konnte sie immer noch spüren.

»Bist du sicher, dass du Lischen in eine so gefährliche Umgebung bringen willst?«, fragte sie mit gezwungener Leichtigkeit. »Nicht, dass sie sich noch den Magen verdirbt.«

»Das ist dann nicht mein Problem«, gab er zurück. »Aber ich vertraue darauf, dass du ihre Leidenschaft so weit zügeln kannst.«

»Manche Leidenschaften sind nicht zu zügeln.«

»Wirklich?« Er sah ihr tief in die Augen. So tief, dass sie erschrak. Die leise Stimme in ihrem Hinterkopf, die ihr riet, sich nicht auf schwankenden Boden zu begeben, kam nicht an gegen das verlockende Gefühl, das in ihrem Inneren ausgelöst wurde, wenn Ian sie auf diese besondere Art ansah.

»Doro, kann ich dieses Buch ausleihen?« Lischens Stimme brachte sie auf den Boden der Tatsachen zurück. »Es sind so seltsame Tiere darin.« Sie hielt ihr die aufgeschlagene Seite hin, und Dorothea sah verwundert auf die Aquarellzeichnung eines Tieres, das die Gestalt und Größe eines Otters hatte – auch die Schwimmhäute –, aber einen Schnabel wie eine Ente.

»Das ist ein Schnabeltier. Im Darling River habe ich sie mit eigenen Augen gesehen«, sagte Ian nach einem kurzen Blick. »Sie können unangenehm beißen, wenn man ihnen zu nahe kommt.«

»Natürlich, das müssen wir unbedingt mitnehmen.« Dorothea sah zu Heather. »Und du? Hast du ein Buch gefunden, das du ausleihen möchtest?« Heather nickte und hob stumm ein dünnes Traktat mit dem Schattenriss eines Pferds in die Höhe. »Grundlagen der Pferdezucht mit einem Überblick über die Vor- und Nachteile der jeweiligen Rassen«, las Dorothea und schmunzelte. »Das ist ziemlich speziell. Aber wenn du meinst …« Ihre Stieftochter hatte in letzter Zeit überraschend schnelle Fortschritte im Lesen gemacht. Ob sie jedoch dieser Art fachlicher Lektüre bereits gewachsen war, bezweifelte Dorothea. Nun, es war wohl besser, Heather würde das selbst herausfinden. Sie zahlte den bescheidenen Obolus, wartete geduldig, bis die Dame Titel und Datum fein säuberlich auf der Leihkarte eingetragen hatte, und folgte dann Ian und den Mädchen auf die Straße hinaus.