Kapitel 13

Als Dan um sechs Uhr immer noch nicht zu Hause war, dachte Fifi, es müsse vielleicht eine Verzögerung in der U-Bahn gegeben haben oder sein Chef hätte ihn möglicherweise länger dabehalten, um irgendetwas zu besprechen. Aber als es auf sieben Uhr zuging, war sie verärgert. Emergency Ward 10, ihre Lieblingssendung im Fernsehen, begann um acht, und sie hatte erwartet, bis dahin das Geschirr vom Abendessen abgeräumt zu haben, sodass sie sich entspannen konnte.

Um acht Uhr war die Pastete bereits ausgetrocknet, daher verteilte sie sie auf zwei Teller, stellte den von Dan über einen Topf mit kochendem Wasser und verzehrte ihre eigene Portion.

Die Fischpastete war absolut grauenhaft, was Fifi noch mehr aufbrachte, weil sie sich solche Mühe gegeben hatte, etwas Besonderes zu kochen. Und Dan war immer noch nicht zu Hause.

Die Sorge um ihn, die Enttäuschung über die misslungene Fischpastete und ihre Grübelei über den Mann im roten Jaguar verdarben ihr den Spaß an Emergency Ward 10. Als Dan um neun Uhr endlich auftauchte, gab sie ihm keine Chance, seine Verspätung zu erklären, sondern fuhr ihn an, dass das Essen verdorben sei.

»Was wahrscheinlich ein Glück ist«, meinte er grinsend und krauste mit übertriebener Komik die Nase. »Es stinkt. Ich konnte es riechen, sobald ich durch die Haustür getreten war. Was war es denn?«

»Eine Fischpastete, und ich habe Stunden auf ihre Zubereitung verwandt«, gab sie zurück, noch wütender jetzt, weil er keine Rücksicht auf ihre Gefühle nahm. »Ich hätte nichts gekocht, wenn du mir erzählt hättest, dass du in den Pub gehen willst. So habe ich nur Zeit und Geld verschwendet.«

Sein Grinsen verschwand. »Ich war nicht im Pub. Ich habe mir eine Wohnung angesehen, und wenn ich gewusst hätte, dass du so mürrisch sein würdest, hätte ich mir die Mühe gespart.«

»Was für eine Wohnung, wo?«

Er zuckte die Schultern. »Es hat keinen Sinn, dir davon zu erzählen, ich habe sie nicht bekommen. Die Vermieterin muss in puncto Charme dieselbe Schule durchlaufen haben wie deine Mutter. Sie hat nur einen einzigen Blick auf mich geworfen und mir erklärt, die Wohnung sei bereits vergeben.«

Der ironische Hinweis auf ihre Mutter zusätzlich zu dem verdorbenen Essen war einfach zu viel für Fifi. Sie warf Dan einen vernichtenden Blick zu. Sein Gesicht und seine Hände waren gewaschen, aber seine Arbeitskleider waren mit Zementbröckchen übersät, er hatte einen Riss in der Hose, durch den man sein Knie sehen konnte, und seine Stiefel waren schmutzig.

»Es ist dir nicht in den Sinn gekommen, dass es vielleicht eine gute Idee wäre, saubere Sachen anzuziehen, bevor du dir eine Wohnung ansiehst? Niemand, der auch nur einen Funken Verstand hat, würde eine Wohnung an jemanden vermieten, der so schmutzig ist wie du!«, schimpfte sie.

»Mein Gott, du klingst schlimmer als deine Mutter«, sagte Dan, dann drehte er sich um und ging auf den Flur hinaus. Er nahm den Essteller von dem Topf und warf ihn, so wie er war, in den Mülleimer. »Und du kannst dir deine verdammte Fischpastete sonst wo hinstecken«, rief er. »Ich werde jetzt etwas Anständiges essen, an einem Ort, an dem man mich nicht aufgrund meiner Kleider beurteilt.«

Sobald die Haustür hinter ihm zugeschlagen war, wünschte Fifi, sie hätte sich nicht so abscheulich benommen. Außerdem war ihr die Fischpastete peinlich, denn der Gestank durchzog tatsächlich das ganze Haus. Sie holte den Teller wieder aus dem Mülleimer und spülte ihn, dann brachte sie den Müll nach unten und hoffte, der Gestank würde sich bald verziehen.

Als sie wieder die Treppe hinaufging, sah sie im Flur den kleinen Beutel liegen, in dem Dan seine Sandwiches zur Arbeit mitnahm, und öffnete ihn, um die Butterbrotdose und die Thermoskanne herauszunehmen. Dabei fiel ihr eine Seite in die Hände, die aus einer Zeitung herausgerissen worden war. Eine Annonce war angestrichen.

Abgeschlossene Gartenwohnung mit zwei Schlafzimmern in Barnes. Niedrige Miete für verheiratetes Paar als Gegenleistung für Wartungsarbeiten im Wohnblock. Freundliche, mit Bäumen gesäumte Allee in Flussnähe. Gute Referenzen erforderlich.

Fifi schluckte. Jetzt verstand sie Dans Überlegungen. Da die Vermieterin jemanden suchte, der Wartungsarbeiten übernehmen konnte, hatte er sich offenbar überlegt, dass es in Ordnung sein würde, in seinen Arbeitskleidern dort aufzutauchen. Wahrscheinlich war er voller Hoffnung hingefahren, mit der Absicht, ihr, Fifi, eine wunderschöne Überraschung zu bereiten, falls er die Wohnung bekam. Und sie hatte ihn dafür beschimpft!

Plötzlich schämte sie sich. Er hatte seit sieben Uhr gearbeitet, aber der Wunsch, eine bessere Wohnung für sie zu finden, war ihm wichtiger gewesen als sein Abendessen. Kein Wunder, dass er davongestürmt war! Wären die Rollen vertauscht gewesen, hätte sie ebenso gehandelt.

Dan kam erst nach Hause, als die Pubs geschlossen waren. Fifi versuchte, sich zu entschuldigen, aber er beachtete sie nicht, sondern zog sich aus und ging ins Bett.

Er war binnen weniger Sekunden eingeschlafen, doch weil er ins Bett gegangen war, ohne sich zu waschen, roch er stark nach Alkohol und Zigaretten. Außerdem hatte er sich nicht einmal erkundigt, wie ihr Arm sich ohne den Gips anfühlte. Daher geriet Fifi von neuem in Wut.

Am Morgen stand Dan zu seiner gewohnten Zeit auf und ging ohne ein Wort oder auch nur eine Tasse Tee davon. Da Samstag war, hatte sie wissen wollen, ob er den ganzen Tag arbeiten oder mittags nach Hause kommen würde, doch er war so schnell aufgebrochen, dass sie keine Gelegenheit gehabt hatte, ihn zu fragen.

Erst um elf Uhr dachte sie wieder an Stan und den Mann in dem roten Jaguar. Gestern Abend hatte sie, lange vor Dans Heimkehr, die Idee verworfen, ihm davon zu erzählen. Es hätte ihm missfallen, von ihrem Besuch in Stans Depot zu hören, außerdem würde er wahrscheinlich nicht glauben, dass der Mann, der an ihr vorbeigefahren war, derselbe war, den sie mit John Bolton in das Haus der Muckles hatte gehen sehen. Dan würde denken, dass sie wieder anfing, sich in die ganze Geschichte hineinzusteigern, und das würde womöglich zu einem neuen Streit führen.

Aber sie steigerte sich in nichts hinein, und sie bildete sich auch nichts ein, das wusste sie. Der Mann im Jaguar war eindeutig derselbe, den sie schon einmal gesehen hatte. Vielleicht war er nicht Stans Boss, doch er stand in irgendeiner Verbindung zu den Müllleuten, sonst wäre er nicht auf dem Weg zu deren Fahrzeugdepot gewesen. Fifi hielt es für ihre Pflicht, damit zur Polizei zu gehen, und sie würde es jetzt sofort hinter sich bringen und auf dem Rückweg die Einkäufe fürs Wochenende erledigen.

Das Gespräch auf dem Revier war höchst unbefriedigend verlaufen. Obwohl der Dienst habende Wachtmeister ihr versprochen hatte, der Sache nachzugehen, hatte sie spüren können, dass er sie nicht wirklich ernst genommen hatte. Entmutigt arbeitete sie ihre Einkaufsliste ab, darunter eine halbe Lammschulter für den Sonntag. Lammbraten war Dans Lieblingsessen, und nicht einmal sie konnte dieses Gericht verderben. Die misslungene Fischpastete war ihr immer noch sehr peinlich, denn ihr Gestank war das Erste gewesen, das sie nach dem Aufwachen wahrgenommen hatte. Es grenzte an ein Wunder, dass Miss Diamond sich nicht beschwert hatte.

Als sie in die Dale Street einbog, kam Yvette mit ihren Einkäufen aus dem Laden und lächelte Fifi an.

»Ah! Der Gips. Sie ’aben ihn abgenommen«, bemerkte sie. »Was ist es für ein Gefühl, wieder die rechte ’and benutzen zu können?«

»Ein eigenartiges. Ich vergesse immer wieder, sie zu benutzen«, antwortete Fifi und wackelte grinsend mit den Fingern. »Ab Montag gehe ich wieder zur Arbeit. Es wird schön sein, in die Normalität zurückzukehren.«

Während sie gemeinsam die Straße hinuntergingen, fragte Fifi Yvette, ob sie etwas von Stan gehört habe.

Yvette nickte. »Ich ’abe ihn gestern Abend nach ’ause kommen sehen. Ich glaube, es ist keine Anklage gegen ihn er’oben worden. Diese dummen Polizisten! Stan könnte einem Kind niemals etwas antun!«

»Er ist wieder zu Hause? Ich komme gerade vom Polizeirevier«, rief Fifi, entgeistert darüber, dass der Wachtmeister nichts davon erwähnt hatte. »Warum um alles in der Welt haben sie es mir nicht erzählt? Ich war dort, um mich für ihn einzusetzen!«

»Sie haben sich für Stan eingesetzt?«, hakte Yvette verwirrt nach.

Fifi erklärte, warum sie auf das Revier gegangen war, und erzählte auch von ihrem Ausflug in das Depot und von dem Mann in dem Jaguar. Zu ihrem Entsetzen fiel Yvette über sie her.

»Sie dummes, dummes Mädchen!«, schalt sie. »Sie dürfen sich nicht in diese Sache ’ineinziehen lassen.«

»Aber ich musste der Polizei berichten, dass ich den Mann schon einmal bei Alfie gesehen hatte«, verteidigte Fifi sich entrüstet.

»Nein, das ’ätten Sie nicht tun sollen. Solche Dinge lässt man besser auf sich beru’en. Das sind böse Menschen, Fifi. Wenn sie wüssten, dass Sie sie beobachtet ’aben, dann würden sie …« Sie hielt inne und fuhr viel sagend mit der Hand an ihrer Kehle entlang.

Fifi lachte nervös. »Dann kennen Sie diese Leute also?«

Yvette griff nach Fifis Arm. Ihre dunklen Augen flammten auf. »Ich ’abe lange genug ’ier gelebt, um zu wissen, wann es besser ist, in die andere Richtung zu schauen. Sie sind wie ein Kind, Fifi. Sie wollen sich in alles einmischen. Sie erzählen den Leuten Dinge, die man am besten für sich be’ält.«

Die Reaktion der Frau verwunderte Fifi zutiefst. »Ich habe doch nur Ihnen davon erzählt. Ich dachte, wir wären Freundinnen«, protestierte sie gekränkt.

Yvettes Miene wurde weicher, und sie strich Fifi liebkosend über die Wange. »Gerade weil Sie meine Freundin sind, möchte ich Sie vor Schaden bewahren«, erwiderte sie sanft. »Ich ’abe Ihnen viele Male geraten, aus dieser Straße fortzugehen. Aber Sie sind immer noch ’ier.«

»Wir werden umziehen, sobald wir eine andere Wohnung finden können.« Fifi fühlte sich, als wäre sie von ihrer Mutter gescholten worden.

»Das ist gut«, meinte Yvette. »Und wenn Sie fortgehen, geben Sie niemandem Ihre neue Adresse. Nicht einmal Leuten, die Sie für Ihre Freunde ’alten.«

Yvettes Reaktion hatte Fifi derart aus dem Gleichgewicht gebracht, dass sie sich in ihrer Wohnung sofort für eine Weile aufs Bett legte. Jeder andere hätte entweder über ihre blühende Fantasie gelacht, oder er hätte während ihres Berichtes an ihren Lippen gehangen. Aber Yvette hatte ehrlich verängstigt gewirkt, als wüsste sie genau Bescheid über diese ganze Angelegenheit und wäre entsetzt, dass Fifi versehentlich über einen Teil der Wahrheit gestolpert war!

Kannte sie den Mann in dem roten Jaguar? War er es, den sie für gefährlich hielt? War sie vielleicht noch in ihrer Wohnung gewesen, als Angela ermordet wurde, und hatte sie irgendetwas gehört oder gesehen?

Die Polizei glaubte, dass Yvette an jenem Morgen bereits früh zu einer Anprobe gegangen sei, und die Beamten hatten vermutlich bei Yvettes Kundin nachgefragt, da sie die Alibis sämtlicher Bewohner der Dale Street überprüft hatten, Dans Alibi eingeschlossen. Aber wenn die Polizei, was Yvette betraf, keine Nachforschungen angestellt hatte? War sie vielleicht doch zu Hause gewesen?

Nein, das war unmöglich, sagte Fifi sich, doch dann gingen ihr immer wieder Bemerkungen durch den Kopf, die Yvette vor Angelas Ermordung gemacht hatte. »Ich habe viele schreckliche Dinge gesehen und gehört.« Was genau hatte sie gesehen und gehört? Seinerzeit hatte Fifi angenommen, es sei lediglich um Streitereien gegangen, darum, dass Alfie Molly oder sogar die Kinder schlug, Dinge, wie sie fast jeder in der Straße gehört hatte. Aber vielleicht steckte noch mehr dahinter?

Alle Nachbarn hatten sich darüber gewundert, dass Alfie die Namen der Männer bei jenem letzten Kartenspiel nicht nennen wollte. Jetzt, da Fifi mit eigenen Augen den grauenhaften Schmutz in diesem Haus gesehen hatte, konnte sie sich erst recht nicht mehr vorstellen, dass ein halbwegs vernünftiger Mensch dort einen Abend verbringen wollte, um Karten zu spielen.

Was war, wenn die Karten nicht der eigentliche Anreiz gewesen waren?

»Nein«, flüsterte sie, als ihr ein furchtbarer Gedanke kam. »Das ist unmöglich!«

Und doch war Angela vergewaltigt und ermordet worden, das war eine Tatsache. Warum hatte sich keiner der anderen Männer gemeldet, wenn sie im Haus der Muckles tatsächlich nur getrunken und Karten gespielt hatten? Vielleicht hatte Alfie die Wahrheit gesagt, als er beteuert hatte, nicht er habe Angela getötet. Und konnte er nicht verraten, wer der Schuldige war, weil er zu große Angst hatte?

Genau wie Yvette.

Dan kam um halb zwei nach Hause. Fifi hatte sich mittlerweile beruhigt und sich sogar gesagt, dass ihre Fantasie mit ihr durchgegangen sein müsse. Sie hatte sich vorgenommen, sich mit Dan zu versöhnen, wann immer er zurückkam, wie spät es auch werden sollte.

Als sie hörte, wie er Frank im Treppenhaus gut gelaunt begrüßte, wertete sie das als gutes Zeichen. Offenbar hatte er beschlossen, doch nicht den ganzen Tag zu arbeiten und ihr auf halbem Wege entgegenzukommen. Als er auf seine gewohnt schwungvolle Art die Treppe hinaufgelaufen kam, setzte sie den Kessel auf.

Doch sobald sein Kopf über dem Treppengeländer auftauchte und sie den seltsam verschlossenen Ausdruck in seinen Zügen sah, wusste sie, dass etwas nicht stimmte.

Er hatte einen Brief in der Hand. »Für dich«, meinte er und hielt ihr den Umschlag hin, auf dem Fifi sofort die Handschrift ihrer Mutter erkannte.

»Das ist ja merkwürdig«, sagte sie, während sie den Brief entgegennahm. »Als ich heute Morgen aus dem Haus gegangen bin, habe ich gar keine Post für mich gesehen.«

Frank las jeden Morgen die Briefe auf und legte sie auf das Regal im Flur.

»Dann ist er vielleicht mit der zweiten Post gekommen«, erwiderte Dan und wandte den Kopf ab. »Oder der Postbote hat ihn in den falschen Briefkasten geworfen, und der Empfänger hat ihn gerade erst zurückgelegt.«

Diese Erklärung klang zu unecht; Dan war noch nie ein guter Lügner gewesen.

»Oder du hast den Poststempel von Bristol gesehen und den Brief heute Morgen mitgenommen?«, meinte sie und sah ihn scharf an.

Die Röte, die in seine Wangen kroch, verriet ihn.

»Warum, Dan?«, fragte sie. »Wolltest du den Umschlag über Dampf öffnen und feststellen, ob meine Mutter etwas über dich geschrieben hat?«

»Nein, natürlich nicht«, antwortete er, aber er hatte zumindest den Anstand, ein wenig beschämt dreinzublicken. »Ich wollte lediglich bei dir sein, wenn du ihn liest, um festzustellen, ob ich Recht hatte.«

Fifi wusste, wovon er sprach: Er hatte gewettet, ihre Mutter würde sie bitten, allein nach Hause zu kommen. »Konntest du nicht einfach darauf vertrauen, dass ich es dir erzählen würde, falls du Recht behalten solltest?«

»Nein«, erklärte er. »Das konnte ich nicht, denn ich weiß, dass du zwischen uns beiden hin und hergerissen sein wirst.«

Fifi kehrte ihm den Rücken zu, ging ins Wohnzimmer und riss den Umschlag auf.

Liebste Fifi!

Es war schön, Dich und Dein Zuhause einmal zu sehen. Dein Vater war sehr froh zu hören, dass wir uns gut verstanden haben und dass wir versuchen wollen, unsere Differenzen zu überwinden. Auch die Jungen und Patty waren sehr glücklich darüber. Sie freuen sich, Dich bald wiederzusehen, sie alle haben Dir so viel zu erzählen.

Es war mir ernst, als ich sagte, Du und Dan könntet bald einmal für ein Wochenende herkommen, aber bei näherem Nachdenken wäre es wahrscheinlich das Beste, wenn Du das erste Mal allein kämst. Es gibt noch immer so vieles zu bereden, und wir müssen diese Dinge klären, bevor wir Dan wirklich willkommen heißen können. Ich bin davon überzeugt, dass Du verstehen wirst, was ich meine.

Ich hoffe, bald eine Antwort von Dir zu bekommen.

Alles Liebe, Mum und Dad.

»Nun?«, fragte Dan hinter ihr. »Habe ich mich geirrt oder nicht?«

Fifi war zutiefst enttäuscht von ihrer Mutter, doch als sie sich umdrehte und Dans selbstgefällige Miene sah, war sie mit einem Mal auch auf ihn wütend.

»Du hast dich geirrt«, log sie. »Sie schreibt nur, wie schön es war, mich und unser Zuhause neulich gesehen zu haben.«

»Dann kann ich den Brief also lesen?«

»Ich habe dir doch gerade erzählt, was sie geschrieben hat.«

»Du hast mir nur einen Teil davon erzählt«, entgegnete er und machte einen Satz nach vorn und riss ihr den Brief aus der Hand, bevor sie reagieren konnte.

»Gib ihn zurück«, schrie sie. »Du hast kein Recht, meine Briefe zu lesen.«

Er hielt ihn hoch über den Kopf, wo er sich außerhalb ihrer Reichweite befand, und las ihn.

»Ich beschließe mein Plädoyer«, sagte er, während er ihr den Brief zurückreichte. »Es ist genauso, wie ich es vorausgesagt habe, sie will dich allein bei sich haben. Sobald du ihr von all meinen Fehlern erzählt hast, wird sie nicht mehr lange brauchen, um dich davon zu überzeugen, dass du ohne mich besser dran wärst.«

Am Morgen, bevor sie auf das Revier gegangen war, hatte Fifi das Gefühl gehabt, dass Dan im Recht gewesen sei, als er am Abend zuvor aus dem Haus gestürmt war, und sie hatte beschlossen, sich bei seiner Heimkehr bei ihm zu entschuldigen. Sie wünschte sich wirklich, dass sie wieder zueinanderfanden, dass sie einander zum Lachen brachten und glücklich waren. Kurz nach ihrer Heirat waren sie beide überzeugt gewesen, es spiele keine Rolle, was andere Menschen über sie dachten oder sagten. »Ich kann mit der Einstellung deiner Eltern mir gegenüber leben«, hatte er ihr versichert, »denn ich weiß, dass wir beide etwas sehr Seltenes und Kostbares miteinander teilen.«

Sie hatte ihm versprochen, niemals zuzulassen, dass ihre Familie einen Keil zwischen sie trieb, und sie glaubte, ihr Versprechen gehalten zu haben.

Daher fühlte sie sich jetzt verraten, denn nach all dem, was sie durchgemacht hatten, hielt er sie offenkundig für so dumm, die hinterlistige Absicht ihrer Mutter nicht zu durchschauen, und für so schwach, dass sie sich Claras Druck ohne Widerstand beugen würde, wenn sie allein nach Hause fuhr.

Er hatte schon früher bissige Bemerkungen über ihre Mutter gemacht, die Fifi jedoch immer mit einem Lachen abgetan hatte, denn sie wusste, dass sie einer gewissen Unsicherheit seinerseits entsprangen. »Du bist der einzig wichtige Mensch in meinem Leben«, hatte sie ihm wieder und wieder beteuert.

Aber jetzt war sie wütend, weil er ihre Reaktion nicht verstand: Sie hatte ihn lediglich schonen wollen. Sie war diejenige, die seinetwegen buchstäblich verstoßen worden war. Dan hatte nicht das Geringste verloren. Wie konnte er es also wagen, auf sein hohes Ross zu steigen und über eine Situation zu urteilen, die zu verbessern sie sich so verzweifelt bemüht hatte?

»Vielleicht wäre ich tatsächlich ohne dich besser dran«, fauchte sie ihn in der Hitze des Augenblicks an, ohne wirklich über ihre Worte nachzudenken. »Mit meinem Leben ist es bergab gegangen, seit ich dich geheiratet habe.«

Der selbstgefällige Ausdruck, der noch Sekunden zuvor auf seinem Gesicht gestanden hatte, verschwand. An seine Stelle trat tiefe Verletzung, und Fifi wünschte sich verzweifelt, ihre Worte zurücknehmen zu können.

»So habe ich das nicht gemeint«, sagte sie hastig. »Es tut mir leid.«

Er zog eine Augenbraue in die Höhe und starrte sie nur wortlos an. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und ging ins Schlafzimmer.

Sie hörte, wie die Kleiderschranktür geöffnet wurde, dachte jedoch, er suche sich lediglich frische Wäsche zusammen. Sie kam zu dem Schluss, dass es besser sei, die Angelegenheit für den Augenblick auf sich beruhen zu lassen, und machte sich daran, den Tisch zu decken.

Als er aus dem Schlafzimmer kam, drehte sie sich um, und zu ihrer Bestürzung stand er mit seiner Reisetasche in der Hand da und schaute sie an.

Er sah genauso aus wie bei ihrer ersten Begegnung. Ein wenig schmuddelig, mit ungewaschenem Haar und Stoppelbart auf dem Kinn, sogar die Reisetasche war dieselbe. Aber an jenem Abend hatte er die ganze Zeit über gelächelt, und jetzt war sein Gesichtsausdruck kalt und undeutbar.

»Ich verschwinde. Ich habe dir Geld auf die Kommode gelegt. Wenn du wieder in Bristol bist, schreib mir ein paar Zeilen an die Baustelle, dann werde ich herkommen und den Rest meiner Sachen holen.«

»Du verlässt mich?«, fragte sie ungläubig.

»Es ist besser, wenn ich jetzt gehe, statt dich noch tiefer hinabzuziehen.«

Der Schmerz in seiner Stimme spiegelte den Kummer in seinen Augen wider.

»Mach dich nicht lächerlich, Dan«, bat sie flehentlich. »Du weißt ganz genau, dass ich es nicht so gemeint habe.«

»Oh doch, das hast du, und ich kann dir im Grunde keinen Vorwurf daraus machen. Es ist wahr, ich habe dich hinabgezogen.« Mit diesen Worten lief er die Treppe hinunter, zu schnell, als dass Fifi auch nur hätte versuchen können, ihn aufzuhalten.

»Komm zurück, Dan«, rief sie, aber die Haustür wurde bereits zugeschlagen, und er war fort.

Der Schock war so groß, dass sie nur reglos im Flur stehen konnte. Fifi konnte es nicht glauben. Gewiss würde er nach wenigen Sekunden zurückkommen und sagen, es sei nur ein Scherz gewesen.

Er konnte sie doch nicht wegen etwas so Törichtem wie einem Brief verlassen. Oder?

Aber er meinte es ernst. Das erkannte sie, als die Minuten verrannen und er nicht zurückkam. Es lag nicht nur an dieser grausamen, gedankenlosen Bemerkung, das wusste sie. Diese Situation hatte sich während der vergangenen Wochen langsam aufgebaut. Der Besuch ihrer Mutter, der Brief, ihr Verhalten am vergangenen Abend, all diese Mosaikteilchen hatten sich in seinem Kopf zusammengefügt, und ihre zornigen Worte hatten das Fass zum Überlaufen gebracht.

Weinend warf sie sich auf das Bett. Sie konnte stark sein, solange sie Dan an ihrer Seite hatte und sich seiner Liebe gewiss sein konnte, doch ohne ihn würde sie zerbrechen.