Kapitel 10
Wo gehst du hin?«, fragte Fifi, als Dan am Montagmorgen aufstand.
»Ich muss zur Arbeit«, antwortete er.
Sie richtete sich jäh auf. »Das kannst du nicht tun«, rief sie ungläubig. »Sag mir, dass das ein Scherz ist!«
Sie hatten den Sonntag in einem seltsamen Zustand der Benommenheit verbracht und kaum ein Wort gewechselt. Sie hatten es nicht einmal gewagt, einen Spaziergang zu unternehmen, weil sie keine Fragen beantworten wollten. Schweigend hatten sie einen Braten zubereitet, hatten ihn aber nicht essen können. Frank war hinaufgekommen und später auch Miss Diamond, und beide hatten sie ihre Hilfe angeboten, doch sowohl Fifi als auch Dan waren zu sehr mit sich beschäftigt gewesen, als sich mit den beiden unterhalten zu können.
Es war der längste Tag gewesen, den Fifi je erlebt hatte. Sie war außer Stande gewesen, fernzusehen oder ein Buch zu lesen. Sie hatte lediglich irgendwie die Zeit herumgebracht, bis sie wieder zu Bett gehen konnte.
Aber sie hatten kaum geschlafen, sondern sich in den Laken gewälzt, und waren zwei Mal aufgestanden, um eine Tasse Tee zu trinken. Und keine Sekunde lang hatte Fifi geglaubt, dass Dan es auch nur in Erwägung ziehen werde, heute zur Arbeit zu gehen. Ihm musste doch klar sein, dass dies eine Zeit war, da sie ihn wirklich an ihrer Seite brauchte!
Dan setzte sich auf die Bettkante und zog die Hose an, die er am Abend zuvor auf dem Boden liegen gelassen hatte, dann drehte er sich wieder zu ihr um.
»Es muss sein, Fifi«, sagte er sanft und strich ihr über die Wange. »Ich habe gerade erst zwei Wochen gefehlt und damit alle anderen aufgehalten. Ich muss eine Mauer fertig stellen, damit die anderen mit den Arbeiten am Dach beginnen können. Wenn ich nicht komme, werde ich die ganze Truppe abermals aufhalten.«
»Ich kann nicht glauben, was ich da höre«, gab sie kalt zurück und schob seine Hand weg. »Du bist nicht der einzige Maurer, den sie haben.«
Dan seufzte und rieb sich die Augen. Er sah so aus, als hätte er tagelang nicht geschlafen. »Nein, ich bin nicht der einzige Maurer, aber ich bin der einzige, der bereits zwei Wochen gefehlt hat, und ich habe großes Glück gehabt, dass man nicht dauerhaften Ersatz für mich gesucht hat. Wenn ich jetzt gehe und erzähle, was gestern passiert ist, werden sie mich mit ein wenig Glück vielleicht nach Hause schicken. Wenn ich gar nicht erst komme, wird der Boss sauer auf mich sein.«
»Dann spielt es also keine Rolle, ob ich sauer bin?«
»Ich muss gehen, Liebling«, erklärte er flehentlich, während er nach seinem Hemd griff. »Bitte, mach es mir nicht noch schwerer.«
»Du interessierst dich nicht für mich und meine Gefühle«, erwiderte Fifi entrüstet und ließ sich in die Kissen zurückfallen.
»Das ist nicht wahr, und das weißt du genau«, sagte er müde. »Im Baugeschäft geht es anders zu als im Staatsdienst, Dinge wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder ein zusätzlicher Urlaub, weil die Ehefrau Probleme hat, sind nicht drin. Außerdem würde es dir nicht besser gehen, nur weil ich hierbleibe, es würde lediglich bedeuten, dass weniger Geld hereinkommt und ich möglicherweise auf die Straße gesetzt werde.«
»Aber es könnte etwas passieren, und ich muss aufs Polizeirevier gehen und eine Aussage machen«, wandte sie ein.
»Yvette ist gleich auf der anderen Straßenseite, und Frank ist unten, wenn du Hilfe brauchst. Selbst wenn ich zu Hause bliebe und dich auf das Polizeirevier begleitete, würde man mir ohnehin nicht gestatten zu bleiben, während du deine Aussage machst. Du wirst vielleicht stundenlang beschäftigt sein. Welchen Sinn hätte es, wenn ich dort säße und Däumchen drehte, statt meine Arbeit fertig zu stellen, wie es heute von mir erwartet wird?«
»Oh, dann geh doch!«, rief Fifi gereizt. »Und mach auch noch Überstunden! Du würdest mir ohnehin nichts nutzen. Du hast keinen Schimmer, wie ich mich fühle.«
»Ach nein?«, fragte er und zog eine Augenbraue in die Höhe. »Nur weil ich kein verdammter Psychiater bin, heißt das nicht, dass ich dumm bin. Es geht doch nur um ein paar Stunden, um Himmels willen! Schlaf noch ein Weilchen, dann geh aufs Revier und mach deine Aussage. Ich komme so schnell wie möglich zurück.«
Fifi wandte sich ab. Sie konnte hören, wie er sich anzog und anschließend Tee aufgoss. Als er ihr eine Tasse auf den Nachttisch stellte, ignorierte sie ihn. Dan versuchte, sie zum Abschied zu küssen, doch sie versteifte sich am ganzen Körper.
»Ich liebe dich, Fifi«, sagte er später in der Tür. »Ich gehe nicht zur Arbeit, weil ich es will, sondern weil ich es muss.«
Es waren seine langsamen, schweren Schritte auf der Treppe, die ihr schließlich ein schlechtes Gewissen verursachten. Normalerweise nahm er immer zwei Stufen auf einmal, und es war offenkundig, dass es ihm schwerfiel, sie allein zu lassen. Einer der Gründe, warum sie sich in ihn verliebt hatte, war seine kompromisslose Männlichkeit. Er sah sich in der Rolle des alleinigen Versorgers und Beschützers, und nicht einmal hohes Fieber konnte ihn dazu bringen, sich einen Tag freizunehmen. Aber obwohl sie seine Stärke und sein Pflichtgefühl bewunderte, fand sie dennoch, dass ihre Bedürfnisse ihm in diesem Fall hätten am wichtigsten sein sollen.
Sie musste schon bald darauf wieder eingeschlafen sein, denn als sie das nächste Mal auf die Uhr schaute, war es nach neun. Es war abermals sehr heiß, und es erschien ihr beinahe obszön, dass die Sonne immer noch schien, obwohl etwas so Schreckliches geschehen war. Aber zumindest war ihre Wut auf Dan verraucht. Es hätte nichts besser gemacht, wenn er bei ihr zu Hause geblieben wäre; ob mit ihm oder ohne ihn – die Bilder in ihrem Kopf würden dieselben sein, und vielleicht war es tatsächlich klug, wenn er seinen Boss nicht verärgerte.
Fifi nahm ein schnelles Bad, zog ein schlichtes blaues Kleid an und frisierte sich das Haar zu einem Pferdeschwanz. Sie war sehr bleich, und ihre Augen sahen schrecklich aus, klein und dunkel umrändert, und sie brannten noch immer vom vielen Weinen. Aber wenn sie auf dem Revier alles noch einmal erzählen musste, würden die Tränen von neuem fließen, daher hatte es keinen Sinn, Mascara aufzulegen.
Der Verhörraum auf dem Polizeirevier war klein, heiß und stickig, gestrichen in einem abscheulichen Senfton, und er stank nach schalem Zigarettenrauch. Detective Inspector Roper hatte eine junge Polizistin bei sich, die Fifis Aussage aufnehmen sollte, und Roper bat Fifi ohne jede Vorrede, ganz am Anfang mit ihrem Bericht zu beginnen, von der Zeit an, als sie am Samstagmorgen aufgestanden war.
Fifi gab einen sorgfältigen Bericht über die Ereignisse des vergangenen Tages. Ab und zu bat Roper sie, eine Einzelheit ein wenig näher zu erklären, wen sie gesehen oder mit wem sie geredet habe und wann genau es geschehen sei, und die Polizistin schrieb es nieder.
Als sie die Stelle erreichte, an der sie im Haus der Muckles die Treppe hinaufgegangen war, war es bereits Mittag und so heiß, dass ihr der Schweiß übers Gesicht lief. Als sie Pause machten, um eine Tasse Tee zu trinken und ihr die Möglichkeit zu geben, die Toilette aufzusuchen, war Fifi bereits dankbar dafür, dass Dan sie nicht begleitet hatte. Es hätte wirklich keinen Sinn gehabt, wenn er die ganze Zeit über draußen vor dem Verhörraum gestanden und auf sie gewartet hätte.
Als sie mit ihrer Aussage fortfuhr und auf den Augenblick zu sprechen kam, in dem sie die Tür zu Angelas Zimmer geöffnet hatte, brach sie zusammen. Es war einfach zu viel, diese schrecklichen Sekunden noch einmal durchleben zu müssen. Roper brachte ihr ein Glas Wasser, und die Polizistin sprach ihr Trost zu. Dann wartete der Polizist mit seinen weiteren Fragen geduldig ab, bis Fifi sich wieder gefasst hatte.
Aber endlich war es vorüber, die Polizistin las ihr ihre Aussage noch einmal vor, und sie musste sie unterschreiben.
»Darf ich jetzt gehen?«, fragte Fifi, ungemein erleichtert darüber, es hinter sich gebracht zu haben.
»Nur noch eine Frage, bevor Sie uns verlassen«, bat Roper. »Sie haben zu Protokoll gegeben, dass Mr. Ubley den ganzen Tag über fort war?«
»Ja, er hat das Grab seiner Frau besucht und ist dann zu seiner Schwester gefahren«, antwortete Fifi.
»Um wie viel Uhr hat er das Haus verlassen?«
Fifi zuckte die Schultern. »Das weiß ich nicht.«
»Nun, war es direkt, nachdem er Ihnen Ihre Milch gebracht und gesagt hatte, Sie dürften sich in seinen Garten setzen?«
»Das weiß ich wirklich nicht. Ich habe mich gewaschen und angezogen, und das hat einige Zeit gedauert. Als ich in seinen Garten hinunterging, war er bereits fort.«
»Dann haben Sie ihn also nicht die Straße hinaufgehen sehen?«
Fifi fand diese Frage sehr merkwürdig. »Nein, sonst wüsste ich doch, wann er fortgegangen ist, nicht wahr?«
»Aber es war, nachdem Sie die Muckles aufbrechen sahen?«
»Ja. Nein. Oh, ich weiß es einfach nicht«, fuhr sie gereizt auf. »Er ist mit der Milch nach oben gekommen, bevor die Muckles weggegangen sind, doch ich weiß nicht, wann er das Haus verlassen hat. Warum fragen Sie ihn eigentlich nicht selbst?«
Roper zuckte die Schultern. »In einem Fall wie diesem müssen wir in Erfahrung bringen, wo alle Beteiligten waren und zu welcher Zeit, das ist alles.«
Fifi verstand nicht, warum Franks Unternehmungen am vergangenen Tag für die Polizei von Interesse sein sollten. Schließlich hatten sie sie nicht nach Eva Price oder Mr. Helass gefragt, der ebenfalls am Morgen draußen auf der Straße gewesen war.
»Wo sind die anderen Kinder der Muckles?«, erkundigte sie sich.
»Man hat sie an einen sicheren Ort gebracht«, erwiderte Roper. »Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf darüber.«
Das klang in Fifis Ohren ein wenig herablassend, und sie richtete sich entrüstet auf. »Ich hoffe nur, Sie erlauben keinem der Erwachsenen, ins Haus zurückzukehren, denn man würde sie wahrscheinlich lynchen«, entgegnete sie spitz.
Roper nickte, schwieg jedoch.
»Wie ist Angela gestorben?«, platzte Fifi plötzlich heraus. »Ist sie erwürgt worden?«
»Nein.« Er hielt inne, als müsste er darüber nachdenken, ob er die Todesursache preisgeben wollte oder nicht. »Sollte sich bei der Obduktion nichts anderes ergeben, vermuten wir, dass sie erstickt wurde, wahrscheinlich mit einem Kissen.«
»Wirklich!«, rief Fifi überrascht. »Wissen Sie schon, wann genau sie gestorben ist?«
»Zwischen halb neun und halb elf am Morgen«, antwortete Roper schroff, als hätte sie kein Recht, solche Fragen zu stellen.
Fifi hätte gern noch eine Menge mehr gefragt, wagte es jedoch nicht. »Wie wird es jetzt weitergehen? Werde ich vor Gericht aussagen müssen?«
»Das ist so gut wie sicher«, antwortete er. »Aber machen Sie sich jetzt noch keine Sorgen deswegen; bis zu einer Verhandlung wird noch viel Zeit vergehen.«
Fifi fand diese Bemerkung ausgesprochen vage. Es klang beinahe so, als wäre er sich noch nicht sicher, wer Angela ermordet hatte. Aber andererseits wusste sie von ihrer Arbeit in einer Rechtsanwaltskanzlei, dass Polizisten und Anwälte sich stets vage ausdrückten und großen Wert darauf legten, nicht voreingenommen zu wirken.
»Vielen Dank, dass Sie so rasch hergekommen sind, Mrs. Reynolds«, sagte Roper und stand auf, um ihr zu bedeuten, dass das Gespräch zu Ende sei. »Ich weiß, das war alles sehr beunruhigend für Sie, doch versuchen Sie, nicht ständig darüber nachzudenken. Und sollten Sie aus der Dale Street wegziehen, lassen Sie uns bitte Ihre neue Adresse wissen, damit wir uns mit Ihnen in Verbindung setzen können.«
Draußen war es noch heißer als auf dem Revier. Fifi kaufte sich eine Zeitung, dann ging sie in ein Café, um etwas Kaltes zu trinken. Als sie die Zeitung durchblätterte, stach ihr eine Schlagzeile auf der zweiten Seite ins Auge:Kind in Kennington ermordet!
Ihr Magen krampfte sich zusammen; sie hatte nicht erwartet, dass eine nationale Zeitung über den Vorfall berichten würde.
In dem Artikel stand nur sehr wenig, lediglich Angelas Name und ihr Alter sowie die Meldung, dass der Leichnam des Kindes am vergangenen Nachmittag von einer Nachbarin entdeckt worden sei und dass sich Angelas Eltern in Untersuchungshaft befänden.
Vermutlich waren zur Drucklegung noch keine weiteren Informationen bekannt, überlegte Fifi. Aber inzwischen würden gewiss überall Journalisten herumschnüffeln, und es würde dutzende von Leuten geben, die ihnen nur allzu gern erzählten, was sie über die Muckles wussten und welche Nachbarin Angela gefunden hatte.
Es machte Fifi nicht so sehr zu schaffen, dass Reporter sie vielleicht belästigen würden, denn sie konnte sich ohne weiteres weigern, mit ihnen zu sprechen. Doch sie würden vielleicht ihren Namen nennen, und dann war es möglich, dass ihre Eltern den Artikel lasen. Sie konnte sich genau vorstellen, was ihre Mutter sagen würde. »Das ist seine Schuld. Er hat meine Tochter an einen Ort gebracht, wo dergleichen Dinge geschehen!«
Niemand würde Clara Brown davon überzeugen können, dass »dergleichen Dinge« überall geschehen konnten.
Dan kam früh nach Hause und brachte Schinken und Salat zum Essen mit. Nach einem schnellen Bad bereitete er die Mahlzeit zu und schlug vor, später auf einen Drink in den Pub zu gehen, nur um sich einen Tapetenwechsel zu gönnen.
Er entschuldigte sich nicht noch einmal dafür, dass er zur Arbeit gegangen war, und er stellte ihr auch nicht viele Fragen über ihren Besuch auf dem Polizeirevier. Fifi hätte es sich anders gewünscht, denn sie brauchte irgendeine Möglichkeit, ihren Gefühlen Luft zu machen. Doch ohne eine Aufforderung seinerseits wusste sie nicht, wo sie beginnen sollte. Er war keineswegs übellaunig, nur still, und als sie nach dem Essen vorschlug, besser zu Hause zu bleiben, erhob er keine Einwände, machte sich aber an die Arbeit an einer alten Uhr, die er in einem Gebrauchtwarenladen entdeckt hatte.
In Wirklichkeit hatte sie fragen wollen, ob es so kurz nach Angelas Tod nicht unpassend sei auszugehen. Andererseits wollte sie ganz gewiss nicht hier sitzen und zusehen, wie er mit einer Uhr herumspielte.
In der Wohnung war es heiß und stickig, und Fifi überlegte, ob sie einen Spaziergang in den Hyde Park vorschlagen sollte. Ein wenig frische Luft und der Anblick von Pflanzen und Bäumen hätten ihr gutgetan, aber Dan schien ganz vertieft in seine Arbeit zu sein und war offensichtlich zufrieden damit, zu Hause zu bleiben.
Gegen acht Uhr blickte Fifi aus dem Fenster und sah einige Leute vor Nummer elf stehen.
»Glaubst du, das sind Journalisten?«, fragte sie.
Dan trat neben sie ans Fenster. »Nein, das glaube ich nicht«, antwortete er. »Eher jämmerliche Schaulustige, die sich am Unglück anderer Leute weiden.« Er verzog angewidert das Gesicht und kehrte zu seiner Uhr zurück. »Ich schätze, davon werden uns in nächster Zeit noch viele begegnen«, fügte er einige Sekunden später hinzu. »Die Mentalität mancher Leute ist wirklich erstaunlich. Was hoffen sie, hier zu sehen? Eine Leiche, die aus dem Fenster hängt?«
Fifi ging ins Schlafzimmer und legte sich aufs Bett, überzeugt davon, dass Dan die ganze Angelegenheit bereits hinter sich gelassen hatte und dasselbe auch von ihr erwartete. Aber sie sah keine Möglichkeit, wie sie das bewerkstelligen sollte.
Am nächsten Morgen stand Dan auf, ohne dass sie etwas davon bemerkte. Als sie um acht Uhr erwachte, war er bereits fort. Es kränkte Fifi, dass er sie nicht geweckt hatte, um sich zu verabschieden.
Gegen elf Uhr wurde die Hitze in der Wohnung unerträglich, die Polizisten waren wieder in dem Haus auf der anderen Straßenseite, und Fifi fühlte sich ausgesprochen jämmerlich. Daher beschloss sie, zu Frank hinunterzugehen.
Vom Flur aus konnte sie in seine Küche sehen, und da die Gartentür offen stand, wusste sie, dass er dort draußen war.
»Frank«, rief sie. »Könnten Sie einen Besucher ertragen?«
»Kommen Sie nur heraus, Fifi«, antwortete er.
Er saß in seinem Garten auf einem Hocker und flickte ein Paar alte Stiefel, und sie wusste sofort, dass das Geschehene auch ihn aus der Fassung gebracht hatte, denn er stand nicht auf, um sie zu begrüßen, und er fragte auch nicht, wie es ihr ging.
»Fühlen Sie sich auch so miserabel?«, meinte sie und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Es ist schrecklich, nicht wahr? Ich kann noch immer nicht ganz glauben, dass es wirklich passiert ist. Aber es muss ein solcher Schock für Sie gewesen sein, als Sie am Samstag nach Hause kamen und davon hörten.«
»Das können Sie laut sagen«, erwiderte er mit seelenvollem Blick.
»Danke übrigens für den Brandy, den Sie mir hinaufgeschickt haben. Er hat geholfen«, erklärte sie. »Aber ich kann nicht immer trinken, um mich zu betäuben. Ich weiß nicht, was ich heute mit mir anfangen soll. Gestern musste ich zumindest aufs Revier gehen und meine Aussage machen.«
Sie erzählte ihm von dem Artikel in der Zeitung und von ihrer Befürchtung, dass ihre Mutter ihn lesen könnte, dann wurde ihr plötzlich bewusst, dass Frank kaum zuhörte. Er schien in seiner eigenen Welt gefangen zu sein.
»Was ist los?«, fragte sie und kniete sich neben seinen Hocker.
»Nichts«, antwortete er.
»Das glaube ich Ihnen nicht«, beharrte sie. Normalerweise hätte er großen Wirbel um sie gemacht, ihr einen Tee gekocht und sie väterlich in die Arme genommen. Aber stattdessen hatte er sich in sich selbst zurückgezogen, geradeso, wie auch sie es das ganze Wochenende über getan hatte. »Erzählen Sie es mir, Frank, wir sind doch Freunde, oder?«
»Sie haben schon genug um die Ohren, ohne sich auch noch mit meinen Sorgen zu belasten«, sagte er.
»Hat es mit Ihrer Tochter zu tun?«, hakte Fifi nach. »Haben Sie heute einen Brief von ihr bekommen?«
Er seufzte. »Nein, es hat nichts mit ihr zu tun«, erklärte er. »Es ist nur die verdammte Polizei.«
»Was haben die Polizisten denn getan?«
»Sie sind gestern Mittag hergekommen. Während Sie noch unten auf dem Revier waren.«
»Nun, natürlich mussten sie herkommen; wenn etwas Derartiges passiert, müssen sie mit jedem reden.«
Er sah sie nur an, und Fifi hatte den Eindruck, dass er den Tränen nahe war. Die Polizisten mussten irgendetwas gesagt haben, das ihn zu Tode erschreckt hatte, so viel war offenkundig.
»Erzählen Sie es mir einfach! Sie werden sich besser fühlen, wenn Sie Ihre Sorgen mit jemandem teilen.«
»Es ist dieses bösartige Miststück, Molly«, zischte er. »Ich schätze, sie hat der Polizei erzählt, dass ich Angela getötet hätte.«
»Oh Frank.« Sie lächelte. »Ich bezweifle nicht, dass Molly versucht hat, die halbe Nachbarschaft in die Angelegenheit zu verstricken, doch die Polizei wird ihr nicht glauben, nicht, was Sie betrifft. Sie könnten keiner Fliege etwas zu Leide tun, und jeder hier würde sich dafür verbürgen.«
»Ich war in der Vergangenheit mehrmals versucht, Molly umzubringen«, gestand er verzweifelt. »Das weiß sie, und jetzt, da sie bis zum Hals in dieser Geschichte drinsteckt, versucht sie, sich herauszuwinden, indem sie mit dem Finger auf mich deutet.«
Fifi hätte laut gelacht, wenn Frank nicht so absolut ernsthaft geklungen hätte. »Ich denke, Sie haben da eine Bemerkung der Polizei missverstanden …«
»Dieses elende Weibsbild hat ihnen Dinge über sie und mich erzählt«, unterbrach Frank sie, bevor Fifi ihren Satz beenden konnte. »Sie hat ihnen erzählt, wir hätten eine Affäre gehabt und ich hätte gewollt, dass sie Alfie verlässt. Angeblich soll ich Angela getötet haben, weil Molly mich abgewiesen hat.«
Jetzt konnte Fifi nicht mehr an sich halten. Sie lachte laut auf. »Tut mir leid, Frank«, rief sie und schlug sich eine Hand auf den Mund. »Ich hätte nicht gedacht, dass mich heute irgendetwas zum Lachen bringen könnte, aber das ist einfach zu absurd!«
»Ich würde auch darüber lachen, wäre da nicht noch etwas anderes. Irgendjemand hat der Polizei erzählt, man habe mich sagen hören, dass ich eins von Mollys Kindern töten und den Mord Alfie in die Schuhe schieben wollte.«
Fifi ließ sich auf einen Gartenstuhl fallen. »Nein, Frank, niemand würde so etwas über Sie erzählen!«
»Es war keine Lüge. Es war die Wahrheit, zumindest teilweise.« Frank ließ den Kopf hängen. »Es war eine Art Scherz mit Stan. An dem Abend nach dem Überfall auf Dan waren wir unten im Pub, und alle waren der Meinung, dass Alfie hinter der Geschichte stecken müsse. Ich habe gesagt, dass ich mit Freuden jeden der Muckles töten würde, die Kinder eingeschlossen. Stan meinte daraufhin im Scherz, dass wir doch eins der Kinder töten und dafür sorgen könnten, dass Alfie dafür zur Rechenschaft gezogen wird.«
»Wer hat der Polizei das erzählt?«, fragte Fifi.
Frank zuckte die Schultern. »Das weiß nur Gott allein, wahrscheinlich irgendjemand, der an diesem Abend im Pub war. Es war wirklich nur ein Scherz. Ich kann niemanden aus dieser Familie leiden, nicht einmal die Kinder, doch ich würde sie niemals umbringen.«
»Natürlich nicht«, meinte Fifi besänftigend. »Jeder hier in der Nachbarschaft macht gelegentlich solche Bemerkungen. Ich habe sogar einmal Mrs. Jarvis sagen hören, sie wünschte, jemand würde das Haus mitsamt der ganzen Familie anzünden. Wenn die Polizisten all die Todesdrohungen gegen die Muckles ernst nähmen, müssten sie die gesamte Londoner Polizeitruppe hier in Kennington einsetzen. Aber Sie dürfen sich darüber nicht den Kopf zerbrechen, Frank. Polizeibeamte stellen gern provozierende Fragen. Auf diese Weise kommen sie an ihre Informationen heran.«
»Nun, mir haben sie jedenfalls einen Heidenschrecken eingejagt«, gab er zurück. »Ich meine, wenn sie von einem Scherz erfahren können, den man vor einigen Wochen gemacht hat, was können sie dann sonst noch ausgraben? Das bereitet mir wirklich Angst.«
»Das sollte es aber nicht. Wenn die Polizei glaubte, Sie hätten irgendwie mit dieser Sache zu tun, hätte man Sie schon lange zum Verhör aufs Revier geladen.«
»Aber sie haben mir seltsame Fragen gestellt, zum Beispiel, ob ich im Krieg bei der Armee war. Ich hatte den Eindruck, sie wollten wissen, ob ich schon jemals einen Menschen getötet habe.«
»Und? Haben Sie?«
»Ich weiß es nicht mit Bestimmtheit. Man feuert, und man sieht Männer fallen, doch es sind immer viele andere da, die ebenfalls schießen. Man weiß nicht unbedingt, ob es die eigene Kugel war, die getroffen hat.«
»Nun, Angela ist nicht erschossen worden«, erinnerte Fifi ihn. »Hat man Ihnen erzählt, wie sie getötet wurde?«
Frank schüttelte den Kopf.
»Nun ja, die Polizei nimmt an, dass sie mit einem Kissen erstickt wurde. Das ist wohl kaum das Werk eines alten Soldaten, nicht wahr? So, und jetzt brühe ich Ihnen einen Tee auf.«
Fifi kochte den Tee, dann kehrte sie in den Garten zurück. Jetzt wäre sie gern wieder gegangen, denn Franks düstere Stimmung schlug ihr aufs Gemüt. Aber ihre gewohnte Neugier hinderte sie daran, sich mit einer Entschuldigung zu verabschieden. Sie spürte, dass Frank ihr noch nicht die ganze Geschichte erzählt hatte, und sie konnte dem Drang nicht widerstehen, sie ihm zu entlocken.
»Erzählen Sie mir, was Sie so belastet«, bat sie nach einer Weile. »Sie kennen doch das Sprichwort: ›Geteiltes Leid ist halbes Leid.‹«
»Wenn ich es Ihnen erzähle, versprechen Sie mir dann, es für sich zu behalten?«, fragte er.
Fifi versprach es.
Als Frank ihr von seiner ersten Begegnung mit Molly in der Nacht seiner Entlassung aus dem Wehrdienst in Soho berichtete, geriet er immer wieder ins Stocken und verfiel bisweilen in komplettes Schweigen. Fifi vergaß ihre eigenen Sorgen, während sie zuhörte. Sie konnte kaum glauben, dass der gesetzte, eher prüde Frank sich in irgendeiner Hintergasse mit einer Frau eingelassen haben sollte. Doch als er ihr davon erzählte, dass Molly ihn nach jenem Vorfall erpresst hatte, wusste sie sofort, dass die Geschichte der Wahrheit entsprach.
»Sie hat mir alles weggenommen«, sagte er voller Verbitterung. »Meine Ersparnisse, die Chance auf ein wenig Glück mit meiner Tochter und meinen Enkelkindern in Australien. All das hätte ich verzeihen können, hätte sie mich in Ruhe gelassen, als June im Sterben lag. Aber sie hat nie aufgehört, mich zu quälen. Ich habe jeden Tag befürchtet, sie würde es June erzählen und ihr das Herz brechen.«
»Soll das heißen, sie hat der Polizei davon erzählt?«, fragte Fifi ungläubig.
»Nicht die Wahrheit, die musste ich ihnen erzählen. Wie ich schon gesagt habe, sie hat behauptet, wir hätten eine Affäre gehabt und ich hätte von ihr verlangt, Alfie zu verlassen und mit mir wegzugehen. Angeblich habe ich nie aufgehört, sie zu belästigen, und als sie nicht tun wollte, was ich verlangte, sei ich verbittert gewesen und hätte ihr Ärger gemacht. Sie behauptet, ich hätte sie und ihre Familie an jenem Tag fortgehen sehen und wäre ins Haus geschlichen, um Angela zu töten und ihr damit eins auszuwischen.«
»Das ist das Ungeheuerlichste, was ich je gehört habe«, rief Fifi. »Aber Sie dürfen sich darüber nicht den Kopf zerbrechen. Die Polizei weiß, was für ein Mensch Molly ist, und die Beamten werden diese Geschichte als das durchschauen, was sie ist: ein verzweifelter Versuch, die Schuld auf jemand anderen abzuwälzen. Wenn sie wirklich glaubten, Sie hätten Angela getötet, wären Sie schon lange verhaftet worden.«
Frank tat ihr sehr leid, und sie nahm ihn in die Arme. »Die Polizei wird schon Ihre Fingerabdrücke oder andere Hinweise finden müssen, um zu beweisen, dass Sie in diesem Haus waren. Außerdem … woher hätten Sie wissen sollen, dass die Muckles den ganzen Tag über fortgehen und Angela zurücklassen würden?«, erklärte sie energisch. »Und selbst wenn Sie es gewusst hätten und das Kind hätten töten wollen, wären Sie gewiss nicht gleich in aller Frühe hinübergegangen, wenn so viele Menschen Sie hätten beobachten können.«
Er erwiderte nichts darauf, sondern saß nur mit hängendem Kopf da, ein Abbild des Elends.
»Sie waren sehr freundlich zu mir, Fifi«, antwortete er schließlich. »Aber seien Sie so lieb und lassen Sie mich jetzt allein. Ich möchte nicht länger darüber reden.«
Seine Worte fühlten sich an wie eine Zurückweisung, und das tat weh, weil sie doch nur versucht hatte, ihm zu helfen. Sie hätte Frank gern gefragt, ob er in den Augen der Polizei nun als Verdächtiger gelte oder nicht. Aber wahrscheinlich würde sie keine vernünftige Antwort aus ihm herausbekommen. Voller Selbstmitleid machte sie sich auf den Weg zu Yvette.
Als die Französin nicht an die Tür kam, klopfte Fifi ans Fenster. Sie konnte das Radio hören, daher wusste sie, dass die Freundin zu Hause war.
Schließlich erschien Yvette doch noch an der Tür, öffnete sie jedoch nur einen Spalt breit. Ihre Augen waren rot vom Weinen. »Oh Fifi!«, rief sie. »Ich kann jetzt nicht mit Ihnen reden, ich bin zu aufgeregt, die Polizei ist ’ier gewesen, und nebenan ’errscht die ganze Zeit ein furchtbarer Lärm, weil sie die Möbel verrücken. Ich muss dringend das ’aus verlassen.«
»Dann kommen Sie mit zu mir«, schlug Fifi vor. »Ich werde Ihnen einen Tee kochen, und wir können reden.«
»Non, das kann ich nicht«, rief sie und wedelte erregt mit den Händen. »Ich muss allein sein.«
Fifi schien es, als hätte heute jeder außer ihr das Bedürfnis, allein zu sein. »In Ordnung«, erwiderte sie. »Aber falls Sie Ihre Meinung ändern sollten, wissen Sie ja, wo Sie mich finden.«
Kurze Zeit später ging Fifi zu dem Laden an der Ecke hinüber, um ein wenig Brot zu kaufen, und lief mitten in einen Hexenzirkel von Frauen hinein, die über Angelas Tod schwatzten. Keine der Frauen lebte tatsächlich in der Dale Street, aber Fifi kannte sie vom Sehen.
Eine von ihnen hatte sich ein Kopftuch um ihre Lockenwickler geschlungen, und eine Zigarette baumelte ihr aus dem Mundwinkel, während sie über Alfie redete. »Er hat das schon seit Jahren mit seinen anderen Töchtern gemacht«, erklärte sie mit Nachdruck. »Er hat die beiden älteren geschwängert und dann hinausgeworfen. Ein Mann, der so etwas tut, sollte an den Füßen aufgehängt werden, damit man jeden Tag ein kleines Stückchen aus ihm herausschneiden kann.«
Als sie Fifi sah, leuchteten ihre Augen auf. »Sie haben das Kind gefunden, nicht wahr? Wie hat sie ausgesehen? Wie hat er sie getötet?«
Fifi konnte Neugier verstehen, aber die Formulierung dieser Fragen war zutiefst abstoßend. »Wenn Sie irgendetwas wissen wollen, fragen Sie die Polizei«, antwortete sie hochnäsig.
Die Frau war so überrascht, dass ihr die Zigarette aus dem Mund fiel. »Fräulein Etepetete«, sagte sie, während sie die Zigarette vom Boden aufhob. »Ich nehme an, Ihre Scheiße stinkt auch nicht so wie unsere.«
Fifi machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Laden ohne Brot, aber mit brennenden Wangen. Bis gestern hatte sie sich hier zu Hause gefühlt, doch jetzt kam sie sich vor wie eine Außerirdische. Wenn es der Wahrheit entsprach, dass Alfie seine beiden älteren Töchter geschwängert hatte, warum hatte ihn dann niemand angezeigt? Was war mit den Menschen hier los? Hatte denn keiner hier Rückgrat?
Während sie entrüstet die Straße hinaufging, konnte sie an der Tür von Nummer drei einen Mann sehen. Er unterhielt sich mit Mrs. Blackstock, die im Erdgeschoss wohnte. Sie und ihr Mann waren alt und gebrechlich, und Fifi hatte nur ein oder zwei Mal mit Mr. Blackstock gesprochen, da die beiden kaum je einmal ihr Haus verließen.
Vermutlich war der Mann Journalist. Er war klein und dünn, und er trug eine Brille und einen billigen, ausgebeulten Anzug.
»Ich weiß nichts«, erklärte Mrs. Blackstock gerade. »Mein Mann und ich kümmern uns nur um unsere eigenen Angelegenheiten.«
Mrs. Blackstock hatte Angst, das konnte Fifi deutlich sehen. Die alte Dame umklammerte ihren Gehstock so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.
Fifi klopfte dem Reporter auf die Schulter. »Lassen Sie sie in Ruhe«, sagte sie. »Und ich finde nicht, dass Sie die Leute mit Fragen bombardieren sollten, nachdem gerade erst ein kleines Mädchen den Tod gefunden hat«, fügte sie hinzu, als der Mann sich zu ihr umdrehte.
»Sind Sie zufällig Felicity Reynolds?«, fragte er, und seine Augen hinter den Brillengläsern leuchteten auf. »Sie haben sie gefunden, nicht wahr? Wollen Sie mir etwas darüber erzählen?«
»Nein, will ich nicht«, entgegnete Fifi. »Jetzt verschwinden Sie in die Jauchegrube, aus der Sie herausgekommen sind, und lassen Sie diese Dame in Frieden.«
Er wirkte überrascht und trat einen Schritt zurück. Mrs. Blackstock zog hastig ihre Tür zu, und Fifi ging nach Hause.
Auf dem Weg die Treppe hinauf begann sie zu weinen.
Sie konnte all das nicht ertragen, das Grauen in ihrem Kopf, die Fragen der Polizei und der Journalisten, und jetzt versuchten auch noch andere Leute, ihr ihre eigenen Sorgen aufzubürden. Sie hatte ihr Baby verloren und sich den Arm gebrochen, ihre Eltern hatten sie verstoßen, und nicht einmal Dan wollte zu Hause bleiben, um sich um sie zu kümmern.
Was war nur los mit ihrem Leben? Bevor sie Dan kennen gelernt hatte, war alles so einfach und wohl geordnet gewesen. Sie hatte ihre Arbeit gemocht, sie hatte gute Freunde gehabt, sie war jeden Abend zu einer warmen Mahlzeit heimgekommen, und ihre Mutter hatte sogar ihre Kleider für sie gewaschen und gebügelt. Jetzt lebte sie in einem Elendsviertel, und alles um sie herum brach zusammen.
Und es würde auch nicht besser werden. Wenn die Verhandlung begann, würde sie vor Gericht gegen dieses Ungeheuer, Alfie, aussagen müssen, während er auf der Anklagebank saß und sie ansah.
Warum mussten ihr all diese Dinge zustoßen? Abgeschnitten von ihrer Familie, nur weil sie einen Mann gewählt hatte, den ihre Eltern nicht billigten, hatte sie niemanden, bei dem sie Trost oder Rat hätte suchen können. Sie sehnte sich nach Patty, aber sie konnte ihre Schwester nicht anrufen und ihr von den Geschehnissen erzählen, ohne mit ihrer Mutter zu sprechen, und sie wusste, dass sie aus dieser Richtung kein Mitgefühl zu erwarten hatte.
In ihrer Wohnung warf sie sich auf das Bett und brach in bittere Tränen aus.
Bei Dans Heimkehr lag sie noch immer dort und schluchzte. »Was um alles in der Welt ist los?«, fragte er. »Ist noch etwas passiert?«
»Als würde dich das interessieren!«, stieß sie unter Tränen hervor. »Niemand interessiert sich für mich.«
»Ich bin fix und fertig, und ich habe Hunger, Fifi«, sagte er mit angespannter, müder Stimme. »Wenn dich etwas bedrückt, dann spuck es aus. Danach werde ich noch einmal losgehen und uns Fisch und Chips holen.«
»Wenn mich etwas bedrückt?«, zischte Fifi ihn an. »Ich habe einen grauenhaften Tag hinter mir, alle waren gemein zu mir. Und du kannst an nichts anderes denken als an Fisch und Chips!«
»Könntest du zur Abwechslung nicht mal an etwas anderes denken?«, fuhr er auf. »Sieh mich an, ich bin schmutzig, und ich habe zehn Stunden lang bei mörderischer Hitze gearbeitet. Ich werde versuchen, mich mitfühlend zu zeigen, sobald ich gebadet, mich umgezogen und etwas gegessen habe.«
Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern griff sich ein Handtuch und marschierte hinunter ins Badezimmer.
Jetzt flossen Fifis Tränen noch reichlicher. Wenn Dan sich nicht um sie kümmern wollte, dann hatte sie niemanden mehr.