Kapitel 8

Am Samstagmorgen war Fifi auf dem Weg zum Laden an der Ecke, als sie Molly Muckle auf sich zukommen sah. Sie unterdrückte ein Stöhnen, denn sie war nicht in der Stimmung, mit irgendjemandem zu sprechen, erst recht nicht mit Molly.

Die Zugfahrt zurück nach London war ihr am Vorabend wie eine Ewigkeit vorgekommen, und sie hatte den ganzen Weg über mit den Tränen gekämpft. Bei ihrer Ankunft in Paddington war es fast Mitternacht gewesen, und in der U-Bahn nach Kennington hatte es von Betrunkenen nur so gewimmelt. Sie war vollkommen erschöpft, als sie endlich die Dale Street erreichte. Die Wohnung war heiß und stickig, und durch die geöffneten Fenster kamen später dutzende von Motten hereingeflogen. Je mehr Fifi erlegte, desto mehr flogen in die Wohnung. Zu guter Letzt brach Fifi in Tränen aus.

Noch nie hatte sie sich so verzweifelt einsam gefühlt. Sie war nicht nur wütend auf ihre Mutter, sondern kam sich auch verraten und im Stich gelassen vor. Obwohl sie nicht erwartet hatte, alle Differenzen mit einem einzigen Besuch beilegen zu können, hatte sie geglaubt, ihre Schwangerschaft würde ihre Mutter erweichen. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie hatte ihre Familie endgültig verloren.

Sie mochte sich ungezählte Male gesagt haben, außer Dan niemanden zu brauchen – nun, da er alles war, was sie hatte, schien es nicht annähernd genug zu sein.

Wegen der Hitze konnte sie nicht schlafen, und ihre Gedanken kehrten immer wieder zu den abscheulichen Dingen zurück, die ihre Mutter ihr an den Kopf geworfen hatte.

Es war eine Erleichterung, als endlich die Sonne aufging, doch die Aussicht auf ein Wochenende ganz allein löste einen weiteren Weinkrampf aus. Sie wollte Dan nicht erzählen müssen, was in Bristol geschehen war, aber wenn sie einfach behauptete, sie sei am Ende doch nicht nach Hause gefahren, würde er Verdacht schöpfen und keine Ruhe geben, bis sie ihm die Wahrheit sagte. Ebenso wenig konnte sie auf den Besuch bei ihm verzichten und so tun, als wäre sie in Bristol. Bei seiner Entlassung aus dem Krankenhaus würde er schließlich sehr bald erfahren, dass sie die ganze Zeit über hier gewesen war.

Ihr wurde übel vor lauter Unglück. Sie musste ins Bad hinunterlaufen und blieb über eine halbe Stunde dort, bis Miss Diamond an die Tür hämmerte und sie daran erinnerte, dass das Badezimmer nicht ihr allein gehörte.

Als Fifi sich um elf Uhr ein wenig besser fühlte, beschloss sie, hinauszugehen und eine Zeitung zu kaufen. Bei Mollys Anblick wünschte sie, sie wäre zu Hause geblieben oder hätte sich zumindest auf ihrer Seite der Straße gehalten. Wenn sie jetzt wieder auf die andere Seite wechselte, um der Frau auszuweichen, wäre das allzu durchschaubar.

»Wie geht es Ihrem Mann?«, fragte Molly schon, als sie noch immer gut drei Meter von Fifi entfernt war. »Ich habe gehört, er hatte ein bisschen Ärger.«

»Es geht ihm schon deutlich besser, vielen Dank«, antwortete Fifi höflich und hoffte, dass das Gespräch damit ein Ende fände.

»Dann liegt er also noch im Krankenhaus?«

Fifi unterdrückte ein Stöhnen. »Ja, aber er wird bald entlassen.« In den Augen der Frau blitzte etwas auf, das allzu sehr nach Bosheit aussah, und Fifi hatte nur den einen Wunsch, so schnell wie möglich wegzukommen. Molly trug ein ärmelloses, rosafarbenes Baumwollkleid voller Flecken auf der Brust. Wie gewöhnlich hatte sie Lockenwickler im Haar, und die Mascara vom vergangenen Abend hatte sich in dunklen Ringen unter ihren Augen gesammelt.

»Ich hab gehört, dass Sie ein Kind erwarten«, sagte Molly. »Wann soll es denn kommen?«

Fifi konnte sich nicht vorstellen, wie Molly von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte. Sie hatte nur Frank und Yvette davon erzählt, und keiner der beiden würde darüber tratschen.

»Wie haben Sie davon erfahren?«

»Ich erfahre alles.« Molly grinste und entblößte dabei ihre gelben Zähne. »Mein Alter nennt mich ›die Ohren der Welt‹. Aber man sieht noch gar nichts bei Ihnen. Geht es Ihnen gut?«

»Ja, vielen Dank«, erklärte Fifi steif. Die Art, wie die Frau sie von Kopf bis Fuß musterte, war ihr zutiefst zuwider. »Das Baby soll im März kommen. Aber ich muss jetzt weitergehen, ich bin mit jemandem verabredet.«

»Geben Sie gut Acht auf sich«, meinte Molly. »Ich hoffe, Ihr Mann bleibt nicht mehr lange im Krankenhaus. Sie brauchen ihn zu Hause, damit er auf Sie aufpasst.«

Erst nachdem sie die Zeitung gekauft und im Lebensmittelladen ein wenig Obst erstanden hatte, fiel Fifi plötzlich auf, dass sie gar keine blauen Flecken bei Molly bemerkt hatte. Jemand, der derartig verprügelt worden war wie Molly am vergangenen Abend, musste doch gewiss sichtbare Verletzungen aufweisen, oder?

Je länger sie darüber nachdachte, desto eigenartiger fand sie es, und Mollys letzten Worte »Sie brauchen ihn zu Hause, damit er auf Sie aufpasst« schienen ebenfalls eine Warnung zu enthalten.

Bei ihrer Heimkehr sah sie, dass die Gartentür zu Franks Küche offen stand, und sie rief nach ihm.

»Dann waren Sie es also doch, die ich vorhin gehört habe!«, bemerkte er, als er sie entdeckte. Er trug seine Gartenkleider, alte Khakishorts, eine Weste und einen zerbeulten Panamahut. »Ich dachte, Sie wären für das ganze Wochenende nach Hause gefahren.«

»Ich habe meine Meinung geändert und doch nicht in Bristol bleiben wollen«, erklärte Fifi.

Frank lud sie ein, zu ihm hinauszukommen, während er weiter das Unkraut jätete.

»Ich bin gerade Molly Muckle begegnet«, sagte Fifi, sobald sie Platz genommen hatte. Franks Garten war sehr hübsch, mit Unmengen von Blumen. Er hatte ihr einmal erzählt, dass der Garten nach Junes Tod seine Rettung gewesen sei, da er bei der Arbeit hier alles andere vergessen könne.

Kurze Zeit später erzählte sie ihm von ihrem Gespräch mit Molly und von ihrer Überraschung darüber, dass die Frau unverletzt zu sein schien.

»Wie ist das möglich?«, fragte sie ihn. »Wir haben sie schreien hören, es war schrecklich. Entweder hat Alfie jemand anderen verprügelt, oder das Ganze war nur gespielt. Und woher weiß sie, dass ich ein Kind bekomme? Ich habe niemandem außer Ihnen und Yvette davon erzählt.«

»Nun ja, ich habe es am Freitagabend Stan gegenüber erwähnt«, gestand er. »Aber nur wegen der Geschichte, die mit Dan passiert ist, und ich weiß, dass Stan es nicht weitergetragen hat. Er ist einfach nicht der Typ, der tratscht. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Yvette mit Molly gesprochen hat, denn sie hält sich genauso wie ich aus diesen Dingen heraus. Vielleicht hat ja jemand von der Polizei etwas erwähnt. Sie waren nämlich hier, kurz nachdem Sie nach Bristol aufgebrochen sind.«

»Wegen Dan?«

Frank nickte. »Sie waren anschließend auch hier, um mit Ihnen zu reden, und ich habe gesagt, dass Sie übers Wochenende weggefahren seien.«

»Haben sie Ihnen irgendetwas erzählt?«

»Nur dass sie in der Gasse, in der Dan überfallen wurde, ein Stück Bleirohr gefunden hätten. Sie nehmen an, dass Dan damit geschlagen worden ist.«

»Haben Sie Fingerabdrücke gefunden?«

»Davon haben sie nichts gesagt. Aber sie haben mich gefragt, ob ich bestätigen könne, dass Alfie am Freitagabend zu Hause war. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihre Frage zu bejahen. Vielleicht haben sie Alfie und Molly gebeten, dass sie Sie nicht aufregen sollen, weil Sie ein Kind erwarten.«

Fifi zog die Augenbrauen hoch. »Als würde das die beiden an irgendetwas hindern!«

Sie unterhielten sich noch eine Weile darüber, und Fifi fragte schließlich, ob der Streit möglicherweise inszeniert worden sei, um Alfie ein Alibi zu verschaffen. Schließlich hatte sie Alfie nicht wirklich erkannt, sondern nur die Silhouette eines Mannes im Fenster gesehen, der ihm ähnelte.

»Gerissen genug dafür wäre er jedenfalls«, erwiderte Frank nachdenklich. »Vielleicht sollten Sie der Polizei von Ihrem Verdacht erzählen.«

»Das kann ich nicht«, seufzte Fifi. »Dan hat neulich eine ziemlich ironische Bemerkung darüber gemacht, dass alles Übel den Muckles in die Schuhe geschoben würde. Es wird schwer genug sein, ihm zu erklären, warum ich so schnell wieder nach Hause gekommen bin.«

Dann platzte sie damit heraus, wie ihre Mutter reagiert hatte.

Frank hörte mitfühlend zu und schüttelte bisweilen den Kopf, als schockiere es ihn, dass Clara so hart sein konnte. »Es tut mir leid, Fifi«, erklärte er, als sie mit ihrem Bericht zum Ende kam. »Sie benimmt sich sehr dumm, was Dan betrifft, aber es ist für Eltern nie leicht zu akzeptieren, dass ihr kleines Mädchen erwachsen genug ist, um zu heiraten. Und wenn sie glauben, es hätte eine schlechte Wahl getroffen, wird es nur umso härter für sie. Wahrscheinlich hat Ihre Mutter sich gewünscht, Sie würden jemanden wie Ihren Dad heiraten.«

»Dan ist im Grunde gar nicht so anders als mein Dad«, antwortete Fifi unglücklich. »Er ist ehrlich und fleißig, er liebt Kinder, und er hat ein gutes Herz. Er hat nur einfach nicht die Art von Jugend gehabt, die einen Mann auf die Universität führt.«

»Vielleicht sollten Sie ihr das schreiben«, überlegte Frank, dann kehrte er seinem Unkraut den Rücken zu und trat vor sie hin. »Lassen Sie es nicht zu einem Zerwürfnis mit Ihren Eltern kommen, Fifi. Wenn das Baby erst da ist, werden Sie Ihre Familie brauchen.«

Am Nachmittag fuhr Fifi zu Dan ins Krankenhaus. Sie fühlte sich hundeelend, aber sie hatte ein Bad genommen, sich das Haar gewaschen, sich geschminkt und ihr hübschestes Kleid angezogen, denn er sollte nicht spüren, dass etwas nicht stimmte. Als sie in seinem Zimmer saß, erzählte sie ihm, am Morgen aus Bristol zurückgekommen zu sein, weil sie ihn sehen wollte.

»Du musst verrückt sein«, sagte er, aber er schien sich dennoch darüber zu freuen. »Ich wäre bei dieser Hitze jedenfalls lieber nicht in London. Bist du dir sicher, dass ihr euch nicht meinetwegen gestritten habt?«

»Ja«, log sie und lächelte, um ihn zu beruhigen. »Ich habe mich einfach nur so eigenartig ohne dich gefühlt, außerdem war Patty nicht zu Hause, um mir Gesellschaft zu leisten. Und mir gefiel der Gedanke nicht, dass du ganz allein ohne Besuch hier im Krankenhaus liegst.«

Er sah sie zweifelnd an und fragte sich vielleicht, warum sie nicht mehr von ihrem Besuch daheim erzählte, doch er machte keine Anstalten, sie ins Kreuzverhör zu nehmen.

»Ich werde am Montag vielleicht entlassen«, berichtete er. »Allerdings werde ich noch ein oder zwei Wochen nicht arbeiten können. Nächstes Wochenende, wenn meine Fäden gezogen worden sind, könnten wir vielleicht nach Brighton oder raus ans Meer fahren.«

Wir können es uns gar nicht leisten, irgendwo hinzufahren, während du keinen Lohn bekommst, dachte Fifi, doch sie sprach diesen Gedanken nicht aus. »Wir sollten erst einmal abwarten, wie du dich dann fühlst«, bemerkte sie stattdessen.

Dan schien wieder ganz der Alte zu sein, er witzelte über die anderen Männer auf der Station und erzählte Fifi ein wenig von den Krankenschwestern. Wenn ihn die Frage umtrieb, wer ihn überfallen hatte, so ließ er sich nichts anmerken.

Am Ende der Besuchszeit schickte Fifi sich an zu gehen.

»Ich liebe dich, und ich bin froh, dich wieder in London zu wissen«, sagte Dan zum Abschied zärtlich zu ihr.

Fifi war erst fünf Minuten zu Hause, als die Polizei anklopfte. Frank öffnete ihnen unten die Tür, und sie kamen hinauf in ihre Wohnung.

»Entschuldigen Sie die Störung, Mrs. Reynolds«, bat der ältere der Beamten. »Aber wir hätten einige Fragen wegen Donnerstagabend. Ist es richtig, dass Sie den ganzen Abend hier waren?«

Fifi bejahte, und der Polizist bat sie, ihm zu erzählen, was sie an diesem Abend gesehen und gehört hatte.

Während Fifi von dem Streit auf der anderen Straßenseite sprach, blickte der jüngere Mann aus dem Fenster ihres Schlafzimmers, als wollte er feststellen, wie gut sie das Haus der Muckles von dort aus sehen konnte.

»Was bringt Sie auf den Gedanken, der Mann, mit dem Mrs. Muckle gestritten hat, sei ihr Ehemann gewesen?«, fragte der ältere Beamte.

»Ich bin einfach davon ausgegangen, dass es so war«, antwortete Fifi. »Ich konnte nur seine Silhouette im Fenster sehen, und der Mann war genauso groß wie Alfie und genauso gebaut wie er.«

»Sein Neffe sieht ihm sehr ähnlich. Könnte er es gewesen sein?«

»Das weiß ich nicht. Ich nehme es an, ja, doch ich habe ihn später mit Dora nach Hause kommen sehen. Meinen Sie, Alfie hat Dan überfallen?«, wollte sie wissen.

Der ältere Polizist lächelte. »Sagen wir nur, wir haben unsere Untersuchungen noch nicht abgeschlossen.«

Mit einem Mal platzte Fifi heraus, wie merkwürdig sie es fand, dass Molly keine sichtbaren Verletzungen aufwies.

»Das ist uns auch nicht entgangen«, gab der Polizist mit einem wissenden Blick zurück.

Am Abend fuhr Fifi noch einmal ins Krankenhaus, um Dan zu besuchen. Es war sehr heiß und stickig draußen, aber auf der Station war es noch heißer, und Dan sah verschwitzt und elend aus.

»Soll ich dir ein feuchtes Tuch holen, damit du dir wenigstens das Gesicht und die Hände kühlen kannst?«, fragte Fifi.

»Du bist es, die mich ins Schwitzen bringt«, antwortete er vieldeutig und betrachtete dabei ihren Ausschnitt.

Fifi errötete. Seit sie schwanger war, waren ihre Brüste größer geworden, und ihr Kleid hatte ein tiefes Dekolletee. »Wenn es dir gut genug geht, um auf schmutzige Gedanken zu kommen, bist du eindeutig auf dem Wege der Besserung«, erklärte sie, dann machte sie sich daran, all die Leute aufzulisten, die sich nach ihm erkundigt hatten.

Später hörten sie ein fernes Donnergrollen und bemerkten, wie dunkel der Himmel geworden war.

»Du gehst besser, bevor es anfängt zu regnen«, sagte Dan. »Ich schätze, uns steht ein kräftiges Gewitter bevor.«

Fifi verließ das Krankenhaus tatsächlich noch vor Ende der Besuchszeit. Sie hatte erst die Hälfte der Strecke bis zur U-Bahn-Haltestelle zurückgelegt, als aus den ersten Regentropfen ein schwerer Guss geworden und ihr dünnes Kleid vollkommen durchweicht war. Als sie in Kennington ausstieg, goss es wie aus Kübeln. Einen Moment lang verharrte sie im Eingang der U-Bahn-Station und beobachtete, wie der Regen auf den Gehsteig trommelte und die Rinnsteine in reißende Bäche verwandelte. Der Himmel war bleigrau, und der grollende Donner ließ keinen Zweifel daran, dass dies mehr war als ein kurzer Sommerschauer, daher blieb Fifi nichts anderes übrig, als nach Hause zu rennen.

Die Straßen waren menschenleer, die Autos bewegten sich nur im Kriechtempo durch den peitschenden Regen, und nach der langen Zeit der Trockenheit waren die Straßen jetzt gefährlich schlüpfrig. Fifi war bis auf die Haut durchnässt und außer Atem, als sie in die Dale Street einbog. Plötzlich rutschte sie aus und fiel kopfüber auf das Pflaster.

Sie schlug sich ein Knie auf, und bei dem Versuch, ihren Sturz zu bremsen, verletzte sie sich die Hand. Der Schock fuhr ihr in die Glieder, und sie schrie auf. Dann packte sie jemand am Arm, um ihr aufzuhelfen, aber da ihr das nasse Haar ins Gesicht hing, begriff sie erst, als sie seine Stimme hörte, wer der Mann war.

»Sie sollten in Ihrem Zustand nicht wie eine Wahnsinnige durch die Gegend rennen«, sagte er. »Ein Tropfen Regen wird Ihnen schon nichts schaden.«

Es war Alfie Muckle. Als sie sich das Haar aus dem Gesicht strich, sah sie, dass er sie lüstern angrinste, und jetzt erst wurde ihr bewusst, wie eng ihr dünnes Kleid ihr am Körper klebte.

Instinktiv wich sie vor ihm zurück.

»Also, das ist ja wirklich nett«, meinte er, während er sie mit seinen hellblauen Augen von Kopf bis Fuß musterte. »Kein Wort des Dankes dafür, dass ich Ihnen beim Aufstehen geholfen habe!«

»Ich wollte nicht unhöflich sein«, beteuerte sie hastig. »Ich habe mich lediglich erschreckt, das ist alles. Vielen Dank.«

»Sie werden ganz allein sein, wo Ihr Mann doch im Krankenhaus ist«, sagte er und legte ihr eine Hand unter den Ellbogen. »Kommen Sie mit rüber zu mir, dann kümmere ich mich um Ihr Bein.«

Bei jedem anderen hätte dieses Angebot sie gerührt, denn als sie nun hinabblickte, sah sie, dass ihr Knie stark blutete. Aber aus Alfies Mund klangen diese Worte ausgesprochen bedrohlich. »Ich komme schon zurecht«, antwortete sie und rückte von ihm ab. »Trotzdem, vielen Dank.«

Sie humpelte den Rest des Weges nach Hause, wobei sie sich überdeutlich bewusst war, dass er noch immer unter der Markise des Lebensmittelladens stand und sie beobachtete.

Sobald sie in der Wohnung war, ihre nassen Kleider ausgezogen und ihren Morgenmantel übergestreift hatte, stellte Fifi fest, dass sie vor Schreck am ganzen Körper zitterte. Ihr rechtes Knie war übel aufgeschürft, ebenso wie die Innenfläche ihrer Hand. Plötzlich nahmen alle Dinge – Dans Verletzungen, der Besuch bei ihrer Mutter, ihr Sturz, die Berührung Alfies und die Aussicht auf eine Nacht allein – in ihren Gedanken gigantische Ausmaße an, und sie fühlte sich furchtbar verletzlich.

Ein lauter Donnerschlag, dem sehr bald ein Blitz folgte, verschlimmerte ihre Nervosität noch, denn sie hatte schon immer Angst vor Gewittern gehabt. Sie zog die Vorhänge zu und schaltete eine Lampe und den Fernseher ein, aber bei jedem weiteren Donnerschlag erzitterte sie abermals, und im Trommeln des Regens auf dem Dach und an den Fensterscheiben konnte sie den Fernseher kaum hören.

Frierend und verängstigt ging sie schließlich zu Bett. Aber im Schlafzimmer wirkte der Donner noch lauter, und jeder Blitz tauchte den Raum in ein unheimliches Licht. Sie rollte sich unter den Decken zusammen und drückte sich sogar Dans Kissen auf den Kopf, doch sie konnte das Unwetter noch immer toben hören, und ihre Angst wuchs.

Als Kind hatte sie sich vor Gewittern so sehr gefürchtet, dass ihre Mutter manchmal geglaubt hatte, sie würde einen Anfall bekommen. Sie spürte, dass sie sich abermals in diese Stimmung hineinsteigerte, denn sie war starr vor Angst und bekam kaum Luft. Es war ein Gefühl, als säße sie in einem hohen Turm gefangen, während der Sturm um sie herum wütete, als könnte jeden Augenblick das Dach einstürzen und sie würde unter den Trümmern begraben werden.

Eine Erinnerung an ihren Vater durchzuckte die lähmende Angst. Sie sah sich selbst als kleines Mädchen, geborgen in seinen Armen, während er sie dazu brachte, mit ihm zusammen den Sturm vom Schlafzimmerfenster aus zu beobachten. Damals hatte sie festgestellt, dass die Vorgänge draußen keineswegs so erschreckend waren, wie sie es sich eingebildet hatte, und oft war sie dann in den Armen ihres Vaters eingeschlafen.

Obwohl sie keineswegs davon überzeugt war, dass es auch ohne ihren Vater funktionieren würde, zwang sie sich, aus dem Bett zu steigen und sich eine Decke um die Schultern zu legen. Dann zog sie die Vorhänge zurück.

Es war nicht ganz so finster draußen, wie sie erwartet hatte. Obwohl es stark regnete, konnte sie ein schwaches gelbes Licht von den Straßenlaternen sehen, und in vielen Fenstern brannten Lampen, die ihr ins Gedächtnis riefen, dass überall um sie herum Menschen waren.

Der nächste Donnerschlag ließ sie zusammenzucken, aber dann erhellte der nächste Blitz die Dunkelheit, und ein oder zwei Sekunden lang sah der schwere Regen golden und schön aus, wie Funken von einem Feuerwerk.

Ihr Herz raste, und ihr war übel, aber bei der Erinnerung daran, wie ihr Vater ihr stets beteuert hatte, dass der Sturm langsam abklingen werde, begann sie, die Sekunden zwischen Blitz und Donner zu zählen. Zuerst folgte der Donner dem Blitz nach zwei Sekunden, aber dann waren es drei, und als sich der Abstand auf sechs und schließlich auf sieben Sekunden verlängerte, beruhigte sich ihr Herzschlag langsam wieder.

Ein weiteres Krachen wurde laut, und sie blickte auf Franks Schuppen hinab, während sie leise die Sekunden zählte.

Als sie bei zehn angelangt war, kam der Blitz, und diesmal erhellte er nicht nur den Schuppen, sondern auch die Mauer am Ende des Gartens. Und dort, auf der Mauer, stand ein Mann, der zu ihr aufblickte, und sie konnte sein Gesicht so deutlich sehen, als würde es von hellem Sonnenschein angestrahlt. Es war Alfie Muckle!

Entsetzt prallte sie von dem Fenster zurück, und plötzlich verspürte sie einen so heftigen Druck auf der Brust, dass sie abermals kaum atmen konnte. Aus einem instinktiven Bedürfnis nach Schutz heraus rannte sie durch den Raum, um die Treppe hinunterzulaufen und nach Frank zu rufen.

Sie nahm sich nicht die Zeit, den Lichtschalter umzulegen, sondern flog lediglich die Stufen hinunter und vergaß in ihrer Panik sogar, dass sie nur mit ihrem Nachthemd bekleidet war. Aber als sie die letzte Treppenflucht erreichte, rutschte sie mit ihren nackten Füßen auf dem abgetretenen Teppich aus. Sie versuchte, sich am Geländer festzuhalten, doch dann durchzuckte ein scharfer Schmerz den Arm, den sie sich zuvor verletzt hatte, und sie stürzte kopfüber die Treppe hinunter.

Frank saß im Bett und las ein Buch, als er Fifi seinen Namen rufen hörte. Sofort warf er die Decke zurück, denn er spürte ihre Panik, aber noch bevor er die Füße auf den Boden setzen konnte, hörte er ein Unheil verkündendes Geräusch im Flur, wie von einem Sack Kohlen, der die Treppe hinunterfiel. Er riss gerade rechtzeitig die Tür auf, um zu sehen, wie Fifi mit grotesk ausgebreiteten Gliedern auf dem Boden aufkam. Gerade als er sie erreicht hatte, flammte das Licht auf, und Miss Diamond erschien, bekleidet mit einem langen weißen Nachthemd, am oberen Ende der Treppe.

»Oh mein Gott!«, rief sie und eilte auch schon die Treppe hinunter. »Warum hat sie geschrien?«, fragte sie. Dann kniete sie sich neben Frank auf den Boden und zog Fifi das Nachthemd über die nackten Schenkel. »Sie ist doch nicht tot, oder, Frank?«, flüsterte sie.

Frank verstand genug von Erster Hilfe, um Fifis Puls zu ertasten und seiner Nachbarin zu erklären, dass die junge Frau lebe, aber durch den Sturz das Bewusstsein verloren habe. »Ich laufe hinüber und rufe einen Krankenwagen«, sagte er. »Bleiben Sie bei ihr, aber bewegen Sie sie nicht. Wenn sie zu sich kommt, reden Sie mit ihr, und sorgen Sie dafür, dass sie still liegen bleibt. Sie erwartet ein Baby, und das wird wahrscheinlich das Erste sein, wonach sie fragt. Sobald ich mir Schuhe und Mantel angezogen habe, bringe ich Ihnen eine Decke für sie hinaus.«

Nora Diamond saß neben Fifi auf der Treppe, während sie darauf wartete, dass Frank vom Telefon zurückkam. All ihre sonstige Gelassenheit war wie weggewischt. Die verzerrte Lage des Mädchens ließ auf ernsthafte Verletzungen schließen, und jetzt, da Fifis Mann ebenfalls im Krankenhaus lag, konnte die Situation für das junge Paar nicht düsterer aussehen.

Nora fühlte sich normalerweise nicht zu jungen Menschen hingezogen, aber diese beiden hatte sie ins Herz geschlossen. Sie waren sehr freundliche Menschen, die immer fröhlich waren, ohne jedoch so schmutzig oder laut zu sein wie viele der früheren Mieter. Sie wünschte, Fifi hätte ihr von ihrer Schwangerschaft erzählt, dann hätte sie sie am Morgen nicht angefahren. Jetzt schämte sie sich dafür, dass sie angenommen hatte, die junge Frau habe sich erbrochen, weil sie am Abend zuvor zu viel getrunken hatte.

Was konnte Fifi heute Nacht so sehr erschreckt haben? Lag es lediglich daran, dass sie während des Unwetters allein gewesen war, oder steckte noch mehr dahinter? Hätte sie Mitgefühl gehabt, wenn Fifi auf der Suche nach ein wenig Trost zu ihr gekommen wäre?

Tief in ihrem Innern bezweifelte sie es. Sie war schon früh mit einem Buch zu Bett gegangen, und sie hasste es, gestört zu werden. Tatsächlich hätten ihre wahren Gefühle wohl anders ausgesehen: Hätte sie gewusst, dass Fifis morgendliche Übelkeit auf eine Schwangerschaft zurückzuführen war, hätte sie die Aussicht auf weinende Babys in der Wohnung über ihr und auf nasse Windeln im Badezimmer wohl eher erschreckt. Es bestand eine gute Chance, dass sie im Geiste bereits einen Brief an den Vermieter geplant hätte, um ihn zu bitten, das Paar rechtzeitig vor der Geburt auf die Straße zu setzen.

Aber als sie nun auf die schöne junge Frau hinabblickte, die scheinbar leblos auf dem Boden lag, schämte sie sich zum ersten Mal seit vielen Jahren für ihre Verbitterung und Intoleranz.

In Fifis Alter war sie genauso gewesen, lebhaft, großzügig und voller Wärme, obwohl sie im Alter von acht Jahren Waise geworden war und ihre Vormünder sie ins Internat geschickt hatten. Sie war während ihrer gesamten Schulzeit bei Lehrern wie Schülern gleichermaßen beliebt gewesen, und obwohl ihre Vormünder reserviert und kühl gewesen waren, hatten ihr die Eltern ihrer Schulfreundinnen sehr viel Zuneigung entgegengebracht und sie häufig über die Ferien eingeladen.

Hätte sie sich in irgendjemand anders als Reggie Soames verliebt, wäre sie vielleicht auch in späteren Jahren so geblieben. Aber sie hatte ihn mit zweiundzwanzig geheiratet und sich geweigert, auf all jene zu hören, die behaupteten, er sei lediglich an ihrem beträchtlichen Erbe interessiert. Doch diese Leute hatten Recht behalten. Reggie war nicht nur ein Glücksjäger und Frauenheld, sondern auch ein Schwindler, ein Dieb und ein Lügner. Der Krieg machte es ihm allzu leicht, sie zu täuschen. Während sie in Dorset saß und ihren Teil zum Gelingen des Krieges beitrug, indem sie Gemüse anbaute und im Krankenhaus am Ort aushalf, glaubte sie, Reggie verrichte streng geheime Arbeiten für das Kriegsministerium.

Tatsächlich hatte er ihr Erbe benutzt, um seinen ausschweifenden Lebensstil in London zu finanzieren. Während sie sich sorgte, er könne in Deutschland in schrecklicher Gefahr sein, verspielte und vertrank er ihr Geld, schlief mit anderen Frauen und lachte sich über ihre Naivität ins Fäustchen.

Erst als der Krieg endete und Reggie keine Anstalten machte, auf Dauer nach Dorset zurückzukehren, schöpfte sie langsam Verdacht. Sie hatte viele andere Frauen kennen gelernt, deren Männer mit geheimen militärischen Missionen betraut gewesen waren, aber sie alle kamen wieder nach Hause zurück. Als Nora entdeckte, dass sie schwanger war, hatte sie Reggie deswegen zur Rede gestellt, und er hatte ihr versprochen, binnen eines Monats endgültig heimzukommen. Er war nie wieder zurückgekehrt.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sie herausgefunden, dass er ihre Unterschrift gefälscht hatte. Der Familienschmuck war aus dem Schließfach verschwunden und ihr Bankkonto bis auf den letzten Penny geleert. Als immer mehr wütende Gläubiger erschienen, hatte sie ihr Baby verloren.

Es war noch sehr viel mehr geschehen, bevor sie hier in der Dale Street gelandet war, aber sie wusste, dass es der Verlust ihres Babys war, der die grundlegende Veränderung ihres Wesens bewirkt hatte. Die Mädchen, die unter ihr arbeiteten, ihre Nachbarn und selbst die Ladenbesitzer, bei denen sie einkaufte, begegneten ihr mit äußerster Vorsicht, und genauso wollte Nora es haben.

Das Komische war, dass Fifi und Dan die einzigen Menschen waren, die sie nicht einschüchterte. Wenn sie einkaufen gegangen waren, hatten sie in der Vergangenheit oft an ihre Tür geklopft und gefragt, ob sie ihr etwas mitbringen sollten, und sie hatten sie in ihre Wohnung eingeladen, um ihr zu zeigen, wie sie sich eingerichtet hatten. Als an ihrem Kaffeetisch ein Bein abgebrochen war, hatte Dan ihn repariert, und Fifi lud sie häufig auf eine Tasse Tee ein, wenn Dan Überstunden machte. Nora sagte sich, dass sie diese Einladungen allein aus Höflichkeit von Zeit zu Zeit annahm, doch in Wirklichkeit steckte mehr dahinter. Sie hatte sich gewünscht, dass die Reynolds in Nummer vier wohnen blieben, weil sie sie mochte und ihnen vertraute.

Wie die Diagnose heute Nacht im Krankenhaus auch ausfallen mochte – Nora bezweifelte nicht, dass das junge Paar sich jetzt eine andere Bleibe suchen würde, und das machte sie traurig und erfüllte sie gleichzeitig mit Angst. Seit sie eingezogen waren, war sie ein wenig glücklicher gewesen und hatte seltener an all die Dinge gedacht, die sie verloren hatte. Die beiden waren inzwischen für sie fast zu einer Familie geworden, die einzige Familie, die sie hatte.

»Fühlen wir uns jetzt besser, Mrs. Reynolds?«

Fifi öffnete die Augen und betrachtete die Krankenschwester, die sich über sie beugte. Sie war Inderin, und sie hatte ein rundliches Gesicht, das wie eine Kastanie glänzte.

»Besser als wann?«, fragte sie mit einiger Mühe, da ihr Mund so trocken war wie eine Wüste. Sie wusste, dass sie im Krankenhaus lag.

»Wir sind in einem Krankenwagen, weil Sie die Treppe hinuntergefallen sind«, hatte Frank ihr erklärt, und später hatte sie dann ein Arzt untersucht, daran erinnerte Fifi sich.

Dennoch war sie verwirrt zu sehen, dass inzwischen heller Tag war. Anscheinend war eine Menge Zeit vergangen, ohne dass sie es mitbekommen hatte.

»Haben Sie Schmerzen?«, erkundigte die Krankenschwester sich und bot ihr eine Schnabeltasse mit Wasser an. »Sie haben nämlich eine kleine Operation hinter sich. Sie sind gerade erst wieder aus der Narkose erwacht.«

Fifi unterzog ihren Körper einer schnellen Überprüfung. Ihr tat alles weh, aber das hatte wohl mit dem Sturz zu tun.

»Echte Schmerzen nicht, nein, es tut einfach weh«, murmelte sie. »Habe ich mir etwas gebrochen?«

»Ich fürchte, ja, das rechte Handgelenk«, antwortete die Krankenschwester. »Können Sie den Gips nicht spüren?«

Fifi senkte den Blick und sah den Gipsverband, der über ihrer Brust lag. Die Finger, die am unteren Ende herausragten, waren geschwollen und verfärbt. Sie bewegte sie ein wenig, und ein scharfer Schmerz durchzuckte ihren Arm, doch sie fand, dass sie noch einmal Glück gehabt hatte, wenn das ihre einzigen Verletzungen waren. »Was ist mit dem Baby?«, fragte sie, beinahe als wäre es ihr jetzt erst eingefallen.

Als die Krankenschwester zögerte, war Fifi plötzlich hellwach. »Habe ich es verloren?«

»Es tut mir so furchtbar leid, Mrs. Reynolds«, sagte die Schwester mit ihrem eigenartigen Singsang. »Ich fürchte, Sie hatten eine Fehlgeburt, und wir mussten auch noch eine Ausschabung vornehmen. Aber Ihr Mann wird gleich zu Ihnen herunterkommen, er wird Ihnen alles Weitere erzählen.«

Fifi war zu benommen, um sprechen zu können. Sie schloss die Augen und ließ die Krankenschwester in dem Glauben, sie sei wieder eingeschlafen.

Sie hatte also ihr Baby verloren, und was nicht auf natürlichem Wege abgegangen war, hatte man weggekratzt. Und wer würde um dieses kleine Leben trauern? Ihre Eltern hatten es nicht willkommen geheißen, sie hatte es nicht einmal selbst willkommen geheißen, jedenfalls nicht zu Anfang. Dan war der einzige Mensch, der sich sofort unbändig über das Kind gefreut hatte.

Wie kam es, dass sie, die den Gips an ihrem Arm kaum registrierte, sehr wohl spürte, dass ihr das Herz brach?

Einige Zeit später wurde Dan in einem Rollstuhl in ihr Zimmer gebracht. Als sie ihn ihren Namen flüstern hörte, schlug sie die Augen auf und sah, dass in seinen Augen Tränen standen.

»Man hat mir erst heute Morgen erzählt, dass du eingeliefert worden bist«, sagte er gebrochen. »Sie wollten mich nicht zu dir lassen, weil du noch operiert werden musstest. Ich dachte, es ginge um dein Handgelenk. Sie haben mir erst vor einer Stunde erzählt, dass du das Baby verloren hast.«

Fifi begann zu weinen, und Dan bewegte seinen Rollstuhl so nah an das Bett heran wie nur möglich, um sie in den Arm zu nehmen und mit ihr zu weinen.

Später versuchte Fifi, ihm zu erzählen, wie es so weit gekommen war: ihr Sturz auf der Straße, ihre Angst vor dem Gewitter und zu guter Letzt Alfies Anblick auf der Gartenmauer.

»Ich habe wahrscheinlich geglaubt, dass er in die Wohnung kommen würde, um mir etwas anzutun«, beendete sie ihre Erklärung. »Aber ich erinnere mich nicht genau. Ich weiß auch nicht mehr, was danach geschehen ist. Abgesehen davon, dass Frank mit mir im Krankenwagen war.«

»Frank ist heute Morgen zu mir gekommen, kurz nachdem man mir erzählt hatte, dass du in der vergangenen Nacht eingeliefert worden bist«, berichtete Dan. »Er sah ziemlich mitgenommen aus; ich denke, er hat die ganze Nacht hier zugebracht, und sie wollten ihn nicht hereinlassen, da keine Besuchszeit war, aber er hat sich nicht abweisen lassen. Wir haben inzwischen miteinander geredet. Offensichtlich bist du im Krankenwagen wieder zu dir gekommen, und das Erste, was du gesagt hast, war, dass Alfie auf der Mauer hinter dem Haus gestanden habe.«

»Ihr denkt wahrscheinlich, ich hätte es mir nur eingebildet«, flüsterte sie unter Tränen. »Doch das stimmt nicht, ich habe ihn im Licht eines Blitzes ganz deutlich gesehen. Warum sollte er mitten in einem Gewitter auf diese Mauer steigen, wenn er nicht etwas Böses im Schilde führte?«

»Frank glaubt nicht, dass du es dir eingebildet hast. Er ist nach Hause gegangen, um festzustellen, ob das Geißblatt, das auf der Mauer wächst, niedergetrampelt worden ist. Wahrscheinlich hat Alfie wieder seine Spannernummer abgezogen. Er konnte auf diesem Weg unmöglich ins Haus gelangen; Frank hält seine Gartentür immer fest verschlossen und verriegelt. Übrigens hat er mir auch erzählt, dass du schon Freitagabend aus Bristol zurückgekommen bist, nicht erst am Samstag. Warum habe ich das nicht von dir erfahren, Fifi?«

Es tat Fifi leid, dass er es von Frank erfahren hatte, aber irgendwann hätte sie es ihm wohl ohnehin erzählen müssen.

»Weil ich einen Streit mit meiner Mutter hatte und nicht wollte, dass du dich deswegen sorgst.«

Er wusste, dass es bei dem Streit um ihn gegangen war, das konnte sie ihm am Gesicht ablesen. »Ich hoffe, sie wird stolz auf sich sein, wenn ich sie anrufe und ihr mitteile, was dir zugestoßen ist.«

»Meine Mutter trifft keine Schuld daran.«

»Sie hat dich erregt und allein nach Hause fahren lassen«, widersprach er. »Erzähl mir nicht, dass es damit nicht angefangen hätte! Es war so, das weiß ich. Du warst gestern nicht du selbst, ich habe gespürt, dass irgendetwas dich aus der Fassung gebracht hatte. Und jetzt haben wir unser Baby verloren, und um das zu überwinden, wirst du länger brauchen als für die Heilung deines gebrochenen Handgelenks.«

Am nächsten Morgen kam Dr. Hendry noch einmal zu Fifi und fand sie in sehr selbstmitleidiger Stimmung vor. Das überraschte ihn nicht; sie hatte wahrscheinlich wegen der Schmerzen an ihrem Handgelenk nicht gut geschlafen, und ihr ganzer Körper war zerschunden. Aber die Schmerzen waren neben dem Verlust ihres Babys zweitrangig, das war Dr. Hendry klar.

»Das Baby war nicht geplant«, platzte sie heraus, beinahe so, als glaubte sie, selbst die Schuld an ihrer Fehlgeburt zu tragen. »Ich hatte gerade erst angefangen, mich darauf zu freuen. Was ist los mit mir, dass ich in einem Gewitter so völlig die Beherrschung verliere? Bleiben schwangere Frauen nicht angeblich ruhig und beschützen ihr Kind vor jedwedem Schaden?«

Dr. Hendry war über sechzig, und in einem halben Leben als Arzt hatte er viele Frauen kennen gelernt, die sich nach dem Verlust eines Kindes auf diese Weise Vorwürfe machten.

»Meiner Erfahrung nach kommt es zu Fehlgeburten, ganz gleich, wie gut die Mutter versorgt ist«, erklärte er sanft. »Ich habe Frauen nach weit schlimmeren Unfällen als Ihrem gesunde Babys zur Welt bringen sehen, während andere Frauen ihre Kinder ohne jeden erkennbaren Grund verloren haben. Sie dürfen sich keine Vorwürfe machen, Mrs. Reynolds, und es besteht absolut kein Grund zu der Annahme, dass Sie nicht in wenigen Monaten ein anderes Baby voll austragen können. Aber ich möchte Sie noch für eine Woche zur Beobachtung im Krankenhaus behalten.«

»So lange kann ich nicht hierbleiben«, rief Fifi entsetzt. »Dan kommt morgen nach Hause, und er braucht jemanden, der sich um ihn kümmert.«

Hendry hatte bereits mit Dan Reynolds gesprochen, und obwohl er von dem Überfall wusste und ihm die Tatsache bekannt war, dass das attraktive junge Paar nicht unter den besten Umständen lebte, entlockte ihm Mrs. Reynolds Überzeugung, ihr Mann könne ohne sie nicht zurechtkommen, ein Lächeln.

Auf ihn hatte Dan Reynolds ganz den Eindruck eines Mannes gemacht, der alle möglichen Katastrophen überstehen und dabei noch immer Witze reißen konnte.

»Ihr Mann scheint mir nicht der Typ zu sein, um den sich irgendjemand kümmern müsste, aber wie dem auch sei, wir werden ihn noch für ein oder zwei Tage hierbehalten«, erklärte er. »Sie haben beide in der letzten Zeit zu viel durchgemacht – Sie brauchen Ruhe, bevor Sie versuchen, in Ihr normales Leben zurückzukehren.«

Am Montagnachmittag lag Fifi in ihrem Krankenhausbett und wartete auf Dans Besuch. Am Sonntag hatte es den ganzen Tag heftig geregnet, aber jetzt schien wieder die Sonne. Fifi hatte sich an das Gewicht des Gipsverbands an ihrem Arm gewöhnt, obwohl es ihr noch immer schwerfiel, sich mit der linken Hand das Gesicht zu waschen und die Zähne zu putzen. Doch der Verlust ihres Kindes war noch ebenso frisch wie ihre Verletzungen; wann immer sie die Hand auf den Bauch legte, wurde sie daran erinnert, dass dort kein kleiner Mensch mehr heranwuchs.

Sie befand sich auf einer gynäkologischen Station, das wusste sie jetzt. Alle zwölf Frauen, die hier lagen, warteten entweder auf eine Operation – hauptsächlich handelte es sich um Gebärmutterentfernungen – oder erholten sich von einem Eingriff. Die jüngste Patientin war achtzehn; sie hatte Fifi erzählt, dass sie eine Zyste an einem ihrer Eierstöcke habe, die morgen operiert werden sollte. Die älteste Frau war über sechzig.

Da Fifi noch nie im Krankenhaus gewesen war, konnte sie nicht beurteilen, ob diese Station besser oder schlechter war als andere, aber eine der Schwestern hatte gesagt, dies sei ihre Lieblingsstation, weil die Patientinnen im Allgemeinen guten Mutes und nur selten wirklich schwer krank seien.

Sollte dies ein sanfter Hinweis sein, dass sie sich zusammenreißen und fröhlich sein sollte, weil sie nicht krank war?, hatte Fifi sich gefragt, doch sie brachte einfach nicht die Willenskraft auf, zu plaudern oder zu lachen wie die meisten anderen Frauen.

Frank hatte sie am vergangenen Abend mit Yvette besucht und ihr das Nachthemd, den Morgenmantel und die Toilettengegenstände gebracht, die Miss Diamond für sie zusammengesucht hatte. Außerdem hatte Frank ihr Blumen aus seinem Garten und eine Schachtel Pralinen geschenkt, und Yvette hatte ihr einige Zeitschriften und ein kleines Fläschchen mit nach Blumen duftendem französischem Parfüm mitgebracht. Außerdem hatte sie Genesungskarten von verschiedenen Leuten in der Straße erhalten, und Stan hatte einen kleinen Korb mit Obst für sie zusammengestellt. Miss Diamond hatte auf ihrer Karte geschrieben, Fifi nach ihrer Heimkehr mit Freuden beim Ankleiden und anderen wichtigen Tätigkeiten zu helfen, und dass sie, wenn sie etwas aus dem Laden benötige, lediglich Frank eine Liste zu geben brauche.

Es war rührend zu sehen, dass so viele Menschen an ihr und Dan Anteil nahmen, dennoch verschlimmerten all der Wirbel, die Fragen und die Aufmerksamkeit Fifis Zustand noch. Sie hätte alles dafür gegeben, allein in einem Raum zu liegen und nur von Dan Besuch zu bekommen.

Die Stationstür wurde geöffnet, und eine Welle von Besuchern strömte hindurch. Die Menschen lächelten und winkten, wenn sie ihre Mütter, ihre Ehefrauen, Schwestern oder Freundinnen sahen.

Fifi hatte ihre Mutter und ihren Vater unter ihnen sofort entdeckt. Sie traute kaum ihren Augen, denn ihre Eltern waren die Letzten, die sie hier erwartet hätte.

Ihr Vater trug normalerweise ein altes Tweedjackett, in dessen Brusttasche seine Pfeife steckte, außerdem Cordhosen und braune Lederschuhe, und diese Aufmachung passte perfekt zu ihm. Aber heute trug er das, was er als seinen besten Anzug betrachtete, einen dunkelgrauen Nadelstreifenanzug. Fifi und Patty hatten hinter seinem Rücken oft darüber gekichert, weil das gute Stück nach der Mode der Kriegszeit geschneidert war, mit breiten Aufschlägen und sehr ausgebeulten Hosen.

Dass er diesen Anzug für den Besuch bei ihr ausgewählt hatte, verriet seine Gemütsverfassung, denn er warf sich nur in Schale, wenn er vor irgendetwas Angst hatte.

Auch ihre Mutter hatte sich mit besonderer Sorgfalt gekleidet, sie trug ein hellblaues Kostüm, Schuhe mit hohen Absätzen, Handschuhe und einen Strohhut. Aber das war durchaus eine normale Aufmachung für sie, wenn sie ausging.

Fifi wusste selbst nicht, was sie empfand, als sie sie kommen sah. Sie hatte Dan gebeten, sie nicht anzurufen, doch er hatte sich offensichtlich über ihre Bitte hinweggesetzt.

»Mein armer Liebling«, rief Clara, die ihre mütterliche Zuneigung unverhohlen zur Schau stellte, als sie förmlich durch den Raum flog. »Was für ein schreckliches Martyrium du durchgemacht hast! Es tut uns so leid!«

»Warum?«, fragte Fifi scharf. Sie fand, dass ihre Mutter der unaufrichtigste Mensch auf dem Planeten sein musste. »Ihr solltet euch darüber freuen, dass es kein Baby mehr gibt.«

»Rede nicht so«, sagte ihr Vater gereizt. »Deine Mutter war ganz außer sich, seit Dan angerufen hat.«

»Es überrascht mich, dass sie sich überhaupt dazu überwinden konnte, mit ihm zu sprechen«, erwiderte Fifi mürrisch.

»Ich war derjenige, der mit ihm gesprochen hat«, erklärte ihr Vater tadelnd. »Und Dan wird dir gewiss bestätigen, dass ich sehr betroffen war, als ich von deinem Sturz und der darauf folgenden Fehlgeburt erfahren habe. Wenn er uns gestern ein wenig früher angerufen hätte, wären wir sofort hergekommen.«

»Wenn du am Freitag doch nur nicht beleidigt davongelaufen wärst«, warf Clara ein, »dann wäre das vielleicht nicht passiert.«

»Was du sagen willst, ist: ›Wenn ich mich dir gegenüber doch nur nicht so schlecht benommen hätte‹«, korrigierte Fifi sie. »Ich bin jetzt eine verheiratete Frau. Wenn ihr Dan nicht akzeptieren und versuchen könnt, ihn zu mögen, dann will ich nichts mehr mit euch zu tun haben.«

»Ich verstehe, wie du dich fühlst«, versicherte ihr Vater hastig und warf seiner Frau einen Blick zu, als wollte er sie warnen, nicht auf Fifis Bemerkung zu antworten. »Aber du musst auch versuchen zu verstehen, was du uns mit deiner heimlichen Heirat angetan hast. Natürlich hatten wir danach eine sehr schlechte Meinung von Dan. Doch als ich gestern mit ihm telefoniert habe, war ich angenehm überrascht, wie einfühlsam er war, und es war offenkundig, dass er dich liebt. Also entschuldige ich mich dafür, dass ich ihm unrecht getan habe, und ich werde in Zukunft versuchen, ihn besser kennen zu lernen.«

Fifi war sehr froh, das zu hören, doch die angespannte Miene ihrer Mutter verriet ihr, dass dieser Sinneswandel einseitig war. »Hm, vielleicht könntet ihr damit anfangen, indem ihr ihn ebenfalls besucht?«, sagte sie.

»Natürlich werden wir ihn besuchen«, entgegnete ihr Vater. »Ich wollte ihm vorschlagen, dass ihr beide nach eurer Entlassung aus dem Krankenhaus nach Hause kommt, um euch ein wenig zu erholen. Dir werden sicher viele Dinge schwerfallen, solange du die rechte Hand nicht benutzen kannst, und Patty und die Jungen werden sich freuen, dich zu sehen, und sie werden dir sicher gern helfen.«

Diese plötzliche Kehrtwende verblüffte Fifi, und es rührte sie, wie sehr ihr Vater sich um eine Versöhnung bemühte. Sie wünschte sich beinahe, seinen Vorschlag annehmen zu können, und sei es auch nur, um ihm zu zeigen, dass sie ihm nichts übel nahm. Aber weder sie noch Dan würden es bei ihren Eltern in Bristol aushalten, das wusste sie.

»Das ist sehr lieb von dir, Dad«, sagte sie. »Ich weiß dein Angebot sehr zu schätzen, doch ich denke, wir werden in unserer Wohnung schon zurechtkommen. Die Nachbarn sind sehr nett, außerdem werde ich auch im Büro auftauchen müssen. Ich weiß, dass ich nicht tippen kann, aber ich könnte meinen guten Willen unter Beweis stellen, indem ich anbiete, die Aktenablage oder ähnliche Dinge zu übernehmen.«

»Mach dich nicht lächerlich!«, rief Clara. »Du wirst noch wochenlang nicht arbeiten können. Und sie werden dir ohnehin kündigen, also gibt es keinen Grund für dich, in London zu bleiben.«

»Dies ist unser Zuhause«, entgegnete Fifi scharf, erstaunt darüber, dass ihre Mutter so wenig Einfühlungsvermögen besaß. »Außerdem denke ich durchaus, dass ich bei der Kanzlei bleiben werde. Wenn du glaubst, wir hätten kein Geld zum Leben, dann irrst du dich. Wir haben Ersparnisse. Du siehst, wir waren durchaus verantwortungsbewusst.«

»Ich stelle fest, dass es keinen Sinn hat, mit dir zu reden«, erwiderte Clara schroff. »Wir hätten ebenso gut zu Hause bleiben können.«

Bei diesen Worten begann Fifi zu weinen. Alles, was sie wollte, war eine Umarmung und ein wenig Mitgefühl, weil sie ihr Baby verloren hatte; das musste doch jeder Frau klar sein?

»Na komm, Fifi.« Ihr Vater nahm sein Taschentuch heraus und versuchte, ihr die Augen zu trocknen. Er wirkte angespannt und verlegen, aber Gefühlsausbrüche hatten ihm schon immer arg zugesetzt. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Das mit dem Baby tut mir so leid, und dasselbe gilt für deine Mutter, doch sie ist im Augenblick ein wenig überreizt.«

»Fahrt nach Hause«, sagte Fifi, immer noch weinend. »Ich bin auch überreizt, und ich habe sehr viel mehr Grund dazu als Mum. Und lass sie auf keinen Fall in Dans Nähe, er hat bereits genug mitgemacht.«

Clara wandte sich ab und ging davon, und ihre ganze Gestalt war starr vor Entrüstung. Harry stand einfach nur da und blickte vollkommen ratlos drein.

»Du gehst ihr besser nach, Dad«, meinte Fifi, während sie gegen die Tränen ankämpfte. »Sonst wird sie auch dir das Leben zur Hölle machen.«

»Sie benimmt sich nur deshalb so, weil sie Schuldgefühle hat«, erwiderte er traurig, bevor er sich vorbeugte, um Fifi auf die Stirn zu küssen. »Sie macht sich Vorwürfe, weil du das Kind verloren hast, doch sie bringt es nicht fertig, das auszusprechen.«

»Ich glaube nicht, dass sie mir noch genug bedeutet, um zu versuchen, Verständnis für sie aufzubringen«, murmelte Fifi niedergeschlagen. »Ich habe lediglich den Mann geheiratet, den ich liebe. Was war daran so schrecklich?«

Fifi ging langsam hinter Dan, der ihre kleine Reisetasche trug, die Treppe hinauf.

»Es ist alles blitzsauber«, erklärte er und drehte sich nach ihr um. »Yvette war gestern hier und hat alles aufgeräumt, was ich während meines Alleinseins verwüstet habe. Sie hat sogar den Herd sauber gemacht.«

Fifi konnte Möbelpolitur und Putzmittel riechen, und sie wusste, dass die Wohnung keine Ähnlichkeit mehr mit der Behausung hatte, in die sie an jenem Tag im Mai eingezogen war. Aber wie schon damals beschlich sie auch heute eine böse Ahnung; sie hatte nicht das Gefühl, nach Hause zu kommen.

»Das war sehr nett von ihr«, antwortete sie steif. »Es erstaunt mich, dass sie in der Lage ist zu putzen, da sie in ihrer Wohnung niemals für Ordnung sorgt.« Das war eine schäbige Bemerkung, Fifi wusste es selbst, aber sie konnte einfach nicht anders.

»Alle waren sehr nett«, sagte Dan mit einem Anflug von Tadel in der Stimme. »Miss Diamond hat uns einen Rindfleischeintopf zum Abendessen zubereitet, ich brauche ihn nur noch aufzuwärmen.« Fifi rümpfte bei dieser Bemerkung verächtlich die Nase, doch Dan fuhr fort: »Stan hat dir Blumen gebracht und Frank ein paar Zeitschriften.«

Fifi entgegnete nichts mehr, sondern ging wortlos ins Wohnzimmer und setzte sich. Es war, wie Dan beteuert hatte, makellos sauber. Die Blumen waren wunderschön, Rosen und blassrote Nelken; Yvette hatte sie in eine Vase gestellt.

»Eine Tasse Tee?«, fragte Dan.

Fifi nickte. Sie wollte nicht so sein, so mürrisch und unliebenswert, erst recht nicht Dan gegenüber, der so tapfer gewesen war und sich niemals über seine Verletzungen beklagt hatte, aber sie fühlte sich so elend, dass sie nicht aus ihrer Haut herauskonnte.

Während Dan draußen auf dem Treppenabsatz den Kessel aufsetzte, blickte Fifi aus dem Fenster und sah Molly Muckle mit ihrer ältesten Tochter, Mary, aus dem Haus kommen. Molly schrie nach Alan, Joan und Angela, die auf der Straße vor dem Kohlenhof spielten. Bei dem schrillen Klang ihrer Stimme zuckte Fifi zusammen, und sie wünschte plötzlich, sie hätte sich bereit erklärt, zu ihren Eltern nach Bristol zu gehen. Womit um alles in der Welt sollte sie hier ihre Tage ausfüllen, bis man ihr den Gips abnahm?

Wahrscheinlich würde sie, eingepfercht in der Wohnung, verrückt werden. Zu Hause hätte sie zumindest im Garten in der Sonne liegen und einige alte Freunde besuchen können. Die Dale Street wirkte so schmutzig und trostlos, und sie wollte keinen ihrer Nachbarn sehen, denn sie würden alle voller Mitgefühl für sie sein. Wie konnte sie irgendjemandem erklären, wie mutlos sie war?

Im Rückblick schien es ihr, als hätte ihr ganzes Leben keinen Sinn gehabt, und sie konnte nichts anderes vor sich sehen als eine Verlängerung der Vergangenheit. Ein Kind hätte alles verändert, sie wären von hier fortgezogen, und es wäre so aufregend gewesen, die neue Wohnung in ein Heim zu verwandeln. Jetzt, da weder sie noch Dan arbeiten konnten, würden sie ihre Ersparnisse aufzehren, und es würde wahrscheinlich noch einmal einige Jahre dauern, bis sie wieder in der Lage waren, ein Haus zu kaufen.

»Bitte schön«, sagte Dan und stellte eine Tasse Tee und einen Marmeladen-Doughnut vor sie auf den Beistelltisch, bevor er sich in den anderen Sessel setzte. »Es ist schön, dich wieder zu Hause zu haben. Es war mir grässlich, ohne dich ins Bett zu gehen.«

Fifi begann zu weinen, und Dan sah sie erschrocken an. »Was ist los?«, fragte er und stand auf, um sich vor sie hinzuknien. »Fühlst du dich schlecht?«

»Ich weiß nicht, was los ist«, schluchzte sie. Das war die Wahrheit. Wie konnte sie erklären, dass alles, was ihr einmal so kostbar gewesen war, keine Rolle mehr zu spielen schien? Sie wollte nur allein sein, doch sie wusste, wenn dieser Wunsch in Erfüllung gegangen wäre, hätte sie auch das gehasst. Sie wollte nicht, dass man großen Wirbel um sie machte, aber wenn die Leute rasch zur Tagesordnung übergingen, würde sie auch das verletzen. Alles war so widersprüchlich – alles, bis auf ihren Kummer über den Verlust des Babys. Das war das einzig Beständige.

»Dr. Hendry hat mir erklärt, dass du für eine Weile ein wenig weinerlich sein würdest«, bemerkte Dan sanft und versuchte, sie an sich zu ziehen. »Er meinte, es gäbe in deinem Fall keine schnelle Heilung, aber ich solle dafür sorgen, dass du viel Ruhe bekommst, gutes Essen und auch ein wenig Bewegung. Warum legst du dich nicht etwas hin? Ich bereite uns eine Suppe zum Mittagessen zu, danach könnten wir im Park spazieren gehen.«

»Ich will nicht durch diesen schäbigen Park laufen, ich fühle mich, als würde sich mir gleich das Innerste nach außen kehren«, fuhr sie ihn an. Das entsprach nicht der Wahrheit. Es hatte sich so angefühlt, als sie im Krankenhaus das erste Mal aufgestanden war, aber das Problem hatte sich innerhalb von vierundzwanzig Stunden gelöst. Trotzdem zog sie es vor, einen medizinischen Grund für ihre Niedergeschlagenheit zu haben, statt den Eindruck zu erwecken, ein wenig verrückt zu sein.

»In Ordnung.« Dan zuckte die Schultern. »Dann bleiben wir eben hier. Wie wäre es, wenn wir uns beide jetzt hinlegen würden? Es ist lange her, seit wir das letzte Mal geschmust haben.«

»Ich bin nicht in der Verfassung für Sex«, schrie sie ihn an. »Kannst du denn niemals an etwas anderes denken?«

Dan stand auf und ging. An der Tür drehte er sich noch einmal zu ihr um, und in seinen Zügen standen Kränkung und Kummer. »Ja, ich denke an andere Dinge«, sagte er. »Ich denke zum Beispiel darüber nach, wie leid es mir tut, dass wir unser Baby verloren haben, ich denke darüber nach, dass ich dich heute nicht in eine hübschere Wohnung habe heimholen können und dass ich mir keinen Wagen leisten kann, um dich irgendwo hinzufahren, wo es schön ist. Ich denke darüber nach, welches Glück wir haben, dass unsere Nachbarn alle so freundlich sind. Und ich denke, dass du tatsächlich sehr neben dir stehen musst, wenn du glaubst, ich wollte mit dir schlafen, obwohl du so unglücklich bist.«