5

Isabel warf einem Stallburschen ihre Zügel zu, sobald sie im Hof angehalten hatten, und eilte in die Halle. »Mylady, wir haben uns Sorgen gemacht, Ihr wart so lange fort«, sagte Hannah, die ihr entgegenkam. »Gütiger Himmel, was ist mit Eurem Gewand geschehen?«

»Nichts – es geht mir gut.« Alles schien hier nur allzu friedlich. Sie sah kein Zeichen eines drohenden Einmarschs. Susannah brachte gerade das Abendessen aus der Küche, und Orlando saß mit hochgelegten Füßen am Kamin, oder hatte mit hochgelegten Füßen am Kamin gesessen – er erhob sich, sobald er sie auf sich zukommen sah. »Wo ist Simon?«, fragte sie. »Ist er noch unten?« Sie blickte in Richtung Keller.

»Nein, Mylady«, antwortete der Zwerg und schnitt ihr eilig den Weg ab, bevor sie die Tür erreichte. »Er ist zum Nachdenken in den Wald gegangen.«

»In den Wald? Natürlich.« Wo sonst wäre er wohl hingegangen, bei dem Glück, das sie im Moment hatte? Er hatte keine Rüstung – nicht einmal ein Schwert. Sie wandte sich wieder an Hannah. »Geh und hol Kevin, bitte, und jeden anderen Mann innerhalb der Tore – Raymond ist auch draußen. Sag ihnen, sie sollen alle verfügbaren Waffen mitbringen. Sie werden gehen und ihn suchen müssen.«

»Das ist wohl kaum nötig«, protestierte Orlando. »Ich bin mir sicher, dass er innerhalb der nächsten Stunde zurückkehren wird …«

»Nicht wenn er von einem Wolf gefressen wird«, unterbrach sie ihn. Hannah wurde bleich, aber sie lief zu der in den Hof führenden Tür und rief auf dem Weg nach ihrem Ehemann.

»Ein Wolf, Mylady?«, fragte Orlando, als sie sich zum Gehen wandte. »Was für ein Wolf?«

»Der Wolf, den wir im Wald gesehen haben.« Sie wandte sich zu Susannah um, die ihr Tablett abgestellt hatte, um Isabels ruiniertes Gewand genauer zu betrachten. »Wo ist Brautus? Geht es ihm gut?«

»Ziemlich gut«, sagte Susannah.

»Geh und sieh nach, ob er in die Halle hinunterkommen kann – hilf ihm, wenn es nötig ist.« Das Dienstmädchen nickte und ging. »Aber lass ihn nicht merken, dass du ihm hilfst.«

»Keine Angst, Mylady«, sagte das Mädchen über die Schulter. »Ich weiß, was zu tun ist.«

Kevin und die anderen kamen bereits mit Hannah herein, mit Hofgeräten und Äxten bewaffnet – und Raymonds Cousin trug noch immer seine uralt wirkende Pike. »Wo ist er hingegangen?«, fragte Kevin Orlando.

»Das weiß ich nicht«, erwiderte der Zwerg und betrachtete argwöhnisch ihre Waffen.

»Ist er zumindest zu Pferde?«, fragte Isabel.

»Nein, das ist er nicht«, sagte Orlando mit seltsamem, schwachem Lächeln. »Er brauchte keines. In Wahrheit müsst Ihr nicht um ihn fürchten, Lady Isabel. Ich bin mir recht sicher, dass er in Sicherheit ist.«

»Ihr habt diesen Wolf nicht gesehen, kleiner Freund«, bemerkte Raymonds Cousin lachend. »Er war mindestens so groß wie ein Pony, so lang, wie ein Mensch groß ist und schwarz wie das Nachtgewand Satans.«

»Tatsächlich?«, fragte Orlando mit hochgezogener Augenbraue. »So schwarz?«

»Wichtiger noch, gestern Abend wurde auf der königlichen Straße eine Frau getötet, möglicherweise von genau diesem Wolf«, unterbrach Isabel ihn. Dies schien die Haltung des kleinen Zauberers ein wenig zu erschüttern – er sah sie überrascht an. »Die Kehle war auf- und ihr Herz herausgerissen.«

»Und ihr Blut«, fügte Raymond hinzu. »Es war kein Blut mehr in ihr.«

»Was ist mit den Übrigen, Mylady?«, fragte Kevin. »Nicht dass es mich nicht tief betrüben würde zu denken, dass Euer Cousin gefressen werden könnte, aber wir haben in diesen Wäldern auch Freunde.«

»Ich weiß«, sagte Isabel und berührte seinen Arm. »Wir werden sie natürlich alle hereinbringen.«

»Hier ist Euer Verwandter, Mylady«, sagte Hannah, als Simon die Halle betrat. »Gelobt seien die Heiligen.«

»Absolut«, stimmte Orlando ihr zu und ging seinem Herrn entgegen.

Simon hatte geahnt, dass es Isabel und ihr Gefolge erschrecken würde, wenn er sich in Wolfsgestalt im Wald aufhielt, und er hatte eine, wie er hoffte vernünftige, Zeitspanne abgewartet, bevor er ihnen zum Schloss gefolgt war. Aber er hätte niemals erwartet, dass Isabel bereits ein Heer zusammengerufen hätte, bevor er eintraf. »Was ist los?«, fragte er und trat zu ihr, wechselte aber einen Blick mit Orlando.

»Ein Wolf, Herr«, antwortete der Zwerg und wirkte trotz des spitzbübischen Glitzerns in seinen Augen angemessen ernst. »Im Wald. Lady Isabel und ihre Männer haben ihn vorhin gesehen, und sie war recht besorgt um Eure Sicherheit.«

»Das ist sehr freundlich, Cousine«, sagte er und lächelte Isabel zu, aber sie schien nicht besonders vergnügt oder erleichtert darüber zu sein, dass er in Sicherheit war.

»Ich muss mit Euch reden«, sagte sie.

»Natürlich.« Er nahm instinktiv ihre Hand und spürte den Aufruhr in ihr, der in keinem Verhältnis zu einem einzelnen Wolf im Wald stand. Er bemerkte zum ersten Mal, dass ihr Gewand schlammgetränkt war, und ihre warme, kleine Hand in der seinen zitterte. Und da war noch etwas, eine Erinnerung, die an ihm nagte … er hatte sie irgendwie schon zuvor berührt. »Geht es Euch gut?«

»Im Moment.« In Wahrheit war sie durch seine Berührung verwirrt, wie auch durch alles andere. Er schien sich nicht einmal an ihre letzte Begegnung zu erinnern, als hätte er wirklich geträumt, als er sie heute Morgen an die Wand gedrängt und halb zu Tode erschreckt hatte. Konnte das wirklich sein? Er hatte die Kleidung ihres Vaters angelegt, der Engel war nun in einen adligen Ritter verwandelt. Aber sie konnte es sich nicht leisten, über solche Angelegenheiten, Kleidung oder Träume, nachzudenken. Es stand zu viel auf dem Spiel. »Ihr müsst mir helfen, Simon«, sagte sie und schaute zu ihm hoch. »Ihr müsst Charmot helfen.«

»Natürlich«, wiederholte er und hob ihre Hand an seine Lippen. Ihr Haar war zerzaust, so derangiert wie ihr Gewand, und ihre Wangen waren totenbleich, aber sie war noch immer so wunderschön, dass es ihm den Atem raubte. Plötzlich erinnerte er sich. Sie war heute Morgen in sein Zimmer gekommen. Sie hatte ihn aus dem Schlaf erweckt. Er bemühte sich, sich genau zu erinnern, was geschehen war, aber in seinem Geist war alles nur bruchstückhaft vorhanden. Er hatte sie nicht verletzt, offensichtlich, sonst würde sie jetzt nicht so ruhig hier stehen und ihre Hand in seiner lassen. Aber was hatte er zu ihr gesagt? Was hatte er getan? »Sagt mir, was zu tun ist«, erklärte er, und sein Schuldgefühl wegen dem, was er ihr vielleicht bereits angetan hatte, steigerte seine Bereitschaft, ihr nun bei ihrem Problem zu helfen.

»Die Häusler«, antwortete sie, und ein Schauder durchlief sie. »Jemand muss sie ins Schloss bringen.

»Habt Ihr in den Ställen ein Fuhrwerk?«, fragte er.

»Natürlich«, antwortete Kevin an ihrer statt. »Wir können im Handumdrehen bereit sein, Mylord.«

»Gut«, erwiderte Simon und nickte. »Und diese Männer, können sie reiten?«

»Einige können es«, sagte der Stallbursche. »Wir haben allerdings außer dem Gespann für den Wagen nur noch die beiden anderen Pferde. Und eines davon …« Er brach ab, während er Isabel ansah. Brautus kam herein, stützte sich nur leicht auf Susannahs Schulter, und der Stallbursche sah auch ihn an.

»Simon wird Malachi reiten«, sagte Isabel und blickte dabei zu Brautus. Der uralte Ritter erwiderte ihren Blick für einen langen Moment und war offensichtlich wenig erfreut. Aber schließlich nickte er.

»Ja, Mylady«, antwortete Kevin und eilte hinaus, die Übrigen folgten ihm.

Simon schaute zu Orlando, er umschloss Isabels kleine Hand noch immer mit der seinen. »Keine Angst, Cousine«, versprach er. »Wir werden die Häusler in Sicherheit bringen.«

»Seid vorsichtig, Herr«, warnte Orlando. »Es heißt, dieser Wolf habe bereits getötet.« Simons Augen weiteten sich. »Es heißt, er habe gestern Abend einer Frau die Kehle herausgerissen, ihr Herz verschlungen und alles Blut aus ihr genommen.«

»Ein Wolf hat das getan?«, fragte Simon. Gerade war ein stämmiger, weißhaariger Ritter hereingekommen und beobachtete sie – zweifellos der unmaskierte Schwarze Ritter. Aber diese Geschichte von einer ermordeten Frau war weitaus beunruhigender. »Das ist nicht möglich – warum würde ein Wolf …«

»Ich habe es gesehen«, unterbrach Isabel ihn. Sie entzog ihm ihre Hand. »Ich sah den Leichnam der Frau, die getötet wurde, und ich sah den Wolf. Ob er die Frau getötet hat, kann ich nicht sagen, aber ich halte es durchaus für möglich.«

»Ihr habt den Leichnam der Frau gesehen?«, fragte Simon.

»In der Kapelle des Heiligen Joseph, der Kirche in dem Charmot nächstgelegenen Dorf«, antwortete sie. »Raymond und seine Frau fanden sie heute Morgen auf der Straße, und Raymond und sein Cousin brachten sie zur Kirche, um zu sehen, ob Pater Colin sie kennt.«

Simon starrte sie nur an – bezweifelte er ihre Worte? »Und, kannte er sie, Mylady?«, fragte Orlando, aber ihr Cousin schwieg. Er wirkte noch blasser als üblich, und seine dunkelbraunen Augen zeigten unverhohlene Sorge.

»Er hatte sie schon einmal gesehen, ja«, antwortete sie dem Zwerg. »Sie hat die vorletzte Nacht im Kirchhof verbracht, wie er berichtete, aber sie wollte ihm nicht sagen, wie sie dorthin gelangt war. Tatsächlich behauptete sie, sie wisse es nicht.« Bei diesen Worten änderte sich Simons Gesichtsausdruck von Sorge zu jähem Entsetzen, aber nur einen Moment lang. Sie schaute zu Orlando, aber der Zauberer schien ruhig zu sein. »Habt Ihr diese Frau gesehen?«, fragte sie, und wandte sich wieder Simon zu. »Kanntet Ihr sie?«

»Nein«, antwortete er rasch. »Sie kennen, nein … Wir haben sie vielleicht gesehen …«

»Wir sahen unterwegs viele Pilger, Madam«, beendete Orlando den Satz für ihn.

»Die Pferde und Wagen sind bereit, Mylord«, vermeldete Kevin, der gerade zurückkam, an ihren Cousin, nicht an sie gewandt. Aber so wollte sie es doch, oder? Sie wollte, dass Simon die Last auf sich nahm, Charmot zu beschützen. Sie wollte, dass die Leute ihm vertrauten, dass er sich um sie kümmerte. Warum also verwirrte sie der Anblick Kevins, der sich Simon fügte? Und was wusste er über das tote Mädchen in der Kirche? Was hätte er wohl gesagt, wenn Orlando nicht hier gewesen wäre und für ihn gesprochen hätte?

»Sehr gut«, antwortete Simon und nickte, und der Stallbursche berührte tatsächlich seine Stirn, bevor er wieder hinausging, eine Geste, die sie seit dem Tod ihres Vaters niemanden seiner Gefolgsleute mehr hatte ausführen sehen. Sie liebten sie. Sie nannten sie »Mylady«. Aber für viele von ihnen würde sie nie mehr als ein Kind sein. »Isabel«, sagte Simon nun und wandte sich ihr wieder zu. »Wir können weiterreden, wenn ich zurückkomme.« Er nahm sie bei den Schultern, so sanft wie zuvor, und küsste sie auf die Wange.

»Wenn Ihr zurückkehrt«, korrigierte sie ihn. Derselbe Schauder, den sie stets verspürte, wenn er sie berührte, durchströmte sie erneut, aber nun störte es sie, war ein weiteres Zeichen ihrer Schwäche. War sie jetzt wie Susannah, die ausschließlich dafür lebte, sich den Kopf von irgendeinem gutaussehenden Mann verdrehen zu lassen, und für die alles andere unwichtig war? Charmot war in Gefahr. Sie hatte keine Zeit für solche Spiele.

Aber Simon lächelte, belustigt, nicht verärgert. »Ihr kränkt mich, Mylady«, neckte er. »Zweifelt Ihr an mir?«

»Warum sollte ich nicht?«, erwiderte sie. »Es ist nicht so, als ob ich Euch kennen würde.«

Sein Lächeln änderte sich kaum merklich, und ein dunkleres Licht trat in seine Augen. »Ihr habt Recht, kleine Cousine«, sagte er und ließ sie los. »Das tut Ihr nicht.«

»Also werdet Ihr diesen Malachi reiten, Herr?«, fragte Orlando.

Simon wandte sich von ihr ab und seinem Dienstboten mit demselben herausfordernden Lächeln zu. »Ja, Orlando, das werde ich.« Er nahm Isabels Hand und küsste sie erneut, dieses Mal weitaus unbekümmerter, und Brautus runzelte die Stirn. »Wir werden zurück sein, bevor Euer Abendessen kalt ist, Mylady.« Er verbeugte sich vor ihr und verließ die Halle, und Kevin folgte ihm.

»Kommt, Mylady«, drängte Susannah und eilte zu ihr, bevor jemand anderer etwas sagen konnte. »Wechseln wir zumindest Euer Gewand.«

Simon folgte Kevin auf den Hof, wobei er noch immer ein Maß an Zuversicht vorgab, das er gerne auch empfunden hätte. Er erkannte, dass Isabels Wolf offensichtlich keine Gefahr darstellte, zumindest nicht für ihn, aber das war seine geringste Sorge. Die Männer von Charmot schienen lächerlicherweise zu wünschen, dass er sie anführte – Kevin hatte ihn so rasch als »Mylord« angenommen, dass es ihn eher benommen machte. Als er dann aus dem Schloss trat, kam der junge Tom mit einem Schwert auf ihn zu. »Das war Sir Gabriels Schwert«, erklärte der Junge und reichte es ihm. »Da Ihr kein eigenes besitzt.«

»Danke«, erwiderte Simon und band es sich um, weil er nicht erkennen konnte, wie er es ablehnen sollte. Die Übrigen nickten oder bekundeten leise ihre Zustimmung. »Er ist immerhin der Verwandte des alten Lord«, hörte er einen von ihnen sagen.

Aber er war nicht Sir Gabriels Verwandter, oder auch nur ein Mensch, was das betraf – eine Lüge, mit der er für sich allein leben konnte. Aber etwas anderes tötete anscheinend die Unschuldigen in den Wäldern um Charmot. Etwas anderes als er. Das Mädchen, das sich ihm an der Kapelle des Heiligen Joseph so lieblich dargeboten hatte, hatte ein anderes Ungeheuer gefunden, das sie noch schlimmer behandelt hatte. Ob sie ihren Tod auf die gleiche Art willkommen geheißen hatte, wie sie ihn empfangen hatte? Er erschauderte bei der Vorstellung – und wer oder was hatte sie getötet? Es wurde ihm bewusst, dass er über den vergangenen Tag und die Nacht nachdachte und zu ergründen versuchte, ob er es getan haben könnte, als könnte ihm die Tötung eines wehrlosen Mädchens einfach entfallen sein. Aber natürlich war dem nicht so.

»Vorsicht, Mylord«, sagte Kevin, als sie bei den Pferden anlangten, und unterbrach so Simons Gedankengang. Der Stallbursche nahm die Zügel des wuchtigen, schwarzen Schlachtrosses, von dem Simon geglaubt hatte, es würde ihm den Schädel zerschmettern, als er zuerst auf Charmot eingetroffen war – Malachi, hatte Isabel ihn genannt. »Ich fürchte, Malachi findet nicht oft Gefallen an Fremden.«

»Das ist schon in Ordnung«, sagte Simon und zwang sich zu lächeln. »Ich auch nicht.« Und außerdem war er ein Vampir. Kein Pferd würde ihn nahe genug herankommen lassen, um es zu berühren, ganz zu schweigen davon, ihn aufsteigen zu lassen. Er hatte Orlando gesagt, er würde dieses Tier reiten, aber das war die Stimme törichten Stolzes gewesen, nicht die Stimme der Vernunft. Jetzt beobachtete Malachi ihn, den großen Kopf warnend gesenkt, obwohl Kevin sich redlich bemühte, seinen Kopf anzuheben. Das Pferd scharrte warnend mit einem Huf und äußerte schnaubend sein Missfallen. »Ruhig, Malachi«, sagte Simon, nahm den leisen, summenden Tonfall an, den er von seinem Vater gelernt hatte, fast bevor er laufen konnte. »Du solltest dich an mich erinnern …« Er trat näher heran, erwartete noch immer, dass das Pferd sich aufbäumen würde. »Du hast schon einmal versucht, mich zu töten.« Er streckte eine Hand aus, berührte die samtige Nase des Pferdes und staunte, dass es dies zuließ. Die übrigen Pferde, eine kleine, braune Stute und das Gespann vor dem Wagen, waren zunehmend unruhig geworden, als er sich näherte, aber als sich der Hengst von ihm berühren ließ, entspannten sie sich instinktiv.

»Bist du nicht ein feiner Junge?«, sagte Simon sanft und wagte es kaum zu atmen, während er den Hals des Pferdes liebkoste. Malachi warf den Kopf auf und stupste ihn an, und der Vampir lachte laut.

»Das ist er«, stimmte Kevin ihm lächelnd zu. »Seid Ihr ein Reiter, Mylord?«

»Ich war es.« Noch immer darauf gefasst, über den Kopf des Pferdes geschleudert zu werden, schwang er sich auf dessen Rücken, aber der Hengst ließ es fast ohne ein Schnauben des Protests zu. »Ich habe schon geraume Zeit kein eigenes Pferd mehr besessen.« Er nahm die Zügel, so freudig erregt, wieder im Sattel zu sitzen, dass er nicht zu fragen wagte, wie das sein konnte. Malachi tänzelte seitwärts, als wollte er loslaufen, und Simon lachte erneut – wie wäre es, diesem Tier die Zügel schießen zu lassen, ihn so weit und so schnell galoppieren zu lassen, wie er wollte? Aber jetzt war keine Zeit dafür.

»Kommt«, sagte er und wendete den Hengst mit nur ganz leichtem Zügeldruck. »Wir haben Lady Isabel versprochen, uns zu beeilen.«

Susannah half Isabel aus ihrem schmutzigen Gewand und Hemd heraus. »Ihr könntet ein wenig freundlicher zu Eurem Cousin sein, Mylady«, sagte sie, während sie zum Schrank trat. »Ihr könntet eine schlechtere Partie machen.«

»Lass die Förmlichkeiten«, erwiderte Isabel lachend. »Sag, was du wirklich denkst.« Sie rieb sich einen Schmutzfleck von ihrer Nase, während sie in den Spiegel sah. »Ich denke, ich war freundlich genug zu Simon – eigentlich zu freundlich.«

»Da spricht Brautus, nicht Ihr.« Sie nahm ein Gewand heraus, inspizierte es und hängte es wieder zurück. »Hört auf ihn, und Ihr werdet in einem Kloster enden.«

»Ich wünschte, ein Konvent würde mich aufnehmen.« Sie betrachtete ihr Spiegelbild ungewohnt lange und musste fast noch einmal lachen. Das war keine Frau, die über eine Heirat nachdenken sollte. Ihre Nase war nun vom Reiben gerötet, ihre Wangen waren blass und von Sorge und zu wenig Schlaf gezeichnet, und ihr wenig damenhaftes rotes Haar wirkte, als hätten während des Tages Schwalben darin genistet.

»Das tut Ihr nicht.« Susannah nahm Isabels bestes Gewand und ein frisches Hemd hervor. »Die letzte Lady, der ich gedient habe, ging in ein Kloster, als ihr Mann starb, und ich glaubte, wir würden auch sterben.« Sie löste mit geschickten Fingern Isabels zerzausten Zopf und nahm die Bürste. »Ihr könntet Euch ebenso gut begraben lassen.«

»Mach dir nicht die Mühe, es zu richten«, schalt Isabel und griff nach der Bürste. »Steck es einfach wieder in den Zopf.« Sie bemerkte das Gewand, das ihr Dienstmädchen ausgewählt hatte. »Und das werde ich nicht anziehen.«

»Warum nicht?« Susannah hielt die Bürste außerhalb von Isabels Reichweite, bis ihre Herrin aufgab und sie weitermachen ließ. »Wofür spart Ihr es auf?«

»Meine Kleidung ist im Moment meine geringste Sorge.« Sie zuckte zusammen, als Susannah einen besonders hartnäckigen Knoten löste. »Ich möchte mit Brautus sprechen, bevor Simon und die anderen zurückkommen.«

»Lasst ihn mit diesem schrecklichen kleinen Zauberer sprechen – sie verdienen einander.« Sie nahm einen Teil von Isabels Haar wie zuvor zu einem Zopf zurück, ließ es aber ansonsten lose auf ihre Schultern fallen. »Ihr solltet Euch keine Sorgen über Wölfe und Mörder machen– lasst die Männer sich um solche Dinge kümmern.«

»Meinst du nicht, das würde ich gerne?«, erwiderte Isabel. »Nun hör auf zu jammern, und reich mir dieses alberne Gewand.« Sie schlüpfte in Hemd und Gewand und ließ Susannah beide Seiten schließen. »Warum bist du eigentlich plötzlich so versessen darauf, dass ich Simon heirate?«, neckte sie. »Ich dachte, du wolltest ihn für dich.«

»Das wollte ich auch«, gab das andere Mädchen zu. »Aber das war, bevor ich ihn wie ein richtiger Adliger rasiert und gekleidet sah.« Sie drehte Isabel zu sich um und betrachtete offensichtlich kritisch das Gesicht ihrer Herrin. »Er ist viel zu fein für mich. Außerdem will er Euch.« Sie kniff Isabel in beide Wangen.

»Autsch! Bist du verrückt geworden?«, fragte Isabel und schlug ihre Hände fort.

»Ihr braucht Farbe …«

»Welche Farbe? Schwarz oder Blau?« Sie wandte sich wieder dem Spiegel zu, um den Schaden zu betrachten, und hielt überrascht inne. Sie sah besser aus, mit ihrem nur halbwegs geordneten Haar weicher und mädchenhafter. Selbst die dunklen Flecke, die Susannah auf ihren Wangen hinterlassen hatte, taten ihre verdiente Wirkung, auch wenn sie schmerzhaft waren. »Simon will mich nicht«, beharrte sie. »Er ist auf einer Suche …«

»O doch, das tut er, trotz seiner Suche.« Susannah lachte und räumte das beschmutzte Gewand fort. »Ich habe in solchen Angelegenheiten ein wenig mehr Erfahrung als Ihr, Mylady. Ihr werdet mir einfach vertrauen müssen.«

»Ich werde nichts dergleichen tun«, erwiderte Isabel und wandte dem Spiegel den Rücken zu. »Ich brauche einen Beschützer für Charmot, Susannah, keinen Ehemann.«

»Ist das nicht beides dasselbe?«, fragte das Dienstmädchen unbeirrt, während sie Isabel die Hausschuhe brachte.

»Nein, das ist es nicht.« Ihr Vater hatte auch so gedacht, und der König ebenfalls, wie sie vermutete – er hatte ihr ausreichend viele verheißungsvolle Interessenten geschickt, um sie das glauben zu machen. Aber der Gedanke schien ihr dennoch falsch, dass sie und Schloss Charmot im Wesentlichen dasselbe wären, ein fester Bestandteil eines einzigen Siegespreises oder einer Bürde. »Ich möchte, dass mein Ehemann mich liebt, Susannah, und nicht nur mein Schloss.«

Das andere Mädchen lächelte. »Dann solltet Ihr besser damit beginnen, Euer Haar ein wenig häufiger zu bürsten und bessere Kleidung zu tragen.«

»Muss ich das tatsächlich?« Also konnte sie entweder ein Schloss oder eine Frisur und ein Gewand sein. Hatte Susannah Recht? Sah Simon sie so? Und Brautus auch – sein erster Gedanke war gewesen, dass Simon sie zu bezaubern versuchte, um an Charmot zu kommen. »Genug«, entschied sie. »Ich gehe nach unten.«

Simon kam im Galopp über die Zugbrücke zurück, folgte dem Wagen, mit dem Kevin vorausgefahren war. »Sie sind hier!«, hörte er jemanden von den Zinnen rufen. »Sie sind zu Hause!«

Kevins Frau, Hannah, kam ihnen eilig entgegen und warf sich in die Arme ihres Mannes, sobald seine Füße den Boden berührt hatten. »Ist schon gut, Mädchen«, beruhigte er sie lachend und umarmte sie dennoch fest. »Wir haben nichts gesehen.«

Isabel trat auf die Treppe hinaus und zählte lautlos die Häusler, während die Frauen und Kinder vom Wagen kletterten und in die Arme ihrer Männer sanken. Anscheinend fehlte niemand, nicht einmal die uralte Mutter Bess, Kevins Großmutter, die ihre Kaminecke nicht mehr verlassen hatte, seit Isabel auf der Welt war. »Wir haben sie alle hergebracht, Mylady«, sagte Raymond und gesellte sich zu ihr. »Die meisten hatten es bereits gehört und kamen nur allzu gerne mit, als sie die Eskorte zu ihrem Schutz sahen, und Sir Simon hat die Übrigen überzeugt.«

»Tatsächlich?« Simon saß noch immer auf Malachi. Es wirkte so, als wäre er im Sattel geboren worden, als wären Malachi und er eine Einheit. Warum war er also ohne eigenes Pferd auf Charmot eingetroffen? »Wie hat er das gemacht?«

»Er sagte ihnen, die Wälder seien nicht sicher und dass Ihr ihn mit der Aufgabe betraut hättet, sie ins Schloss zu bringen«, antwortete Raymond. »Ich kann Euch nicht erklären, wieso sie das überzeugt hat, aber das hat es. Die blinde, alte Mutter Bess hatte ihrem Enkel bereits gesagt, er könne sich auf den Kopf stellen, aber sie würde sich nicht von einem Tier aus ihrem Haus vertreiben lassen, auch wenn es ein Wolf sei. Aber als Sir Simon mit ihr sprach, sagte sie ganz nachgiebig: ›Wie Ihr wünscht, Mylord.‹«

Simon sah, dass Isabel ihn beobachtete, und winkte. Sie hatte ihr Gewand gewechselt, wie er sah, und ihr Haar war verändert, und als sie zurückwinkte, lächelte sie beinahe. Aber etwas bereitete ihr noch immer Sorgen, das konnte er erkennen. Etwas, das mehr war als ein Wolf im Wald. Während er hinsah, trat auch Orlando aus dem Schloss. Er berührte Isabel am Arm und sprach mit ihr, aber sein Blick ruhte auf Simon, die Bedeutung war unmissverständlich. Sie hatten keine Zeit, Bauern zu retten, nicht wo der Kelch so nahe und ein weiterer Vampir ihnen so dicht auf den Fersen war.

Sie hatten schon viele Male zuvor Beweise für andere von Simons verfluchter Art gesehen, häufig gerade in den Schlupfwinkeln, die sie auf ihrer Suche nach dem Kelch gewählt hatten. Aber niemand dieser anderen hatte jemals so nahe bei ihnen oder so offen getötet. Wer auch immer das Mädchen bei der Kirche ermordet hatte, hatte sie weniger als einen Tag, nachdem Simon sich selbst an ihr genährt hatte, gefunden. Sein Rivale hatte in der gesamten Gegend dieselbe Beute aufgespürt. Das war eine Warnung, eine Drohung. Um der Menschen von Charmot wie auch um ihrer Suche willen, konnten er und der Zauberer nicht hierbleiben.

Eine der Frauen aus dem Wagen hatte ein kleines Kind bei sich, kaum mehr als ein Säugling, und als Isabel sie sah, verließ sie Orlando mit einem glücklichen Begrüßungsruf. Sie nahm der Mutter den Kleinen ab und hob ihn hoch in die Luft, wobei beide lachten, und das, was in der Brust des Vampirs als Herz galt, ballte sich stärker als eine Faust. Auf welchen Wahnsinn ließ er sich ein, mit diesem Mädchen auch nur zu sprechen? Was konnte er ihr anderes geben als Schmerz, und welche Art Ungeheuer war er, wenn er etwas anderes behauptete?

Isabel küsste den kleinen Euan auf beide Wangen und reichte ihn seiner Mutter zurück. »Er ist wunderbar«, sagte sie. »Kommt, bringt ihn hinein.« Simon war abgestiegen, warf Kevin nun die Zügel zu und trat rasch zu ihr, sein Gesicht grimmig und entschlossen. »Raymond sagt, Ihr habt sie alle hergebracht«, bemerkte sie, als er sie erreichte.

»Vermutlich«, antwortete er, begegnete aber kaum ihrem Blick. »Es scheinen alle in Sicherheit zu sein.« Er trat an ihr vorbei zu Orlando. »Komm, Zauberer. Wir haben bereits zu viel Zeit verloren.«

»Simon, wartet.« Sie legte eine Hand auf seinen Arm, und er zuckte zusammen, als hätte sie ihn geschlagen. »Ich muss mit Euch reden«, erinnerte sie ihn verwirrt. »Ihr sagtet …«

»Ich kann nicht«, unterbrach er sie. »Es tut mir leid, Mylady, aber wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Meine Suche ist zu wichtig.« Schließlich sah er sie an, und sie erkannte Qual in seinen Augen, dieselbe Qual, die sie dort in seiner ersten Nacht auf Charmot gesehen hatte, als er ihr von dem Fluch erzählt hatte. »Ihr müsst mir verzeihen …«

»Das werde ich nicht«, unterbrach sie nun ihn. »Ich kann nicht.« Die anderen gingen an ihnen vorbei ins Schloss, und sie senkte ihre Stimme, da sie nicht belauscht werden wollte. »Simon, Charmot braucht Eure Hilfe, nicht als verfluchter Gelehrter, sondern als Ritter.«

»Ich kann kein Ritter sein«, erwiderte er. »Ich habe Euch gesagt …«

»Dann werdet Ihr es vortäuschen müssen.« Kevin und Hannah gingen die Treppe hinauf und durch den Eingang, waren unter den letzten, die hineingingen. »Das habt Ihr bereits heute Abend geschickt getan.«

»Ich weiß, und ich hätte es nicht tun sollen.« Orlando hatte sich zu ihnen gesellt, aber er schwieg. »Aber Ihr musstet diese Leute hierherholen …«

»Ja, das mussten wir«, bestätigte sie. »Und nun müssen wir sie beschützen, Charmot beschützen.« Sie ließ seinen Arm los. »Es tut mir leid, Simon. Ich weiß, wie unbedingt Ihr Euren Fluch brechen wollt, und ich möchte Euch helfen. Aber Ihr werdet zuerst mir helfen müssen.« Sie atmete tief ein und wappnete sich dafür, gegen eine lebenslange Konditionierung anzugehen. Er war ein Adliger, ihr Verwandter. Sie sollte ihm gehorchen, oder sich ihm zumindest nicht in den Weg stellen, aber sie konnte es nicht. »Ich werde Euch den Schlüssel zu den Katakomben erst überlassen, wenn Ihr Euch angehört habt, was ich zu sagen habe, und versprochen habt, mir zu helfen.«

Simon konnte kaum glauben, was er da hörte. Dieses arglose Mädchen, dieses zarte Wesen, das zu verletzen er so sehr fürchtete, sagte ihm gerade, dass er keine andere Wahl habe, als nach ihrer Pfeife zu tanzen, zum Teufel mit seinen eigenen Wünschen. »Und wenn ich mich weigere?«

»Dann könnt Ihr und Orlando gehen.« Sie reckte ihr kleines Kinn. Ihr Mund bildete eine dünne, entschlossene Linie, auch wenn ihre Unterlippe zitterte. »Orlando glaubte anscheinend nicht, dass der Wolf, den wir gesehen haben, eine Bedrohung für Euch ist. Ich werde zu Gott beten, dass er Recht hat.«

Sie meinte es ernst, daran bestand kein Zweifel. Es war ihm ein Rätsel, wie sie sie aus ihrem Schloss werfen wollte, obwohl er vermutete, dass Kevin und die Übrigen ihr zu Hilfe kämen, wenn sie gerufen würden. »Ihr könnt mich nicht hinauswerfen«, sagte er und benutzte einen Hauch seiner Vampirkräfte, um sie zu überzeugen, ein Talent, das ihm in dieser Nacht wirklich schon mehr als einmal dienlich gewesen war. »Ich bin Euer Verwandter.«

»Was nützt mir ein Verwandter, der mir nicht helfen will, wenn ich ihn brauche?«, antwortete sie und sah ihm offen in die Augen.

»Da hat sie Recht, Herr«, sagte Orlando zögerlich, und Simon glaubte einen ganz schwachen Hauch eines Lachens in seinem Tonfall bemerkt zu haben. »Außerdem, was kann es schaden, sich ihr Ansinnen anzuhören?«

Alle anderen hatten den Hof schließlich verlassen, so dass sie nur noch zu dritt dort standen. »Wo ist der Schlüssel?«, fragte Simon.

»Warum?«, erwiderte sie und trat einen Schritt zurück. »Wollt Ihr ihn mir fortnehmen?«

»Natürlich nicht.« Er schüttelte perplex den Kopf. Er wusste in Wahrheit nicht, ob er verärgert oder belustigt sein sollte – der Vampir von einem schmächtigen, rothaarigen Mädchen als Geisel festgehalten. »Ich dachte nur, Orlando könnte ihn nehmen und mit seinen Studien beginnen, während ich Euch zuhöre.«

Isabel griff in ihre Tasche, nahm den Schlüssel aber nicht hervor. »Und Ihr werdet tun, was ich Euch sage?«

»Wenn es in meiner Macht steht, ja.« Sie wirkte noch immer nicht überzeugt. »Mehr könnt Ihr nicht erwarten.«

»Nein«, räumte sie widerstrebend ein. Das Problem war, dass er durch diesen törichten Fluch anscheinend glaubte, die einfachsten Dinge lägen außerhalb seiner Macht, auch wenn dem eindeutig nicht so war – zum Beispiel, bei Tageslicht einen Spaziergang zu machen oder eine anständige Mahlzeit zu essen. »Vermutlich nicht.« Sie nahm den Schlüssel aus ihrer Tasche. »Kommt herein, und esst etwas, während ich es Euch erkläre.«

»Ich habe keinen Hunger«, antwortete er und setzte sich auf die Treppe. »Gebt Orlando den Schlüssel, und dann könnt Ihr es mir gleich hier erklären.«

Nun war er einfach starrköpfig – typisch Mann, dachte sie. »Also gut.« Sie hielt dem Zauberer den Schlüssel hin. »Hier, Orlando.«

»Ich danke Euch, Mylady«, erwiderte er und nahm ihn entgegen. »Aber vielleicht sollte ich auch zuhören.«

»Warum?«, fragte Simon. »Kann Orlando mir bei meiner Aufgabe helfen, Mylady?« Er sah sie jetzt nicht einmal an, sondern saß nur da und blickte finster über den Hof hinweg – und schmollte, hätte sie gesagt, wäre er kein erwachsener Mann gewesen.

»Nicht wirklich«, räumte sie ein und lächelte Orlando zu. »Geht nur, Meister Zauberer. Ich verspreche Euch, dass Simon bald nachkommen wird.«

»Ja, geh«, befahl Simon. Er schaute zu Orlando zurück und brachte ein sehr vages Lächeln zustande. »Ich denke, ich kann damit fertig werden, wenn sie versucht, mich hinauszuwerfen.«

»Ich will Euch nicht hinauswerfen«, sagte sie, als der Zwerg sie schließlich allein gelassen hatte. Sie baute sich einen Moment vor Simon auf, setzte sich dann aber neben ihn auf die Stufe, anscheinend ohne sich Gedanken über ihr Gewand zu machen. »Ich möchte, dass Ihr bleibt.«

»Das ist tröstlich«, murmelte er, ohne es zu wollen. Er würde mit diesem Problem weitaus besser zurechtkommen, wie er wusste, wenn er mehr Diplomatie einsetzte. Aber er konnte ihre Worte, dass sie ihn fortschicken würde, wenn er nicht täte, was man ihm sagte, nicht aus seinem Kopf bekommen.

»Simon … es gibt keinen Schwarzen Ritter.« Sie hatte sich ihm leicht zugewandt, ein Bein untergeschlagen, so dass sich ihre Blicke begegneten, als er aufschaute. »Genauer gesagt, ist er kein Dämon. Er ist ein Mensch, ein alter Mann, einer der alten Bediensteten meines Vaters. Sein Name ist Brautus – Ihr habt ihn selbst vor kurzem gesehen, bevor Ihr gingt.« Sie hielt inne, als wartete sie darauf, dass er etwas sagen würde, aber er schwieg – so viel hatte er sich bereits selbst denken können. »Er hat, seit mein Vater starb, vorgegeben, der Schwarze Ritter zu sein, um Männer zu vertreiben, die mich heiraten und Charmot für sich beanspruchen wollten, nicht weil er böse ist, sondern weil ich ihn gebeten habe, es zu tun.«

»Warum?« Er wandte sich ihr ebenfalls zu. »Warum wollt Ihr nicht heiraten?«

»Ich will nicht … das ist unwichtig.« Sie wandte den Blick ab, konnte ihn nicht ansehen, dachte an das, was Susannah zuvor gesagt hatte. »Es geht darum, dass Brautus alt ist und kürzlich verletzt wurde. Wenn Ihr gekommen wärt, um ihn herauszufordern, wenn Ihr der Mann gewesen wärt, von dem wir dachten, dass Ihr es wärt, hättet Ihr ihn besiegt – Ihr hättet ihn wahrscheinlich sogar getötet.« Sie erschauderte, die Nachtluft war plötzlich kalt. »Und jener Mann könnte immer noch jederzeit hierherkommen – ein Schurke namens Michel. Er behauptete, er würde den Schwarzen Ritter besiegen und Charmot für sich beanspruchen, weil er stärker und verruchter sei als jeder Dämon der Hölle.«

»Das hat er behauptet?«, fragte Simon mit einem feinen Lächeln. Da er Michel begegnet war, konnte er es kaum glauben. »Ich stehe kurz davor, ein Schloss zu übernehmen«, hatte der Schurke gesagt, als er Orlando bestechen wollte. Er musste Charmot gemeint haben.

»Er hat es jedem erzählt«, antwortete Isabel. »Ich selbst habe ihn nie gesehen. Niemand von uns hier hat ihn gesehen, aber wir erfuhren von Pater Colin, dem Priester der Kapelle des Heiligen Joseph, zu der ich heute gegangen bin, dass er kommt. Michel und seine Leute wollten wohl die Nacht vor Eurer Ankunft dort verbringen, und dann wollte er am nächsten Tag hierherkommen und den Schwarzen Ritter herausfordern. Aber er kam nicht. Stattdessen kamt Ihr.«

»Das nenne ich Glück«, scherzte er und hasste die Angst, die er in ihrer Stimme wahrnahm, wollte sie vertreiben.

»Aber wohin ist er verschwunden?«, beharrte sie. »Ich bin zur Kirche gegangen, um Pater Colin danach zu fragen, und er sagte, er habe Michel nie gesehen. Er verhielt sich so, als erinnerte er sich nicht einmal mehr daran, hierhergekommen zu sein, um mir von ihm zu erzählen.«

»Vielleicht erinnerte er sich tatsächlich nicht«, sagte Simon und verfluchte sich im Stillen. Er war derjenige, der den alten Priester hatte vergessen lassen, ohne zu erkennen, was sich daraus entwickeln konnte. Es war in Wahrheit alles seine Schuld. »Vielleicht kam dieser Michel niemals zur Kirche. Vielleicht hat er seine Meinung über Charmot geändert.«

»Das glaube ich nicht«, antwortete sie und schüttelte den Kopf. »Es muss etwas in der Kirche geschehen sein, etwas Schreckliches. Pater Colin wollte oder konnte mir nicht sagen, was es war, aber ich bin mir sicher, dass Michel dort war. Jemand hatte das Tor eingeschlagen und Blut auf dem Boden der Kapelle vergossen. Und da war noch etwas.« Sie griff in ihre Tasche und nahm das Kreuz hervor, das sie im Kirchhof gefunden hatte. »Ich habe dies hier vor der Kapelle gefunden, halb im Schlamm verborgen.« Sie hielt es Simon hin, aber er nahm es nicht. »Ich denke, dort war ein Grab, Simon, ein ungeweihtes Grab.«

»Warum glaubt Ihr das, meine Liebe?«, fragte er und zwang Gleichmut und Ruhe in seine Stimme. Es war ihm sogar gelungen, nicht vor dem Kreuz zurückzuzucken, obwohl er bezweifelte, diese Täuschung noch viel länger aufrechterhalten zu können. Er hatte es lange genug geübt, dem Kreuz in all seinen Erscheinungsformen zu trotzen, um die Priester zu narren, die einen Großteil der Berichte über den Kelch bewahrten, aber der Anblick verursachte ihm dennoch Qualen, was schlimmer werden würde, je länger er es sähe.

»Alles Gras war aufgerissen, und der Boden war weich«, erklärte sie. Er blickte noch immer auf das Kreuz, machte aber keinerlei Anstalten, es zu berühren. »Es sah so aus, als hätte jemand das Kreuz in Eile fallen lassen und daraufgetreten.«

»Ich glaube, Eure Phantasie geht mit Euch durch, Cousine«, sagte er lachend. »Es ist eher wahrscheinlich, dass Euer Pater Colin ein Gemüsebeet anlegen wollte und auf halbem Weg vergaß, was er vorhatte. Wahrscheinlich hat er das hier selbst fallen lassen.« Er schloss ihre Hand um das Kreuz, damit er es nicht mehr sehen musste, und plötzlich fuhr Wärme durch seine Haut in ihre. »Ihr sagtet selbst, er habe vergessen, dass er Euch aufgesucht hatte«, fuhr er fort, als hätte er nichts gespürt. »Wie alt ist Pater Colin?«

»Alt«, räumte sie ein. »Aber er war bisher immer recht klar im Kopf.« Sie betrachtete forschend Simons Gesicht. Hatte er die Hitzeschauer nicht gespürt, die über ihre Hände gelaufen waren? »Es fühlt sich verflucht an«, sagte sie laut und hielt das Kreuz erneut einen Moment hoch, bevor sie es wieder in ihre Tasche steckte. »Aber ich weiß, dass das für Euch albern klingen muss.«

»Nein, das stimmt nicht.« In Wirklichkeit entsetzte es ihn, wie klug sie war, wie viel von der Wahrheit sie schon erraten hatte. Aber wie war das möglich? Er hatte Michel selbst begraben, und das Kreuz des Schurken hatte um sein dickes, gebrochenes Genick gehangen. Er hatte alle drei Gräber sehr sorgfältig verborgen und das Gras bis auf den letzten Halm wieder an seinen Platz verbracht. Sie hatten alle drei zusammen gelegen, und doch sprach Isabel davon, nur eines gesehen zu haben. Und irgendwie hatte das Kreuz seinen Weg an die Oberfläche gefunden. »Ihr hattet gewiss einen sehr anstrengenden Tag«, sagte er und dachte kaum über seine Worte nach, die einzig mögliche Reaktion auf das Rätsel, das ihm Übelkeit verursachte. »Zuerst Pater Colins so seltsames Verhalten, dann der Anblick dieser toten Frau, dann die Begegnung mit dem Wolf in den Wäldern. Tom und Raymond sagten beide, wie tapfer Ihr gewesen seid.«

»Warum, weil ich nicht hysterisch geworden bin?«, fragte sie mit verzerrtem Lächeln. »Jemand wurde bei der Kapelle getötet, Simon. Dessen bin ich mir sicher, und Pater Colin hat es gesehen. Jemand wurde getötet und begraben, und ich bin mir sicher, dass Michel es getan haben muss.«

»Michel«, wiederholte er und zwang sich zu einem Lächeln. »Der Phantomritter, der niemals auf Charmot erschienen ist.« Der Schurke, dem Simon offensichtlich selbst zur Unsterblichkeit verholfen hatte.

»Ja«, beharrte sie. »Er und seine Männer müssen jemanden vor Pater Colins Augen unmittelbar vor dem Altar getötet haben – das muss ihn in den Wahnsinn getrieben haben.«

»Isabel«, begann Simon und versuchte, sie zu beruhigen.

»Und die Frau, die getötet wurde«, fuhr sie stattdessen noch aufgeregter fort. »Welcher Wolf wäre so grausam, seiner Beute das Herz herauszureißen? Das hat ein Mensch getan, ein böser, hasserfüllter Mensch.« Sie schaute mit nun vor Angst geweiteten Augen zu ihm hoch. »Und er will Charmot. Er will hierherkommen, um den Schwarzen Ritter zu bekämpfen und das Schloss meines Vaters zu fordern. Ich selbst bin unwichtig, Simon, das schwöre ich.«

»Meine Liebe, bitte …«

»Wenn ich glaubte, Charmot retten zu können, indem ich ihn nicht bekämpfe, wenn er nur mit mir zufrieden wäre, würde ich ihm entgegengehen«, fuhr sie verzweifelt fort, und alle Gedanken und Ängste, die sie so lange verborgen hatte, brachen sturzflutartig hervor. »Aber in Wahrheit will er gar nicht mich. Er hat mich noch nie gesehen. Er will das Schloss meines Vaters, und Brautus kann ihn nicht aufhalten, nicht jetzt.«

»Meine Liebe, dieser Mann kommt nicht«, versuchte Simon sie zu beruhigen und bat Gott lautlos, das dies die Wahrheit sein möge.

»Doch, Simon!« Nun weinte sie, war blind vor Tränen. »Er wird das Schloss meines Vaters einnehmen und es zerstören, die Katakomben zerstören und unsere Leute versklaven, und alles, was mein Vater je getan hat, wird umsonst gewesen sein. Ich kann das nicht zulassen. Ich kann nicht.« Sie umklammerte mit beiden Fäusten seinen Waffenrock, den Waffenrock, der einst ihrem Vater gehört hatte. »Ihr seid ein Ritter, ob Ihr verflucht seid oder nicht. Ihr könntet ihn bekämpfen.«

»Isabel …«

»Ihr könntet es! Ihr müsst es.« Tränen strömten ihr Gesicht herab, aber sie forderte, sie bat nicht. »Ihr sagtet selbst, mein Vater sei zu Euch gekommen, habe Euch hierhergeschickt. Versteht Ihr nicht? Er hat Euch hierhergeschickt, um uns ebenso wie Euch selbst zu retten – das ist Eure Suche.« Sie nahm sein Engelsgesicht in beide Hände, wollte nicht zulassen, dass er sich abwandte. »Schwört mir, dass Ihr Michel bekämpfen werdet, oder ich schwöre, dass ich Euch hinauswerfen und für immer verflucht sein lassen werde.« Seine Augen glänzten vor Sorge oder vor Mitgefühl. Was es auch war, sie konnte nicht ertragen, es zu sehen. Sie ließ ihn los und wollte sich abwenden, aber er wollte es nicht zulassen, sondern zog sie stattdessen näher an sich. »Das werde ich, Simon«, schloss sie und vergrub ihr Gesicht an seiner Brust.

»Ich weiß, dass Ihr das werdet.« Er streichelte ihr Haar und murmelte belanglose Trostworte, während ihr wildes, kleines Herz verzweifelt gegen seine leere Brust schlug. »Still, still … ist schon gut.« Kein Wunder, dass sie solche Angst hatte. Michel war in ihren Gedanken zur ungeheuerlichen Summe all des Übels geworden, das sie sich nur vorstellen konnte. Und jetzt, dank Simon, war er es tatsächlich. »Ich werde ihn bekämpfen.« Er drückte einen Kuss auf ihre Stirn und hielt sie einen Moment noch fester, bevor er sie wieder losließ. »Wenn Michel kommt, um den Schwarzen Ritter von Charmot herauszufordern, werde ich dafür sorgen, dass er es bereut.«

Sie schaute zu ihm auf, gleichzeitig verlegen und ermutigt. »Versprecht Ihr es?«

»Ich schwöre es.« Er lächelte, als sie mit dem Daumenballen eine letzte Träne von ihrer Wange wischte. »Welche Wahl habe ich?«

»Keine«, gab sie zu und erwiderte sein Lächeln schwach.

»Aber Ihr müsst mir auch etwas versprechen.« Er zwang sich, sie nicht mehr zu berühren – er konnte bereits ihr Blut riechen, sich seine Süße vorstellen. Ihr Herzschlag trieb ihn zum Wahnsinn. »Bis Michel kommt und Ihr mich braucht, müsst Ihr mich meiner Suche überlassen.« Sie sah überrascht zu ihm hoch. »Ich weiß, Ihr haltet meine Schwüre für töricht, aber sie sind real«, sagte er, noch immer um Kontrolle ringend. Er hatte keine andere Wahl, als sie zu beschützen. Es war seine Schuld, dass sie in Gefahr war. Aber er durfte sie nicht selbst in Gefahr bringen, nicht wenn er wirklich darauf hoffte, jemals Erlösung zu finden. »Ihr dürft mich nicht in Versuchung bringen, sie zu brechen.«

Was sagte er da gerade?, dachte sie. Glaubte er wirklich, dass ihre Anwesenheit eine Versuchung für ihn war, dass er bei ihr sein wollte? »Also sollte ich aufhören, Euch zum Frühstück einzuladen?«, fragte sie leichthin.

»Ja, das auch«, antwortete er lächelnd. »Ihr solltet mich gänzlich meiden. Orlando kann sich um das Wenige kümmern, was ich brauche.« Er berührte ganz leicht ihre Wange, konnte nicht widerstehen. »Wollt Ihr mir das versprechen?«

»Ja«, antwortete sie sanft, kaum fähig zu reden, »wenn es das ist, was Ihr wollt.« Niemand hatte sie jemals auf die Art angesehen, wie er sie nun ansah. Sie fühlte sich allein dadurch benommen, dass sie seinem Blick begegnete.

»Ich will es nicht, Isabel.« Kein Gesicht war ihm jemals so wunderschön erschienen, kein Leben so kostbar. Sie war unschuldig. Sie vertraute ihm. Sie verlangte, dass er ihr Beschützer war. »Aber es muss so sein.« Noch während er die Worte aussprach, beugte er sich näher heran und presste seine Lippen auf die ihren. Ihre Augen waren geöffnet, während er sie küsste, ihr Mund unter seinem weich und warm.

Ich stürze, dachte Isabel, als sie erkannte, was er vorhatte. Ich stürze. Sein Mund war kühl, ein angenehm schaudernder Druck an ihren Lippen, und ihre Augen schlossen sich wie von selbst, als schmeckte sie etwas so Köstliches, dass sie es nicht ertragen konnte, es anzusehen. Und so war es. Sie spürte, wie seine Arme sie umschlossen, ihre Arme umschlangen ihn, und die ganze Zeit über presste er seinen Mund auf ihren, ein Gefühl wie nichts, was sie jemals zuvor empfunden hatte. Sie hob ihr Kinn an, reckte sich dem Kuss entgegen, und sie spürte sein Seufzen mehr, als sie es hörte, spürte, wie er sie fester an sich drückte.

Hör auf damit!, brüllte sein Verstand in seinem Kopf. Lass sie los! Aber er konnte nicht, noch nicht. Er strich mit seinen Lippen erneut über ihre, kaum eine Berührung, und sie zog ihn näher an sich, ihre Hände in seinem Haar, küsste ihn mit der zarten Blume ihres noch geschlossenen Mundes fester. Er wusste, er könnte ihn öffnen und seine Zunge hineingleiten lassen, ihre Süße schmecken …

»Nein.« Er wandte sein Gesicht von ihr ab, unterbrach den Kuss.

Ihr Verstand weigerte sich einen Moment zu begreifen, was er gesagt hatte. Ihre Arme versuchten ihn noch immer festzuhalten. Dann umfasste er sanft ihre Handgelenke. »Isabel, nein.«

»Nein«, wiederholte sie und zog sich zurück. »Es tut mir leid.«

»Es muss Euch nicht leidtun.« Er beugte sich herab und drückte einen Kuss auf jede ihrer Handflächen, eine nach der anderen, seine Wimpern waren vor seiner Alabasterhaut lang und dunkel. »Aber jetzt versteht Ihr.«

»Ich denke …« Er blickte zu ihr hoch, und sie sah einen Moment das Feuer in seinen Augen, zweifellos war es der Widerschein einer der Fackeln. »Nein, Simon«, antwortete sie. »Ich verstehe nicht.«

»Dann müsst Ihr mir vertrauen.« Er zwang sich, sie loszulassen und sich zu erheben, außerhalb ihrer Reichweite zu gelangen. »Ihr müsst mir fernbleiben.« Sie war so unschuldig. Sie schaute sogar jetzt noch mit vollkommenem Vertrauen zu ihm hoch, ihre Stirn war kaum gefurcht. »Versprecht es mir, Isabel«, sagte er, seine Stimme rau vor Verlangen, als er sich abwandte.

»Ich verspreche es.« Er hatte zugesagt, das Schloss ihres Vaters trotz seiner Schwüre zu beschützen. Wie konnte sie ihm widerstehen? Warum sollte sie es auch nur wollen? Aber sie tat es …

»Mylady!« Tom kam aus dem Schloss. »Brautus sagt, Ihr sollt hereinkommen«, richtete er aus und blickte zwischen ihnen hin und her. »Bevor Ihr Euch den Tod holt.«

Simon lächelte. »Er hat Recht.« Er bot Isabel seine Hand und half ihr hoch. »Also sind wir uns einig?«

Sie ließ ihre Hand leicht in seiner ruhen, widerstand dem verrückten Impuls, sich festzuhalten. »Das sind wir, Mylord.«

Er nickte, während er sie losließ. »Gute Nacht.«