13

Isabel nahm das Kreuz aus ihrer Tasche und streckte es vor sich aus, die Kette um ihre Finger gewickelt, während sie gebückt das kühle Dunkel der Höhle betrat. Stöhnen und schmerzvolles Heulen hallten zu ihr herüber wie vom Todeskampf eines großen Tieres, und sie erschauderte, während ihr Tränen in die Augen traten.

Sie fand Simon an die Mauer gekettet vor, genauso wie Lisette es beschrieben hatte, das Sonnenlicht strömte bereits weniger als eine Armlänge von seinen Füßen entfernt durch das Dach. Er schaute auf, als sie aus dem Tunnel kam, seine Nasenflügel bebten, als röche er sie eher, als dass er sie sah. »Isabel …« Sie konnte nicht länger daran zweifeln, dass er ein Vampir war. Grausame, lange, weiße, gebogene Zähne ragten aus seinem Mund hervor, als er plötzlich vor Qual schrie, und seine Augen loderten gelblich-grün vor Dämonenfeuer. Aber er war auch noch immer Simon.

»Hast du Susannah getötet?« Ihre Kehle fühlte sich vor ungeweinten Tränen, die sie zu ersticken drohten, zugeschnürt an. Sie konnte sie noch immer sehen, die wunderschöne Maikönigin. Wie konnte sie das Ungeheuer lieben, das sie getötet hatte? »Hast du das Mädchen bei der Kirche getötet?«

»Nein«, antwortete er, um seine Stimme ringend. Der Hunger, der jeglichen Rest Menschlichkeit abtötete, der ihm noch geblieben war, flammte beim Klang ihres Herzschlags und dem Geruch ihrer Haut wieder auf, marterte ihn schmerzhafter als jegliche Falle, die Kivar hätte ersinnen können. Er stemmte sich erneut gegen die Ketten, so dass die Fesseln tief in seine Haut einschnitten. »Die Arglosen … niemals die Arglosen.« Er musste sie warnen, es ihr verständlich machen, aber sein Verstand war ausgeschaltet. Er konnte die Worte nicht formen. »Nicht Susannah … Kivar.«

»Und warum sollte ich dir das glauben?« Rauch begann von seiner Kleidung aufzusteigen. Sie konnte riechen, wie das Leder seiner Stiefel zu brennen begann. Aber wie konnte sie ihn retten? Würde er sie töten, wenn sie ihn befreite?

»Geh.« Seine Dämonenaugen flehten, und seine Stimme klang liebevoll, auch noch als sie zu einem wölfischen Knurren wurde, die Stimme ihres Liebsten. »Geh, Isabel …«

»Das werde ich nicht tun.« Sie kam näher, bewegte sich durchs Licht, und er brüllte vor Frustration, die Ketten, die ihn hielten, protestierten kreischend, gaben fast nach, als der Dämon in ihm darum kämpfte freizukommen. »Ich kann nicht.«

»Isabel, nein!« Er schlug in seinen Fesseln um sich, während sie näher kam, schrie, als sie die Hand ausstreckte, um seine Wange zu berühren, als wäre diese Hand aus geschmolzenem Eisen, seine Lippen mit einem Knurren von den schrecklichen Zähnen zurückgezogen, die letzte Warnung des Wolfes. Aber sie hatte keine Angst.

»Doch.« Sie berührte seinen Mund, berührte die Zähne und schaute in seine lodernden Dämonenaugen. »Ich liebe dich.«

»Nein«, wollte er antworten, wollte sie warnen, aber es war zu spät. Er zerriss mit einem letzten Brüllen die Ketten, riss sie in seine Arme und rollte in die gesegnete Kühle der Dunkelheit, als das Sonnenlicht schließlich die leere Höhlenwand erreichte. Er presste sie an sich, beugte sich über sie und versenkte seine Zähne in ihrer Kehle. Als er seine Finger mit ihren verschränkte, spürte er das Kreuz, das sie wie ein Brandzeichen gegen seinen Arm drückte, aber es kümmerte ihn nicht, der Schmerz war nichts. Wichtig war nur das Blut, das süße, kostbare Leben seiner Liebsten. Der Dämon hielt ihn vollständig gefangen, während er sich nährte und sie gleichzeitig anbetete und tötete, endlich befriedigt.

»Simon …« Sie streichelte sein Haar, wand ihr Bein um seines, wie sie es getan hatte, als sie sich geliebt hatten, und köstliche Müdigkeit bemächtigte sich ihrer, der Wille, sich zu ergeben. Seine Zähne verletzten sie, rissen an ihrem Fleisch, aber es war ein köstlicher Schmerz, so natürlich wie das Atmen. Der Teil von ihr, der sich so sehr nach ihm sehnte, war nur für diesen Schmerz geboren worden, oder zumindest schien es ihr so, während er sie hielt. Seine Hände streichelten ihre, während er sich nährte, und sie hatte sich noch niemals so geliebt und gebraucht gefühlt. Aber es musste aufhören.

»Simon …« Er hörte ihre Stimme und liebte sie, der Klang so lebendig wie das Blut, das ihn nährte, und er spürte, wie ihre Hand sich in seinem Haar verfing und so fest daran zog, dass es ihm weh tat. »Simon, halt.« Sie klang ruhig, völlig furchtlos, es war die Stimme der jungen Frau auf den Zinnen, die für seine unsterbliche Seele gebetet hatte. Der Hunger in ihm schwand, der Dämon war langsam gesättigt, aber ihr Blut war noch immer köstlich, zu lieblich, um auch nur einen einzigen Tropfen ungekostet zu lassen. Er hob den Kopf und küsste sie, erkundete ihren Mund mit seiner Zunge, bevor er seine Zähne in ihrer Lippe versenkte, sanft an der Wunde zog, noch immer trunken vom Blut, von der Verzückung, wieder erfüllt zu sein.

»Simon.« Sie entzog ihm ihren Mund sacht. Sie hätte Angst haben sollen. Sie hätte verwirrt sein sollen, aber so war es nicht. Aus einem unbestimmten Grund wusste sie, was sie tun musste. »Halt«, sagte sie und liebkoste seine Wange, während er auf sie herabblickte, seine Augen wieder tiefbraun, verzückt und verwundert. »Ich liebe dich«, flüsterte sie und hob den Kopf, um seine Stirn zu küssen. »Liebe mich, Simon. Lass mich leben.«

»Ja.« Er schlang seine Arme um sie, drückte sie an sich, und der Dämon fiel ab. Sie war seine Liebe, seine Isabel. »Ich liebe dich auch.« Er küsste ihre Wange, berührte ihren Kopf mit seiner Hand, und sie wandte ihm ihr Gesicht zu und küsste seinen Mund.

»Autsch …« Sie zuckte zusammen, berührte ihre wunde Lippe und verzog das Gesicht.

»Liebste …« Er streichelte ihre Wange und schien untröstlich vor Zerknirschtheit. »Ich habe dich verletzt.«

»Nein«, wollte sie sagen und hielt dann lachend inne. »Nun, ja.« Er nahm sie erneut in die Arme, und sie hielt ihn fest, schwach, aber glücklich. »Aber es geht mir gut.« Er küsste sie erneut sanfter, fuhr mit seiner Zunge über ihre Lippen, und die Wunde schien zu schwinden, der tiefe Einstich verheilte. »Bei allen Heiligen«, flüsterte sie, als er sich zurückzog. »Das ist ein toller Trick.«

Er lächelte. »Ich bin froh, dass er dir gefällt.« Er beugte sich herab und küsste die Wunde, die er an ihrer Kehle hinterlassen hatte, die zarte Haut, die so grausam zerrissen war, dass er weinen wollte. »Ich hätte dich töten können.« Er küsste sie erneut, aber die Einstiche waren zu tief, als dass seine Dämonenmagie sie hätte heilen können. »Ich wollte dich töten.«

»Brautus und Mutter Bess wollten, dass ich dich töte.« Er hob den Kopf und sah sie schockiert an. Sie lächelte und berührte seinen Mund. »Sie sagten, es sei mein Schicksal, den Wolf zu töten, der mein Volk vernichten würde«, erklärte sie. »Und wir dachten, du seist dieser Wolf.«

»Nein«, versprach er. »Ich schwöre, dass es nicht so ist.« Die Kette des Kreuzes war noch immer um ihre Hand geschlungen, und er beugte sich hinab und küsste sie, küsste das Kreuz und ließ es seinen Mund verbrennen.

»Simon, nein«, protestierte sie erschreckt, während sie es fortzog.

»Ich habe Susannah nicht getötet. Ich habe sie von demselben Fluch befreit, der mich befallen hat. Ich hätte versucht, sie zu retten, ihr Hoffnung auf Erlösung zu bieten, aber sie wollte Tom töten.« Die Verbrennung heilte bereits. Er war wieder stark. Ihr Blut war stark. »Ich habe auch die Frau nicht getötet, die du an der Kirche gesehen hast. Ich sah sie, und ich habe mich an ihr genährt, aber ich habe sie nicht getötet.«

»So wie du dich an mir genährt hast«, sagte sie und bemühte sich beiläufig, nicht eifersüchtig zu klingen. Die Frau war niedergemetzelt worden, wie konnte sie da eifersüchtig auf sie sein? Aber sie war es. Sie war eifersüchtig auf jede andere Frau, die er jemals berührt hatte, ob als Vampir oder als Mensch, eifersüchtig sogar auf den Schmerz, den sie in seinen Armen empfunden hatten.

»Nein.« Er strich ihr das Haar aus der Stirn, und ihr Gesicht war so wunderschön, dass es ihn schmerzte, sie anzusehen, aber er würde sie ewig ansehen, wenn er es könnte. »Nicht so, wie ich mich an dir genährt habe. Nichts war jemals so.« Er dachte erneut, wie nahe er daran gewesen war, sie für immer zu zerstören, und die Erinnerung ließ ihn erzittern. »Warum hast du nach mir gesucht? Wusstest du nicht, dass ich dich verletzen kann?«

»Ich sagte es dir. Ich wollte dich töten.« Allein der Gedanke ließ sie schwach werden. Eigentlich war sie bereits schwach, wie sie erkannte, benommen und schwach vom vielen Blutverlust. Aber sie konnte es nicht ertragen, ihn gehen zu lassen. »Aber ich konnte es nicht tun.« Tränen stiegen ihr in die Augen. »Ich konnte dir nicht beim Sterben zusehen. Selbst wenn du ein Dämon wärst, selbst wenn du mich und alle, die ich liebe, töten wolltest, könnte ich dir nicht beim Sterben zusehen.«

»Nein, Liebste.« Er küsste ihre Augenlider, weinte mit ihr. »Engel, bitte weine nicht.« Sie berührte verwundert seine Wange, ihre Fingerspitzen von seinen Blutstränen benetzt. »Es tut mir leid. Es tut mir so leid.«

»Nein«, protestierte sie. »Bitte nicht …«

Er küsste sie, stahl ihr verzweifelt vor Liebe den Atem, und sie hielt ihn fest, erschöpft, aber zufrieden. »Ich liebe dich«, versprach er und küsste ihren Mundwinkel, während sich seine Hände zwischen ihnen bewegten und er ihren Rock anhob. »Ich liebe alles, was du liebst.« Er drang in sie, und sie seufzte, ihr Körper umschloss seinen, warm und nass. »Ich bin dein, dein Dämon.«

»Mein«, murmelte sie und wölbte sich ihm entgegen, während sie die Augen schloss.

»Ich werde Charmot beschützen.« Er küsste sie, während er tiefer in sie drang und seine Hände über ihre Hüften strichen, über ihre Seiten. Sie gehörte ihm, war für ihn kostbarer als jede heilige Reliquie oder sogar die Erlösung selbst. Sie war seine Rettung. »Ich werde meine Liebe beschützen.«

»Mein Ritter.« Sie ließ ihre Hände über seine Schultern gleiten, ihre Sinne schwanden in seinen Armen. Sie fühlte sich so schwach, so zerbrechlich, aber er hielt sie fest, er liebte sie. Sie brauchte keine Angst zu haben. »Mein Dämon.« Er bewegte sich schneller, und sie lachte, die Ekstase begann, und jeder Muskel in ihrem Körper kribbelte vor Leben. Sie streckte sich, um ihn zu küssen, vor Verlangen unbeholfen, und er presste seinen Mund auf ihren. Seine Zunge glitt über ihre. Sie war die junge Frau, und er war der Wolf. Irgendwie hatte sie ihn dazu gebracht, nicht zu töten, sondern zu lieben. Sie rief seinen Namen, als sie zum Orgasmus kam, und sie spürte ihn sich ebenfalls befreien, die Wogen, die sie durchliefen, wurden von ihrer Haut auf seine übertragen. Sie stiegen immer weiter und fielen dann ab, bis sie glaubte, ihr Herz müsste bersten, und er hielt sie noch immer fest, war noch immer bei ihr, ihr Vampir-Geliebter, bis die Wogen schließlich verebbten.

»Isabel …« Seine Stimme schien von sehr weit her zu kommen, aus einem Traum zu rufen, aber sein Körper war nahe, seine Arme um sie geschlungen, als er sich auf den Rücken rollte, sie dicht an seine Brust zog. »Schlaf, meine Liebste«, murmelte er und küsste ihre Wange, und sie erlaubte sich, ihm zu gehorchen, überließ sich der Dunkelheit. »Schlaf bis zur Nacht.«

Simon spürte, wie ihre Arme um ihn erschlafften und ihr Atem tief und gleichmäßig ging. Ihr Herz schlug noch schwach, aber stetig. Es würde ihr gut gehen. Er hielt sie fester, presste sie an sich, wild vor Liebe, aber sie regte sich noch immer kaum. Kivar würde sie niemals berühren. Simon würde seine Liebe beschützen.

Eine Stunde nach Sonnenuntergang ritt Simon wieder durch die Tore von Schloss Charmot, Isabel, die noch immer schlief, trug er in seinen Armen. »Wach auf, Liebste«, murmelte er, als Brautus ihnen entgegenkam. »Wir sind zu Hause.«

Isabel blinzelte, noch immer so müde, dass sie kaum die Augen offen halten konnte. »Oh, Liebster.« Brautus wirkte wie eine Gewitterwolke, wie er da so auf den Stufen stand, die Fäuste in die Hüften gestemmt.

»Also lebt Ihr zumindest noch«, sagte er, als Simon abstieg.

»Natürlich lebe ich.« Simon hob Isabel herab und wollte sie loslassen, aber sie schwankte. »Es geht mir gut«, beharrte sie, als er sie wieder hochhob.

»Natürlich geht es dir gut«, murmelte er und küsste ihre Wange, während er sie hineintrug. Brautus folgte ihnen.

Orlando wartete mit Mutter Bess in der Halle. Der Zauberer beugte den Kopf auf die auf dem Tisch gefalteten Hände, sobald sie erschienen, und murmelte ein Dankgebet, aber die alte Frau wirkte überhaupt nicht erleichtert. »Was habt Ihr ihr angetan?«, wollte sie von Simon wissen, während Brautus sein Schwert zog.

»Brautus, halt«, beharrte Isabel gähnend. »Es ist alles in Ordnung.« Simon wirkte auch selbst ziemlich aufgebracht, wie sie bemerkte, als er den Hauptmann mit herausforderndem Blick ansah. »Lass mich runter.« Er reagierte nicht, so dass sie an seinen Haaren zog. »Simon, lass mich runter.«

Er stellte sie auf die Füße, hielt sie aber weiterhin am Ellenbogen fest, falls sie wieder schwanken sollte. Brautus, der alte Drache, der er war, wirkte bereit, ihn bei lebendigem Leib zu verspeisen, und er konnte es ihm nicht verübeln. Simon wusste, dass er an seiner Stelle genauso empfunden hätte. Aber er konnte es sich nicht leisten zu kneifen und um Vergebung zu bitten, nicht wenn Kivar so nahe und so sehr bereit zum Angriff war. Er hatte auf dem ganzen Heimweg den bösen Blick des Uralten auf ihnen gespürt, der sie aus den Wäldern heraus beobachtete, und es war unwichtig, ob dieses Gefühl der Wirklichkeit oder nur seiner gereizten Einbildung entsprang, denn Kivar würde kommen. »Es tut mir leid, Liebste«, sagte er und drückte Isabels Hand, sein Blick war dabei noch immer auf Brautus gerichtet.

»Was ist das da an deinem Hals?«, fragte Brautus Isabel und sah sie ebenso wenig an, wie Simon es tat. Sie wirkten wie zwei grimmige Wölfe, die Kampfposition einnahmen, und Isabel war, wie sie vermutete, das Streitobjekt. »Was hat er dir angetan?«

»Er hat mich gebissen«, antwortete sie in sachlichem Tonfall. »Aber ich habe es überlebt.« Sie hielt noch immer Simons Hand und wandte sich der Halle und den anderen zu, die dort wie stets zum Abendessen versammelt waren. »Sir Simon ist meine erwählte Liebe«, sagte sie. »Er wird mein Ehemann werden.« Sie schaute zu Brautus zurück. »Er wird der Herr von Charmot werden.« Verwundertes Murmeln durchlief den Raum, und sie hielt Simons Hand fester. »Es steht jedermann, der diese Regelung nicht ertragen kann, frei zu gehen. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, damit diejenigen ein neues Zuhause finden.« Sie schaute zu Brautus und Mutter Bess zurück, die zusammenstanden, ein wirklich altes Bündnis. »Aber dieser Mann wird mein Gebieter sein.«

»Herzlichen Glückwunsch, Mylady«, sagte Hannah und trat vor, um sie zu umarmen. »Das sind wirklich gute Neuigkeiten.«

»Ja, das stimmt«, sagte Kevin. Er schaute zu Mutter Bess zurück, und Isabel dachte, seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, dass sie ihm viel erzählt haben musste, während sie fort waren. Aber er reichte Simon dennoch die Hand. »Wir werden uns freuen, Sir Simon als Herrn zu haben.«

Simon lächelte, und ein Dutzend widerstreitende Gefühle bestürmte sein Herz. »Danke, Kevin«, sagte er und nahm die Hand des Stallburschen. Er konnte erkennen, dass Orlando ihn verzweifelt beobachtete. Dies war genau das, wovor der Zauberer ihn gewarnt hatte, genau die Ablenkung, die er befürchtet hatte. Brautus beobachtete ihn ebenfalls und wirkte nicht glücklicher, während er Isabel betrachtete. »Und was ist mit Euch, Hauptmann?«, fragte Simon und ließ sie los, um sich ihm zuzuwenden. »Ich weiß, ich habe Euch Unrecht getan, ob ich es wollte oder nicht.« Er schaute zu der unmittelbar hinter Brautus stehenden, alten Frau. »Jene, die mich einen Wolf nennen, irren sich nicht vollständig«, räumte er ein. »Aber ich liebe Eure Lady mit meinem ganzen verfluchten Herzen, und ich werde sie nicht aufgeben.« Er streckte eine Hand aus. »Könnt Ihr sie mir überlassen?«

»Habe ich eine Wahl?«, grollte Brautus. Isabel runzelte die Stirn und verschränkte die Arme, um ihrem Bedürfnis zu widerstehen, selbst die Arme nach ihm auszustrecken und sein Verständnis zu erflehen, wie sie es als Kind getan hatte. Simon war keine Nascherei, kein Spielzeug. Er war ihr Liebster, und Brautus musste ihn akzeptieren oder beschließen, dass er es nicht konnte. »Ja«, sagte er schließlich und ergriff Simons Hand. »Ich weiß, dass ich keine habe.« Er zog den Vampir in seine Arme. »Aber behütet sie, sonst werde ich derjenige sein, der den Wolf bezwingt.«

»Das werde ich«, versprach Simon, von dieser kühlen Kapitulation stärker berührt als von der Herzlichkeit aller anderen.

»Ausgezeichnet«, sagte Isabel lachend, und fast die ganze Halle lachte mit ihr. Sie erkannten nicht, was gerade geschehen war. Sie begriffen nur, dass ihre unverheiratete Lady nun heiraten würde. »Simon, komm«, sagte sie, nahm seine Hand und zog ihn von der Menge fort. »Ich muss dir etwas zeigen.«

»Du solltest dich ausruhen«, antwortete er. Er berührte die Wunde an ihrer Kehle, die sich nun zu einer schwarz und purpurfarbenen Strieme verfärbt hatte. »Jedes Mal, wenn ich darüber nachdenke …«

»Dann tu es nicht«, unterbrach sie ihn und nahm ihren Worten mit einem Lächeln die Schärfe. »Das ist es, was ich dir zeigen will.« Sie fing Orlandos Blick auf, winkte ihn herüber und betrachtete die Menge, die sich zu zerstreuen begann. »Ich habe vielleicht einen Weg gefunden, dir besser zu helfen, als du erahnen kannst.« Sie griff in ihre Tasche, als Orlando sich zu ihnen gesellte. »Du sagtest, als du zuerst hierherkamst, dass dir mein Vater in einer Vision erschienen sei, um dich nach Charmot zu schicken.« Sie betrachtete den Zauberer und lächelte. »Ich nehme inzwischen an, dass du gelogen hast.«

»Ja«, gab Simon zu. »Es tut mir leid, Liebste …«

»Das sollte es auch«, unterbrach sie ihn, ein Funke wahren Zorns in ihren Augen. »Ich wollte dich den Rest unseres Lebens dafür bestrafen, dass du mir eine solche Lüge erzählt hast. Aber inzwischen …« Sie reichte ihm die Druidenkarte.

»Was ist das?« Er erinnerte sich vage, dass Kivar versucht hatte, ihr in der Nacht zuvor in ihrem Zimmer etwas abzunehmen, aber er war zu sehr davon beansprucht gewesen, ihr Leben zu retten, um sich Gedanken darüber zu machen, was es war.

»Eine Karte der Katakomben«, antwortete sie. »Du sagtest, es gäbe auf Charmot etwas, das dich von deinem Fluch befreien könne, und ich brachte dich in die Katakomben, weil ich glaubte, was auch immer du suchtest, müsse dort sein.« Er betrachtete die Karte, einen Ausdruck der Verwunderung auf dem Gesicht. »Du und Orlando schient gleicher Meinung zu sein.«

»Woher hast du die?« Dies war wirklich eine Karte der Katakomben, mit dem Zeichen der Beschützer des Kelches über dem Raum, den Sir Gabriel zu seinem Arbeitszimmer gemacht hatte, und eine Spur, die, wie seine Dämonensinne ihm sagten, aus dem Blut seiner Liebsten bestand. »Woher wusstest du …«

»Ich wusste es nicht«, räumte sie ein. Er reichte Orlando die Karte fast abwesend und sah sie dann wieder an. »Mein Vater … er hat auch selbst Schriftrollen angefertigt, Chroniken des Schlosses und Notizen über seine Studien der Druiden, und er hat jede Schriftrolle in einer Ecke mit einem Kode markiert, Symbole, die ich nie entziffern konnte.« Sie erklärte ihm, wie sie die Schriftrollen aus dem Arbeitszimmer genommen und zufällig ihr Geheimnis entdeckt hatte. »Ich erkannte, dass es zu dem führen muss, was auch immer du und Orlando zu finden versucht«, schloss sie und unterdrückte bei dem verblüfften Ausdruck auf seinem Gesicht ein Lächeln. »Als du gestern Abend zum Kirchhof gingst, stellte ich die Karte fertig, damit ich sie dir geben konnte, wenn du zurückkehrtest.« Sie zuckte die Achseln. »Aber wir wurden ein wenig abgelenkt.«

»Nur ein wenig«, stimmte Simon ihr unwillkürlich lächelnd zu. Tatsächlich fühlte er sich etwas benommen. Während all dieser auf der Suche nach dem Kelch verbrachten Zeit hatte er kaum an dessen Existenz geglaubt, hatte gedacht, er sei dazu verdammt, für immer allein zu sein, ein Ungeheuer, das von allen, die es kannten, wegen dem verachtet wurde, was es war. Nun hatte Isabel, an einem einzigen Tag und in einer einzigen Nacht, dem Dämon in die Augen gesehen und ihre Liebe geschworen, hatte ihn direkt aus ihrem Herzen genährt und lebte, um ihn noch immer zu lieben, hatte sogar allen erklärt, dass sie ihn erwählt habe, dass er ihr Liebster sei, obwohl er ein Vampir war. Und nun hatte sie ihm, wie es schien, den Kelch geschenkt.

»Also was ist es?«, fragte sie ihn nun. »Was versuchst du zu finden?«

»Man nennt es den Kelch«, antwortete er. »Wenn Orlando Recht hat, kann er mich von meinen Sünden befreien und mich wieder zu einem Menschen machen, so dass ich kein Vampir mehr bin.« Du bist vom Tod befallen, hatte Kivar gesagt, nicht von einem Fluch. Der Kelch bedeutet Heilung, nicht Erlösung. Aber Kivar war ein Lügner.

»Und Ihr glaubt, er ist hier?«, fragte sie, wieder schwach vor Erleichterung. »Orlando?«

»Die ganze Zeit.« Der Zauberer war purpurn angelaufen und brodelte vor Zorn. »All diese mit Suchen verbrachten Wochen, und der Schlüssel war die ganze Zeit in Eurem Turm verborgen. Törichtes, albernes Mädchen …«

»Das bin ich, mit Verlaub, nicht«, erwiderte sie und brachte Simon dazu, den Kopf abzuwenden, um sein Lächeln zu verbergen. Er hatte ihr zu Hilfe eilen wollen, aber sie brauchte ihn anscheinend nicht. »Wenn ihr beide mir gesagt hättet, wer ihr seid und was ihr wollt, anstatt mich anzulügen und mich in meinem eigenen Schloss wie eine Aussätzige zu behandeln, hätte ich euch die Schriftrollen meines Vaters schon gleich zu Anfang gezeigt.« Sie schloss Simon in ihren allgemein finsteren Blick mit ein. »Obwohl ich stark bezweifle, dass ihr gewusst hättet, wie ihr sie benutzen müsst.«

»Sie hat Recht, Orlando«, sagte Simon. »Hättest du gewusst, dass wir Isabels Blut gebraucht hätten, um den Kode ihres Vaters zu entziffern?«

Bevor der Zauberer antworten konnte, durchbrach das Läuten einer Glocke von draußen das allgemeine Gesumm in der Halle. Jemand läutete die Glocke auf der anderen Seite des Burggrabens, als hingen die Teufelchen der Hölle an deren Klöppel. Sie sahen einander an, und Isabel erbleichte. Jemand wollte den Schwarzen Ritter herbeirufen.

»Verzeiht mir, Isabel«, sagte Orlando und beugte sich über ihre Hand. »Aber nun werden wir, wie ich fürchte, gleich sehen, was diese verschwendete Zeit uns kosten wird.«

Kivar hatte nicht nur Michels Körper gestohlen, sondern auch dessen Pferd und Rüstung. »Antwortet niemand auf meine Herausforderung?«, rief er mit der verschwommenen und trägen Stimme des französischen Ritters. Er ließ das Schlachtross sich aufbäumen und sich wie ein altgedienter Veteran drehen. »Wo ist dieser Schwarze Ritter?«

»Ich träume«, sagte Isabel, die zwischen Simon und Brautus auf den Zinnen stand, Orlando und Kevin ganz in der Nähe. »Ich hatte diesen Traum schon einmal.« Sie hatte diesen Albtraum in Wahrheit schon, seit sie den Namen Michel gehört hatte. Nur dass er jetzt ein Vampir war.

»Alles wird gut«, versprach Simon und zog sie dicht an seine Seite.

»Also könnt Ihr ihn töten?«, fragte Brautus.

»Wo ist die schöne Maid von Charmot?«, rief der Brigant und schwang sein Schwert. »Bekämpft mich, oder bringt mir meine Braut!«

»Ja«, antwortete Simon.

»Nein«, sagte Orlando gleichzeitig.

»Ich habe ihn schon einmal getötet«, sagte der Vampir eigensinnig.

»Anscheinend nicht«, erwiderte der Zauberer, sein Tonfall sanfter als seine Worte. »Simon, ohne den Kelch …« Er gewahrte Isabels Gesicht und brach ab.

»Es ist wahrscheinlich eine törichte Frage«, sagte sie. »Aber was geschieht, wenn wir uns weigern, die Zugbrücke herunterzulassen und das Tor zu öffnen?«

»Kivar kommt über die Mauer«, antwortete Simon. »Oder unter dem See hindurch, oder aus dem Himmel. Er ist ein Vampir, Liebste – schlimmer als ein Vampir. Sein Geist lebt seit zehn Jahren in den Körpern toter Männer. Ich habe den Mann, den du dort siehst, selbst getötet, ich schwöre es dir. Er kann sich auch in einen Hund oder in Dunst verwandeln.« Seine Hand hielt die ihre so fest, dass er wusste, es musste ihr weh tun, und er zwang sich, den Griff zu lockern. »Er braucht die Zugbrücke nicht, um hereinzugelangen.«

»Warum macht er sich dann die Mühe dieser Herausforderung?«, fragte Brautus.

»Es amüsiert ihn«, sagte Orlando. »Er weiß, dass Michel die Absicht hatte, den Schwarzen Ritter zu töten, und er genießt den Spaß, es ihm zu ermöglichen.« Er schaute betont auf den Ring, den Simon nun trug, den Ring, von dem der Herzog bedauert hatte, dass er ihn ihm nicht vor seinem Tod gegeben hatte. »Es ist einer seiner Lieblingstricks.«

»Er weiß vielleicht nicht, dass ich hier bin«, sagte Simon. »Er könnte immer noch glauben, ich wäre in seiner Falle gestorben.«

»Das ist nicht sehr wahrscheinlich«, wandte Orlando ein. »Er wird sich auf die eine oder andere Art Gewissheit verschafft haben.«

»Aber er weiß nicht, ob du den Kelch schon hast oder nicht«, bemerkte Isabel, woraufhin alle sie bestürzt ansahen. »Er wusste, dass ich die Karte hatte, und er wusste, was sie war. Und anscheinend wollte er sie.«

»Oh, ja«, sagte der Zauberer nickend. »Unbedingt.«

»Dann lasst mich ihn bekämpfen«, sagte Brautus. »Ihr und die Eichel geht hinunter und findet diesen Kelch …«

»Nein«, sagte Simon und unterbrach ihn damit. »Er würde sofort erkennen, dass er einen Sterblichen bekämpft, und er würde das Spiel beenden. Der Einzige, der ein wenig darauf hoffen kann, ihn zu beschäftigen, bin ich.«

»Aber was wird es nützen, ihn zu beschäftigen?«, fragte Isabel. »Wenn Orlando Recht hat und du ihn nicht töten kannst …«

»Kivar ist unsterblich, aber Michels Körper ist es nicht«, antwortete Simon. »Er hätte Francis niemals zurücklassen dürfen, damit ich ihn finde. Ich weiß jetzt, wie ich ihn hinaustreiben kann. Wenn ich seinen Kopf abschlage und sein Herz herausschneide, wird sein Geist seinen Wirtskörper verlassen müssen. Wir haben doch keine weiteren Leichen im Schloss herumliegen, von denen ich nichts weiß, oder?«

»Du meinst, andere als deine?«, fragte Orlando. »Es ist zu riskant – wenn Kivar Besitz von dir ergreift …«

»Wenn er Besitz von mir ergreifen könnte, hätte er es getan, als ich ihn zum ersten Mal tötete«, unterbrach Simon ihn und legte einen Arm um Isabel, als er ihre erschrockene Miene sah. »Ich fürchte, er hat andere Pläne für mich.«

»Was ist dann damit, ihn zu enthaupten und ihm das Herz herauszureißen?«, unterbrach Brautus ihn. »Könnt Ihr das tun?«

Simon lächelte. »O ja.«

»Simon.« Isabel legte eine Hand auf seinen Arm und deutete auf etwas. »Schau.«

Kivar hatte aufgehört, sich zu drehen und zu rufen, um sein Pferd, dem Schloss zugewandt, vollkommen still zu halten. Er hob das Visier an seinem Helm an und lächelte, zeigte seine Zähne, seine Augen loderten grün im Dunkeln. »Er hat es gehört«, sagte Kevin mit Panik in der Stimme. »Er hat jedes Wort gehört, das Ihr gesagt habt.«

»Sehr wahrscheinlich«, stimmte Simon ihm zu und blickte zurück. Er drückte Isabel einen Kuss auf die Stirn. »Aber ich habe keine Angst.«