14

Isabel beobachtete, wie Brautus Simon in seinem kleinen Kellerraum in die Rüstung des Schwarzen Ritters half. »Ich habe Angst«, sagte sie und lehnte sich an sein Bett. »Ich möchte nicht, dass du gegen ihn kämpfst.«

»Du und Brautus werdet die Übrigen mit Booten über den See bringen«, antwortete er und band die mit Dornen versehenen Schilde fest, die seine Arme bedeckten. »Selbst wenn ich versage, wird Kivar nicht genug Interesse an den Leuten von Charmot haben, um sich die Mühe zu machen, euch aufzuspüren. Ihn kümmert in Wahrheit nur der Kelch.«

»Du hörst nicht zu.« Brautus’ Kettenpanzerhemd war ihm ein wenig zu lang, reichte ihm fast bis auf die Knie, aber an Schultern und Armen passte es gut. »Ich sagte, kämpfe nicht gegen ihn.«

Er legte seine Panzerhandschuhe beiseite. »Du weißt, dass ich gegen ihn kämpfen muss.« Er umfasste ihre Wange mit seiner Handfläche, zwang sie, ihn anzusehen. »Du hast mir das Versprechen abgenommen, es zu tun, erinnerst du dich?«

»Da ging es um Michel, um einen Menschen.« Sie schob seine Hand fort. »Nicht um diesen Dämon im Körper eines Toten, dieses Wesen, das nicht getötet werden kann.«

»Er kann getötet werden, und ich werde es tun.« Er zwang sie erneut, ihn anzusehen. »Ich habe mich dem verschworen.«

»Oh, sei still.« Sie wehrte ihn erneut ab, trat außerhalb seiner Reichweite. »Seit ich dir begegnet bin, erzählst du mir, was du zu tun oder nicht zu tun geschworen hast, und es ist immer genau das Gegenteil von dem, was ich will.« Er schaute zu Brautus, hoffte auf Beistand, aber der Ritter zuckte nur die Achseln und versuchte kaum, sein Lächeln zu verbergen. »Ich weiß, dass du gegen ihn kämpfen musst«, räumte sie ein und wandte sich ihm wieder zu. »Aber ich möchte trotzdem nicht, dass du es tust.«

»Ich weiß.« Er sah fast genauso aus, wie sie ihn sich in ihren verzweifelten Träumen vorgestellt hatte, bevor sie ihn jemals gesehen hatte, ihr wahrer Schwarzer Ritter, ein tödlicher Engel, aus der Hölle befreit, um Charmot zu beschützen. Aber das war er nicht. Er war Simon, ihr Liebster, und sie hatte ihn gerade erst gefunden. Wie sollte sie ihn da gehen lassen? »Ich will auch nicht gegen ihn kämpfen«, sagte er nun.

»Doch, das willst du«, unterbrach sie ihn. »Es verlangt dich regelrecht danach, dort hinauszugehen, ihn in Stücke zu hacken und deine Rache zu nehmen …«

»Und warum sollte es anders sein?«, fragte er und unterbrach sie damit ebenfalls. »Ich will, dass er verschwindet, dass er für immer vernichtet ist. Ich will endgültig von ihm befreit sein.« Er umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen, verhinderte, dass sie sich ihm wieder entzog. »Ich möchte das sein, wovon du deinen Leuten gesagt hast, dass ich es bin«, erklärte er sanft und sah ihr in die Augen. »Ich möchte wieder ein Mann sein, dein Ehemann. Ich möchte mit dir alt werden, um unsere Söhne im Sonnenlicht aufwachsen zu sehen.«

Sie antwortete einen Moment nicht, das eigenwillige Mädchen in ihr kämpfte gegen die Frau an. »Oder unsere Töchter«, erwiderte sie schließlich. »Wir könnten auch Töchter haben.«

»Ja«, räumte er lächelnd ein. »Das könnten wir.« Er küsste sie, und sie schlang ihre Arme um ihn, presste sich einen Moment mit aller Kraft an ihn, prägte sich jedes kleinste Detail dessen ein, wie er sich anfühlte, bevor sie ihn losließ, und konnte spüren, wie er dasselbe tat, wie er mit seinen Händen durch ihr Haar fuhr, unmittelbar bevor sie sich zurückzog. »Geh mit Brautus«, sagte er, und hielt noch immer ihre Hände in den seinen. »Ich werde dich finden, wenn es vorbei ist.«

»Nein«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »Ich bleibe hier mit Orlando.«

»Kind, das reicht«, sagte Brautus. »Du kannst nicht …«

»Ich kann«, unterbrach sie ihn. »Orlando und ich werden hier unten vor den Katakomben warten, während Brautus die Leute in Sicherheit bringt. Sobald du diesen Kivar getötet hast, werden wir deinen Kelch suchen.«

»So einfach«, sagte Simon und lächelte unwillkürlich.

»Warum nicht?«, antwortete sie und erwiderte sein Lächeln. »Ich habe eine Karte.«

»Wir haben keine Zeit mehr zu argumentieren«, bemerkte Brautus mit ergebener Miene. »Was auch immer dieser Kivar sein mag, bezweifle ich, dass er ewig warten wird.«

Simon nahm den Helm mit der Teufelsmaske und setzte ihn sich auf den Kopf. »Wie sehe ich aus?«

»Erschreckend«, antwortete Isabel und bemühte sich, trotz der Tränen in ihren Augen, unbekümmert und ironisch zu klingen. Sie berührte das anzügliche Grinsen des Helms. »Also geh und erschrick ihn zu Tode.«

Simon hatte so lange keine Rüstung mehr getragen, dass er fast vergessen hatte, wie unbequem es war. Er blieb auf halbem Weg über den Hof stehen, fuchtelte herum, richtete das Kettenpanzerhemd an den Schultern, und der Helm mit der Teufelsmaske stand in einem merkwürdigen Winkel ab, als er den Kopf von einer Seite auf die andere legte und seinen Nacken lockerte. »Ihr gebt ein hübsches Bild ab, Mylord«, sagte Kevin, der Malachis Zügel in einer Hand und eine tödlich wirkende Lanze in der anderen hielt. »Brautus’ Sachen passen Euch gut.«

»Es wird gehen.« Er schwang sich in den Sattel, wobei Malachi, um das Gleichgewicht zu behalten, die Hufe auf den Boden stemmte, in solchen Angelegenheiten ein alter Hase, und Kevin reichte ihm die Lanze. »Ihr solltet Euch beeilen«, riet Kevin ihm. »Die Übrigen sind bereits aufgebrochen.«

»Tom wird auf seine Mutter achtgeben.« Er richtete Simons Steigbügel. »Übrigens wird jemand das Tor öffnen müssen.«

»Das ist wohl wahr.« Seine Stimme klang hinter dem Helm hohl und rau, aber zumindest hatte derjenige, wer auch immer ihn gestaltet hatte, daran gedacht, die »Augen« größer zu machen, als sie wirkten, hatte die tatsächlichen Öffnungen hinter verdeckten Stahllidern angebracht und an den Winkeln aufwärts geneigt, um ihm zu beiden Seiten klare Sicht zu gewähren. »Halte einfach Ausschau, und mach dich bereit zu fliehen, wenn es sein muss.«

»Viel Glück, Mylord.« Der Stallbursche trat zurück und legte zum Gruß eine Hand an die Stirn, bevor er loslief, um das Tor zu öffnen.

Kivar läutete erneut die Glocke, als Simon im Trab über die Zugbrücke ritt. »Endlich«, sagte er lachend und wendete sein Pferd in Simons Richtung. Er ritt Michels Pferd, dasselbe gepanzerte Schlachtross, das Simon im Hof der Kapelle so in Schrecken versetzt hatte, nachdem er seinen Herrn getötet hatte, seine Augen waren vor Angst geweitet, sein Maul war schaumbedeckt. Welchen düsteren Willensakt hatte Kivar bei diesem Tier angewandt, damit es ihn trug? »Mir gefällt Euer Kostüm«, sagte der uralte Vampir. »So niederschmetternd moralisch ihr Ritter auch sein könnt, so habt ihr doch eine gute Nase für Auftritte.« Er legte seine Lanze mit anmutiger Leichtigkeit auf, als wäre er dafür geboren. Michel war ein professioneller Kämpfer gewesen. Wie viel seines Könnens konnte der Dämon gestohlen haben? »Aber andererseits seid Ihr kein Ritter mehr.«

Simon legte seine Lanze ebenfalls auf. »Warum solltet Ihr das behaupten?« Malachi scharrte auf dem Boden, wollte loslaufen, und er lächelte. »Habt Ihr nicht nach dem Schwarzen Ritter von Charmot gerufen?«

Kivars Lächeln geriet düsterer. »Das habe ich.« Er trieb sein Pferd ohne weitere Warnung zum Galopp an und erschreckte das Tier damit – ein Anfängerfehler. Malachi ging ebenfalls zum Angriff über, fast bevor Simons Sporen seine Flanken berührten, das bei weitem überlegene Tier. Sie trafen in der Mitte der Zugbrücke aufeinander. Kivars Lanze zerbarst an Simons Brustharnisch, als er sich ihr entgegenbeugte, um die volle Wucht des Schlages abzufangen, wobei er darauf vertraute, dass seine Vampirkraft ihn im Sattel hielte. Seine eigene Lanze fand unmittelbar unter der Schulter von Kivars Rüstung eine Vertiefung und hebelte ihn geschickt vom Pferd. Er wendete Malachi rasch, seine Lanze noch intakt, während Kivar, unbeholfen und offensichtlich benommen, wieder auf die Füße kam.

»Gut gemacht, mein Sohn«, sagte er und zog sein Schwert. »Mir war nicht bewusst, wie wenig dieser Barbar von seinem Handwerk verstand.« Sein Pferd war an den Toren hinter ihm gefangen, und es schrie, scharrte auf der Zugbrücke und wollte verzweifelt fliehen. »Aber andererseits erinnert sich der Körper nur auf diese Art.«

Simon griff ihn erneut mit der Lanze an, der Regeln des Gefechts ungeachtet, und erwischte ihn mit der Spitze in der Kehle, bevor er nahe genug war, dass Kivar Malachi mit seinem Schwert hätte erreichen können. Er sprang vom Pferd, um die Klinge der Lanze ganz durch die Kehle des uralten Vampirs zu treiben, und enthauptete ihn mit diesem einen Stoß fast. Kivar schlug mit seinem schweren Breitschwert auf ihn ein, aber Simon merkte es kaum, da die Klinge von der dicken Kettenpanzerrüstung abprallte und sein Vampirkörper den Quetschungen und Kratzern eines Sterblichen gegenüber unempfindlich war.

»Ich werde Euch töten«, sagte er und riss Kivar den Helm vom Kopf, beobachtete, wie sich dessen Gesicht vor Zorn verzog. Mit Simons Lanze in seiner Kehle war er unfähig zu sprechen. »Ich werde Eure Abscheulichkeit für immer von dieser Erde tilgen.« Er zog Sir Gabriels Schwert und schlug dem Vampir den geborgten Kopf von den Schultern, seine Klinge glitt widerstandslos durch den dicken, toten Hals des Franzosen. Aber gerade, als er sein Schwert anhob, um das tote Herz herauszuschneiden, begann der Kopf zu lachen. Kivars schrilles, irrsinniges Kichern erklang überall um ihn herum. Der kopflose Leichnam griff aufwärts, packte Simons Schwert und trennte dabei drei seiner eigenen Finger ab, brach die Klinge aber wie einen Zweig durch.

»Narr!«, schrie der Kopf auf, die Augen vor Dämonenfeuer lebendig. »Mein kostbarer, wunderschöner Narr!« Simon packte ihn an den Ohren, während er über dem kopflosen Rumpf kauerte. Ein kalter Windstoß, der nach Grab stank, kam auf, fegte über ihn hinweg und stieß ihn zurück, während er den Kopf noch immer mit beiden Händen umklammert hielt.

»Kivar!«, schrie er und stemmte sich hoch, während beide Pferde nun vor Angst schrien und stampften. Der widerliche Kopf, den Simon festhielt, wurde in seinem Griff weich, verrottete im Handumdrehen, und der Körper löste sich zu einer grau-schwarzen, schleimigen Flüssigkeit auf, die aus ihrer Rüstung in die Spalte der Zugbrücke sickerte. »Kivar!« Kevin öffnete die Tore erneut, eilte hinaus, während die Pferde hineinliefen, aber Simon sah ihn kaum. Er warf die Abscheulichkeit, die er noch festhielt, fort, ergriff einen Teil seines zerbrochenen Schwertes und lief aufs Schloss zu, wobei er im Lauf seinen Helm abnahm.

Isabel blickte auf das Relief des Heiligen Joseph und wischte wie abwesend die Spinnweben von seinem Gesicht. »Es überrascht mich, Euch hier zu sehen, Isabel«, sagte Orlando hinter ihr. »Warum beobachtet Ihr nicht Simons Kampf?«

»Ich will ihn nicht ablenken«, antwortete sie. »Ich habe sonst immer ganz bewusst zugesehen, damals, als Brautus der Schwarze Ritter war. Ich stand auf den Zinnen, und wenn die Dinge schlecht standen, schrie ich auf oder rief ›Bei Gottes Gnaden, Sir Ritter, Ihr werdet getötet!‹, wenn Brautus einen Treffer landete. Manchmal gab ich auch vor, in Ohnmacht zu fallen. Das funktionierte so ziemlich immer.« Sie schlang die Arme um sich, der unterirdische Durchgang war noch kälter als gewöhnlich, und stellte sich den Kampf vor, der gerade über ihnen stattfand und bei dem die Liebe ihres Herzens einen Dämon bekämpfte, von dem er wusste, dass er ihn nicht töten konnte. »Möge Gott mir vergeben.«

»Ich denke, das hat er bereits getan«, erwiderte Orlando lächelnd und tätschelte ihren Arm. »Brautus hat doch niemals wirklich einen dieser armen Ritter getötet, oder?«

»Nein«, gab sie zu. »Aber einige von ihnen waren sehr, sehr beschämt.«

Eine Tür schlug über ihnen zu, als hätte sie ein Sturm gepackt, und plötzlich erfüllte ein schrecklicher Gestank den Durchgang, als wenn jemand ein Grab geöffnet hätte. »Kivar«, rief Orlando, während sie sich der Treppe zuwandten. »Lauft, Isabel …!«

»Wohin?« Ein eiskalter Wind fegte an ihr vorbei, der Gestank war so stark, dass sie Übelkeit zu verspüren glaubte. Sie wandte sich wieder der Tür zu den Katakomben zu, als das Gesicht des Steinreliefs zu zittern und die Gestalt des Mönchs aufzubrechen begann, schrie, als eine skelettartige Hand durch den Stein brach, von der die Sehnen noch wie getrocknete Bänder vom Knochen herabhingen.

»Das Kreuz«, rief Orlando über den Lärm des aufbrechenden Steins und des rauschenden Windes hinweg. »Wo ist das Kreuz?«

Sie durchsuchte ihre Taschen, ihr Blick war auf den Stein geheftet, während er zerbröckelte. Der ausgedörrte Leichnam des Mönchs trat von der Tür herab, wo er begraben gewesen war. Das Skelett war noch immer von den verrottenden Fetzen des Gewandes eines Geistlichen umhüllt, während sein Fleisch mit jedem Schritt weiter zu Staub zerfiel. Nur die Augen wirkten lebendig, die lodernden, grünen Augen Kivars.

»Isabel«, sagte er, und seine Stimme hallte eher in der Luft um sie herum wider, als dass sie von seinem lippenlosen Grinsen her erklang. Er hob eine Hand und sah die Waffe des Heiligen Joseph, die er noch immer hielt, ein grober Holzpfahl, und er lachte und sagte noch etwas in einer Sprache, die sie nicht verstehen konnte, bevor er sie fortschleuderte.

»Bleibt zurück«, befahl sie und bemühte sich, tapfer zu klingen, während sie das Kreuz hochhielt.

»Dieses Mal nicht, Kleine.« Er schlug es ihr so fest aus der Hand, dass sie spürte, wie ihr Handgelenk mit einem Knacken nachgab und sich ihre Haut bei seiner Berührung zusammenzog, während der Talisman davonschlitterte. »Komm schon.« Er ergriff ihr gebrochenes Handgelenk, und sie schrie vor Schmerz auf. »Wo ist die Karte?«

»Ich habe sie nicht.« Wie hatte sie dieses Ungeheuer jemals für Simon halten können? Dies war seine wahre Gestalt, dieser uralte, verrottende Leichnam.

»Was für eine süße, kleine Lügnerin.« Er riss sie näher an sich, und der Gestank ließ die Galle in ihr hochsteigen. »Soll ich dich dafür küssen?« Sie schrie, als er sich näher heranbeugte, aber er machte seine Drohung nicht wahr, sondern zerrte stattdessen mit der anderen Hand die Karte aus ihrer Tasche.

»Lasst sie los!«, rief Orlando und hielt eine Faustvoll von etwas aus einem seiner Beutel hoch. Er warf das Pulver auf Kivar und rief eine Art Beschwörungsformel, und der skelettartige Vampir ging in Flammen auf, die verrottende Robe fiel ihnen im Handumdrehen zum Opfer. Aber das Fleisch und die Knochen wollten nicht brennen. Das Feuer erlosch mit einem weiteren eisigen Windstoß.

»Jetzt bin ich an der Reihe«, sagte Kivar knurrend und deutete mit seiner freien Hand auf Orlando. Der Zauberer wurde hochgehoben, flog rückwärts gegen die Wand, als hätte ein Riese ihn durch die Luft geschleudert, und glitt dann scheinbar leblos zu Boden.

»Ich werde die Tür nicht öffnen«, beharrte Isabel, als Kivar sie wieder dorthin wandte, und zerrte an der Knochenhand, die sie festhielt.

»Wirst du nicht?« Kivar schlug ihre Handfläche gegen die Tür, so dass der scharfkantige, zerbrochene Stein eine Wunde in ihr Fleisch riss und die Tür krachend aufschwang, wobei die rostigen Scharniere quietschten. Kivar hielt die Karte vor sich ausgestreckt, während er Isabel durch das Arbeitszimmer ihres Vaters und in den dahinter liegenden, pechschwarzen Tunnel zog.

Simon lief durch das Schloss und die Treppe hinab, mit nichts weiter als Zorn und einem zerbrochenen Schwert bewaffnet. »Kivar!« Er fand die Steintür zu den Katakomben zerschmettert und Orlando an der Wand zusammengesunken vor. »Orlando!« Er sank neben dem Zauberer auf die Knie und schüttelte ihn. »Orlando, wo ist Isabel?«

»Fort.« Er schaute auf, und Blut rann von einem Kratzer auf seiner Stirn in seine Augen. »Kivar hat sie mitgenommen.« Er deutete auf die zerbrochene Tür. »Da war ein toter Heiliger, im Stein begraben … Joseph.« Er hielt Simon am Ärmel fest, aber dann sank seine Hand herab. »Wir sind verloren.«

»Nein.« Der Vampir schüttelte ihn erneut, weigerte sich, geduldig zu sein. »Sag mir, wie man ihn benutzt – den Kelch. Wenn ich ihn finde – wie benutze ich ihn, um Kivar zu vernichten?«

»Kivar hat die Karte«, erklärte der Zauberer. »Er hat das Mädchen, das Blut des Beschützers …«

»Sag es mir einfach!«

»Ich weiß es nicht!« Er stemmte sich hoch. »Ich hatte immer angenommen, dass Ihr es irgendwie wissen würdet, wenn wir ihn fänden, dass irgendein Buch oder eine alte Inschrift es uns bis dahin verraten hätte oder es instinktiv geschähe … ich weiß es nicht.«

»Wunderbar.« Als sich Simon in dem Durchgang nach einer besseren Waffe umsah, fand er einen groben Holzpfahl voller Spinnweben und Schmutz – die Waffe des Heiligen Joseph. »Vielleicht funktioniert das.«

»Simon, wie wollt Ihr sie finden?« Der Zauberer scheuchte ihn ins Arbeitszimmer. »Wenn Kivar den Kelch erlangt, wird er mächtiger werden als jeder andere Dämon, ein Gott nach eigenem Recht. Wie wollt Ihr ihn vorher finden?«

»Isabels Blut.« Er lächelte das Lächeln eines Wahnsinnigen. »Ich kann es riechen.«

»Natürlich …« Der Zauberer lächelte. »Kommt, Krieger. Geht voran.«

Isabel stolperte in der Dunkelheit, bemühte sich, auf den Füßen zu bleiben. Sie bezweifelte keinen Moment, dass Kivar sie den Rest des Weges schleifen würde, wenn sie stürzte und sich beide Beine bräche. Der Schein der Augen des Wesens warf ein schwaches Schimmern auf die feuchten Höhlenwände und glitzerte gelegentlich auf einer Spur irgendeines phosphoreszierenden Pulvers auf dem Boden.

»Dein Freund, Orlando.« Sie überquerten die glitzernde Spur und tauchten in einen weiteren dunklen Tunnel ein. »Ganz wie er immer war, so schlau und so sehr im Irrtum.«

Sie wollte antworten, aber sie war sich nicht sicher, ob sie die Kraft dazu hatte. Sie war noch erschöpft und schwach vom Blutverlust, den Simon ihr zugefügt hatte, bevor sie nach Charmot zurückkam. Nun blutete sie erneut, und der Schmerz an ihrem Handgelenk schwächte sie noch mehr. Ganz zu schweigen davon, dass sie von einem rasch zerfallenden Leichnam durch ein Labyrinth gezerrt wurde. Sie hätte am liebsten geschrien, bis sie tot umgefallen wäre. Aber Schreien würde sie – oder Charmot – nicht retten. »Simon wird Euch erwischen«, zwang sie sich zu sagen, als sie eine weitere scharfe Biegung nahmen. »Er wird Euch vernichten.«

»Tatsächlich?« Er bog erneut um eine Kurve, so rasch, dass sie ihre freie Hand heben musste, um nicht gegen die Wand geschleudert zu werden, bevor er sie weiterzerrte. »Woher willst du wissen, dass er sich nicht selbst vernichtet hat?«

Ein Bild von Simon, wie er enthauptet auf der Zugbrücke des Schlosses lag, während Malachi über ihm stand, zog vor ihrem geistigen Auge herauf, aber sie verdrängte es. »Das hat er nicht.« Sie zwang sich, stattdessen an ihre Mutter und ihren Wandteppich zu denken, ihre Vision der großen Taten, die ihr Kind vollbringen würde, um ihr Volk zu retten. Dieses Wesen, dieser Kivar … er war der Wolf. »Ich würde es wissen.«

Der Vampir lachte. »Vielleicht.«

Sie nahmen eine weitere, sanftere Biegung, und nun fiel der Boden steil vor ihnen ab, führte sie in einer endlos scheinenden Spirale abwärts. Kivar murmelte in seiner uralten Sprache etwas und ging noch rascher voran.

Simon spürte, wie der Geruch seiner Liebsten in der Kälte deutlicher und süßer wurde. Er bemerkte in seinem Eifer, sie einzuholen, zunächst nicht, dass der Boden steil abfiel, bis es fast zu spät war. Er stolperte, den Pfahl vor sich ausgestreckt, und Orlando sprang an ihm vorbei, packte ihn und stieß ihn beiseite, unmittelbar bevor Simon sich selbst pfählen konnte. »Danke«, murmelte der Vampir zitternd und schlug seinem Freund auf die Schulter, bevor er sich wieder aufrappelte.

Isabel hörte von irgendwo weit hinter und über ihnen ein Scharren, nicht lauter als eine Ratte in einer Mauer, und sie lächelte. Simon kam. Er würde sie finden. Dann lachte Kivar, ein verbittertes, kleines Kichern, und ihre Hoffnung verflog. »Er ist nicht gerade leichtfüßig, oder?«, und ein Lächeln war auch in seiner Stimme hörbar. »Komm schon, Kleine.«

»Simon, sei vorsichtig!«, schrie sie auf und stemmte ihre Füße auf den Boden, um Kivar noch einen Moment aufzuhalten. »Er weiß es!«

Kivar packte sie grob an den Haaren, ließ sie vor Schmerz keuchen, aber sie würde nicht schreien, nicht, wenn Simon nahe genug war, um sie zu hören. »Bist du nicht ein tapferes, kleines Tierchen?«, fragte die Kreatur kalt und zwang sie weiter den Hang hinab.

Sie lebt, dachte Simon und nahm die Bedeutung ihrer Worte kaum wahr, als sie durch die Dunkelheit zu ihm zurückhallten. Sie lebt und ist noch bei Bewusstsein. Er wechselte einen Blick mit Orlando und beschleunigte dann seinen Schritt.

Der Durchgang öffnete sich, während der Weg wieder ebener wurde, und Isabel stolperte, als Kivar plötzlich stehenblieb. »Natürlich«, sagte er lachend. »Was sollten sie sonst tun?« Er hob eine Hand, wie er es getan hatte, um Orlando anzugreifen, und eine Fackel loderte vor ihnen auf, dann noch eine und noch eine, die einen Halbkreis aus Feuer bildeten. Hinter den Fackeln waren gemeißelte Steinsäulen zu erkennen, die wie die Stämme gewaltiger Bäume wirkten, so kunstvoll, dass Isabel blinzelte und einen Moment lang glaubte, sie wären real – große Eichen, die unter der Erde wuchsen. Sogar die Decke war so behauen, dass sie an einen Baldachin aus Sommerblättern erinnerte, für immer in der Zeit eingefroren. Der Kreis schien an der gegenüberliegenden Wand der Höhle zu enden, wo er zu einer glatten, flachen Felsplatte verschmolz.

»Betrachte die Mühen deiner Vorfahren, Kleine«, sagte Kivar und zog sie in den Kreis. »Sieh, was ihre Torheit erschaffen hat.«

»Waren sie so töricht?« Unmittelbar innerhalb des Kreises befanden sich zwei glatte steinerne Obelisken, schulterhoch und die Spanne eines Männerarms voneinander entfernt. »Sind sie Euch nicht entkommen?«

»Eine Zeitlang.« Er blickte die Felswand hinauf, und seine Dämonenaugen triumphierten. »Aber diese Zeit ist vorüber.« Er wandte sich ihr wieder zu, ließ ihr Handgelenk los, um nach ihrer Schulter zu greifen, und sie wusste, dass ihr Moment gekommen war. Sie griff ihn an, bevor er sie erwischen konnte, stürzte sich zornig auf ihn, stieß ihm ihre Finger in die Augen, der einzige Körperteil, der lebendig erschien. Er schrie auf, griff nach ihren Händen, trat ihre Beine unter ihr fort und stieß sie zu Boden. »Kleines Miststück«, knurrte er vor ihr kauernd, ihre beiden Handgelenke in seinem Griff. Ein Auge war komplett aus seiner trockenen Höhle gerissen, hing nutzlos an dem Fetzen Pergament, der seine Wange hätte sein sollen. Das andere war heil geblieben, sonderte aber Flüssigkeit ab, war offensichtlich blind. »Glaubst du, ich muss dich sehen?«

»Ich werde Euch töten«, versprach sie, vor Entsetzen, aber auch vor Zorn zitternd, die Tochter einer Druidin und eines Ritters. »Eure Zeit ist um.«

Er riss sie wieder hoch und stieß sie zwischen die Obelisken, der Verlust seiner Sicht war offensichtlich keine große Behinderung bei seiner Suche. Er schlug ihre blutende Hand gegen den oberen Teil eines der Steine und zog dabei ihren Arm geschickt aus der Gelenkpfanne, um das zu tun. Ein Übelkeit erregender Schauder durchlief sie, und die Höhle wurde für sie, trotz des Lichts der Fackeln, dunkel. Er riss die Haut ihres anderen Handgelenks mit seinen zerstörten Zähnen auf und nagte an ihr wie ein Hund, und dieses Mal schrie sie, unfähig, den Schrei zurückzuhalten. Er presste ihr blutendes Handgelenk an den anderen Obelisken, und ihr Körper fühlte sich an, als würde er durch einen Blitz allmählich entzweigerissen, die gesamte Höhle um sie herum erbebte.

»Hier ist es, Kleine«, sagte Kivar, zerrte ihr Gewand am Rücken herab und riss den Stoff in Fetzen, um ihre Hände an den Stein zu fesseln. »Dein großartiges Schicksal.«

Simon trat hinter ihnen ins Licht, den Pfahl vor sich ausgestreckt. »Seid vorsichtig, mein Sohn«, warnte Kivar ihn, während er zum Angriff überging. »Ich würde ihr nicht gerne das Genick brechen.« Isabel war an eine Art Steinpranger gebunden, ihr Blut floss an beiden Seiten herunter, und der uralte Vampir stand hinter ihr, ein verheertes Skelett, das ihren Kopf zwischen zwei knochigen Händen hielt. »Seht, was sie tun kann.«

Die Steinmauer vor ihnen leuchtete plötzlich in einem kalten, blauen Schein auf, der sich von der Mitte nach außen ausbreitete. Isabel wand sich in ihren Fesseln, die Macht, die sie durchströmt hatte, riss sie entzwei, und das Licht wurde heller, wobei der Stein zu etwas wurde, das wie Eis aussah, erst weiß, dann durchscheinend, ein mit Reif bedecktes Fenster zu einer anderen Welt. Zuerst dachte Simon, er sähe die Fackeln, die er berühren konnte, in der glänzenden Oberfläche reflektiert, aber dann erkannte er, dass dem nicht so war, dass der Kreis sich auf der anderen Seite fortsetzte. Die Eiswand wurde noch klarer, und er konnte unmittelbar gegenüber der Stelle, an der Isabel angebunden war, einen Altar sehen, einen hohen Steintisch, der in der Mitte mit einem goldenen Tuch bedeckt war. Die andere Seite war keine Höhle, sondern ein Hain, ein schimmernder Wald im Tageslicht, und sein Herz vollführte bei dem Anblick, trotz allem, einen Satz – angesichts einer Sonne, die ihn akzeptieren, und eines Lichts, das nicht in seinen Augen brennen würde. In der Mitte des Altars stand ein einzelner Pokal.

»Der Kelch«, murmelte Orlando neben ihm ehrfürchtig. »Es ist der Kelch.«

»Dies ist das Geburtsrecht, das ich Euch anbieten möchte, mein Sohn«, sagte Kivar. »Dies ist das Reich, das ich Euch zu regieren gäbe.« Isabels Herz wurde schwächer. Simon konnte es hören. Sie starb. Er hatte keine Zeit für Trancen und Träume.

»Lasst sie los!«, rief er und wandte sich von der Vision vor ihm ab.

»Lasst sie leben«, antwortete Kivar. »Nicht als dieses Tier, das mit der Zeit verwesen wird, diese Nahrung für Würmer und die Aaskrähe, sondern als eine Göttin.« Seine Augen waren zerstört, aber er wandte sich Simon zu, als könnte er ihn noch immer sehen, eine skelettartige Hand sanft in Isabels rotem Haar verfangen. »Geht hin, und nehmt den Kelch, benutzt ihn, wie ich es Euch anweisen werde, und wir werden eins sein. Zusammen werden wir sie retten. Wir werden sie zu einer Königin machen.«

»Nein«, warnte Orlando. »Er lügt.«

»Ruhe!« Kivar wandte seinen Körper der Stimme des Zauberers zu, aber als Orlando einen Schritt beiseitetrat, reagierte er nicht. Er sah ihn nicht.

»Warum sollte ich den Kelch mit Euch teilen?«, antwortete Simon und trat lautlos einen Schritt näher. »Warum sollte ich ihn nicht für mich selbst nutzen und wieder ein Sterblicher werden, wie ich es immer gewollt habe? Selbst wenn Ihr mich danach tötet, werde ich gnädig sterben.«

Kivar lächelte, zeigte seine Vampirzähne in dem verrotteten Mund des toten Mönchs. »Weil Euer kleines Lamm dann auch sterben muss.«

»Sie stirbt bereits.« Er trat noch näher. »Dessen habt Ihr Euch versichert.« Er hob den Pfahl an, und Orlandos Augen weiteten sich, aber Kivar reagierte nicht. »Warum sollten wir nicht zusammen sterben?«

»Weil Ihr kein Märtyrer seid, Simon«, sagte Kivar. »Ihr seid kein Ritter, sonst wärt Ihr jetzt nicht hier.« Er lächelte erneut, und sein verbliebenes Auge glühte wie Feuer, blutrot, aber blind. Als Simon zurückblickte, konnte er durch den Eisschleier, der jetzt so dünn war, dass er durchsichtig wirkte, den Kelch sehen. Noch ein Moment, und er wäre fort. Der Kelch könnte ihm gehören.

Aber er sah Isabel vor sich, die sterbliche Unschuld, die ihr Blut vergossen hatte, um ihn zu retten, die Frau, die er liebte. Sie sank zwischen den Obelisken zusammen, hing nun in ihren Fesseln, von ihrem eigenen Blut durchtränkt, zu schwach, um stehen zu können. Aber ihre Augen waren lebendig. Sie konnte ihn sehen und ihr Mund formte lautlos ein Nein.

»Ihr werdet ein Gott sein«, sagte Kivar. »Ihr werdet mein Sohn sein.«

»Gott ist im Himmel«, antwortete Simon und trieb dem Dämon den Pfahl ins Herz. »Und mein Vater ist bei ihm.«

Kivar stieß einen einzigen Schrei aus. Das Skelett, das er in Besitz genommen hatte, richtete sich taumelnd auf und explodierte im nächsten Augenblick zu Staub. Während Simon zurückwich, sah er ihn nicht, wie er ihn im Palast des Kalifen gekannt hatte, sondern so, wie er zuvor gewesen sein musste, als junger Mann mit grünen Augen und glänzendem, rotem Haar, das Isabels so sehr ähnelte, dass er ihr Bruder hätte sein können. Die geisterhafte Gestalt blickte entsetzt abwärts und wandte sich dann dem Kelch zu, während der Schleier aus Eis wieder dichter und weißer wurde. »Nein!«, brüllte er, und der Klang hallte in der Höhle wider, während er voranstürzte und seine Gestalt sich im Lauf auflöste. Er erreichte den Schleier, unmittelbar bevor er vollständig verschwand, und hielt auf den dahinterliegenden Wald zu. Die Wand explodierte in einhunderttausend Eisscherben, die wie Steine zu Boden fielen, die Höhlenwand stürzte ein, und das Fenster zum Kelch war verloren.

»Isabel!« Simon lief zu ihr, zerrte ihre Fesseln fort und riss sie in seine Arme, als sie fiel. Ihr Kopf sank über seinen Arm, der Schnitt, den Kivar an ihrer Kehle hinterlassen hatte, war vor der totenähnlichen Blässe ihrer Haut lebhaft purpurn. Er drückte sie fester an sich, lauschte mit seinen Vampir-Sinnen, verzweifelt vor Angst, und schließlich hörte er es, das zarte Pochen ihres Herzens.

Isabel spürte die Arme ihres Engels um sich und lächelte. Dieses eine Mal fühlte er sich warm an. Sie wollte mit ihm sprechen, sich an ihm festhalten und ihm sagen, dass alles gut würde, aber sie konnte sich anscheinend überhaupt nicht regen, geschweige denn reden. Schließlich schloss sie die Augen und ergab sich der Dunkelheit.