7

Isabel saß in der großen Halle am Kamin, gab vor, eine zerrissene Socke zu stopfen, und beobachtete Hannah dabei, wie sie einen Kranz Frühlingsblumen auf Susannahs Kopf feststeckte. »Der andere gefällt mir besser, der mit den Rosenknospen.«

»Meinst du?«, fragte das Dienstmädchen und bewunderte ihr Spiegelbild in Isabels bestem Silberspiegel. »Ich fürchte, all dieses Gelb wird mein Gesicht grün wirken lassen.«

»Eher orange, aus reiner Eitelkeit«, schalt Hannah lächelnd.

Der Tanz in den Mai im Kreis der Druiden war eine Tradition, die weitaus älter war als Schloss Charmot. Menschen kamen meilenweit aus dem Umkreis hierher, um im Druidenhain der Alten zu tanzen, zumindest hatte man Isabel das erzählt. »Du darfst die Maikönigin nicht hänseln, Hannah«, warnte sie. »Sie könnte dich mit einem Zauber belegen.«

»Ihr solltet mit uns kommen, Mylady«, regte Susannah an. »Ihr könntet sogar Euren Cousin mitbringen.«

»Meinst du?«, fragte Isabel sarkastisch und verzog das Gesicht.

»Still«, schalt Hannah und gab Susannah einen leichten Klaps. »Lady Isabel hat kein Interesse an solchen Sachen, und Sir Simon auch nicht.«

»Aber es ist nett von dir, dass du an uns gedacht hast, Susannah«, sagte Isabel.

In Wahrheit hätte sie Simon nirgendwohin einladen können, selbst wenn sie den Mut dazu aufgebracht hätte oder dazu Lust gehabt hätte. Sie hatte ihn seit Wochen nicht mehr gesehen. Das letzte Mal war sie ihm an dem Abend begegnet, als er den Wolf getötet und sie zu seiner Belohnung geküsst hatte – der gesamte Haushalt hatte beschlossen, es so zu erklären. Alle dachten, die Adligen, Isabel und Simon, müssten im Nachhinein, außer Hörweite aller, darüber gestritten haben. Sie alle vermuteten, sie hätte ihn wegen seiner Unverfrorenheit für immer in die Katakomben verbannt. »Die Absichten dieses irischen Teufels waren nur allzu eindeutig«, hörte sie den alten Wat in den Ställen lachend sagen, als er nicht bemerkte, dass sie vorüberging. »Es ist eine rechte Schande, dass Sir Gabriel unsere Lady dazu erzogen hat, so verdammt wählerisch zu sein.«

Aber in Wahrheit war es Simon, der ihr fernblieb. Orlando war beinahe jeden Tag aus dem Keller heraufgekommen, um Essen aus der Küche zu holen, und sie hörte Malachi in vielen Nächten, lange nachdem sie zu Bett gegangen war, über die Zugbrücke galoppieren. Aber sie hatte ihr Versprechen gehalten, Simon in Ruhe zu lassen, und er zog es anscheinend vor, sich ihr gegenüber genauso zu verhalten.

»Hört nicht auf sie, kommt mit uns«, beharrte Susannah. Sie nahm die Näharbeit von Isabels Schoß und ersetzte sie durch den Rosenknospen-Kranz. »Die Wälder sind sicher. Sir Simon hat sich davon überzeugt.«

»Ich weiß«, sagte Isabel und wollte den Kranz zurückreichen. »Das ist es nicht.« Es war niemand mehr angegriffen worden, seit Simon den Wolf getötet hatte. Nicht einmal ein einziges Lamm war getötet worden, und es hatte kein Anzeichen des schurkischen Ritters, Michel, gegeben. Die Männer des Haushalts waren alle davon überzeugt, dass Simon bei seinen mitternächtlichen Ritten in den Wäldern patrouillierte. »Ich wette, er wird jede Bestie abschrecken, die es wagt, seinen Weg zu kreuzen«, hatte Kevin seiner Frau erzählt, und Hannah hatte seine Worte für ihre Herrin wiederholt.

»Susannah, das reicht«, sagte Hannah jetzt in einem Tonfall, der jegliche Diskussion verbot. »Geh und sieh nach, ob Kevin mit dem Wagen fertig ist, ja?«

»Schon gut, schon gut.« Susannah nahm den Kranz, legte ihn aber wieder auf Isabels Schoß. »Nur für den Fall, dass Ihr Eure Meinung ändert.«

»Achtet nicht auf sie, Mylady«, sagte Hannah, als das Mädchen gegangen war. »Sie ist nur ein Bauernmädchen. Sie begreift Eure Position nicht.«

»Schon gut«, sagte Isabel und legte den Kranz beiseite. »Sie hat es nicht böse gemeint.« Sie nahm ihre Näharbeit wieder hoch und mied den Gedanken daran, dass sie und Susannah fast im selben Alter waren, oder dass ihre Mutter selbst ein Bauernmädchen gewesen war. Sie musste auch im Druidenhain getanzt haben, bevor ihr normannischer Ehemann kam, um auf sie Anspruch zu erheben, dachte Isabel. Aber ihre Tochter, die Herrin von Charmot, wurde als Adlige geboren.

Sie arbeitete sich durch einen ganzen Korb Flickwäsche, während sich der übrige Haushalt auf die Feier vorbereitete. Alle wünschten ihr einen schönen Abend, als sie aufbrachen. »Sei heute Nacht vorsichtig, junger Thomas«, rief sie, als Tom mit einem Fass Met auf der Schulter durch die Halle lief. »Es heißt, in der Mainacht kämen die Feen aus den Wäldern.«

Er grinste und errötete. »Man kann nur hoffen.«

Schließlich hörte sie den Wagen über die Zugbrücke davonrollen, so dass sie nun abgesehen von Simon und Orlando unten in den Katakomben und Brautus oben in seinem Zimmer allein war, oder zumindest vermutete sie das. Aber gerade als sie in die Küche gehen und für sich und Brautus etwas zum Abendessen holen wollte, kam jemand durch das Tor zurück – Raymonds Frau, Mary, die in einem hellgrünen Gewand mit einem Blumenkranz im Haar wunderschön aussah. »Verzeiht, Mylady«, sagte sie und betrat die schattige Halle. »Ich muss mit Euch sprechen.« Sie streckte eine pralle, kleine Geldbörse aus. »Ich muss Euch dies geben. Raymond nennt mich eine Närrin, aber ich fürchte … Ich kann erst zum Kreis der Druiden gehen, wenn Ihr das von mir annehmt.«

Isabel nahm die zerlumpte Geldbörse, ein weicher Lederbeutel, mit farbiger Seide in Weinrot und Pfauenblau bestickt. »Woher habt Ihr sie?« Die meisten Leute von Charmot und aus den umliegenden Dörfern sahen nie in ihrem Leben zwei Münzen auf einmal, aber diese Geldbörse war fast bis zum Bersten mit Kupfer-, Silber- und sogar Goldmünzen gefüllt.

»Diese tote Frau, die wir gefunden haben, hatte sie in ihrem Rock versteckt«, erklärte Mary. »Diejenige, die der Wolf getötet hat.« Isabel sah entsetzt zu ihr hoch. »Wir wussten, dass es falsch war, sie zu nehmen, aber Raymond sagte …« Sie wandte den Blick ab. »Wir dachten, Charmot bekäme vielleicht einen neuen Herrn und wir müssten fortziehen und könnten dann mit diesem Geld neu anfangen, vielleicht sogar nach London gehen. Ich habe dort eine Cousine.«

Isabel konnte es ihnen kaum vorwerfen. Sie hatte an jenem Tag selbst daran gedacht davonzulaufen. »Ihr habt sie bei diesem Mädchen gefunden?«, fragte sie und war darüber noch verblüffter. Die tote Frau war eine Bäuerin gewesen. Wo hätte sie solch einen Schatz herhaben sollen? Sie erkannte einige der Münzen, die aus England stammten, dieselben, von denen sie auch einige besaß, aber viele andere waren fremd und offensichtlich sehr alt. Sie schüttete sich einen Stapel davon in die Hand, und eine große goldene Münze mit dem Bild eines Römers namens Cäsar darauf rollte daraus hervor.

»Ja«, antwortete Mary und nickte. Je länger sie sprachen, desto ruhiger klang sie, als ob allein die Tatsache, Isabel die Geldbörse zu geben, ihre Ängste vertrieben hätte. »Raymond sagte, sie würde sie nicht mehr brauchen, aber wir schon, oder zumindest dachten wir das. Aber nun, wo Euer Herr … Euer Cousin gekommen ist …« Isabel blickte erneut zu ihr hoch, und sie errötete, aber dieses Mal wandte sie den Blick nicht ab. »Ihr könntet sie Pater Colin geben.«

»Ich könnte sie ihm geben?« Sie schüttete die Münzen wieder in den Beutel zurück. »Warum ich?«

»Ihr seid die Herrin des Schlosses«, sagte Mary, als wäre dies ein vollkommen stichhaltiger Grund. »Ihr könntet selbst solch eine Geldbörse besitzen, die Euch Euer Vater, der Lord, hätte hinterlassen können.«

»Ich besitze keine«, sagte Isabel lachend.

»Aber das weiß Pater Colin nicht«, erklärte sie. »Ihr könntet sie der Kirche schenken, und er würde niemals nachfragen. Ihr würdet nicht einmal sagen müssen, woher Ihr sie habt.« Isabel erkannte, dass sie Absolution wollte, jemanden mit Einfluss, der ihr sagte, sie könne nun im Kreis der Druiden tanzen, ohne Angst vor Strafe haben zu müssen für ihre und ihres Mannes große Sünde, sich um sich selbst zu sorgen. Also war sie zur Herrin von Charmot gekommen, einer unverheirateten, jungen Frau, die niemals dort getanzt hatte und auch niemals dort tanzen würde. Danke, Papa, dachte Isabel mit innerer Verbitterung, die für sie allmählich zu einer Art Gewohnheit wurde. Du hast mir wirklich ein schönes Erbe hinterlassen.

»Ich werde mich darum kümmern«, sagte sie laut und brachte ein Lächeln zustande. »Geht und genießt den Tanz.«

Ein Lächeln überzog Marys Gesicht. »Danke, Mylady.« Sie vollführte einen bäuerlichen Hofknicks. »Vielen Dank.« Und fort war sie, bevor ihre Herrin antworten konnte.

Isabel betrachtete die Geldbörse erneut. Seltsame Zeichen, die sie nicht lesen konnte, waren mit mattem Goldfaden in das Leder gestickt. Sie nahm die Goldmünze, die sie zuvor gesehen hatte, erneut hervor und hielt sie zwischen den Fingern. Wenn das nächste Mal ein Verehrer erschiene, könnte sie sich vielleicht freikaufen, damit er sie in Ruhe ließe. Oder vielleicht würde sie sie Pater Colin schenken, wie Mary es vorgeschlagen hatte, und ihnen allen ein wenig Ablass für ihre Sünden erkaufen. Aber im Moment kümmerte es sie nicht sehr.

Sie steckte die Münze wieder in die Geldbörse und die Geldbörse in ihre Tasche. Brautus würde sein Abendessen brauchen.

Simon tastete sich an der Höhlenmauer entlang, er wollte in diesem dunklen, feuchten Loch nur sehr ungern seiner Dämonensicht vertrauen. »Der Boden ist wieder nass«, sagte er zu Orlando, der wenige Schritte hinter ihm her kroch. »Bring das Licht hierher.«

Sie tasteten nun schon seit Wochen wie die Narren in einem Märchen in der Dunkelheit umher, durchsuchten Sir Gabriels Katakomben und waren dem Kelch kein bisschen näher als in der Nacht, in der sie begonnen hatten. Die Tunnel wanden sich scheinbar endlos voran, tiefer und tiefer, wobei Wasser gelegentlich als eisiger Silbervorhang durch die Decke floss oder durch den Boden sickerte. Orlando hatte aus einer seiner vielen Taschen ein phosphoreszierendes Pulver zutage gefördert, das eine schimmernde Spur hinterließ, während sie sich vorantasteten. Sonst hätten sie sich hier auf ewig verirrt.

»Hier«, sagte Orlando und reichte die Fackel hinüber. »O du liebe Güte.«

Die Lache zu seinen Füßen schimmerte, wie Simon es vermutet hatte – sie hatten diesen Weg schon zuvor gequert. »Wunderbar«, grollte der Vampir und stolzierte auf der Suche nach einem neuen Tunnel zur nächsten Biegung voraus. Aber eigentlich dachte er: Welchen Sinn hat das? Sie hatten keine Ahnung, wie lange der Schimmer in diesem Puder anhielt, wenn Orlando es ausstreute – sie wussten nur, dass sie nun tagelang ihren eigenen Schritten gefolgt waren. »Es ist hoffnungslos«, murrte er laut, blieb stehen und lehnte sich an die Wand. »Wir werden niemals etwas anderes finden als das hier.«

»Und was sollen wir Eurer Meinung nach stattdessen tun, Krieger?«, fragte Orlando, der stolperte, als er Simon hinterhereilte. »Das würde ich gerne wissen.«

»Ich weiß es nicht.« Die Wand ihm gegenüber war mit groben Figuren bemalt, Männer und Frauen in einem Kreis, die meisten hatten hellrote Haare. Sie tanzten offenbar, die Arme erhoben, der spitze, blau-gelbe Umriss in der Mitte des Kreises war wohl ein Feuer. Die Katakomben waren von solchen Gemälden übersät, und sie vermittelten Simon stets ein seltsames Gefühl, als hätte er etwas Wichtiges vergessen, etwas, das knapp außerhalb seiner Erinnerung lag. Zuerst war Orlando davon überzeugt gewesen, dass dies ein gutes Omen sei, dass die groben Gestalten und Simons Reaktion auf sie ihnen irgendwie den Weg zu dem Kelch weisen würden. Aber Wochen später hatten sie in den Gemälden ebenso wenig weitere Strukturen und Hinweise gefunden wie in den Tunneln selbst.

Er hob die Fackel näher an das Gemälde heran, betrachtete eine einzelne Tänzerin, deren lange, rote Locken sich um ihre schlanke Gestalt wanden. »Isabel«, murmelte er. Ihre Mutter war auf dieser Insel und in den umliegenden Wäldern zu Hause gewesen. Sie hatte eine sehr ähnliche Gestalt in ihren Wandteppich gewoben, eine junge Frau, die einen Wolf zähmte.

»Was denkt Ihr gerade, Krieger?«, fragte der Zauberer. Simon begann den Weg zurückzugehen, auf dem sie gekommen waren, überließ es seinem Weggefährten, ihm nachzueilen. »Was geht Euch durch den Kopf?«

»Isabel«, antwortete er, ohne seinen Schritt zu verlangsamen. Er erreichte Sir Gabriels Arbeitszimmer und befestigte die Fackel in einer Wandhalterung. »Vielleicht weiß sie etwas«, erklärte er, als Orlando ihn schließlich einholte und gereizt und außer Atem schien. »Wir hätten sie schon längst fragen sollen.«

»Nein, Simon«, erwiderte der Zwerg beunruhigt. »Ihr müsst Euch von ihr fernhalten …«

»Warum muss ich das?« Doch er kannte die Antwort bereits. Er hatte seine vorgebliche Cousine wochenlang gemieden, war nur in der Dunkelheit der Nacht aus den Katakomben gekommen, wenn er sich sicher war, dass sie schlief. Er hatte sie geküsst, nicht achtlos, nicht für das Vergnügen eines Augenblicks, sondern weil er ihren Kuss gebraucht hatte. Und er wusste, dass das gefährlich war, nicht nur für ihn, sondern auch für seine Suche.

Aber wenn sie ihnen helfen konnte, wenn sie etwas von einer örtlichen Legende oder einem Mythos wusste, die sie zu dem Kelch führen konnten – war es das Risiko dann nicht wert? Je eher seine Suche beendet war, desto eher konnte er Charmot verlassen, und desto eher war Isabel wieder in Sicherheit.

»Bleib hier, und schau weiter, wenn du willst«, sagte er zu Orlando. »Ich werde nicht lange brauchen.«

»Wartet«, befahl der Zauberer und drängte sich an dem Vampir vorbei zum Schreibtisch des toten Ritters. Er warf seine Wahrsagesteine darauf aus und betrachtete sie einen Moment mit zunächst ernster, dann beunruhigter Miene. »Nein«, entschied er. »Ich verbiete Euch, zu ihr zu gehen.«

»Du verbietest es mir?«, wiederholte Simon ungläubig.

»Ich werde selbst mit Lady Isabel sprechen, wenn Ihr glaubt, dass sie uns etwas von Wert zu erzählen hat«, sagte Orlando rasch. »Ihr dürft Euch ihr nicht nähern, weder heute noch in einer anderen Nacht. Ihr habt eine Pflicht zu tun, Krieger, habt ein wichtigeres Versprechen zu halten.«

»Orlando, ich werde den Kelch nicht aufgeben«, sagte Simon und rang um seine Fassung. »Das sagte ich dir bereits.«

»Ich spreche nicht nur von dem Kelch, Krieger.« Orlando griff in die seinem Herzen nächstgelegene Tasche und nahm die rubinfarbene Flasche hervor, welche die Essenz Roxannas enthielt, die kleine Sultanin, die er liebte. »Sie vertraut darauf, dass du sie rettest«, sagte er, seine Augen waren voller Gefühl. »Sie wird dich brauchen, einen Krieger, der ihre Art und ihre Vergangenheit versteht, der sie beschützen kann, wenn ihr Fluch gebrochen ist.«

»Nein, Orlando.« Er konnte seine Vampirschwester im Geiste den Dolch halten sehen, der Herzog Francis getötet hatte, konnte das Blut seines geliebten Herrn die Klinge in ihrer Hand beflecken, konnte die scharlachroten Tränen eines Ungeheuers auf ihren Wangen sehen. »Das wird niemals geschehen.« Er wollte an dem Zwerg vorbeigehen, war nicht bereit, noch mehr zu sagen, aber Orlando versperrte ihm den Weg.

»Nein«, beharrte er und hob seine schrumpeligen, kleinen Hände, als wollte er den Vampir gewaltsam zurückhalten. »Das werdet Ihr nicht tun … Ihr werdet sie vernichten …«

»Nein.« Simon hob den kleinen Zauberer zum ersten Mal in all ihren gemeinsamen Jahren hoch – eine unverzeihliche Demütigung.

»Ich werde es ihr erzählen!«, wütete Orlando und wand sich in seinem Griff. »Ich werde Lady Isabel die Wahrheit sagen!«

»Nein, das wirst du nicht.« Simon setzte ihn auf der anderen Seite des Raumes wieder ab und erreichte dann mit drei großen Schritten die Tür. »Es tut mir leid«, sagte er, verließ den Raum und schloss die Tür, bevor der Zwerg ihn erwischen konnte. Er drehte den Schlüssel um und ließ ihn im Schloss stecken. »Ich werde so schnell wie möglich zurückkommen.«

Isabel kam die Wendeltreppe mit dem Tablett wieder herab, das Brautus kaum angerührt hatte, und fühlte sich sehr ausgenutzt und verärgert. Ihr alter Freund war extrem schlechter Stimmung. Seine Schulter heilte noch immer nicht so, wie sie es längst hätte tun sollen, und sie schmerzte ihn sehr. »Noch etwas, worüber ich mir Sorgen machen muss«, grollte sie vor sich hin, während sie die große Halle betrat.

»Was habt Ihr gesagt?«, fragte Simon aus den Schatten beim Kamin, so dass sie aufschrie und das Tablett vor Schreck fallen ließ.

»Gütiger Himmel!«, fluchte sie und sah ihn stirnrunzelnd an, eine Hand auf ihr Herz gepresst. Brautus’ Abendessen spritzte auf die Binsen zu ihren Füßen.

»Es tut mir leid«, sagte er und bemühte sich, nicht zu lachen. Die normalerweise reservierte junge Herrin von Charmot hatte aufgeschrien, als hätte eine Gans sie ins Gesäß gebissen. Eine Erwiderung murmelnd, die er Gott sei Dank nicht verstand, beugte sie sich hinab, um das heruntergefallene Tablett wieder aufzuheben. »Wo sind alle anderen?«, fragte er. Er hatte bereits im Hof und in den Ställen gesucht, ohne eine Menschenseele zu finden.

»Was kümmert es Euch?«, blaffte sie und kratzte mit einer halbmondförmigen Scherbe einen Flecken Eintopf auf. »Was tut Ihr überhaupt hier oben?«

»Lasst mich Euch helfen.« Er beugte sich hinab, um die Flasche aufzuheben, aus der sich Wein in die Binsen ergoss. Sie schlug seine Hand fort und schnitt sich dabei an einer weiteren Scherbe der zerbrochenen Schale in die Hand.

»Mist!«, fluchte sie und warf die Scherbe, die sie noch in der Hand hielt, durch den halben Raum. Seine Augen weiteten sich, und sie war froh. Sie hoffte, er würde vor Schreck in Ohnmacht fallen. Sie war es unendlich leid, höflich zu ihm zu sein. Plötzlich fühlte es sich so an, als wäre jeglicher Groll, den sie empfand, seine Schuld, so ungerecht das gewiss auch sein musste. Aber sie war nicht in der Stimmung, vernünftig zu sein.

»Verzeiht.« Er erhob sich langsam, löste den Blick mühsam von der Wunde in ihrer Handfläche. Er schloss die Augen, und der jähe Duft ihres Blutes machte ihn trunken.

»Sie sind zum Druidenhain gegangen, zum Tanz in den Mai.« Sie riss sich ihr Tuch vom Kopf und verknotete es um ihre Hand, so gut sie konnte, da ihr fahrender Ritter kein Interesse daran zu haben schien, ihr zu helfen. Der große Wolfstöter von Charmot wirkte vielmehr, als könnte ihm jeden Moment übel werden. »Hier oben unter den Lebenden war heute der erste Mai.«

Simon sah sie entsetzt an, aber sie räumte weiter das von ihr verursachte Chaos auf und war sich dabei nicht bewusst, wie genau ihr Pfeil sein Ziel getroffen hatte. »Warum seid Ihr nicht hingegangen?«

»Weil ich nicht kann.« Sie hob das Tablett auf und eilte zur Küche, Simon folgte ihr. »Der Tanz in den Mai ist ein Bauernfest.« Sie leerte das Tablett in die Abfalltonne, zog dann ihre verdorbene Schürze aus und warf sie ebenfalls hinein. »Und ich bin die Herrin von Charmot.« Sie bemerkte ihr Bild in dem Spiegel, den Susannah auf dem Tisch zurückgelassen hatte. »Allem Anschein zum Trotz«, murrte sie und legte ihn mit dem Glas nach unten beiseite.

»Und das macht solch einen Unterschied?«, fragte Simon. »Daheim in Irland hatten wir auch Maitänze, und der Herzog und seine Ritter schämten sich nicht, daran teilzunehmen.«

»Der Herzog und seine Ritter waren vermutlich Männer. Ich bin eine Frau.« Sie füllte eine Schüssel mit Wasser und löste den Behelfsverband um ihre verletzte Hand. »Verzeiht. Ich dachte, das hättet Ihr bemerkt.«

»Das habe ich in der Tat«, antwortete er und lächelte über ihren Sarkasmus.

»Ihr habt es bemerkt, aber Ihr versteht nicht.« Der leichte Schnitt hatte bereits aufgehört zu bluten, aber er schmerzte, als sie ihn dennoch wusch und ihrem bereits schwelenden Zorn damit noch mehr Nahrung gab. »Das Vermächtnis meines Vaters ist von meinem Ansehen abhängig. Wenn mein Verhalten nicht in jedem Moment untadelig ist, könnten Charmot und alles, was er hier aufgebaut hat, verloren sein.«

»Hat Euer Vater Euch das gesagt?«, fragte Simon und beobachtete ihr Gesicht, als sie antwortete, wobei ihre Miene mehr verriet als ihre Worte. Sie war zornig, aber sie war auch verletzt.

»Das musste mir niemand sagen, Simon«, erwiderte sie. »Ich bin keine Närrin. Dieses Schloss hat keinen Lord, keinen Herrn, schon seit zehn Jahren nicht mehr, und der König hat, aus welchem Grund auch immer, beschlossen, es sich anzueignen. Der einzige Grund, warum er immer wieder Ritter geschickt hat, um es im direkten Kampf einzufordern, anstatt Truppen zu schicken, um es zu belagern, ist der, dass ich hier bin, eine adelige, junge Frau mit gutem Ruf und mit einem Blutsanspruch auf das Gut. Ich bin die Herrin von Charmot.« So hatte sie noch nie mit jemandem gesprochen, nicht einmal mit Brautus, aber tatsächlich war es die größte Wahrheit ihres Lebens, und sie wusste das nur allzu gut. »Wäre ich nur ein Bauernmädchen, das in einem heidnischen Druidenhain tanzt, dann brauchte sich der König meinetwegen nicht zu beunruhigen und Charmot wäre nur eine leere Festung, reif zum Pflücken. Und mein Vater …« Sie brach ab und wandte sich ab. »Niemand muss mir sagen, wie ich mich verhalten soll, Simon«, schloss sie und leerte die Schüssel aus. »Ich bin kein Kind mehr.«

»Nein«, sagte er liebevoll, durch ihre Worte stärker berührt, als er zugeben mochte. Er wollte ihre verletzte Hand in seine nehmen. »Das seid Ihr nicht.«

»Hört auf«, sagte sie und entriss ihm ihre Hand. »Das bin ich auch nicht.«

Er erstarrte, erschüttert durch ihre Zurückweisung. »Was seid Ihr auch nicht?«

»Irgendeine rehäugige Einfalt wie Susannah, die für den Moment lebt und zittert, in dem Ihr sie berühren könntet«, erwiderte sie, die Worte schneller als ihre Gedanken, wie sie erkannte, als hätte sie seit Wochen darauf gewartet, sie auszusprechen. »Oder irgendeine Eva im Garten, die darauf wartet, Euch zu verführen, ein weltliches Laster, das Ihr aufgeben müsst wie Sonnenschein oder Früchtekuchen oder was auch immer es sonst ist, wovon Ihr glaubt, Gott würde es Euch verbieten.« Er antwortete nicht, sondern erwiderte ihren Blick nur mit seinen dunklen Engelaugen, ein gemalter Heiliger, den sie verehren, aber niemals ganz berühren konnte. »Aber warum erzähle ich Euch das überhaupt?«, fragte sie und wandte sich von seiner kalten Schönheit ab. »Warum endet es immer damit, dass ich Euch alles erzähle, was mir in den Sinn kommt, Dinge, über die ich noch nie mit irgendeiner anderen Seele gesprochen habe? Und Ihr erzählt mir nie etwas.«

»Nein?«, entgegnete er und trat um sie herum, um ihr Gesicht zu sehen, seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Wie konnte dieses Kind es wagen, ihn auf diese Weise anzugreifen, dieses arglose, kleine Etwas, das glaubte, die Welt begänne und endete an den Schlosstoren ihres Vaters? Sie hatte ihn belehrt, sie sei kein Kind – nein, in Wahrheit war sie ein Kleinkind. »Am ersten Abend, als ich hierherkam, erzählte ich Euch mehr, als jede lebende Seele jemals von meiner Suche erfahren hat …«

»Euer Fluch, meint Ihr?«, fragte sie ungläubig. »Ja, Simon, das habt Ihr mir erzählt, und soll ich Euch sagen, wie ich darüber denke? Ich halte es für Unsinn. Ein Fluch, der einen Menschen dazu verdammt, in der Dunkelheit von Brotkrusten zu leben und in alten Gemäuern voller toter Papiere herumzustochern – welcher verrückte Dummkopf könnte an so etwas glauben?«

»Dann haltet Ihr mich für einen Lügner?«, antwortete er, nun ernsthaft zornig. Er war ein Lügner, aber das bedeutete nicht, dass er auch so genannt werden wollte, am wenigsten von ihr.

»Nein, Cousin«, sagte sie, ihr Gesicht kam seinem sehr nahe. »Ich denke, Ihr seid ein Narr.« Seine Miene verdüsterte sich, und sie trat halb bewusst einen Schritt zurück, durch den Ausdruck in seinen Augen trotz ihres Zorns ein wenig bezwungen. »Irgendjemand – vermutlich Orlando – hat Euch gesagt, dass Ihr ein Ungeheuer seid, dass Ihr es verdient, für irgendein großes Unrecht bestraft zu werden, und Ihr, armer Narr, glaubt ihm.«

»Ich sollte es Euch zeigen«, sagte er mit einem Lächeln, das fast an ein Knurren erinnerte. »Ich sollte Euch zeigen, was für ein Ungeheuer ich tatsächlich bin.«

»Ganz ehrlich, Simon, ich wünschte, das würdet Ihr tun«, erwiderte sie. »Dann hätte ich zumindest eine gewisse Chance, Euch zu verstehen. Was für ein Ungeheuer seid Ihr?« Er wandte den Blick ab, sein Kinn angespannt, eine Miene, die sich von jeder anderen unterschied, die sie ihn jemals hatte annehmen sehen. Alle Heiligkeit und die engelsgleiche Zurückhaltung, die ihn, selbst wenn er sie küsste, so distanziert erscheinen ließ, dass sie schreien wollte, waren fort. »Was habt Ihr so Schreckliches getan, dass Gott Euch verachtet?«

»Das kann ich Euch nicht erzählen …«

»Warum nicht?« Sie trat um ihn herum, wollte ihn zwingen, sie anzusehen. »Glaubt Ihr, ich würde Euch auch verachten und würde versuchen, Euch hinauszuwerfen? Wir wissen beide, dass ich das nicht tun könnte, selbst wenn ich wollte, dass Ihr geht, was ich übrigens nicht will. Ihr seid ein guter Mensch, Simon. Ich schwöre es, und ich mag Euch ebenso gerne wie jeden Freund, den ich jemals hatte. Ich kann nicht glauben, dass Ihr etwas Schreckliches getan haben könntet …«

»Isabel, hört auf«, befahl er und wollte davongehen, ihre Worte aussperren, bevor es zu spät war. Er wollte nicht ihr Freund sein, und er konnte nichts anderes sein. »Ihr wisst nicht, was Ihr von mir verlangt …«

»Aber ja.« Sie umfasste seinen Arm. »Ich verlange von Euch, mir zu vertrauen, wie ich gezwungen wurde, Euch zu vertrauen. Ihr sagt, hier in Charmot läge Eure Rettung, aber Ihr wollt mir nicht sagen warum.« Der Kummer in seinem Gesicht, als er sich abwandte, genügte, damit sie ihre harten Worte fast bereute, und sie lenkte ein. »Ihr wollt, dass ich Euch helfe …«

»Ich will, dass Ihr mich in Ruhe lasst!«, sagte er und wandte sich ihr wütend zu.

»Das wollt Ihr nicht!«, erwiderte sie, ihr ungezügelter Zorn kehrte blitzartig zurück. »Wenn Ihr es wolltet, würdet Ihr nicht … was tut Ihr jetzt hier, Simon? Warum seid Ihr nicht bei Orlando in den Katakomben? Warum habt Ihr mich geküsst, wohlgemerkt nicht ein Mal, sondern zwei Mal?«

Er öffnete den Mund, um zu antworten, aber er konnte die Worte nicht aussprechen, konnte ihr die Wahrheit nicht sagen. »Isabel, es tut mir leid«, begann er stattdessen.

»Nein!«, rief sie, und ihr Temperament ging vollkommen mit ihr durch. »Ihr werdet es nicht wagen zu bereuen, Ihr Bastard. Ich bin es leid!« Sie hätte es sich niemals im Leben träumen lassen, dass sie einen Mann wie eine Todesfee anschreien würde, noch viel weniger einen adligen Ritter, aber sie konnte nicht umhin. »Wenn Ihr mich küssen wollt, dann küsst mich, und ertragt die Konsequenzen. Wenn es mir nicht gefällt, werde ich es Euch in Zukunft nur allzu gerne wissen lassen. Ich bin vielleicht eine junge Frau, aber ich bin kein Feigling oder ein Kind.«

»Das sagtet Ihr bereits«, antwortete er mit hämischem, ungläubigem Lächeln.

»Und wenn Ihr mich nicht küssen wollt, wenn Ihr es in der Vergangenheit aus irgendeinem fehlgeleiteten Pflichtgefühl heraus getan habt, dann fühlt Euch bitte frei, damit aufzuhören«, fuhr sie unbeirrt fort. »Ich habe bisher ohne Eure Küsse gelebt. Ich denke, es wird mir auch gelingen, noch ein wenig länger ohne sie zu leben. Wenn Ihr in Ruhe gelassen werden wollt, dann bleibt mir fern. Ich schwöre, ich werde Euch nicht belästigen. Habe ich unsere Vereinbarung auch nur einmal gebrochen, seit sie getroffen wurde?«

»Nein«, murmelte er, die Stirn noch immer gerunzelt.

»Nein, und ich werde es auch nicht tun.« Es wurde ihr jäh bewusst, dass der schiere Dünkel dieses Mannes eine komische Komponente hatte. Es war so lächerlich. »Ihr kommt ständig zu mir, und doch muss ich gewarnt werden, mich von Euch fernzuhalten, muss versprechen, Euch in Ruhe zu lassen, damit ihr Euren großen Kummer ungestört durchleiden könnt. Nun, seid unbesorgt, Herr Ritter.« Sie fühlte sich plötzlich, als wäre ein großes Gewicht von ihr genommen worden, in gerechtem Zorn verweht. »Ihr seid von diesem Moment an vor mir sicher.« Sie feuerte die Schale, die sie benutzt hatte, ins Waschbecken, stürmte hinaus und schlug die Küchentür hinter sich zu.

Sie hörte seine Schritte hinter sich und wandte sich gerade in dem Moment um, als er sie ungefähr in der Mitte der großen Halle einholte und in seine Arme riss. »Ich habe es nicht versprochen.« Seine Stimme klang fast wie ein Knurren, und seine dunkelbraunen Augen begegneten ihren mit einem Hunger, der sie schwach werden ließ. »Ich habe niemals versprochen, dass ich mich fernhalten würde.« Sie öffnete den Mund zu einer scharfen Erwiderung, um ihren Zorn zurückzuerlangen, und er küsste sie, presste sie so fest an sich, dass sie kaum atmen konnte, geschweige denn protestieren.

Oh, nein, dachte sie, während sie innerlich noch immer kämpfte und sich in seiner Umarmung wand. Sie hob die geballten Fäuste an seine Brust und versuchte, ihn fortzuschieben. Dieses Mal würde er ihr nicht wieder mit einem Kuss den Verstand rauben. Er würde nichts tun, damit sie sich nach ihm sehnte, und sich dann wieder in sein Versteck zurückschleichen. Dieses Mal würde sie diejenige sein, die sich ihm entzog.

Seine Zunge drängte in ihren Mund, dieselbe Art köstlichen Eindringens, die sie in ihren Träumen schon seit Wochen heimsuchte, aber dieses Mal biss sie ihn, nicht fest genug, dass es geblutet hätte, aber fest genug, um ihm weh zu tun. Aber er ließ sie noch immer nicht los. Wenn überhaupt eine Reaktion erfolgte, presste er sie nur noch fester an sich, küsste sie noch härter, zog ihre Unterlippe zwischen seine Zähne, um ihren Biss sanft zu erwidern. Ihr Geist schrie vor Zorn auf, aber ihre Knie wurden schwach. Zornig oder nicht, weigerte sich ihr Körper, ihm zu widerstehen, aber innerlich tobte sie dennoch. Sie sank gegen seine Brust, überließ sich seinem Kuss, aber als er sich ihr entziehen wollte, packte sie mit beiden Händen sein Hemd. »Nein, das tut Ihr nicht«, warnte sie ihn. »Dieses Mal nicht.« Sie sah dieselbe alte Qual in seinen Augen, die in ihr das Verlangen weckte zu schreien. »Tut das nicht, Simon.« Sie löste ihren Griff, aber ihr Blick hielt ihn noch immer fest. »Wenn Ihr mich jetzt verlasst, verlasst Ihr mich für immer.«

Einen entsetzlichen Augenblick lang glaubte sie, er hätte genau das vor. Er ließ sie los und wandte das Gesicht ab. Aber gerade als ihr Tränen in die Augen stiegen, gerade als sie sich selbst abwenden wollte, packte er sie und küsste sie erneut.

Simon küsste sie fest, seine Entschlossenheit und seine Vernunft verglühten. Sie machte ihn besessen. Er konnte sie nicht loslassen. Er stieß sie an den schweren Tisch zurück, wollte sie noch immer verletzen, sie dafür bestrafen, dass sie so vollständig über ihn gekommen war, und verdammte sie für ihre Arglosigkeit. Er küsste ihre Mundwinkel, ihr Kinn, ihre Kehle, und ihr leiser Wonneseufzer trieb ihn weiter an. Sie wollte ihn. Sie wandte ihr Gesicht seinem Kuss entgegen, ihre Arme kraftlos an den Seiten, und als er sie auf den Tisch hob, streckte sie die Arme nach ihm aus, fuhr ihm mit den Fingern durchs Haar. Sie kannte ihn nicht als Vampir, als den Dämon im Dunkeln, der er so lange für so viele andere gewesen war, sondern als Simon, den Mensch, der er gewesen war, und sie wollte ihn, streckte sich nach ihm aus, schmolz bei seinem Kuss dahin. Sein Zorn löste sich in Verlangen auf, ein Verlangen, das süßer war als jeglicher Hunger nach Blut. Als er sich zurückzog, blickten ihre grünen Augen in seine hinauf, angstfrei und liebevoll, und er lächelte und liebkoste ihre Wange. »Wie könnte ich dich verlassen?«

Er küsste sie erneut, ihre Gesichter waren nun auf gleicher Höhe, und sie schlang die Arme um seinen Hals, legte ein Bein um ihn, machte ihn verrückt. Wie konnte sie real sein, diese wilde, junge Seele in seinen Armen, in einem Moment so vernünftig und kalt und im nächsten Moment so fiebernd und schamlos? Seine Hände bewegten sich an ihren Seiten auf und ab, während seine Lippen zu ihrer Kehle wanderten und die Hitze ihres weichen Fleisches ihn ebenso verrückt machte wie der Geschmack ihrer Haut. Niemand sonst hatte sie je berührt, dachte er, während er sie liebkoste. Kein anderer Mann hatte jemals ihre Küsse geschmeckt oder sie nahe an sich gepresst und gespürt, wie sie nachgab. Ihre Leidenschaft gehörte ihm allein, ohne eine Spur von Berechnung, ohne Vortäuschung mädchenhafter Verachtung. Wenn sie ihn verachtete, würde er es erkennen. Wenn sie ihn küsste, war es echt.

»Isabel«, murmelte er und küsste ihr Kinn, und sie erschauderte, liebte den Klang ihres Namens in seinem Mund und das Verlangen, das sie in seiner Stimme hörte. Er schob ihren Rock ihre Oberschenkel hinauf, und sie zitterte, fühlte sich köstlich verrucht. Sie waren allein im Schloss, bis auf Brautus, der schlief, und Orlando, der die Katakomben nicht verlassen würde. Niemand würde kommen, um sie zu stören oder nachzusehen, was sie taten. Niemand würde hereinstürmen, um sie zu retten. Dieses eine Mal in ihrem Leben war sie frei.

Seine Hände strichen ihre Beine hinauf, drängten sie in eine ungelenke Haltung mit gebeugten Knien, damit er die Rückseite ihrer Oberschenkel liebkosen konnte, und sie atmete scharf ein, erschrocken und freudig erregt zugleich. Sie fühlte sich benommen, trunken von einem so intensiven Verlangen, das sie kaum glauben ließ, dass es real war. Sie hatte sich schon Küsse vorgestellt, bevor Simon nach Charmot gekommen war. Sie hatte sich ihr Ehebett vorzustellen versucht, hatte versucht, aus den Schrecknissen und Romanzen, von denen man ihr erzählt hatte, eine Ahnung dessen zu bekommen, wie es wohl wäre. Aber solch eine Leidenschaft, wie sie sie in Simons Armen empfand, hätte sie sich niemals erträumen können. Nichts war so, wie sie es erwartet hatte. Alles war besser, fremd und neu. Er beugte sich über sie, trat zwischen ihre erhobenen Knie, und sie streckte erneut die Arme nach ihm aus, zog sein Gesicht zu ihrem hinab, um ihn zu küssen.

Simon spürte ihren Puls in ihren Lippen und hörte das Pochen ihres Herzens. Süßes Blut durchströmte sie, erwärmte ihre Haut. Er konnte es auf ihrer Zunge schmecken, die ihn lockte zu töten. Aber ihr Blut könnte niemals genügen. Er brach den Kuss ab. Ihre Lippen teilten sich mit lebendigem Atmen, als er sich erneut herabbeugte und sie wieder küsste. Er drängte sie tiefer auf den Tisch, liebkoste die Wölbung ihres Oberschenkels, weiche Haut über kräftigen Muskeln. Sie richtete sich auf, um ihn zu küssen, schlang ihre Arme um seine Schultern, presste ihren Körper an ihn. Ihre Hand wanderte zu den Schnüren am Leibchen ihres Gewandes, entblößte ihre Haut für seine Berührung. Sie keuchte erneut, umklammerte sein Handgelenk, und die züchtige Röte einer Jungfrau färbte letztendlich ihre Wangen, nahm ihn gefangen. »Ja«, murmelte er, beugte sich tiefer hinab und küsste ihre süßen Lippen erneut. Sie ließ ihn los und liebkoste ihn, ihre Fingerspitzen strichen über seinen Handrücken, während er ihre beiden Brüste löste.

Er küsste sie abwechselnd, sein Mund schloss sich um jede zarte, rosige Brustwarze. Er spürte, wie sie härter wurden, bis sie an seiner Zunge zu brennenden Spitzen wurden. Eine weitere jähe Röte überzog sie, wärmte seinen Mund, während sie seufzte. Seine Hand schloss sich sanft über einem cremefarbenen Hügel, ein Wunder an Weichheit, während sein Mund tiefer wanderte, aber ihr Gewand hielt ihn noch immer zurück. Er richtete sich erneut auf und zerrte es ihr vom Körper, riss es von oben bis zur Taille auf.

»Simon!« Sie hätte verängstigt oder zumindest beschämt sein sollen, aber das war sie nicht. Sie lachte laut. Er lächelte ihr zu, sein Engelslächeln, und entfesselte Euphorie durchströmte sie, brannte sich tiefer, als er sich herabbeugte, um an ihrer Brust zu saugen. »Gut«, hörte sie sich murmeln, ohne dass sie überhaupt reden wollte. »Dein Mund fühlt sich so gut an.« Ihre Hand stahl sich halb bewusst zu ihrer anderen Brust, während er ihr Gewand noch weiter aufriss, noch immer saugte, und es vollständig fortschob. Seine Hände zitterten, als er ihre Hüften streichelte, und sie lächelte und stöhnte leise, als er ihre andere Brust zu küssen begann, ihre Hand fortstieß.

Er küsste ihren Bauch, seine Hände um ihre Taille geschlungen, und ihr Körper wölbte sich ihm entgegen, jenseits ihrer Kontrolle. Ihre Hände fanden seine Schultern, harte Muskeln, die sich unter dem weichen, dünnen Leinen wölbten, das er trug, und sie riss an dem Hemd, wie er an ihrem Gewand gerissen hatte, wünschte, sie wäre stark genug, es ihm vollständig herunterzuzerren.

»Warte«, murmelte er lachend. »Warte, Liebste.« Seine Zunge zog eine Spur von ihrem Bauch bis zu ihrem Geschlecht, küsste sie dort, wie er ihren Mund geküsst hatte, und sie schrie auf, als seine Zunge in sie hineinglitt, sie in süßem Erschrecken brennen ließ. Dann stand er da und beugte sich erneut über sie, um sie zart zu küssen, während er sich das Hemd über den Kopf zog. Schwach und zitternd streckte sie die Hände aus, um seine Wange zu berühren.

»Mein Engel«, flüsterte sie. Seine Lider schlossen sich, seine Wimpern lagen dunkel vor seinen Wangen, als sie ihn berührte. Sie zog mit den Fingerspitzen die Wölbung seiner Unterlippe nach, und ein seltsamer Gedanke ging ihr durch den Sinn, ein Detail, das bereits wieder vergessen war, bevor sie es benennen konnte. Warum spüre ich seinen Atem nicht? Ihre Hände glitten seine Brust hinab, und er stöhnte, beugte sich tiefer, strich mit seiner Wange über die ihre. Ihre Handfläche glitt tiefer, und er küsste sie, hielt sie an sich gepresst. Sie spürte, wie seine anschwellende Erektion ihre Hüfte streifte, und sie hatte einen einzigen Moment lang Angst, nicht vor dem Schmerz, sondern vor der Sünde. Sie gehörte zu Charmot. Sie gehörte zu ihrem Vater. Sie hatte kein Recht, sich hinzugeben. Aber Charmot konnte sie niemals trösten, konnte sie niemals festhalten. Sie schlang ihre Arme um Simons Hals und küsste sein wunderschönes Gesicht viele Male.

Er barg ihre Wange in seiner Hand, während er sie küsste, und dann glitt sein Mund zu ihrer Kehle. Seine Handfläche liebkoste ihre Hüfte, sein anderer Arm umfasste ihre Taille, hielt sie an sich gepresst, hielt sie fest. Er küsste erneut ihren Mund, fing ihr Seufzen ein, und einen Moment lang berührte ihre Zunge etwas zu Scharfes in seinem Mund. Dann spürte sie seine Berührung sanft zwischen ihren Beinen, seine Hand berührte ihr Geschlecht auf die gleiche Art wie seine Zunge es getan hatte, und sie schrie vor Lust und Erschütterung auf. Flammende Erregung durchströmte sie immer schneller, als seine Hand sie öffnete, so zärtlich, aber beharrlich, während sein Mund noch immer sanft über ihren strich und ihr den Atem raubte. Er kam näher zwischen ihre Beine, und sie spürte wieder sein Geschlecht, noch immer von seiner Hose umschlossen.

Sie ergriff erneut sein Handgelenk, dieses Mal nicht, um ihn aufzuhalten, sondern um ihn festzuhalten, und sie erschauderte, als sie erkannte, dass ihre Finger nicht herumreichten. Sie führte seine Hand halb bewusst immer tiefer in die angeschwollenen, weichen Falten ihres empfindsamsten Fleisches, richtete sich langsam auf dem Tisch auf und keuchte bei der jähen Druckveränderung seiner Berührung. Sie drückte einen Kuss auf die Narbe an seiner Kehle und ließ ihre Hände seinen Bauch hinabgleiten, schob seine Hose hinunter. Sein Geschlecht richtete sich jäh zwischen ihnen auf, blass und perfekt wie sein übriger Körper, das erste, das sie jemals sah. Sie zog mit den Fingern verzückt seine Gestalt nach und hob den Blick, um seinem zu begegnen.

Er umfasste ihr Handgelenk und drängte sie wieder auf den Tisch zurück, hielt sie unter sich fest, während sein Mund sich in ihren versenkte. Eine Hand auf den Tisch gestützt, schob er mit der anderen ihre Beine weiter auseinander, führte sich in sie ein. Sie lachte vor Schreck laut auf, der Schmerz war so köstlich, dass sie ihn kaum als Schmerz ansehen konnte. Diese Verzückung hatte sie fürchten sollen? Sie hob ihm eifrig die Hüften entgegen, drängte ihn, sich schneller zu bewegen, und eine noch tiefere Woge der Wonne durchrieselte sie, ließ sie sich schwach fühlen.

Simon bemühte sich um Langsamkeit, aber es war ein verlorener Kampf, sein Verlangen nach ihr war so stark, dass es schmerzte. Er liebte sie, wie er erkannte, während er noch tiefer in sie drang, die Erkenntnis schnitt wie ein Messer in sein lebloses Herz, noch während sein Fleisch vor Wonne erschauderte. Er konnte ihr nicht fernbleiben, weil er sie liebte, wie er noch niemals zuvor, als Vampir oder als Mensch, einen anderen Menschen geliebt hatte. Die Fackeln waren nicht angezündet worden, und die Schatten des Feuerscheins legten einen Schleier über ihr edles Gesicht, als er sie küsste. Sie schloss die Augen, ihre Hüften hoben sich im Gleichtakt mit den seinen, und er beugte sich tiefer über sie, stützte sein Gewicht auf seine Arme, um ihre Augenlider zu küssen, ihre Stirn, ihre Wange. Er küsste ihren Mund, als sich ihr Körper unter ihm aufbäumte, als sie sich rascher bewegte und er seine Stöße ihrem Rhythmus anpasste, während sie sich an ihn klammerte, ihre Nägel seine Haut zerkratzten. Seine Lippen wanderten zu ihrer zarten Kehle, legten die Ader hinab eine Spur von Küssen … aber nein. Er drang fester in sie, auf dem Weg zum Höhepunkt.

»Simon!«, schrie sie auf und stemmte ihre Hände gegen den Tisch, während Wonneschauer in einer einzigen überwältigenden Woge über sie liefen. Sie wollte seinen Namen noch einmal aussprechen, ihn an sich drücken, aber alle Muskeln ihres Körpers fühlten sich wie flüssige Flammen an, kraftlos und brennend. Sie spürte, wie er sich in sie ergoss, kalt wie Quellwasser … warum war er so kalt? Er küsste sie und hob sie in seine Arme, und sie klammerte sich an ihn, schlang ihre Arme um ihn, als wollte sie seine Haut wärmen, fühlte sich beraubt, als er aus ihr hinausglitt.

»Liebste«, murmelte er und küsste ihre Wange, während er sie hielt. »Ich komme zurück.« Er umfasste mit einer Hand ihr Kinn, während er sie küsste. »Ich schwöre, ich komme zurück.«

»Was …?« Er ließ sie los, er verließ sie. »Nein«, sagte sie und legte ihr Gewand um sich, während er seine Hose anzog. »Du kannst nicht …«

»Ich muss, Engel.« Er küsste ihren Mund erneut, so rasch, dass sie es kaum spürte. »Geh nach oben, und warte auf mich.« Er drückte noch einen Kuss auf ihre Hand, zuerst auf die Handfläche, dann auf den Puls an ihrem Handgelenk. »Ich bin gleich zurück.«