26. KAPITEL

 

»Du machst die besten Kekse aller Zeiten.« Vanessa stopfte sich noch einen Schokoladenkeks in den Mund.

»Danke.« Lara legte noch mehr Kekse auf einen Teller und stellte ihn auf den Tisch. Sie hatte den ganzen Nachmittag mit Backen verbracht, damit sie die Mädchen in die Küche locken konnte. »Noch jemand Milch?«

Mehrere Hände hoben sich. Lara griff sich den Milchkrug aus dem Kühlschrank und ging um den Tisch, um die Gläser zu füllen.

Miss Verboten sah sie verwirrt an. »Warum bist du so nett zu uns? Ich dachte, du hasst es hier.«

»Ich habe gesehen, wie besorgt ihr wart, als Hades mich letzte Nacht ausgesucht hat.« Lara stellte den Krug zurück in den Kühlschrank. »Ich fand das wirklich nett. Das hier ist meine Art, euch zu danken.«

»Ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen.« Vanessa schauderte. »Ich dachte echt, Hades nimmt dich mit in die Hölle.«

»Ich auch.« Kristy biss in einen Keks. »Wie - wie war er so?«

Alle sieben Jungfern wendeten sich Lara zu und warteten begierig auf eine Antwort.

»Es war... großartig. Hades ist ein echter Gentleman.«

»Ich glaube, Zeus nicht«, murmelte Miss Verboten mit einem Blick auf ihre geschundenen Arme.

»Ssch«, bedeutete die Köchin ihr, zu schweigen, »man könnte dich hören.«

Kristy aß ihren Keks auf und griff nach einem weiteren. »Ich schwöre euch, heute Abend nehme ich fünf Pfund zu.«

Die anderen Jungfern sprachen ihr Mitleid aus. Während sie sich über ihr zu hohes Gewicht beklagten, steckte Lara ein Steakmesser unter die Leinenbänder an ihrem Brustkorb. Sie wollte eine Waffe, nur für den Fall, dass Jack recht hatte und Apollo die Wächter schickte, um sie umzubringen. Jack hatte auch gewollt, dass sie die Mädchen die Straße hinab bis zu der Stelle brachte, wo die Werwölfe mit ihren SUVs warteten. Aber es würde schwierig werden, die Jungfern zum Mitgehen zu überreden.

Ruhig ging sie auf den Tisch zu. »Wenn ihr wirklich abnehmen wollt, dann solltet ihr euch bewegen. Wir könnten ein Stück die Straße hinabgehen.«

Vor Entsetzen keuchten die Mädchen auf.

»Wir können nicht gehen«, erklärte die Köchin bestimmt, »das ist verboten.«

»Und es gibt schreckliche Monster im Wald«, fügte Kristy hinzu, »mit riesigen, gefletschten Zähnen.«

Vanessa verzog das Gesicht. »Ich habe gehört, sie schleifen einen direkt in die Hölle.«

»Ich habe Hades deswegen gefragt«, sagte Lara, »und er hat gesagt, in den Wäldern ist es vollkommen ungefährlich. Die Monster wissen, dass wir etwas Besonderes sind, also würden sie uns sogar beschützen.«

Die Jungfern schwiegen, während sie über diese neuen Informationen nachdachten.

Die Köchin schüttelte den Kopf. »Ich bin mir nicht sicher, ob wir irgendeiner Aussage von Hades trauen können.«

»Und du glaubst, ihr könnt Apollo vertrauen?«, fragte Lara. »Er hat uns alle aus dem College entführt. Man hat uns unserer Familie und unserer Freunde beraubt. Vanessa, ich habe deine Freunde kennengelernt.«

Vanessa zuckte auf ihrem Stuhl zusammen. »Du kennst meinen Namen?«

»Ja, Und ich habe deine Mitbewohnerin Megan getroffen. Und deine Freunde Carmen und Ramya. Sie sind krank vor Sorge um dich. Ihr alle habt Freunde und Familien, die sich um euch Sorgen machen.«

»Und?« Die Köchin runzelte die Stirn. »Was soll das Ganze? Wir können doch nicht zurück.«

»Das könnt ihr sehr wohl.« Lara deutete in Richtung der Straße draußen. »Eine halbe Meile die Straße hinunter warten Leute auf uns. Nette Leute, die euch nach Hause bringen wollen. Ihr könntet alle in euer wahres Leben zurückkehren.«

»Ist das dein Ernst?« Die Augen von Miss Verboten weiteten sich voller Hoffnung.

Vanessa rümpfte die Nase. »Aber ich falle in drei Kursen durch.«

»Ich falle auch durch«, schmollte Kristy. »Das Leben ist hier so viel einfacher.«

»Welches Leben?«, fragte Lara. »Man sagt euch, was ihr anziehen müsst, was essen, wann ihr euch wascht, wann ihr eine falsche Gottheit bewachen sollt -«

»Sag so etwas nicht!« Die Köchin sah sich nervös um.

»Mir gefällt es hier.« Vanessa biss in einen weiteren Keks. »Das Leben auf der Erde ist zu kompliziert.«

»Es soll auch nicht einfach sein«, entgegnete Lara. »Wenn es immer einfach wäre, würden wir nie erwachsen werden oder etwas lernen. Und wenn einmal schreckliche Dinge passieren, wachsen wir über uns hinaus und werden besser, als wir es je für möglich gehalten haben.«

Wie viel sie seit ihrem Autounfall gelernt hatte, wurde ihr bei diesen Worten wieder einmal bewusst. Jetzt konnte sie dankbar für ihre Leiden und ihren Kampf sein, weil sie dadurch stark genug geworden war, mit dieser Situation umzugehen, und stark genug, um sich auf eine Zukunft mit Jack einzulassen.

»Und manchmal müssen wir wirklich schwerwiegende Entscheidungen treffen, die den Rest unseres Lebens beeinflussen.« Lara wusste, dass ihre Entscheidung, bei Jack zu bleiben, letztendlich dazu führen konnte, dass sie selbst zum Vampir wurde. Aber es war die richtige Entscheidung, und sie würde daran festhalten.

Ein Schrei, der irgendwo von draußen kam, riss sie aus ihren Gedanken. Einer der Wächter. Ihr Herz stockte. Was, wenn Jack recht hatte und der Wächter sie alle umbringen wollte? Sie rannte zur Tür und überprüfte das Schloss. Was, wenn der Wächter einen Schlüssel hatte? Sie griff sich einen Stuhl und keilte ihn unter der Türklinke ein.

»Was machst du da?« Die Köchin stand auf.

»Ist die Hintertür verschlossen?«, schrie Lara.

»Ja«, antwortete die Köchin, »aber was -«

Die Türklinge schepperte. »Öffnet die Tür!«, brüllte der Wächter.

Lara erkannte seine Stimme. Es war der Anführer, der, den sie Quietscher nannte.

»Lasst mich rein!« Er schlug gegen die Tür.

»Ja, Meister.« Die Köchin eilte zur Tür.

»Nein.« Mit erhobener Hand hielt sie das Mädchen zurück.

Die anderen Jungfern standen auf.

»Wir müssen dem Wächter gehorchen«, sagte Kristy.

Quietscher hämmerte gegen die Tür. »Ich befehle euch, diese Tür zu öffnen! Die Felder Elysions werden angegriffen!«

Die Jungfern keuchten auf.

»Was sollen wir tun?«, flüsterte Vanessa.

»Wir müssen ihm öffnen.« Die Köchin trat auf die Tür zu.

Entschlossen zog Lara ihr Messer. »Bleibt zurück.«

»Du - du steckst mit Hades unter einer Decke! Du versuchst, uns alle in die Hölle zu verdammen!«

»Im Gegenteil, ich versuche, euch zu retten«, beruhigte sie Lara.

»Es darf keine Überlebenden geben«, brüllte der Wächter.

Lara keuchte auf. Jack hatte recht gehabt.

»Was bedeutet das alles?« Vanessas Stimme klang so ängstlich.

Lara drückte sich gegen die Tür, während der Wächter weiter an der Klinke rüttelte. »Es bedeutet, Apollo hat dem Wächter befohlen, uns zu töten.«

Die Jungfern keuchten erschreckt auf. Einige von ihnen stolperten rückwärts. Vanessa begann zu zittern und zu wimmern. Lara hörte, wie sich Schritte von der Tür entfernten. Was würde Quietscher als Nächstes versuchen?

»Nein«, flüsterte die Köchin. »Apollo ist ein Gott. Er würde uns nie umbringen.«

»Er ist kein Gott«, sagte Lara. »Er hat euch angelogen.«

»Du lügst, du lügst.« Erbost starrten die Mädchen Lara an.

»Ich muss dich aufhalten.« Die Köchin rannte in die Küche und griff nach einem Messer. »Du wirst uns alle in die Hölle bringen.«

»Nein!«, rief Miss Verboten, und alle Mädchen drehten sich zu ihr um. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie rieb sich ihre wunden Arme. »Sie hat recht. Das sind keine Götter.«

Das Küchenfenster zersplitterte. Die Mädchen kreischten, als sich Glassplitter in der Küche verteilten.

Quietscher benutzte den Griff seines Schwertes, um die Glasscheibe ganz aus dem Rahmen zu entfernen. »Es darf keine Überlebenden geben.«

»Er kommt rein!«, rief Vanessa.

»Bleibt zurück!«, brüllte Lara den Mädchen zu. Sie rannte mit ihrem Messer zum Fenster, bereit, Quietscher zu erstechen, bei dem Versuch, durch das Fenster zu steigen.

Plötzlich ertönte ein Heulen ganz in ihrer Nähe. Kurz darauf schrie Quietscher auf, ehe ein riesiger Wolf ihn zu Boden warf.

»Das ist eines von den Monstern aus dem Wald«, heulte Kristy. »Es ist gekommen, um uns in die Hölle zu schleifen.«

»Nein, er ist hier, um uns zu retten.« Lara warf einen Blick aus dem Fenster. Der Wolf drückte Quietscher auf den Boden. »Kommt und seht selbst.«

Zögerlich traten die Mädchen vor, um aus dem Fenster zu spähen.

Ein junger Schwarzer trat in ihr Blickfeld. Er war ganz in Schwarz gekleidet und trug ein Schwert. Lara erkannte ihn als den Vampir, den sie schon in Syracuse gesehen hatte.

»Du meine Güte, seht euch den an«, flüsterte Vanessa. »Der sieht so gut aus wie Denzel.«

Der Mann trieb sein Schwert in den Boden und zog dann Handschellen aus seiner Jackentasche, die er dem Wächter anlegte. Er klopfte dem Wolf anerkennend auf den Kopf und zog dann sein Schwert wieder aus der Erde.

»Wow«, hauchte Vanessa. »Wer ist das?«

»Er ist unglaublich«, fügte Kristy hinzu. »Habt ihr gesehen, wie er den wütenden Wolf gezähmt hat?«

Anscheinend ließen sich die Mädchen nicht so schnell von ihrem Glauben an die griechischen Götter abbringen, und so beschloss Lara, das für sich zu nutzen. »Das ist... Ares, der Kriegsgott.«

»Ooooh«, seufzten sie im Chor.

Miss Verboten zog Lara zur Seite und flüsterte: »Wer ist er wirklich?«

»Er ist ein guter Mann, der hier ist, um uns zu helfen«, beteuerte Lara. »Er kann euch in die nächstgelegene Stadt bringen, damit ihr nach Hause könnt.«

Eine Träne rollte die Wange von Miss Verboten hinab. »Danke.« Sie umarmte Lara. »Ich heiße Sarah.«

»Hilfst du ihm dabei, die Mädchen in Sicherheit zu bringen?«, fragte Lara.

»Ja.« Sarah zog den Stuhl von der Tür und schloss auf. »Kommt, gehen wir.«

Nacheinander verließen alle das Gebäude.

»Wohin gehen wir?«, wollte Vanessa wissen.

Lara ging auf den schwarzen Vampir zu. »Hi, ich bin Lara.«

Grinsend betrachtete ihr Retter die attraktiven jungen Frauen. »Hallo, Ladies. Erlaubt, dass ich mich euch vorstelle -«

»Oh, wir wissen, wer du bist«, unterbrach Lara ihn. »Du bist Ares, der Kriegsgott.«

»Was war das?«

»Du bist Ares, der Kriegsgott«, wiederholte Lara mit einem eindringlichen Blick. »Und du bist gekommen, um all diese holden Jungfern zu retten.«

»Oh, yeah. Genau der bin ich, Baby. Ich bin der Gott des Krieges.«

Lara lächelte. »Und du wirst alle diese Frauen die Straße hinab zu den SUVs bringen.«

»Klar.« Er deutete auf das Tor. »Mir nach, Ladies.«

»Oh, Lord Ares.« Vanessa sah ihn mit flatternden Wimpern an. »Ihr seid so mutig.«

»Und wie Ihr diesen wilden Wolf gezähmt habt, war unglaublich«, fügte Kristy hinzu.

Dem Wolf schien das alles gar nicht zu gefallen.

Der schwarze Vampir grinste den Wolf an. »Oh, ja, der ist böse. Groß und böse. Aber keine Sorge, Ladies, ich beschütze euch mit meinem mächtigen Schwert.«

Die Mädchen folgten dem schwarzen Vampir bis zum Tor. Er öffnete es, und sie gingen alle die Straße hinab. Sarah sah zu Lara zurück und winkte.

Glücklich winkte Lara zurück. Die Mädchen waren in Sicherheit. Quietscher lag auf dem Boden und hatte die Hände hinter dem Rücken gefesselt.

»Es darf keine Überlebenden geben«, flüsterte er immer und immer wieder.

Unglaublich. Apollo hatte wirklich geplant, dass sie alle sterben sollten.

Im selben Moment wurde ihr klar, dass Jack vielleicht gerade jetzt gegen Apollo kämpfte. Sie griff nach Quietschers Schwert und rannte zum Tempel.

Doch plötzlich wurde sie gestoppt, als ein Wolf sich ihr in den Weg stellte und sie mit einem Knurren aufhielt. Lara wich nach rechts aus, aber der Wolf blockierte sie wieder.

»Ach, komm schon«, brüllte sie. Hoffentlich war das der Werwolf, von dem Jack gesprochen hatte. Sprach er überhaupt Englisch?

»Bist du der Lieferant, der die Schachtel mit Crackern hiergelassen hat?«

Der Wolf knurrte und neigte den Kopf.

»Ich muss zum Tempel.«

Tief aus seiner Kehle drang ein Knurren.

»Wir können hier nicht die ganze Nacht stehen und einander anstarren.«

Der Wolf setzte sich auf seine Hinterbeine und betrachtete sie mit blassblauen Augen.

»Hör zu. Ich will Jack helfen. Er braucht uns vielleicht. Was, wenn ihm etwas passiert, während wir hier herumstehen? Wie könnten wir je damit leben?«

Der Wolf neigte seinen Kopf zur Seite. Dann drehte er sich um und lief auf den Tempel zu.

»Danke.« Lara rannte ihm nach.

Wo zum Teufel war Robby?, fragte Jack sich zum zehnten Mal. Apollo war zwar ein erstaunlich guter Schwertkämpfer, aber wäre Athena nicht aufgetaucht, hätte Jack ihn schon vor zwei Minuten besiegt.

Erst hatte diese Hexe ihn angeschrien und ihm ein Dutzend Schimpfwörter an den Kopf geschmissen. Dann hatte sie versucht, die zwei Wachen in Handschellen zu befreien. Als das gescheitert war, griff sie sich das Schwert des einen Wächters. Erfahrung im Fechten hatte sie überhaupt nicht, sie wusste nicht einmal, wie man ein Schwert richtig hielt. Aber sie störte den Ablauf aus Jacks Sicht erheblich.

Während er mit Apollo kämpfte, versuchte sie, ihm das Schwert in den Rücken zu rammen. Er wirbelte herum, schlug es ihr aus der Hand, und führte dann seinen Kampf mit Apollo fort.

Wo zum Teufel war Robby? Er sollte doch bloß eines der Mädchen nach Wolf Ridge teleportieren und dann sofort zurückkommen.

Jack warf sich auf Apollo und zwang ihn damit zum Rückzug. Und dann, plötzlich, sah er aus dem Augenwinkel, wie etwas auf ihn zuflog. Er duckte sich im letzten Moment, und ein Messer flog über seinen Kopf hinweg. Diese verdammte Athena.

Die Türen öffneten sich, und Jack erblickte Phil. Gut. Vielleicht konnte er sich um Athena kümmern.

Dann stutzte Jack kurz, als hinter dem Formwandler Lara auftauchte mit einem Schwert in der Hand. Merda. Sie sollte bei den anderen Mädchen in Sicherheit sein und sich nicht schon wieder selbst in Gefahr begeben.

Athena entdeckte sie. »Du Schlampe! Knie nieder vor deinen Göttern!«

»Fahr zur Hölle.«

Lara rannte mit dem Schwert in beiden Händen auf sie zu, als Athena ein Messer nach ihr warf. Jack erstarrte eine Sekunde lang vor Angst und sprang erst zur Seite, als Apollo ihn angriff. Er blickte hinter sich. Lara hatte sich rechtzeitig geduckt. Gott sei Dank.

Mit einem wilden Knurren stürzte Phil sich jetzt auf Athena, die aber mit Vampirgeschwindigkeit zu ihrem Schwert eilte, um es aufzuheben. Sie zog sich hinter eine Säule zurück und wirbelte ihr Schwert wie wild durch die Luft, damit der Wolf sie nicht ansprang.

Wild schreiend jagte Athena um eine der Säulen, gefolgt von Jack. Als sie an einem der brennenden Kohlebecken vorbeikam, trat Lara gegen den Ständer und das Kohlebecken fiel neben Athena auf den Boden.

Athena schrie auf, als das Feuer auf ihre lange violette Toga übergriff. Die Flammen verbreiteten sich schnell. Sie fiel zu Boden, rollte sich herum und kreischte. Ihr Körper bäumte sich auf und wurde dann ganz ruhig.

»Athena!« Apollo brüllte vor Wut. Er fiel Jack an und verzichtete auf der wilden Jagd nach Rache auf jede Form.

Das war genau die Gelegenheit, auf die Jack gewartet hatte. Er schlug Apollos Schwert zur Seite und stach ihm durch die Brust. Die Augen des Vampirs weiteten sich kurz, bevor er zu einem Haufen Asche zerfiel.

Jack drehte sich zu Lara um. »Alles in Ordnung?«

»Ja.« Sie sah auf den Boden und verzog das Gesicht. »Passiert das immer, wenn man euch -«

»Pass auf!«, warnte Jack und rannte auf sie zu.

Lara wirbelte gerade rechtzeitig herum, als Athena auf sie zurannte, ihr Körper schwarz und verbrannt. Sie hob mit einem verkohlten Arm ihr Schwert und brüllte vor Wut.

Trotz all der Aufregung hielt Lara ihr Schwert ganz ruhig. Mit einem Knurren sprang Phil Athena von hinten an. Und diese Wucht drückte Athena direkt auf Laras Schwert.

Sie fiel zu einem Haufen verbrannter Asche zusammen.

Lara ließ ihr Schwert fallen und stolperte zurück. Jack schlang seine Arme um sie. Ihr ganzer Körper zitterte.

»Es ist schon gut.« Er warf sein Schwert hin und hielt sie fest. »Es ist schon gut. Alles ist vorbei.«

Erschöpft und glücklich schlang sie ihre Arme um seinen Hals. »Ich habe solche Angst um dich gehabt.«

»Ich habe auch Angst um dich gehabt.« Jack streichelte ihren Rücken. »Du solltest nie versuchen, gegen einen Vampir zu kämpfen. Das ist zu gefährlich.«

»Der Wolf hat mir geholfen. Wie ist sein Name noch gleich?«

»Phil Jones.« Jack sah sich im Tempel um. Phil hatte den Raum durchquert, um nach den Wächtern zu sehen. »Danke, Phil.«

»Ja, danke!«, rief auch Lara.

Phil sah mit einem wölfischen Grinsen zu ihnen zurück.

»Sind die Mädchen in Sicherheit? Was ist passiert?«, fragte Jack.

»Es geht ihnen gut. Der schwarze Vampir ist bei ihnen.«

»Das ist Phineas McKinney, aber er nennt sich lieber Dr. Phang.«

Lachend strahlte Lara ihn an. »Ich muss mich an eine ganz neue Welt gewöhnen.«

Die Tür öffnete sich und Robby kam hereingerannt, sein Claymore bereit zum Angriff erhoben.

»Und das dort ist Robby MacKay«, stellte Jack den Freund betont langsam vor. »Ihn nennt man auch Abschaum.«

Robby sah sich um und verzog das Gesicht. »Ich bin wohl ein kleines Bisschen zu spät.«

»Etwa zehn Minuten zu spät!«, brüllte Jack. »Wo zum Teufel bist du gewesen?«

»So ein Mist«, Robby steckte sein Claymore zurück in die Scheide an seinem Rücken. »Ich habe getan, was du gesagt hast und die Sterbliche im hinteren Teil hinter einer roten Tür gefunden.«

»Die Auserwählte Aquila«, sagte Lara. »Ging es ihr gut?«

»Nay. Der Wächter hatte ihr bereits ein Messer in die Brust gerammt. Sie war dem Tode nahe, deshalb habe ich sie direkt zu Romatech teleportiert.« Robby seufzte. »Roman hat versucht, ihr das Leben zu retten, aber sie hatte zu schwere innere Verletzungen. Ich habe ihr Gedächtnis gelöscht und sie ins Krankenhaus gebracht. Ich weiß nicht, ob sie überleben wird.«

»Das arme Mädchen«, flüsterte Lara.

»Du hast getan, was du konntest«, sagte Jack ruhig.

Robby verschränkte die Arme vor der Brust und legte die Stirn in Falten. »Dann ist hier schon alles vorbei?«

»So gut wie.« Jack deutete auf die Wächter. »Die müssen noch in die Stadt teleportiert werden.«

»Und da ist noch ein Wächter in der Küche«, ergänzte Lara.

»Ich hole ihn.« Gelassen schlenderte Robby aus dem Tempel, und Phil trottete neben ihm her.

»Wohin geht der Wolf?«, flüsterte Lara.

»Wahrscheinlich zu seiner Kleidung, damit er sich zurückverwandeln kann. Lara, wir sind die Einzigen, die wissen, dass Phil sich verwandeln kann, auch wenn der Mond nicht voll ist. Erzähl davon niemandem in Wolf Ridge. Ich bin nicht sicher, warum, aber Phil will es geheim halten.«

Sie nickte. »Okay. Ich nehme an, von jetzt an muss ich viele Geheimnisse bewahren.«

Er berührte ihre Wange. »Es ist kein Geheimnis, dass ich dich liebe und dich verehre und mein ganzes Leben mit dir verbringen will. Das darfst du von allen Bergen brüllen.«

»Ich brülle es einfach von einem speziellen Glockenturm in Venedig hinunter.«

Jack lachte. »Abgemacht.«

****

Seufzend schloss Lara die Augen, als das heiße Wasser ihren Körper hinablief. Sie hatte nicht eine weitere Minute in der weißen Toga verbringen wollen. Während Jack im Tempel geblieben war, um auf die Wächter aufzupassen, hatte sie ihre alten Kleider aus der Truhe in einem Seitenzimmer geholt. Dann war sie in den Schlafsaal gerannt, um zu duschen und sich umzuziehen.

Jetzt war alles vorbei, dachte sie, als die letzten Reste Seife und Shampoo den Abfluss hinabflössen. Nein, eigentlich fing es gerade erst an. Ihr Leben mit Jack würde ein aufregendes Abenteuer werden. Er hatte ihr versichert, dass er nichts anderes wollte als ihr Glück. Sie konnte ihren Posten als Polizistin in der Nachtschicht wieder aufnehmen. Sie konnte weiter daran arbeiten, zum Detective befördert zu werden. Oder sie konnte gleich für MacKay Security and Investigations arbeiten.

Das war verlockend. Sehr verlockend. Sie wusste bereits von guten Vampiren, Malcontents und Formwandlern. Wie konnte sie in ihren normalen Job zurückkehren, jetzt, da sie von dieser seltsamen neuen Welt wusste? Sie musste einen Weg finden, LaToya alles zu erklären. Sie stellte das Wasser aus und trat aus der Duschkabine.

»Hallo, Bellissima.«

Erschreckt keuchte sie auf. »Jack.« Er stand ihr im Badezimmer gegenüber, gegen eine Anrichte gelehnt, die Arme verschränkt. Sein Spiegelbild erschien nicht in den Spiegeln hinter ihm. »Wie lange bist du schon hier?«

»Lange genug.« Seine goldenen Augen funkelten.

Ohne Hast griff Lara sich ein Handtuch, um sich abzutrocknen. »Ich dachte, du bleibst im Tempel, um auf die Wächter aufzupassen.«

»Robby hat gerade den letzten teleportiert, und ich war ganz allein und habe angefangen, mir Sorgen um dich zu machen. Ich wollte wissen, ob es dir gut geht.« Er lächelte langsam. »Du siehst jedenfalls gut aus. Von oben bis unten.«

Grinsend rubbelte sie sich ihre Haare trocken. »Du hättest zu mir in die Dusche steigen sollen.«

»Darüber habe ich ernsthaft nachgedacht. Ich habe auch überlegt, eines von den Betten im Schlafsaal nebenan zu benutzen. Aber man erwartet uns in Wolf Ridge. Wenn wir uns nicht in ein paar Minuten dorthin teleportieren, kommen sie uns suchen.«

»Oh. Dann sollte ich mich lieber anziehen.« Sie zog sich Unterwäsche an.

Mit sehnsüchtigen Blicken betrachtete Jack seine Geliebte.

Sie griff sich ihren BH. »Gott sei Dank kann ich den wieder anziehen. Ich hatte es so satt, in dieser Toga frei herumzuschwingen.«

»Ja, es war sehr traurig mitanzusehen.«

»Ich hatte schon Angst, meine Brüste fangen an zu hängen.«

»Ich finde, sie sehen perfekt aus.« Seine Augen hefteten sich an ihre perfekt geformten Halbmonde. »Bei meinem Anblick erholen sie sich gleich.«

Sie lachte und zog erst ihren BH an, dann ihre Jeans.

»Jack, bist du da drinnen?«, rief Robby aus dem Schlafsaal.

»Merda, knurrte Jack. »Ich komme!« Er trat in den Schlafsaal hinaus.

Lara zog sich schnell ihr T-Shirt an und dann Socken und Schuhe. Sie rannte in den Schlafsaal.

Robby nickte ihr zu. »Ich habe Jack gerade erzählt, dass wir die Erinnerungen aller Wächter und der meisten Mädchen gelöscht haben. Eine allerdings wollte ihre Erinnerungen behalten. Sie heißt Sarah.«

»Oh, richtig.« Miss Verboten. Irgendwie war Lara nicht überrascht. »Sarah hatte angefangen, die Sache zu durchschauen. Man hat sie für diesen Widerling ausgewählt, der sich selbst Zeus nannte, und der sie missbraucht hat.«

»Aye.« Robby legte die Stirn in Falten. »Sie konnte sich nicht an Zeus erinnern, also habe ich ihr geholfen, diese Erinnerungen zurückzuerlangen. Das war sehr schwer für dieses arme Ding. Sie weiß jetzt, dass er sie vergewaltigt und gebissen hat.«

»Dann weiß sie von Vampiren«, sagte Jack.

»Aye. Wir müssen sehr vorsichtig mit ihr sein. Ich teleportiere sie direkt zu Romatech, wo wir ein Auge auf sie haben können, bis wir uns entschließen, ob sie ihre Erinnerungen behalten darf oder nicht.« Robby wendete sich an Lara. »Du kennst sie besser als wir. Meinst du, man kann ihr vertrauen?«

»Ja, das meine ich.« Lara konnte Sarah nur bewundern. Sie hatte die schwere Entscheidung getroffen, ihre furchtbaren Erinnerungen zu behalten. Es wäre so viel einfacher gewesen, sie einfach löschen zu lassen.

»Normalerweise würde ich ihre Erinnerung einfach trotzdem löschen«, fuhr Robby fort, »aber sie macht eine Ausbildung zur Lehrerin, also dachte ich, ich lasse sie erst einmal mit Shanna reden.«

Das ist eine sehr gute Idee, überlegte Jack. »Ich habe schon gehört, dass sie mehr Lehrer braucht.«

»Lehrer für was?«, fragte Lara.

»Eine Schule für besondere Kinder«, antwortete Jack. »Formwandler oder Kinder wie Constantine, die einen Teil Vampir-DNS haben. Ich erzähle dir später davon.«

»Bitte tu das.« Lara war wirklich neugierig auf die Möglichkeit, ein Kind mit einem Vampir zu haben.

»Eines noch«, sagte Robby. »Als ich ihre Erinnerungen an Zeus zurückgebracht habe, konnte sie ihn mir beschreiben. Groß, dunkle Augen, russischer Akzent, der linke Arm in einem seltsamen Winkel gebogen. Er trug einen Handschuh an der linken Hand.«

Jack erstarrte. »Bei allen neun Kreisen der Hölle.«

»Was?«, fragte Lara. »Kennst du ihn?«

»Wir sind seit mehreren Jahren auf der Jagd nach ihm«, erklärte Robby ihr. »Unsere letzten Berichte besagen, dass er sich in Osteuropa aufhält.«

Jack sah Lara besorgt an. »Er ist Casimir, der Anführer der Malcontents. Und er ist hier in Amerika.«

Das musste weitere Schlachten bedeuten. Weitere Tote. Größere Gefahr.

»Ich gehe gleich zu Romatech und benachrichtige Roman und Connor«, sagte Robby. »Dann rufe ich Angus an. Er wird jeden erreichbaren Mann hierher transferieren wollen.«

»Geh nur. Ich bringe Lara nach Wolf Ridge.«

Robby verschwand.

»Gehen wir.« Jack schlang seine Arme um Lara.

»Warte.« Sie drückte ihre Hände gegen seine Brust. »Wie schlimm ist die Sache genau? Was hat dieser Casimir vor?«

»Er baut eine Armee aus Vampiren auf, die in ihrem sterblichen Leben Kriminelle waren. Er hat vor, jeden anständigen, aus der Flasche trinkenden Vampir, wie mich, umzubringen. Und dann wird er die Welt der Sterblichen terrorisieren und töten, ohne dass ihn jemand aufhält.«

Das alles hörte sich überaus bedrohlich für Lara an.

Jack strich ihr eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht.

»Es tut mir leid, Cara mia. Ich wollte dich nicht in die Sache mit hineinziehen.«

»Es ist schon gut.« Sie berührte sein Gesicht. »Nach dem Unfall wollte ich etwas wirklich Wichtiges tun, etwas, das die Welt ein bisschen verändert. Das hier ist es. Ich kann mir nichts Wichtigeres vorstellen als das.«

»Du bist so mutig, Cara mia.« Er küsste ihre Stirn. »Aber ich muss dir widersprechen. Es gibt etwas viel Wichtigeres als Casimir und seine ganzen hässlichen Anhänger.«

Lara lächelte. »Meinst du Liebe?«

Er nickte. »Amore. Mit Liebe an unserer Seite kann man uns nie besiegen.«