6. KAPITEL

 

Manchmal wünschte Jack sich, er hätte kein übernatürliches Gehör.

»Er ist keine Eidechse«, flüsterte Lara.

»Dann ist er irgendein anderer Alien«, murmelte die andere Frau. »Und dieser Jack schraubt an deinem Verstand herum, damit du ihn als Menschen siehst.«

Er schüttelte den Kopf, während die zwei Frauen sich weiter flüsternd über ihn Gedanken machten. Offensichtlich hatte Lara ihrer Mitbewohnerin von ihm erzählt. Jetzt gab es schon zwei Sterbliche, die zu viel wussten. Er konnte die Erinnerungen der Mitbewohnerin löschen, aber wahrscheinlich hätte Lara etwas dagegen, wenn er am Verstand ihrer Freundin herumschraubte. Und sie würde ihr außerdem einfach alles noch einmal erzählen.

Er nahm eine Flasche synthetisches Blut aus dem Minikühlschrank und stellte sie in die Mikrowelle. Immer, wenn er in New York war, wohnte er in Romans Stadthaus auf der Upper East Side. Die russisch-amerikanischen Malcontents hatten ihr Hauptquartier in Brooklyn, nicht weit entfernt, aber sie hielten sich zum Glück im Augenblick bedeckt. Und das Sicherheitssystem in Romans Stadthaus war aufgerüstet worden, um es dort noch sicherer zu machen.

Jack schlief normalerweise in einem der Gästezimmer im dritten Stock, damit er Romans Büro und seinen Kühlschrank im vierten benutzen konnte. Die Mikrowelle verkündete mit einem Klingeln, dass sein Frühstück fertig war. Er goss das Blut in ein Weinglas und schlenderte dann, das Telefon an einem Ohr, zum Schreibtisch.

»Hallo, Jack?«, meldete Lara sich endlich. »Tut mir leid, dass du warten musstest. Ich war... unter der Dusche.«

Sie war eine lausige Lügnerin, aber das empfand er als Tugend. »Ich hoffe, du hast dir etwas angezogen, Bellissima. Sonst geht meine Fantasie mit mir durch.« Als würde sie das nicht sowieso.

»Ich - ich bin angezogen. Es freut mich, dass du anrufst. Ich habe dir heute Nachmittag einige Nachrichten hinterlassen.«

»Die habe ich gerade erst gehört.« Er setze sich hinter den Schreibtisch und fuhr den Computer hoch. »Ich arbeite nachts, deshalb... schlafe ich tagsüber.«

»Ich auch, aber heute konnte ich nicht schlafen. Also wollte ich dir ein Abendessen kochen, aber als du nicht zurückgerufen hast, haben wir... na ja, wir haben es aufgegessen, Jack. Tut mir leid.«

»Das ist schon in Ordnung.« Jack nippte an seinem Weinglas. Er nahm an, die Einladung zum Abendessen war Teil des Plans, ihn mit all ihren Fragen zu konfrontieren. Leider konnte er ihr die Antworten nicht geben. »Ich bedaure, es verpasst zu haben.«

»Das macht ja nichts. Vielleicht könntest du noch zum Nachtisch vorbeikommen?«

Merda. Er war sich nicht sicher, wie er mit der Situation umgehen sollte. Vielleicht konnte er sie ein paar Monate lang ablenken. Dann kam Ian aus seinen Flitterwochen zurück, und Jack konnte heimkehren nach Europa. Dort würde Lara ihn nie finden können.

Er verzog das Gesicht. Ihr aus dem Weg zu gehen, bis er davonlaufen konnte, schien ihm feige. Und der Gedanke, sie nie wiederzusehen, war einfach nur deprimierend. »Ich - ich muss bald arbeiten.«

»Aber ich will dich wirklich noch heute Nacht sehen.« Laras Stimme klang angespannt. »Ich kann dich irgendwo treffen, wenn du Pause hast.«

Sie würde nicht aufgeben. Normalerweise bewunderte Jack Personen, die an einem Projekt arbeiteten, bis sie fertig waren, aber wenn er selbst das Projekt war, fühlte er sich so verzweifelt, wie Lara sich gerade anhörte.

Er wollte ihr nicht verraten, wo er wohnte oder wo er gerade arbeitete. »Ich komme in ein paar Minuten bei dir vorbei.« Er gab ihre Adresse bei MapQuest ein.

»Danke! Soll ich dir sagen, wie du herkommst? Oder bedeutet ›vorbeikommen‹, dass du wie durch Zauberhand vor mir erscheinst?«

Jack zuckte zusammen. Wie sollte er seine Fähigkeit zum Teleportieren leugnen, wenn sie es selbst gesehen hatte? Er betrachtete den Plan zu ihrem Apartment. »Ich fahre. In dreißig bis vierzig Minuten bin ich da.«

»Du weißt, wo ich wohne?«

»Ja.« Er würde Phineas und Connor bitten müssen, für etwa eine Stunde bei Romatech für ihn zu übernehmen. Er hörte, wie Lara wieder mit ihrer Mitbewohnerin flüsterte.

»Ich glaube kaum, dass er ein Raumschiff fährt«, murmelte Lara.

Alle neun Kreise der Hölle. Lara würde wirklich wütend werden, wenn ihr klar wurde, dass er ihr nichts verraten durfte.

»Also, äh, ich nehme an, du fährst einen italienischen Wagen?«, fragte Lara.

»Nicht hier in Amerika. Ich leihe mir einen Wagen von einem Freund.« Roman hatte immer einen am Stadthaus stehen.

»Was für ein Wagen?«

»Warum fragst du?«

»Oh, kein bestimmter Grund. Aber wenn er wirklich groß ist, könntest du ein Parkplatzproblem bekommen.«

Er konnte nicht widerstehen. »Bellissima, er mag groß sein, aber ich hatte noch nie Probleme, ihn irgendwo zu parken.« Er lächelte, als sich das Schweigen zwischen ihnen ausbreitete.

»Okay«, sagte sie endlich, »wir sehen uns gleich.« Sie legte auf.

Jack beendete sein Frühstück, während er darüber nachdachte, warum sie nach einer Beschreibung seines Wagens gebeten hatte. Irgendetwas hatte sie vor. Wäre sie ein Malcontent, hätte er geglaubt, sie plane einen Anschlag auf ihn mit einer Autobombe, aber er war sich sicher, dass Lara ihn nicht umbringen wollte.

Natürlich könnte sich das ändern, wenn sie die Wahrheit über ihn erfuhr. Er wusste aus Erfahrung, dass Frauen auf die Wahrheit hysterisch reagierten. Er müsste schon sehr dumm sein, den gleichen Fehler noch einmal zu begehen und ein anderes Ergebnis zu erwarten.

****

»Hey, irgendwer parkt die Straße runter«, berichtete LaToya von ihrem Handy aus. »Oh, fast vergessen. Das ist ja eine Geheimobservation.« Sie senkte ihre Stimme zu einem dringlicheren Tonfall. »Mögliche Sichtung von männlichem Verdächtigen, fährt roten Toyota.«

»Einen Toyota? Das klingt so gar nicht nach Jack«, sagte Lara. Dreißig Minuten waren vergangen, und sie wartete aufgeregt in ihrer Wohnung im zweiten Stock, während LaToya unten auf der Straße Posten bezogen hatte. Die Freundin sollte Jacks Eintreffen beobachten und sich sein Nummernschild aufschreiben. Und während dann Lara Jack in ihrer Wohnung befragte, konnte LaToya den Halter des Wagens ausfindig machen.

Lara beobachtete von ihrem Wohnzimmerfenster aus, wie LaToya langsam die Straße hinabging und so tat, als würde sie sich die Schaufenster ansehen. Es war dunkel draußen, aber die Straßenlaternen warfen gelbe Lichtinseln, die sich im nassen Zement gruselig spiegelten.

»Verdächtiger hat seinen Wagen verlassen«, flüsterte LaToya in ihr Telefon. »Dunkles Haar, durchschnittlich groß. Durchschnittliches Aussehen.«

»Jack hat schwarzes Haar«, sagte Lara, »aber ich würde sagen, er ist größer als der Durchschnitt. Und er sieht auch viel besser aus als der -«

»Durchschnittliche Alien?«, murmelte LaToya. »Verdächtiger hat den Imbiss betreten. Bezweifle, dass er unser Mann ist. Und es fängt wieder an zu nieseln, verdammt.«

»Willst du reinkommen?«

»Negativ. Ich bin auf einer Mission. Möglicher feindlicher Einfall durch Aliens.« LaToya zog sich die Kapuze ihres LSU-Sweatshirts über den Kopf. »Hey, ich frage mich, was Aliens essen. Ich hoffe, dein Jack ist nicht hier, um uns als Nahrungsmittel zu ernten.«

»Jack ist kein Alien.« Aber Lara war sich auch nicht sicher, was er sonst war. Sie sah sich noch einmal in der Wohnung um, ob sie auch wirklich vorzeigbar war. Die Teller waren abgespült und in die Geschirrspülmaschine sortiert. Die Küche führte in das kleine Wohnzimmer. Ihr Schlafzimmer war etwas unordentlich, aber dahin wollte sie Jack sowieso nicht einladen, auch wenn LaToya darauf bestanden hatte, sie sollte ihn ausziehen, um nach Anzeichen auf mehrere Bauchnabel oder verborgene Schuppen oder Kiemen zu suchen.

Laras Herz schlug bei dem Gedanken daran, ihn wiederzusehen, schneller. Wie würde er ihr das alles erklären? Und wie würde sie selbst reagieren? Was, wenn er tatsächlich gestand, ein Alien zu sein? Sie lachte leise. LaToyas Albernheit war anscheinend ansteckend. Es musste eine logische Erklärung für Jacks bizarre Fähigkeiten geben. Bitte, lass es logisch sein.

Es war ihr größter Wunsch, dass er ein Mensch war. Und zu haben. Und an ihr interessiert. Oh ja, sie wollte, dass er den Boden unter ihren Füßen verehrte.

»Verdammt, ist das denn zu fassen?«, knurrte LaToya.

»Was?« Lara bemühte sich, aus dem Fenster etwas zu erkennen. »Hast du ihn entdeckt?«

»Nein. Ich bin gerade am Fenster von Mrs. Yees Bäckerei. Sie schwört, dass alles jeden Tag frisch gemacht wird, aber dieser Riesenwindbeutel mit Schokoladenguss hat den gleichen kleinen schwarzen Fleck wie der von gestern. Ich sage dir, das ist derselbe.«

»LaToya, du gierst jetzt schon seit einer Woche nach diesen Windbeuteln. Kauf einfach einen und iss das verdammte Ding.«

»Machst du Witze? Weißt du, wie viele Kalorien da drin sind?«

Lichter blitzten auf dem dunklen, nassen Asphalt auf, als ein neuer Wagen in die Straße einbog.

Aus Laras Blickwinkel war der neue Wagen noch nicht zu sehen. »Kannst du ihn sehen?«

»Bestätige. Schwarzer Sedan, vier Türen. Scheibenwischer eingeschaltet. Fährt langsam, als würde er nach einem Parkplatz suchen.«

Lara wurde angespannt, als er vorbei fuhr. »Ich glaube, das ist ein Lexus. Könnte Jack sein.«

»Getönte Scheiben«, fuhr LaToya fort. »Ich konnte den Fahrer nicht erkennen. Warte. Er parkt an der Ecke beim Zeitschriftenstand. Ich gehe hin.«

Lara sah zu, wie LaToya an den Läden vorbeischlenderte.

»Oh mein Gott«, flüsterte LaToya.

»Was? Ist alles in Ordnung?«, Lara wurde noch nervöser. Ihre Freundin war abrupt stehengeblieben.

»Oh mein Gott.« LaToya drehte sich um, und schaute interessiert in ein Schaufenster, das leider leer war. »Er ist gegenüber, am anderen Ende des Straßenblocks. Und er ist so heiß!«

»Das muss Jack sein.« Laras Herz klopfte schneller. Lieber Gott, das war so lächerlich. Sie verhielt sich wie ein Teenager, der in den süßesten Jungen der Schule verknallt war. Sie musste sich zusammenreißen. Es hatte schon jede Menge gut aussehender Jungen gegeben, die sich mit ihr verabreden wollten, nachdem sie Miss Teen Louisiana geworden war. Nach kurzer Zeit war ihr allerdings klar geworden, dass sie damit nur ihren eigenen Ruf und ihr Ego stärken wollten. Jede Schönheitskönigin hätte es dafür getan. Sie war ein Objekt gewesen, kein Mensch, und nach dem Autounfall waren sie alle schnell verschwunden.

»Statusbericht: Unglaublich heißer Verdächtiger ist auf halbem Weg zur Wohnung«, flüsterte LaToya. »Zu heiß, um kaltblütige Echse zu sein. Wiederhole, Verdächtiger ist keine Echse.«

Lara drückte sich gegen das Fenster und versuchte, einen Blick auf ihn zu erhaschen.

»Oh nein!«, zischte LaToya. »Gerade hat er mich angesehen.«

Lara keuchte, als ein großer dunkelhaariger Mann über die Straße eilte und direkt auf LaToya zulief. Jack.

»Ich habe dir doch gesagt, Bob«, brüllte LaToya ins Telefon, »es ist aus zwischen uns. Pack deinen Mist zusammen und zieh aus!«

Mit angehaltenem Atem hoffte Lara, dass Jack auf die Schauspielerei ihrer Freundin hereinfiel.

»Miss.« Seine Stimme war durch LaToyas Telefon hörbar. »Sie sind doch Lara Bouchers Mitbewohnerin?«

»Ich - wer?«, sagte LaToya empört. »Ich habe keine Ahnung, von wem Sie sprechen.«

»Ich habe Ihre Stimme erkannt«, beharrte Jack.

War es möglich, dass er LaToyas flüsternde Stimme von der anderen Straßenseite her gehört hatte? Lara fragte sich, ob Supergehör eine weitere von Jacks überirdischen Fähigkeiten war.

»Ich bin mir sicher, wir sind uns noch nie begegnet«, sagte LaToya nachdrücklich. »Und ich habe hier gerade damit zu tun, mich mit meinem Ex zu unterhalten, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

»Sagen Sie Lara, ich bin gleich da.«

»Hmpf.« LaToya stapfte davon. »Nein, Bob, du nimmst den guten Cognac nicht mit! Der gehört mir!«

Lara entdeckte Jack, der wieder die Straße überquerte und dann in ihrem Gebäude verschwand.

»Hast du das gehört?«, flüsterte LaToya. »Er weiß, wer ich bin!«

»Ich weiß nicht, wie er dich flüstern hören konnte«, sagte Lara. »Er muss ein ausgezeichnetes Gehör haben.«

»Überschall-Gehör. Ich wette, er ist ein bionischer Mann. Du solltest ihm die Kleider vom Leib reißen, damit du sehen kannst, welche Teile echt sind. Vielleicht ist er ein Mann aus Stahl.« LaToya lachte dreckig.

»Sehr lustig.« Auch wenn ein bionischer Mann zumindest gutes Durchhaltevermögen haben dürfte. An der Tür ertönte ein Klopfen, und Lara zuckte zusammen. »Er ist hier! Wie hat er es so schnell drei Treppen raufgeschafft?«

»Weil er verdammt noch mal Superman ist, darum. Pass auf dich auf, Mädchen, sonst versucht er es mit seinem Hypnoseblick bei dir. Okay, ich bin jetzt neben seinem Wagen und schreibe mir die Nummer auf. Ruf an, wenn du mich brauchst.« LaToya legte auf.

Auf dem Weg zur Tür legte Lara das Telefon auf den Couchtisch. Hypnoseblick? Sie musste zugeben, dass Jack etwas sehr Anziehendes an sich hatte. Vielleicht lag das an seinen unglaublichen Fähigkeiten. Oder an seinem unglaublich guten Aussehen. Oder an dem Geheimnis, das ihn umgab. Oder am Gesamtpaket.

Sie öffnete die Tür, und ihr Herz hüpfte in ihrer Brust. Oh ja, das Gesamtpaket war sehr gut. Sie hatte es immer schon gemocht, hübsch verpackte Geschenke zu öffnen.

»Buonasera, Butch.« Sein Lächeln zeigte weiße Zähne und freundliche Lachfältchen. Er strich sich eine feuchte Haarsträhne aus der glatten Stirn.

Sie mochte die Art, wie sein Lächeln seine funkelnden goldbraunen Augen erreichte. Und die Art, wie der leichte Regen sein schwarzes T-Shirt an seine breite Brust und seinen festen Bauch klebte. Er war lockerer gekleidet, als sie es gewohnt war, in ausgeblichenen Jeans, die sich an seine Hüften und Beine schmiegten. Seine schwarzen Stiefel sahen abgetragen, aber gemütlich aus. Er war ein Mann, der mit sich selbst im Reinen zu sein schien. Ehrlich und echt. Extrem gut aussehend, ohne dabei eitel oder eingebildet zu sein. Sie hoffte nur, dass er ehrlich mit ihr sein konnte.

Sein Lächeln wurde breiter. »Darf ich reinkommen?«

»Oh. Ja. Natürlich.« Lara trat zurück. Wie lange hatte sie dagestanden und ihn angestarrt? Sie deutete auf das Wohnzimmer. »Bitte setz dich doch. Kann ich dir etwas zu trinken bringen? Ich habe Mississippi Mud Pie zum Nachtisch gemacht. Möchtest du ein Stück?«

Er drehte sich um und sah sie verwirrt an. »Du isst... Matsch?«

»Er ist aus Schokolade. Schön klebrig.« Lara grinste. »Hattest du noch nie welchen? Dann kannst du dich wirklich auf etwas freuen.«

»Ich - nein, danke.«

Ihr Lächeln verblasste. Also konnte sie ihn nicht mit ihren Kochkünsten beeindrucken. »Dann vielleicht etwas zu trinken? Wir haben einen guten Chardonnay.« Wenn sie ihn für das Verhör nicht versüßen konnte, dann konnte vielleicht wenigstens der Wein seine Zunge lösen.

»Nein, danke.« Er berührte seinen Bauch und legte die Stirn in Falten. »Ich bin etwas wetterfühlig.«

»Oh, das tut mir leid. Du solltest viel Flüssigkeit zu dir nehmen.«

Sein Mund verzog sich zu einem schiefen Lächeln. »Das tue ich. Aber bitte, trink ruhig, wenn du magst.«

»Okay.« Noch ein Glas Wein würde ihr vielleicht Mut machen. Sie ging in die Küche. »Ich wollte dir dafür danken, dass du mir letzte Nacht geholfen hast.«

»Gern geschehen.« Jack drehte sich in ihrem Wohnzimmer um die eigene Achse und sah sich um. »Wie geht es deinem Partner?«

»Harvey wird schon wieder, aber er muss ein paar Monate aussetzen.« Lara stellte ihr Weinglas auf den Couchtisch und machte es sich im Liegesessel bequem. Ihr Herz überschlug sich kurz, als Jack sich neben sie setzte.

Sein Blick wanderte über ihren Körper und blieb hier und da wohlwollend hängen. »Und wie geht es dir, Lara?«

»Ich - es geht mir gut.« Es war schwer, sich mit ihm zu unterhalten, wenn er so nahe war. Schwer, zu denken, wenn der eigene Name wie eine Liebkosung ausgesprochen wurde. »Der Captain hat mir bezahlten Urlaub gegeben. Und anscheinend bekomme ich noch so eine Art Ehrung. Es ist echt peinlich, dass alle glauben, ich wäre so was wie eine Heldin.«

Jack streckte einen Arm auf der Lehne des Liegestuhls aus. »Cara mia, du bist aber eine Heldin.«

Cara mia? Lara war in Louisiana mit ma cher aufgewachsen, aber die italienische Version klang neu und exotisch. Trotzdem sollte sie es sich nicht zu Kopf steigen lassen. Jack könnte diese Worte einfach die ganze Zeit benutzen, ohne sie ernst zu meinen. »Ich bin keine Heldin. Du bist es, der alle gerettet hat. Und dann hast du die Trents programmiert zu sagen, ich wäre so etwas wie RoboCop.«

»So ließ sich am leichtesten erklären, was passiert ist. Das Wichtigste ist, dass du in Sicherheit und unverletzt bist.«

»Ja, das bin ich. Danke. Ich will auch nicht undankbar klingen. Ich - ich fühle mich nur einfach nicht wohl dabei, das Lob für etwas einzuheimsen, das du getan hast.« Außerdem war sie sich unangenehm bewusst, dass seine Hand nur ein kurzes Stück hinter ihrem Hals zum Liegen gekommen war. Sie spürte ein ganz leichtes Ziehen. Berührte er ihre Haare?

Er lächelte. »Du bist ein ehrlicher Mensch. Das mag ich.«

»Was ist mit dir? Kannst du ehrlich zu mir sein?«

Es ging also schon los. »Das wäre ich gern, aber ich - ich bin etwas gebunden, ehrlich gesagt.«

Ihr Herz wurde schwer. »Das verstehe ich nicht. Warum kannst du mir nicht einfach die Wahrheit sagen?«

»Es tut mir wirklich leid. Ich habe den Befehl von meinem Boss, nicht über bestimmte vertrauliche Dinge zu reden.«

»Deinem Boss? Also bei MacKay Security and Investigations?«

»Ja«.

»Nach denen habe ich im Internet gesucht. Da stand nicht viel, nur dass die Firma 1927 gegründet wurde und damals Niederlassungen in London und Edinburgh hatte.«

Jack nickte. »Das stimmt.«

Da er ihr antwortete, zielten ihre Fragen anscheinend an bestimmten vertraulichen Dingen vorbei. Sie entschloss sich, tiefer zu graben. »Und was macht die Firma von MacKay genau?«

»Wir sorgen für die Sicherheit unserer Kunden auf der ganzen Welt, und unser Spezialgebiet sind Nachforschungen.«

»Das machst du also? Detektivarbeit sozusagen?«

»Meistens, ja.«

»Und hast du gerade einen Fall hier in New York?«

»Nein.«

»Dann beschützt du jemanden?«

»Ja.«

Lara nippte an ihrem Wein. Das war wie Zähne ziehen. Wenn es ihr nur gelingen würde, ihn ein bisschen locker zu machen. »Bist du sicher, dass du keinen Wein möchtest? Oder etwas Stärkeres?«

Sein Mund hob sich auf einer Seite, und in seinen Augen glitzerte es spöttisch.

Verdammt. Er wusste, was sie vorhatte. Sie brauchte eine andere Strategie, aber es war ihr einfach nicht möglich mit der Frage herauszuplatzen, ob er ein Alien oder ein bionischer Mann war. Es war einfach zu lächerlich.

Allerdings konnte sie immer noch LaToyas Rat befolgen, sich seinen Körper anzusehen. »Du Armer. Dein T-Shirt ist ganz nass. Warum ziehst du es nicht einfach aus, und ich stecke es in den Trockner.«

Er betrachtete sein feuchtes Hemd. »So schlimm ist es nicht.«

»Es ist völlig durchnässt. Du holst dir noch den Tod durch Erkältung.«

Seine Mundwinkel zuckten. »Das bezweifle ich.«

»Ich bestehe darauf.« Lara beugte sich vor, um nach seinem T-Shirt zu greifen und den Saum aus seiner Jeans zu ziehen. Was erwartete sie, dort zu finden? Kiemen auf seinem Rippenbogen?

»Versuchst du, mich zu verführen, Bellissima?«

Hitze überzog ihre Wangen. »Natürlich nicht. Ich will nur nicht, dass du krank wirst, weil du ein nasses Hemd trägst.«

»Wie umsichtig von dir.« Seine Augen funkelten. »Ich glaube, auch meine Jeans sind etwas feucht geworden?«

Ihr Gesicht brannte noch heißer. »Die sehen ganz in Ordnung aus.«

»Lass mich wissen, wenn du deine Meinung änderst.« Er stand auf und zog das schwarze T-Shirt ganz aus seiner Jeans, die köstlich tief auf seinen schmalen Hüften saß. Eine Spur dunkler Haare kam aus dem Saum hervor, die einen scharfen Kontrast zu seiner blassen Haut bildeten.

Lara atmete tief durch und zwang sich mit aller Macht, sich nicht vorzustellen, wohin diese Spur führte. Mann aus Stahl? Nein, sie würde nicht darüber nachdenken. Aber die Blässe seiner Haut überraschte sie doch. Wie lange arbeitete er schon in der Nachtschicht?

Er schob sein T-Shirt weiter nach oben und legte einen Wirbel aus dunkeln Haaren um seinen Bauchnabel frei. Ein Bauchnabel. Haut, die zum Anfassen aussah. Gar nicht wie ein Alien.

Ihr Mund wurde trocken, als das T-Shirt immer weiter nach oben wanderte. Ein Alien konnte doch bestimmt nicht solche Bauchmuskeln, solche Brustbehaarung und solche starken Brustmuskeln imitieren. Welcher Wissenschaftler würde einen bionischen Mann mit Brusthaaren ausstatten? Sie könnte es immer noch anfassen, um sicherzugehen, dass es echt war. An ein paar dieser schwarzen Locken ziehen, um zu sehen, ob sie nur angeklebt waren. Nur für ihre Untersuchungen, natürlich. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten, um der Versuchung zu widerstehen.

Seine Bewegungen waren langsam und fließend. Verdammter Kerl. Versuchte er, absichtlich zu betonen, wie sexy er war? Er hob seine Arme, und seine Muskeln spannten sich über seiner Brust und seinen Schultern an, als er das T-Shirt über den Kopf zog. Lara biss sich auf die Lippe, um nicht zu stöhnen. Oder zu sabbern.

Er legte das T-Shirt auf den Couchtisch. »Du bist dran.«

»Hmm?« Sie zwang sich, ihm ins Gesicht zu sehen. Die goldenen Flecken in seinen Augen leuchteten. »Ich - ich bin ja nicht nass geworden.«

Seine Nasenlöcher blähten sich auf, und seine Brust weitete sich, als er tief einatmete. Seine Stimme war weich und voll. »Bist du sicher, cara mia}«

Lara presste ihre Schenkel zusammen. Oh Gott, was wenn er auch einen Supergeruchssinn hatte?

Wieder nahm er ganz dicht neben ihr auf dem Liegesessel Platz. »Ich sollte dich warnen, Liebes. Selbst wenn du mich in dein Bett nimmst, kann ich dir nicht sagen, was du hören willst.«

Ein paar Augenblicke lang starrte sie in seine warmen braunen Augen, ehe die Worte bei ihr ankamen, dann keuchte sie empört auf. »Ich hatte nicht vor, dich wegen ein paar Informationen zu verführen. Wie kannst du es wagen!« Sie schnappte sich das feuchte T-Shirt vom Couchtisch und marschierte in die Küche.

Er stand auf und steckte seine Hände in die Jeanstaschen. »Ich habe die Situation wohl falsch interpretiert.« Entschuldigend senkte er den Kopf und betrachtete seine schwarzen Lederstiefel. »Ich habe deine Ehre beleidigt. Es tut mir leid.«

Anscheinend war es ihm wirklich peinlich. In der Mauer, die Lara um sich gebaut hatte, traten kleine Risse auf, die direkt an ihrem Herz zerrten. Trotz Jacks gelassener, sexy Art vermutete sie, dass sich hinter allem ein verletzlicher, lieber Mann versteckte.

Sie warf sein Shirt in den kleinen Trockner, der auf der Waschmaschine stand. »Ich wollte nur mit dir reden. Ich wollte wissen, wie du dich so schnell bewegen kannst. Und wie du verschwinden und wieder auftauchen kannst. Und wie es dir gelingt, die Gedanken von Leuten zu kontrollieren.«

»Es tut mir wirklich leid, aber das kann ich dir nicht erklären.«

Also war sie in einer Sackgasse. Sie drückte den Knopf am Trockner, und ein surrendes Geräusch begann, die Stille zu erfüllen. Wie in aller Welt sollte sie die Finger von der Sache lassen? »Meine Mitbewohnerin glaubt, du bist ein Alien.«

Zweifelnd betrachtet Jack sie. »Sehe ich wie ein Alien aus?«

»Du könntest deine wahre Gestalt verbergen. Oder, da du ja in der Lage bist, mit den Gedanken der Leute zu spielen, könntest du uns alle manipulieren, damit wir dich als Mensch ansehen.«

Sie waren wieder in die Küche gegangen, und er lehnte sich gegen die Anrichte, die Arme vor der breiten Brust verschränkt. »Du siehst mich genau so, wie ich bin. Ich kann deine Gedanken nicht beeinflussen.«

»Das sagst du.«

Er legte die Stirn in Falten. »Ich lüge nicht. Glaub mir, wenn ich deine Erinnerungen löschen könnte, hätte ich es bereits getan. Dann könnten wir uns dieses peinliche Gespräch ersparen.«

Peinlich war richtig. »Kann - kann ich dich anfassen? Ich meine, nur um zu sehen, ob du dich normal anfühlst.«

Ohne zu zögern breitete er seine Arme aus. »Bitte sehr.«

Sie atmete tief durch, ging dann auf ihn zu und legte eine Hand auf seine Brust, wo sein Herz sich befinden sollte. Seine Brusthaare waren wie ein weiches, seidiges Kissen. Einige Strähnen lockten sich um ihre Finger, als wollten sie ihre Berührung willkommen heißen. »Ich kann dein Herz spüren. Es schlägt etwas zu schnell.«

»Weil du mich anfasst.«

Diese Wirkung hatte sie auf ihn? Das gefiel ihr. Sie lächelte ihn verschmitzt an. »Du versteckst also kein... zweites Herz irgendwo?«

Seine Mundwinkel zuckten. »Wir spielen verstecken? Wo sollte es denn sein?«

Ihre Kehle zog sich zusammen. Wollte er andeuten, dass er wirklich ein Alien war? »Ich weiß nicht. Wo?« Sie fuhr mit der Hand an seinen Rippen hinab und drückte auf seinen festen Bauch. »Ich spüre hier nichts schlagen.«

»Etwas tiefer.«

»Hier?« Sie erreichte den Saum seiner Jeans.

»Noch etwas tiefer.«

Sie bemerkte die Beule unter seinem Reißverschluss und ließ ihn abrupt los. »Du Neandertaler.«

Er lachte. »Ich musste es doch wenigstens versuchen.«

»Na, wenn das deine Vorstellung von einem Herzen ist, muss ich es dir leider brechen.« Sie hob ihre Hände und machte die Bewegung, mit der man einen Zweig entzweibrach.

In seinen Augen sprühte noch immer Fröhlichkeit, aber er verzog gequält sein Gesicht. »Bitte nicht. Mein Herz ist sehr empfindlich.«

Unschuldig hob sie ihre Augenbrauen. »Du hast ein weiches Herz? Wie süß.«

»Ich bin, seit ich dich getroffen habe, nicht mehr weich gewesen«, knurrte er.

Warum musste er immer solche Sachen sagen, die ihr die Röte ins Gesicht trieben? »Streck die Zunge raus.«

»Meine Zunge?«

»Ja. Ich will wissen, ob sie vielleicht gespalten ist, wie bei einer Schlange.«

Er sah sie herausfordernd an. »Zeig ich dir meins, zeigst du mir deins.«

»Meine Menschlichkeit ist nicht infrage gestellt. Wie kontrollierst du die Gedanken von anderen? Bist du so etwas wie ein Medium?«

»Ich nehme an, so könnte man es nennen.«

Endlich kam sie der Sache näher. »Wie bewegst du dich so schnell?«

»Das ist eine Gabe.« Er hob eine Augenbraue. »Ich kann mich auch extrem langsam bewegen. Soll ich es dir zeigen?«

Sie biss sich auf die Lippe, um nicht Ja zu sagen. Lieber Gott, dieser Mann war einfach zu verlockend. Oder machte er das mit ihr? »Bist du sicher, dass du meine Gedanken nie beeinflusst hast?«

»Habe ich nicht. Ich habe es versucht, aber ich kann dich überhaupt nicht kontrollieren.«

»Das Leben kann so hart sein, was?«

Er grinste. »Es fängt an, mir zu gefallen. Ich weiß nie, was du als Nächstes tust oder sagst. Das ist aufregend. Und ich mag es, zu wissen, dass deine Reaktionen auf mich ehrlich sind.« Er legte den Kopf zur Seite und betrachtete sie. »Ich glaube, du fühlst dich wirklich zu mir hingezogen.«

»Was für ein Ego.« Ihr Blick wanderte hinab. »Du musst wohl mit deinem Herzen denken.«

»Oh, ja, ich habe wirklich fest darüber nachgedacht.« Er lachte leise, als sie die Augen verdrehte. »Auch wenn ich nicht alle deine Fragen beantworten kann, empfinde ich dein Interesse an mir als wahre Ehre.«

»Berufliches Interesse.«

»Natürlich. Ich für meinen Teil finde dich genauso spannend.«

Sie blinzelte. Nein, das konnte er nicht ernst meinen. »An mir ist nichts Außergewöhnliches.«

»Das stimmt nicht. Du könntest ein verwöhntes Leben in Louisiana führen. Du bist schön genug, um noch mehr Wettbewerbe zu gewinnen.«

»Du hast Nachforschungen über mich angestellt?«

»Das ist meine Aufgabe.« Seine Augen leuchteten. »Ich bewundere deinen Mut und deine Entschlossenheit. Du hast ein einfaches Leben aufgegeben, um Polizistin zu werden.«

»Ich wollte, dass mein Leben bedeutender wird.«

»Cara mia, du wirst immer etwas bedeuten.«

Die Risse in ihrer Mauer wurden größer. Sie sah in sein Gesicht. Er betrachtete sie eindringlich, als könnte er sie allein mit seinem Blick berühren. Lara wendete sich ab, plötzlich überwältigt von einer seltsamen Sehnsucht. Wie konnte sie ihn berühren wollen, wo sie doch so wenig von ihm wusste?

»Wie machst du das nur?«, flüsterte er.

»Was denn?« Vollkommen befangen werden?

»In all den Jahren habe ich Frauen getroffen, die unschuldig waren, und Frauen, die es nicht waren, aber ich bin noch nie einer begegnet, die beides war. Bis jetzt.« Er trat auf sie zu. »So rein und gleichzeitig so provozierend.«

Sie wollte ihm widersprechen, aber als sie in seine Augen sah, vergaß sie alle Worte. Es lag so viel Verlangen in seinem Blick, so viel Hunger, dass ihre Knie davon weich wurden.

Noch einen Schritt näher trat er an sie heran. »Ich frage mich, welche Seite gewinnen wird? Die Unschuldige oder die Verführerin?«

»Ich —« Lara drückte sich gegen den Trockner, der in ihrem Rücken vibrierte, ihre Haut zum Kribbeln brachte und in ihr das Verlangen weckte, berührt zu werden.

Er fuhr mit den Fingern über ihre Wange, und sie schauderte wohlig. Seine Augen waren halb geschlossen, als er sich auf ihren Mund konzentrierte.

Er wird mich küssen. Sollte sie ihn lassen? Oh Gott, er hatte recht. In ihr stritten sich zwei Stimmen. Die anständige warnte sie davor, sich nicht mit diesem geheimnisvollen Mann einzulassen, aber die andere, wilde, trieb sie dazu an, sich ins Ungewisse zu stürzen und sich mit seiner mysteriösen Anziehungskraft, seinem Charme und seiner Männlichkeit zu umgeben. Mach schon.

Sein Zeigefinger legte sich auf ihre Unterlippe, und ein tiefes Verlangen durchflutete ihre Sinne. Es verzehrte ihren Körper und gierte nach seinen Berührungen, seinen Küssen. Mach schon. Sie saugte seinen Finger in ihren Mund.

Er stöhnte. »Lara.« Er zog seinen Finger heraus und nahm ihr Gesicht in beide Hände. »Cara mia.«

»Ja.« Gott steh ihr bei, sie wollte seine Liebste sein.

Langsam beugte er sich vor und legte seine Lippen behutsam auf ihre.