12. KAPITEL

 

Lara saß am Ende eines langen Konferenztisches und wartete darauf, dass der Computer hochfuhr.

Howard wartete an der Tür. »Brauchen Sie etwas zum Schreiben? Vielleicht etwas zu trinken?«

»Ich komme zurecht, danke.« Sie stutzte, als sie auf den Bildschirm des Computers blickte. Der Desktop war überraschend leer. Es gab nur eine Datei, die nicht zum System gehörte, und die trug den Namen Apollo.

»Ich muss eine Runde gehen«, sagte Howard, »ich sehe in einer Viertelstunde wieder nach Ihnen.« Er schlenderte davon und ließ die Tür weit offen stehen.

Sicherheit ging hier auf jeden Fall vor. Lara wendete sich wieder dem Computer zu. Jack hatte dafür gesorgt, dass der Laptop nichts enthielt, was mit Romatech Industries oder MacKay Security and Investigations zu tun hatte. Offensichtlich wollte er nicht, dass sie ihre Nase in deren Geschäfte steckte. Was sie wohl zu verbergen hatten?

Es schien Howard gar nicht gefallen zu haben, als sie sich im Sicherheitsbüro die Bänder der Überwachungskamera angesehen hatte. Und was hatte es mit den ganzen Waffen auf sich, besonders den Schwertern? Sie seufzte. Noch mehr Fragen, die sie Jack stellen musste.

Wenigstens im Apollo-Fall versuchte er nicht, irgendetwas vor ihr zu verbergen. Lara klickte auf Apollo und zwei Ordner, betitelt Negativ und Positiv, erschienen. Sie öffnete die Negativ-Datei und entdeckte kurze Beschreibungen von fünf Frauen, die in der näheren Umgebung entführt worden waren. Sie überflog die Seite und merkte, dass sie alle das falsche Alter oder die falsche Haarfarbe für Apollo hatten.

Als sie den Ordner Positiv öffnete, blieb ihr der Mund offen stehen. Darin befanden sich zwanzig weitere Unter-Ordner. Hatte Jack all diese Informationen wirklich in einer Nacht zusammengetragen?

Im ersten Ordner befanden sich ein Foto und ein kurzer Bericht über eine Studentin mit dunklem kastanienbraunem Haar, die letzten Monat aus der NYU verschwunden war. Im April.

Lara öffnete den zweiten Ordner. Eine Erdbeerblonde war letztes Jahr im Juni aus der NYU verschwunden. Der dritte Ordner zeigte Brittney Beckford von der Columbia University, die letzten Juli als vermisst gemeldet wurde. Im vierten und fünften Ordner befanden sich zwei rothaarige Studentinnen, die aus der Syracuse University verschwunden waren.

Entführte Apollo jeden Monat ein neues Mädchen? Lara sah sich die Daten noch einmal genau an. Jedes Mädchen war am vierten Samstag des jeweiligen Monats entführt worden.

Wie konnte etwas so Offensichtliches und Schreckliches den Behörden entgehen? Apollo musste Gedankenkontrolle benutzen, um seine Spuren so gut zu verwischen, dass niemand merkte, was vor sich ging. Tatsächlich waren die meisten dieser Mädchen nur als Ausreißerinnen gelistet. Gott sei Dank hatte dieser Verbrecher endlich die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich gezogen.

Lara legte die Stirn in Falten. Jack hatte furchtbar schwer an der Sache gearbeitet, aber das war nicht sein Fall. Es war die Sache der Polizei.

Im sechsten Ordner wurde über eine Studentin der University of Pennsylvania in Philadelphia berichtet, und das siebte Mädchen wurde in Princeton, New Jersey, vermisst. Wenn Apollo in mehreren Staaten Mädchen entführte, dann war der Fall sogar eine Sache des FBI.

Trotz allem, eines musste sie Jack lassen. Seine Ermittlungen waren brillant. Sie war nicht einmal die Hälfte der Ordner durchgegangen und überflog den Rest nur noch. Sie brauchte Ausdrucke all dieser Berichte, damit sie sie untereinander vergleichen konnte. Und sie brauchte Stunden, um das ganze Material durchzugehen.

Am besten wäre eine Kopie aller Ordner. Sie begann, sich selbst den ganzen Apollo-Ordner per E-Mail zu schicken, doch dann zögerte sie. Würde es Jack etwas ausmachen? Bestimmt nicht. In seiner Nachricht auf ihrer Mailbox hatte er gesagt, dass er ihr alle Informationen zeigen wollte. Sie arbeiteten zusammen an dem Fall. Sie klickte auf Senden.

»Hallo.«

Erschreckt zuckte sie zusammen und entdeckte einen kleinen blonden Jungen in der Tür. Er sah aus wie der Junge auf dem Überwachungsvideo. »Hallo.«

Er zog an seinem blau und grün gestreiften T-Shirt. »Ich heiße Tino.«

Natürlich. Constantine Draganesti. »Freut mich sehr. Ich bin Lara Boucher.«

Sein engelsgleiches Lächeln war wie ein Geschenk. »Ich habe von dir gehört.«

»Toll.« Sie stellte den Laptop aus und stand auf.

»Tino!«, rief eine Frauenstimme. »Oh, da bist du ja.« Eine ältere Frau erschien in der Tür und bemerkte Lara. »Es tut mir leid. Ich hoffe, Tino hat Sie nicht gestört.«

»Nein, überhaupt nicht.« Lara ging auf sie zu. »Ich bin Lara Boucher.«

»Oh, ich habe schon von Ihnen gehört.«

Nicht schon wieder. Lara streckte eine Hand aus. »Wie geht es Ihnen?«

»Sehr gut. Ich heiße Radinka.« Sie schüttelte Laras Hand und ließ nicht los. Dann betrachtete die Frau sie eindringlich und lächelte. »Ja. Sie und Jack werden sehr glücklich werden.«

»Wie bitte?«

Radinka ließ ihre Hand los und rief über ihre Schulter.

»Shanna, du errätst nie, wer hier ist.«

»Komme.« Aus dem Spielzimmer trat eine Frau, die einen Kinderwagen vor sich herschob. Sie war blond und etwas rundlich, die Geburt des Kindes lag ja auch noch nicht lange zurück. Das winzige Neugeborene hatte zarte rosige Haut und eine pelzige Kappe aus schwarzem Haar.

Lara beugte sich über den Kinderwagen, um es sich genauer anzusehen. »Was für ein schönes Kind.« Ein Mädchen, nahm sie wegen der zarten Gesichtszüge an. Die rosa Decke war ebenfalls ein Anhaltspunkt. Sie sah zur Mutter des Babys auf. »Hi. Ich bin Lara Boucher.«

»Oh. Ich habe schon von Ihnen gehört.«

»Das sagen hier alle«, murmelte Lara.

Shanna lachte. »Keine Sorge, nur Gutes. Übrigens, ich bin Shanna. Meine Tochter heißt Sofia. Und Sie haben meinen Sohn, Constantine, schon kennengelernt?«

»Ja.« Lara lächelte den Jungen mit den rosigen Wangen an.

»Sie ist die Richtige für Jack«, verkündete Radinka.

»D-das würde ich nicht sagen. Ich kenne ihn kaum.« Lara war das alles ein bisschen unangenehm.

»Na, dann müssen wir Ihnen alles über ihn erzählen, nicht wahr?« In Shannas Augen funkelte Belustigung. »Robby hat gesagt, dass Sie sehr hübsch sind. Damit hatte er auf jeden Fall recht.«

»Connor hat gesagt, du machst nur Ärger«, fügte Constantine hinzu.

»Tino.« Shanna warf ihrem Sohn einen rügenden Blick zu und wendete sich dann an Lara. »Connor macht sich nur Sorgen, dass Jack vielleicht verletzt wird. Wir sind hier alle irgendwie wie eine große Familie. Möchten Sie mit uns zu Abend essen? Wir wollten gerade in die Kantine gehen.«

»Ich esse Makkaroni mit Käse!« Tino stolzierte auf dem Flur auf und ab.

»Das würde ich gerne, aber Howard möchte wahrscheinlich, dass ich bleibe, wo ich bin.« Lara zeigte auf das Konferenzzimmer.

»Oh, machen Sie sich keine Sorgen.« Shanna winkte ab. »Er wird Sie auf dem Bildschirm sehen und wissen, dass Sie bei uns sind. Kommen Sie.«

Lara griff nach ihrer Handtasche, schloss die Tür des Konferenzzimmers hinter sich und begleitete sie den Flur hinab ins Foyer. Sie hatte noch nicht gegessen, also war sie wirklich hungrig, und sie wollte nur zu gern hören, was es über Jack zu erzählen gab. Allerdings hatte Jack für sie am Abend etwas geplant, und dazu könnte ein Dinner gehören. Und noch andere Dinge... Sie sollte deshalb nicht zu viel essen.

Sie gingen das Foyer hinab, wendeten sich nach rechts, nach links, und noch einmal nach links. Hier hatten die Flure auf einer Seite Fenster, die alle den Blick auf einen Hof und einen angelegten Gartenbereich freigaben. Die untergehende Sonne spiegelte sich in den Fenstern und warf ihr Licht auf leuchtende rote und rosa Geranien, die in Kübeln auf dem Hof blühten.

In der fast leeren Kantine setzten sie sich an einen Tisch und parkten den Kinderwagen neben Shanna. Lara setzte sich ihr gegenüber und aß einen kleinen Salat, während sie das zwei Wochen alte Baby bewunderte.

»Willst du sehen, was ich kann?«, fragte Tino.

»Natürlich.« Sicher wollte der kleine Junge auch etwas Aufmerksamkeit, nahm Lara an.

»Tino.« Shanna schüttelte den Kopf und zog die Augenbrauen zusammen.

»Oh. Okay.« Seine Schultern sackten zusammen, und er schob seine Makkaroni auf dem Teller hin und her.

Shanna sah ihm dabei zu, immer noch mit gerunzelter Stirn, doch dann erhellte sich ihre Miene. »Ich weiß. Neulich hast du doch mit den Ohren gewackelt. Das kannst du Lara zeigen.«

Grinsend richtete Tino sich auf und drehte sich zu Lara. »Ja. Willst du sehen?«

»Sehr gerne.« Lara lachte, als die Ohren des kleinen Jungen sich ein wenig bewegten. »Das ist großartig. Ich habe das nie gekonnt.«

»Ich kann auch lesen«, prahlte Tino.

»Das ist ja wunderbar.« Lara schob ihre leere Salatschüssel von sich. »Wie alt bist du?«

»Im März bin ich zwei geworden.« Constantine trank etwas von seiner Milch.

Zwei? Lara hätte ihn eher auf vier geschätzt, aber sie wusste auch nicht sehr viel über Kinder.

Sofia heulte plötzlich auf, und Shanna hob sie aus ihrem Wagen. »Schon gut.« Sie ging um den Tisch herum und wiegte ihr Kind in ihren Armen. »Du bist doch schon fertig mit essen. Kannst du Mama das Baby nicht abnehmen?«

Tatsächlich hatte Shanna erst zur Hälfte aufgegessen, und auch Radinka war noch nicht fertig. »Ich halte das Baby gern.«

»Oh, danke.« Shanna legte Lara das Kind in die Arme. »Sie mag gerne herumgetragen werden. Ich nehme an, es erinnert sie daran, wie es war, als sie noch in mir drin war.«

»Ich weiß nicht mehr, wie es in dir drin war, Mama«, sagte Tino.

Shanna lachte leise, als sie sich hinsetzte, um zu Ende zu essen. »Du hast dich immer herumgerollt und Purzelbäume geschlagen.«

»Cool.« Tino machte sich über eine Schüssel mit roten Wackelpuddingwürfeln her.

Lara schlenderte langsam um den Tisch herum und genoss die unglaubliche Weichheit des Babys an ihrer Brust. Sofia sah mit klaren blauen Augen zu ihr auf. Lara strich mit der Hand über den Kopf des Kindes und fühlte die daunenweichen schwarzen Haare. Jacks Kinder hätten auch solche Haare.

Sie seufzte. Was in aller Welt dachte sie sich dabei, über Jacks zukünftige Kinder nachzudenken? So verrückt es auch war, sie konnte sich nicht allzu sehr darüber ärgern. Etwas daran, dieses Kind zu halten, ließ sie innerlich ganz ruhig werden.

»Sie können gut mit Kindern umgehen.« Shanna schaufelte sich etwas Kartoffelbrei in den Mund. »Jack kann das auch.«

»Er würde einen ausgezeichneten Vater abgeben.« Radinka zeigte mit der Gabel auf Lara, um ihre Worte zu unterstreichen.

Obwohl es ihr unangenehm war, konnte Lara nicht anders, als zu lächeln. »Sie sind zwei ganz schöne Kupplerinnen. Aber so gut aussehend, wie Jack ist, glaube ich nicht, dass er in Liebesdingen Hilfe benötigt.« Sie hoffte, dass die beiden mit so etwas wie »Jack hat sich schon seit Jahren mit niemandem getroffen. Jack ist so keusch wie ein neunzigjähriger Mönch« antworteten.

Shanna griff nach ihrem Glas Eistee. »Ich muss zugeben, Jack ist ein sehr gut aussehender Mann.«

»Die Jugend«, murmelte Radinka und schüttelte den Kopf, während sie den letzten Rest ihres Steaks in Stücke schnitt. »Wirklich wichtig ist der Charakter. Jack ist ein guter Mann. Er ist freundlich, loyal, und verlässlich.«

Das klang ja alles ganz schön und gut, aber Lara fragte sich immer noch, wie viele Busladungen Frauen schon hinter Jack her gewesen waren. Sie ging weiter um den Tisch herum. »Wahrscheinlich hat einer, der so gut aussieht und einen so guten Charakter hat, viele Verehrerinnen.«

»Das dürfte wohl stimmen«. Shannas Augen funkelten.

Erst jetzt wurde Lara bewusst, wie offensichtlich ihre Fragerei war, und sie errötete.

»Keine Sorge. Ich habe Jack noch nie mit einer Freundin gesehen. Zu Partys kommt er immer allein.«

Lara atmete vor Freude tief ein.

»Allerdings, wenn er dann da ist, flirtet er natürlich fürchterlich mit allen Frauen«, gab Shanna scheinbar zerknirscht zu.

Ihr Hals zog sich so plötzlich zusammen, dass Lara husten musste.

»Er ist nur nett«, sagte Radinka bestimmt, »bei der Frühlingsgala hat er mit mir geflirtet und mich sogar zu einem Walzer aufgefordert. Ich wusste, dass er nur höflich sein wollte, aber es hat sich trotzdem wunderbar angefühlt. Als wäre ich vierzig Jahre jünger.«

»Wie lange kennen Sie ihn schon?«, fragte Lara.

»Seit ich angefangen habe, hier zu arbeiten«, berichtete Radinka, »das sind jetzt etwa achtzehn Jahre. Ich war früher Romans Sekretärin.«

»Aber dann habe ich sie gestohlen.« Shanna sah Radinka liebevoll an und wendete sich dann an Lara. »Ich habe Jack vor drei Jahren bei meiner Hochzeit kennengelernt. Er kommt zu allen Hochzeiten und Partys.«

»Er ist ein ausgezeichneter Tänzer«, fügte Radinka hinzu.

Shanna nickte. »Und ein guter Freund. Als Angus und Emma Schwierigkeiten hatten, war er da, um ihnen zu helfen. Er hat auch Ian und Toni geholfen.«

Wer Ian war, wusste Lara, aber die anderen kannte sie nicht. Trotzdem wollte sie nicht vom Thema Jack abkommen. »Ich weiß, dass er ein lieber Kerl ist, aber an ihm sind auch einige Dinge... seltsam. Außergewöhnliche Dinge.«

»Wie sein außergewöhnlich gutes Aussehen?«, fragte Shanna mit einem tückischen Grinsen.

»Und außergewöhnliche Treue«, sagte Radinka.

»Und außergewöhnliche Verfügbarkeit«, fügte Shanna hinzu.

Lara blieb stehen und wendete sich ihnen zu. »Mir ist klar, dass Sie davon vielleicht nichts wissen, aber... Jack hat einige außergewöhnliche Kräfte. Er kann sich teleportieren und sich mit Supergeschwindigkeit bewegen.«

Radinka tupfte sich den Mund mit der Serviette ab und faltete sie dann behutsam zusammen. »Das wissen wir, Liebes.« Ihre Augen funkelten. »Wir wissen auch, dass Sie sich vor ihm nicht fürchten müssen.«

»Das stimmt«, sagte Shanna ruhig. »Ich bin mir sicher, Jacks Fähigkeiten kommen Ihnen furchtbar merkwürdig vor, aber lassen Sie sich davon bitte nicht abschrecken. Wirklich wichtig ist, wie er diese Fähigkeiten einsetzt, und das tut er immer für das Gute. Sie können ihm vertrauen, Lara.«

War es wirklich so einfach? Konnte sie ihn einfach so akzeptieren, wie er war, und ihm vertrauen? Anscheinend taten Shanna und Radinka genau das. Lara war ebenfalls versucht, aber gleichzeitig wollte sie auch Antworten. Und sie wollte, dass Jack ihr genug vertraute, ihr diese Antworten zu geben.

»Und wenn man vom Teufel spricht...« Shanna nickte in Richtung des Kantineneingangs.

Lara wirbelte herum und sah Jack in der offenen Tür stehen. Ihr Herz hüpfte in ihrer Brust. Er war wirklich außergewöhnlich. Er war alles, was sie bei einem Mann wollte. Du kannst ihm vertrauen, Lara.

Er ging langsam auf sie zu. Gekleidet war er in ausgewaschene Jeans, ein schwarzes T-Shirt und eine schwarze Lederjacke. Seine Haare waren noch feucht und aus dem Gesicht gekämmt. Dunkle Stoppeln überschatteten seinen Kiefer. Es schien, als hätte er sich beeilt, so schnell wie möglich herzukommen. Sein Blick wanderte über das Baby in ihren Armen und dann zu ihrem Gesicht mit dem erhitzten goldenen Leuchten darin. Als würde sie von einem Magneten angezogen, trat sie auf ihn zu.

»Oh, ja«, verkündete Radinka hinter ihr, »die zwei werden sehr glücklich werden.«

Das amüsierte Lächeln auf Jacks Gesicht bedeutete, er hatte Radinkas Bemerkung gehört. Laras rosige Gesichtsfarbe wurde immer intensiver.

»Ich nehme Sofia.« Shanna eilte zu ihr, um ihr Baby an sich zu nehmen.

»Hi, Jack!« Constantine rannte zu ihm, und Jack hob ihn hoch in die Luft.

»Hey, Kleiner. Alles in Ordnung?« Er strubbelte dem kleinen Jungen die blonden Locken.

Tino beugte sich nahe zu ihm und flüsterte laut: »Radinka sagt, Lara ist die Richtige für dich.«

Verärgert biss sich Lara auf die Lippen. Diese Leute benahmen sich so, als müsste sie sich Jack automatisch in die Arme werfen. Es war nicht so, als wäre der Mann unwiderstehlich. Sie konnte ihm widerstehen.

Auf welchem Planeten rügte sie eine innere Stimme.

Radinka schüttelte den Kopf, als sie die leeren Teller auf einem Tablett stapelte. »Wenn ich bloß die Richtige für meinen Sohn finden könnte.«

»Ich glaube nicht, dass Gregori schon bereit ist, sesshaft zu werden«, flüsterte Shanna.

»Na, er sollte sich lieber beeilen«, grollte Radinka. »Ich lebe nicht ewig, und ich will noch ein paar Enkelkinder sehen.«

»Wie geht es euch, meine Damen?« Jack setzte Tino ab und gab dann Shanna und Radinka einen Kuss auf die Wange. »Wie geht es Sofia?«

»Gut.« Shanna lächelte. »Wir haben Lara zum Abendessen mit uns geschleppt, damit wir hemmungslos über dich lästern können.«

»Verstehe.« Er drehte sich zu Lara um und lächelte sie liebevoll an. »Bellissima, du hörst nie damit auf, mich zu überraschen. Ich hätte nicht erwartet, dass du zu Romatech kommst.«

Sie zuckte mit den Schultern. »Ich wollte etwas Arbeit an unserem Fall erledigen.«

»Und du hast mein Alibi für Samstagnacht überprüft.«

Sie hob ihr Kinn. »Ja, das habe ich. Das ist Routine.«

Seine Augen funkelten belustigt. »Habe ich bestanden?«

»Ich glaube schon.«

»Das ist gut. Ich möchte nicht, dass du mit einem Kriminellen ausgehst.« Sein Blick wanderte über ihr blaues Sommerkleid, ihre nackten Beine und ihre weißen Sandalen. »Du siehst so schön aus.«

»Danke.« Ihr Ärger verrauchte. Es war schwer genug, sich ihm nicht automatisch in die Arme zu werfen.

Er berührte ihren Arm dort, wo er von der weißen Häkeljacke bedeckt war. »Das ist sehr hübsch, aber vielleicht nicht warm genug, wo wir hingehen.«

»Wohin gehen wir?«

»Keine Sorge, Liebes. Ich bin mir sicher, wir finden etwas Wärmeres für dich.« Jack wendete sich den anderen zu und neigte seinen Kopf. »Ciao, Ladies. Tino. Ich muss euch Lara jetzt entführen.«

Es war eine so altmodische Höflichkeit an der Art, wie er sich verbeugte. Lara stöhnte innerlich. Dieses Wort »altmodisch« verfolgte sie. Sie griff sich ihre weiße Handtasche und sah zu Shanna und Radinka. »Es war schön, Sie kennenzulernen.«

Shanna berührte leicht ihre Schulter. »Ich habe das Gefühl, wir werden uns wiedersehen.«

»Ganz bestimmt«. Radinka nickte. »Viel Spaß euch beiden.«

»Oh, wir haben auch Arbeit zu erledigen«, erklärte Lara förmlich. »Polizeiliche Arbeit.«

Die Äußerung ließ Radinka aufstöhnen: »Sie meint körperliche Arbeit.«

»Kann ich einen Keks haben?« Constantine hüpfte um den Tisch herum.

»Scusi, Signorini. » Jack verbeugte sich wieder und führte Lara, die Hand leicht in ihr Kreuz gelegt, aus der Kantine. »Ich war gerade beim Frühstück, als Carlos mir von Howards Anruf berichtet hat, dass du hier bist und auf mich wartest. Ich bin gekommen, so schnell ich konnte.«

»Danke. Ich habe auch eine Nachricht auf deinem Handy hinterlassen.«

»Die habe ich gehört.« Seine Augen strahlten, als sie gemeinsam den Flur hinabgingen. »Es freut mich, dass du mit mir ausgehen willst.«

»Das dauert höchstens ein paar Stunden, richtig? Und dann machen wir uns wieder an die Arbeit.«

»Wie du es wünschst. Howard hat gesagt, er hat dir den Laptop gezeigt.«

»Ja. Ich war erstaunt, wie viele Informationen du gesammelt hast. Das ist sehr beeindruckend.«

»Grazie.« Er bog nach rechts ab und führte sie in einen weiteren Korridor. »Ich bin entschlossen, Apollo so bald wie möglich zu finden. Ich glaube, er entführt an jedem vierten Wochenende eines Monats ein neues Mädchen.«

»Das ist mir auch aufgefallen. In ein paar Wochen wird er wieder zuschlagen.«

Jack nickte. »Vorher fassen wir ihn.«

Wir? Lara biss sich auf die Lippe. Sie musste Jack sagen, dass die Sache einzig und allein die Polizei und das FBI anging, aber besonders nach der harten Arbeit, die er geleistet hatte, hasste sie diese Aufgabe. »Weißt du, ich gehe am Mittwoch wieder auf Streife.«

Jack blieb stehen. »Du wirst wieder nachts arbeiten?«

»Ja. Sieht so aus, als arbeiteten wir beide die Friedhofsschicht.«

Er legte die Stirn in Falten. »Ich werde dich nicht sehr oft sehen können.«

Würde er sie vermissen? Der Gedanke gefiel Lara. »Keine Sorge, ein oder zwei Nächte bekomme ich jede Woche frei. Ich gehe vielleicht sogar noch einmal mit dir aus, auch wenn es davon abhängt, ob es heute gut wird oder nicht.« Sie lächelte ihn verschmitzt an.

Sein Stirnrunzeln wurde noch tiefer. »Ich hoffe, es wird dir gefallen. Ich wollte etwas Besonderes mit dir teilen. Einen Ort, der mir sehr am Herzen liegt.«

»Oh.« Was er wohl vorhatte. »Okay.«

»Aber wir können nur eine begrenzte Zeit dort bleiben.« Er sah sich auf dem Korridor um. »Wenn es dir nichts ausmacht, denke ich wirklich, wir sollten uns sofort auf den Weg machen.«

»Wirklich?« Sie sah, wie er eine Tür öffnete und hineinspähte.

»Oh, es tut mir leid.« Er hatte jemanden bei der Arbeit unterbrochen. Er schritt den Flur bis zur nächsten Tür hinab. »Am Apollo-Fall können wir immer noch später arbeiten. Ich habe bereits große Fortschritte gemacht, findest du nicht?«

»Ja, das hast du.« Skeptisch zog sie die Augenbrauen zusammen, als er die Tür zu einem Lagerraum öffnete und hineinspähte. »Hast du etwas verloren?«

»Ich will nur nicht, dass man uns sieht. Komm. Hier wird es gehen.« Er nahm ihren Arm und zog sie in den Lagerraum.

War das seine Vorstellung von einem Date? Sich in einem Wandschrank vergnügen? Sie erhaschte einen Blick auf Regale voller Bürobedarf, ehe Jack die Tür schloss und sie in Dunkelheit tauchte. »Hm. Ich dachte, wir machen etwas Besonderes.«

»Das tun wir, Bellissima. Ich habe alles genau geplant.« Er schlang seine Arme um sie. »Gianetta und Mario freuen sich sehr darauf, dich kennenzulernen.«

»Wer ist das?«

»Sie kümmern sich für mich um den Palazzo.«

»Aber der ist in Venedig.«

»Ja.« Er strich mit den Fingerknöcheln über ihre Wange. »Genau dahin gehen wir.«

Während sie ungläubig den Kopf schüttelte, sperrte sie den Mund auf und wieder zu. »Wir können nicht nach Venedig. Der Flug dahin dauert doch ungefähr zehn Stunden.«

»Wir müssen uns beeilen. Wir haben höchstens drei Stunden Zeit.«

»Ehe das Flugzeug abhebt?« Die Wirklichkeit holte sie endlich ein. »Was machen wir dann noch hier?« Ihr Herz begann zu rasen. Das war alles so plötzlich und so aufregend. »Ich muss nach Hause und packen. Ich brauche meinen Reisepass.« Sie drückte sich fort von ihm, um zur Tür zu gelangen.

Er zog sie so plötzlich an sich, dass sie ihre Handtasche verlor. »Bellissima, wir machen uns sofort auf den Weg.«

Ein plötzlicher Verdacht keimte in ihr auf, und die feinen Haare in ihrem Nacken stellten sich auf. »Was - was meinst du damit?«

»Du musst mir vertrauen.« Er schlang seine Arme fest um sie.

Ihre Haut wurde trotz seiner Körperwärme kalt. »Warum sind wir in diesem Schrank?«

»Damit niemand sieht, wie wir uns teleportieren.«

Lara keuchte. »Nein.«

»Doch. Du hast mich schon dabei gesehen. Es ist vollkommen ungefährlich.«

»Es ist vollkommen verrückt!« Sie drückte gegen seine Brust.

»Lara.« Er hielt sie an den Schultern fest. »Ich würde das nie tun, wenn ich dir damit wehtun könnte. Ich mache mir zu viel aus dir, um dir irgendeinen Schaden zuzufügen.«

Was hatte er da gesagt? Er machte sich etwas aus ihr? Ihr Herz schmolz dahin. Trotz dieser Erkenntnis war sie völlig kopflos. »Ich weiß nicht, wie man sich teleportiert. Es macht mir Angst. Was, wenn ich am Ende vollkommen falsch zusammengesetzt werde?«

»Dir passiert nichts. Solange du in meinen Armen bist, bist du sicher.«

»Wäre ein Flugzeug nicht sicherer?«

»Cara mia, wir können in zwei Sekunden in Venedig sein.«

»Es fällt mir schwer, das zu glauben. Du hast die ganzen letzten zwei Wochen so getan, als wärest du normal, und auf einmal ist es in Ordnung, mir dein wahres Ich zu zeigen?«

»Ja.« Seine Arme hatte er jetzt locker um sie gelegt. »Es ist ein Schritt nach vorn, findest du nicht auch?«

Er war endlich bereit, ehrlich zu ihr zu sein? Wie konnte sie dem widerstehen? »Ich - ich will, dass wir uns vorwärts bewegen.«

»Dann komm mit mir. Halt dich an mir fest und lass nicht los.«

Endlich gab sie ihm nach. Sie schlang ihre Arme um sei nen Hals und faltete ihre Hände ineinander. »Bist du sicher, dass es ungefährlich ist? Es gibt keine Gewichtsbeschränkungen oder -«

Alles wurde schwarz.

Sie stolperte und blinzelte, als sich plötzlich hell leuchtende Kerzen um sie drehten und an goldenen Wänden gespiegelt wurden.

»Ruhig, Liebes.« Jack hielt sie fest.

Der Raum hörte auf, sich zu drehen, und sie merkte, dass an den Wänden und Decken Gemälde waren, die von leuchtend vergoldetem Stuck eingefasst wurden. Kerzen brannten in goldenen Wandhaltern und auf drei reich verzierten Kronleuchtern. Antike Möbel standen um eine riesige Feuerstelle mit einem Kaminsims aus Marmor.

Ihre Füße standen fest auf einem Boden aus poliertem Terrazzo. In Kansas war sie mit Sicherheit nicht mehr. »Wow.«

Jack ließ sie los. »Alles in Ordnung?«

Sie sah sich noch einmal im Raum um. »Wow.«

Jack lachte leise. »Willkommen in meinem Heim.« Er schritt auf ein paar Terrassentüren zu und stieß sie auf. »Und willkommen in Venedig.«