Über Intimität

Als Joshua B. kaum ein Jahr nach dem Ende seiner Analyse anrief, hatte ich kein gutes Gefühl. »Haben Sie diese Woche noch Zeit?«, fragte er.

Er kam wenige Stunden später, schaute sich um und sagte: »Neue Vorhänge.« Dann setzte er sich. »Ich bin ein Idiot, ein totaler Idiot«, sagte er. »Ich begehe eine schreckliche Dummheit und weiß doch nicht, wie ich davon ablassen soll.«

»Was ist passiert?«, wollte ich wissen.

»Ach, keine Sorge – mit Emma und dem Baby ist alles bestens. Sie sind okay.« Er trank einen Schluck aus der mitgebrachten Wasserflasche. »Aber ich treffe mich mit dieser Frau.« Er schaute mich an, versuchte, meine Reaktion zu ermessen. »Sind Sie überrascht?«

»Warum erzählen Sie mir nicht von ihr?«

Joshua traf sich mit einer Frau namens Alison, einer zweiundzwanzigjährigen Escort-Dame, die er übers Internet kennengelernt hatte. Seit einigen Monaten traf er sie mehrmals die Woche und telefonierte täglich mit ihr oder schrieb Textnachrichten. Er war ihr behilflich, ihr Leben zu verändern, hatte ihr einen Laptop besorgt und kürzlich vor einem Bewerbungsgespräch Kleider mit ihr eingekauft.

»Letzte Woche habe ich versucht, mit ihr Schluss zu machen. Wir hatten vereinbart, dass ich ihr half, aber unter der Bedingung, dass sie mit ihrer Arbeit aufhörte. Und dann fand ich heraus, dass sie nicht aufgehört hatte, also habe ich die Beziehung beendet. Am nächsten Tag rief sie mich an, um mir zu sagen, wie sehr sie mich vermisse und dass sie mich sehen müsse. Ich gab nach. Ich bin nicht blöd – ich weiß, was auf dem Spiel steht, wenn ich nicht aufhöre, aber ich kann nicht.«

Während er redete, dachte ich über sein Timing nach. Emma, seine Frau, hatte gerade einen Jungen geboren. War Joshua zu einer Prostituierten gegangen, weil er Sex und Liebe trennen musste? Versuchte er, Emma vor Begierden zu schützen, die er schmutzig oder falsch fand? Ich begann, Joshua meine Gedanken darzulegen, aber er unterbrach mich. »Nein, Emma und ich haben immer noch Sex. Und mit Alison hatte ich keinen Sex.«

»Moment mal«, sagte ich. »Das verstehe ich jetzt nicht.«

»Beim ersten Mal hatte ich mich mit Alison zum Sex verabredet. Ich habe bezahlt, aber dann sagte sie mir, sie hätte versehentlich zwei Männer zur selben Zeit bestellt – ob es mir etwas ausmache, eine Stunde in einem Café um die Ecke zu warten? Ich habe gewartet und nicht damit gerechnet, dass sie sich blicken lassen würde, aber sie kam.« Er erzählte, sie hätten sich lange unterhalten, und sie sei einfach toll, wirklich bemerkenswert. Sie bot an, ihm sein Geld zurückzugeben, aber er hatte gesagt, sie solle es behalten. Am nächsten Tag trafen sie sich wieder und setzten ihr Gespräch fort.

»Und das alles ohne Sex?«, fragte ich.

»Sie gibt mir einen Kuss, wenn ich komme und einen, wenn ich gehe; außerdem sie ist sehr körperlich – fasst mich an, wenn sie redet, und manchmal halten wir Händchen, aber Sex hatten wir noch nie miteinander.«

»Trotzdem bezahlen Sie sie, wenn Sie sich treffen?«

»Ich gebe ihr Geld, aber ich bezahle sie nicht. Ich kaufe ihr Sachen, die sie braucht, gebe ihr Geld für ihre kranke Mutter – ich versuche zu helfen. Eine Zeitlang habe ich gedacht, ich würde Sex mit ihr wollen, wenn ich nicht dafür zu bezahlen brauche, aber mittlerweile finde ich, das wäre falsch. Ich hoffe, dass sie mit der Prostitution aufhört, dass ich ihr einen Platz in der Welt verschaffen kann und dass sie mich für das liebt, was ich für sie getan habe.«

Im Laufe der Jahre habe ich mehrere männliche Patienten gehabt, die sich zu Prostituierten hingezogen fühlten. Durch das Typische einer schnellen Nummer – die Vermeidung von Abhängigkeit und emotionaler Intimität – fühlt sich Sex sicherer an. Außerdem ist Prostitution natürlich eine finanzielle Transaktion, und die belebt die Phantasie. Für Joshua aber bedeutete Alison etwas völlig anderes.

»Hören Sie auf das, was Sie sagen«, riet ich ihm. »›Ihr einen Platz in der Welt verschaffen‹, ›dass sie mich für das liebt, was ich für sie getan habe‹. Sie klingen wie eine Mutter, die über ihr Baby redet.«

Joshua nahm noch einen Schluck Wasser. »Also mache ich all das nur, weil ich auch eine Mutter sein möchte? Weil ich neidisch auf meine Frau bin?«

Ich gab keine Antwort. Es mochte stimmen, dass er seine Frau um die Beziehung zu ihrem Sohn beneidete; dies würde ein wenig die Eigenart seiner Beziehung zu Alison erklären, vor allem seine mütterliche Fürsorge und das Fehlen von Sex. Allerdings schien es mir auch möglich, dass er den Neid auf seinen Sohn auslebte. Indem er versuchte, Alison von der Prostitution abzubringen, versuchte er vielleicht auch, den Männern eine Frau zu nehmen – so wie ihm der Sohn die Frau genommen hatte. »Waren Sie früher schon einmal bei einer Prostituierten?«, fragte ich.

»Nein, noch nie«, antwortete er und erzählte dann, dass er seit acht Jahren mit Emma zusammen und ihr bis heute nicht untreu gewesen sei – nun, bis zu dieser Sache mit Alison. »Habe ich Ihnen schon gesagt, dass sie dem Baby denselben Kosenamen gegeben hat, den sie mir gab?«

»Sie sagen, Sie seien Emma immer treu gewesen, aber etwas habe sich verändert. Ich glaube, Sie betrügen Ihre Frau, weil Sie sich betrogen fühlen.«

Joshua beugte sich vor. »Erinnern Sie sich an den Urlaub, den Emma und ich vor zwei Jahren während der Sommerferien gemacht haben? Fast einen ganzen Monat lang hatten wir dieses großartige Häuschen direkt am Meer. Kein Internet und kein Fernsehen. Zweimal die Woche tauchte ein Typ mit einem Lieferwagen auf, um frischen Fisch zu bringen, und ich habe jeden Abend für uns gekocht. Emma hat sich während dieser Zeit in die Kinder von nebenan verliebt, und das war’s gewissermaßen. Erst wollte sie Kinder, dann wollten wir Kinder – und sind Kinder nicht das, was wir uns alle wünschen?«

»Aber als Sie sich auf ein Baby einließen, wussten Sie vielleicht noch nicht, wie Sie sich damit fühlen würden.«

»Ich habe nicht gewusst, dass ich mich dadurch so einsam fühlen würde.«

Joshua war einsam. Mehr noch: Er war eifersüchtig auf die Nähe, die Frau und Sohn miteinander verband. Da er keine Möglichkeit sah, daran teilzunehmen, konnte Joshua auch seinen Platz als Vater nicht finden, eine Unfähigkeit, die für ihn war, als ob ihn seine Frau verließe. Was er fröhlich eine Dummheit genannt hatte, war in Wirklichkeit also ein Racheakt.

Die Frau, die nicht lieben wollte und andere wahre Geschichten über das Unbewusste
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