Jetzt, da sie wieder unterwegs waren, neigte sich der Tag seinem Ende zu, und ihr Weg führte beinahe ständig durch Wald. Soweit Jef es beurteilen konnte, folgten sie einer geraden Linie, die im großen und ganzen parallel zur Grenze des Graslandes lief. Die Grenze verlief in dieser Gegend in nordsüdlicher Richtung, und Mikey lief nach Norden. Die Landschaft wurde rauh; immer häufiger tauchten kleine Felsgrate und Schluchten auf. Nach etwa einer Stunde kamen sie an eine kleine Klippe, die sehr viel Ähnlichkeit mit der Klippe hinter der Lichtung hatte, auf der sich Beau leCourboisiers Gebäude befanden. Mikey kletterte die Klippe hinauf und lief oben weiter, nur wenig von der senkrecht abfallenden Kante entfernt, die sich über das Grasland erhob.
Von hier oben hatte man in der Tat einen guten Ausblick auf das Grasland. Nur ein halber Kilometer Wald trennte die Flanke der Klippe von der See hoher, grüngoldener Halme. Der Grat zog sich in etwa dieser Entfernung vom Waldrand dahin. Sie folgten ihm, bis Mikey endlich auf einem besonders hohen Punkt hinter einer gespaltenen Felsnadel anhielt und sich niedersetzte.
Jef rutschte von seinem Rücken und war dankbar, wieder auf seinen Füßen zu stehen. Eine solche Strecke auf dem Maolotrücken machte sich trotz Mikeys geschmeidiger Gangart bemerkbar. Mikey legte sich hin und suchte sich dafür eine Stelle aus, wo er durch die Spalte in der Felsnadel blicken konnte. Jef fühlte den Drang, es ihm nachzutun.
Also gesellte er sich zu Mikey. Der Fels war nicht so bequem wie das Moosgras, auf dem sie das letzte Mal haltgemacht hatten, aber Jef fand schließlich eine glatte Stelle. Dort setzte er sich mit untergeschlagenen Beinen hin und lehnte den Rücken an einen Vorsprung.
„Nach was halten wir Ausschau?“ erkundigte er sich bei Mikey.
Mikey wandte ihm den Kopf zu, und dann bewegte er ihn wieder zurück, so daß er von neuem durch die Felsspalte zeigte. Jef spähte in die gleiche Richtung und erblickte in einiger Entfernung einen weiteren Felsgrat, der sich über den ihn umgebenden Wald erhob.
Er suchte mit seinen Blicken den Rand jener Klippe ab. Sie war von Wind und Wetter zernagt und ausgehöhlt und mit Bäumchen besetzt, die kaum mehr als meterhohe Büsche waren. Zuerst erkannte Jef nichts anderes als Stein und Vegetation. Dann, nach und nach, während Mikey seine Aufmerksamkeit auf bestimmte Punkte lenkte, machte er unbewegliche Gestalten aus. Sie lagen still und beobachteten den Waldgürtel unten, der zwischen ihnen und dem Rand des Graslandes lag.
Es waren ein … zwei … drei… Jef zählte fünfzehn erwachsene Maolots, die, jeder für sich, auf dem Felsgrat in etwa dreihundert Metern Entfernung lagen. Es waren noch mehr da, sagte Mikey, außer Sicht hinter Felsen und Bäumen.
„Aber was tun sie da?“ wollte Jef wissen.
Sein Blick wurde nach unten in den Wald gelenkt. Wieder hatte er Schwierigkeiten, dort etwas anderes zu finden als die natürlichen Bestandteile der Szene. Dann entdeckte er unter Mikeys Anleitung ein einzelnes leichtes Luftfahrzeug mit Zweistromantrieb. Es war von einer Lichtung, die gerade groß genug für eine Landung war, in Deckung unter einen der großen ulmenähnlichen Bäume gezogen worden. Während Jef hinsah, trat eine menschliche Gestalt unter dem Baum hervor, beschattete die Augen mit der Hand und blickte über das Grasland hinweg in den Abendhimmel.
Die Gestalt blieb eine oder zwei Sekunden so stehen, drehte sich dann um und verschwand wieder unter dem Baum.
Bald, so sagte Jef das Gefühl, das er von Mikey empfing, würde etwas geschehen.
„Aber was?“ fragte Jef.
Er erhielt den Eindruck, andere Menschen seien hierher unterwegs.
„Was suchen sie hier?“ fragte Jef.
Sie kamen, dieser Gedanke bildete sich in seinem Gehirn, um einen Teil des Waldes zu vernichten und dem Grasland einzuverleiben.
In Jef wuchs ein kaltes Entsetzen, das ihn bei seinem leeren Magen schwindelig machte. Dann hatte Jarji ihm die Wahrheit gesagt. Es wurden tatsächlich Waldgebiete illegal gerodet. Dies Stück, zu dem Mikey ihn gebracht hatte, damit er es selbst sah, sollte bestimmt illegal gerodet werden, denn warum sonst würden die Leute in solcher Heimlichkeit vorgehen? Das Luftfahrzeug war vor Einblick von oben unter den Bäumen versteckt, der einsame Beobachter wartete auf andere, die – so erfuhr Jef von Mikey – mit dem Einbruch der Nacht ankommen würden, um ihre Arbeit zu tun. All dies wies auf eine Unternehmung hin, die das Licht des Tages beziehungsweise das Gesetz scheute.
Jef spähte noch einmal nach dem Menschen unter dem Baum bei dem Flugzeug aus, aber im schwindenden Licht war ersieh nicht mehr sicher, ob er ihn in den Schatten, die ihn und sein Fahrzeug einhüllten, noch ausmachte. Nun sah Jef zu den anderen Maolots hinüber, die sich auf der Klippe verteilt hatten. Auch sie verloren sich in der zunehmenden Dunkelheit. Oben auf dem Felsgrat war das Licht besser als unten im Wald. Aber es dämmerte doch schon so stark, daß die Wache haltenden Maolots mit ihrer Umgebung verschmolzen.
„Ich kann dir helfen, sie zu sehen“, informierte Mikey ihn.
Das Band zwischen ihnen festigte sich. Es war, als nehme der Maolot Jefs Geist auf den Rücken des seinigen, wie er Jef auf den Rücken seines Körpers genommen hatte, als er ihn von Beau leCourboisiers Hauptquartier wegtrug. Wie es bei dem physischen Davontragen gewesen war, konnte Jef den Akt nicht allein vollführen. Mikey bot ihm an, auf seinem Verstand zu reiten, und mit einer Anstrengung ähnlich derjenigen, die es erfordert hatte, hinter Mikeys Schultern zu klettern, setzte Jef seine neuen Fähigkeiten ein und machte von der Möglichkeit Gebrauch, die Mikey ihm verschaffte.
Es war ein kurzer, aber nicht zu beschreibender Kampf, und er endete damit, daß Jef triumphierend auf dem Strom von Mikeys Wahrnehmungen ritt. Sobald er sich überzeugt hatte, daß Jefs Geist sich an ihm festhielt, richtete Mikey mittels eines Lebewesens oder Objekts in der Nähe der Maolots den Blick auf die großen Wächter ihnen gegenüber.
Für Jef war es ein Gefühl wie eine Achterbahnfahrt. Er sauste hinunter auf einen Beobachtungspunkt, der ihm aus einer Körperlänge Entfernung die Seitenansicht eines majestätischen weiblichen Maolots zeigte. Sie blickte ungerührt zwischen zwei hohen Felsblöcken hindurch. Das Bild war ein wenig verzerrt, als würde er durch die Facettenaugen irgendeines Insekts sehen. Nur einen Augenblick sah er es, dann wurde er zu einem neuen Beobachtungspunkt geschleudert. Jetzt hatte er einen zweiten der massigen Wachposten vor sich, einen männlichen Maolot, der mit nebeneinanderliegenden Tatzen und erhobenem Kopf den Blick auf das ferne Grasland unter dem Abendhimmel richtete. Jetzt wandte er den Kopf, als merke er, daß er beobachtet wurde, bis er sein Gesicht dem Wesen oder Gegenstand zuwandte, das Mikey benutzte, um ihn betrachten zu können. Aber während er dies tat, schlossen sich seine Augen, so daß sie, als Jef sie direkt vor sich hatte, so blind erschienen wie die Mikeys.
Jef fühlte einen Kälteschauer. Ganz deutlich empfing er den Eindruck, der große Maolot wisse, daß er ihn ansah, und habe absichtlich die Augen geschlossen, damit er nicht hineinblicken könne. Die Handlung hielt ihn auf Distanz, sie schloß ihn aus. Jef fühlte sich einsamer, als er es je für möglich gehalten hatte.
Weiter ging es, und Jef erblickte eine zweite große Maolot-Frau. Dann wieder einen Mann und noch eine Frau. Mikey bewegte Jefs Beobachtungspunkt an dem Felsgrat entlang und machte bei jeder der stummen Schildwachen halt. Einige von ihnen ignorierten, daß sie beobachtet wurden, andere drehten sich um. Aber alle, die es taten, schlossen ihre Augen, bevor Jef hineinsehen konnte.
Zum Schluß führte Mikey ihr Wahrnehmungsvermögen zu seinem eigenen Körper hinter der gespaltenen Felsnadel zurück, und sein Geist ließ Jef los. Jef lehnte sich gegen den Felsvorsprung zurück, der ihn stützte. Er fühlte sich benommen. Einmal – es schien ihm jetzt Monate her zu sein – hatte er gedacht, es sei vielleicht ganz gut gewesen, daß Jarji ihm keine Armbrust gegeben habe. Denn da er keine Erfahrung mit dieser Waffe hatte und ein voll ausgewachsener Maolot ungeheure Kraft besitzen mußte, würde er wahrscheinlich ein solches Geschöpf, wenn er sich mit der Armbrust verteidigen wollte, nur in Zorn versetzen. Damals hatte er nur an die Größe und die körperliche Kraft der erwachsenen Maolots gedacht. Jetzt erkannte er, daß er, wäre bei seiner Wanderung eines dieser Wesen zwischen den Bäumen des Waldes hervorgetreten und hätte nicht mehr getan, als ihn mit geschlossenen Augen anzusehen, immer noch so hilflos wie ein von einer Schlange gebannter kleiner Vogel gewesen wäre.
Langsam verebbte die Aufregung, in die ihn das eben Geschaute versetzt hatte.
„Sieh“, teilte Mikey ihm mit. „Jetzt kommen sie.“
Jef richtete den Blick über den Wald hinweg auf das Grasland. Die Sonne blinzelte gerade noch über den Horizont und verschwand in diesem Augenblick. Jetzt, da sie untergegangen war, konnte Jef einige hundert Fuß über dem Grasland sich nähernde Lichtpünktchen erkennen. Es waren Flugzeuge, die hoch genug in der Luft waren, daß sie mit den glänzenden Unterseiten ihrer Tragflächen und Rümpfe die letzten Funken Tageslicht reflektierten.
Es waren vier. Sie kamen heran, kreisten und gingen einer nach dem anderen hinunter, um auf der Lichtung zu landen, wo der eine Mann und seine Maschine bereits warteten. Nachdem Jef zum immer noch hellen Himmel aufgesehen hatte, kamen ihm die Schatten auf der Waldwiese unten nachtschwarz vor. Aber offenbar herrschte dort noch genug Licht, daß die Flugzeuge sicher landen konnten. Allmählich gewöhnten sich Jefs Augen wieder an die trübere Beleuchtung, und er sah, daß sie alle auf der Lichtung standen. Gestalten bewegten sich um sie auf dem Boden, aber inzwischen war es doch zu dunkel geworden, um irgendwelche Einzelheiten zu unterscheiden. Plötzlich flackerte ein Lichtstrahl auf und stabilisierte sich zu dem gleißenden Leitstrahlfächer eines schweren Lasers, wie er in der Industrie verwendet wird. Am Rande der Lichtung senkte sich langsam einer der hohen, dunklen Finger, die die ulmenähnlichen einheimischen Bäume darstellten. Er fiel schneller und schneller, bis er krachend auf dem Boden aufschlug.
„Es hat angefangen“, teilte Mikey Jef mit. Vor Jefs geistigem Auge formte sich plötzlich das Bild, wie alle Bäume und Büsche abgeholzt und das neue offene Land mit Düngemittel bestreut wurde. Bei Sonnenaufgang würde das niedrige Moosgras auf dem gerodeten Gebiet beginnen, mikroskopisch kleine Halme zu treiben. In einer Woche würden die Pflanzen hier beinahe ebenso hoch sein wie das zu voller Höhe aufgeschossene Gras im übrigen Grasland, und Menschen wie er selbst, waren dann kaum noch fähig zu erkennen, wo einmal Wald gestanden hatte.
Vor Jefs Augen tauchten weitere Lichtstrahlen auf, und andere Bäume fielen.
„Jetzt gehen die Alten“, sagte Mikey.
Verwundert sah Jef zu dem Felsgrat hinüber. Auch dort oben war es inzwischen zu dunkel geworden, als daß er die Gestalten der erwachsenen Maolots erkennen konnte, aber Mikey vermittelte ihm den Eindruck, daß sie tatsächlich gegangen waren.
„Wohin?“ fragte Jef.
Mikey zeigte es ihm.
Jef fand sich wieder, wie er durch den nächtlichen Wald lief. Die Männer mit den Industrie-Lasern waren ganz in der Nähe, aber der Maolot, dessen Gesichtsfeld Jef nun zu seinem gemacht hatte, schenkte ihnen keine Aufmerksamkeit. Vor ihm lag die Grenze des Graslandes. Einen Augenblick später pflügte er durch die Halme. Er lief in dem gleichen Trott wie Mikey, als er Jef zu der Klippe gebracht hatte, aber viel schneller.
Das Grasland war dunkel. Der wolkenlose Himmel über ihnen war schwarz mit nur ein paar Lichtpünktchen der ersten Sterne. Es war nichts zu sehen. Aber der Maolot, der Jef war, konnte fühlen, wie sich seine Gefährten auf einer fünfhundert Meter langen Linie verteilten. Sie fegten mit einer Geschwindigkeit von mehr als fünfzig Stundenkilometern in das Grasland hinaus.
„Komm“, teilte Mikey Jef mit. „Wir müssen uns jetzt auch in Bewegung setzen, damit wir später mit ihnen zusammentreffen.“
„Später – nach was?“ fragte Jef und stieg auf Mikeys Rücken.
„Später“, wiederholte Mikey. Jef würde schon sehen.
Mit Jef auf seinem Rücken lief Mikey zurück über den Felsgrat. Die Klippe behielt mehrere Kilometer lang ihre Höhe bei, bis sie sich zu dem sie umgebenden Land niedersenkte – beziehungsweise das Land zu ihr aufstieg. Anfangs liefen sie im Dunkeln dahin, doch dann ging ein Mond auf. Die erwachsenen Maolots draußen in der See aus Gras bemerkten ihn einige Augenblicke früher, als Mikey und Jef ihn sehen konnten. Über den Spitzen der schwankenden Grashalme bot er ein ebenso überwältigendes Bild wie der Sonnenaufgang, den Jef gesehen hatte. Nur war dieses Bild ganz in Silber-, Grau- und Schwarztönen gemalt. Jef, der es mit Mikeys Hilfe durch den Geist des Maolots sah, mit dem Mikey in direktem Kontakt stand, fühlte, wie er in die Identität des fremden Maolots eindrang – bis sein Ritt auf Mikey zum Traum und die Empfindung, auf seinen eigenen vier Beinen durch das hohe Gras zu laufen, zur Wirklichkeit wurde. Tief sog er die Nachtluft in seine gewaltigen Lungen. Das Mondlicht berauschte ihn. Seine Füße schienen den Boden zu Beginn und Ende eines jeden Sprungs kaum zu berühren, und seine Glieder fühlten sich an, als könnten sie ihn für immer so weitertragen. Mit Zehn-Meter-Sätzen trieb er den Planeten unter sich an und ließ ihn mit seinen Tatzen kreiseln. Vor ihm befanden sich diejenigen, die er suchte.
Vor ihm, so entdeckte Jef, zog sich eine dunklere Linie durch das vom Mond beleuchtete Gras. Sie wurde größer, bis zu erkennen war, daß es sich um eine größere Masse von Tierleibern handelte – von Wisenten. Es war eine Herde von dreitausend der irdischen Variform-Tiere, wie der Maolot wußte. Sie fraßen und stießen sich, und sie hatten die Kühe und Kälber in der Mitte der Herde. Die Stiere befanden sich am Außenrand, die Augen wachsam, die Hörner stoßbereit, denn irgendein Unbehagen in ihrem trüben Verstand ließ sie vor einem möglichen Angriff auf der Hut sein. Sie dachten nicht an einen Angriff durch Maolots, sondern fürchteten sich vor den klobigen, nach Öl stinkenden Metalldingern, die sie umkreisten und in einer dichten Herde zusammenhielten. An Reitwisente waren die Herdentiere gewöhnt – obwohl diese leichtfüßigeren, nahen Verwandten mit ihren schnelleren Beinen und dem geringeren Gewicht, die durch Genänderung zu Reittieren für die Everon-Kolonisten geschaffen worden waren, von den Herdentieren als feindlicher Stamm betrachtet und bei jeder sich bietenden Gelegenheit angegriffen wurden. Auch an Flugzeuge in der Luft waren die Wisente gewöhnt. Aber noch nie in ihrem Leben hatten sie einen von Everons wenigen, kostbaren Prototyp-Lastwagen mit einem geräuschvollen, stinkenden Verbrennungsmotor gesehen, und diese Lastwagen erfüllten sie mit Furcht und Grauen.
Die Maolots waren schon dicht am Ziel. Sie rannten nicht mehr vorwärts, sondern krochen unter der Oberfläche des Grasmeeres dahin. Der Maolot-Mann, der Jefs Geist mit sich trug, umschlich jetzt die die Herde umkreisenden Lastwagen. Auf der Ladefläche des einen Wagens saßen Männer neben einem Industrie-Laser, der wie ein schweres militärisches Geschütz auf einer schwenkbaren Lafette montiert war. Der Maolot kam so dicht an ihnen vorbei, daß er genau hören konnte, wie sie miteinander sprachen. Er konnte es hören, und Jef konnte es verstehen.
„… zum Teufel, wie lange noch?“
„Vier Stunden, hieß es im Funkspruch.“
„Vier Stunden – und dann noch einmal vier Stunden, um sie hinzutreiben. Warum müssen wir so weit draußen bleiben! So ein Unsinn …“
„… die Maolots.“
„Verdammt, wenn sich einer zeigt, schneiden wir ihn in zwei Teile. Ein Viehtrieb in vier Stunden! Wir hätten uns eine Stunde entfernt aufhalten sollen, dann wären bis Mitternacht die Bäume gefällt und die Herde an Ort und Stelle.“
„Warte ab, bis du mehr als einmal dabei mitgemacht hast. Maolots sind schlau.“
„Was kann ein Tier bei aller Schläue gegen einen Industrie-Laser ausrichten? Ich zahle dir zehn Scheine für den ersten, den ich mit heiler Haut davonkommen sehe.“
„Das ist keine Wette. Sobald du einen siehst, ist es klar, daß er nicht davonkommen wird.“
„Na, dann nicht …“
„Außerdem ist es gar nicht notwendig, daß die Satellitenfotos schon Wisente auf dem Land zeigen. Es ist nur eine Hilfe vor Gericht, wenn sie es tun.“
„Ja, sicher. Sag mal, Holbert, wieviel tausend Stück besitzt du? Wie oft hast du schon neue Weiden erschlossen?“
Irgendwo auf der anderen Seite der Herde rollte das tiefe, weithinschallende Brüllen eines erwachsenen Maolot-Mannes durch die Nacht.
Die Wisente grunzten und gerieten in Bewegung. In wenigen Sekunden hatten die Bullen mit gesenkten Hörner einen festen Außenring gebildet. Ihr Unbehagen wegen der ihnen unbekannten Lastwagen ging unter in der sicheren Überzeugung, Maolots vor sich zu haben.
Jedes Fahrzeug verfügte über Suchscheinwerfer. Helle Strahlen schwenkten über die Grasspitzen. Über Interkom klangen Fragen und Rufe von Lastwagen zu Lastwagen.
„Was siehst du?“
„Nichts, zum Kuckuck! Was siehst du denn?“
„Es ist nur einer.“
„Wie kommt es, daß du so klug bist, Harlie?“
„Haltet das Licht hierher! Ich glaube, ich habe etwas gesehen …“
„Nimm dein eigenes Licht!“
„… verdammt, er war zu schnell weg …“
Ganz allmählich wurden die Stimmen leiser und weniger aufgeregt. Die Wisente beruhigten sich wieder.
Aus einer anderen Richtung ließ ein Maolot kein rollendes Brüllen, sondern einen durchdringenden Jagdruf erschallen.
Die Aufregung begann von neuem. Die Wisente stampften und versuchten, sich zu einem noch dichteren Haufen zusammenzudrängen. Die Lastwagen fuhren schneller dahin und schwenkten die Strahlen ihrer Suchscheinwerfer hektisch hin und her. Langsam – viel langsamer diesmal – erstarb die Betriebsamkeit, und die Nacht wurde wieder still.
„Zum Teufel, Harlie, ein einzelner Maolot wird doch nicht fünf Lastwagen angreifen …“
Ein Brüllen erklang an der Seite der Herde, die dem vor kurzem aufgegangenen Mond zugewandt war. Ein anderes Brüllen antwortete beinahe sofort von der entgegengesetzten Richtung.
„Es sind zwei! Ich hab’s euch gesagt, ich hab’s euch gesagt, es sind mehr als bloß einer …“
„Halt den Mund! Horch!“
Die eng zusammengedrängte Wisentherde wurde unruhig. Sie geriet in wellenförmige Bewegung wie ein Meeresspiegel bei einer Unterwasserstörung. Einzelne Tiere versuchten, sich von der einen Bedrohung abzuwenden, indem sie einander die Hörner zeigten. Aber die Herde war so eng zusammengedrückt, daß es unmöglich war, sich umzudrehen. Der Instinkt, sich der Gefahr mit gesenktem Kopf entgegenzustellen, geriet in Widerstreit mit dem Instinkt, sich so dicht wie möglich aneinanderzudrängen.
„Tut etwas!“ brüllte eine Stimme von einem der Lastwagen. „Diese Maolots werden die Herde auseinandersprengen, und die Hälfte der Tiere wird sich zu Tode rennen, bevor wir sie auf die neue Weide bringen können! Harlie! Ty! Eure beiden Lastwagen scheren aus dem Kreis aus! Seht zu, ob ihr die Biester erwischen könnt!“
Zwei der die Herde umkreisenden Lastwagen – je einer auf jeder Seite – hielten in der Patrouillenfahrt inne und begannen außerhalb des Ringes, den die anderen Wagen bildeten, Achten zu fahren. Jef, der sich innerhalb der Identität seines Maolots im Gras duckte und die schweren Kiefer öffnete, als lache er bei diesem Anblick, triumphierte.
„Nichts!“ meldete einer der Männer in dem nächsten Lastwagen über Interkom dem anderen, von dem aus der Befehl zum Ausscheren gekommen war.
„Sucht weiter!“ war die Stimme aus dem Lautsprecher zu hören.
„Vielleicht haben wir sie verscheucht.“
„Glaub das bloß nicht!“
Der Mann in dem nächsten Lastwagen brummte etwas. Jefs Maolot konnte es nicht gut genug hören, daß Jef es hätte übersetzen können. Aber der Lastwagen fuhr weiter in Achten umher.
Ein ganzer Chor von Maolotstimmen ließ sich jetzt einer nach dem anderen hören. Ein Brüllen klang so schnell nach dem anderen auf, daß die beiden suchenden Lastwagen automatisch ihr Achtenfahren einstellten. Sie hielten sich jetzt einfach parallel zu dem Kreis, den die inneren Wagen immer noch zogen.
„Das reicht!“ war die Stimme über Interkom zu hören. „Harlie, Ty, zurück auf eure Plätze. Mir ist es verdammt egal, ob die dort das Stück Land gerodet bekommen oder nicht. Ich denke nicht daran, mein Geld zu verlieren, indem ich mir die Hälfte der Herde auf dem Weg dorthin töten lasse. Wir setzen die Tiere jetzt in Marsch, und sobald wir sie einmal dort haben, tragen wir für sie keine Verantwortung mehr. Alle Lastwagen an die Plätze! Treibt sie vor euch her – und haltet die Augen offen. Diese Katzen singen wohl, aber sie werden sich nicht zeigen, solange jemand die Hand an einem Laser hat. Nur keine Panik, dann kommen die Wisente sicherer hin – und wir bei Sonnenaufgang nach Hause!“
Ein Lastwagen fuhr mitten in die Wisentherde hinein, und die anderen zogen sich zurück. Die Herde setzte sich in Bewegung, zuerst widerstrebend, aber dann immer schneller bis zu dem Trott, den diese Tiere, wenn nötig, Tag und Nacht beibehalten konnten. Die Lastwagen, einer vorn, einer hinten und je einer an den Seiten, hielten die Herde zusammen. Außerhalb des Schutzrings, den die Lastwagen bildeten, folgten auch die Maolots der sich fortbewegenden Wisentherde, aber ohne einen Laut von sich zu geben und ohne der Herde näher zu kommen.
Jef, der sich in der Identität des Maolots, durch dessen Augen er dies sah, völlig verloren hatte, empfand Enttäuschung. Die Herde war nun unterwegs, und da sich die Lastwagen zwischen den Maolots und den zottigen Grasfressern befanden, gab es keine Möglichkeit, an die Wisente heranzukommen. Natürlich hätte jeder der Maolots schnell in die dunkle Masse der trabenden Wisente hineinpreschen und rechts und links töten können, bevor die Schützen auf den Lastwagen ihn im Visier hatten. Aber dieser Maolot wäre nicht mehr lebendig aus der Herde zurückgekommen.
Ein solches Vorgehen hätte der Herde nur geringfügigen Schaden zugefügt, und die Maolots, so stark und mutig sie waren, besaßen zuviel Intelligenz, um dafür auch nur ein einziges Leben aus ihrer Schar zu vergeuden. Allerdings sah Jef außer einem solchen Selbstopfer keinen Weg, auf dem es eine echte Chance gegeben hätte, den Viehtrieb zu stören.
Dann kam ihm zu Bewußtsein, daß sein Identitäts-Maolot eine bestimmte Anstrengung machte. Es war eine sehr eigentümliche Anstrengung, denn sie war weder körperlich noch geistig noch emotional. Es war etwas Tieferes und Älteres als all das, und alle Maolots, die der Herde folgten, unterzogen sich dieser Anstrengung gemeinsam.
Sie bestand darin, daß sie aus sich hinauslangten und alle Dinge erfaßten und berührten. Und alle Dinge antworteten darauf. Die Erde atmete, eine Milliarde mikroskopisch kleiner Lebewesen kam hervor und begann zu wandern, die Nachtwinde schlossen sich zusammen, und alles strukturierte sich zu einem Muster und einer Bewegung. Es war Teil des Blutes, der Knochen, des Bodens, der Saat und der Luft. Es war ein großer, stummer Zaubergesang, bei dem der Sänger die Musik und die Musik alles war.
Das Mondlicht wurde ein wenig schwächer. Jefs Maolot richtete den Blick nach oben und sah, daß ein dünner Schleier den einzigen sichtbaren Mond verhüllte. Um die trabende Herde war das Grasland nicht mehr so deutlich zu erkennen wie zuvor. Die Luft war kühler geworden und enthielt kalten Tau.
Jef wurde von einem Freudenrausch erfaßt. Er erreichte ihn durch Mikey und durch seinen Identitäts-Maolot, aber er kam ebenso aus seinem eigenen Inneren. Es war die Glorie alles dessen, was recht war, die Glorie des Empfindens, des Wissens und Handelns. Es war, wie es immer gewesen war, wie es immer sein mußte und bis zum letztendlichen Tod immer sein würde. Ihm schwindelte; das Gefühl war so stark, daß es sein Sehvermögen beeinträchtigte.
Die Wisente liefen jetzt ein wenig schneller. Sie schnaubten nervös. Langsam stieg Furcht in ihnen auf, aber da sie Variformen waren, wurden auch sie von dem erfaßt, was geschah und was Jef verspürte. Nur die Männer auf den Lastwagen merkten nichts davon. Sie sprachen mit leisen, aber festen Stimmen. Wieder sah Jefs Identitäts-Maolot nach oben. Der Mond war jetzt fast unsichtbar – ein wolkiger Lichtfleck, nichts weiter, und das Grasland wurde dunkel und finster, und zarte Nebelschwaden hefteten sich an die Spitzen der Grashalme.
Einer der anderen Maolots rief.
Ein zweiter antwortete.
Die Suchscheinwerfer schwenkten in alle Richtungen, aber der Nebel verschluckte ihre Strahlen. Die Wisente husteten und liefen schneller. Ihr Schritt enthielt schon eine Spur von Panik.
Wieder riefen die Maolots.
Jetzt setzte sich die Herde in Galopp.
Der Nebel wurde dicker. Die Männer auf der einen Seite der Herde konnten den Lastwagen auf der anderen nicht mehr erkennen. Von dem Lastwagen an der Spitze konnte man die Lastwagen hinter der Herde nicht mehr sehen. Die Leute auf den hinteren Wagen sahen nichts als die Wisente vor sich.
Menschliche Stimmen klangen auf, aber der Sinn ihrer Worte verlor sich in dem anwachsenden Lärm, den die in Panik geratende Herde vollführte. Scheinwerfer stachen in die Dunkelheit und stumpften sich an dem dichten Nebel ab. Das Licht war weniger als nutzlos, denn in ein paar Metern Entfernung verteilte es sich auf die schwebenden Wassertröpfchen und blendete die Männer, die die Scheinwerfer bedienten. Die Wisentherde befand sich jetzt in vollem Galopp, und das tiefe Rollen der Maolotstimmen erklang aus der Finsternis gleich neben den Lastwagen und mitten unter den fliehenden Grasfressern.
Laser zuckten blind und wild durch die Dunkelheit und fanden keine Maolots. Die Männer auf den Lastwagen brüllten einander zu. Auch sie wurden nun von der dichten Aura der Furcht erfaßt, die von den entsetzten Wisenten aufstieg.
Die Maolots brüllten alle zusammen – und plötzlich begann der Angriff. Der Maolot, der sowohl er selbst als auch Jef war, fuhr aus dem Nebel heraus wie ein stummer Donnerschlag, an der Ladeklappe eines der Lastwagen hinauf und darüber hinweg. Die Männer rings um die Laserkanone sahen ein Raubtier von der Größe eines Pferdes auf sich zustürzen, wollten zurückweichen und fielen übereinander. Der Maolot landete im Mittelpunkt der Ladefläche. Eine riesige Tatze schlug auf das Geschütz und riß es aus seiner Halterung, zerschmetterte den Lauf und den Mechanismus – und im gleichen Augenblick war der Maolot auf der anderen Seite wieder hinaus- und hinabgesprungen. Er landete inmitten der Herde.
Durch die Herde lief er, schlug rechts und links auf die Nacken der Wisente, an denen er vorüberkam. Jeder Schlag ließ einen Wisent mit gebrochenem Hals zu Boden stürzen. So wütete er weiter, und um ihn wüteten die anderen Maolots. Sie töteten die Wisente, bis sie sich einen Weg durch und über die Massen ihrer Leiber erkämpft hatten, während die Wisente nur blindlings zu fliehen trachteten.
Dann befanden sich die Maolots plötzlich auf der anderen Seite der Herde. Ihre Arbeit war getan. Die Lastwagen fuhren in alle möglichen Richtungen; ihre Fahrer waren ebenso ein Opfer der Panik geworden wie die Herde. Aber die Herde war keine Herde mehr. Statt dessen bestand sie aus zahllosen furchtbesessenen Tieren, die von der Stelle, wo das Entsetzen über sie gekommen war, davonrasten, bereit weiterzurennen, bis sie umfielen. Auch mit Lastwagen war es nicht möglich, sie früher als in ein paar Tagen wieder zusammenzutreiben.
Der Nebel löste sich auf. Es wurde klar, und das Mondlicht fiel von neuem auf die nächtliche Szene. Es ruhte auf einigen – überraschend wenigen für soviel wilde Panik – bewegungslosen dunklen Gestalten. Das waren die Körper der erschlagenen Wisente. Diese kleine Anzahl konnte von dem Eigentümer der Herde ohne weiteres abgeschrieben werden. Nicht so leicht abschreiben konnte er dagegen, so erfuhr Jef durch Mikey, die überlebenden Tiere, die in absehbarer Zeit durch keine Methode wieder in nördliche Richtung auf den frisch gerodeten Waldabschnitt zugetrieben werden konnten. Wenn der neue Kahlschlag mit weidenden Wisenten gefüllt werden sollte, um den Bedarf des Herdenbesitzers nachzuweisen, mußte von viel weiter südlich neues Vieh, das diese Nacht mit den Maolots nicht miterlebt hatte, herbeigeschafft und ein neuer Trieb begonnen werden. Und bis dahin hatte der Satellit, der täglich über diesen Teil von Everon dahinzog, mit seinen Kameras Aufnahmen gemacht, die deutlich zeigten, daß das frisch gerodete Gebiet wochenlang unbesetzt gewesen war.
Die Arbeit der älteren Maolots war getan. Sie schlugen einen Weg ein, der sich in ein paar Stunden mit dem kreuzen würde, den Mikey und Jef verfolgten.
Das Erlebnis, den Geist eines erwachsenen Maolot-Mannes zu teilen, hatte Jef emotional so ausgehöhlt, wie es ihm in seinem Leben noch nie widerfahren war. Dazu war er durch den Ritt auf Mikeys Rücken körperlich erschöpft und elend vor Hunger. Deshalb glitt Jef, der Länge nach auf Mikeys Rücken liegend, in einen Zustand ab, der halb Ohnmacht, halb Schlaf war. Von Zeit zu Zeit schrak er auf, aus Angst, hinabzugleiten. Schließlich konnte Mikey zu ihm durchkommen.
„Ich halte deine Arme und Beine fest“, versicherte Mikey ihm. „Du wirst nicht fallen.“
Erleichtert hörte Jef auf, sich zu ängstigen, und fiel sofort in tiefen Schlaf. Er erinnerte sich, daß er gelesen hatte, Soldaten seien schon auf dem Marsch im Gehen eingeschlafen und hätten doch weiter einen Fuß vor den anderen gesetzt. Damals hatte er es kaum glauben können. Aber jetzt gab er sich damit zufrieden, daß er beim Reiten schlafen konnte.
Als er schließlich erwachte, kletterte Mikey einen steilen, spärlich bewaldeten Abhang hinunter. Es mußte die Wand einer kleinen Felsenschlucht in einem bergigen Terrain sein. Die Luft war kalt und dünn, und es war kurz vor Tagesanbruch – hell genug, um sehen zu können, aber die Sonne war noch nicht über die sie umgebenden Felsspitzen gestiegen. Unter ihnen lief ein winziger Bach durch eine Senkung. Sie hielten auf diesen Bach zu. Gerade eben wanden sie sich durch ein Dickicht von dornigen Everon-Bäumen und traten dann auf den freien Platz neben dem Bach hinaus.
Ein Lager wartete auf sie; Schlafsäcke waren ausgelegt, ein Feuer knisterte. Am Feuer saßen Jarji und Martin, Jarji mit dem Gesicht zu Jef, als er und Mikey ankamen, Martin mit dem Rücken zu ihnen.
Jarji sprang auf die Füße. Auch Martin erhob sich und drehte sich eine Sekunde später um, als Mikey anhielt und Jef vom Rücken des Maolots glitt. Jef bemühte sich, aufrecht stehenzubleiben. Seine Arme und Beine waren steif, und seine Füße wollten ihn nicht tragen.
„Jef …“ begann Jarji. Sie brach ab und setzte sich demonstrativ wieder ans Feuer. „Da bist du also, Robini.“
„Da ist er in der Tat, Jarji“, sagte Martin, der jetzt auch zu Jef hinsah. „Willkommen, Herr Robini. Wir haben sehr geduldig auf Sie gewartet.“
In Jef zerriß etwas.
„Geht doch alle beide zum Teufel!“ explodierte er. „Was ist denn los mit mir? Bin ich der einzige Mensch auf Everon, den niemand bei seinem Vornamen nennen will?“
Seine Knie gaben nach, und er setzte sich, mehr oder weniger mit unterschlagenen Beinen, auf der Stelle nieder, wo er gestanden hatte. Plötzlich durchflutete ihn ein warmes, gutes Gefühl. Er nahm wahr, daß die beiden anderen eilends zu ihm kamen, ihm aufhalfen, ihn zu einem Platz am Feuer führten. Aber er achtete nicht darauf, was sie sagten, weil sein Kopf ganz voll von einer neuen Entdeckung war.
Also dieses Gefühl hatte man dabei, dachte er bei sich. Er hatte es tatsächlich getan. Nachdem diese beiden ihn vom ersten Augenblick ihrer Begegnung an förmlich angeredet und ihm verbale Fußtritte erteilt hatten. Diesmal war sein Ärger nicht einfach in einer müden Gleichgültigkeit untergegangen. Er hatte ihn auch nicht in sich hineingefressen, damit er sich in die traurige Bitterkeit des einsamen Menschen verwandelte, die in all diesen Jahren sein Ersatz für einen richtigen Gefühlsausbruch gewesen war. Er war explodiert.
Natürlich war er nicht wirklich zornig gewesen. Nur gereizt. Aber er hatte reagiert – er hatte instinktiv zurückgebissen, wie es jeder beliebige hätte tun können. Jarjis und Martins Reaktion wiederum war gewesen, daß sie ein großes Getue um ihn machten – wenn man das Wort bei zwei solchen Charakteren, denen jedes Getue fernlag, gebrauchen durfte – und sich mit Hingabe um ihn kümmerten. Jef nahm nicht richtig wahr, was sie sagten, weil er sich vor Erschöpfung benommen fühlte, aber ihre Worte waren auch unwichtig. Es war ihre Absicht, auf die es ankam, und die erfaßte er ganz genau.
Sofort fühlte er sich ausgezeichnet. Schwach natürlich – aber in jeder anderen Beziehung wunderbar. Die Wahrheit war, daß er sich beinahe zu gut fühlte. Es lag ein schreckliches Machtgefühl in dem Wissen, daß er imstande war, so auf andere Leute loszugehen. Jetzt, da er wußte, er konnte irgend jemandem aus keinem besonderen Grund den Kopf abreißen, mußte er sich selbst unter Kontrolle halten, mußte vorsichtig sein, daß die Neigung dazu nicht überhandnahm. Jef wollte sich nicht die Gewohnheit zulegen, unter dem fadenscheinigsten Vorwand seine Wut an anderen auszulassen …