Kapitel 19

Okay, es gibt Schlimmeres, als neben jemandem, den man nicht besonders gut kennt, nackt im Bett aufzuwachen. Doch als ich am nächsten Tag die Augen öffnete, wollte mir fünf lange Minuten lang partout nichts Schlimmeres einfallen. Ich wusste, dass Barry wach war, die Signale eines wachen Hirns sind unverkennbar. Zum Glück stand er gleich auf und verschwand wortlos im Bad, von wo ich kurz darauf das Rauschen der Dusche hörte.

Unsere frisch gewaschenen Kleider hingen in Kleidersäcken draußen an der Türklinke, und eine USA Today lag auch dort. Schnell schlüpfte ich in meine Sachen und breitete die Zeitung auf dem kleinen Tisch aus, während ich zwei Tassen Kaffee zubereitete; ein kleiner Wasserkocher und löslicher Kaffee standen den Hotelgästen kostenlos zur Verfügung. Außerdem reichte ich Barry seinen Kleidersack ins Badezimmer hinein.

Ich warf einen Blick auf die Speisekarte des Zimmerservice, aber dafür hatten wir nicht genug Bargeld. Wir mussten unsere Reserven für ein Taxi sparen, weil ich nicht wusste, was wir als Nächstes tun würden. Als Barry aus dem Bad kam, wirkte er so erfrischt wie ich am Abend zuvor. Zu meiner Überraschung gab er mir einen Kuss auf die Wange, setzte sich dann mir gegenüber und nahm einen Schluck von dem Gebräu, das entfernt nach Kaffee schmeckte.

»Ich erinnere mich kaum noch an etwas von gestern Abend«, sagte er. »Erzähl mal, warum wir hier sind.«

Und das tat ich.

»Das war ja 'ne richtig gute Idee von mir«, rief er. »Mensch, was bin ich für'n Held.«

Ich lachte. Er empfand vielleicht ein wenig verletzten männlichen Stolz und ärgerte sich, dass er vor mir schlappgemacht hatte. Aber wenigstens konnte er sich über sich selbst lustig machen.

»Dann sollten wir also den Dämonenanwalt anrufen, oder?«

Ich nickte. Es war schon elf, also rief ich gleich an.

Mr Cataliades nahm sofort ab. »Es hören zu viele Ohren mit«, sagte er ohne jede Einleitung. »Soweit ich weiß, sind diese Telefone nicht allzu sicher. Diese Handys.«

»Okay.«

»Ich komme bei Ihnen vorbei und bringe Ihnen alles, was Sie brauchen. Wo sind Sie?«

Mit einem leicht unguten Gefühl, weil jeder den Dämon bemerken würde, nannte ich ihm den Namen des Hotels und unsere Zimmernummer, und er bat mich um etwas Geduld. Ich hatte mich prima gefühlt, bis Mr Cataliades das sagte, und plötzlich zog sich etwas in mir zusammen. Ich fühlte mich, als seien wir auf der Flucht, obwohl es dafür überhaupt keinen Grund gab. Ich hatte Zeitung gelesen, und in dem Artikel über das Pyramide-Hotel hieß es, die Katastrophe sei die Folge einer »Reihe von Explosionen« gewesen, für die Dan Brewer, der Leiter der staatlichen Antiterror-Einheit, eine Anzahl von Bomben verantwortlich machte. Der Feuerwehrhauptmann war zurückhaltender gewesen: »Wir haben Untersuchungen eingeleitet.« Na, das wollte ich doch hoffen.

»Wir könnten uns die Zeit mit ein bisschen Sex vertreiben«, sagte Barry.

»Bewusstlos hast du mir besser gefallen.« Ich wusste natürlich, dass Barry so einen Unsinn nur vorschlug, weil er über gewisse Dinge nicht nachdenken wollte. Aber trotzdem.

»Hast du mich gestern Abend ausgezogen?«, fragte er mit einem anzüglichen Grinsen.

»Ja, hab ich da nicht ein wahnsinniges Glück gehabt?« Zu meiner eigenen Überraschung lächelte ich ihn an.

Ein Klopfen an der Tür ließ uns beide wie verschrecktes Wild erstarren.

»Dein Dämonentyp«, sagte Barry, nachdem er schnell einen Gedankencheck gemacht hatte.

»Ja.« Ich stand auf, um zu öffnen.

Mr Cataliades waren nicht die Freundlichkeiten eines Zimmermädchens zuteil geworden, er lief immer noch in den schmutzigen Sachen vom Vortag herum. Aber es gelang ihm trotzdem, würdig aufzutreten, und seine Hände und sein Gesicht waren immerhin sauber.

»Wie geht es denn all den anderen?«, fragte ich.

»Sophie-Anne hat ihre Beine verloren, und ich weiß nicht, ob sie nachwachsen«, erzählte er.

»O Gott!«, rief ich.

»Sigebert hat sich nach Einbruch der Dunkelheit aus dem Schutt befreien können«, fuhr er fort. »Er hatte sich in einem sicheren Versteck in der Parkgarage verborgen, wo er nach einer der Explosionen gelandet war. Ich vermute, er hat dort jemanden gefunden, von dem er sich ernährt hat, denn er wirkte gesünder, als er hätte sein dürfen. Falls es so sein sollte, hat er die Leiche wohl in einem der Feuer entsorgt, denn von einem ausgebluteten Vampiropfer hätten wir sicher gehört.«

Na, hoffentlich hatte es wenigstens einen aus der Bruderschaft der Sonne getroffen.

»Ihr König«, sagte Mr Cataliades zu Barry, »ist so schwer verletzt, dass es ein ganzes Jahrzehnt dauern könnte, bis er sich davon erholt. Joseph regiert, bis die Lage sich geklärt hat, auch wenn seine Herrschaft schon bald in Frage gestellt wird. Das Geschöpf des Königs, Rachel, ist tot. Aber das hat Ihnen Sookie vielleicht schon erzählt?«

»Es gab so viele schlechte Nachrichten«, erwiderte ich. »Ich weiß gar nicht, ob ich sie alle überbracht habe.«

»Sookie hat mir erzählt, dass Cecile gestorben ist.«

»Und was ist mit Diantha?«, fragte ich etwas zögerlich. Es musste etwas zu bedeuten haben, dass Mr Cataliades seine Nichte bis jetzt nicht erwähnt hatte.

»Wird vermisst«, sagte er knapp. »Und dieser Dreckskerl Glassport ist mit ein paar blauen Flecken davongekommen.«

»Das tut mir beides sehr leid.«

Barry schien benommen. Alle Anzeichen seiner frivolen Laune hatten sich verflüchtigt. Er wirkte kleiner, wie er da so auf der Bettkante saß. Der großspurige, schick gekleidete Typ, den ich in der Lobby der Pyramide getroffen hatte, war untergetaucht, zumindest für eine Weile.

»Von Gervaise habe ich Ihnen bereits erzählt«, sagte Mr Cataliades. »Die Leiche seiner Freundin habe ich heute Morgen identifiziert. Wie hieß sie gleich wieder?«

»Carla. Ihr Nachname fällt mir jetzt nicht ein, später vielleicht.«

»Der Vorname reicht vermutlich für die Identifizierung. Einer dieser Männer in Hoteluniform hatte eine aus dem Computer ausgedruckte Liste dabei.«

»Aber es standen sicher nicht alle drauf«, sagte ich.

»Natürlich nicht«, bestätigte Barry.

Wir sahen ihn an.

»Woher weißt du das?«, fragte ich.

»Ich habe gelauscht.«

»Wann?«

»Gestern Abend.«

Ich biss mir auf die Lippe, sehr fest.

»Was haben Sie gehört?« Mr Cataliades klang gleichmütig.

»Ich war mit Stan bei diesem, na, Sie wissen schon, Handels-Dingsda. Mir war aufgefallen, dass die Kellner mir aus dem Weg gingen, und ich habe darauf geachtet, ob sie um Sookie auch einen Bogen machen. Und da dachte ich: Die wissen, was du bist, Barry, und wollen, dass du etwas nicht mitbekommst. Prüf das mal lieber. Hinter einer dieser Plastikpalmen beim Eingang zum Servicebereich konnte ich mich ganz gut verstecken und ihre Gedanken zum Teil lesen. Sie haben sie mir nicht gerade buchstabiert, okay?« Aha, unsere Gedanken hatte er in diesem Moment also auch gelesen, und das nicht nur teilweise. »Es waren lauter so Sachen wie: Okay, schnappen wir uns diese Vamps, machen wir sie fertig, und wenn's ein paar Menschen erwischt, Pech gehabt. Damit können wir leben. Mitgefangen, mitgehangen.«

Ich konnte nur dasitzen und ihn anstarren.

»Nein, ich wusste nicht, was sie vorhatten oder wann! Ich bin irgendwann ins Bett gegangen, musste aber immer an die Typen denken und habe mich gefragt, wovon die gesprochen haben. Und weil ich überhaupt nicht einschlafen konnte, habe ich mich schließlich in Gedanken an dich gewandt, und wir haben versucht, alle aus dem Hotel zu bekommen«, sagte Barry und begann zu weinen.

Ich saß neben ihm und legte den Arm um ihn. Was hätte ich auch sagen sollen? Er wusste sowieso, was ich dachte.

»Ja, wenn ich bloß früher was gesagt hätte«, fuhr er mit erstickter Stimme fort. »Ja, ich habe einen Fehler gemacht. Aber ich dachte, wenn ich was sage, ohne sicher zu sein, würden sich die Vampire sofort auf die Typen stürzen und ihnen das Blut aussaugen. Oder sie würden von mir verlangen, ihnen zu zeigen, wer dazugehört und wer nicht. Und das konnte ich nicht.«

Eine Zeit lang schwiegen wir alle.

»Mr Cataliades, haben Sie Quinn gesehen?«, fragte ich schließlich, um das Schweigen zu beenden.

»Er ist in einem ganz normalen Krankenhaus. Er konnte nicht verhindern, eingeliefert zu werden.«

»Ich muss zu ihm.«

»Wie groß ist Ihre Befürchtung, dass die Behörden Sie zwingen könnten, weiter mit ihnen zusammenzuarbeiten?«

Barry hob den Kopf und sah mich an. »Ziemlich groß«, sagten wir beide gleichzeitig.

»Ich habe zum ersten Mal jemandem gezeigt, was ich tun kann, abgesehen von den Leuten zu Hause«, sagte ich.

»Ich auch.« Barry fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. »Sie hätten mal das Gesicht des Typen sehen sollen, als er begriff, dass wir wirklich Menschen finden können. Anfangs hat er uns für Psychopathen gehalten, weil er nicht verstand, dass wir einfach nur Gedankenströme lebender Hirne auffangen. Das ist doch kein Hokuspokus.«

»Und als er uns dann glaubte, konnte er sich kaum mehr beruhigen«, fügte ich hinzu. »Wir konnten deutlich in seinen Gedanken lesen, wie er uns schon für Hunderte anderer Einsätze verplante: Rettungsaktionen, Konferenzen der Regierung, Polizeiverhöre.«

Mr Cataliades sah uns an. Ich verstand nicht all seine verworrenen Dämonengedanken, aber es ging ihm jede Menge durch den Kopf.

»Wir würden die Kontrolle über unser Leben verlieren«, sagte Barry. »Mir gefällt mein Leben aber.«

»Vermutlich könnte ich viele Menschen retten.« Ich hatte noch nie richtig darüber nachgedacht, weil ich noch nie mit einer Situation wie der gestrigen konfrontiert gewesen war. Hoffentlich passierte so was nicht so schnell wieder. Wie wahrscheinlich war es, dass ich noch einmal einer solchen Katastrophe ausgesetzt sein würde? War ich verpflichtet, einen Job aufzugeben, der mir gefiel, mit Leuten, die ich mochte, um für Fremde an weit entfernten Orten zu arbeiten? Ich schauderte, wenn ich nur daran dachte. Irgendetwas in mir verhärtete sich, als ich begriff, dass der Nutzen, den Andre aus meinen Fähigkeiten zu seinem Vorteil gezogen hatte, erst der Anfang gewesen sein könnte. Und wie Andre würde jeder mich besitzen wollen.

»Nein«, sagte ich. »Ich tu's nicht. Vielleicht bin ich einfach nur egoistisch und gebe mich der Verdammung preis, aber ich tu's nicht. Und wir übertreiben bestimmt nicht, wenn wir uns ausmalen, wie schlimm das alles für uns wäre, kein bisschen.«

»Dann ist es keine gute Idee, ins Krankenhaus zu fahren«, erwiderte Mr Cataliades.

»Ich weiß, aber ich muss trotzdem hin.«

»Dann können Sie auch auf dem Weg zum Flughafen kurz dort Halt machen.«

Wir setzten uns aufrechter hin.

»In drei Stunden geht ein Flugzeug der Anubis Airline, zuerst nach Dallas, dann nach Shreveport. Die Königin und Stan teilen sich die Kosten. Es werden alle Überlebenden beider Delegationen an Bord sein. Die Bürger von Rhodes haben uns für die Reise gebrauchte Särge gestiftet.« Mr Cataliades verzog das Gesicht, und ehrlich gesagt, konnte ich ihm das nicht verübeln. »Hier ist all das Bargeld, das wir erübrigen können«, fuhr er fort und drückte mir ein Bündel Banknoten in die Hand. »Seien Sie rechtzeitig am Anubis-Flugsteig, dann können Sie beide mit uns nach Hause fliegen. Wenn Sie es nicht schaffen, werde ich annehmen, dass etwas dazwischengekommen ist, und Sie müssen anrufen, um andere Reisevorkehrungen zu treffen. Wir wissen, dass wir alle tief in Ihrer Schuld stehen, aber wir haben so viele Verletzte, dass wir zunächst nach Hause zurückkehren müssen, und die Kreditkarten der Königin sind im Feuer verbrannt. Ich muss erst die Kreditkartengesellschaft wegen einer Notlösung kontaktieren, aber das dürfte nicht lange dauern.«

Das alles klang ein wenig kühl, aber schließlich war er nicht unser bester Freund. Und als Tagesbeauftragter der Königin hatte er zweifelsohne eine Menge zu erledigen und viele Probleme zu lösen.

»Okay«, sagte ich. »Ach, sagen Sie, ist Christian Baruch eigentlich am Leben?«

Seine Gesichtszüge verhärteten sich. »Ja. Er ist zwar etwas verbrannt, hält sich aber seit Andres Abwesenheit immer in der Nähe der Königin auf, so als wolle er Andres Platz einnehmen.«

»Das will er auch. Er will der nächste Ehemann der Königin von Louisiana werden.«

»Baruch?« Mr Cataliades hätte nicht verächtlicher klingen können, wenn ein Kobold sich um diesen Job bemüht hätte.

»Tja, er hat den Bogen wohl ein bisschen überspannt.«

Andre hatte ich es bereits erzählt. Jetzt musste ich das alles noch mal erklären. »Jedenfalls hat er deshalb die Dr-Pepper-Bombe gelegt«, sagte ich abschließend.

»Woher wissen Sie das?«, fragte Mr Cataliades.

»Ich hab's mir zusammengereimt aus diesem und jenem«, sagte ich bescheiden und seufzte. Jetzt kam der eklige Teil. »Ich habe ihn gestern gesehen, er hatte sich unter der Rezeption versteckt. Es war noch ein Vampir bei ihm, mit starken Brandwunden. Keine Ahnung, wer das war. Und in demselben Bereich lagen auch der Sicherheitschef Todd Donati, noch am Leben, aber verletzt, und ein totes Zimmermädchen.« Wieder spürte ich die Erschöpfung am ganzen Körper und roch diesen entsetzlichen Gestank, der sich in den Lungen festsetzte. »Baruch war natürlich völlig benommen.«

Ich war nicht sonderlich stolz auf das, was nun kam, und sah auf meine Hände hinab. »Na, jedenfalls habe ich Todd Donatis Gedanken gelesen, und er war voller Hass auf Baruch und hat ihm auch die Schuld gegeben. Und diesmal wollte er ehrlich sein. Jetzt gab's keinen Job mehr, um den er fürchten musste. Todd erzählte mir, dass er all die Sicherheitsvideos wieder und wieder angesehen und schließlich begriffen hat, was er da sah. Sein Boss sprang auf die Kamera zu und verklebte die Linse mit einem Kaugummi, damit er die Bombe legen konnte. Und da wusste Donati, dass Baruch der Königin einen Schrecken versetzen, sie verunsichern wollte, damit sie sich einen neuen Ehemann sucht. Und das sollte Christian Baruch sein. Raten Sie mal, warum er sie heiraten will?«

»Ich kann es mir nicht vorstellen«, sagte Mr Cataliades richtiggehend schockiert.

»Weil er ein neues Vampirhotel in New Orleans eröffnen will. Das Vamps im French Quarter wurde überschwemmt und geschlossen, und Baruch hoffte, es wiederaufbauen und neu eröffnen zu können.«

»Und mit den anderen Bomben hatte Baruch nichts zu tun?«

»Sicher nicht, Mr Cataliades. Das war die Bruderschaft, wie ich gestern schon gesagt habe.«

»Wer hat dann die Vampire aus Arkansas getötet?«, fragte Barry. »Wohl auch die Bruderschaft, oder? Nein, Moment mal... warum sollten sie? Nicht, dass es denen was ausmachen würde, ein paar Vampire zu töten. Aber sie wussten doch, dass die Arkansas-Vampire zusammen mit den anderen in die Luft fliegen würden.«

»Wir haben hier eindeutig zu viele Schurken«, sagte ich. »Mr Cataliades, haben Sie eine Idee, wer die Vampire aus Arkansas getötet haben könnte?« Ich sah ihm direkt in die Augen.

»Nein«, erwiderte Mr Cataliades. »Und wenn ich eine Idee hätte, würde ich sie nie laut aussprechen. Ich finde, Sie sollten sich um Ihren verletzten Freund kümmern und dann in Ihre kleine Stadt zurückkehren. Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf über drei tote Vampire unter so vielen anderen.«

Hm, ich zerbrach mir gar nicht den Kopf über den Tod der drei Arkansas-Vampire, und es schien wirklich richtig zu sein, auf Mr Cataliades' Rat zu hören. Denn ich hatte mir schon so meine Gedanken über diese Morde gemacht und beschlossen, dass die einfachste Antwort oft die beste war.

Wer hatte angenommen, sie bräuchte nicht vor Gericht zu erscheinen, wenn Jennifer Cater zum Schweigen gebracht wurde?

Wer hatte sich Zutritt zu Jennifers Suite verschafft mithilfe eines einfachen Telefonanrufs?

Wer hatte eine Weile lang mit einem ihrer Untergebenen auf telepathischem Wege kommuniziert, ehe sie sich in aufgesetzter Eile für den improvisierten Besuch zurechtmachte?

Wessen Bodyguard war gerade in dem Moment durch die Tür des Treppenhauses getreten, als wir die Suite der Königin verließen?

Genau wie Mr Cataliades wusste auch ich, dass Sophie-Anne durch die telefonische Ankündigung ihres eigenen Besuchs dafür gesorgt hatte, dass Sigebert in Jennifer Caters Suite eingelassen werden würde. Jennifer würde durch den Türspion spähen, Sigebert erkennen und annehmen, die Königin stünde direkt hinter ihm. Und wenn Sigebert erst drin war, würde er sein Schwert ziehen und jeden in der Suite töten.

Dann würde er die Treppe hinaufrennen, um rechtzeitig wieder bei der Königin zu sein und sie auf die siebte Etage hinunterzubegleiten. Er würde die Suite erneut betreten und so erklären können, warum sein Geruch darin zu finden war.

Und zu jener Zeit hatte ich überhaupt keinen Verdacht geschöpft.

Welch ein Schock musste es für Sophie-Anne gewesen sein, als plötzlich Henrik Feith auftauchte. Doch das Problem war gelöst, als er sich unter ihren Schutz stellte.

Das Problem entstand aber erneut, als es jemandem gelang, ihn trotzdem zu einer Anklage gegen sie zu verleiten. Und schwupps, war das Problem erstaunlicherweise wieder gelöst: Der nervöse kleine Vampir wurde vor den Augen des Gerichts ermordet.

»Ich frage mich wirklich, wie Kyle Perkins angeheuert wurde«, sagte ich. »Er musste doch wissen, dass das Ganze ein Selbstmordkommando war.«

»Vielleicht«, erwiderte Mr Cataliades vorsichtig, »hatte er sowieso in die Sonne treten wollen. Vielleicht suchte er nach einem spektakulären Abgang mit der Möglichkeit, seinen menschlichen Nachkommen ein ansehnliches Erbe hinterlassen zu können.«

»Schon merkwürdig, dass ich von einem Mitglied unserer eigenen Delegation losgeschickt wurde, um etwas über ihn in Erfahrung zu bringen«, sagte ich in sachlichem Ton.

»Oh, nicht jeder muss alles wissen«, meinte Mr Cataliades in genauso sachlichem Ton.

Barry konnte natürlich meine Gedanken lesen, aber er verstand nicht, was Mr Cataliades sagte, und das war auch gut so. Aber war es nicht absolut albern, dass ich mich gleich besser fühlte, weil auch Eric und Bill nichts von den geheimen Spielchen der Königin geahnt hatten? Nicht, dass sie nicht selbst in der Lage waren, geheime Spielchen zu spielen. Aber Eric hätte mich wohl kaum auf die fruchtlose Suche nach dem Club für Bogenschützen geschickt, in dem Kyle Perkins trainiert hatte, wenn er gewusst hätte, dass die Königin selbst Perkins angeheuert hatte.

Und die arme Frau dort hinter dem Tresen war gestorben, weil die Königin ihrer linken Hand nicht sagte, was ihre rechte tat. Ich fragte mich, was wohl aus dem Menschen geworden war, der sich an dem Tatort übergeben hatte, derjenige, der Sigebert oder Andre zu dem Club gefahren hatte ... nachdem ich so fürsorglich eine Nachricht hinterlassen hatte, wann Barry und ich zu dem Club zurückkehren würden, um den Beweis zu sichern. Ich selbst hatte den Tod der Frau besiegelt, als ich diese Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterließ.

Mr Cataliades verabschiedete sich händeschüttelnd und mit seinem höflichsten Lächeln von uns, fast als wäre alles in bester Ordnung. Er drängte uns noch einmal, rechtzeitig am Flughafen zu sein.

»Sookie?«, sagte Barry, nachdem er gegangen war.

»Ja?«

»Ich will unbedingt dieses Flugzeug nehmen.«

»Ich weiß.«

»Was ist mit dir?«

»Ich kann das nicht. Mich mit all denen in ein Flugzeug setzen.«

»Sie sind alle verletzt«, sagte Barry.

»Ja, aber das ist keine Genugtuung.«

»Für die hast du doch gesorgt, stimmt's?«

Ich fragte nicht, was er damit meinte. Ich wusste ja, was er aus meinen Gedanken mitbekam.

»Soweit ich konnte«, erwiderte ich.

»Vielleicht will ich nicht im selben Flugzeug sitzen wie du«, sagte Barry.

Klar, das tat weh. Aber vermutlich hatte ich es verdient.

Ich zuckte die Achseln. »Das musst du selbst entscheiden. Wir haben alle eine andere Schmerzgrenze dessen, womit wir leben können.«

Darüber dachte Barry einen Augenblick nach. »Ja«, sagte er schließlich. »Ich weiß. Und im Moment ist es besser, wir gehen jeder unseren eigenen Weg. Ich fahre zum Flughafen und hänge da herum, bis ich wegkomme. Fährst du ins Krankenhaus?«

Inzwischen war ich zu vorsichtig, um es ihm zu erzählen. »Keine Ahnung. Aber ich finde schon ein Auto oder einen Bus, mit dem ich nach Hause komme.«

Er nahm mich in den Arm, ganz egal, wie unglücklich er über meine Entscheidung war. Ich konnte das Mitgefühl und das Bedauern in seinem Herzen spüren. Ich drückte ihn auch. Er hatte seine eigene Entscheidung getroffen.

Ich ließ zehn Dollar für das Zimmermädchen da, als ich mich fünf Minuten, nachdem Barry mit einem Taxi abgefahren war, zu Fuß auf den Weg machte. Ich wartete, bis ich zwei Blocks vom Hotel entfernt war, erst dann fragte ich einen Passanten nach dem Weg zum Krankenhaus St. Cosmas. Es war ein recht langer Spaziergang über zehn Blocks, doch es war ein wunderschöner Tag, kühl und frisch und mit strahlendem Sonnenschein. Herrlich, mal allein zu sein! Ich mochte ja vielleicht Hausschuhe mit Gummisohlen tragen, aber ich war sauber und hübsch genug angezogen. Auf dem Weg zum Krankenhaus aß ich einen Hotdog, den ich mir bei einem Straßenhändler kaufte; so was hatte ich noch nie getan. Und ich kaufte einen ziemlich formlosen Hut, auch von einem Straßenhändler, unter den ich all mein Haar stopfte. Der Händler hatte auch Sonnenbrillen. Und bei diesem sonnigen Wetter und der leichten Brise, die vom Michigansee herüberwehte, wirkte die Kombination nicht mal allzu merkwürdig.

Das Krankenhaus St. Cosmas war ein altes, mit vielen architektonischen Schnörkeln verziertes Gebäude und enorm groß. Ich fragte nach Quinns Befinden, und eine der Frauen an der belebten Rezeption sagte, diese Information dürfe sie nicht herausgeben. Doch um nachzusehen, ob er überhaupt in St. Cosmas lag, musste sie einen Blick in seine Krankenakte werfen, und ich las seine Zimmernummer aus ihren Gedanken. Ich wartete, bis alle drei Frauen mit Fragen anderer Besucher beschäftigt waren, dann verdrückte ich mich in einen Fahrstuhl und fuhr hinauf.

Quinn lag im zehnten Stockwerk. Ein so riesiges und so betriebsames Krankenhaus hatte ich noch nie gesehen. Es war ganz einfach, herumzulaufen, als hätte ich ein bestimmtes Ziel und wüsste, wohin ich wollte.

Niemand stand Wache vor seinem Zimmer.

Ich klopfte leise, aber es drang nicht ein Laut heraus. Also öffnete ich vorsichtig die Tür und trat ein. Quinn lag schlafend im Bett, an Geräte und Schläuche angeschlossen. Da er Gestaltwandler war, deren Wunden in der Regel schnell heilten, musste er schwer verletzt gewesen sein. Seine Schwester saß an seiner Seite. Ihr verbundener Kopf, den sie in die Hand gestützt hatte, fuhr hoch, als sie mich bemerkte. Ich nahm die Sonnenbrille und den Hut ab.

»Sie«, sagte sie.

»Ja, ich, Sookie. Sagen wir doch du. Wofür ist Frannie eigentlich die Kurzform?«

»Für Francine, aber alle nennen mich Frannie.« Sie sah jünger aus, als sie das sagte.

Ein Glück, die Feindseligkeit zwischen uns hatte sich etwas gelegt. Aber ich beschloss, doch lieber erst mal auf meiner Seite des Zimmers zu bleiben. »Wie geht's ihm?«, fragte ich und wies mit dem Kinn auf den schlafenden Quinn.

»Er kommt immer mal wieder zu sich.« Einen Augenblick herrschte Schweigen, während sie einen Schluck aus einem weißen Plastikbecher trank, der auf dem Nachttisch stand. »Nach deinem Anruf hat er mich gleich geweckt«, sagte sie plötzlich. »Wir haben die Treppe genommen. Doch ein großes Stück Decke ist auf ihn gefallen, und dann gab der Boden unter unseren Füßen nach. Und danach erinnere ich mich nur noch daran, dass ein Feuerwehrmann mir erzählt, irgendeine verrückte Frau habe mich gefunden, weil ich noch lebte, und dass sie alle möglichen Untersuchungen mit mir machen und dass Quinn mir ständig sagt, er würde sich um mich kümmern, bis ich wieder gesund bin. Erst da haben sie mir erzählt, dass er selbst zwei gebrochene Beine hat.«

Es stand noch ein Stuhl im Zimmer, und ich sank darauf nieder. Meine Beine hielten mich einfach nicht mehr. »Was sagt der Arzt?«

»Welcher?«, fragte Frannie niedergeschlagen.

»Na, alle.« Ich griff nach Quinns Hand. Frannie hätte mich beinahe davon abgehalten, gerade so als würde sie meinen, ich könne ihn verletzen. Doch sie blieb sitzen. Ich hatte nach der Hand gegriffen, die frei von Schläuchen war, und hielt sie eine Weile.

»Sie können es kaum fassen, wie viel besser es ihm schon geht«, sagte Frannie, als ich bereits dachte, sie würde nicht mehr antworten. »Sie halten es für eine Art Wunder. Jetzt müssen wir jemanden dafür bezahlen, dass er seine Krankenakte aus dem System löscht.« Ihr blondes Haar mit dem nachgedunkelten Ansatz war verfilzt, und sie war immer noch voll Schmutz vom Unglücksort.

»Geh dir was zum Anziehen kaufen und dusch erst mal«, sagte ich. »Ich bleibe solange bei ihm.«

»Bist du wirklich seine Freundin?«

»Ja, bin ich.«

»Er sagte, ihr hättet ein paar Probleme.«

»Ich habe welche, aber nicht mit ihm.«

»Ah, okay. Dann will ich mal. Hättest du etwas Geld?«

»Nicht viel, aber das hier kann ich erübrigen.«

Ich gab ihr 75 Dollar von Mr Cataliades' Geld.

»Okay, damit komme ich zurecht«, sagte sie. »Danke«, fügte sie noch hinzu, zwar ohne Begeisterung, aber immerhin.

Fast eine ganze Stunde lang saß ich in dem stillen Zimmer und hielt Quinns Hand. In dieser Zeit flatterten einmal seine Lider, er öffnete die Augen, sah mich, schloss sie aber gleich wieder. Ein flüchtiges Lächeln trat auf seine Lippen. Ich wusste, dass sein Körper im Schlaf heilte und er nach dem Aufwachen vielleicht schon wieder gehen könnte. Es wäre mir ein großer Trost gewesen, mich eine Weile zu ihm zu legen und mich an ihn zu kuscheln, doch das hätte ihm wahrscheinlich nicht gutgetan. Ich hätte sicher Schläuche abgedrückt oder irgend so was.

Nach einer Weile begann ich einfach, mit ihm zu reden. Ich erzählte ihm, warum meiner Meinung nach die Bombe auf der Etage der Königin gelegt worden war, und schilderte ihm auch meine Theorie zum Mord an den drei Arkansas-Vampiren. »Du musst zugeben, so ergibt alles einen Sinn«, sagte ich und erzählte dann, was ich von Henrik Feiths Tod hielt und von der Exekution seines Mörders. Und ich erzählte ihm auch von der toten Frau in dem Club-Shop und von meinem Verdacht, wer den Anschlag auf das Hotel verübt hatte.

»Es tut mir leid, dass Jake daran beteiligt war«, sagte ich. »Ich weiß, du mochtest ihn. Aber er kam mit seinem Vampirdasein einfach nicht klar. Keine Ahnung, ob er an die Bruderschaft herangetreten ist oder die Bruderschaft an ihn. Der Typ am Computer, der so unhöflich zu mir war, gehörte auf jeden Fall dazu. Er hat bestimmt bei jeder Delegation angerufen, dass sie einen Koffer abholen soll. Einige waren zu klug oder zu faul dazu, andere brachten die Koffer zurück, weil keiner Anspruch auf sie erhob. Aber ich nicht, o nein, ich habe ihn in den verdammten Salon der Königin gestellt.« Ich schüttelte den Kopf. »Vermutlich waren nicht allzu viele der Angestellten eingeweiht, denn sonst hätten Barry oder ich viel früher etwas aufgeschnappt.«

Und dann muss ich ein paar Minuten eingeschlafen sein, denn als ich mich das nächste Mal im Zimmer umsah, war Frannie wieder da und aß etwas aus einer Schachtel von McDonald's. Sie war sauber und ihr Haar feucht.

»Liebst du ihn?«, fragte sie und sog an dem Strohhalm eines Bechers mit Coke.

»Das kann ich noch nicht sagen.«

»Ich muss ihn nach Hause nach Memphis bringen.«

»Ja, verstehe. Kann sein, dass ich ihn eine Weile nicht sehen werde. Ich muss auch irgendwie nach Hause kommen.«

»Der Greyhound-Busbahnhof ist nur zwei Blocks entfernt.«

Ich schauderte. Eine ewig lange Busfahrt war nichts, worauf ich mich freute.

»Oder du könntest mein Auto nehmen«, schlug Frannie vor.

»Was?«

»Ja, wir sind einzeln hergefahren. Quinn ist mit all den Requisiten im Transporter gekommen, und ich bin bei meiner Mutter in aller Eile in meinen Sportwagen gesprungen. Wir haben also zwei Autos hier, brauchen aber nur eins. Ich werde mit ihm zusammen nach Hause fahren und dort eine Weile bleiben. Du musst zurück zur Arbeit, stimmt's?«

»Stimmt.«

»Dann fahr mit meinem Auto nach Hause. Wir holen es ab, sobald es geht.«

»Das ist unheimlich nett von dir.« Ihre Großzügigkeit überraschte mich, weil sie anfangs keinen Zweifel daran gelassen hatte, dass sie Quinn keiner Frau als Freund gönnte, und vor allem nicht mir.

»Du bist okay. Du hast versucht, uns da rechtzeitig herauszuholen. Und er hat wirklich was für dich übrig.« »Woher willst du das wissen?« »Er hat's mir gesagt.«

Die direkte Art ihrer Familie hatte auch sie geerbt, so viel war mal klar.

»Okay«, sagte ich. »Wo hast du geparkt?«