Kapitel 11

In der Hotellobby wimmelte es von Leuten. Normalerweise hätten mich die in einem solchen Gedränge umherschwirrenden Gedanken völlig überflutet, wenn ich mich nicht absolut dagegen abschottete. Weil es aber hauptsächlich Vampire waren, hatte ich meine Ruhe, bis auf ein paar vorwitzig herumflatternde Gedanken eines Menschen hier und da. All diese Leute zu sehen und kaum etwas aufzufangen, war schon seltsam, wie deutliches Flügelschlagen von Vögeln ohne ein Geräusch. Da dies hier eindeutig ein Arbeitseinsatz war, konzentrierte ich mich also auf die Anwesenden, die ein schlagendes Herz und einen pulsierenden Blutkreislauf hatten.

Ein Zauberer, eine Hexe. Ein Liebhaber/Blutspender - oder anders gesagt, ein Vampirsüchtiger, aber einer mit Klasse. Als ich ihn ausfindig gemacht hatte, sah ich einen gut aussehenden jungen Mann, der von Kopf bis Fuß (und sicher bis zur Unterhose) in Designerklamotten steckte und stolz darauf war. Neben dem König von Texas stand Barry Bellboy, der wie ich seiner Arbeit nachging. Ich traf auf einige Hotelangestellte, die sich Gedanken über ihre Pflichten machten. Tja, die Leute stellen leider in den seltensten Fällen so interessante Überlegungen an wie: »Heute Nacht mache ich zusammen mit den anderen endlich den Hoteldirektor kalt«, nicht mal, wenn sie tatsächlich so was planen. Sie denken Dinge wie: »In dem Zimmer auf der elften Etage fehlt Seife, auf der achten funktioniert die Heizung nicht, der Wagen für den Zimmerservice steht immer noch irgendwo auf der vierten herum...«

Dann geriet ich an eine Hure. Wow, die war vielleicht interessant, ein echter Profi, keine dieser Amateurinnen, denen ich bislang so begegnet war. Ich war neugierig genug, sie mir mit eigenen Augen anzusehen. Sie hatte ein recht hübsches Gesicht, auch wenn sie nie die Wahl zur Miss Amerika gewonnen hätte - eben nicht das schöne Mädchen von nebenan, oder nur falls man im Rotlichtbezirk wohnte: platinblondes zerzaustes Haar, als wäre sie gerade erst aufgestanden, braune, eher zu schmale Augen, nahtlos braun gebrannt, vergrößerter Busen, riesige Ohrringe, Stilettos, knalliger Lippenstift, ein ganz aus Pailletten gearbeitetes Kleid - tja, man konnte nicht behaupten, von Eigenwerbung verstünde sie nichts. Sie war die Begleiterin eines Mannes, der um die vierzig zum Vampir geworden war, und hielt sich an seinem Arm fest, als könne sie ohne seine Hilfe nicht laufen. Aber das lag wohl an den Stilettos. Oder vielleicht gefiel es dem Typen ja auch?

Ich war so fasziniert von ihr - sie strahlte eine so starke Sexualität aus, war so sehr Prostituierte -, dass ich mich durch die Menge drängte, näher an sie heran. Ich verschwendete nicht mal einen Gedanken daran, dass sie mich bemerken könnte. Doch sie schien meinen Blick zu spüren, denn sie beobachtete über die Schulter, wie ich herankam. Ihr Begleiter sprach mit einem anderen Vampir, ihm musste sie sich also gerade nicht widmen. Und so hatte sie Zeit, mich misstrauisch ins Auge zu fassen. Ich blieb ein paar Meter entfernt stehen und lauschte aus reiner, ungehöriger Neugier ihren Gedanken.

Komische Frau, keine von uns, will die was von ihm? Den kann sie haben. Ich kann sowieso nicht ausstehen, was der mit seiner Zunge macht und dass ich danach ihm und diesem anderen Kerl - Scheiße, hab ich Ersatzbatterien dabei? Könnte die mal wieder aufhören, mich so anzustarren, und einfach abhauen ?

»Klar, sorry«, murmelte ich verlegen und verschwand im Gedränge. Als Nächstes knöpfte ich mir die vom Hotel extra für die Konferenz eingestellten Kellner vor, die Tabletts voller Gläser mit synthetischem Blut und anderen Drinks für die vereinzelten Menschen geschäftig von hier nach dort trugen. Die Kellner konnten an nichts anderes denken als im Weg herumstehende Gäste, verschüttete Getränke, schmerzende Rücken und wunde Füße, das Übliche eben. Barry und ich nickten einander zu. Dann schnappte ich einen Gedanken auf, in dem der Name Quinn vorkam, und folgte dieser Spur, bis ich bei einer Angestellten von Elegante (Extreme) Events landete. Das erkannte ich an dem auf ihr Shirt gedruckten Firmenlogo E(E)E. Sie war jung, trug die Haare sehr kurz und hatte unglaublich lange Beine. Das Gespräch, das sie mit einem der Kellner führte, war ziemlich einseitig, und in dieser auffallend gut gekleideten Gesellschaft fiel die junge Frau in ihren Jeans und Sneakers sofort auf.

»- und eine Kiste eisgekühlter Getränke ohne Alkohol«, sagte sie gerade. »Ein Tablett Sandwiches und Chips. Okay? Im Zeremoniensaal, binnen einer Stunde.« Plötzlich drehte sie sich schwungvoll herum und sah mir direkt ins Gesicht. Sie musterte mich von oben bis unten und schien wenig beeindruckt.

»Na, mit einem der Vampire hier zusammen, Blondie?«, fragte sie. Ihr Tonfall klang hart in meinen Ohren, sie kam wohl irgendwo aus dem Nordosten.

»Nein, mit Quinn«, sagte ich. »Und selber Blondie.« Ich war wenigstens naturblond. Okay, aufgehellt naturblond. Aber das Haar dieser jungen Frau sah aus wie Stroh ... wenn Stroh dunkle Ansätze hat.

Meine Antwort gefiel ihr ganz und gar nicht, auch wenn ich nicht sagen konnte, welchen Teil sie schlimmer fand. »Er hat gar nicht erzählt, dass er eine neue Freundin hat«, erwiderte sie, und das natürlich mit möglichst verletzendem Unterton.

Also hatte ich auch keine Skrupel, mich mal in ihren Gedanken umzusehen, und fand da auch gleich eine tiefe Zuneigung für Quinn. In ihren Augen war keine andere Frau gut genug für ihn. Und mich hielt sie für so eine träge Südstaatenfrau, die sich hinter Männern versteckte.

Da diese Schlussfolgerung auf einem 6o-Sekunden-Gespräch basierte, konnte ich ihr den Irrtum noch mal verzeihen. Auch ihre Liebe zu Quinn konnte ich verzeihen. Aber ihre überbordende Geringschätzung verzieh ich ihr nicht.

»Quinn muss Ihnen seine Privatangelegenheiten ja auch nicht erzählen«, gab ich zurück. Am liebsten hätte ich sie gefragt, wo Quinn jetzt war. Aber damit hätte ich ihr die Oberhand gelassen, und das wollte ich garantiert nicht, »'tschuldigung, aber ich muss jetzt weiterarbeiten. Sie sicher auch.«

Sie funkelte mich mit ihren dunklen Augen an, ehe sie von dannen stolzierte. Diese junge Frau war mindestens zehn Zentimeter größer als ich, sehr schlank, und einen BH hielt sie wohl nicht für nötig, denn ihre pflaumengroßen Brüste wippten bei jedem Schritt auf und ab. Ich war nicht die Einzige, die ihr nachsah, als sie die Lobby durchquerte. Barry warf seine Fantasien über mich über Bord, jetzt hatte er eine brandneue.

Ich gesellte mich wieder zur Königin, denn Andre und sie gingen von der Lobby in die Messehalle. Die großen, weit offenstehenden Flügeltüren wurden von zwei wirklich schönen Urnen gehalten, in denen üppige Arrangements getrockneter Gräser drapiert waren.

Barry fragte: »Bist du schon mal auf einer richtigen Messe gewesen, auf einer normalen, meine ich?«

»Na ja«, sagte ich und versuchte den Überblick über die Leute zu behalten. Wie machten diese Geheimdienstagenten das bloß? »Ich war mal mit Sam auf einer Messe für Gaststättenbedarf, aber nur für ein paar Stunden.«

»Da trägt doch jeder so ein Abzeichen, oder?«

»Wenn du so ein Ding, das an einem Band von deinem Hals herab baumelt, ein Abzeichen nennen willst, dann ja.«

»Das trägt man, damit die Leute an den Türen sehen, dass du deine Eintrittsgebühren bezahlt hast, und Unbefugte sich keinen Zutritt verschaffen können.«

»Genau. Und?«

Barry schwieg. Siehst du hier irgendwen mit so einem Abzeichen? Kontrolliert hier irgendwer irgendwas?

Nein, außer uns keiner. Aber was wissen wir schon? Die Hure da könnte eine Spionin der Vampire aus dem Nordosten sein. Oder Schlimmeres, erwiderte ich.

Sie sind es gewöhnt, die Stärksten und Furchterregendsten zu sein, sagte Barry. Sie mögen sich ja gegenseitig fürchten, aber Menschen fürchten sie nicht ernsthaft, und schon gar nicht, wenn sie alle beisammen sind.

Ich verstand, was er meinte. Die Britlinge hatte ich auch bereits vermisst, und jetzt machte ich mir natürlich erst recht Sorgen.

Dann sah ich zurück zu den Eingangstüren des Hotels. Jetzt, bei Dunkelheit, wurden sie von bewaffneten Vampiren statt bloß von bewaffneten Menschen bewacht. Selbst an der Rezeption saßen Vampire in Hoteluniform, und diese Vampire überprüften jeden Einzelnen, der das Hotel betrat. Das Gebäude wurde nicht so nachlässig überwacht, wie es den Anschein haben mochte. Ich entspannte mich ein wenig und beschloss, mir die Stände in der Messehalle anzusehen.

Einer davon bot Prothesen für Fangzähne an, aus echtem Elfenbein, Silber oder Gold. Die richtig teuren konnten sogar mithilfe eines kleinen Motors wieder eingefahren werden, indem man einen winzigen Einschaltknopf mit der Zunge betätigte. »Absolut kein Unterschied zu echten Fangzähnen«, versicherte ein älterer Mann einem Vampir mit schütterem Haar. »Und richtig scharf, aber ja!« Keine Ahnung, wer die potenziellen Kunden sein sollten. Vampire mit Karies? Möchtegernvampire, denen es an der richtigen Ausstattung fehlte? Menschen, die ein bisschen Theater spielen wollten?

Am nächsten Messestand wurden Musik-CDs aus verschiedenen Epochen verkauft: Russische Volkslieder des 18. Jahrhunderts oder Italienische Kammermusik, Frühphase. Dort herrschte lebhafter Betrieb, denn die Leute schwärmten eben immer für die Musik ihrer Jugend, selbst wenn diese Jahrhunderte zurücklag.

Der nächste Stand war der von Bill, und über den provisorischen Stellwänden prangte in einem altmodischen Bogen ein riesiges Schild, VAMPIRE FINDEN? KEIN PROBLEM!, hieß es dort recht schlicht, FINDEN SIE JEDEN VAMPIR, AN JEDEM ORT, ZU JEDER ZEIT. SIE BRAUCHEN NUR DIESE COMPUTERDATENBANK, stand in kleinerer Schrift darunter. Bill unterhielt sich gerade mit einer Vampirin, die ihm ihre Kreditkarte hinhielt, und Pam steckte eine DVD-Box in eine kleine Tüte. Sie fing meinen Blick auf und zwinkerte mir zu. Pam trug ein kitschiges Haremskleid, was ich ihr nie zugetraut hätte. Aber sie lächelte, vielleicht genoss sie einfach die Abwechslung vom Alltag.

BÜCHER ZUM GEBURTSTAG: BLUTRÜNSTIGES FÜR DIE SEELE lautete der Werbespruch über dem nächsten Messestand, an dem eine gelangweilte Vampirin ganz allein vor einem Stapel Bücher saß.

Dann kam eine Ausstellungsfläche, die mehrere Stände einnahm und keiner Erklärung bedurfte. »Sie sollten unbedingt ein neueres Modell in Erwägung ziehen«, sagte ein Verkäufer sehr ernsthaft zu einer schwarzen Vampirin mit dünnem Haar, in das Tausende bunter Bänder geflochten waren. Sie hörte aufmerksam zu und betrachtete einen der aufgeklappten Minimustersärge vor sich. »Sicher, Holz ist biologisch abbaubar und wird traditionell verwendet. Aber wer braucht so etwas schon? Mein Sarg ist mein Zuhause, hat mein Vater immer gesagt.«

Und es folgten noch weitere Stände, einschließlich einem von Elegante (Extreme) Events. Dort lagen auf einem langen Tisch einige Preistabellen und Fotomappen ausgebreitet, um die Vorübergehenden anzulocken. Ich wollte schon einen Blick darauf werfen, als ich sah, dass dieser Stand mit Miss Schnösel Langbein höchstpersönlich »bemannt« war. Ich wollte kein Wort mehr mit ihr wechseln, und so schlenderte ich weiter, wobei ich zu keiner Zeit die Königin aus den Augen verlor. Einer der menschlichen Kellner bewunderte Sophie-Annes Hintern, aber weil darauf keine Todesstrafe stand, ließ ich es durchgehen.

Zu dieser Zeit waren die Königin und Andre bereits auf die Sheriffs Gervaise und Cleo Babitt getroffen. Gervaise, der ein breites Gesicht hatte, war ein kleiner Mann von etwa 1,65 Meter und ungefähr fünfunddreißig Jahre alt, obwohl man natürlich locker hundert Jahre hinzurechnen musste, wenn man sein wahres Alter richtig schätzen wollte. Gervaise hatte in den letzten Wochen die belastende Aufgabe bewältigt, Sophie-Anne bei sich unterzubringen und zu unterhalten. Die Anstrengungen standen ihm jetzt noch ins Gesicht geschrieben. Ich hatte gehört, er sei berühmt für seine elegante Kleidung und seinen lässigen Stil. Als ich ihn das erste und einzige Mal zuvor gesehen hatte, trug er seine paar Resthaare sorgfältig über den kahlen Schädel frisiert. Jetzt wirkte er geradezu zerzaust. Sein schöner Anzug hätte dringend in die Reinigung gehört, ja, seine ganze Erscheinung hatte an Glanz verloren. Cleo war eine stämmige Frau mit breiten Schultern, kohlschwarzem Haar und einem breiten Gesicht mit vollen Lippen, noch modern genug eingestellt, dass sie mit Vornamen angesprochen werden wollte. Sie war erst seit fünf Jahren eine Vampirin.

»Wo ist Eric?«, fragte Andre die beiden Sheriffs.

Cleo lachte, auf diese dunkle, kehlige Art, bei der jeder Mann aufmerksam wurde. »Sie haben ihn zwangsverpflichtet«, sagte sie. »Der Geistliche ist nicht aufgetaucht, und Eric war schon hier, also haben Sie ihm das Amt anvertraut.«

Andre lächelte. »Das wird sicher sehenswert. Was genau soll er denn machen?«

»Das wird jeden Augenblick bekannt gegeben«, sagte Gervaise.

Welche Kirche würde denn Eric als Geistlichen akzeptieren, fragte ich mich. Die Kirche der Hohen Profite? Ich schlenderte zu Bills Messestand hinüber und plauderte mit Pam.

»Eric ist Geistlicher?«, murmelte ich fragend.

»Ja, von der Kirche der Liebenden Seele«, sagte sie, packte drei DVDs in eine Tüte und reichte sie einem Vampirsüchtigen, den sein Meister geschickt hatte. »Sein Zertifikat hat er mit Bobby Burnhams Hilfe in einem Online-Kurs gemacht. Er darf sogar Hochzeiten abhalten.«

Ein Kellner hatte es irgendwie geschafft, all die anderen Gäste zu umschiffen und der Königin ein Tablett mit Gläsern bis zum Rand voll synthetischem Blut hinzuhalten. Binnen einer Sekunde stand Andre zwischen Kellner und Königin, und binnen einer weiteren Sekunde war der Kellner abgedreht und eilte in die andere Richtung davon.

Ich versuchte, die Gedanken des Kellners zu lesen, fand aber absolut nichts vor. Andre hatte bereits die Kontrolle über den Willen des Mannes ergriffen und ihn davon geschickt. Hoffentlich ging's dem armen Kerl gut, dachte ich. Ich folgte ihm bis zu einer unauffälligen Tür in einer Ecke, wo er in die Küche verschwand. Okay, alles wieder unter Kontrolle.

Durch die Messehalle ging plötzlich ein Raunen, und ich drehte mich um. Der König von Mississippi und der König von Indiana waren Hand in Hand eingetreten, ein öffentliches Zeichen dafür, dass ihre Verhandlungen über den Ehevertrag abgeschlossen waren. Russell Edgington war ein schmaler, attraktiver Vampir, der Männer liebte - ausschließlich und ausschweifend. Er konnte sehr unterhaltsam sein und war auch ein guter Kämpfer. Ich mochte ihn. Dennoch hatte ich mich vor der Begegnung mit Russell ein bisschen gefürchtet, weil ich vor noch nicht allzu langer Zeit eine Leiche in seinem Swimmingpool zurückgelassen hatte. Ach, was soll's. Es war die Leiche einer Vampirin gewesen, die sich mit Sicherheit schon zersetzt hatte, ehe die Poolabdeckung im Frühling abgenommen worden war.

Russell und Indiana blieben vor Bills Messestand stehen. Indiana war übrigens ein großer bulliger Kerl mit lockigem braunen Haar und einem Gesicht, in dem stets »Macht keinen Unsinn« geschrieben zu stehen schien.

Ich näherte mich, denn das konnte Ärger bedeuten.

»Bill, gut sehen Sie aus«, sagte Russell. »Von meinen Leuten höre ich, dass Sie eine schwere Zeit durchgemacht haben an meinem Hof. Aber Sie scheinen sich ja bestens erholt zu haben. Ich weiß zwar nicht genau, wie Sie sich befreit haben, aber ich freue mich.« Falls Russell eine Pause einlegte, weil er auf Bills Reaktion wartete, erlebte er eine Enttäuschung. Bills Miene war so ausdruckslos, als hätte Russell über das Wetter gesprochen und nicht über Bills Qualen. »Lorena war Ihre Schöpferin, deshalb konnte ich mich nicht einmischen«, fuhr Russell genauso ruhig fort, wie Bill wirkte. »Und jetzt verkaufen Sie hier diese Computerdatenbank, die Lorena unbedingt von Ihnen haben wollte. Wie der Dichter sagt: Ende gut, alles gut.«

Russell hatte viel zu viel geredet, ein typisches Zeichen dafür, dass er sich Sorgen machte wegen Bills Reaktion. Und tatsächlich, Bills Stimme klang kühl und glatt wie Seide. Doch er sagte nur: »Denken Sie nicht mehr daran, Russell. Soweit ich weiß, darf man gratulieren.«

Russell lächelte seinen Bräutigam an.

»Ja, Mississippi und ich schließen den Bund fürs Leben«, sagte der König von Indiana mit tiefer Stimme. Er sah aus wie jemand, der die Spielschulden eines Drückebergers mit Prügel einfordern oder in einem mit Sägemehl ausgestreuten Saloon sitzen könnte. Doch Russell errötete keineswegs.

Vielleicht war es eine Liebesheirat.

Dann entdeckte Russell mich. »Bart, diese junge Frau musst du kennenlernen«, sagte er sofort. Ich bekam Panik, hätte aber nur auf dem Absatz kehrtmachen und weglaufen können, und das ging nun gar nicht. Russell zog seinen Liebsten an der Hand hinter sich her. »Diese junge Frau wäre beinahe gepfählt worden, als sie in Jackson war. Ein paar dieser Sonnenbrüder tauchten in einem Nachtclub dort auf, und einer von ihnen griff sie an.«

Bart wirkte verblüfft. »Und das haben Sie überlebt? Wie denn das?«

»Mr Edgington hat mir geholfen«, erwiderte ich. »Im Grunde hat er mir das Leben gerettet.«

Russell versuchte, bescheiden dreinzublicken, was ihm auch beinahe gelang. Nicht zu fassen, der Vampir wollte vor seinem Liebsten eine gute Figur machen. Eine so menschliche Regung hätte ich ihm gar nicht zugetraut.

»Sie haben allerdings auch etwas mitgenommen, als Sie gingen«, sagte Russell ernst und erhob den Zeigefinger.

Ich versuchte, seiner Miene irgendwie zu entnehmen, in welche Richtung ich mich mit meiner Antwort bewegen sollte. Ich hatte eine Decke mitgenommen, okay, und einige Kleider, die die jungen Männer aus Russells Harem liegen gelassen hatten. Und ich hatte Bill mitgenommen, der in einem der Nebengebäude eingesperrt gewesen war. Vielleicht meinte Russell das, hm?

»Ja, Sir. Aber ich habe ja auch etwas zurückgelassen«, sagte ich, weil mir dieses verbale Katz-und-Maus-Spiel langsam auf die Nerven ging. Na gut, bitte schön! Ich hatte Bill gerettet und die Vampirin Lorena getötet, auch wenn das mehr oder weniger zufällig geschehen war. Und ich hatte ihre verdammte Leiche im Swimmingpool versenkt.

»Irgendwie klebte da etwas am Beckenboden, als wir im Frühjahr den Pool wieder in Betrieb genommen haben«, sagte Russell und musterte mich nachdenklich mit seinen schokoladenbraunen Augen. »Was für eine unternehmungslustige junge Frau Sie doch sind, Miss...«

»Stackhouse. Sookie Stackhouse.«

»Ja, jetzt erinnere ich mich wieder. Waren Sie nicht mit Alcide Herveaux in diesem Nachtclub? Das ist ein Werwolf, Schatz«, fügte Russell an Bart gewandt hinzu.

»Ja, Sir.« Wieso erinnerte er sich denn ausgerechnet an dieses Detail?

»Hat Herveaux' Vater sich nicht um den Posten als Rudelführer von Shreveport beworben?«

»Ja, richtig. Aber er ist... äh, er hat den Posten dann nicht bekommen.«

»An dem Tag ist der alte Herveaux also gestorben?«

»Ja«, bestätigte ich. Bart hörte aufmerksam zu, während er Russell die ganze Zeit mit der Hand über den Rücken strich. Eine offenherzige Geste.

In diesem Augenblick erschien Quinn an meiner Seite und legte den Arm um mich. Russells Augen wurden immer größer. »Meine Herren«, sagte Quinn zu Indiana und Mississippi, »es ist alles vorbereitet für Ihre Hochzeit. Wir warten nur noch auf Sie.«

Die beiden Könige lächelten einander an. »Na, kalte Füße?«, fragte Bart Russell.

»Nicht, wenn du sie mir wärmst«, erwiderte Russell mit einem Lächeln, das einen Eisberg geschmolzen hätte. »Und außerdem würden unsere Rechtsanwälte uns umbringen, wenn wir von diesen Verträgen zurücktreten.«

Sie nickten beide Quinn zu, der auf das Podium am Ende der Ausstellungshalle sprang. Er breitete die Arme aus, und seine tiefe Stimme dröhnte über den Lärm der Leute hinweg, als er ins Mikrofon sprach: »Ich bitte um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit, verehrte Damen und Herren, Könige und Untergebene, Vampire und Menschen! Sie alle sind eingeladen, im Zeremoniensaal Zeuge der Verbindung zwischen dem König von Mississippi, Russell Edgington, und dem König von Indiana, Bartlett Crowe, zu werden. Die Hochzeit beginnt in zehn Minuten. In den Zeremoniensaal gelangen Sie durch diese Flügeltür dort.« Quinn zeigte hoheitsvoll in die richtige Richtung.

Während er sprach, hatte ich Gelegenheit, sein Äußeres zu bewundern. Er trug eine scharlachrote Pluderhose, die in der Taille wie bei einem Preisboxer von einer breiten goldenen Schärpe zusammengehalten wurde und in schwarzen Lederstiefeln steckte. Sein Oberkörper war nackt. Er sah aus wie Dschinni, der Lampengeist aus Aladdin, der gerade aufgetaucht war.

»Das ist Ihr neuer Freund?«, fragte Russell. »Quinn?«

Ich nickte. Er wirkte beeindruckt.

»Ich weiß, Sie haben gerade andere Dinge im Kopf«, begann ich spontan, »und Sie werden gleich heiraten. Aber ich will nur noch sagen, ich hoffe, wir sind quitt. Sie sind doch nicht irgendwie böse auf mich oder hegen einen Groll oder so was?«

Bart nahm die Glückwünsche der versammelten Vampire entgegen, und Russell sah zu ihm hinüber. Dann tat er mir den Gefallen und konzentrierte sich noch einmal auf mich, obwohl er eigentlich jede Sekunde des Abends genießen sollte.

»Ich hege keinen Groll gegen Sie«, sagte Russell. »Zum Glück bin ich mit Humor gesegnet, und zum Glück konnte ich die verdammte Lorena kein bisschen leiden. Ich hatte ihr das Zimmer in dem Nebengebäude vermietet, weil ich sie schon seit ein, zwei Jahrhunderten kannte. Aber sie war immer ein Miststück gewesen.«

»Wenn Sie also nicht böse sind, noch eine Frage«, sagte ich. »Warum erstarren eigentlich immer alle so in Ehrfurcht vor Quinn?«

» Sie haben den Tiger beim Schwanz gepackt und wissen es nicht?« Russell wirkte amüsiert und interessiert zugleich. »Ich habe keine Zeit, Ihnen jetzt die ganze Geschichte zu erzählen, ich muss zu meinem zukünftigen Ehemann. Nur so viel, Miss Sookie, Ihr Freund hat einer ganzen Menge Leute zu einer ganzen Menge Geld verholfen.«

»Danke«, sagte ich etwas verwirrt, »und alles Gute für Sie und, äh, Mr Crowe. Ich hoffe, Sie werden sehr glücklich miteinander.« Weil Händeschütteln unter Vampiren nicht üblich war, verbeugte ich mich und trat schnell und solange wir noch auf so gutem Fuß miteinander standen den Rückzug an.

Plötzlich stand Rasul neben mir. Er lachte, weil ich zusammenzuckte. Herrje, diese Vampire! An die Art Humor würde ich mich nie gewöhnen.

Bislang hatte ich Rasul nur in der Kluft der Sicherheitsleute der Königin erlebt. Heute Abend hatte er eine andere Uniform an, die aber auch ziemlich militärisch wirkte, irgendwie kosakenartig. Er trug eine langärmlige Tunika und eng geschnittene Hosen in dunklem Pflaumenblau mit schwarzen Besätzen und glänzenden Messingknöpfen. Rasul war von Natur aus tiefbraun und hatte die großen, feuchten Augen und das schwarze Haar eines Mannes aus dem Nahen Osten.

»Ich hatte schon gehört, dass Sie auch hier sein sollen. Schön, Sie zu sehen«, sagte ich.

»Die Königin hat Carla und mich vorausgeschickt«, erklärte er mit seinem leicht exotischen Akzent. »Sie sind ja hübscher als je zuvor, Miss Sookie. Wie gefällt's Ihnen denn bis jetzt auf der Konferenz?«

Seine Flirterei ignorierte ich einfach mal. »Was ist mit der Uniform?«

»Wenn Sie meinen, was das für eine Uniform ist: Das ist die neue Hausuniform der Königin«, sagte er. »Die tragen wir statt unserer Sicherheitskluft, wenn wir nicht draußen auf der Straße patrouillieren. Schick, was?«

»Richtig stylisch«, erwiderte ich, und er lachte.

»Gehen Sie zur Zeremonie?«, fragte er.

»Ja, sicher. Ich habe noch nie eine Vampirhochzeit gesehen. Übrigens, Rasul, das mit Chester und Melanie tut mir sehr leid.« Die beiden hatten in New Orleans mit Rasul zusammen Wache geschoben.

Einen Augenblick lang wich alle Fröhlichkeit aus dem Gesicht des Vampirs. »Tja«, sagte er schließlich nach einem angespannten Schweigen. »Statt meiner alten Freunde habe ich jetzt einen Ex-Pelzträger.« Ein recht einsam wirkender Jake Purifoy kam auf uns zu, in der gleichen Uniform wie Rasul. Er hatte noch nicht gelernt, die gelassene Miene, diese zweite Natur der Untoten, aufzusetzen. Dazu war er noch nicht lange genug Vampir.

»Hi, Jake«, begrüßte ich ihn.

»Hi, Sookie«, erwiderte er verloren, aber hoffnungsfroh.

Rasul verbeugte sich vor uns beiden und ließ mich mit Jake einfach allein. Herrje, das erinnerte mich entschieden zu stark an die Grundschule. Jake war wie ein kleiner Junge, der in den falschen Klamotten und mit einem merkwürdigen Lunchpaket in die Schule kommt. Und als so eine Art Vampir-Werwolf-Kombi hatte er sich's mit beiden Cliquen von vornherein gründlich verdorben. Da könnte er auch gleich versuchen, Knoblauch-Gourmet zu werden.

»Hatten Sie schon Gelegenheit, mit Quinn zu sprechen?«, fragte ich, weil mir nichts Besseres einfiel. Jake war Quinns Mitarbeiter gewesen, bevor seine Verwandlung ihn quasi aus dem Job herauskatapultiert hatte.

»Nur mal kurz Hallo gesagt im Vorbeigehen«, sagte Jake. »Das ist einfach nicht fair.«

»Was?«

»Dass er akzeptiert wird, egal, was er getan hat, und ich exkludiert werde.«

Ich wusste, was exkludiert bedeutet, weil der Begriff mal das »Wort des Tages« in meinem Kalender gewesen war. Aber meine Gedanken blieben trotzdem daran hängen, weil der eigentliche Sinn von Jakes Bemerkung mich irgendwie aus dem Gleichgewicht brachte. »Egal, was er getan hat?«, fragte ich. »Was soll das heißen?«

»Na, Sie wissen doch Bescheid über Quinn«, sagte Jake, und ich hätte ihn am liebsten gepackt und geschüttelt.

»Die Hochzeit beginnt!«, rief Quinn mit volltönender Stimme, und die Leute begannen durch die Flügeltüren zu strömen, auf die er vorhin gezeigt hatte. Jake und ich strömten mit. Quinns Assistentin mit dem Hüpf-Busen stand drinnen und verteilte kleine Netzbeutelchen voller Blütenblätter, einige mit blau-goldenem Band zugebunden, andere mit rot-blauem.

»Warum denn verschiedene Farben?«, fragte die Hure Quinns Assistentin. Wie gut, dass sie die Frage stellte, so blieb mir das erspart.

»Rot-Blau für die Flagge von Mississippi und Blau-Gold für die von Indiana«, erklärte die junge Frau und setzte ein automatisches Lächeln auf, das noch in ihrem Gesicht klebte, als sie mir ein Beutelchen mit rot-blauem Band reichte. Dann erkannte sie, wen sie vor sich hatte, und ihr Lächeln erstarb.

Jake und ich arbeiteten uns zu einem guten Platz etwas rechts von der Mitte vor. Die Bühne war leer bis auf ein paar Requisiten, und für die Gäste waren keine Stühle aufgestellt worden. Die Zeremonie sollte anscheinend nicht allzu lange dauern. »Beantworten Sie meine Frage«, zischte ich. »Über Quinn.«

»Nach der Hochzeit«, erwiderte Jake und unterdrückte ein Lächeln. Es war schon einige Monate her, dass Jake jemandem gegenüber die Oberhand gehabt hatte, und er schien es zu genießen. Er drehte sich um, und seine Augen weiteten sich. Ich folgte seinem Blick und entdeckte am anderen Ende des Saals ein Büfett, das allerdings kein Essen, sondern Blut bereithielt. Dort standen etwa zwanzig Männer und Frauen aufgereiht, die alle die gleichen Namensschilder trugen: »Blutspender« - wie ekelig! Mich würgte es fast. War das etwa legal? Okay, sie standen alle freiwillig dort, keiner wurde festgehalten, jeder hätte einfach jederzeit gehen können. Ja, die meisten wirkten sogar regelrecht begierig darauf, mit der Blutspende beginnen zu dürfen. Ich durchforstete rasch ihre Gedanken. Ja: bereitwillig.

Ich sah wieder zur Bühne, die nur 50 Zentimeter hoch war und die Mississippi und Indiana in diesem Moment bestiegen. Sie trugen aufwendige Kostüme, die ich schon mal auf Fotos in der Arbeitsmappe eines Fotografen des Übernatürlichen gesehen hatte, der sich auf Aufnahmen solcher Zeremonien spezialisiert hatte. Wenigstens waren diese Kostüme einfach anzulegen gewesen. Russell trug eine schwere, vorne offene Brokatrobe, die über seine normale Kleidung passte: ein prachtvolles Gewand aus schimmerndem Goldtuch, in das ein Muster in Blau und Scharlachrot eingewebt war. Bart, der König von Indiana, war in eine ähnliche Robe in Kupferbraun gehüllt, die mit einem Muster in Grün und Gold bestickt war.

»Ihre Galaroben«, murmelte Rasul, der schon wieder wie aus dem Nichts neben mir auftauchte. Ich fuhr zusammen und sah, wie ein kleines Lächeln seine Mundwinkel umspielte. Jake rückte von links ein bisschen näher an mich heran, als wolle er sich hinter mir vor Rasul verstecken.

Doch mich interessierte jetzt die Hochzeitszeremonie mehr als das Konkurrenzgehabe dieser beiden Vampire. Mitten auf der Bühne war ein großes Anch-Kreuz aufgestellt worden und zu einer Seite ein Tisch mit zwei dicken Bündeln Papieren, zwischen denen zwei altmodische Schreibfedern lagen. Hinter diesem Tisch stand eine Vampirin, im Businesskostüm mit knielangem Rock, und hinter ihr Mr Cataliades, der gütig lächelnd die Hände über dem kugelrunden Bauch verschränkt hielt.

An der entgegengesetzten Seite der Bühne stand Quinn, mein Schatz (über dessen Vergangenheit ich sehr bald so einiges erfahren wollte), immer noch in seiner Dschinni-Aufmachung. Er wartete, bis das Gemurmel der Hochzeitsgäste nachließ, und deutete dann mit großer Geste nach rechts. Von dort kam eine Gestalt in schwarzem Samtumhang die Stufen zur Bühne herauf, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. In die Schulterpartien des Umhangs waren goldene Anch-Symbole eingestickt. Die Gestalt nahm ihren Platz zwischen Mississippi und Indiana ein, mit dem Rücken zum Anch-Kreuz, und hob die Arme.

»Die Zeremonie beginnt«, sagte Quinn. »Lasst uns nun alle schweigen und Zeuge dieser Vereinigung werden.«

Wenn Vampire gebeten werden zu schweigen, kann man davon ausgehen, dass danach Totenstille herrscht. Vampire müssen nicht seufzen, niesen, husten oder sich die Nase putzen wie jeder normale Mensch gelegentlich. Allein meine Atemzüge schienen mir in der eingetretenen Stille einen Höllenlärm zu machen.

Die Gestalt im Samtumhang zog die Kapuze zurück. Ich seufzte. Eric. Sein weizenblondes Haar hob sich wunderschön vom Schwarz der Kleidung ab, und sein Gesicht war feierlich und gebieterisch, ganz wie man es von einem Geistlichen erwartet.

»Wir sind hier, um die Verbindung dieser beiden Könige zu bezeugen«, begann er, und jedes seiner Worte trug bis in den letzten Winkel des Saals. »Russell und Bart haben sich, sowohl mündlich als auch schriftlich, verpflichtet, ihre Staaten für die nächsten einhundert Jahre miteinander zu verbinden. Einhundert Jahre lang dürfen sie niemand anderen heiraten. Und sie dürfen auch keine Allianzen mit anderen eingehen, solange diese Allianzen nicht im gegenseitigen Einverständnis beschlossen und besiegelt werden. Jeder muss dem anderen mindestens einen ehelichen Besuch im Jahr abstatten. Das Wohlergehen von Russells Königreich muss für Bart gleich nach dem seines eigenen Staates kommen, und das Wohlergehen von Barts Königreich muss für Russell gleich nach dem seines eigenen Staates kommen. Russell Edgington, König von Mississippi, sind Sie bereit, diese Verbindung einzugehen?«

»Ja, das bin ich«, sagte Russell laut und deutlich und hielt Bart seine Hand hin.

»Bartlett Crowe, König von Indiana, sind Sie bereit, diese Verbindung einzugehen?«

»Ja«, sagte Bart und ergriff Russells Hand.

Dann trat Quinn vor, kniete nieder und hielt einen Kelch unter die miteinander verbundenen Hände. Eric zog einen Dolch hervor und ritzte so rasch, dass man die Bewegungen gar nicht voneinander unterscheiden konnte, den beiden die Handgelenke auf.

Oh, igitt. Während das Blut der beiden Könige in den Kelch tropfte, schimpfte ich mit mir selbst. Dass es bei einer Vampirhochzeit nicht unblutig zugehen würde, hätte ich mir ja wohl denken können.

Und tatsächlich. Als die Wunden sich wieder schlossen, nahm Russell einen Schluck aus dem Kelch und reichte ihn Bart, der ihn leerte. Dann küssten sich die beiden, wobei Bart den kleineren Mann zärtlich umfangen hielt. Und dann küssten sie sich noch ein wenig länger. Anscheinend machte diese Blutmischerei Vampire ganz heiß.

Ich sah Jake an. Ab ins Bett, sagte er lautlos, und ich senkte den Blick, um mein Lächeln zu verbergen.

Schließlich setzten die beiden Könige mit der feierlichen Unterzeichnung der Eheverträge die Zeremonie fort. Die Vampirin im Geschäftskostüm erwies sich als Rechtsanwältin aus Illinois, denn der Vertrag musste von einem Juristen aus einem anderen Bundesstaat aufgesetzt werden. Mr Cataliades, der ebenfalls ein neutraler Rechtsanwalt war, unterschrieb die Verträge nach den Königen und der Vampirin.

Eric stand in all seiner schwarz-goldenen Pracht da, als seine Pflicht erfüllt war, und als die Schreibfedern wieder auf dem Tisch lagen, rief er: »Diese Ehe ist auf einhundert Jahre heilig!« Hochrufe erklangen, aber weil Vampire auch in puncto Jubelgeschrei nicht allzu groß waren, ließen vor allem die Menschen und die anderen Supras in der Menge die beiden Könige hochleben. Die Vampire murmelten beifällig - nicht ganz das Gleiche, aber vermutlich das Beste, das sie beisteuern konnten.

Ich musste unbedingt noch herausfinden, wodurch Eric sich als Priester, oder wie immer sie den Geistlichen nannten, qualifiziert hatte. Doch zuerst wollte ich Jake dazu bringen, mir von Quinn zu erzählen. Er mischte sich gerade unter die Leute und versuchte, sich davonzustehlen, doch ich hatte ihn ziemlich schnell eingeholt. So gut war er als Vampir noch nicht, dass er mir entkommen konnte.

»Jetzt reden Sie schon«, sagte ich, und er tat, als wüsste er nicht, wovon ich spreche. Doch er sah wohl meiner Miene an, dass ich ihm das nicht abkaufte.

Während alle um uns herum sich bemühten, sich nicht wie die Wilden auf das geöffnete Büfett zu stürzen, wartete ich auf Quinns Geschichte.

»Ich kann einfach nicht glauben, dass er Ihnen das nicht selbst erzählt hat«, begann Jake.

Herrje, irgendwann würde ich ihm eins über den Schädel ziehen. Ich starrte ihn finster an, um ihm zu zeigen, dass ich wartete.

»Okay, okay«, fuhr er fort. »Ich habe all das gehört, als ich noch ein Werwolf war. In der Welt der Gestaltwandler ist Quinn so eine Art Rockstar, wissen Sie. Er ist einer der letzten Wertiger und einer der wildesten.«

Ich nickte. So weit entsprach das alles meinem eigenen Wissen über Quinn.

»Quinns Mutter wurde einst bei Vollmond, als sie sich verwandelt hatte, gefangen genommen. Eine Gruppe Jäger kampierte draußen und hatte Fallen ausgelegt, weil sie für ihre illegalen Hundekämpfe einen Bären fangen wollten. Um den Wetten einen Kick zu verpassen, verstehen Sie? Ein Rudel Hunde gegen einen Bären. Das war irgendwo in Colorado, es lag schon Schnee. Seine Mutter war allein unterwegs und ist irgendwie in die Falle getappt, hat die Gefahr wohl nicht gespürt.«

»Wo war sein Vater?«

»Der starb, als Quinn noch klein war. Und als das hier geschah, war er fünfzehn.«

Mir schien, jetzt würde noch Schlimmeres kommen, und ich hatte recht.

»Als er merkte, dass sie nicht zurückkam, verwandelte er sich natürlich noch am selben Abend, nahm ihre Fährte auf und fand das Zeltlager der Jäger. Seine Mutter hatte sich, wohl unter dem Stress der Gefangenschaft, wieder in eine Frau zurückverwandelt, und einer von ihnen vergewaltigte sie.« Wäre Jake kein Vampir gewesen, hätte er tief Atem geholt - jedenfalls sah er ganz so aus. »Quinn hat sie alle getötet.«

Ich sah zu Boden. Was hätte ich dazu auch sagen sollen.

»Die Toten mussten weggeräumt und das Zeltlager beseitigt werden. Und da es kein Rudel gab, das ihm hätte helfen können - Tiger leben nicht im Rudel und seine Mutter verletzt war und unter Schock stand, ist Quinn zu den Vampiren gegangen. Sie haben das für ihn erledigt unter der Bedingung, dass er drei Jahre lang in ihrer Schuld steht.« Jake zuckte die Achseln. »Er war einverstanden.«

»Womit genau war er einverstanden?«, fragte ich.

»Für sie in die Kampfarena zu gehen. Drei Jahre lang, oder eben bis er stirbt.«

Ich spürte, wie kalte Finger mir über den Nacken fuhren, und diesmal war es nicht der gruslige Andre, sondern die schiere Angst. »In die Kampfarena?«, sagte ich, doch meine Worte wären für jemanden ohne das exzellente Hörvermögen eines Vampirs kaum zu verstehen gewesen.

»Ja, es werden eine Menge Wetten abgeschlossen auf solche Kämpfe«, sagte Jake. »Die sind wie die Hundekämpfe, für die die Jäger den Bären fangen wollten. Menschen sind nicht die Einzigen, die gern zusehen, wenn Tiere sich gegenseitig töten. Manchen Vampiren gefällt das auch. Und anderen Supras ebenfalls.«

Angewidert verzog ich den Mund. Mir war beinahe schlecht vor Ekel.

Jake sah mich besorgt an und ließ mir einen Moment Zeit, denn die traurige Geschichte war noch nicht zu Ende. »Wie Sie sehen, hat Quinn die drei Jahre überlebt«, fuhr Jake schließlich fort. »Er ist einer der wenigen, die das so lange durchgehalten haben.« Jake sah mich von der Seite an. »Er gewann und gewann, denn er war einer der bissigsten, grausamsten Kämpfer, die man je gesehen hat. Er trat gegen Bären an, gegen Löwen - alles, was man sich vorstellen kann.«

»Aber sind die alle nicht ziemlich selten?«, fragte ich.

»Das sind sie. Aber vermutlich brauchen sogar seltene Wergeschöpfe Geld«, sagte Jake und warf seinen Kopf zurück. »Und mit solchen Kämpfen kann man das ganz große Geld verdienen, wenn man welches hat, um Wetten abzuschließen.«

»Warum hat er damit aufgehört?« Ich bedauerte über alle Maßen, dass ich so neugierig auf Quinns Geschichte gewesen war. Ich hätte besser warten sollen, bis er mir das alles freiwillig erzählt. Denn das hätte er hoffentlich getan. Jake schnappte sich ein Glas mit synthetischem Blut von einem Tablett, das ein Mensch an uns vorbeitrug, und leerte es in einem Zug.

»Seine drei Jahre waren zu Ende, und er musste sich um seine Schwester kümmern.«

»Seine Schwester?«

»Ja, seine Mutter ist in jener Nacht schwanger geworden, und das Ergebnis ist die gefärbte Blondine, die uns vorhin diese kleinen Beutelchen am Eingang gegeben hat. Frannie gerät von Zeit zu Zeit in Schwierigkeiten. Quinns Mutter wird nicht mehr fertig mit ihr, deshalb hat sie sie eine Weile zu Quinn geschickt. Frannie ist gestern Abend hier angekommen.«

Tja, jetzt hatte ich mehr erfahren, als ich verdauen konnte. Ich machte auf dem Absatz kehrt und ließ Jake einfach stehen - der nicht versuchte, mich aufzuhalten, das sei zu seinen Gunsten noch angefügt.