Kapitel 4

Es war immer noch warm abends, aber nicht mehr so drückend, nicht jetzt, Ende September. Ich suchte ein ärmelloses weißes Kleid mit roten Blumen heraus, das ich mal zu einer Verabredung mit Bill (an den ich nicht dachte) getragen hatte. Und aus reiner Eitelkeit schlüpfte ich in meine roten Sandaletten mit den hohen Absätzen, obwohl die kaum das richtige Schuhwerk für eine Hochzeitsparty an einer grob gepflasterten Landstraße waren. Ich schminkte mich dezent, während Quinn duschte, und war nicht unzufrieden mit meinem Spiegelbild. Es geht doch nichts über guten Sex, danach hat man so ein Leuchten im Gesicht. Als ich aus dem Schlafzimmer kam, warf ich einen Blick auf die Uhr. Wir mussten bald aufbrechen.

Amelia trug ein kurzärmliges Kleid in Beige mit einem kleinen marineblauen Muster. Kleidung zu kaufen war eins ihrer liebsten Hobbys, und sie hielt sich für eine absolut todschicke Frau. Doch leider ging ihr Geschmack nie über den der jungen Vorstadtmütter hinaus. An den Füßen hatte sie allerdings dunkelblaue Sandalen mit Blumen an den Riemchen - sehr viel passender als meine hohen Absätze.

Ich fürchtete schon, wir würden zu spät losfahren, da kam Quinn endlich aus meinem Schlafzimmer, in einem braunen Seidenhemd zu Khakihosen.

»Soll ich eine Krawatte umbinden?«, fragte er.

Ich dachte an die ländliche Umgebung und an den enormen Mangel an Kultiviertheit in dem kleinen Dorf Hotshot. »Ich glaube kaum, dass das nötig ist.« Quinn wirkte erleichtert.

Wir zwängten uns in mein Auto und fuhren Richtung Westen und dann nach Süden. Auf der Fahrt hatte ich Gelegenheit, den beiden von den abgeschieden lebenden Werpanthern und ihrer Ansiedlung weit draußen im Landkreis Renard zu erzählen. Ich fuhr selbst, das war am einfachsten. Wenn man erst mal die alten Eisenbahnschienen hinter sich gelassen hatte, wurde das Land zunehmend unbewohnter, und zwei, drei Meilen lang bekamen wir gar keine Lichter zu sehen. Dann tauchten an einer Wegkreuzung vor uns plötzlich Autos und Lampions auf. Wir waren da.

Hotshot lag im Nirgendwo, in einer dieser lang gestreckten Senken inmitten einer sanft gewellten Landschaft, deren Erhebungen zu wenig Kontur besaßen, um Hügel genannt zu werden. Das einsam gelegene Dorf hatte sich rund um eine uralte Wegkreuzung angesiedelt, die eine machtvolle Magie umgab. Ich war mir sicher, dass Amelia diese Macht spürte. Ihre Miene wurde immer aufmerksamer und wissender, je weiter wir uns dem Dorf näherten. Sogar Quinn atmete tief ein. Ich selbst nahm die Magie um mich herum zwar wahr, aber auf mich Nicht-Supra hatte sie keinerlei Einfluss.

Ich fuhr an den Straßenrand und parkte hinter Hoyt Fortenberrys Pick-up. Hoyt war Jasons bester Freund, quasi sein Schatten, schon ein Leben lang. Er schlenderte direkt vor uns die Straße entlang und auf die hellen Lichter zu. Ich hatte Amelia und Quinn eine Taschenlampe gegeben und leuchtete mit meiner eigenen voraus.

»Hoyt«, rief ich und lief auf ihn zu, so schnell meine roten Sandaletten mit den hohen Absätzen es zuließen. »Hey, geht's dir gut?«, fragte ich, als ich seine betrübte Miene sah. Hoyt war kein besonders gut aussehender Typ und auch nicht sonderlich klug, aber er war zuverlässig und dachte meist über den Moment hinaus an die Konsequenzen seines Tuns - eine Kunst, die mein Bruder nie beherrscht hatte.

»Sook«, sagte Hoyt. »Ich kann's einfach nicht glauben. Hab wohl gedacht, Jason und ich bleiben ewig Junggesellen.« Er versuchte zu lächeln.

Ich klopfte ihm auf die Schulter. Das Leben wäre so nett und ordentlich verlaufen, wenn ich mich in Hoyt verliebt und ihn so auf ewig an meinen Bruder gebunden hätte. Doch Hoyt und ich hatten nie das geringste Interesse aneinander gehabt.

Hoyts Gedanken verströmten nichts als Trübsal. Er war sicher, dass sich sein Leben heute Abend für immer verändern würde. Er erwartete, dass Jason sich von jetzt an absolut vernünftig verhalten, alles andere aufgeben und bei seiner Ehefrau zu Hause bleiben würde, wie das ein guter Ehemann eben tat.

Na, hoffentlich trafen Hoyts Erwartungen wenigstens auf Jasons leichtfertigen Umgang mit Geld zu.

Als wir die anderen Gäste erreichten, begrüßte Hoyt Catfish Hennessy, und die beiden begannen sofort lautstark Witze darüber zu reißen, dass Jason nun doch umgekippt sei und sich habe einfangen lassen.

Diese Männerverbrüderung würde Hoyt hoffentlich über die Hochzeitszeremonie hinweghelfen, dachte ich. Keine Ahnung, ob Crystal Norris wirklich echte Gefühle für meinen Bruder aufbrachte - bei Hoyt war ich mir da sicher.

Quinn nahm mich an die Hand, und mit Amelia im Schlepptau bahnten wir uns einen Weg durch die kleine Menge, bis wir die beiden sahen.

Jason trug einen neuen Anzug, in einem Blau, das nur einen Tick dunkler war als das seiner Augen. Er sah umwerfend aus und lächelte, was das Zeug hielt. Crystal hatte ein Kleid im Leopardenlook an, vorn so knapp geschnitten, dass es nicht kürzer hätte sein dürfen, um noch als Kleid durchzugehen. Ich wusste nicht, ob das Leopardenmuster eine Art ironische Anspielung sein sollte oder einfach nur Ausdruck ihres modischen Geschmacks war. Vermutlich Letzteres.

Das glückliche Paar stand inmitten eines freien Fleckchens Erde, zusammen mit Calvin Norris, dem Anführer der Werpanther von Hotshot. Die Menge hielt respektvoll Abstand und bildete einen ungleichmäßigen Kreis um sie herum.

Calvin, der zufällig auch Crystals Onkel war, hielt die Braut untergehakt. Er lächelte mir zu. Calvin hatte sich den Bart gestutzt und zu dem besonderen Anlass extra einen Anzug aus dem Schrank geholt. Er und Jason waren aber die Einzigen, die eine Krawatte umgebunden hatten. Das sah auch Quinn, in dessen Gedanken ich Erleichterung wahrnahm.

Jason entdeckte mich gleich nach Calvin und winkte mich heran. Als ich auf ihn zuging, begriff ich plötzlich, dass ich in dieser Zeremonie wohl einen Part übernehmen sollte. Ich umarmte meinen Bruder, roch sein Moschus-Aftershave ... aber keinen Alkohol, und entspannte mich ein bisschen. Ich hatte schon befürchtet, Jason hätte sich mit dem ein oder anderen Drink Mut angetrunken. Doch er schien völlig nüchtern zu sein.

Als ich Jason wieder losließ, sah ich mich nach meinen Begleitern um und erwischte genau den Augenblick, in dem die Werpanther erkannten, dass Quinn in Hotshot war. Und plötzlich herrschte Stille unter den zweigestaltigen Geschöpfen. Wie ein leichter Windhauch wehte sein Name vom einen zum anderen.

Calvin flüsterte: »Sie haben Quinn mitgebracht?« Was war los? War ich etwa in Begleitung des Weihnachtsmanns oder irgendeiner Sagengestalt erschienen?

»Ist das okay?«, fragte ich zurück. Ich hatte ja nicht geahnt, welche Aufregung das verursachen würde.

»Oh, ja«, versicherte Calvin. »Ist er Ihr neuer Freund?« In Calvins Miene spiegelte sich eine solche Mischung aus Schreck, Hochachtung und Mutmaßung, dass ich mich sofort fragte, was ich über meinen neuen Liebhaber alles nicht wissen mochte.

»Äh, irgendwie schon.« Ich wurde plötzlich vorsichtig.

»Es ist uns eine Ehre, ihn als unseren Gast zu begrüßen«, sagte Calvin.

»Quinn«, hauchte Crystal. Ihre Pupillen weiteten sich unnatürlich, und ich spürte, dass sie sich in Gedanken wie ein sehnsüchtiges Groupie auf meinen Freund stürzte. Am liebsten hätte ich ihr einen Tritt versetzt. Du bist hier, um meinen Bruder zu heiraten, schon vergessen?

Jason wirkte genauso verwirrt wie ich. Er war erst seit einigen Monaten ein Werpanther, und es gab noch eine Menge in der geheimen Welt der Zweigestaltigen, das ihm bislang verborgen geblieben war.

Und mir auch.

Crystal gab sich größte Mühe, sich zu beherrschen und in die Wirklichkeit zurückzukehren. Es gefiel ihr natürlich bestens, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, doch sie verschwendete noch einen Augenblick daran, ihre zukünftige Schwägerin neu einzuschätzen. Ihre Achtung vor mir (vorher so gut wie nicht existent) sprengte plötzlich jeden Maßstab.

»Wie ist denn der weitere Ablauf gedacht?«, fragte ich munter, um uns alle zurück in die richtige Bahn zu lenken.

Calvin war sofort wieder ganz der praktisch Orientierte. »Da wir auch Menschen als Gäste haben, wurde die Zeremonie etwas angepasst«, erklärte er mir leise. »Es wird so ablaufen ... Sie als Jasons nächste Angehörige werden für ihn bürgen, weil er keine älteren Verwandten als Sie hat. Ich bin Crystals ältester Verwandter, daher werde ich für sie bürgen. Wir geloben, die Strafe auf uns zu nehmen, wenn einer der beiden eine Verfehlung begeht.«

Ah, oh. Das klang gar nicht gut. Ich warf meinem Bruder einen raschen Blick zu, der (natürlich) keinen Gedanken an das Gelöbnis verschwendete, das ich hier abgeben musste. Warum nur hatte ich etwas anderes erwartet?

»Dann tritt der Pfarrer zu uns, und die Zeremonie geht weiter wie jede andere Trauung«, sagte Calvin. »Wenn keine Fremden dabei wären, würde es etwas anders ablaufen.«

Das machte mich neugierig, allerdings war dies kaum der richtige Zeitpunkt, um viele Fragen zu stellen. Ein paar wenige mussten jedoch noch beantwortet werden. »Welche Strafe gelobe ich denn auf mich zu nehmen? Und was genau bedeutet eine Verfehlung begehen

Jason seufzte gereizt, weil ich mich erdreistete, mein Gelöbnis für ihn verstehen zu wollen. Calvin blickte mich mit seinen goldgrünen Augen verständnisvoll an.

»Sie werden Folgendes geloben«, begann Calvin in leisem, aber eindringlichem Ton. Wir steckten die Köpfe zusammen. »Jason, pass gut auf. Wir sind das schon mal durchgegangen, aber da hast du leider nicht allzu aufmerksam zugehört.« Jetzt hörte Jason zu, doch ich konnte seine Ungeduld spüren.

»Verheiratet zu sein bedeutet hier« - Calvin deutete mit einer Hand auf das Dorf Hotshot - »seinem Partner treu zu sein, es sei denn, die Fortpflanzung des Rudels ist gefährdet. Da Crystal damit wenig zu tun hat, Jason, bedeutet es, dass sie dir treu sein muss und du ihr. Denn du hast keine Paarungspflichten wie ein Vollblüter.« Jason errötete bei dieser Erinnerung an seinen niedrigeren Rang, nur weil er durch Biss ein Gestaltwandler war und nicht von Geburt. »Wenn Crystal dich betrügt und ein Mitglied unseres Rudels diesen Betrug bezeugen kann und wenn Crystal aus irgendeinem Grund die Strafe nicht auf sich nehmen kann - wegen Schwangerschaft, Krankheit oder weil sie ein Kind aufzieht -, dann muss ich es tun. Und wir reden hier nicht von Geldstrafen, verstehst du das, Jason?«

Jason nickte. »Du sprichst von körperlicher Strafe.«

»Ja«, bestätigte Calvin. »Und du gelobst nicht nur Treue, sondern auch, dass du unser Geheimnis wahrst.«

Wieder nickte Jason.

»Und dass du anderen Mitgliedern des Rudels in der Not hilfst.«

Jason warf ihm einen düsteren Blick zu.

»Zum Beispiel?«, fragte ich.

»Wenn zum Beispiel Maryelizabeths Dach neu gedeckt werden muss, geben wir alle unseren Anteil, um das Material kaufen zu können, und nehmen uns Zeit, um die Arbeiten auszuführen. Wenn ein Kind Unterkunft braucht, dann steht dein Haus, Jason, diesem Kind offen. Wir kümmern uns umeinander.«

Jason nickte. »Verstehe. Damit bin ich einverstanden.«

Mein Bruder würde einiges an Freizeit einbüßen. Hoyt tat mir jetzt schon leid, und ich selbst mir auch ein bisschen, um ehrlich zu sein. Ich bekam hier ja keine Schwester dazu, sondern verlor einen Bruder, zumindest in gewissem Maße.

»Entweder willst du das von ganzem Herzen, oder du lässt es bleiben«, flüsterte ich Jason sehr leise zu. »Du bindest auch mein Leben daran. Kannst du die Versprechen, die du dieser Frau und ihrem Rudel gibst, halten, oder nicht?«

Jason sah Crystal mehrere Sekunden lang an. Ich hatte kein Recht, mich in seine Gedanken zu mischen, also drehte ich mich nach den anderen Gästen und deren Gedanken um. Da ging es hauptsächlich um Dinge, die man zu diesem Anlass sowieso erwartet hätte: ein bisschen Aufregung, auf einer Hochzeit zu sein; ein bisschen Schadenfreude, den berüchtigtsten Junggesellen der Umgebung in eine wilde junge Frau verliebt zu sehen; ein bisschen Neugier auf das seltsame Hotshot-Ritual. Hotshot, das war geradezu gleichbedeutend mit seltsam in unserem Landkreis. »Seltsam wie die aus Hotshot«, die Redensart kannte jeder. Die Kinder aus Hotshot, die in Bon Temps zur Schule gingen, machten anfangs immer eine schwere Zeit durch. Was sich nach den ersten Raufereien auf dem Spielplatz allerdings schnell wieder gab.

»Ich halte meine Versprechen«, sagte Jason heiser.

»Und ich halte meine«, echote Crystal.

Da gab's nur einen winzigen Unterschied: Jason meinte es ernst, obwohl ich bezweifelte, dass er dazu fähig war. Crystal dagegen wäre wohl dazu fähig gewesen, meinte es aber nicht ernst.

»Du bist nicht aufrichtig«, sagte ich deshalb zu ihr.

»Was erzählst du da für einen Mist«, fuhr sie mich an.

»Ich erzähle weder Mist noch sonst irgendwas«, entgegnete ich, bemüht, besonders leise zu sprechen. »Das hier ist einfach zu ernst, um zu schweigen. Ich kann deine Gedanken lesen, Crystal, vergiss das nicht.«

»Ich vergesse gar nichts«, sagte Crystal, jedes Wort einzeln betonend. »Und ich werde heute Abend Jason heiraten.«

Ich sah Calvin an. Er war beunruhigt, doch schließlich zuckte er die Achseln. »Wir können es nicht verhindern«, sagte er. Eine Sekunde lang war ich versucht, mich gegen diese Behauptung aufzulehnen. Warum nicht?, dachte ich. Ich könnte ausholen und ihr eine herunterhauen. Vielleicht wäre das genau der Skandal, mit dem man das Ganze noch aufhalten konnte. Aber ich änderte meine Meinung. Die beiden waren erwachsen, zumindest theoretisch. Und wenn sie es unbedingt wollten, würden sie heiraten, entweder hier und jetzt oder woanders an einem anderen Abend. Also machte ich gute Miene zum bösen Spiel und schluckte meine Bedenken herunter.

»Das können wir nicht«, gab ich mit meinem strahlendsten Lächeln zu, das ich immer dann aufsetzte, wenn ich mir richtig Sorgen machte. »Machen wir also weiter mit der Zeremonie.« Flüchtig bekam ich Quinns Gesicht in der Menge zu sehen. Er blickte zu mir herüber, besorgt wegen des erregten Geflüsters. Amelia dagegen plauderte fröhlich mit Catfish, den sie aus dem Merlotte's kannte. Hoyt stand allein unter einem der extra für dieses Fest aufgehängten Lampions, die Hände in den Hosentaschen. Er wirkte ernster, als ich ihn je zuvor gesehen hatte. Ein irgendwie seltsamer Anblick. Erst nach einem Augenblick erkannte ich, warum.

Es war eines der wenigen Male, dass ich Hoyt allein sah.

Ich nahm den Arm meines Bruders, und Calvin griff nach Crystals. Der Pfarrer trat zu uns in die Mitte des Kreises, und die Trauungszeremonie begann. Ich versuchte, glücklich zu wirken und mich für Jason zu freuen. Doch es fiel mir furchtbar schwer, die Tränen zurückzuhalten, als mein Bruder tatsächlich der Ehemann dieser eigensinnigen und von Geburt an gefährlichen Frau wurde.

Danach gab's Musik und Tanz, eine Hochzeitstorte, jede Menge Alkohol und Essen in Hülle und Fülle. Die riesigen Mülleimer füllten sich ziemlich schnell mit Papptellern, Bechern und zerknüllten Papierservietten. Einige Männer hatten Bierkästen und Wein mitgebracht, manche sogar harte Sachen. Niemand sollte sagen können, dass die Leute von Hotshot keine Party schmeißen konnten.

Als eine Zydeco-Band aus Monroe spielte, tanzten die Gäste bis auf die Straße hinaus. Die Musik hallte schaurig über die Felder. Ich schauderte und fragte mich, welche Beobachter dort in der Dunkelheit wohl lauern mochten.

»Die sind gut, was?«, rief Jason fröhlich. »Die Band!«

»Ja«, erwiderte ich. Er glühte geradezu vor Glück. Seine Braut tanzte mit einem ihrer Cousins.

»Deshalb hatten wir's so eilig mit dem Heiraten«, verriet er mir. »Crystal hatte gemerkt, dass sie schwanger ist, und außerdem war ihre Lieblingsband heute Abend frei, da haben wir beschlossen, es zu tun - es einfach zu tun.«

Ich konnte nur den Kopf schütteln über die Impulsivität meines Bruders, dachte aber noch rechtzeitig daran, meine Missbilligung nicht allzu deutlich zu zeigen. Die Familie der Braut hätte Anstoß nehmen können.

Quinn war ein guter Tänzer, auch wenn ich ihm einige der Cajun-Tanzschritte erst beibringen musste. Und weil jede der Hotshot-Schönheiten mit Quinn tanzen wollte, drehte ich auch einige Runden mit Calvin, Hoyt und Catfish. Quinn amüsierte sich prächtig, soweit ich es mitbekam, und ich mich, in gewisser Hinsicht, auch. Doch nachts um halb zwei nickten wir einander zu. Quinn musste am nächsten Morgen früh aufbrechen, und ich wollte gern noch mit ihm allein sein. Außerdem hatte ich es satt, ununterbrochen zu lächeln.

Während Quinn sich bei Calvin für den wunderbaren Abend bedankte, sah ich Jason und Crystal beim Tanzen zu, die beide ganz hingerissen voneinander zu sein schienen. In Jasons Gedanken las ich, dass er völlig fasziniert war von der Gestaltwandlerin, von der Subkultur, in der sie lebte, und von seinem eigenen, für ihn noch neuen Dasein als Supranaturaler. In Crystals Gedanken las ich nichts als triumphalen Jubel. Sie war entschlossen gewesen, einen Mann zu heiraten, der nicht aus Hotshot kam, ein aufregender Liebhaber war und sich nicht nur ihr selbst, sondern auch ihrer Familie gegenüber behaupten konnte... und so einen hatte sie sich jetzt geangelt.

Ich ging hinüber zu dem glücklichen Paar und gab beiden einen Kuss auf die Wange. Schließlich gehörte Crystal jetzt zur Familie, das musste ich akzeptieren. Und ich musste die beiden ihr eigenes Leben leben lassen. Ich umarmte sogar Calvin, der mich eine Sekunde lang festhielt, ehe er mich wieder losließ und mir noch mal beruhigend auf die Schulter klopfte. Catfish tanzte mit mir im Kreis herum, und der betrunkene Hoyt machte gleich weiter. Nur mit größter Mühe konnte ich die zwei davon überzeugen, dass ich wirklich gehen wollte. Aber schließlich waren Quinn und ich dann doch auf dem Weg zu meinem Auto.

Als wir uns durch die Menge drängelten, entdeckte ich Amelia, die mit einem Beau aus Hotshot tanzte. Sie waren beide unglaublich ausgelassen - und nicht nur heiter, sondern auch heftig angeheitert. Ich rief Amelia zu, dass wir aufbrechen würden, doch sie antwortete nur: »Ich fahr später woanders mit!«

Ich freute mich zwar, Amelia so glücklich zu sehen, doch irgendwie war dies ein Abend der Bedenkenträgerei. Auch ihretwegen machte ich mir ein bisschen Sorgen. Ach egal, wenn es jemanden gab, der auf sich selbst aufpassen konnte, dann war das Amelia.

Als wir endlich zu Hause angekommen waren, schlenderten wir langsam auf das Haus zu. Ich achtete nicht auf Quinns Hirnströme, denn meine eigenen waren wie betäubt von all dem Partylärm, dem Getöse der vielen Gedanken um mich herum und den Wogen aufgewühlter Emotionen. Es war ein langer Tag gewesen. Ein in mancher Hinsicht großartiger Tag! Als ich mir die allerbesten Stunden in Erinnerung rief, merkte ich, dass ich Bob auf einmal unwillkürlich anlächelte. Der große Kater strich um meine Knöchel und miaute fragend.

Ach herrje.

Ich hatte wirklich das Gefühl, ich müsse dem Kater erklären, wo Amelia abgeblieben war. Also ging ich in die Hocke, kraulte Bob und sagte (wobei ich mir unglaublich albern vorkam): »Hey, Bob. Heute wird's richtig spät werden bei Amelia, sie tanzt noch auf der Hochzeitsparty. Aber mach dir keine Sorgen, sie kommt nach Hause!« Nach diesen Worten drehte sich der Kater um und stolzierte aus dem Zimmer. Keine Ahnung, wie viel menschlicher Verstand in Bobs kleinem Katerhirn steckte. Ich konnte nur hoffen, dass er einfach einschlafen und unser seltsames Gespräch vergessen würde.

In diesem Moment hörte ich Quinn aus meinem Schlafzimmer nach mir rufen. Ich schob alle Bedenken wegen Bob von mir. Schließlich war dies unsere letzte gemeinsame Nacht, vielleicht für Wochen.

Beim Zähneputzen und Gesichtwaschen flammte eine letzte Sorge um Jason in mir auf. Mein Bruder hatte sich sein Bett selbst bereitet. Hoffentlich würde er wenigstens eine Zeit lang bequem darin liegen. Er ist erwachsen, sagte ich mir wieder und wieder, zog mein hübschestes Nachthemd an und ging ins Schlafzimmer.

Quinn zog mich an sich. »Mach dir keine Sorgen, Liebling, mach dir keine Sorgen ...«

Und dann verbannte ich meinen Bruder und Bob aus meinen Gedanken und aus diesem Schlafzimmer. Mit der Hand strich ich über Quinns kahl rasierten Kopf und folgte ganz langsam der Linie seines Halses bis hinunter zur Wirbelsäule. Wie sehr ich es liebte, wenn er so erbebte.