Kapitel 16

Um vier Uhr morgens war ich schließlich ins Bett gegangen, und ich wachte mittags wieder auf. Diese acht Stunden waren keine guten acht Stunden. Anfangs wälzte ich mich im Halbschlaf hin und her und schwitzte ständig, was vielleicht mit dem Vampirblut zu tun hatte ... oder auch nicht. Außerdem träumte ich schlecht, und zweimal meinte ich, Carla käme ins Zimmer. Doch als ich die Augen öffnete, war sie nicht da. Das unheimliche Licht, das durch die stark getönten Scheiben auf der Etage für Menschen hereinfiel, wirkte nicht wie echtes Tageslicht. Herrje, das alles machte mich fertig.

Nach einer langen Dusche fühlte ich mich ein wenig besser und wählte die Nummer des Zimmerservice, weil ich etwas essen wollte. Doch dann beschloss ich, nach unten in das kleine Restaurant zu gehen. Ich wollte andere Menschen sehen.

Es waren einige dort, Carla zwar nicht, aber ein, zwei Vampirgeliebte und Barry. Er deutete auf den leeren Stuhl an seinem Tisch, und ich ließ mich darauf fallen. Dann sah ich mich nach dem Kellner um, ich brauchte dringend Kaffee. Er wurde mir umgehend serviert. Freudenschauer durchliefen mich beim ersten Schluck. Nach der ersten Tasse sagte ich (auf meine Weise): Wie geht's dir? Warst du die ganze Nacht auf?

Nein, Stan ist mit seiner neuen Freundin schnell ins Bett verschwunden, da wurde ich nicht mehr gebraucht. Sie sind noch ganz frisch verliebt. Eine Zeit lang war ich auf dem Ball, dann habe ich mit der Kosmetikerin der Königin von Iowa herumgehangen. Er hob vielsagend die Brauen, um mir zu verstehen zu geben, wie heiß die Kosmetikerin war.

Wie sieht denn dein Programm für heute aus?

Hast du auch so was unter der Tür durchgeschoben bekommen? Barry legte einen Stapel Blätter mitten auf den Tisch, gerade als der Kellner mir meinen Englischen Muffin und Eier brachte.

Ja, hab ich in meine Handtasche gestopft. Wow, ich konnte mich mit Barry unterhalten, während ich aß. Die anständigste Art, mit vollem Mund zu reden, auf die ich je gekommen war.

Sieh's dir mal an.

Während Barry ein Brötchen aufschnitt und mit Butter bestrich, überflog ich die Seiten. Ein Programmplan für die Nacht, ziemlich hilfreich. Sophie-Annes Prozess war das schwerwiegendste Gerichtsverfahren gewesen und das Einzige, in das Angehörige der herrschenden Schicht verwickelt waren. Aber es gab noch einige andere. Die erste Sitzung war für 20 Uhr angesetzt, es ging um einen privaten Streitfall wegen Körperverletzung. Eine Vampirin aus Wisconsin namens Jodi (schon das erschien mir unwahrscheinlich) wurde von einem Vampir aus Illinois namens Michael verklagt. Michael behauptete, Jodi hätte gewartet, bis er sich zur Tagesruhe begab, und ihm dann einen Fangzahn herausgebrochen. Mit einer Kneifzange.

Wow. Klingt ... interessant. Ich hob die Augenbrauen. Aber wieso kümmern sich die Sheriffs nicht darum? Solche Dinge hängten Vampire eigentlich nicht gern an die große Glocke.

»Zwischenstaatliche Affäre«, sagte Barry kurz und bündig. Der Kellner hatte mir gerade eine ganze Kanne Kaffee gebracht, daher schenkte auch Barry sich nach, sobald er meine Tasse gefüllt hatte.

Ich blätterte weiter. Im nächsten Fall ging's um eine Vampirin namens Cindy Lou Suskin aus Kansas City, Missouri, die ein Kind herübergeholt hatte. Cindy Lou behauptete, das Kind wäre sowieso an einer Blutkrankheit gestorben und sie habe stets ein Kind gewollt; und jetzt habe sie eben ein Vampirkind, das nie ein Teenager werden würde. Außerdem sei der Junge mit dem schriftlich vorliegenden Einverständnis seiner Eltern herübergeholt worden. Die vom Staat bestellte Rechtsanwältin Kate Book aus Kansas City, Kansas, die das Wohlergehen des Kindes überwachen sollte, beschwerte sich, weil der Junge sich nun weigerte, seine Eltern zu besuchen oder überhaupt etwas mit ihnen zu tun zu haben, was der Vereinbarung zwischen den Eltern und Cindy Lou widersprach.

Klang irgendwie nach einer dieser Sendungen aus dem Nachmittagsfernsehen. Wie hießen gleich all diese Gerichtsshows wieder?

Heute Abend stehen also Verhandlungen an, fasste ich zusammen, nachdem ich auch noch die restlichen Blätter angesehen hatte. »Da werden wir wohl gebraucht, was?«

»Ja, glaub schon. Im zweiten Fall gibt es menschliche Zeugen. Stan will, dass ich anwesend bin, und ich wette, deine Königin will dich auch dabeihaben. Ihr Untertan Bill ist einer der berufenen Richter. Könige und Königinnen können nur von anderen Königen und Königinnen verurteilt werden, aber für Fälle rangniedrigerer Vampire werden die Richter aus weiteren Kreisen berufen. Und diesmal wurde Bills Name aus dem Hut gezaubert.«

»Na, bestens.«

Du hattest mal was mit ihm?

Ja. Aber wahrscheinlich ist er ein guter Richter. Keine Ahnung, wie ich darauf kam. Schließlich hatte Bill ja gerade mir gegenüber bewiesen, dass er zu Betrug im ganz großen Stil fähig war. Aber ich glaubte, dass er sich um Fairness und Sachlichkeit bemühen würde.

Die Gerichtsverfahren sollten von 20 bis 23 Uhr dauern. Die Zeit danach von Mitternacht bis vier Uhr morgens war mit »Handel« überschrieben. Barry und ich sahen einander an und zuckten die Achseln.

»Tauschhandel?«, schlug ich vor. »Flohmarkt?«

Barry hatte keine Ahnung.

Die vierte Nacht der Konferenz war die letzte, und die erste Hälfte stand unter dem Motto »Freizeit für alle in Rhodes«. Einige der vorgeschlagenen Unternehmungen: eine Vorführung der beiden Tänzer Sean und Layla oder besser gesagt ihres Tanzstudios. Es wurde zwar nicht deutlich ausgesprochen, aber irgendwie wurde ich den Eindruck nicht los, dass es sich da um eindeutig erotisch angehauchte Tänze handelte. Verschiedene Paare des Tanzstudios würden in verschiedenen Bars auftreten. Außerdem wurde den Gastvampiren geraten, den Zoo zu besuchen, der zu diesem Anlass extra eine Nachtführung anbot, oder das Stadtmuseum, für das das Gleiche galt. Und sie konnten auch den Nachtclub Kuss & Biss aufsuchen, der »all denen gefallen wird, die eher morbiden Vergnügungen frönen«. Erinnere mich, die Straßenseite zu wechseln, wenn wir daran vorbeikommen, sagte ich zu Barry.

Hast du nichts übrig für einen kleinen Biss? Barry fuhr sich mit der Zunge über die eigenen stumpfen Eckzähne, so dass ich die Andeutung nicht missverstehen konnte.

Doch, doch, kann eine Menge Spaß machen, erwiderte ich, weil ich das schlecht bestreiten konnte. Aber ich glaube, in diesem Nachtclub bleibt's kaum bei ein bisschen Knabbern im Nacken. Hast du gerade viel zu tun? Ich habe ein paar Dinge für Eric zu erledigen und könnte ein wenig Hilfe gebrauchen.

Klar, sagte Barry. Worum geht's denn?

Wir müssen Clubs für Bogenschützen finden.

»Dies hier wurde an der Rezeption für Sie abgegeben, Miss«, sagte plötzlich unser Kellner, legte einen Umschlag auf den Tisch und zog sich sofort wieder zurück, als hätten wir die Tollwut. Offensichtlich hatte ihn unser stummes Gespräch erschüttert.

In dem Umschlag fand ich ein Bild von Kyle Perkins. Angeheftet war eine Notiz in Bills vertrauter, enger Handschrift. »Sookie: Eric sagt, du brauchst dieses Foto für Nachforschungen. Sei vorsichtig. William Compton.« Ich wollte den Kellner gerade nach einem Telefonbuch fragen, da entdeckte ich ein weiteres Blatt. Bill hatte im Internet gesurft und eine Liste mit allen Clubs für Bogenschützen in Rhodes beigelegt. Es waren nur vier. Ich versuchte, nicht allzu beeindruckt von Bills Aufmerksamkeit und Hilfe zu sein. Von Bill ließ ich mich nicht mehr beeindrucken.

Ich rief in der Hotelgarage an, um eins der Autos zu bekommen, die die Arkansas-Delegation mitgebracht hatte. Sie gehörten jetzt der Königin, und Eric hatte mir eins davon angeboten.

Barry ging nach oben, um seine Jacke zu holen, und ich stand am Haupteingang, wartete auf das Auto und fragte mich, wie viel Trinkgeld ich dem Hotelfahrer geben sollte, als ich Todd Donati entdeckte. Obwohl er schlank war, kam er mit langsamen, schweren Schritten auf mich zu. Er sah gar nicht gut aus heute, sein zurückweichender Haaransatz war grau und verschwitzt, und sogar sein Schnauzbart hing irgendwie schlapp herab.

Einen Augenblick lang stand er nur vor mir, wortlos. Vielleicht nahm er seinen Mut zusammen oder kämpfte seine Hoffnungslosigkeit nieder. Wenn ich je einen Mann gesehen hatte, dem der Tod im Nacken saß, so Todd Donati.

»Mein Boss hat Interesse, mit Ihrer Chefin gemeinsame Sache zu machen«, sagte er unvermittelt. Hätte ich mir einen Satz ausdenken müssen, um unser Gespräch zu eröffnen, darauf wäre ich garantiert nicht gekommen.

»Tja, sie zieht eine Menge Interesse auf sich als Witwe«, erwiderte ich.

»Er ist in vieler Hinsicht ein altmodischer Kerl«, sagte Todd Donati. »Stammt aus einer alten Familie, mag den modernen Kram nicht.«

»Mhmm«, machte ich und versuchte neutral, aber ermutigend zu klingen.

»Er findet, Frauen können keine eigenen Entscheidungen treffen oder sich selbst zur Wehr setzen«, fuhr der Sicherheitschef fort.

Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wovon er sprach.

»Auch Vampirinnen nicht«, fügte er hinzu und sah mich direkt an.

»Okay.«

»Denken Sie darüber nach«, sagte Donati. »Ihre Königin soll ihn fragen, wo das Video der Sicherheitskamera ist, das den Bereich vor ihrer Suite zeigt.«

»Werd ich ihr sagen«, versicherte ich, ohne zu wissen, warum eigentlich. Und dann kehrte der todkranke Mann auf dem Absatz um und ging davon wie einer, der seine Pflicht getan hat.

Dann kam das Auto, Barry eilte aus dem Fahrstuhl herbei, und jeder Gedanke, den ich mir über diese Begegnung hätte machen können, verblasste augenblicklich vor der Angst, in der Großstadt Rhodes Auto fahren zu müssen. Eric war sicher nicht auf die Idee gekommen, dass es mir schwerfallen könnte, weil er über solche Sachen einfach nicht nachdachte. Hätte ich Barry nicht bei mir gehabt, wäre es beinahe unmöglich gewesen. Das Fahren allein ging ja noch und auch das Lesen des Stadtplans, den uns der Parkwächter geliehen hatte, aber beides gleichzeitig war unmöglich.

Ich schlug mich ganz gut, obwohl der Verkehr dicht und das Wetter kalt und regnerisch war. Seit unserer Ankunft war ich aus dem Hotel nicht herausgekommen, und es hatte etwas Erfrischendes, die Außenwelt zu sehen. Außerdem war dies vermutlich meine einzige Gelegenheit, einen Blick auf den Rest der Stadt zu werfen. Also sah ich mich um, so gut es ging. Wer weiß, ob ich je wieder in diese Stadt kommen würde? Zumal sie so weit im Norden lag.

Barry steckte eine Route ab, und so begannen wir unsere Tour durch die Clubs für Bogenschützen in Rhodes.

Zuerst fuhren wir zu dem am weitesten abgelegenen, einem gewissen Club Pfeilgerade, zu dem ein langer schmaler Trainingsplatz an einer sehr belebten Straße gehörte, der geradezu strahlte, so gut war er ausgeleuchtet - mit »qualifizierten Trainern« hinter dem Verkaufstresen im Shop, die »schwer bewaffnet« waren. Darauf wies extra ein großes Schild hin. Die Männer dort beeindruckte Barrys Südstaatenakzent kein bisschen; der ließ ihn bloß dämlich erscheinen, fanden sie. Als ich mit ihnen sprach, dachten sie, dass ich ja ganz niedlich sei. Tja, auch nicht gerade ein Kompliment, denn ihre Hintergedanken besagten: Frauen waren sowieso ein bisschen dämlich, daher unterstrich der Südstaatenakzent nur ihre reizende Schlichtheit. Richtige Männer sprachen in hartem, klarem Tonfall, Männer aus dem Süden klangen daher alle dämlich und schwach.

Aber egal, denn abgesehen von ihren Vorurteilen waren diese Männer auch nicht sonderlich hilfreich. Sie hatten nie einen Kyle Perkins in einem ihrer Nachtkurse gehabt und auch nie einen ihrer Trainingsplätze an ihn vermietet.

Wegen der Missachtung, die er hatte erdulden müssen, war Barry so wütend, dass er den zweiten Club nicht mal mehr betreten wollte. Also marschierte ich allein mit dem Bild in der Hand hinein, und der Mann hinter dem Tresen in dem Shop für Bogenschützenbedarf, der kaum Ware hatte, sagte sofort: »Nein.« Er fragte nicht nach dem Bild, wollte nicht wissen, wieso ich nach Kyle Perkins suchte, und wünschte mir zum Abschied auch keinen schönen Tag. Hier wies kein Schild auf seine furchterregende Ausrüstung hin. Vermutlich brachte er die Leute mit schierer Unhöflichkeit zur Strecke.

Der dritte Club, der Bogenschützenclub Monteagle, befand sich in einem lang gestreckten Gebäude, das einst Bowlingbahnen beherbergt haben könnte. Auf dem Parkplatz standen ein paar Autos, und ein Schild an der schweren, blickdichten Tür ordnete an: »Halt, weisen sie sich aus.« Barry und ich konnten es schon vom Auto aus lesen. Es wirkte ein bisschen bedrohlich.

»Es ist mir sowieso zu langweilig, immer bloß im Auto zu sitzen«, sagte er galant und begleitete mich. Wir waren fast an der Tür, als ich die Überwachungskamera über unseren Köpfen entdeckte und Barry warnte. Barry und ich schauten so nett wie möglich drein und hielten unsere Ausweise in die Kamera. Nach ein paar Sekunden hörten wir ein lautes »Klick«, und die Tür öffnete sich. Barry hielt mir die Tür auf, während ich eintrat, dann folgte er mir.

Über die gesamte Länge der gegenüberliegenden Wand zog sich ein Verkaufstresen, hinter dem eine Frau in meinem Alter saß, mit kupferrotem Haar und einer Hautfarbe, die von einer interessanten Völkermischung herrührte. Die Augenbrauen hatte sie schwarz gefärbt, was dem Farbenspiel eine leicht bizarre Note verlieh.

Sie musterte uns und unsere Ausweise noch mal genauso sorgfältig wie schon über die Kamera, und in ihren Gedanken las ich, dass ihr Barry sehr viel besser gefiel als ich. Das hier solltest du übernehmen, sagte ich zu Barry.

Ja, verstehe, erwiderte er, und als ich Kyle Perkins' Bild auf den Tresen legte, fragte er: »Können Sie uns sagen, ob dieser Mann je hier war, um zu trainieren oder Pfeile zu kaufen?«

Sie fragte nicht einmal, warum wir das wissen wollten, sondern beugte sich gleich über das Bild, vielleicht ein wenig zu weit, so dass Barry die schön geschwungene Linie ihres Halses bewundern konnte. Es dauerte nicht lange, und sie verzog das Gesicht. »Ja, der kam gestern gleich nach Anbruch der Dunkelheit herein«, sagte sie. »Wir hatten noch nie einen Vampirkunden, eigentlich wollte ich ihn gar nicht bedienen. Aber was soll man machen? Er hatte Geld, und das Gesetz untersagt Diskriminierung.« Tja, sie war zweifellos eine Frau, die nur allzu bereitwillig jeden diskriminieren würde.

»War er allein?«, fragte Barry.

»Oh, mal überlegen.« Sie warf den Kopf zurück, wieder eine Pose für Barry. Sie fand seinen Südstaatenakzent nicht dämlich, sie fand ihn reizvoll und sexy. »Ich erinnere mich nicht. Aber wissen Sie was? Ich werde später das Videoband der Überwachungskamera von gestern Abend heraussuchen, das haben wir noch. Das können Sie sich dann ansehen, okay?«

»Wäre das auch sofort möglich?«, fragte ich süßlich lächelnd.

»Na ja, im Moment kann ich den Tresen nicht verlassen. Es ist sonst keiner hier für den Shop, und die Bänder werden im Büro aufbewahrt. Aber wenn Sie heute Abend wiederkommen wollen, wenn ich abgelöst werde« - sie sah Barry direkt in die Augen, damit ich begriff, dass ich nicht zu kommen brauchte -, »können Sie einen Blick darauf werfen.«

»Um wie viel Uhr?«, fragte Barry, eher widerwillig.

»Sagen wir um sieben? Da habe ich Feierabend.«

Barry reagierte nicht auf die Anspielung, versprach aber, um sieben wiederzukommen.

»Danke«, sagte ich, als wir uns wieder anschnallten, »Du tust mir echt einen Gefallen.« Ich rief im Hotel an und hinterließ eine Nachricht für die Königin und Andre, damit sie wussten, wo ich war und was ich tat, und nicht gleich durchdrehten, wenn ich nach ihrem Aufwachen - herrje, es war schon bald so weit - nicht sofort zu ihrer Verfügung stand. Schließlich war ich auf Erics Anweisung unterwegs.

»Du musst mitkommen«, sagte Barry. »Mit der Frau treffe ich mich nicht allein. Die frisst mich bei lebendigem Leib. Das war doch die typisch aufdringliche Nordstaatlerin.«

»Okay. Ich bleibe draußen im Auto sitzen, und du rufst mich in Gedanken, wenn sie über dich herfällt.«

»Abgemacht.«

Um die Zeit zu überbrücken, tranken wir in einer Bäckerei Kaffee und aßen Kuchen. Richtig lecker. Meine Großmutter war immer überzeugt gewesen, die Frauen der Nordstaaten könnten weder backen noch kochen. Hach, die reinste Freude, herauszufinden, wie sehr sie sich geirrt hatte. Und auch mein Appetit war die reinste Freude, denn mit jedem Bissen stellte ich erleichtert fest, dass ich genauso hungrig war wie immer. Nichts Vampirartiges an mir, rein gar nichts!

Wir tankten, suchten uns den Rückweg zum Pyramide-Hotel heraus, und dann war es auch schon Zeit, zu dem Club für Bogenschützen und der Kupferroten zurückzufahren. Der Himmel war inzwischen nachtblau, und die Stadt leuchtete von den vielen Lichtern. Ich fühlte mich richtig städtisch und glamourös, während ich durch diese große, berühmte Stadt kurvte. Und ich hatte eine Aufgabe, die ich gerade erfolgreich erledigte. Na, eine Landpomeranze war ich jedenfalls nicht.

Doch dieses Hochgefühl von Glück und Überlegenheit hielt nicht lange an.

Das erste Anzeichen, dass im Bogenschützenclub Monteagle etwas nicht stimmte, war die schwere Tür, die schief in den Angeln hing.

»Mist«, fluchte Barry. Das fasste meine Gefühle prima zusammen.

Widerstrebend stiegen wir aus, warfen immer wieder Blicke in alle Richtungen und gingen schließlich zur Tür.

»Aufgesprengt oder aus den Angeln gehoben?«, fragte ich.

Barry hockte sich hin, um es genauer sehen zu können. »Ich bin nicht 007«, sagte er, »aber ich glaube, die Tür wurde aus den Angeln gehoben.«

Zweifelnd betrachtete ich die Tür. Doch als ich sie mir näher ansah, erkannte auch ich die verbogenen Scharniere. Eins zu null für Barry.

»Okay«, sagte ich. Jetzt kommt der Part, in dem wir da hineingehen müssen.

Barrys Miene spannte sich an. Ja, meinte er, aber sehr sicher klang es nicht. Barry hatte mit Konfrontation oder Gewalt eindeutig nichts am Hut. Er wollte bloß gutes Geld verdienen und hatte einen bestens zahlenden Boss gefunden. In diesem Moment fragte er sich, ob irgendein Geldbetrag ihn für das hier entschädigen könnte, und er dachte, dass er einfach ins Auto steigen und verschwinden würde, wenn er nicht mit einer Frau hier wäre.

Manchmal konnte männlicher Stolz doch auch ganz nützlich sein. Jedenfalls wollte ich das hier nicht allein machen.

Ich zog die Tür weiter auf, die mit einem spektakulären Quietschen und Krachen antwortete, als sie vollends aus den Angeln fiel und auf den Kiesboden knallte.

»Hi, wir sind's«, rief Barry matt. »Ist da irgendwer...«

Als der Krach nachließ und uns nichts aus dem Gebäude angesprungen und gefressen hatte, richteten Barry und ich uns auf (wir hatten uns instinktiv geduckt). Ich holte einmal tief Luft. Dies war meine Aufgabe, denn Eric hatte mich losgeschickt. Also trat ich in den Lichtschein der leeren Türöffnung und tat einen großen Schritt über die Schwelle in das Gebäude hinein. Bei einem kurzen Scan hatte ich keinen Hinweis auf ein Hirn gefunden. Tja, ich konnte mir ziemlich gut denken, was ich vorfinden würde.

Genau, die Kupferrote war tot. Alle viere von sich gestreckt lag sie auf dem Tresen, nur ihr Kopf hing an der Seite herab. In ihrer Brust steckte ein Messer. Etwas links von mir musste irgendwem schlecht geworden sein - das war kein Blut. Also war mindestens ein Mensch dabei gewesen. Ich hörte, wie Barry das Gebäude betrat und abrupt stehen blieb, genau wie ich.

Bei unserem ersten Besuch hatte ich zwei Türen bemerkt, die von diesem Raum abgingen. Eine zur Rechten, außerhalb des Tresens, durch die die Kunden zu den Waren gelangten. Und eine hinter dem Tresen, durch die die Angestellten für eine Pause verschwinden oder Kunden im Shop bedienen konnten. Das Video, das wir ansehen wollten, befand sich sicher da hinten. Wo sonst sollten Sicherheitsdinge aufbewahrt werden? Die große Frage war, ob es immer noch dort war.

Am liebsten hätte ich mich umgedreht und wäre ohne einen weiteren Blick weggelaufen, weil ich eine Höllenangst hatte. Doch diese Frau war wegen des Videos gestorben, und es erschien mir wie eine Beleidigung ihres unfreiwilligen Opfers, wenn ich mich jetzt nicht wenigstens um das Sicherheitsvideo bemühte. Das klingt vielleicht nicht sonderlich sinnvoll, aber so fühlte ich mich eben.

Ich kann hier niemand anderen entdecken, sagte Barry.

Ich auch nicht, antwortete ich, nachdem ich noch einen zweiten, sorgfältigeren Scan durchgeführt hatte.

Barry wusste natürlich genau, was ich vorhatte. Soll ich mitkommen?, fragte er.

Nein, warte draußen. Ich rufe, wenn ich dich brauche. Ehrlich gesagt, wäre es schon schön gewesen, ihn in der Nähe zu haben. Aber es stank so sehr in dem Raum, das hielt keiner länger als eine Minute aus, und unsere Minute war längst um.

Ohne zu protestieren, lief Barry hinaus. Ich ging den Tresen entlang bis zu einer freien Stelle. Über den Tresen zu klettern, auf dem auch die Leiche lag, war unbeschreiblich gruselig. Ich war bloß froh, dass ihre blicklosen Augen nicht auf mich gerichtet waren, als ich mit einem Taschentuch die Stellen abwischte, die ich mit den Händen angefasst hatte.

Auf der anderen Seite des Tresens zeigten sich eindeutige Spuren eines Kampfes. Sie hatte sich stark gewehrt. Hier und dort waren Blutflecken, und Papiere waren zu Boden gefallen. Unter dem Tresen war sogar ein Alarmknopf, doch vermutlich hatte sie keine Zeit gehabt, ihn zu drücken.

In dem Büro hinter dem Tresen brannte Licht, wie ich durch die halb geöffnete Tür sah. Ich stieß sie mit dem Fuß an, und mit einem leisen Quietschen schwang sie auf. Wieder sprang nichts auf mich zu. Ich holte noch einmal tief Luft und ging hinein.

Der Raum war eine Mischung aus Sicherheitszentrale, Büro und Pausenzimmer. An den Wänden waren Schreibtische mit Bürostühlen aufgestellt, und es gab einige Computer, eine Mikrowelle und einen kleinen Kühlschrank, das Übliche halt. Und da waren auch die Sicherheitsvideos, auf dem Boden aufgestapelt, allerdings schwelten sie vor sich hin. In dem Raum da draußen hatte es bereits derart gestunken, dass dieser Geruch gar nicht aufgefallen war. Es gab noch eine andere Tür, die hier hinausführte, aber ich prüfte lieber nicht, wohin, denn sie wurde von einer Leiche blockiert: ein Mann, der mit dem Gesicht nach unten dalag, ein Glück. Nachsehen, ob er Hilfe brauchte, musste da niemand mehr. Der war auf jeden Fall mausetot. Vermutlich die Ablösung der Kupferroten, dachte ich.

»So eine Scheiße«, sagte ich laut und dachte nur: Gott sei Dank kann ich hier wieder abhauen. Ein Gutes hatten die verbrannten Sicherheitsvideos ja: Der Beweis unseres früheren Besuches war damit auch vernichtet.

Auf dem Weg hinaus drückte ich mit dem Ellbogen den Alarmknopf in der Hoffnung, dass es irgendwo auf einer Polizeiwache klingeln und bald jemand kommen würde.

Barry wartete draußen bereits auf mich, aber dessen war ich mir sowieso zu 99 Prozent sicher gewesen. Okay, zugegeben, es hätte mich nicht total überrascht, wenn er ohne mich losgefahren wäre. »Hauen wir ab! Ich habe den Alarm ausgelöst!«, rief ich. Wir sprangen ins Auto und brausten davon.

Ich fuhr, denn Barry war ganz grün im Gesicht. Einmal mussten wir an den Straßenrand fahren (bei dem Verkehr in Rhodes keine leichte Übung), weil er sich übergeben musste. Das konnte ihm keiner vorwerfen. Wir hatten Schreckliches gesehen. Doch ich war zum Glück mit einem starken Magen gesegnet und hatte schon Schlimmeres erlebt.

Wir kamen rechtzeitig zu den Gerichtsverhandlungen zurück ins Hotel. Barry sah mich entgeistert an, als ich sagte, ich müsse mich gleich dafür umziehen. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, was ich dachte. Oje, es musste ihm echt miserabel gehen.

»Wie kannst du da jetzt hingehen?«, fragte er. »Wir müssen irgendwem erzählen, was passiert ist.«

»Ich habe die Polizei alarmiert oder wenigstens eine Sicherheitsfirma, die Bericht erstatten wird«, sagte ich. »Was sonst könnten wir tun?« Wir standen im Fahrstuhl, der uns von der Hotelgarage in die Lobby fuhr.

»Wir müssen mit ihnen reden.«

»Warum?« Die Türen öffneten sich, und wir traten in die Lobby.

»Um es ihnen zu erzählen.«

»Was?«

»Dass gestern Abend jemand hier mit Pfeilen geworfen hat und... na ja, auch dich beinahe einer getroffen hätte.« Er verstummte.

»Genau. Siehst du?« Ich hatte seine Gedanken gelesen, und er war zu der richtigen Schlussfolgerung gekommen.

»Würde das helfen, den Mord an der Frau aufzuklären? Vermutlich nicht, denn der Typ ist tot, und die Sicherheitsvideos sind zerstört. Und sie würden hierherkommen und einigen der ranghöchsten Vampire der Vereinigten Staaten Fragen stellen. Wer würde mir das danken? Keiner, so viel ist sicher.«

»Aber wir können doch nicht nur zusehen und nichts tun.«

»Das ist nicht ideal, zugegeben. Aber es ist realistisch. Und sinnvoll.«

»Oh, jetzt ist es also sinnvoll?«, kreischte Barry.

»Sie schreien meine - äh, Sookie an«, sagte Eric, der plötzlich neben mir stand, und erntete ein weiteres (diesmal wortloses) Kreischen von Barry. Zu diesem Zeitpunkt war es Barry bereits egal, ob er mich je im Leben wiedersehen würde. Und obwohl ich das alles weniger drastisch einschätzte, wusste auch ich, dass wir keine Brieffreunde mehr werden würden.

Eric hatte sich zwar eine nähere Bezeichnung dessen, was ich für ihn war, gespart, aber ich war genauso erschrocken wie Barry. »Brauchst du irgendwas?«, fragte ich in einem Ton, der ihn gleich warnen sollte, dass ich zu keinerlei Zweideutigkeiten aufgelegt war.

»Was hast du heute herausgefunden?«, fragte er, nun ganz auf das Geschäftliche konzentriert.

»Du kannst ruhig gehen«, meinte ich zu Barry, der sich das nicht zweimal sagen ließ.

Eric sah sich nach einem stillen Plätzchen um, fand aber keins. Die Lobby war voller Vampire, die zu den Prozessen wollten, miteinander plauderten oder flirteten. »Komm«, sagte er, gar nicht so befehlsmäßig, wie es scheinen mag, und wir gingen zum Fahrstuhl und fuhren in sein Zimmer hinauf. Eric wohnte auf der neunten Etage, die sehr viel größer war als die der Königin. Dort gab es mindestens zwanzig Zimmer, und es war auch viel mehr los. Wir trafen ein paar Vampire auf dem Weg zu Erics Zimmer, das er sich, wie er erzählte, mit Pam teilte.

Ich war ziemlich neugierig, mal ein normales Vampirzimmer zu sehen, denn in der Suite der Königin kannte ich ja nur den Salon. Doch es war eine Enttäuschung, und wenn man von den Reisesärgen absah, wirkte es ziemlich gewöhnlich. Okay, so richtig absehen konnte man davon natürlich nicht. Pams und Erics Särge ruhten auf schicken Gestellen aus schwarz gestrichenem Holz, die mit Hieroglyphen in Gold bemalt waren und dem Raum einen gewissen atmosphärischen Touch verliehen. Außerdem gab es noch zwei Doppelbetten und ein winziges Badezimmer, in dem alle Handtücher ordentlich aufgehängt waren, wie ich sehen konnte, denn die Tür stand offen. Als er bei mir wohnte, hatte Eric seine Handtücher nie aufgehängt, und auch hier kümmerte sich wohl eher Pam um solche Dinge. Es hatte etwas seltsam Häusliches. Pam hob vermutlich schon über ein Jahrhundert lang Handtücher für Eric auf. Guter Gott, ich hatte das kaum zwei Wochen lang ausgehalten.

Mit den Särgen und den Betten war das Zimmer ein bisschen überfüllt, und ich fragte mich, womit sich rangniedrigere Vampire, sagen wir auf der zwölften Etage, wohl so abfinden mussten. Konnte man Särge etwa als Stockbett-Konstruktion aufstellen? Okay, okay, all diesen Unsinn überlegte ich mir bloß deshalb, weil ich nicht daran denken wollte, dass ich allein mit Eric auf seinem Zimmer war. Wir setzten uns, Eric sich auf das eine, ich mich auf das andere Bett. Er beugte sich vor. »Erzähl.«

»Tja, keine guten Nachrichten«, sagte ich, um ihn gleich auf die richtige Spur zu bringen.

Seine Miene verdüsterte sich, die blonden Augenbrauen zogen sich zusammen, die Mundwinkel zeigten nach unten.

»Wir haben einen Club für Bogenschützen gefunden, mit Shop, den Kyle Perkins aufgesucht hat. Du hattest also recht. Barry hat mich begleitet, weil er mir einen Gefallen tun wollte - das war wirklich nett«, erzählte ich, um fair zu bleiben. »Um den Nachmittag kurz zusammenzufassen: Wir haben den richtigen Club beim dritten Anlauf gefunden, und die Frau hinter dem Tresen hat uns angeboten, einen Blick auf das Sicherheitsvideo des Abends zu werfen, an dem Kyle dort war. Ich dachte, vielleicht sehen wir jemanden in seiner Begleitung, den wir kennen. Aber sie wollte, dass wir noch mal wiederkommen, am Ende ihrer Schicht, abends um sieben.« Ich hielt kurz inne und holte tief Luft. Eric verzog keine Miene. »Wir waren zur verabredeten Zeit da, doch sie war tot, ermordet, in dem Shop des Clubs. Ich habe einen Blick in das Büro geworfen, die Sicherheitsvideos waren verbrannt worden.«

»Wie wurde sie ermordet?«

»Erstochen, das Messer steckte noch in ihrer Brust. Und der Mörder oder seine Begleitung hat sich übergeben. Und es wurde noch ein Mann ermordet, der auch dort gearbeitet hat. Aber ich weiß nicht, wie.«

»Ah.« Eric dachte kurz nach. »Sonst noch was?«

»Nein«, sagte ich und stand auf, um zu gehen.

»Barry war wütend auf dich.«

»Ja, aber er kommt drüber weg.«

»Was hat er denn?«

»Er findet, ich verhalte mich nicht... Er findet, wir hätten nicht einfach gehen dürfen. Oder ... ach, ich weiß nicht. Er hält mich für gefühllos.«

»Ich finde, du hast das außerordentlich gut gemacht.«

»Na, großartig!« Doch ich riss mich zusammen. »Tut mir leid. Ich weiß, das sollte ein Kompliment sein. Aber so gut fühle ich mich nun mal nicht, immerhin ist sie gestorben. Und ich habe sie da einfach liegen lassen, auch wenn's das einzig Sinnvolle war.«

»Du hast zu viele Skrupel.«

»Ja.«

Ein Klopfen an der Tür. Weil Eric sich nicht rührte, ging ich hin und öffnete. Nein, nein, das hatte nichts mit Sexismus, sondern etwas mit dieser Vampirhierarchie zu tun. Und ich war nun mal eindeutig der Underdog im Zimmer.

Vor der Tür stand Bill - na super. Das hatte mir zu meinem Glück an diesem Tag gerade noch gefehlt. Ich trat zur Seite und ließ ihn ein, denn verflixt noch mal, ich musste Eric ja wohl nicht erst fragen, oder?

Bill sah mich von oben bis unten an, wohl um zu prüfen, ob meine Kleider alle am richtigen Platz waren. Dann ging er ohne ein Wort an mir vorbei. Herrgott, ich verdrehte die Augen - und hatte dann eine brillante Idee: Anstatt zu weiteren Diskussionen ins Zimmer zurückzukehren, trat ich auf den Flur und schloss die Tür hinter mir. Eilig lief ich davon, schnappte mir einen Fahrstuhl, und keine zwei Minuten später schloss ich schon meine eigene Tür auf.

Ende des Problems.

Ich war einigermaßen stolz auf mich.

Carla war in unserem Zimmer, mal wieder nackt.

»Hi«, grüßte ich sie. »Zieh dir bitte was an.«

»Hey. Na klar, wenn's dich stört«, sagte sie ziemlich entspannt und zog einen Bademantel über. Wow. Ende eines weiteren Problems. Direkte Handlungen, ehrliche Aussagen, offensichtlich waren genau das die Dinge, die mir das Leben erleichterten.

»Danke«, sagte ich. »Siehst du dir gar nicht diese Gerichtsverhandlungen an?«

»Menschliche Freundinnen sind da nicht erwünscht«, erwiderte Carla. »Wir haben frei. Gervaise und ich gehen später in einen Nachtclub. Irgend so einen richtig extremen Schuppen namens Kiss & Biss.«

»Sei vorsichtig«, sagte ich. »Es kann richtig schlimm enden, wenn zu viele Vampire und ein, zwei blutende Menschen zusammenkommen.«

»Mit Gervaise werde ich schon fertig«, meinte Carla.

»Nein, wirst du nicht.«

»Er ist völlig verrückt nach mir.«

»Bis er nicht mehr völlig verrückt ist. Oder bis ein älterer Vampir ein Auge auf dich wirft und Gervaise in einen echten Konflikt gerät.«

Eine Sekunde lang wirkte sie verunsichert, eine Miene, die man bei Carla vermutlich nicht allzu oft zu sehen bekam.

»Was ist mit dir? Ich habe gehört, du hast jetzt eine Verbindung mit Eric.«

»Nur eine Zeit lang«, sagte ich entschlossen. »Das vergeht wieder.«

Ich begleite nie wieder Vampire irgendwohin, versprach ich mir selbst. Ich habe mich von dem vielen Geld und der aufregenden Reise dazu verführen lassen. Aber ich werde es nie wieder tun. Gott ist mein Zeuge ... Doch dann musste ich lachen. Tja, eine Scarlett O'Hara war ich wirklich nicht. »Den Hunger werde ich nie wieder spüren«, sagte ich zu Carla.

»Wieso, hast du zu viel gegessen?« Sie starrte in den Spiegel, weil sie sich die Augenbrauen zupfte.

Ich lachte. Und konnte gar nicht mehr aufhören.

»Was ist los mit dir?« Carla fuhr herum und musterte mich besorgt. »Du bist nicht du selbst, Sookie.«

»Das ist bloß der Schock«, sagte ich und musste nach Luft schnappen. »Ist in einer Minute vorbei.« Es dauerte eher zehn Minuten, bis ich mich wieder unter Kontrolle hatte. Ich war verpflichtet, bei den juristischen Sitzungen zu erscheinen, und offen gesagt, war mir das auch ganz recht, dann hatte ich wenigstens keine Zeit zum Grübeln. Ich wusch mir das Gesicht, legte etwas Make-up auf und zog mich um: eine bronzene Seidenbluse zu tabakbrauner Hose mit passender Strickjacke und braune Lederpumps. Und dann machte ich mich mit dem Zimmerschlüssel in der Hosentasche und einem erleichterten Abschiedsgruß von Carla auf die Suche nach dem Verhandlungsraum.