18

Drei Wochen sind vergangen. Drei geruhsame Wochen, in denen ich kaum etwas von den drei Paaren merkte, deren Schicksal mich in letzter Zeit so bewegt hatte.

Vor etwa vierzehn Tagen hatte der Herbst seine Visitenkarte abgegeben. Mit heulendem Sturm, der Wolken von welken Blättern vor sich herjagte, gluckernden Dachrinnen, gelben Lehmbächen — der meine ewig kränkelnde Garageneinfahrt umpflügte — und den ersten Anthraziteiern, die ich in unsere Heizung warf. Alles lief herum, hustete und schnupfte, und die Alten im Dorf schauten so sonderbar um sich, als fragten sie sich, ob sie wohl noch einen Frühling erleben würden.

Und dann, vor drei Tagen, kam plötzlich wieder ein Umschwung. Noch einmal goldener Sonnenschein, etwas schwindsüchtig und schräg, aber noch waren genug Blätter an den Bäumen, um sie in Rot und Orange flammen zu lassen, daß sie wie Fackeln über den leeren Feldern loderten. Und man konnte auch, wenn man sich einen wannen Pullover überzog, noch auf einem Bretterstapel am See sitzen und über das silberne Gleißen hinträumen, aus dem gelegentlich ein Fisch sprang.

Ich war mit Cockchen auf einem Spaziergang gewesen, und als wir am Bootshaus vorbeikamen, saßen da Margot und Buddy. Jetzt im Augenblick sehe ich sie wieder ganz deutlich vor mir, und ich werd’s wohl überhaupt niemals vergessen, dieses Bild. Er saß da, in einem kurzen Mantel, lässig gegen die Wand des Bootshauses gelehnt, und Margot an seiner Seite, noch spitzer und mit noch größeren Augen, fuhr mit der Hand über sein Gesicht, über seine dunklen Haare, Stirn, Augen und Lippen. Immer wieder kehrten ihre Finger zu seinem Mund zurück, streichelten ihn. Sie bemerkten uns gar nicht.

Er rührte sich nicht, saß da, ganz Pascha, im Vollgefühl seiner begehrten Männlichkeit. Dann sah ich, wie Margot plötzlich aufstand, und ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich aus sicherer Deckung mein großes Nachtglas vor die Augen nahm, um zu sehen, was da eigentlich vor sich ging. Denn irgend etwas ging vor sich. Jetzt hatte ich Margot ganz groß im Blickfeld. Sie stand hinter Buddy, die Hand in seine Schulter verkrampft und sah auf ihn nieder, und dabei schaute sie aus, als sei sie in einer Sekunde zwanzig Jahre älter geworden: enttäuschte Leidenschaft, Mitleid um den Ahnungslosen, Abschied und unendlicher Schmerz, gleichzeitig aber auch eine ganz neu aufbrechende, beflügelnde Kraft. Das alles war in diesem Gesicht, wie manchmal um diese Zeit der Himmel ist, voll der verschiedensten Wolken, drohend dunklen Drachengestalten, schneeweißen Traumburgen, lässig dahintreibenden Schiffen in Gelb und Hellrot und eisigen Zirrusgebilden in blaßblauer Unendlichkeit. Dann wandte sie sich mit einem Ruck um und ging auf ihr Haus zu. Buddy drehte sich nach ihr um, unternahm aber keinen Versuch, ihr zu folgen, sondern wandte sich wieder dem See zu und begann kleine Steinchen ins Wasser zu werfen. Es gab jedesmal einen Silberkringel, rundherum Wellenringe und dann wieder nichts.

Merkst du denn gar nichts, dachte ich mir, da ist doch was passiert! Nein, du merkst wirklich nichts. Leitung unterbrochen...

In diesen stillen Wochen entdeckte ich Cocki, und er gehört jetzt ganz mir. Es gab, das gestehe ich mir, nach seinem Auftauchen Augenblicke, in denen ich zweifelte, ob in meinem Leben genügend Platz für ihn bleiben würde. Mein Leben ist so voller Arbeit, Menschen und den trivialen Problemen, mit denen wir uns täglich alle herumschlagen müssen, und es sind ja auch schon zwei geliebte Hunde da, und dieser neue hier braucht nicht nur Liebe, eigentlich braucht er alle Liebe, die es überhaupt gibt. Ich muß sehr aufpassen, daß er mich nicht vom Peterle und vor allem von meinem süßen kleinen Kastenbart abdrängt, von meinem geliebten Weffchen, das immer noch so schön ist wie am ersten Tag, aber nun doch schon alt und müde wird und froh ist, wenn die beiden anderen miteinander spielen und er in der Sonne liegen und in den Garten blinzeln und an seinen niedlichen rosa Steckkrallen herumknabbern kann.

Cocki kann noch so weit weg sein — zum Beispiel auf seinem Lieblingsplatz vor der Küchentür oder in der Hecke, in der er mal die Igelfamilie getroffen hat —, sobald ich mir mein Weffchen auf den Schoß nehme, ihm ins Ohr flüstere und einen Brustkratz mache, daß er das rechte Hinterbein hebt, um mitzukratzen —, ist der Dicke da, wie aus dem Boden gewachsen. Ganz zweifellos hat er den sechsten Sinn. Er richtet sich dann an meinem Knie hoch und beginnt an Weffis Gesicht herumzuschnuffeln. Er wagt nicht zu knurren oder gar zu bellen, denn er weiß genau, daß der andere der Senior ist und die älteren Rechte hat. Aber er schafft es auch so. Mein kleiner weißer Lord mit den Greta-Garbo-Wimpern ist von diesem Geschnuffe und Gepuste sichtlich angewidert, springt schließlich vom Schoß und geht still irgendwohin. Und nun hat Cocki mich wieder für sich! Mit seinem halben Zentner erklimmt er meinen Schoß, leckt mir das Gesicht, tatzelt mir die Brille herunter, daß ich halb blind auf dem Teppich herumkriechen und sie mir wieder suchen muß. Das findet er wahnsinnig lustig, schmeißt sich auf den Rücken, läßt die Zunge heraushängen, und dann geht’s zur Tür: >Komm ‘raus! Toben!<

Er ist für mich eine Quelle ständiger Überraschung und freiwilliger Komik. Dazu gehört unter anderem seine Verfressenheit. Ich glaube, sie haben ihm auf dem Bauernhof mit den vielen Mehlspeisen eine Magenerweiterung angefüttert. Er atmet zum Beispiel seinen wohlgefüllten Mittagsnapf ein, läßt sich von Peterchen ein paar weitere Bissen zustecken, von der Mama heimlich stopfen und schließlich von Frauchen mit einem endgültig letzten Fleischklumpen aus der Küche bewerfen. Darauf kommt er mit schaukelndem Wanst zu mir herunter, rülpst dröhnend, reißt mir die Hand samt Füller vom Manuskript und läßt allen Jammer der Kreatur in seinen unheimlich menschlichen Augen erscheinen: >Wenn dir daran liegt, deinen armen Liebling vor dem Hungertod zu retten: jetzt ist die Zeith Und damit winkt er gegen den Italienerschrank, in dem die Plätzchen und die Schokolade liegen. Es hat keinen Zweck, ihn wegen dieser Unverschämtheit aus dem Haus zu schmeißen. Er würde sofort von irgend jemandem oder irgendwoher etwas Freßbares organisieren. Er ist ein Freßgenie, das mitten in der Wüste Sahara ein Kotelett ausgraben würde.

Da ist zum Beispiel die Sache mit den Kühen. Mein Dicker beachtete das Hornvieh zunächst gar nicht. Er kennt es ja auch zur Genüge von seinem Bauernhof. Dann jedoch, als ich mal über den Zaun lange und die Fliegen von den armen, geplagten Kuhaugen scheuche undOhrchen krabbele und jene weiche Stelle unter der Kinnlade, wo man’s so gern hat, wird er aufmerksam. Er kehrt um und beginnt zu meiner größten Überraschung und zur weit größeren Überraschung der Kuhgemeinde, Küßchen zu verteilen. Eine Riesenschnute nach der anderen wird abgeschnudelt, und die ältesten und schlechtestgelaunten Kuh-Tanten sind völlig fassungslos vor diesem pazifistischen Ausbruch. Ein Blick aus goldenen Augen trifft mich: >Na, wie habe ich das gemacht? Aber paß auf, ich kann’s noch besser!< Und damit schlüpft er unter dem Drahtzaun durch und ist plötzlich mitten unter den Kolossen, ihrer Gnade ausgeliefert. Ein Gewimmel von gehörnten Riesenhäuptern schließt sich über ihm, und ich sehe mir sicherheitshalber die Zwischenräume zwischen den Drähten an, damit ich notfalls durchschlüpfen kann. Einen Spazierstock habe ich leider nicht zur Hand, ein kräftiges >Öha!< und Klaps aufs Hinterteil muß also genügen. Hoffentlich verstehen sie mich, besonders die da mit dem abgebrochenen Horn. Sie sieht gar nicht so aus, als ob sie auf >Öha< reagieren würde.

Aber all das erweist sich als überflüssig. Der kleine Löwe verteilt weiterhin Küßchen nach allen Seiten, und nun beginnen ihn unter gewaltigem Schnaufen eine Reihe von dicken Sandpapierzungen gegen den Strich zu polieren. Es ist das Äußerste an Liebkosung, was eine Kuhseele aufbringen kann. Zunächst macht der Dicke einen krummen Buckel und wedelt höflich, aber dann wird ihm die Sache doch unheimlich. Irgendwie ist er zwischen einem Wald von Kuhhörnern plötzlich hindurch, wieder unter dem Zaun weg und bei mir auf dem Weg. Gewissermaßen um sich für diesen Rückzug vor mir zu rehabilitieren, nimmt er Kurs auf einen kleinen roten Kater, der auf der gegenüberliegenden Wiese vor einem Mauseloch hockt. Ich kenne diesen Kater, er heißt Bimbo und ist mit einem bedeutend älteren Bruder befreundet, der Bambi heißt. Erst versucht Bimbo den üblichen Trick, den auch die jüngsten Kater gegenüber ausgewachsenen Bedrohern oft mit Erfolg anwenden, er macht nämlich einen Buckel. Dann aber verläßt ihn doch der Mut, angesichts des mit flatternden Riesenohren heranbrüllenden Cocker-Löwen, und er fegt in Blitzeseile die alte Eiche hinauf, die auf dieser Wiese steht, bis in die oberste Spitze. Ebenso schnell jedoch ist Bambi da. Er kümmert sich überhaupt nicht um Cocki, der brüllend, zähnefletschend und völlig maßlos im Triumph seiner Überlegenheit an der Eiche emporspringt, sondern schießt wie ein roter Pfeil nach oben, wo das kleine Etwas von Brüderchen sitzt. Und dann sehe ich etwas unbeschreiblich Rührendes. Bambi ist nicht ohne Grund auf den Baum hinaufgeschossen. Denn Klein-Bimbo, offenbar zum erstenmal bis in eine Eichenspitze geflüchtet, traut sich nicht wieder herunter! Zuerst versucht Bambi, ihn am Genick zu packen und abwärts zu schleppen. Aber das geht nicht, anscheinend sind die Zweige zu dünn, um die Last beider Tiere tragen zu können. Und so lotst er denn den kleinen Bruder hinunter, indem er ihm immer einen Ast vorausspringt und ihm zeigt: >Schau mal, du kannst ruhig drauf hüpfen, er trägt dich! Wenn er mich trägt, trägt er dich schon lange!< Und so kommen die beiden denn ganz langsam und vorsichtig wieder herunter. Als sie an Cocki vorbeimarschieren, drängt Bimbo sich ganz eng an seinen großen Bruder. Der dicke rote Bambi jedoch stolziert an Cocki vorüber, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Er nimmt sich nicht mal die Mühe, ihn anzufauchen.

Und wieder vergehen einige Wochen, während derer die Schneegrenze auf den Bergen allmählich tiefer kriecht. Manchmal, in warmen Intervallen, weicht sie widerwillig noch einmal etwas zurück, aber dann ist sie sofort wieder da und gewinnt noch ein paar Meter darüber hinaus. Die nackten Felsen, die Moose und die Krüppelkiefern hat sie bereits unter ihrem blendenden, kalten Weiß begraben. Jetzt dringt sie bereits in die obersten Reihen des Hochwaldes ein, und manchmal, wenn ich des Morgens die Läden aufstoße, sind die Gräser schon bereift.

Zwischendurch gibt es wüste Regenfälle, die von dem Hügel über uns braune Wasserfluten durch das Grundstück schießen lassen, wobei meine Garageneinfahrt unweigerlich wieder in ihre Urbestandteile zerfällt. Um dieses Unheil abzuwenden, habe ich nach langem und tiefem Nachdenken einen Ausweg gefunden und eine Rille in die Straße gehackt, so daß der braune Strom nicht mehr in mein Grundstück, sondern auf die Sumpfwiese daneben fließt. Tagelang gehe ich mit geschwellter Brust ob dieser genialen Lösung herum und lasse mich von der Familie bewundern. Sobald es wieder gießt, müssen sie alle ans Fenster und beobachten, wie die schäumende Brühe in die Sumpfwiese saust. Letzte Nacht hat es wieder geregnet. Ich stehe mit der lässigen Sicherheit des Siegers über die Elemente auf und mache mit Cockchen unseren Morgenspaziergang, um mich wieder einmal an meinem Wasserabfluß zu weiden. Von diesem jedoch ist nichts mehr zu sehen. Er ist zugeschaufelt und die Erde darüber geglättet, als hätte er nie bestanden! Statt seiner ist daneben ein neuer Abfluß gegraben, der wieder genau auf meine Achillesferse, die Garageneinfahrt, zielt. Vor diesem Werk steht, auf den Spaten gestützt und finsteren Blickes, der Wegmacher. Neben ihm sein Schubkarren mit kiesvermischter Erde.

Der Wegmacher, Beni heißt er, ist eine jener Gestalten, über deren bloße Existenz in unserer Zeit ich mich immer freue. Er gehört zu der Gattung der fast ausgestorbenen Rattenfänger, Topfflicker und Messerschärfer. Die Wege, die richtigen alten Landwege, die sich noch durch unser Dorf ziehen, sind seine Passion und sein Beruf in des Wortes alter Bedeutung als Berufung aufzufassen. Man muß ihn sehen, wie er sich einen solchen Weg vornimmt, wehen Blickes und kopfschüttelnd die Schlaglöcher betrachtend, die unsere Pneus wieder hineingerissen haben, und die Lehmschichten beseitigend, die ein Gewitterguß darübergeschwemmt hat. Es ist ihm gänzlich wurscht, was die Anwohner zu seiner Tätigkeit sagen, für ihn gilt nur der Weg, er kost, er formt ihn, Praxiteles kann mit keiner größeren Andacht an seinem Gips geknetet haben.

»Das gibt’s aber nicht!« sagt er dumpf grollend zu mir, und sein klares braunes Gesicht ist voller Empörung.

»Aber, Beni«, sage ich. »Schau, das Wasser läuft doch viel besser in die Wiese ab, die ja eh zu nichts nutze ist. Das Gras ist sauer, bauen kannst auch nicht drauf...«

»Nicht in die Wiese!« sagte er noch einmal. »Das weißt du ganz genau! Pfüat di Gott!« Und damit nimmt er seinen Karren auf und schiebt davon. Ich sehe ihm lange nach und habe die Vision, als werde er mit wachsender Entfernung nicht kleiner, sondern größer. Vielleicht kommt das daher, daß ich die Geschichte kenne, die hinter diesem seinem merkwürdigen Verhalten steckt.

Die Wiese gehört nämlich dem Wurzel-Sepp, und vor zehn Jahren hat der Wegmacher um die Hilde vom Wurzel-Sepp geworben. Die aber nahm einen anderen, so einen Feschen mit einem großen Hof. Wer heiratet auch einen Wegmacher, der nur ein kleines Gehalt von der Gemeinde bekommt? Der Wegmacher in seiner treuen und weisen Seele hat’s ihr nicht mal nachgetragen, er hat’s verstanden und noch mehr als das. In seiner abgrundtiefen, festen Liebe schützt er noch immer die Wiese der Erwählten, die inzwischen von dem anderen vier Kinder hat.

So hole ich mir denn — seiner arglosen Seele vertrauend —, sobald er um die Ecke ist, meinen Spaten und grabe meinen lieben alten netten kleinen Kanal wieder auf. Mir wird ordentlich warm dabei, zumal inzwischen die Sonne hinter einer großen, silberumrandeten Wolkenburg vorgekommen ist und zeigt, daß selbst eine Herbstsonne noch allerhand auf dem Kasten hat.

Als ich den Kanal fertig und Wegmachers Denkmal verschmähter Liebe wieder beseitigt habe, hole ich mir meinen Liegestuhl.

Auch Peterle und Weffi erscheinen auf der Schwelle der Terrasse, von der Sonne angelockt, kurz nach ihnen der Dicke, und nun liegen sie dicht aneinandergekuschelt in dem warmen Schein. Hinten, nach dem Salzburgischen zu, steht ein Regenbogen vor dem schwarzblauen Himmel, der so aussieht wie geschliffene Luft, und die Berge schauen drein, als seien sie zu einem großen Fest geschmückt.

»Du wirst dir bestimmt was an den Nieren holen«, sagt die Stimme des Schloßgeistes vom Balkon, während er ein Tuch ausschüttelt. »Das ist so das richtige Wetter dafür, vorn warm und hinten eiskalt! Übrigens, sieh doch mal, da vor Bentlers Haus steht so ‘n roter Wagen, der sieht aus wie der von deinem Professor Dingsbums!«

»Es gibt viele rote Wagen auf dieser Welt«, sage ich träumerisch und döse vor mich hin. Schritte kommen durch den Garten auf mich zu. Kann man denn nicht mal einen Augenblick seine Ruhe haben? Sie knirschen schwer und fest auf dem Kies. Jetzt bleiben sie vor mir stehen. Sonderbar, daß die Hunde gar nicht anschlagen. Ich entschließe mich, die Augen einen Spalt zu öffnen, und sehe ein Paar schwarze Männerschuhe und Hosenbeine darüber. Und dann sagt eine wohlbekannte Stimme: »Erwache, Nestor, würdiger Greis!«

Es ist tatsächlich Enrico. Anstandshalber mache ich den Versuch aufzustehen, aber er hält mich zurück: »Freu dich, daß du im Liegestuhl bist, auf diese Weise kannst du nicht Umfallen. Und ich werde mir auch einen holen, damit du mich nicht vors Schienbein treten kannst.«

Er tut es, und dann ist eine Weile Schweigen. Cocki hat sich nun doch entschlossen, aufzustehen und durch den schon etwas ruppigen Steingarten zu Enrico zu latschen, um ihn sicherheitshalber zu visitieren. Er handelt nach dem alten Werbeslogan >Geben Sie dem Schicksal eine Chance!< Man kann ja nicht wissen, ob dieser Mensch nicht doch eine Wurst in der Tasche hat oder wenigstens eine vergessene Semmel. Enrico knudelt seinen Kopf, worauf Cocki auf die Garageneinfahrt zuwackelt.

»Deinen Sprüchen nach zu urteilen«, sagte ich, »hast du mal wieder was ausgefressen.«

Enrico lehnt den Kopf zurück und seufzt. Er seufzt selig, wie ich mit einem Seitenblick feststelle.

»Die da drüben«, sagt er dann in Richtung Bentler, »genieren sich alle, es dir zu sagen.«

»Wenn ich diese Bemerkung mit deinen vorherigen Sprüchen multipliziere, hast du eine der Frauen dort verführt. Da ich das bei Addi für ausgeschlossen halte und Susanne wieder in jungem Glück macht, bleibt nur Margot, und das erfüllt mich mit stiller Hoffnung.«

Er wirft sich zu mir herum, daß der Stuhl kracht: »Wieso?«

»Weil du dann endlich von ihrem boxenden Verlobten totgeschlagen wirst und mich nicht länger mit delphischen Sprüchen langweilen kannst.«

»Bin ich verpflichtet zu lachen? Im übrigen liegst du völlig falsch. Denn nicht ich habe Margot verführt, sondern sie mich! Wir bestellen morgen das Aufgebot, du wirst Trauzeuge und mußt dir einen Frack leihen. Außerdem kostet dich’s ein Hochzeitsgeschenk. Bist du nun froh, daß du im Stuhl liegst?«

Ich liege nicht mehr im Stuhl, sondern sitze bolzengerade: »Was erzählst du da?«

Er sieht mich frech an, kann aber nicht verhindern, daß er errötet: »Ausnahmsweise die Wahrheit! Für einen notorischen Schwindler und Gaukler schwer zu begreifen, was? Als Margot und ich nämlich reinen Tisch machten, hat sie mir auch deinen Trick mit dem Boxer gebeichtet. Er sei dir aber verziehen, denn er war, wie du in solchen Fällen wohl zu sagen pflegst, auch ein Teil des Weges oder vielmehr Umweges. Und ohne diesen Umweg wäre ich nie mit diesem Knaben Buddy fertiggeworden, der die ganze Zeit in heuchlerischem Schweigen zu meinen Füßen gesessen hat!«

»Und nun wirst du ihn vermutlich durchfallen lassen!«

»Irrtum. Ich werde dafür sorgen, daß er die Prüfung besteht, obwohl er zwar begabt, aber stinkend faul ist. So. Und jetzt werde ich dir erst mal einen Cognac und eine Zigarre holen, du bist ja ganz weiß um die Nase.«

Er steht auf, geht ins Haus, und ich falle in meinen Sessel zurück. Ich fühle mich platt wie eine Flunder. Drüben bei Bentlers sehe ich Margots Kopf am Fenster. Er verschwindet, als mein Blick ihn trifft. Gleich darauf erscheint Addi vor dem Haus, macht ziemlich gekünstelt »huhu!« und saust gleich wieder hinein. Enrico ist mit Flasche, Gläsern und Zigarren wieder da, und bis er mir die Zigarre angezündet und alles übrige umfallsicher im Gras aufgebaut hat, komme ich allmählich geistig wieder zu Atem: »Möchtest du mir nicht freundlicherweise erzählen, was sich nun eigentlich abgespielt hat?«

»Ja, eigentlich war alles ganz einfach. Du würdest sagen, daß mich das Schicksal im wahrsten Sinn des Wortes in die Zange genommen hat. Die eine Seite der Zange: Stefanie und ich entdeckten nach einigen sehr amüsanten Wochen, daß Schopenhauer recht hatte mit seinen Igeln, die sich nicht zu nahe rücken dürfen. Jedenfalls einigten wir uns auf durchaus noble Weise, und eines Morgens bekam ich einen Brief, daß sie auf eine Weltreise gegangen sei. Augenblicklich ist sie, glaube ich, in Indien und will mir gelegentlich wieder mal schreiben. Zweite Zangenseite: Ich entdeckte bei dieser Gelegenheit, daß trotz all deiner Drahtseilakte und Knalleffekte mein erstes Gefühl für Margot das richtige war...«

»Ich denke, sie hat dich verführt?«

»Wenn du mich nur einmal in deinem Leben ausreden ließest, ging’s ja viel schneller! Auf Grund dieser meiner Entdeckung sah ich mir die junge Dame etwas genauer an und stellte mit dem sicheren Instinkt des Liebenden fest, daß sie keineswegs glücklich war. Ich fand sogar, ihren Blicken folgend, auch schnell den Schuldigen ihrer Traurigkeit heraus, der dieses berückende Wesen so tragisch verwandelt hatte. Und auch sie, mit dem Instinkt der Frau, bemerkte diese meine Blicke, geriet in zunehmende Verwirrung. Und dann, als wir uns zufällig mal vor meinem Amtszimmer in der Uni trafen, tat sie etwas Großartiges, denn sie sagte plötzlich: >Darf ich Sie einen Augenblick sprechen, Herr Professor?< Als wir im Zimmer waren, schloß ich vorsichtshalber die Tür ab. Wir saßen uns, durch einen Tisch mit dicken Wälzern getrennt, feierlich und auf unbequemen Stühlen gegenüber. Und ich sagte: >Laß den Unsinn mit dem Professor, Kind! Du hast was auf dem Herzen — los, pack aus!<

Sie packte aus, und ich erfuhr auf diese Weise, daß ihr Jugendgespiele und quasi Verlobter in letzter Zeit Eigenschaften entwickelt hatte, die in ihr Zweifel aufkommen ließen, ob es sich hier wirklich um eine schicksalhafte Bindung fürs ganze Leben oder nur um eine Jugendliebelei gehandelt habe. Sie war absolut schonungslos gegen sich selbst und äußerte sich mit der heutzutage üblichen Nonchalance der Jugend.«

»Na und?«

Enrico klebt bedächtig ein Deckblatt seiner Zigarre fest: »Ich sagte: >Da du es warst, kleine Margot, die mich um diese Unterhaltung gebeten hat, nehme ich an, daß du etwas mehr damit beabsichtigst, als dir von einem bedeutend älteren Mann einen guten Rat zu holen. Schließlich habt ihr ja euren Colonel für seelisches Magendrücken.<«

»Das war eine ausgesprochen niederträchtige Formulierung!«

»Entschuldige, sie war aber nicht so gemeint. Ich mußte doch herausfinden, was sie eigentlich wollte! Und ich saß da auf meinem Stühlchen mit einem Haufen alter Bücher vor der Nase, und das Herz schlug mir bis zum Hals. Kannst du dir das vorstellen?«

»Hm...«

»Zunächst sagte sie gar nichts, worauf ich die ganzen Staubfänger mit einem Ruck auf die Erde schmiß, damit ich sie ganz und gar sehen konnte, alles von ihr, ihr Gesicht, ihre Hände: >Also?< fragte ich, als sie schwieg. Sie sah mir ganz gerade in die Augen und sagte: >Ja, es war mehr.<«

Er schweigt, betrachtet seine Zigarre, die am Mundende wie eine Fächerpalme aussieht, und wirft sie schließlich weg.

»Na und?«

»Dann erwies es sich als sehr nützlich, daß ich die Tür abgeschlossen hatte. Ich redete eine Menge Unsinn und entsinne mich dunkel, daß es derweilen zweimal wenigstens klinkte. Na, und zum Schluß einigten wir uns, daß ich heute mit ihren Eltern sprechen sollte, was ich eben getan habe.« Er besieht angelegentlich seine Fingernägel und sagt dann: »Glaube nicht, daß der Unterricht in puncto Frauen, den du mir erteilt hast, umsonst war! Ich hab’ eine Menge gelernt, und es ist mir natürlich klar, daß Margots Aktion einen negativen Ausgangspunkt hat, nämlich die Enttäuschung. Und daß ich für sie zumindest zunächst nicht mehr bin als — na, sagen wir mal, als so eine Art Zuflucht, ein Trostpreis in der Lebenslotterie. Aber mir ist auch das mehr als genug. Ich habe mal irgendwo gelesen, daß es genüge, wenn der eine liebt und der andere sich von ihm lieben läßt, und daß das sogar die glücklichsten Ehen sind.«

Wir schweigen eine Weile.

Ich sehe mir Enrico von der Seite an, sein klares, männliches Profil, die langen Chirurgenhände, die nervös auf den Lehnen des Stuhls trommeln.

»Du bist, was Margot anbetrifft, völlig auf dem Holzweg.« Und als er mich erschrocken ansieht: »Sie hat mir nämlich schon vor längerer Zeit gesagt, daß du sie als Mann — und nur als Mann — ganz ernsthaft in Versuchung geführt habest. Und dies zu einer Zeit, als mit Buddy noch alles in bester Ordnung war...«

Er starrt mich an, schluckt ein paarmal und sagt dann:

»Dafür — also dafür erlasse ich dir das Hochzeitsgeschenk!« Dann haut er mich auf den Rücken: »Was sagst du denn nun zu uns beiden, Colonel?«

»Ja, was sage ich zu euch beiden?« Mir wird plötzlich übel, und alles beginnt sich zu drehen wie in einem Karussell. Margot und Buddy im See, sich an den Haaren reißend, gegenseitig untertauchend. Buddy, der Anführer der >Blase<, Türklinken und Klinken mit Alleskleber beschmierend, Buddy, mit gestohlenen Zündschlüsseln führerscheinlos Fahrten unternehmend. Dann die interessante Periode, als man entdeckte, daß man verschiedenen Geschlechtes war, und sich abends auf der Hausbank knutschte. Buddy, der für die Sommergäste und für fünfzig Pfennig Honorar auf dem Holzgeländer der Landungsbrücke balancierte und Margot die erste Bonbonniere ihres Lebens schenkte. Zuletzt die Turtelei in ihren Münchner Studentenbuden —. Und immer wieder diese beiden, die das Schicksal füreinander bestimmt zu haben schien und mit deren Liebe ich so lange Jahre mitlebte und mitbangte...

Und dann zuletzt, diese Szene am See! Die letzte, stumme, verzweifelte, nicht endenwollende Liebkosung — der stille Abschied, während er Sternchen ins Wasser warf...

»Na — was sagst du?« drängt Enrico.

Ich hangele mich mühsam aus dem Liegestuhl, als habe mich jemand in den Rücken getreten.

»Ich? Ich wünsche euch Glück, Enrico — ihr könnt’s brauchen.« Damit renne ich fast durch die Garage auf die Straße hinaus mit einem flüchtigen Blick bemerkend, daß Enrico offenen Mundes hinter mir herstarrt.

Nach ein paar Augenblicken ist ein hastiges Geklapper spitzer Stöckelabsätze hinter mir. Es packt mich jemand am Arm und reißt mich heftig herum: Margot! Ihre Augen flammen:

»Ich liebe ihn nämlich, falls du das nicht wissen solltest!« Ihr Blick wird unsicher, als ich sie nur schweigend ansehe: »Und er — er betet mich an! Als das passierte, da in seinem scheußlichen Arbeitszimmer — da kniete er vor mir nieder! Verstehst du, der ganze lange Kerl kniete vor mir nieder und zog mich ganz vorsichtig zu sich heran und lehnte seinen Kopf an mich: >Mein kleines Wunder<, sagte er, >mein kleines Wunder!< Das hat noch keiner zu mir gesagt, Colonel, keiner! Begreifst du das? Wir werden sehr glücklich sein und Kinder haben...«

»Und wenn du nicht gestorben wärst, dann lebtest du noch heute.«

Sie wird kalkweiß: »Was willst du damit sagen?«

»Damit will ich sagen, daß diese ganze Sache mit Enrico eine Flucht vor dir selbst ist, eine Flucht in die Sicherheit, in die Problemlosigkeit, in die bürgerliche Zufriedenheit! Im übrigen weiß das auch Enrico ganz genau, aber trotzdem will er dich heiraten, weil er dich nämlich wirklich liebt!«

Und damit wende ich mich um.

»Colonel! Colonel!« höre ich hinter mir. Und dann Enricos Stimme: »Komm doch, Margot. Laß ihn. Er ist beleidigt, weil sein kleines Rechenexempel nicht aufgegangen ist.«

»Colonel!« Dieser Schrei ist so verzweifelt, daß ich mich doch noch einmal umdrehe. Vielleicht bin ich der einzige, der hier unrecht hatte, als ich es nicht lassen konnte, Schicksal spielen zu wollen. Ich winke ihr zu und wende mich ab.

Und da sehe ich vor mir auf dem Weg ein Trio, das mich erwartet: zwei goldene Augen zwischen langen Ohrgehängen, eine grinsende braune Nase und ein kurzes, dickes Stummelschwänzchen, das voll ergebener Freude die Herbstblätter am Boden fegt. Daneben ein Steiff-Tier mit Kastenbart und zitterndem weißem Fellhöschen, und an der anderen Seite ein rabenschwarzes Persianerlämmchen mit schneeweißem Gebiß und verdrehten Kulleraugen.

Und von diesen dreien schlägt sie mir entgegen, die Liebe, die reine, goldene, bedingungslose.

»Kommt, Kinder«, sage ich, »wir Hunde sind doch bessere Menschen.«

Ich gehe auf den See zu bis zur Brücke. Ja, wahrscheinlich habe ich in diesem ganzen Wirbel die allerschlechteste Figur gemacht. In dem großen Liebeszirkus war ich eben nur der Clown, der mit wilden Sprüngen um die Stallmeister herumtanzt, wenn sie den Teppich zusammenrollen. Deshalb war es auch Unsinn, was ich eben gesagt habe, Unsinn und Hochmut. »Ihr Hunde seid doch bessere Menschen« — so wär’s richtig gewesen.

Der See ist nach der Trockenheit der letzten Tage weit zurückgesunken und liegt im fahlgelben Rund des ausgedörrten, übermannshohen Schilfs vor mir wie ein riesiger Saphir. Auf diesen Schilfrand lenke ich meine Schritte, meine plötzlich sehr müden Schritte...

Enrico: Ist es wenigstens bei ihm die große Liebe, oder ist es nur die Rückkehr zum instinktiv erfühlten schwächsten Punkt, nachdem ihm die drei anderen Frauen unerreichbar blieben? Bei ihm vielleicht auch nur eine Verlegenheitslösung?

Die Hunde rascheln im Schilf, Cocki voran. Man sieht deutlich, wo er gerade entlangläuft, denn im Wald der hohen Schilfwedel zieht er eine Furche. Jetzt stößt er einen Hetzlaut aus, und ein paar Wildenten knattern in die Höhe.

Aber schließlich hätte Enrico ja genügend Auswahl unter seinen Studentinnen gehabt, nachdem er nun einmal diese Linie eingeschlagen hat...

Und Margot? Plötzlich erkenne ich, daß das Ganze überhaupt nichts mit Margot und Enrico zu tun hat, sondern mit Buddy, mit seiner plötzlichen Veränderung. Ohne diese Veränderung wäre alles so geblieben, wie es war und wie ich es zu bewahren versucht habe. Was hatte er noch zuletzt gesagt, >nicht vor der Walze herrennen!<. Klingt sehr gescheit. Ein bißchen zu gescheit. >Sich von den Weibern nicht auffressen lassen, Freiheitskriege finden neuerdings in der Ehe statt!< Klarer Fall von Angst vor dem anderen Geschlecht. Und dann >Richter werden<. Im Grunde auch Angst, diesmal vor dem freien Berufskampf. Und zum Schluß: gesicherter Lebensabend im Kreise der Kinder und Enkel<.

Ich sehe wie in einer Vision sein Gesicht, wie er, nachdenklich seine Haare zurückstreichend, meinem Wagen nachsah, aber daneben sehe ich im Geist auch das nervöse, hochgespannte Gesicht Margots. Was hat sein neues Gesicht noch mit dem Buddy zu tun, der die >Blase< anführte, die Mädchen betörte und die Eltern an der Nase herumführte? Der auf dem Brückengeländer balancierte und an Margots Seite die Dschungel der Großstadt erkundete, dem Buddy, den sie liebte und der so hochgespannt war, wie sie ist? Die beiden Gesichter passen nicht mehr ineinander. Von ihrem gemeinsamen Weg war er plötzlich rechtwinklig abgebogen. Hatte sich in ein Chamäleon verwandelt. Und das war nicht etwa ein plötzliches Erwachsenwerden, keine Abkehr von den Jugendeseleien. Es war eine Abkehr von der großartigen, alten Gemeinschaft, die sie verbunden hatte. Es war Absturz aus der Liebe in den Machtkampf der Geschlechter. Es war, wie gesagt, mit einem Wort: Angst. Sieben Jahre aufeinander warten, das war nicht nur für Margot, auch für ihn ein zu schwieriger Weg. Und nun ist er plötzlich von diesem Weg abgebogen. Warum?

Das Weffchen kommt angehoppelt und legt mir einen kleinen Zweig vor die Füße. Ich werfe ihn ins Wasser, ganz vorn an den flachen Uferrand. Er holt ihn heraus und trägt ihn stolz hinter den beiden anderen her.

So ein Abbiegen, das kann ja bei jedem vorkommen. Wir sind nicht ein, sondern ein ganzes Bündel Menschen. Unser sogenanntes Ich ist wie ein Auto voll ungebärdiger Lümmel, die sich alle um das Steuer streiten. Jeder kann es mal für eine kleine Weile festhalten, bis ihn ein anderer zur Seite stößt. Manchmal drehen auch mehrere gleichzeitig daran, dann fällt die Karre um oder stürzt in den Abgrund. Aber ich kann mich trotz alledem des Gefühls nicht erwehren, daß Buddy keineswegs in den Abgrund gestürzt ist, sondern nur einen anderen Weg gefunden hat, der sein eigentlicher, aber nicht mehr der Weg Margots ist. Wer will ihm daraus einen Vorwurf machen? Ich am allerwenigsten. So was kann passieren. Aber dann gibt es noch eine mögliche Erklärung, von der ich hoffe, daß sie nicht zutrifft. Manchmal versteckt sich ein schweres, körperliches Leiden hinter solch einer Veränderung, ein Leiden, von dem die Seele schon weiß, das aber erst nach Jahren deutlich wird. Lauter Fragezeichen — das ist jammervoll!

Wir Menschen messen die Magnetfelder von Venus und Mars, aber in uns selbst irren wir herum wie verlaufene Kinder in einer großen, fremden Stadt. Jedenfalls hat Buddy für sein Abbiegen einen furchtbaren Preis bezahlen müssen. Er wird es überwinden, wenn auch die Wunde in seinem Herzen bleibt. Man kann nur hoffen, daß er sich nicht verhärtet, daß er zum Mann und nicht zum Zyniker wird. Ich hoffe, er wird daran wachsen. Vielleicht belohnt ihn das Schicksal mit einer zweiten großen Liebe.

Ich stutze und lächle zum erstenmal wieder: schon wieder optimistisch, du Unverbesserlicher? Ich pfeife den Hunden und bahne mir einen Weg durch den Schilfwald zum Ufer empor, wo die herbstlichen Buchen wie bunte Fackeln stehen. Links davon das Birkenwäldchen, das noch grüne Blätter trägt, wenn sie auch schon etwas matt und trocken sind. Vom See her, der immer größer wird, je höher ich steige, kommt es jetzt mit pfeifenden Flügelschlägen, hui-hui-hui über die gläserne Weite: drei Schwäne, die ihr Jagdrevier wechseln, die Hälse weit vorgestreckt, die klare Herbstluft mit königlichen Schwingen peitschend.

Ich wende mich um und sehe unsere beiden Häuschen. Sie sind so weit entfernt, daß ich nicht erkennen kann, was dort vorgeht. Aber — ich kann’s mir vorstellen.

War es überhaupt richtig, sich einzumischen? Wenn ich jetzt, in diesem Augenblick, die Möglichkeit hätte, mich noch einmal zu entscheiden zwischen Einmischung und Heraushalten — was würde ich tun? Und ich weiß es sofort. Genau dasselbe. Weil ich Werkzeug war, das erkenne ich jetzt. Und mehr noch, daß ein Werkzeug zur Seite gelegt wird, wenn man es nicht mehr braucht. Wie könnte ich länger traurig darüber sein...

ENDE