14

Der nächste Morgen ist strahlend, aber mir ist ausgesprochen mulmig. Da sitze ich denn also wieder mal mit so einer netten, kleinen Bentler-Mission in der Tinte: ein free for all mit Circe.

Ich hocke hinter meinem Schreibtisch, und auf meinem Schoß hockt Weffchen, mit dem ich die Sache durchspreche. »Wahltöchter«, sage ich ihm ins Ohr, »sind eigentlich viel mehr Töchter als richtige Töchter. Wer weiß — wenn ich selber welche produziert hätte, was das für dürftige Plattfüßler geworden wären oder Schielböcke oder dickhintrige Enten, die ich mein Leben lang unverheiratet auf dem Hals gehabt hätte!« Weffi zuckt mit dem Ohr. Es kitzelt ihn, wenn ich so nah hineinspreche. »Und nun sieh dir dagegen unser Susannchen an! Sie hat, weiß Gott, das Pulver nicht erfunden, und in ihrer Backfischzeit hat sie uns manchen Kummer gemacht. Aber sie ist ein süßer goldiger Kerl und diesem Esel, dem Marc, treu, der sie schließlich und Gott sei Dank geheiratet hat. Da muß man doch einfach was unternehmen, um das Kind wieder glücklich zu machen! Was meinst du?« Weffi fühlt den fragenden Ton, sieht mich aus seinen stillbraunen Augen an und leckt mir über die Nasenspitze.

»Na also«, sage ich, »freut mich, daß wir einer Meinung sind. Aber wie machen wir’s nun? Soll ich dieser männerverschlingenden Witwe einen Brief schreiben? Etwa so: sehr verehrte gnädige Frau, ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mich baldmöglichst zwecks einer Aussprache in einer diskreten und persönlichen Angelegenheit empfangen könnten... Das mit dem >diskret< und >persönlich< würde bestimmt die Neugier eines Weibes reizen, dessen Lasters Wurzeln Langeweile und Überfluß an Geld sind. Oder soll ich sie einfach anrufen und mich auf meine Intuition verlassen?«

Weffi reißt das Maul auf und entläßt ein lautes: »Uuuuaaa.« Ich deute diesen Laut als Ja.

»Also, wie du meinst«, sage ich, schlage im Telefonbuch nach, nehme den Hörer ab und wähle.

»Bitte?« Eine dunkle, etwas heisere Stimme. Genau Vamp auf Schallplatte.

»Frau Koller?«

»Ja — wer ist denn dort, bitte?«

»Hans George Bentz. Wann kann ich Sie mal sprechen, gnädige Frau?«

Einen Moment ist Schweigen, und dann sagt die Stimme mit einem unverkennbaren Unterton von Ironie: »Ah — der Colonel persönlich.«

»Woher...«

»Ich habe einige Ihrer Bücher gelesen, und außerdem hat mir Marc von Ihnen erzählt. Es handelt sich doch um Marc, nicht

wahr?«

»Es handelt sich um Marc — und um seine Frau.«

»Wollen Sie zu mir herauskommen?« Es klingt immer noch ziemlich ironisch, aber außerdem ein ganz klein wenig unbehaglich, und das gibt mir Hoffnung.

»Mir wäre das ein Vergnügen.«

»Dann bestimmen Sie bitte die Zeit.«

»Sie sind sehr liebenswürdig, gnädige Frau. Unter diesen Umständen würde ich sagen: jetzt sofort. Ich könnte in einer Stunde bei Ihnen sein.«

Ich höre, wie sie tief Atem holt. Und dann wieder diese dunkle Stimme: »Ich kann nicht dafür garantieren, daß Sie mich nach unserer Unterhaltung noch so liebenswürdig finden, aber — wenn Sie wünschen, ich stehe zu Ihrer Verfügung. Ihr Tempo ist jedenfalls beachtlich.«

»Es entspricht der Situation. Im übrigen bin ich sicher, daß wir uns nach der Unterhaltung gegenseitig liebenswürdig finden werden.«

»Sind Sie im Nebenberuf Hellseher?«

»Im Hauptberuf, gnädige Frau.«

»Dann werde ich schon immer den Tee vorbereiten.«

»Wenn es vielleicht Kaffee sein könnte...«

Jetzt lacht sie zum erstenmal. Und was für ein Lachen... armer Marc, ich beginne dich zu verstehen: »Zu Befehl, Colonel. Jetzt bin ich direkt neugierig auf Sie!«

Ich lege den Hörer auf. »Die männlich-sachliche Linie mit leichter Ironie getönt scheint bei ihr zu ziehen«, sage ich zu Weffi. »Auf dem Gleis werden wir also weiterfahren. Was ergibt sich daraus für unsere Aufmachung? Manager oder Bohemien, Glenchek oder Lederjacke? Ich würde sagen Lederjacke, so als ob man zum Schwätzchen ins Nachbarhaus geht. Außerdem liegt darin eine gewisse gesellschaftliche Nichtachtung, eine ganz feine Brutalität, indem man nicht die Balzfarben zeigt. Das zieht bei solchen Frauen. Die Typen, die alle Männer brutalisieren, schmelzen zu Wachs, wenn sie selbst auf Brutalität stoßen. Also, mach mal Hoppchen von Herrchens Schoß. Du darfst mitkommen und kannst im Wagen pennen, während dein Herrchen mit der Schlange kämpft.«

Als ich eine Stunde später vor ihrem Haus bremse, erwartet sie mich an der Gartentür. Sie trägt ein ganz schlichtes — ein raffiniert schlichtes — weißes Kleid mit breitem rotem Gürtel und hat das kohlschwarze Haar glatt nach hinten gekämmt und in einen Knoten gebunden, um das Oval ihres Gesichts und die großen dunklen Augen zu betonen.

Dieses Gesicht zeigt Überraschung, als ich aussteige: »Ich hatte Sie mir als eine Art Weihnachtsmann vorgestellt!«

»Vielen Dank. Ich dagegen habe Sie mir genauso vorgestellt, wie Sie sind, Lilith!«

»Lilith?«

»Lilith war die erste Frau Adams, ein verführerisches Wesen, dem offenbar mehr daran lag, seine Geliebte als die Mutter seiner Kinder zu sein. Weswegen sie von ihm geschieden und zur Teufelin ernannt wurde.«

»Sehr interessant. Und wie stehen Sie zu Lilith?«

»Ich habe immer was für dieses Mädchen übriggehabt. Außerdem war es nicht sie, sondern diese alte Henne Eva, die Adam zum Apfelessen verleitete und ihn um seine pensionsberechtigte Stellung als Edengärtner brachte.«

Sie lacht. Und diesmal höre ich sie nicht nur lachen, ich sehe sie auch. Armes, kleines Susannchen, wenn du wüßtest, was für eine Gegnerin du hast! Aber wie muß andererseits Marc dich lieben, wenn er trotzdem...

»Wie finden Sie mein Haus?« Ich brauche ein paar Augenblicke, um mich wieder zurechtzufinden, und sehe es mir dann an: »Na, scheußlich.«

Diesmal bleibt ihr Mund offen, und erst nach einigen Augenblicken kann sie fragen: »Warum?«

»Es ist eine bunte Wohnmaschine in einer barocken Landschaft.«

»Aber innen ist es wunderbar hell und bequem!«

»Das hätte es auch sein können, wenn es im bäuerlichen Stil gebaut wäre. Sie — gerade Sie hätten fühlen müssen, daß Sie auch eine Verpflichtung gegenüber der Natur rundum haben!«

»Aber Ihr Schützling Marc hat es gebaut!«

»Mein Schützling Marc ist, wie ich auch bei dieser Gelegenheit sehe, ein junger Esel.«

»Sind wir damit beim Thema, Colonel?«

»Ja.«

»Dann gehen wir besser hinein und trinken Kaffee. Ihr Hündchen können Sie mitnehmen. Ist das der berühmte Weffi?«

»Er ist es. Gott sei Dank aber ist er ein Hund und weiß nichts von seiner Berühmtheit.«

»Sie sind Menschenfeind?«

»Im Gegenteil. Im Grunde traue ich jedem das Beste zu.«

»Ich glaube, vor Ihnen muß ich mich sehr in acht nehmen.«

»Als Menschenfreund kann ich Ihnen das nur raten.«

Sie legt ihren Arm leicht in den meinen: »Ich bin froh, daß Sie kein Weihnachtsmann sind!«

Mir wird etwas heiß um den Kragen, und es fällt mir nichts Besseres als mein alter Trick ein, unverbindlich zu grunzen.

Drinnen im Hause diskutieren wir über einigen Tassen Kaffee und einem wohltemperierten Hennessy die Einrichtung. Stefanie Koller liegt zurückgelehnt und wollüstig gelöst in einer jener ulkigen Sitzschalen, die wie Marterinstrumente aussehen, in denen es sich aber überraschend gut sitzt. Ringsherum sehr viel Stahl und Glas und starke Farben.

»Das mögen Sie auch nicht?« fragt sie, und es kommt ganz objektiv interessiert.

»So möchte ich nicht sagen. Es ist wirklich hier innen viel besser als draußen. Es hat einen gewissen Stil und eine gewisse Berechtigung.«

»Ist das nicht dasselbe?«

»Ungefähr, nur...«

»Nur?«

»Vielleicht ist es taktisch nicht sehr klug, es auszusprechen. Schließlich will ich etwas von Ihnen und beginne es damit, daß ich Ihnen Ihr Haus verekele.«

»Mir kann niemand mein Haus verekeln.«

Es ist eine beträchtliche Härte in dem Ton, als sie das sagt, und ich sehe sie forschend an. Aber in ihren Augen ist schon wieder Schmelz mit ein paar goldenen Funken Spott: »Etwas falsch gemacht, Colonel?«

Ich nehme ihre Hand und küsse sie. Weiß selbst nicht, was mich reitet in diesem Augenblick, muß es einfach tun.

»Aber Colonel! Gehört das auch zur Taktik?«

»Nein, mein Kind. Aber wie Sie das mit Ihrem Haus sagten, fühlte ich Ihre Härte, und ich ahne, mit wieviel Tränen sich eine Frau solche Härte erkämpfen mußte.«

Sie entreißt mir ihre Hand, als habe sie etwas gebissen, aber es ist nichts Verletzendes darin, nur Schmerz: »Gott sei Dank, daß Sie mein Gast und nicht mein Zahnarzt sind. Sie haben ausgesprochenes Talent, direkt auf dem Nerv herumzubohren.«

»In diesem Fall auf dem Lebensnerv?«

»Ja. Und deshalb wollen wir lieber weiter von Möbeln reden. Meine Innenarchitektur findet also mehr Gnade vor Ihren Augen?«

»Ja, bedingt.«

»Was heißt das?«

»Das heißt, daß Sie dieses Zeug wahrscheinlich in zehn Jahren selbst nicht mehr sehen können. Vielleicht auch schon in fünf.«

»Sie glauben also nicht, daß diese durchsichtige Sachlichkeit ein ebenso klarer Ausdruck unserer Zeit ist wie das Barock für seine Zeit?«

»Ich glaube, daß dieser ganz neue Stil auf einem Denkfehler beruht.« Und als sie mich fragend ansieht: »Unser Alltag ist klar und hart, und deshalb brauchen wir daheim Wärme und Geborgenheit — Verborgenheit sogar.«

»Wie sind Sie eingerichtet?«

»Alles durcheinander: romanisch, Renaissance, Barock, Louisquatorze, sogar Empire, davon gottlob nur ein paar Leuchter. Die wesentlichen Stücke sind vier- bis sechshundert Jahre alt, eine jüdische Öllampe etwas über zweitausend, ein ägyptisches Stück ungefähr viertausend.«

»Dann wohnen Sie also in einer Art Museum? Oder ist das Ganze eine wertbeständige Kapitalanlage?«

»Nein, es ist alles aus meiner Familie, Reste einstigen Glanzes, zufällige Überbleibsel. Das andere ist mir mal geschenkt worden, oder es wurde ersteigert. Alles ohne Plan und alles in Benutzung, und nichts wird geschont.«

Sie gießt sich einen Cognac ein: »Würde mich interessieren, das mal zu sehen.«

»Sie sind hiermit feierlich und nachdrücklich eingeladen.«

»Taktik?«

»Nein, ganz ehrlich.«

»Sie werden lachen, ich glaub’s Ihnen sogar! Ich werde also Ihre Möbel bewundern.« Ein Lächeln flackert über ihr Gesicht wie ein Blitz über eine Gewitterlandschaft: »Und dann trete ich ans Fenster und sehe meinen Marc im sonnigen Glück mit seinem jungen Weibe vereint, gnädig wieder aufgenommen nach seiner Verirrung mit der dunklen Circe. Er hat Sie doch geschickt, weil es aus ist, nicht wahr?«

»Es ist aus, aber er hat mich nicht geschickt, er wollte selbst kommen.«

»Und wer hinderte ihn daran?«

»Ich.«

»Warum ist dann nicht sein Schwiegervater gekommen?«

»Sein Schwiegervater ist mein Freund. Er verkauft Waschmaschinen und hat sich für seine Familie so aufgerebbelt, daß er voriges Jahr einen Herzinfarkt hatte.«

»Und warum ist dann nicht seine Frau gekommen?«

»Weil ich das nicht wollte.«

»Wieder Sie. Warum nicht?«

»Seine Frau, Addi, ist in ihrer Art ebenso schön und ebenso energisch wie Sie. Ich weiß, was bei einer solchen Begegnung passieren kann.«

»Nämlich?«

»Etwas — hm — Urweltliches.«

Sie sieht mich einen Moment verdutzt an und bricht dann in ein schallendes Gelächter aus. »Sie meinen, die Bestien hätten sich zerfleischt, und Sie hätten hinterher mit der Müllschaufel kommen müssen, um die Knochen zusammenzukehren?«

»Bildlich gesprochen natürlich nur.«

»Sie machen mir zunehmend Spaß, Colonel. Und warum ist Marcs Mutter nicht gekommen?«

»Sie wäre die allerungeeignetste für diese Mission.«

»Warum? Besteht die Gefahr, daß sie mich dieser kleinen Gans Susanne vorziehen würde?«

»Nein, im Gegenteil. Susanne ist nämlich keine kleine Gans, obwohl sie sich nicht mit Ihnen messen kann.«

»Taktik?«

»Ich denke, wir haben uns nun endgültig auf hochgekrempelte Hemdsärmel geeinigt.«

»Also schön. Wenn sie sich nicht mit mir messen kann — welches Anrecht hat sie dann auf Marc?«

»Sie liebt ihn, und er liebt sie.«

»Und Sie glauben nicht, daß er mich liebt und ich ihn?«

»Sie lieben ihn überhaupt nicht, und bei ihm ist es eine Mischung aus Berechnung und erotischer Verzauberung. Eine Frau wie Sie kann so ziemlich jeden Mann umschmeißen.«

»Auch Sie, Colonel?«

»Wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre, hätte ich Sie vom Fleck weg geheiratet und würde nicht mal Angst vor Ihnen gehabt haben.«

Sie betrachtet mich nachdenklich: »Aber ich vielleicht vor Ihnen! Also gut: er liebt mich, teils, teils. Tannhäuser im Venusberg. Und ich liebe ihn nicht?«

»Sie amüsieren sich mit ihm und sind darüber hinaus von seiner Jugend und seinem Genie geschmeichelt und gerührt. Das alles hat aber nichts mit Liebe zu tun.«

Sie verschleiert ihr Gesicht mit Zigarettenrauch: »Was hat Ihrer Ansicht nach mit Liebe zu tun? Und erzählen Sie mir jetzt nicht, daß die Antwort einen Lexikonband füllen würde!«

»Es genügt ein Wort: Selbstvergessenheit.«

»Für mich nur ein Wort, verzeihen Sie.«

»Es bedeutet, daß man sich selbst über dem anderen völlig vergißt.«

»Etwas klarer, aber immer noch ziemlich unkonkret.«

»Gut, werden wir ganz konkret. Marc steckt in einem brennenden Haus oder einem brennenden Auto. Sie können ihn vielleicht retten. Vielleicht! Sicher ist es nicht, aber es besteht eine Chance. Dagegen ist sicher, daß Sie schwere Verbrennungen dabei erleiden werden, die unter anderem Ihr Gesicht für immer entstellen würden.«

Sie drückt ihre Zigarette aus und sieht mich fast entsetzt an: »Was erwarten Sie, was ich in diesem Fall tun sollte?«

»Wenn Sie wirklich lieben, würden Sie sich zu ihm ins Feuer stürzen, ganz gleich, wie hoch die Chance ist. Was hätte Ihr Leben denn noch für einen Sinn ohne ihn?«

Sie ist sehr blaß, versucht es aber mit Ironie: »Ich weiß von Marc, daß Sie sich seit jeher mit den indischen Lehren beschäftigen. Dabei haben Sie offenbar auch so ganz nebenbei die Witwenverbrennung in Ihr Programm aufgenommen!«

»In unserem Fall wäre es eine freiwillige Verbrennung, was man von normalen Witwenverbrennungen durchaus nicht behaupten konnte. Die meisten dieser armen Würmer bestiegen sicher sehr ungern den Scheiterhaufen.«

»Ich habe Sie aber im Verdacht, daß Sie trotzdem den Witwenverbrennungen eine gewisse Berechtigung nicht aberkennen!«

»Ich halte eine Frau, die einem Mann mal mit Haut und Haaren gehört und ihr großes Erlebnis hinter sich hat, unter Umständen für — hm —, für gefährliches Treibholz. Falls sie nicht zu einem zweiten, ebenso starken Erlebnis fähig ist.«

Sie steht mit einer merkwürdig müden Bewegung auf, tritt zum Fenster und starrt auf die Terrasse, die voller Rosen und Sonne und durch einen scheußlich grellblauen Fußboden verschandelt ist. Plötzlich dreht sie sich zu mir um: »Bin ich Treibholz?«

»Ich glaube nicht.«

»Warum nicht?«

»Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten...«

»Lassen Sie doch den höflichen Unsinn.«

»Okay. Ich habe eine ganz gute Nase für so was und möchte behaupten, daß Sie trotz Ihrer Ehe noch nicht einmal Ihr erstes großes Erlebnis hatten. Sie suchen noch.«

Ich kann, weil sie gegen das Licht steht, ihr Gesicht nicht erkennen, als sie sagt: »Sie irren sich, glaube ich. Mein Mann war ein wunderbarer Mensch, ein großer Künstler. Ich möchte die Jahre nicht missen, die ich mit ihm leben durfte. Er war wie — wie eine Mauer um mich, und seitdem er nicht mehr da ist...«

»Er war bedeutend älter?«

»Zwanzig Jahre.«

»Ich will Ihnen nicht mit Freud kommen und die Rolle des unterbewußten Vaterkomplexes in Ihren Beziehungen untersuchen. Nur eins möchte ich Sie fragen: Hätten Sie ihn aus dem brennenden Auto geholt?«

»Hören Sie doch mit diesem Unsinn auf! Das ist ja noch schlimmer als Freud!«

»Hätten Sie?«

Keine Antwort. Sie steht wie eine Statue. Nur ihr Kopf ist auf die Brust gesunken. Nach einer Weile kommt sie wieder zu mir, setzt sich mir gegenüber. Ihr Blick ist hart: »Ich mag Ihre Fragen nicht. Außerdem sind wir doch beide keine Kinder und wissen, daß der Trauschein nicht eine Erfüllung, sondern der Beginn einer Erlebnisreihe ist, die meist zunehmend unerfreulicher wird. Im günstigsten Falle langweiliger.«

»Nur, wenn Sie falsch gewählt haben.«

»Und wie soll ich wissen, ob ich richtig gewählt habe?« Sie lacht nervös: »Jetzt frage ich schon, wie ein Backfisch Tante Min-chen fragen würde!«

»Und ich kann Ihnen mit Tante Minchen nur antworten: Das merken Sie dann schon.«

»Und wenn er mir nun nicht begegnet, der Märchenprinz, der mich zeitlebens auf Händen trägt? Nein, mein Lieber, kommt nicht in Frage! Ich bin finanziell unabhängig. Ich hole mir die Männer, die mir gefallen, und schicke sie weg, wenn sie anfangen, mich zu langweilen. Habe ich es nötig, ein Risiko einzugehen? Nehmen Sie lieber noch einen Cognac. Das, was Sie zuletzt von sich gegeben haben, war nicht first class. Vielleicht sind Sie doch ein Weihnachtsmann?«

»Wäre nicht der schlechteste Job. Ich möchte aber doch feststellen, daß nicht ich von dem Märchenprinzen gesprochen habe!«

»Nicht? Wirklich nicht? Aber wie sieht er denn aus, der Mann, der mir entsprechen würde?«

»Leider ziemlich übel. Sogenannte starke Frauen wie Sie verfallen leicht dem brutalen Playboy, der sie zwei Wochen nach der Hochzeit zum erstenmal betrügt, ihr Geld durchbringt und ihnen gleich beim Aufstehen prophylaktisch eine ‘runterhaut.«

Einen Moment sieht sie mich sprachlos an, dann lacht sie schallend und hebt ihr Glas gegen mich: »Auf uns! Wir sitzen hier, sagen uns die größten Grobheiten und haben das Gefühl, als ob wir seit hundert Jahren gute Freunde wären. Wenigstens mir geht es so.«

»Mir wird es sicher auch so gehen, wenn ich erst das losgeworden bin, was ich eigentlich von Ihnen will.«

Sie lehnt sich zu mir herüber und legt mir eine lange, kräftige Hand auf den Arm: »Ich ahne, was es ist — aber vorher, lieber Weihnachtsmann, möchte ich wissen, ob Sie nicht eine etwas bessere Type für mich aus Ihrem Sack holen können!«

»Vielleicht. Kommt drauf an, wie Sie sich anschließend benehmen. Eine Eigenschaft aber muß der Mann, der Sie glücklich macht, auf jeden Fall erfüllen.«

»Und die wäre?«

»Er muß egoistischer sein als Sie.«

Diesmal lacht sie so, daß ihr die Tränen kommen: »Mein Gott, sind Sie komisch. Immerhin...« Sie mustert mich mit plötzlicher Nachdenklichkeit: »Es könnte was dran sein. Und da wir gerade vom Egoismus sprechen, was wollen Sie nun eigentlich von mir? Mit Marc ist es also aus.«

»Ja.«

»Und wenn ich ihn nun nicht freigebe?«

»Er ist schon frei und entschlossen, mit seiner Susanne lieber in einer Hundehütte zu leben, als länger von Ihnen oder seiner Mutter abhängig zu sein. Mit anderen Worten, er ist es satt, Muttersöhnchen oder so eine Art Gigolo zu sein.«

Sie schluckt, und die dunklen Augen in dem schmalen Gesicht scheinen noch größer zu werden: »Also gut. Erledigt. Und was noch?«

»Ich möchte nicht, daß Sie ihm Ihre Protektion entziehen oder ihn sogar aus Rache zu ruinieren versuchen.«

Ihr Mund ist bitter: »Knallbonbons und Überraschungen bis zum Schluß, Weihnachtsmann. Was berechtigt Sie eigentlich, diesen Edelmut von mir zu erwarten?«

»Ich erwarte ihn nicht — eher das Gegenteil.«

»Und warum das?«

»Weil es das Normale wäre. Um nicht zu sagen, das Triviale.«

»Sie sind ein verdammt harter und diplomatischer Partner, Colonel! Mein erstes Gefühl, als ich Sie sah, hat mich nicht getäuscht: vor Ihnen muß man sich in acht nehmen!«

Ich stehe auf: »Es ist unfair, Sie jetzt zu einer Entscheidung zu pressen. Überlegen Sie in Ruhe. Im übrigen erwarte ich Sie — ganz gleich, wie Ihre Entscheidung ausfällt.«

Auch sie ist aufgestanden. Wir stehen uns gegenüber, und plötzlich fühle ich ihr erotisches Kraftfeld. Worauf mir wiederum nichts anderes einfällt, als mich zu räuspern. In ihren Mundwinkeln erscheint für einen Augenblick das Lächeln der Mona Lisa. Wie zu Beginn legt sie ihren Arm in den meinen und geht so mit mir zur Tür: »Haben Sie trotzdem vielen Dank, Colonel. Ich werde viel nachzudenken haben und weiß die Dinge sehr gut auseinanderzuhalten. Sie können nichts für den Marc, und eigentlich ist es rührend, welche Mühe Sie sich für Ihre Pseudotochter geben und für Ihre Freunde. Schließlich haben Sie Ihre Zeit auch nicht gestohlen und brauchen vermutlich Ihre Nerven für Besseres. Haben Sie noch mehr solche Fälle auf dem Hals?«

Wir stehen am Gartentor und zögern beide, uns zu trennen. »Ja«, sage ich, »noch einen.«

»Und der ist?«

»Er ist in jeder Beziehung das Gegenteil Ihres Falles. Erstens ist es ein Mann, und zweitens will dieser Mann im Gegensatz zu Ihnen durchaus heiraten.«

»Der arme Irre. Wie alt?«

»Fünfundvierzig.«

»Beruf?«

»Universitätsprofessor.«

»Schon mal verheiratet gewesen?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weiß ich nicht genau. Glaubte wohl schlauer zu sein als die anderen. Aber jetzt fällt ihm die Decke auf den Kopf. Innerliches Frieren sozusagen.« Ich schildere ihr kurz und natürlich ohne Namensnennung Enricos blindwütige Bemühungen und Begeisterung. Sie lacht wieder Tränen: »Wenn ich zu Ihnen komme, müssen Sie mir diesen Unglückswurm unbedingt vorführen!«

»Das werde ich mir noch sehr überlegen.«

»Warum? Fürchten Sie für ihn?«

»O nein, für Sie.«

»Ist er denn so faszinierend? Es gibt nichts Undankbareres, als mit einem faszinierenden Mann verheiratet zu sein. Sehr bald ist er es nämlich nur noch für die anderen Frauen. Und sollte er ein Adonis sein — Adonisse langweilen mich.«

»Er ist weder noch.«

»Sondern?«

»Er ist ein noch größerer Egoist als Sie.«

»Und warum soll ich ihn mir dann nicht ansehen, wenn dieser Typ Ihrer Ansicht nach zu mir paßt?«

»Ach, ich weiß nicht... Vielleicht kommt ganz was anderes bei so ‘ner Sache ‘raus. Man redet so gescheit daher, aber das Leben hat manchmal wenig Sinn für solche Pointen.« Ihr Blick bleibt auf mir, und ich fühle, wie ich erröte: »Vielleicht«, sage ich, »möchte ich nicht, daß Sie wieder mal eine — Notlandung machen.«

Sie lacht und sieht mich dann, als ich ihr die Hand küsse und in den Wagen steige, so richtig nett an: »Sagen Sie übrigens diesen beiden Kindern, daß sie nicht in die Hundehütte zu ziehen brauchen.«