8

Ich bin völlig groggy und schnaufe wie ein Walroß, als ich mit den beiden Haschen unter dem Arm endlich den fünften Stock erklommen habe, in dem Margot wohnt. Es ist eines jener nach dem letzten Kriege zur Wohnung ausgebauten Dachgeschosse. Eine alte Dame mit schneeweißem Haar, hochgeschlossener schwarzer Bluse und einer dicken Türkisbrosche öffnet mir: »Guten Abend, Herr Professor!«

»Ich bin nicht der Professor, gnädige Frau, ich bin nur...«

»Ach, dann sind Sie der Herr Bentz. Bitte, treten Sie doch näher! Ich habe übrigens von Fräulein Bentler Ihre Hundebücher geliehen bekommen. Ich hatte auch einen Hund, einen Rehpinscher, Mohrchen hieß er. Sie müssen, wenn Sie mal Zeit haben, unbedingt...«

»Grüß dich, Colonel!« Margot fliegt mir um den Hals: »Das ist er. Frau Singer!«

Die alte Dame nickt: »Leider wurde er mir vor drei Jahren überfahren.«

»Ich kann mich aber nicht erinnern...«, sage ich erschrocken.

»Ich meine ja nicht Sie, sondern das Mohrchen.«

»Ach so — ja, das ist natürlich...«

Margot hakt mich unter: »Komm schnell ‘rein, Colonel, und sieh dir an, ob ich alles richtig gemacht habe. Die liebe Frau Singer hat mir so rührend geholfen.«

Frau Singer nickt nur wehmütig-gütig. Anscheinend denkt sie noch immer an ihr Mohrchen, vielleicht auch an die eigene, langversunkene Jugend. Ich besichtige die Schüssel mit den auf Zahnstocher gespießten Häppchen und die Schüssel mit den Salaten und die Flasche Wermut und lobe alles sehr. Dann stelle ich die beiden Flaschen, die ich mitgebracht habe, auf den Tisch.

»Was hast du denn da?« fragt Margot. »Mein Gott, Hennes-sy und einen echten Gumpoldskirchner? Eine Zweiliterflasche!«

Ich nehme den Wermut und stelle ihn in die Ecke neben den Kleiderschrank: »Sauft er?«

»Wer — der Zimmermann?«

»Ja.«

»Ich weiß nicht, ich glaube, nicht mal.«

»Wunderbar, dann machen wir den Kerl blau, aber mit guten Sachen. Nicht mit dem Wermut, ohne dir zu nahe zu treten. Danach wird ihm bloß übel. Aber nach dem Gumpoldskirchner wird man herrlich blau und redet wie ein Wasserfall und zum Schluß — auf ihn mit dem Hennessy! Danach sagt er auch noch das, was er nach dem Gumpoldskirchner nicht gesagt hat.«

»Aber was soll er denn sagen?«

»Ich muß seine schwachen Stellen ‘rausfinden, wir werden sie brauchen können. Es hat geklingelt!«

Enrico Zimmermann, stelle ich fest, ist etwa ebenso groß wie ich (1,88), das Haar auf dem Scheitel schon leicht verdünnt, von einem sanft ins Rötliche spielenden Blond, das Gesicht oval, die Nase gerade und wohlgebildet, die Augen von einem durchdringenden Blau unter buschigen Augenbrauen, die — laut Mama — auf ausgeprägte Männlichkeit deuten. Dazu stimmt der weiche und empfindsame Mund nicht, obwohl er jetzt, als er mir die Hand schüttelt, krampfhaft das Kinn nach vorn schiebt und die Wangenmuskeln spielen läßt: »Der Colonel leibhaftig«, sagt er. »Margot hat mir alles über Sie verraten. Köstlich, köstlich und — sehr erfreut!«

»Ganz meinerseits!« Der Bursche ist gar nicht so übel, und für Margot hat er einen Strauß gelber Teerosen, die er ihr mit einem Handkuß in den Arm legt. Dabei schickt er ihr von unten herauf blitzschnell einen bettelnden Blick. Armes Schwein. Margot wird knallrot und murmelt etwas von »geht doch gar nicht« und »völlig überflüssig«.

Ich durchschneide die Situation, indem ich ihn bitte: »Hocken Sie sich da irgendwo hin, Professor. Wir werden es ausnutzen, daß wir in der Überzahl sind, und diesem Kind hier mal einen richtigen Männerabend vormachen. Haben Sie Ihren Wagen mit?«

»Ja, ich habe ihn vor der Tür geparkt, gerade unter der Laterne.«

Ich fühle, daß er sehr stolz darauf ist, und gehe demzufolge ans Fenster. Unten steht ein sehr hübscher, roter, ganz neuer Sportwagen, offenbar angeschafft, um Margot gegenüber seine Jugendlichkeit zu betonen. »Sehr fesch«, sage ich. »Spitze?«

»Ehrliche hundertvierzig!«

»So. Na, dann geben Sie mal den Schlüssel an Margot — nur gegen Aushändigung des Schlüssels erhalten Sie Zugang zu den Genüssen, die Ihrer harren. Margot nimmt den Schlüssel in Verwahrung und bringt ihn morgen mit ins Kolleg.«

Er trägt es mit Humor, legt die Hand an den Kopf und knallt mit den Hacken: »Aye, aye, Sir!« Und dann mit einem Anflug von Eifersucht: »Hat sie ihren Schlüssel auch?«

»Ich habe gar keinen Wagen mitgebracht. Im übrigen ist es sehr passend, daß Sie mit Ihrem aye, aye, Sir die maritime Form der Befehlsbestätigung wählen. Wir werden uns nämlich jetzt...«, ich ergreife die Flasche Gumpoldskirchner, »auf hohe See begeben.«

Er nimmt die Flasche und betrachtet sie stirnrunzelnd: »Gumpoldskirchner? Das ist doch dieser Zauberwein, von dem, glaube ich, in einem früheren Jahr 250 000 Hektoliter geerntet und über 400 000 verkauft wurden! Ich will damit nicht etwa sagen...«

»Aber mein Lieber! Ich hatte dieselben Bedenken, aber dieser ist ganz echt von der Quelle, aus einer uralten Kellerei. Außerdem hat man jetzt scharfe Kontrollen eingeführt. Eine Spätlese, wie Sie bitte beachten wollen! So, und nun setzt euch, Kinder — es geht los!«

Margot stellt schnell die Brötchen auf den Tisch und entzündet eine dicke Honigkerze, während ich eingieße. Wir stoßen an, mit schönen alten Kristallkelchen, die Margot sich von Frau Singer geborgt hat. Die Gläser klingen, die Kerze weht im Zug, der durchs halboffene Fenster aus der warmen Nacht kommt, und unsere Gesichter verändern sich in ihrem Schein. Tiefe Schatten in den Flächen, mal die linke, mal die rechte Hälfte erleuchtet, mal nur eine Hand, eine Stirn.

Das Professorchen versteht offenbar etwas von Wein. Er kaut ihn — dann verklärt sich sein Gesicht: »Groß! Diese Spitze — unvergleichlich! Mein Kompliment, Colonel! Ich darf Sie doch so nennen?«

»Sie dürfen. Nach dem sechsten Glas kennen wir uns sowieso seit tausend Jahren!«

Er leert das Glas und stößt ein genüßliches »Aahh!« aus. Margot gießt ihm sofort nach. Er droht mit dem Finger.

»In vino veritas!« erklärt sie.

Er blickt zwischen uns hin und her und lacht: »Aha, ich soll sozusagen auf den Seziertisch! Also los, geniert euch nicht.« Damit kippt er das zweite Glas, steht auf, schmeißt dabei den Stuhl um, stellt ihn vorsichtig wieder auf und verbeugt sich: »Name: Enrico Zimmermann. Für den Vornamen kann ich nichts, meine Mutter war Italienerin. Sängerin. Papa heiratete sie von der Bühne weg und hielt sie zwanzig Jahre lang aus Eifersucht buchstäblich gefangen. Gefiel ihr aber gar nicht schlecht. Italienische Frauen sind ja anders in dieser Beziehung.«

»Raffinierter«, sagt Margot.

Wir starren sie einen Moment verwirrt an. Sie hat sich nicht am Wein beteiligt, sondern trinkt statt dessen Hennessy. Offenbar ist es nicht der erste, den sie jetzt hinunterschüttet, bevor sie würdevoll sagt: »Ich wollte Sie aber nicht unterbrechen, Herr Professor.«

Diese Entschuldigung wird in ihrer Feierlichkeit dadurch gemildert, daß sie den Mund voll Käsehappen hat. Zimmermann und ich wechseln einen Blick gerührten Verständnisses: »Ist sie nicht entzückend?<

»Sie wollten von Ihrer Familie berichten.«

»O ja, wo war ich gleich...«

»Bei Ihrer von Papa gefangengehaltenen Frau Mutter.«

Margot nimmt sich ein Brötchen mit Ei und Sardelle: »Sie hatte es gern, sagten Sie. Ich hätte aus Ihrem Papa Kleinholz gemacht.«

Zimmermann, abermals aus dem Takt gebracht, reißt sich zusammen: »Papa focht drei Duelle ihretwegen aus. Nur über die Kindererziehung konnten sie sich nicht einigen.«

»Das merkt man«, erklärt Margot und gießt sich einen weiteren Hennessy ein, während Zimmermann erregt das dritte Glas leert. »Wieso?« fragt er und nimmt Margots Hand.

»Hören Sie nicht auf sie«, versuche ich ihn zu besänftigen und gebe ihr unter dem Tisch einen Tritt. Sie sagt »Aua!« und sieht nach ihrem Schienbein. Derweil nehme ich ihr die Hennessyflasche weg. Margots Kopf mit zerzaustem Haar und blitzenden Hennessy-Augen kommt unter dem Tisch vor und sagt zu Zimmermann: »Weil Sie selber so — so unharmonisch sind.«

Er kaut eine Weile an dieser sibyllenhaften Äußerung. Dann trinkt er das vierte Glas aus, und sein Gesicht verklärt sich: »Ah, jetzt verstehe ich Sie! Sie meinen die Zwiespältigkeit meiner Natur!« Zu mir gewandt: »Bemerkenswerte Intuition! Tja, wir sind nun mal das Produkt aus zwei Ahnenreihen, einem Milieu und dem, was uns zustößt.«

Ich sehe eine Gelegenheit, die Situation zu entschärfen: »Und noch etwas mehr.«

»Das wäre?« Er hat angebissen. Seine Augen funkeln diskussionslustig. Er läßt Margots Hand los und setzt sich neben mich.

»Unser eigentliches Ich«, antworte ich. »Das, worauf’s eigentlich ankommt und das unabhängig und unsterblich ist.«

»Wie würden Sie es definieren?« Er sieht aus wie ein Untersuchungsrichter. Von dem möchte ich nicht geprüft werden! Vielleicht hat Margot doch recht.

»Nun«, sage ich, »ich — hm — ich meine, die Art und Weise, wie man mit all diesen Sachen fertig wird, mit Vater, Mutter, Milieu und dem, was einem so zustößt.«

Darüber denkt er tief nach, und ich beobachte derweilen Margot, wie sie unter dem Tisch nach der Flasche sucht. Als sie meinen Blick bemerkt, grinst sie ziemlich blöd und tröstet sich mit Ei und Sardellen. Inzwischen ist Zimmermann zu einer Entscheidung gelangt: »Das, was Sie als das eigentliche >Ich< bezeichnen, ist von keiner Seite her faßbar und selbst bei verständnisvollster Auslegung absolut immateriell.«

»Eben deshalb ist es unsterblich«, sage ich, krampfhaft bemüht, ihn bei der Stange zu halten. »Wäre es irgendwie faßbar, wie Sie sich ausdrücken, könnte es nicht unsterblich sein.«

»Aber...«

»Es hat sogar eine Parallele in der Atomphysik. Verstehen Sie was davon? Ich nämlich auch nicht. Aber ich habe da in einem Buch über sogenannte Neutrionen gelesen — nicht zu verwechseln mit den Neutronen, die ja >faßbar<, also meßbar sind.«

Zimmermann greift wieder zum Glas, ich auch. Die Flasche ist im letzten Drittel. »Ja?« fragt er gespannt.

»Diese Neutrionen haben praktisch Lichtgeschwindigkeit und demzufolge laut Einstein keine Masse. Sie können mitten durch einen Atomkern fliegen, ohne anzustoßen, und tun das auch, aber bei ihrem Flug bringen sie die Atomsysteme ganz schön durcheinander. Sie kommen aus Universen jenseits des unseren und fliegen auf der anderen Seite wieder hinaus — aus Zeit und Raum — immer mit Lichtgeschwindigkeit und deshalb ewig. So was Ähnliches — wirkend, aber ohne Substanz — ist vielleicht dieses Ich.«

Ich habe mich gewaltig angestrengt, meinem umnebelten Hirn diese Definition samt Parallele zu entreißen. Zimmermann sieht mich begeistert an, hebt dann das Glas: »Wir wollen uns alle duzen, Colonel! Verzeihen Sie — ich bin der jüngere, aber das ist ein ganz besonderer Abend!«

Über diesen Gumpoldskirchner Kurzschluß bin ich zunächst verblüfft. Dann sehe ich Margot an. Sie sitzt erstarrt und angstvoll wie ein Vogel in der Falle. Dann beginnt sich eine gefährliche Falte des Unmuts auf ihrer Stirn zu bilden. Ich aber muß dran denken, wie ich einst einen älteren Freund um das Du bat und abgewiesen wurde. Es war einer der bittersten Tage meines Lebens und fügte mir eine Wunde zu, die nie verheilen wird. So reiche ich ihm die Hand: »Ich heiße Hans.«

»Das weiß ich. Und ich heiße Enrico.«

»Das wiederum weiß ich.«

Er lacht, er ist ganz glücklich: »Und nun — Margot?«

Ich stoße sie unter dem Tisch an. Sie hebt das Glas: »Aber nur für diesen Abend!«

Er überlegt offensichtlich, ob er es mit dem üblichen Kuß versuchen soll, aber etwas in ihrem Blick dringt selbst durch die heiteren Barocknebel des Gumpoldskirchners. So sagt er nur mit einer galanten Verneigung: »Prost, Margot!«

»Prost, Enrico.«

Irgendwie hat sich Kühle ins Zimmer geschlichen. Wir fühlen es beide, Margot so stark, daß sie aufsteht und das Fenster schließt. Nur Enrico ist jetzt restlos selig, und es beginnt bei ihm mit der Sprache zu hapern.

Er wendet sich wieder zu mir. Ich trinke mein viertes Glas aus, er sein achtes. Wir kommen von der Genesis auf die Upanischa-den, die Bhagawadgita und die esoterischen Traditionen, während Margot, wie ich mit einem Seitenblick bemerke, aus dem Weinglas Hennessy trinkt. Wir werden erst wieder auf sie aufmerksam, als sie sich verschluckt und hustet.

Als sie zu sich kommt, schreit Enrico entsetzt: »Du schielst ja, Kind!«

»Das tut sie immer, wenn sie blau ist«, sage ich und greife unter den Tisch. Die Hennessy-Flasche ist zu einem Drittel leer.

»Ich glauglaube, wir briringen das Kind zu Bett«, meint Enrico.

Margot schlägt die Augen zu ihm auf: »Ich schiele, aber du stottoterst. Ihr seid mindestens so blau wie ich, oder heißt es als — als nur nach Komparativ — ach, müßt ihr wissen, ihr alten Strohbesen, arme kleine Margot ganz vergessen...« Über ihre Wangen rollen Tränen des Selbstmitleids, die Enrico in tiefster Bestürzung betrachtet, und ehe wir’s uns versehen, ist ihr der Kopf vornübergesunken, und mit einem tiefen Schnarcher steigt die sanfte Röte des Schlummers in ihr friedliches Gesicht.

Ich schaue auf die Uhr. Das ist gar nicht so einfach, da sich das Zifferblatt sanft im Kreise bewegt. Dieser Gumpoldskirchner! Dabei habe ich erst vier Glas intus, aber der Kerl da neben mir hat schon acht! Und den wollte ich unter den Tisch trinken! Säuft wie ‘n Loch. Altes Studententraining. Was wollte ich eigentlich? Enrico — na, so was Komisches! Enrico Caruso!

»Caruso«, sage ich feierlich, »Enrico Caruso, kannst du mir sagen, was ich wollte?«

Er erwägt meine Frage eine Weile, richtet sich dann leuchtenden Auges auf: »Du wolltest gehen!«

»Du dann aber auch!«

Er nickt trübe: »Ja, ich auch. Hinaus ins feindliche Leben, sozusagen. Vor-vorher müssen wir aber dieses Kind in sein Bett-chen bringen!« Und damit nimmt er sehr vorsichtig Margots Kopf und kippt das ganze Mädchen nach hinten in den Sessel. Sie lächelt, ein unbeschreiblich liebliches Lächeln: »Nicht so hastig — nicht so hastig, wir haben doch Zeit!« flüstert sie. (Diese Äußerung stammt offenbar aus der Buddy-Schublade.)

Der nichtsahnende Enrico legt mir den Arm um die Schulter: »Mona Lisa«, flüstert er, »komplett Mona Lisa — siehst du diesen halb irrsinnigen, halb verschlag-verschlagegenen Zug um den Mund, ewiges Rätsel Weib — das Urbild...«

»Halt!« sage ich. »Jetzt weiß ich, was ich wollte: nach der Uhr sehen!« Ich tue es und vermag festzustellen, daß es halb elf ist.

»Meinst du, wir mü-müssen sie ausziehen, bebevor wir sie hinlegen?« fragt Enrico, der sie noch immer fasziniert anstarrt.

»Nein! Es ist zwar schon halb elf, aber wir werden Frau Singer bitten...«

»Keine — keine Frau Singer!« bemerkt er aufrührerisch.

»Das ist die Wirtin. Und wenn die schon schläft, kippen wir den Aschbecher aus und gehen einfach.«

»Warum Aschbecher?«

»Damit’s nicht brennt, während sie schläft.«

Er sieht mich sehr ernst an. »Das ist eine große Idee!« Steht auf, reißt das Fenster auf und schüttet den Aschbecher aus. Dabei fliegt der Aschbecher mit. Wir hören ihn unten aufschlagen und einen ärgerlichen Ausruf. Enrico dreht sich vom Fenster zurück und hebt dozierend den Zeigefinger: »Er hat geschimpft, folglich lebt er noch!«

»Wer?«

»Na, der da unten. Der Aschbecher, mein Freund, war nämlich aus Eisen — Ku-ku-kunstgewerbe, eisernes. Fallgeschwindigkeit mal Gravitationskomponente, dividiert durch Gumpoldskirchner. Hättest du mich verteidigt?«

»Ich hätte dich bestimmt verteidigt, Enrico.«

»Auch vor dem Schwurgericht?«

»Da erst recht.«

Er kommt vom Fenster und umarmt mich. »Du bist mein Freund!«

»So«, sage ich, »und jetzt holen wir Frau Singer.«

Er schlägt die Hacken zusammen: »Aye, aye, Sir Reißt die Tür auf und schreit mit Stentorstimme: »Frau Singer!!«

Gegenüber öffnet sich eine Tür, und etwas ganz Verschüchtertes in langem Hemd und Nachtjacke erscheint und knipst das Licht in der Diele an.

Enrico mustert sie majestätisch: »Frau Singer!«

»Ja, Herr Professor?«

»Bibibringen Sie dieses Kind zu Bett. Es hat Hennessy getrunken und träumt wie Momomona...«

»Lisa«, ergänze ich.

»Jawohl«, sagt Frau Singer und blickt ängstlich von einem zum anderen.

Enrico schüttelt ihr feierlich die Hand: »Wir sind Ihnen zutiefst verpflichtet, gnädige Frau, ganz abgesehen von Ihren Verdiensten um die Strafrechtsreform.« Er legt den Arm um meine Schulter: »Für uns fängt der Abend erst an. Gnädige Frau — in vino veritas!«

»Jawohl«, sagt Frau Singer abermals und huscht mit einem ängstlichen Blick auf mich in ihr Zimmer zurück. Sie erscheint mit einem Hausschlüssel, den sie mir in die Hand drückt, und fünf Minuten später stehen wir nach eifrigem Gebrauch des Geländers und längeren Bohrungen im Schlüsselloch wohlbehalten auf der Straße.

»Wir fahren jetzt ins Apollotheater!« erklärt Enrico und steuert, in seinen Taschen suchend, auf seinen Wagen zu.

Plötzlich ist jemand neben mir, mit hochgeklapptem Kragen: Buddy!

»Er hätte mich beinahe erledigt, der Schuft! Mit dem Aschbecher! Wie steht’s, Colonel? Was ist mit Margot?«

»Es steht gut, sie ist völlig blau, Frau Singer bringt sie gerade ins Bett und nun verschwinde.«

Er taucht in die Dunkelheit, aber Enrico, der nach vergeblicher Schlüsselsuche auf mich zukommt, hat ihn bemerkt und starrt ihm leicht schwankend nach: »Wer war das?«

»Wer?«

»Der Kerl mit dem hochgeschlagenen Kragen, der sich da wegschlich!«

»Hab’ keinen gesehn.«

Er sieht mich besorgt an: »Wir werden vom Geheimdienst überwacht!«

»Quatsch.«

»Glaube mir, Colonel, ich weiß es! Kerle mit hochgeklappten Kragen sind immer vom Ge-Geheimdienst! FBI wahrscheinlich. Wir müssen schnell handeln! Hallo — Taxi!« Das Taxi, das gerade auf >Greife< vorbeifuhr, hält. Er zerrt mich hinein. Langsam werde ich wieder nüchtern und müde.

»Wohin?« fragt der Chauffeur.

»Apollotheater«, sagt Enrico und flüstert mir so laut, daß man es zwei Ecken weit hören kann, zu: »Paß auf, ob wir verfolgt werden!«

»Das ist mir wurscht!« erkläre ich und beobachte den Fahrer, der argwöhnisch die Ohren gespitzt hat und dann den Rückspiegel so dreht, daß er uns sehen kann. Er nimmt etwas aus dem Handschuhfach, das nach Pistole aussieht, und legt es neben sich auf den Sitz. Dadurch werde ich wieder munter: »Was willst du eigentlich im Apollotheater?«

Enrico kneift ein Auge zu: »Kleine Freundin, dritte von links, anschmiegsam und bescheiden. Relativ bescheiden.« Er wirft sich in die Brust: »Hört natürlich in dem Moment auf, wo mir Margot ihr Jawort gibt. Du mußt mich in ihre Familie einführen, versprich es mir!«

»Gemacht.«

Er packt meinen Arm: »Du denkst nicht schlecht von mir, mein Freund?«

»Weshalb sollte ich denn schlecht von dir denken?«

»Wegen des Apollotheaters! Schließlich bin ich ein Mann und außerdem...«, fügt er etwas unlogisch hinzu, »hat sie, glaube ich, ein Verhältnis mit dem Beleuchter, damit der sie günstig anstrahlt.« Er seufzt herzzerbrechend: »Aber wo und wann soll ich eine Frau kennenlernen, die man heiraten kann? Vorlesungen, Präparationen für die Vorlesungen, Zeitschriftenstudium, Fachliteratur, Prüfungen, offizieller Krimskrams, Kegelklub, damit man nicht für hochmütig gehalten wird — wann sollte ich?«

Ich sehe ihn im Schein der vorüberhuschenden Lichter von der Seite an. Der scheint ja auch schon wieder nüchtern zu sein. Und hinter seiner Verliebtheit in Margot steckt ein erheblicher Brocken praktische Vernunft. Der geht bestimmt nicht ein, wenn man ihm Margot wegoperiert. Man muß es bloß so machen, daß er’s nicht übelnimmt.

»Apollotheater!« sagt der Chauffeur und bremst.

Enrico sieht mich an: »Bist du auch schon wieder ziemlich nüchtern?«

»Ja. Das ist doch das Schöne am Gumpoldskirchner, man ist zwei Stunden herrlich besoffen und dann wieder ganz klar.«

»Die Vorstellung ist schon aus!« bemerkt der Chauffeur und mustert uns nach wie vor mißtrauisch, aber nicht mehr so ganz.

Enrico grübelt: »Vielleicht ist sie noch in der Garderobe und schminkt sich ab. Legst du großen Wert darauf, sie kennenzulernen?«

»Nicht den geringsten — falls dich das nicht kränkt.«

»Quatsch!« entscheidet er. »Wir fahren zu mir und schlafen da. Warum haben wir eigentlich nicht meinen Wagen genommen?«

»Weil du Margot intelligenterweise den Zündschlüssel gegeben hast, bevor wir anfingen zu saufen.«

Er nickt beifällig zu dieser etwas schöngefärbten Darstellung des Sachverhalts. Dann zum Chauffeur: »Rubensstraße elf.«

Der Chauffeur, der sich inzwischen wohl von unserer Harmlosigkeit überzeugt hat, lehnt sich wieder zurück und packt die Pistole in den Handschuhkasten.

Enrico wohnt in einem Zwei-Zimmer-Appartement mit allen Schikanen. Die Zimmer groß, die Einrichtung modern, aber nicht snobistisch. Teure Angelegenheit. Solide Vernunft und guter Geschmack, wohin man schaut. Einen Moment werde ich schwach und denke daran, wie nett es wäre, wenn Margot mit diesem netten Mann in dieser netten Wohnung wohnte. Dann aber sehe ich Buddys Augen und Margots strenge Stirnfurche bei Enricos versuchter Vertraulichkeit und weiß wieder, daß es nicht um nette Wohnungen und gesicherte Verhältnisse geht, sondern um Schicksale — und vor allem um das Herrlichste auf der Welt, um Liebe.

Enrico steht vor mir: »Ich habe dir nebenan auf der Couch Decke, Laken und Pyjama hingelegt. Aber zunächst schlage ich einen Whisky-Soda vor.«

»Einverstanden.«

Während wir trinken, fühle ich seine Augen auf mir und weiß, daß es jetzt erst eigentlich losgeht. Zeit gewinnen zum Überlegen!

»Weißt du«, sage ich, »wenn es dir nicht sehr viel ausmacht, könntest du uns außerdem einen steifen Mokka machen!«

»Es macht mir gar nichts aus, bediene dich inzwischen.«

Während ich in der Küche die Kaffeemaschine singen höre, versuche ich meine Strategie zurechtzulegen, und allmählich schält sich ein ganz bestimmter Plan heraus...

Als wir über dem Kaffee sitzen, sagt er nach mehrfachem Räuspern und forschenden Blicken auf mein Gesicht: »Hast du was dagegen, wenn wir jetzt, wo wir den Gumpoldskirchner hinter uns haben, noch mal untersuchen, wo wir stehen?«

»Nichts dagegen.«

Er holt tief Atem: »Also — zunächst haben wir uns ziemlich schnell geduzt, unverzeihlicher Fehler von mir. Ich könnte es dir keineswegs verdenken, wenn du wieder zum >Sie< zurückwolltest.«

»Willst du es?«

Er wird rot: »Nein, bestimmt nicht.«

»Dann lassen wir’s dabei. So wichtig sind wir beide nicht, daß wir so viel Aufhebens davon machen müssen.«

»Dann duzt du dich also gern und leicht?« Eine gewisse Enttäuschung in seiner Stimme ist unverkennbar.

»Nur mit Menschen, die ich mag«, antworte ich. Er blüht wieder auf: »Danke, gleichfalls. Punkt zwei: du hast mir versprochen, mich in Margots Familie einzuführen. Wieviel davon war Gumpoldskirchner?«

»Nichts.«

»Dann bleibt es also dabei?«

»Ja.«

Er ist so überwältigt, daß er mich nur anstarren und den Kopf schütteln kann. Dann gießt er mir einen großen Whisky ein. Ich schütte die Hälfte davon in sein Glas und fülle mir Soda nach: »Wir wollen klare Köpfe behalten. Es ist zu wichtig.«

Er ist noch immer beim Wundern: »Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll, daß du dich so meiner Interessen annimmst! Schließlich kennen wir uns doch erst seit ein paar Stunden. Allerdings«, fügt er hastig hinzu, »ist mir so, als ob’s ebenso viele Jahre wären.«

»Ich kenne Margot seit siebzehn Jahren. Kannst du es mir verdenken, wenn es hauptsächlich ihre Interessen sind, die ich vertrete?«

»Nein, natürlich nicht! Du hast wohl selbst keine Kinder?«

»Nein.«

»Hättest aber gegen eine Tochter wie Margot nichts einzuwenden.«

»Bestimmt nicht.«

Er grinst wie ein Schuljunge: »Kann ich dir nicht verübeln! Da können wir ja so was wie eine Generalprobe veranstalten für Handanhalten bei Schwiegerpapa! Also, was würdest du mir antworten, Schwiegerpapa?«

Jetzt kommt der entscheidende Augenblick! Ich denke eine Weile nach: »Ich würde sagen: Lieber Herr Professor, von mir aus hätte ich gegen diese Verbindung nichts einzuwenden, aber haben Sie denn schon das Einverständnis meiner Tochter?«

»Natürlich, Schwiegerpapa...« Dann stockt er: »Wieso? Glaubst du, Margot wird nicht ja sagen?«

»Tut mir leid, alter Junge, genau das glaube ich.«

Er setzt das Glas hart auf den Tisch und erblaßt: »Und warum? Was habe ich an mir, daß...«

»Du hast gar nichts an dir, aber sie. Nämlich einen Mann, den sie liebt.«

Es ist schrecklich, einem Menschen zuzusehen, dem das Dach seines Traumhauses auf den Kopf fällt. Ich gieße uns beiden rasch noch einen Whisky nach, ihm pur.

Er trinkt nicht, bleibt äußerlich ganz ruhig: »Bedeutend jünger, der andere?«

»Gleichaltrig.«

»Dann habe ich wohl noch eine Chance. Typische Jugendschwärmerei. Oder?«

»Wir dürfen«, sage ich, in mein Glas starrend, »bei diesen Dingen das Irrationale nicht außer Betracht lassen.«

»Könntest du dich nicht etwas klarer ausdrücken?«

»Konkret gesprochen: Es ist leider keine Jugendschwärmerei. Sie kannten sich schon als Kinder und ich sie auch, und solange ich sie kenne, habe ich das Gefühl, daß diese beiden füreinander bestimmt sind. Jedenfalls kommt das, was zwischen den beiden ist, diesem seltenen Fall verdammt nah. Pech für dich, alter Junge, zumal du wahrscheinlich noch nicht so weit bist, es sozusagen vom Standpunkt der höheren Objektivität aus zu sehen.«

Er trinkt sein Glas mit einem Zug leer: »Und was ergäbe dieser Standpunkt in meinem Fall?« Er fragt es verbissen zwischen den Zähnen.

»Dieser Standpunkt besagt, daß alles, was uns zustößt, einen ganz bestimmten Sinn hat, einen Sinn mit positivem Gehalt, meine ich. Oder anders ausgedrückt: was einem im Augenblick als Katastrophe erscheint, stellt sich später als ausgesprochener Glücksfall heraus.«

Sein Gesicht ist plötzlich hager: »Augenblicklich fällt es mir ziemlich schwer, an solch einen Glücksfall zu glauben.«

»Verstehe ich, aber ich kann es dir schon jetzt beweisen.« Und als er nur schweigt: »Du behauptest, du hättest, als wir aus Margots Haus kamen, jemanden gesehen und meintest, er sei von der Geheimpolizei.«

»Das war in der seligen Gumpoldskirchner Stimmung vor tausend Jahren.«

»Ich sagte dir, ich hätte nichts gesehen, aber das stimmte nicht.«

Er ist plötzlich wieder da: »Dann habe ich mich also nicht getäuscht! War es — der andere?«

Ich nickte.

Er mustert mich: »Und warum hast du mir das nicht gesagt?«

»Weil ich dich — wie ich dir schon mitteilte — gern mag.«

»Verstehe ich nicht! Und was hat das vor allem mit deinem Glücksfall zu tun? Wenn ich das gewußt hätte, wäre ich diesem Bürschchen...«

»Wenn du es gewußt hättest«, lüge ich ohne jedes Bedenken, »lägst du jetzt mit gebrochener Kinnlade und einigen sonstigen Beschädigungen im Krankenhaus, denn dieses Bürschchen ist ein hervorragender Boxer, Mittelgewicht, einer von der gefährlichen Sorte. Ich kann’s beurteilen, ich habe selber geboxt. Außerdem hat dieser junge Mann die Absicht, dich in der Vorlesung zu besuchen, wenn du weiterhin versuchst, dich Margot zu nähern, und dich in publico wegen Belästigung einer Studentin in deine Einzelteile zu zerlegen. Es wäre für dich das Ende gewesen, meinst du nicht auch?«

Die Augen in seinem Gesicht sind riesengroß. Ein Schauer läuft durch seinen Körper. Die Übertreibung der Buddyschen Fähigkeiten hat ihre Wirkung nicht verfehlt.

»Und Margot?« fragt er nach einer Weile heiser. Er liebt sie wirklich, der arme Kerl.

»Margot hat ihm erklärt, es wäre aus zwischen ihnen, wenn er dich zusammenschlüge.«

»Aus? Warum? Der Kerl ist doch eigentlich im Recht!«

»Diese Erkenntnis ehrt dich, Enrico. Aber mir scheint es, als ob Margot dich gern mag«, lüge ich völlig bedenkenlos noch einmal, »wenn sie dich auch nicht liebt. Sie hat sogar, bevor du aktiv wurdest, so richtig ein bißchen geschwärmt von dir. Wie wäre es, wenn ihr es ruhig dabei ließet? Noch ist von keiner Seite irgend etwas Entscheidendes gesprochen worden. Laß die ganze Sache unter den Tisch fallen — und vergiß nicht, dem gütigen Lenker zu danken.«

Er grübelt eine ganze Weile vor sich hin: »Das verstehe ich nicht. Warum willst du mich, wenn du all das wußtest, in die Familie einführen? Das wäre doch verrückt unter diesen Umständen! Aber vielleicht hast du mir das bloß so versprochen, um deine kleine Margot zu schützen. Vielleicht hast du sogar angenommen, ich würde sie aus Rache durchs Examen fallen lassen.«

»Bevor ich dich kennenlernte, fürchtete ich das allerdings.«

»Und jetzt nicht mehr?«

»Nein.«

»Danke.«

»Bitte. Aber ich führ’ dich trotzdem in die Familie ein.«

»Was soll das?«

»Ich will dir was sagen. Du kannst es als Rat eines älteren annehmen oder nicht. Ich möchte nur eins nicht — daß du es übelnimmst.«

Er lächelt kläglich: »Nach allem, was du mir schon verpaßt hast, kann es nicht viel schlimmer kommen.«

»Es ist auch nicht schlimmer. Zunächst kann ich dir eine Analyse deiner seelischen Situation nicht ersparen.«

»Schieß los. Noch einen?«

»Ja, einen kleinen — halt!«

»Also, die Analyse!«

Noch weiß ich gar nicht, was ich sagen soll, habe nur so drauflosgeredet, um Zeit zu gewinnen. Aber plötzlich erhebt sich aus Gumpoldskirchner und Whisky strahlend eine Idee, die Idee aller Ideen — eine Patentlösung: »Also — die Analyse«, sage ich. »Sie ist sehr kurz: Du hast dich bisher deiner Karriere wegen nicht entschließen können zu heiraten. Es liegt nicht daran, daß du nicht die richtige Frau oder doch die annähernd richtige gefunden hättest. Du wolltest sie nicht finden, weil du deine Karriere anbetest. Sie war deine einzige Geliebte. Aber die Karriere ist eine kalte Geliebte, und jeder Mensch hat nur ein gewisses Quantum an — na, sagen wir mal, seelischer Körperwärme. Eines Tages war die zu Ende, und du begannst dich — zunächst nur unterbewußt — nach zusätzlichem Wärmenachschub umzuschauen. Deine Überlegungen, die du mir erzähltest: keine Heirat von Kollegentöchtern, sind meiner Ansicht nach richtig. Ich verstehe auch, daß du sonst nicht viel Auswahl hattest. Was blieb dir also: der weibliche Teil deiner Studentinnen, und darunter war nun Margot. Hübsch, liebenswürdig, gescheit, jung und von einem großen Liebeserlebnis wie von innen heraus erleuchtet. Ganz zwangsläufig nahmst du Kurs auf sie, aber da sind zwei große Hindernisse. Erstens ist da der Buddy.«

»Gegen den ich keine Chance habe, weil er so viel jünger ist.«

»Das ist natürlich völliger Unsinn. Ich kannte eine vollkommen glückliche Ehe zwischen einem fünfzigjährigen Mann lind einer siebzigjährigen Frau.«

»Na, das scheint mir ein klarer Fall von Gerontophilie zu sein!«

»Mag sein, aber glücklich waren sie. Und eine meiner Jugendfreundinnen stammte aus der Ehe eines Sechzigjährigen mit einer Zwanzigjährigen. Ich nenne absichtlich Extreme, um dir zu beweisen — jetzt hast du mich aber vollkommen aus dem Gleis gebracht!«

»Du sprachst von den Hindernissen zwischen Margot und mir und sagtest, daß erstens ein anderer ihr großes Erlebnis ist. Und zweitens?«

»Richtig, jetzt weiß ich’s wieder. Und zweitens, wollte ich sagen — und das ist das wichtigste! —, habe ich das bestimmte Gefühl, daß du dir über den Frauentyp, den du zu deiner Ergänzung brauchst, absolut noch nicht im klaren bist. Es ist nämlich keineswegs sicher, daß so ein sehr bewußtes, energisches und intelligentes kleines Persönchen wie Margot dich glücklich machen würde.« Ich merke, wie sein Ärger und seine Bedrückung immer mehr schwinden. Er ist jetzt völlig wach und aufmerksam: »Sondern?« — »Sondern es wäre sehr wohl möglich, daß du was ganz Weibliches brauchst...«

»Das mir die Pantoffeln hinstellt, die ich nicht leiden kann, die Pfeife stopft, die ich nicht besitze, und eine Wärmflasche ins Bett legt!«

Ich bemühe mich, ihn durch gewisse bunte Whisky-Kreise vor meinen Augen streng anzusehen: »Nein, natürlich nicht das! Ich meine eine Frau, die in erster Linie dich meint und erst in sehr zweiter Linie deinen Beruf und deinen Erfolg und die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit. Sie schafft dir eine Welt, in der du abschalten und dadurch deinen Akkumulator aufladen kannst.«

»Hm. Interessant. Und du hast so was auf Lager?«

»Auf Lager ist nicht der richtige Ausdruck. Ich meine die Schwester von Margot. Sie ist verheiratet...«

»Aber...«

»Aber unglücklich! Weil ihr Mann sie aus beruflichem Ehrgeiz betrügt. Sieh sie dir an.«

»Du meinst, ich könnte vielleicht...?«

»Du sollst sie dir nur ansehen, um dir über deinen Typ klarzuwerden. Vor allem mußt du dich von dem Gefühl losmachen, daß jetzt sofort irgendwas geschehen muß! Hast du so lange gewartet, kannst du auch noch länger warten. Und deshalb will ich dich bei den Bentlers einführen, als meinen Freund. Da ist nämlich noch ein Typ, der für dich sehr in Betracht zu kommen scheint.«

»Noch eine Tochter?«

»Nein, Addi, die Mutter. Die reife Frau in deinem Alter. Da liegt nämlich — rein typmäßig — auch noch eine Möglichkeit für dich. Sie selbst aber, darauf möchte ich dich ausdrücklich aufmerksam machen, ist auf gar keinen Fall was zum praktischen Ausprobieren, denn außer ihrem Mann gibt es nichts Männliches auf der Welt, das Addi im geringsten interessiert. Aber sie ist eine ganz bezaubernde Frau, und du sollst sie besonders genau studieren, die ganze Familie sollst du studieren und ihre Funktionen, damit du überhaupt erst mal Maßstäbe gewinnst und merkst, was in so einer Familie, wie du sie ja gründen willst, los ist und passieren kann. Quetsch den Teddy aus, den Vater, und Addi und das unglückliche Susannchen! Mensch — was du da lernen kannst, wenn du dich einigermaßen geschickt und anständig benimmst, kannst du nicht mit Gold aufwiegen! Du wirst dir über dich selber klarwerden und darüber, was du brauchst. Und damit gehe ich ins Bett. Gute Nacht!«

Er sieht mich verblüfft an, grinst: »Deine Übergänge sind ausgesprochen zart. Im übrigen weiß ich nicht, womit ich es eigentlich verdient habe, daß du dir so viel Mühe mit mir gibst!«

»Das weiß ich auch nicht, aber sicher steckt irgendeine ganz besondere Raffinesse dahinter.«

»Die dir anscheinend selbst noch nicht klar ist?«

»Mir ist nur klar, daß ich hier vor deinen Augen einschlafe, wenn du mich jetzt nicht in mein nettes kleines Bettchen läßt. Ich gehe sonst nämlich um neun Uhr schlafen.«