17

Ich erwache bei strahlendem Sonnenschein, der durch die Läden ein lichtes Balkenmuster an die Wände und über meine Decke malt. Anscheinend wird es wieder einer jener abnorm heißen Herbsttage, wie wir sie die ganze letzte Zeit hindurch hatten. Dann fällt mir ein, daß ich Geburtstag habe. Früher war das ein Tag, dem man über Wochen fiebernd entgegensah, wobei man sich vor allem fragte, was man wohl geschenkt bekommen würde. Später waren die Geschenke nicht mehr so wichtig, man freute sich auf die Glückwünsche und die Geselligkeit, und jetzt ist es soweit, daß man schon ein klein bißl beklommen ist über die rasende Flucht der Jahre.

Ich sehe auf die Uhr: es ist erst halb sieben, eine Weile muß ich mich also noch ruhig verhalten, damit ich den Haushalt nicht auf störe. — Ja, also beklommen. Aber eigentlich ist das undankbar, sehr undankbar sogar. Denn wenn ich mir jetzt mein Leben so überlege, wie der Allmächtige da droben es aus tausend bunten Fäden zu einem Muster gewebt hat, in dem nicht eine einzige Masche fehlen durfte, und wie er zum Schluß immer alles wieder zum Guten gewendet hat, selbst wenn es zuerst ganz dunkel gefärbt war, überströmt mich eine tiefe Bewunderung und Dankbarkeit. Ja, ich will mich zu diesem Tag bekennen, obwohl, wie gesagt, die Geschenke nicht mehr so wichtig sind...

Hoppla, hoppla, was rede ich denn da? Dort draußen, nur durch eine dünne Wand von mir getrennt, liegt ja eines der schönsten Geschenke, die mir im Leben je gegeben wurden. Es ist gute zwanzig Kilo schwer, hat krumme, braun-weiß gefleckte Beine, ein hohes Köpfchen, goldene Augen und eine Riesen-Pappnase. Und jetzt kann ich sogar deutlich hören, wie er gegen die Wand bumst, als er sich herumwirft, und dann folgt ein tiefer Schnarcher. Cockchen — es ist wieder ein Cockchen da! Und das andere, das da draußen unter dem Busch liegt, ist mir deshalb nicht gram, ich fühle es. Im Gegenteil. Und auch Weffi nimmt’s nicht übel, und Peterchen vergöttert ihn. Ebensogut hätten sie sich ja auch zu dritt gerauft haben können, und ich wäre mit vierzig Pfund goldener reiner Liebe dagesessen und hätte nicht gewußt, wohin damit!

Draußen hebt jetzt ein mächtiges Lärmen an, genauer gesagt, ein entzückendes, süßes Zwitscherkonzert, und über die Lichtbalken der Jalousien huschen Vogelschatten, tanzend wie Gespensternoten. Ich stehe auf und öffne ganz vorsichtig den Laden. Den ganzen Telefondraht entlang sitzen die Schwalben reisebereit in ihren kleinen Fräckchen, Schulter an Schulter, aber überall will sich noch eine dazwischendrängen, und dann kommt die ganze Versammlung ins Schaukeln und Kippen und Flattern. Dahinter der See, der eben zu erglühen beginnt, als die Sonne über der ungeheuren Säge der Berge, der Felsen und Firne erscheint und ein paar Minuten nach den Dächern des Dorfes auch das Wasser erreicht.

Wieder sehe ich auf die Uhr: Na, jetzt kann ich’s wohl riskieren. Über mir höre ich schon die Mama rumoren. Ich schleiche durch die Bibliothek zur Tür und trete dort fast auf den Dicken. Er reißt seinen ungeheuren Rachen auf, gähnt, ist dann sofort munter und will sich an mir vorbei in die Bibliothek drängeln. Von da soll es sicher weiter auf mein Bett gehen. Ich fange ihn gerade noch ab und drücke seinen Kopf an meine Brust: »Nein, Dicki«, sage ich, »das mit dem Bett, das wollen wir gar nicht erst anfangen. Du schleppst viel zuviel Dreck mit dir ’rum an deinen langen Zotteln. Und jetzt machen wir hier kein Schurrmurr, sondern legen uns schön auf die Terrasse und sind überhaupt ein ganz braver Hund.«

Schnell schlüpfe ich ins Bad, verriegele die Tür und widme mich dann der Wiederherstellung meiner äußeren Person, während es draußen lebendig wird. Als ich mich später rasiere, hänge ich mich wieder aus dem Fenster. Das Gras ist schon wieder recht hoch und schimmert von tausend Tropfen Diamanten. Außerdem sind einige frisch gegrabene Löcher darin sichtbar, die unverkennbar Cockis Handschrift tragen. Mein kleiner Kerl...

Donnerwetter, ist das schon wieder heiß, ich glaube, man kann auch heute noch mal baden gehen. Außerdem macht sich ein Wind auf, einer jener heftigen Winde, die bei uns im Handumdrehen entstehen, die Wellen des Sees fast zu Meereshöhe aufpeitschen und ebensoschnell wieder verschwinden. Und das sogar, wie eben jetzt, bei klarstem Himmel. Dann kann man die wunderbarsten Gegenlichtaufnahmen machen, und wenn man sich gar mit der Reflexkamera auf den Bauch legt, kann man >Ozean bei Windstärke 12< fotografieren und es an die Bekannten verschicken.

Vor der Tür des Badezimmers herrscht schon lebhafter Parteienverkehr, und als ich in mein Zimmer komme, liegen alle drei Hunde im Bett. Ganz am Fußende, den Kastenbart über die Lehne gehängt, Weffchen. In der Mitte hoch aufgereckt der rasende Schnürsenkel und auf meinem Kopfkissen, das Ohr über die Augen gebreitet, der Dicke. Sicher hat ihn die Mama wieder von der Terrasse hereingelassen. Für mich ist überhaupt kein Platz mehr, und so muß ich mir im Stuhl sitzend Strümpfe und Schuhe anziehen. — Vor dem Frühstück Besichtigung der Geburtstagstafel mit Blumen, brennendem Lebenslicht, Hennessy, Tonband und Diafilmen. Nach dem Frühstück kommt Addi mit einer Flasche Gumpoldskirchner herübergerannt und meldet den ganzen Bentler-Verein zum Nachmittagskaffee an. Dann nehme ich mir die Badehose, pfeife den Hunden und gehe zum Strand hinunter.

Der See ist eine Pracht. Die Camping-Indianer sind verschwunden, weit entfernt sitzt ein älteres Paar, er, mit Reisemütze und Spazierstock, stochert in den Steinen, sonst habe ich den ganzen Strand von der Brücke bis zum Bach für mich allein. Es herrscht ein fabelhafter Seegang. Ich strecke den Fuß ins Wasser — durchaus erträglich. Na, dann nichts wie ‘rein! Wo sind denn die Hunde? Der Kastenbart sitzt neben dem Handtuch und schlottert aufgeregt mit den dicken Fellbeinen. Peterchen riecht mit etwas verlegenem Gesichtsausdruck an einem Zweig. Er geht an sich auch ins Wasser, aber nur mit Frauchen, und dann versucht er ihr auf den Kopf zu klettern und wird deshalb meist am Ufer angebunden, wo er dann unaufhörlich heult, bis Frauchen wieder an Land ist.

»Na«, sage ich zu Cocki, »und wie ist das mit dir? Du bist doch Wasserhund! Willst du mit?«

Er sieht erst mich und dann die schäumenden Wellen an. Als ich langsam hineingehe und mich nun doch frage, warum der Mensch eigentlich badet, weil es doch trotz allen Mutes so scheußlich kalt ist, macht auch er einen kleinen Schritt ins Wasser, weicht aber sofort zurück, als ihn die erste Welle gegen die Brust trifft.

»Na, dann nicht, du Flasche!« sage ich. »Vielleicht muß man dir ‘ne Ente ‘reinschmeißen, aber die habe ich leider nicht in der Tasche.« Langsam und wimmernd gehe ich nun immer tiefer, bis mir das Wasser schließlich bis zum Hals reicht und wirklich keine Entschuldigung mehr bleibt, nicht mit dem Schwimmen anzufangen. Ich pumpe mir die Lungen voll und tauche dann. Tauchen ist — wie gesagt — mein Bravourstück, mit dem ich vor Freunden und Freundinnen meinen mangelhaften Kraulstil auszugleichen pflege. Bis zu sechzig Sekunden kann ich — wie ebenfalls schon erwähnt — unter Wasser bleiben, und ich tue es auch jetzt, mit offenen Augen und kräftig vorwärts schwimmend und das klare kühle Naß genießend, das nun schon wieder frei von Sonnenöl und sonstigen unerwünschten Beigaben ist. Ich komme ziemlich tief, und als ich wieder aufsteige, sehe ich einen dunklen Schatten über mir. Es ist nicht zu vermeiden, daß ich mit dem Kopf dagegen rumpele, und als ich schnaubend oben bin, sehe ich in zwei große, empörte Cockeraugen, die mich sprechend und vorwurfsvoll betrachten: »Diesen Quatsch hättest du dir ja auch sparen können, man regt sich doch bloß auf dabei!< Und damit dreht er sich von mir weg und steuert mit dem dicken Hinterteil wie ein kleines Motorboot dem Ufer zu. Die Wellen schlagen immer wieder über ihn weg, er sieht wie eine Robbe aus. Aber was für eine gute Robbe! Während ich mit langen Stößen ruhig weiterschwimme und er vor mir aus dem Wasser steigt und sich schüttelt, fühle ich tiefe Rührung. Ich weiß, wie unangenehm es für einen Hund ist, wenn ihm die Wellen über die Ohren und in die Augen schlagen, und diese harte, schnelle Wellenfolge auf dem See ist sogar für mich nicht angenehm. Trotzdem muß er sich in dem Augenblick, als ich tauchte, wie ein Rasender ins Wasser gestürzt haben und mir nachgeschwommen sein...

Als ich ans Ufer zurückkomme, fallen alle drei über mich her. Zunächst der Dicke, der sich wie unsinnig gebärdet, dann Peter, der mir zeigen will, daß es auch ihm nicht an Liebe gebricht, und schließlich der Kastenbart, der hölzern aus einem Gestrüpp vorgehoppelt kommt und schon von weitem entsetzlich nach faulem Fisch riecht. Nach echter Hundeart ist er dann besonders anschmiegsam, um Herrchen an dieser wunderbaren Errungenschaft teilhaben zu lassen. Ich halte ihn mir auf Armeslänge vom Leibe, während ihn die beiden anderen interessiert beriechen und dann Blicke auf das Gebüsch werfen, aus dem er kam. Schnell lege ich alle drei an die Leine, bevor weiteres Unheil passiert, und gehe dem Hause zu, wo das übliche Entsetzen ausbricht: »Ausgerechnet am Geburtstag — jetzt kann man sich hinstellen und diesen Kerl abseifen. — Und ihr beiden andern seht auch nicht viel besser aus!«

Nach dem Mittagessen aber ist der Zorn verraucht. Die Sonne scheint, auf der Terrasse wird der Kaffeetisch gedeckt, die Welt ist klar und weit und wunderbar durchsichtig, und auf der Schwelle zur Terrasse sitzt der neue Bund der Drei.

Dann rücken zu viert die Bentlers an, plus Marc. Teddy bringt eine Kiste Zigarren, Susanne und Marc zwei Flaschen Sekt, Addi hat ihren Gumpoldskirchner ja schon abgeliefert, und Margot schenkt mir einen großen Strauß später Feldblumen und dazu eine Ausgabe der Bhagawadgita, die ich noch nicht besaß. Sie hat sich genau gemerkt, wie ich sie mal erwähnte, und ich bin tief gerührt.

Im übrigen gefällt sie mir gar nicht, die Margot. Sie ist spitz, hat riesengroße Augen und Linien von der Nase in die Mundwinkel, die ich bisher noch nie an ihr gesehen. Als ich das rüge, schiebt sie es auf ihr Studium, täuscht aber keinen von uns. Zu deutlich sticht ihr geheimer Kummer gegen das neue Glück von Susanne und Marc ab, das sie aus allen Poren schwitzen, obwohl sie es nach Möglichkeit zu verbergen suchen.

Nach dem Kaffeetrinken, während die Frauen beim Abräumen sind, frage ich Teddy. Er zeigt sich nicht allzu besorgt: »Ja, wahrscheinlich hat’s gestaubt zwischen den beiden, Margot und Buddy. Da kommen sie ja nicht drumrum, das weiß man doch von sich selber. Mal gehen die Flitterwochen eben zu Ende.«

»Aber warum, weißt du irgendwas Genaues?«

»Susanne hat sie schon gefragt«, meint Marc, »aber es ist nichts aus ihr ‘rauszukriegen. Sie wird ganz wild. Vielleicht sagt sie Ihnen was.«

Ich wende mich an Susanne und Marc:

»Könnt ihr euch denn nicht denken, was es ist? Was meldet der Dorfklatsch?«

Marc zuckt die Achseln: »Auch nichts Bestimmtes. Der Reiserer-Franz meint, sie hätte einfach zuviel in Buddy gesehen, und nun merkte sie es allmählich. Und der wäre schon immer bockig geworden, wenn einer zuviel von ihm verlangte. Der Buddy setzt sich nun mal ab und zu mit den Männern ins Wirtshaus und gibt dann wohl auch ‘n bißchen an, und das wird dann wohl Margot hinterbracht.«

»Kein anderes Mädel?«

»Nichts bekannt jedenfalls.«

Dann beschließen wir eine Kolonnenfahrt zum Gaisberg, wo die Hunde sich richtig austoben können und wir uns gruppenweise über die Bergkuppe verstreuen. Eine geschickte Familienregie bringt es fertig, daß Margot und ich allein sind. Zu unseren Füßen in einem ganz leichten Dunst Salzburg, von der Salzach durchzogen, die aussieht wie eine Ringelnatter im Sonnenlicht, auf der anderen Seite das ungeheure Alpenpanorama, der Untersberg, der Watzmann dahinter, ganz in der Ferne das Schneeblinken des Großglockners, links davor die Riesenkulisse des Tennengebirges.

»Also, was ist los, Mädel?« frage ich.

Sie kratzt mit dem Fuß an einem Stein: »Was soll los sein?«

»Komm, komm, es ist doch was nicht in Ordnung, Kind! Mir machst du nichts vor. Was hat er dir getan? Warum ist er heute nicht mitgekommen?«

»Er ist doch noch nie zu deinem Geburtstag gekommen, Colonel. Das traut er sich wohl einfach nicht.«

»Na schön. Aber das ist keine Antwort auf meine Frage. Hat er ‘n anderes Mädel?«

Sie schüttelt nur stumm den Kopf und bohrt weiter mit dem Schuh an ihrem Stein.

»Du hast dir schon das ganze Leder da vorn abgeschabt«, sage ich. »Willst du’s mir nicht sagen, oder kannst du nicht?«

»Kann nicht.«

»Es ist euch doch nicht etwa was passiert?«

Sie lacht bitter: »Das fehlte noch! Nein.«

»Na, und was ist es, was fehlt? Willst du dich nicht mit deinem alten Colonel aussprechen? Du weißt, ich halte die Klappe, und es ist auch keineswegs Neugier. Ich möchte nur, daß du’s ausspuckst, damit es nicht weiter in dir ‘rumkriecht. Du siehst ja zum Gotterbarmen aus.«

Sie bückt sich und fährt mit dem Finger an der abgeschabten Stelle des Schuhs entlang. »Du hast mal gesagt, daß es viele verschiedene Formen von Liebe und von der Ehe gibt und daß nur ganz wenige den Partner finden, der ihnen wirklich bestimmt ist und der sie genauso liebt wie sie ihn.«

»Ja —?«

Sie richtet sich wieder auf und starrt ins Weite: »Du hast aber auch gesagt, du glaubst, daß Buddy und ich auf diese Weise füreinander bestimmt wären.«

»Ja — auch das habe ich gesagt.«

Sie wendet sich um und sieht mich zum erstenmal voll an: »Vielleicht hast du dich aber geirrt? Bisher hast du immer recht behalten, aber vielleicht gerade in unserem Fall...«

»Ja, daran hab’ ich auch schon gedacht.«

»Seit wann?«

»Seit du damals sagtest, daß dich Enrico einen Moment ernsthaft in Versuchung geführt hätte.«

Sie wird blutrot, aber es ist mehr Zorn als Verlegenheit, was in ihren Augen aufflammt: »Und dann hast du gesagt, für die vielen anderen, die große Mehrheit, genügte es auch zum Glück, wenn der eine Teil liebte und der andere sich mit Anstand lieben ließe.«

»Habe ich das gesagt?«

»Ja.«

»Klingt gar nicht dumm«, versuche ich zu scherzen. In ihren Augen aber bleibt das böse Leuchten: »Ja, aber mit Anstand!«

»Du willst mir also sagen, daß du ihn mehr liebst als er dich, daß er sich sozusagen nur von dir lieben läßt, und das nicht einmal mit Anstand? Das wirst du mir doch nicht weismachen wollen!«

Die bitteren Linien um ihren Mund werden noch tiefer: »Vielleicht liebt er mich noch. Möglich. Aber seit er — also, seit er mich sicher hat, wird das, was zwischen uns ist, immer mehr ein Kampf um die Macht. Man müsse die Situation vorher klären, das ist sein zweites Wort. Möchte wissen, wer ihm diesen Floh ins Ohr gesetzt hat.«

In ihren umschatteten Augen ist für einen Moment das alte Feuer. Sie zerrt das starke, wuschelige Haar über dem Ohr auseinander: »Hier sieh dir das an, ich kriege weiße Haare! Mit zweiundzwanzig! Und mein ganzes Jurastudium läge ihm überhaupt nicht, erzählt er mir dauernd. Aber er, weißt du, was er werden will? Nicht etwa Rechtsanwalt oder Syndikus, wie’s ursprünglich geplant war, nein — Richter! >So ‘n schöner, fauler Beruf<, sagt er. Die Hauptarbeit nehmen ihm die gegnerischen Anwälte ab, und er braucht nur zu urteilen und bekommt später Pension. Aber ich kenne ihn: das Gehalt wird ihm bald nicht mehr ausreichen, und dann muß ich womöglich noch mal anfangen zu studieren, mit drei Kindern an der Schürze, denn die Frau gehört ja ins Haus, und er ist ja so kinderlieb — damit ich zu Haus hocken muß und ihn nicht kontrollieren kann. Und dann, nach zwanzig Jahren, kommt dann die gute Partie vorbeigeschwommen, und ich werde in juristisch elegantester Weise abserviert. Nein, Colonel, ich studiere weiter, und ich lasse mich auch nicht an der Nase ‘rumführen.«

Mir ist weh in der Brust: »Soll ich mal mit ihm reden?«

Sie zuckt die Achseln, so müde, so erschreckend müde: »Wenn du willst? Versuch’s.«

»Werde ich tun. Vielleicht muß er nur wachgerüttelt werden.«

Gerade als wir heimkommen, klingelt das Telefon. Ich laufe ins Haus und erwische es noch. Es ist Enrico. Woher weiß der denn meinen Geburtstag? Aber dann stellt sich heraus, daß er davon keine Ahnung hat: »Mensch«, sagt er, »du mußt unbedingt so bald wie möglich zu mir kommen!«

»Du auch zu mir.«

»Na ja, das sowieso, aber ich habe eine Überraschung für dich, da setzt du dich glatt auf den Hintern!«

»Ich habe auch eine Überraschung für dich.«

»So?« Es klingt nicht übermäßig interessiert: »Was denn?«

»Ich habe einen neuen Cocki! Einen richtigen Springercocker, genau wie mein alter. Aber du hast ihn ja nicht gekannt. Nun sind’s wieder drei bei mir. Na — und deine Überraschung?«

»Komm her und staune!«

»Na schön. Also wann?«

»Ist dir Freitag recht?«

»Freitag — Freitag... warte mal, da war doch was — ach so, um zwei Uhr bin ich bei meinem Verleger, ich könnte ja schon früher ‘reinfahren, in der Stadt essen und — na, sagen wir mal, so ab sechs bei dir sein, ja?«

»Gemacht! Menschenskind, ich kann’s gar nicht abwarten, dein dämliches Gesicht zu sehen! So lang!« Und damit hängt er ab.

Als ich mich vom Apparat umdrehe, steht Margot hinter mir: »Wer war denn das? Buddy?«

»Nein. Enrico.«

»So. Was wollte er denn?«

»Hat ‘ne Überraschung, die er mir Freitag vorführen will. Mehr hat er nicht gesagt.«

Sie runzelt die Brauen: »So — eine Überraschung.« Schüttelt dann etwas von sich ab: »Ich muß ‘rauf, beim Decken helfen.«

Ich schaue ihr nach, wie sie die Treppe hinaufläuft. Dieses entzückende Geschöpf! Die Finger sollte er sich nach ihr ablecken, dieser Esel, der Buddy. Aber den werde ich mir vornehmen!

Am Freitagmorgen nehme ich nur Cocki mit in die Hauptstadt. Von den beiden anderen Mitgliedern des Dreibundes werde ich nicht sonderlich vermißt. Der Kastenbart sitzt mit hochgereckter Nase und ekstatisch geschlossenen Augen in der Küche neben der Mama, die das Hundefutter schneidet. Peterchen guckt neben Frauchen aus dem Fenster, die Vorderbeine wie üblich als Müffchen vor sich, und schaut mir gemütlich nach. Der Dicke aber sitzt hoch aufgerichtet auf dem Hinterpolster und wirft bedrohlich majestätische Blicke nach allen Seiten: >Kommt ja meiner Höhle nicht zu nahe!<

Am Dorfausgang treffe ich Buddy. Wir stoppen beide gleichzeitig. Während er mit einem etwas verlegenen Lächeln auf mich zukommt und Cocki mit rasendem Gebrüll gegen die Scheibe fährt, fühle ich, wie meine alte Sympathie für diesen Jungen in mir hochsteigt.

»Wo geht’s denn hin, Colonel?« fragt er. »Brombeeren sammeln?« Er öffnet die Wagentür und setzt sich, ohne sich um den tobenden Dicken zu kümmern, neben mich. Langt dann, völlig unbesorgt über den aufgerissenen Rachen und die rollenden Augen, nach hinten und packt den Löwen am Genick: »Na, nun sehe ich dich ja auch endlich mal, du Schlawiner!«

Der Dicke schaut mich fragend an, und ich habe den deutlichen Eindruck, daß er resigniert die Schultern zuckt. Dann kringelt er sich zusammen und schläft ein. Doch sein fester Rücken drückt Verachtung gegen Buddy aus: >Betrachten Sie sich als von mir aufgefressen!<

»Nein«, sage ich inzwischen, »ich muß nach München.«

»Wohl zu Ihrem Verleger?«

»Das auch, und hinterher zu Zimmermann.«

An dieser Stelle gerät das Gespräch ins Stocken. Ich sehe Buddy von der Seite an, und da er nachdenklich vor sich hin starrt, riskiere ich einen Erkundungsvorstoß: »Sieht schlecht aus in letzter Zeit, deine Margot!«

Er schaut mich überrascht an, aber ich fühle, daß diese Überraschung gespielt ist: »So? Ist mir gar nicht aufgefallen. Wenn man sich so täglich sieht...«

»Na, ich sehe sie ja auch ziemlich häufig, mir kannst du schon glauben. Warum weint sie eigentlich in letzter Zeit? Wahrscheinlich doch um dich, hm? Ist was in Unordnung?«

Er wird rot: »Was sollte denn in Unordnung sein?«

»Na — also solche Heiligen sind wir ja alle nicht, mein Junge! So ein kleiner Rückfall in frühere Zeiten wäre doch zum Beispiel möglich, oder?«

»Sie meinen, ein anderes Mädel?«

»Ich meine, ein anderes Mädel.«

Die Röte in seinem Gesicht verschwindet wieder: »Nein, kommt nicht in Frage. Ehrenwort. Aber wissen Sie, bei den Weibern — da muß man aufpassen, daß sie einen nicht ganz auffressen! Wenn man nicht von Anfang an die Weichen richtig stellt... Sie haben mir früher mal gesagt, mit dem Verlieben und Verloben ist das so wie mit den Weltraumraketen. Wenn man nicht gleich den richtigen Zielwinkel ‘rauskriegt, dann geht nach ein paar Jahren die Sache schon um tausend Kilometer daneben.«

Ich hole tief Atem:

»Was anderes fällt euch wohl auch nicht ein, als dauernd mich zu zitieren? Von jetzt an werde ich mich hüten, euch noch irgendwas zu sagen! Erstens kann ich mich ja irren, zweitens haben Schriftsteller — das mußt du dir merken — immer eine Schwäche für Formulierungen, die so klingen, als ob sie mächtig gescheit wären. Gleichzeitig aber sind sie, wie ich wieder mal sehe, sehr gefährlich.«

»Nein, nein«, meint er, »die ist schon goldrichtig. Sehen Sie, Colonel, Margot ist ein sehr gescheites Mädel, sie denkt enorm logisch dafür, daß sie ein Weib ist. Aber eben, weil sie eins ist, kann sie nicht bis zur letzten Konsequenz denken.«

»So. Und was ist die letzte Konsequenz?«

Er rutscht unbehaglich hin und her: »Tja, also — wissen Sie, Sie wissen ja, wie’s mit uns beiden steht und daß wir so gut wie verlobt sind und daß ich außer, ihr kein anderes Mädel anschaue. Aber das genügt ihr nicht! Sie will mich ganz und gar haben. >Was hast du gestern gemacht, wo gehst du heute hin, warum hast du das gemacht und das nicht, und ich finde, das hast du nicht richtig gemacht, und den hast du nicht richtig behandelt, und woran denkst du jetzt gerade!< Besonders das ‘Woran denkst du jetzt gerade<, das bringt mich zur Raserei! Und da werde ich dann manchmal grob und zieh mich erst recht zurück! Schließlich muß man doch sein Eigenleben behalten können! Was meinen Sie dazu?«

»Was ich dazu meine: Wenn Margot jetzt hier bei uns wäre, würde sie sagen: >Wenn ich dich frage, was denkst du jetzt gerade, dann will ich mich dir doch damit nicht aufdrängen oder dich stören, ich möchte nur immer bei dir sein, auch in deinen Gedanken, deshalb frage ich, was du denkst oder was du gemacht hast und so! Oft kommt es ja auch nicht vor, daß ich dich frage, weil ich weiß, daß es dich ärgert, aber manchmal geht’s eben mit mir durch. Ich will nur ganz mit dir sein. Und darum frage ich!< Das ungefähr, mein Lieber, würde sie sagen, und wenn du das nicht verstehst, dann bist du einfach noch nicht reif für ein Leben mit ihr! Apropos Leben: Da fällt mir das alte Reiterlied ein: Und setzet ihr nicht das Leben ein, nie wird euch das Leben gewonnen sein! Lützows wilde, verwegene Jagd, glaube ich.«

»Leider bin ich kein Kavallerist, Colonel, und die Freiheitskriege spielen sich, wie Sie sehen, heute in der Ehe ab!«

»Du wirst ja direkt geistreich. Nur auf eine sehr unsympathische Weise!«

»Entschuldigen Sie, Colonel, aber es hat doch keinen Zweck, sich was vorzumachen. Und genau das tut Margot! Daß wir uns gefunden und zusammengetan haben — das ist doch was ganz Natürliches! Aber sie tut immer, als ob es ein Wunder wäre, oder wenigstens, als ob ich’s so ansehen sollte. Wenn’s nach ihr ginge, müßte ich dauernd in so ‘ner Art Trance herumlaufen vor lauter Glück, daß sie mich genommen hat. Sie kann sich nicht damit abfinden, daß sich so was eben allmählich gibt und daß das Ganze in so ‘ne Art Kameradschaft übergehen muß — früher oder später. Je eher, desto besser! Wie finden Sie das?«

»Na, zum Kotzen, Buddy!« sage ich. Und in sein verwirrtes und erschrecktes Gesicht hinein noch einmal: »Zum Kotzen! War es denn kein Wunder für dich, ein so reizendes Mädchen zu besitzen?«

»Doch, schon — natürlich, klar, in den ersten Wochen. Und ich weiß auch jetzt ganz genau, daß...«

»Na also! Und war es nicht schön, so zu fühlen? Nur an sie zu denken und nicht an dich? Mal befreit zu sein von dieser ewigen Ichbezogenheit?«

»Ja, sicher, aber — es läßt sich doch nicht vermeiden, daß auf die Dauer...«

Ich lege ihm den Arm um die Schulter: »Es läßt sich vermeiden, mein Junge! Und ich will dir noch was sagen: Paß gut auf, daß du keinen Fehler machst! Mime nicht den Überlegenen, du bist es nämlich nicht. Als gleichaltrige Frau ist Margot viel lebensreifer als du, und wenn du schon jetzt den künftigen Hausherrn spielst, wird sie früher oder später draufkommen, daß das deine Mikos sind, daß du ein kleiner Junge bist, der im Dunkeln pfeift. Und dann wirst du sie verlieren! Es wird nicht bei der Liebe anfangen, nicht bei der Leidenschaft, sondern bei der Achtung. Die Leidenschaft kommt und geht in Wellenlinien, und dafür gibt’s auch immer wieder neue Chancen. Aber wenn’s mal an der Achtung krankt, dann gibt’s nur noch eines: Mitleid — bestenfalls! Und das ist dann bereits der Anfang vom Ende!«

Ich nehme ihn am Schlips und ziehe ihn zu mir heran: »Du hast mich vorhin mit meinem Zitat veräppelt und hast gesagt, leider wärst du kein Kavallerist. Leider bist du nicht nur das nicht, sondern überhaupt noch kein fertiger Mann, sonst würdest du wissen, was dir das Schicksal da geschenkt hat, als sich ein so entzückendes Wesen mit Leib und Seele dir verschrieb. Als sie das ungeheure Risiko auf sich nahm, die sieben besten Jahre ihrer Jugend auf einen Windhund wie dich zu verwarten. Und vor allem, my boy, würdest du wissen, daß eine wirkliche Liebe, wie alle großen Dinge unseres Lebens, eine Sache auf Leben und Tod ist! Und du würdest auch wissen, daß es sich im Grunde nur um diese Dinge zu leben lohnt. — Aber ich sehe in deine Augen und lese deine Gedanken, die mir sagen: Jetzt redet der Opa wieder mal Goldschnitt. Darum will ich dich zum Schluß nur eins noch fragen, wie du nämlich Margot erklärt hast, daß du nicht Anwalt, sondern Richter werden willst?«

Er bringt mühsam ein Grinsen zuwege: »Hab’ versucht, es ihr mit der Witwenpension schmackhaft zu machen...«

»Das ist Betrug!« Und in sein verblüfftes Gesicht: »Weil du sie vorher unter die Erde bringen wirst! Sie und das nächste halbe Dutzend deiner Frauen auch. Und glaubst du etwa, Margot fällt auf so was ‘rein? Sie hat mir genau vorausgesagt, was ihr blüht. Bald wird dein Gehalt nicht mehr ausreichen, und sie wird dazuverdienen müssen, womöglich noch mal anfangen zu studieren, während zu Hause vielleicht schon ein paar Kinder durch die Gegend kriechen. Und wenn sie sich so zwanzig Jahre abgerackert hat und mies und unansehnlich geworden ist, dann schwimmt die wirklich >gute Partie< für dich vorbei und sie wird nach allen Regeln der Kunst abserviert. So, und jetzt ‘raus mit dir, ich muß nach München.«

Ich öffne die Wagentür, aber er steigt nicht aus, starrt mich nur an wie einen Geist: »Das hat sie gesagt?«

»Ja, wundert dich das?«

Er zieht die Wagentür wieder zu: »Colonel, ich schwöre Ihnen, daß sie mir unrecht tut. Sogar bitter unrecht. Wissen Sie, warum ich Richter und nicht Anwalt oder Syndikus werden will?«

»Natürlich, weil’s bequemer ist.«

»Nein, nicht deswegen. Nicht nur deswegen, genauer gesagt, sondern weil ich dieses moderne Wettrennen vor der Dampfwalze nicht mitmachen will. Vor diesem — Mehrverdienen, immer noch Mehrverdienen! Bleibst du stehen, wirst du von der Walze eingeholt und geplättet. Nichts für mich, Colonel! Ich will leben, richtig leben, und zwar mit meiner Frau! Wir werden nicht gleich einen Babyladen aufmachen und nicht gleich die Wirtschaft komplett haben. Weder Fernseher noch Auto. Ich werde nur zwei Anzüge und sie drei Kleider haben und zwei kleine Zimmer höchstens, vielleicht im Anfang nur eins. Dafür aber werden wir uns haben und in unseren vier Wänden glücklich sein und viel Zeit füreinander haben. Um die Ferien brauchen wir uns nicht zu sorgen: wir haben ja beide unsere Eltern hier. Und dann, so ganz allmählich, wenn mein Gehalt steigt, werden wir auch so ‘n bißchen aufdrehen... Ich hab’ das alles mit meinem Vater besprochen, der natürlich zuerst auch sehr gegen meinen neuen Plan war. Dann aber hat er ‘ne Weile nachgedacht und gesagt: >Vielleicht hast du doch nicht so ganz unrecht, Junge, wenn du auf langsam und sicher gehst. Wenn ich mir so überlege, wie Mutter und ich uns über die ersten selbstverdienten Bettlaken und den Küchentisch gefreut haben, und dann die ersten anständigen Gardinen, und wie wir darin wohnten — wie die Fürsten. Jetzt haben wir den großen Laden hier und das Gut und noch so ‘n ganzen Haufen Krempel, den man auch angeblich haben muß... Nur von uns, von uns haben wir kaum noch was — Mutter und ich. Und ‘ne Ehe, wo Mann und Frau sich nicht gegenseitig immer das erste und wichtigste bleiben, glaub mir, das ist keine richtige Ehe.< Was sagen Sie dazu, Colonel?«

»Dein Vater ist ein kluger und aufrichtiger Mann...«

»... und hat sich trotzdem breitwalzen lassen. Aber ich nicht.«

»Hast du mit Margot mal darüber gesprochen?«

»...‘türlich. Hundertmal, halbe Nächte lang. Aber, Sie sehen ja, sie glaubt mir nicht. Sie glaubt nicht daran, daß ich’s durchhalte. Aber vielleicht ist sie es selber, die Angst hat, schlappzumachen, und es darum auf mich abwälzt?«

Er verstummt und starrt vor sich hin, fährt dann wie aus tiefem Traum erwacht auf: »Ja, also — Colonel — vielen Dank und guten Erfolg!«

Er steigt aus. Und kaum, daß er die Wagentür geschlossen hat, erwacht Cocki, sich nunmehr unbedroht fühlend, zum rasenden Verteidiger seiner Höhle. Ich schaue in den Rückspiegel: Buddy steht mitten auf der Straße, im Staub meines Wagens, streicht sich die Haare aus der Stirn und starrt mir nach. Warum habe ich ihn eigentlich so gern? Vielleicht, weil er im Kern ein guter Kerl ist, ein guter, lieber und auch anständiger Kerl.

Man muß ihnen helfen, allen beiden. Jetzt kann ich mir wenigstens ein Bild davon machen, um was es zwischen ihnen geht. Aber wer von ihnen ist sich selbst klar? Beide? Oder keiner von beiden?

In München bin ich so gegen Mittag, habe Glück und finde eine Parklücke. Bevor ich essen gehe, beschließe ich, den Dicken abzufüttern, damit er im Lokal nicht so drängelt. Ich mache also die Kofferklappe auf, hole seinen Napf heraus und stelle ihn hinter den Wagen.

Ganz im Gegensatz zu sonst jedoch atmet er den Schüsselinhalt, den die Mama doch wieder, trotz Verbotes, bis zum Rand vollgefüllt hat, nicht ein. Er steht davor und bellt den Brunnen in der Mitte des Platzes an. Hat er vielleicht Durst? Ich hole seinen Wassernapf und fülle ihn am Becken. Stelle ihn neben sein Futter. Er blökt weiter. Ist ein anderer Hund in der Nähe? Ich sehe mich um — nichts. Ein paar Leute in der Umgebung werden aufmerksam.

»Cocki«, sage ich jetzt ärgerlich, »stell dich nicht so an! Ich nehme dir sonst den Napf wieder weg.« Er sieht mich an, bellt weiter und immer wütender, schaut verwundert:

>Ja, Menschenskind, begreifst du mich denn nicht? Du verstehst doch sonst alles! Da — Herrchen!<

Ich hocke mich neben ihn und folge seinem Blick, und dieser Blick ist starr auf einen der großen, zähnefletschenden Löwen gerichtet, die die Brunnenschale tragen. Ist es möglich, daß er die Form erkennt? Daß er sie nicht für einen Steinklotz, sondern für die Konkurrenz hält? Ich gehe auf den Löwen zu, streichele ihn, lege ihm eine Hand in den offenen Rachen: »Ist doch nichts, du Dummerle! Guck mal, ist ein ganz liebes Hündchen, tut dir überhaupt nichts!«

Und da kommt er angekrochen, zähnefletschend, auf dem Bauch, aber er kommt näher, unentwegt wedelnd, drängt sich dann dicht an mich und stößt mit der Nase gegen den Löwen. Dann plötzlich ist das Zittern aus seinem Körper wie weggeblasen, er sieht mich ganz gut und lustig an, schießt wie ein Blitz auf seinen Napf zu und frißt ihn hinternanderweg leer, bis auf den letzten Krümel. Den ganzen Inhalt der Wasserschüssel schüttet er noch hinterher, und als wir dann beide zum Lokal gehen, hat er einen Bauch wie eine Pauke, und innen gluckert es bei jedem Schritt. Was ihn natürlich nicht hindert, im Restaurant mit dem Ausdruck eines verhungernden Wolfes sämtliche Nachbartische anzuschnorren.

Dann fahre ich zum Verleger, lege mit ihm eine Runde mit harten Bandagen aufs Parkett und mache mich anschließend auf den Weg zu Enrico.

Er empfängt mich in der Diele, über beide Ohren feixend und mit einem Highball in der Hand: »Da, nimm erst mal einen, mein Junge, damit du nicht gleich umkippst. Was ist denn das für ‘n Krokodil, was du hinter dir herschleifst?«

»Das ist Cocki!«

»Ich dachte, der ist tot?«

Ich beanstande den gemütsrohen Ton, der in dieser Äußerung mitschwingt: »Das ist Cocki zwei. Ich hab’s dir doch schon am Telefon erzählt.«

»Also schön, Cocki zwei. Kannst du ihn hier draußen anbinden?«

»Warum? Bist du plötzlich nicht mehr tierlieb?«

»Natürlich bin ich noch, aber nicht im Augenblick.«

Cocki hat sich an ihm aufgerichtet und läßt albern die Zunge heraushängen. Enrico streichelt ihn: »Du hast dir ein selten dämliches Herrchen ausgesucht. Es ist doch nur wegen der Pointe! Nachher kannst du ja ‘rein. Also sei gescheit — hier — sieh mal — schööön!« Er hängt die Leine über einen Zacken des großen, messingnen Schirmständers. Cocki sieht mich fragend an, ob er einen solchen Eingriff in seine Souveränität durch diesen Menschen erdulden muß, und ich entscheide das Problem mit einem donnernden »Platz!«, worauf er sich nach einem verächtlichen Blick aus blutunterlaufenen Augen niederlegt und anfängt, seine Zehen zu pediküren.

Als ich in Enricos Bibliothek komme, sehe ich Nacken und Hinterkopf einer Dame im Sessel. Beides kommt mir irgendwie bekannt vor. Dann dreht sie mir ihr Gesicht zu — es ist Stefanie.

Nun wäre mir beinahe das Glas aus der Hand gefallen. Ich trinke es deshalb mit einem Zug leer, um die kostbare Flüssigkeit zu retten, und setze mich ihr dann gegenüber. Sie ladit schallend: »Ja, da legst di nieder, gell?«

»Ich habe Sie noch nie Dialekt sprechen hören«, sage ich, weil mir nichts anderes einfällt.

»Und ich habe Sie noch nie so fassungslos gesehen!« erwidert sie.

»Blöde!« korrigiert Enrico sie, »ausgesprochen blöde sieht er aus. Mach wenigstens den Mund zu.« Damit reicht er mir einen zweiten Highball, den ich auf das Rauchtischchen stelle, und starre weiter Stefanie an, die allmählich errötet, worauf mich Enrico gegen die Schulter boxt: »Bist du denn gar nicht neugierig, was hier eigentlich los ist?«

»Er ist ja noch immer ganz hin«, meint Stefanie. Sie sieht geradezu hinreißend aus.

»Das tollste an der Sache ist«, sage ich, »daß der dicke Teddy, Susannes Vater, das genau vorausgesagt hat!«

»Was hat er vorausgesagt?« fragt Stefanie freundlich, und es ist etwas Katzenhaftes in ihrem Blick.

»Daß ihr euch heiratet und daß somit alles bestens wäre, jeder auf seine Weise zufrieden!«

»Aber wir wollen gar nicht heiraten!« erklärt sie, wiederum sehr freundlich.

»Das habe ich Teddy auch gesagt, aber er hat’s mir nicht geglaubt.«

»Na sieh mal«, sagt Enrico wohlwollend, »dann hast du doch auch mal recht gehabt!«

»Nun erzähl schon, wie es gekommen ist«, sage ich.

»Ganz einfach«, meint er. »Du hast mir die Geschichte von Susanne erzählt, und dabei hast du Stefanie erwähnt. Ich schlug im Telefonbuch nach, rief sie an und erklärte ihr, daß ich sie in einer dringenden persönlichen Angelegenheit sprechen müßte. Und außerdem hätte ich schon einiges über sie gehört, was mich sehr neugierig auf ihre Bekanntschaft machte. Sie sagte, sie hätte auch schon einiges über mich gehört, wolle mich aber trotzdem empfangen. Dann tauschten wir unsere Erfahrungen mit dir und ‘den Bentlers aus, und während wir das taten, wurden wir zusehends fröhlicher darüber, daß .wir dieses Kapitel hinter uns und uns auf diese Weise kennengelernt haben.«

»Das ist nicht zu bestreiten«, sage ich nur. »Na, und wie ging’s dann weiter?«

Stefanie dehnt sich in ihrem Sessel und gähnt unverschämt glücklich: »Na, es ging eben weiter.«

Ich merke, wie es Enrico etwas den Atem verschlägt, worauf in ihren Mundwinkeln ein mokantes Lächeln erscheint: »Im Grunde ist er noch ein Jüngling«, erklärt sie mir. »Erstaunlich unverdorben.«

»Es wird sehr interessant«, meint Enrico, »wenn sich dieser Zustand allmählich legt! Dann erhebt sich nämlich die Frage, ob sie’s noch reizt? Was meinst du?«

Ich nehme einen Schluck von dem zweiten Highball: »Ich könnte mir vorstellen, daß ihr das ewige Verführen allmählich langweilig wird und daß sie sich mal einen eigenen Mann für die Dauer zurechtbauen möchte.«

»Natürlich möchte sie das«, sagt er, »aber ich bin ja kein Anker-Steinbaukasten.«

»Na ja, mit einigen Zacken wird sie sich schon abfinden, nicht wahr, Frau Stefanie?«

Sie gießt sich einen Campari ein und mischt ihn mit doppelt soviel Wasser. Er schimmert rubinrot wie ihre Lippen: »Das dürfte mir gar nicht schwerfallen, Colonel, da ich ja gottlob nicht verpflichtet bin, seine unangenehmen Seiten zu erdulden.«

Ich trinke den Highball mit einem Zug aus: »Dann wollt ihr also tatsächlich nicht heiraten?«

»Warum sollten wir?« erkundigt sich Enrico erstaunt.

Ich wende mich an Stefanie: »Ist das auch Ihre Ansicht?«

»Ja, natürlich! Es soll doch möglichst so bleiben, wie es jetzt ist. Die Zuneigung zwischen zwei Menschen bewegt sich in Wellenlinien, ich glaube, dieser Ausspruch stammt von Ihnen. Warum sollen wir uns nicht die Rosinen aus dem Kuchen picken und nur dann zusammen sein, wenn uns danach ist und wir uns wirklich mögen? Kommt ein Wellental, hat Enrico seinen Beruf und ich mein Haus. Das Leben ist kurz, man muß es genießen, meinen Sie nicht auch?«

»Das ist eine Frage der Einstellung«, erwidere ich.

»Aber es ist doch zweifellos die vernünftigste Einstellung, das wirst du uns zugeben«, sagt Enrico. Stefanie beugt sich vor, das Campariglas nachdenklich in der Hand drehend: »Sie scheinen nicht ganz einverstanden?«

»Tja — hm — hm...«

»Hm«, erklärt Enrico, »sagt er immer, wenn er nicht weiter weiß.« Stefanie nickt: »Das habe ich auch schon an ihm bemerkt.« Er wirft ihr einen argwöhnischen Blick zu: »So? Ach ja — er war ja bei dir, ziemlich lange sogar, wie ich gehört habe. Was hast du denn sonst noch an ihm bemerkt, bei dieser Gelegenheit?«

Sie lacht: »Ist er nicht goldig? Ich möchte dich zu gern noch eifersüchtiger machen, Schatz, aber ich lüge prinzipiell nicht.«

Enrico: »Gibt’s so was überhaupt bei Frauen?«

»Mir ist bisher noch keine begegnet, aber vielleicht ist die gnädige Frau hier eine Ausnahme. Außerdem bleiben Mummelgreisen wie mir bei solchen Aussprachen leider keine Möglichkeiten, die dich eifersüchtig machen könnten.«

»Ich trau’ dir nicht fünf Meter weit, du Aas«, sagte Enrico herzlich. »Mummelgreis! Daß ich nicht lache! Aber abgesehen davon bist du uns noch eine Antwort schuldig. Nämlich, ob du’s nicht auch vernünftig findest, daß wir nicht heiraten.«

»Ist es vernünftig, wenn ihr vom Leben nur Genuß wollt?«

»Und warum sollten wir das nicht wollen?«

»Na, weil ich das Gefühl habe, daß einem auf die Dauer nichts erspart wird. Mal müßt ihr doch den ganzen Kuchen futtern und nicht nur die Rosinen. Ich habe vorhin gesagt, es wäre eine Einstellungsfrage — natürlich ist das, was ich hier von mir gebe, auch nur eine Einstellung.«

»Und worauf läuft die hinaus?« fragt Stefanie, die jetzt nachdenklich aussieht.

»Darauf, daß irgendeine höhere Macht irgend etwas ganz Bestimmtes mit uns vorhat. Eine richtige Ehe — ich meine damit gar nicht diese ganz seltenen Ehen, in denen ein animus seine anima findet, sondern eine ganz normale, einigermaßen gesunde Ehe — die zwingt uns dazu, auch die schlechten Tage miteinander zu tragen, die Mißgeschicke, die Mißstimmungen, die Kindersorgen, mehr an den anderen als an uns zu denken. Ein Mensch ist doch eine so unglaublich komplizierte Angelegenheit, und die Möglichkeit, daß da Zahn in Zahn ineinanderpaßt, daß es wie ein Synchrongetriebe läuft, ist so unwahrscheinlich, daß nur eins übrigbleibt: die Selbstverleugnung, der Sprung über den eigenen Schatten.«

»Mit anderen Worten«, sagt Enrico, »du mußt dich so völlig rundschleifen lassen, daß du dich zum Schluß selbst nicht mehr erkennst.«

»Hältst du denn deine Zacken für so ungeheuer wertvoll, daß du sie dir auch um eines geliebten Wesens willen nicht abschleifen lassen willst?«

»Ich halte sie nicht für wertvoll, aber es sind meine Zacken, ich hab’ mich an sie gewöhnt, und ich finde mich überhaupt ganz sympathisch. Warum sollte ich das aufgeben, wenn ich nicht muß? Genauso denkt Stefanie, stimmt’s?«

Sie sieht ihn nachdenklich an: »Ja, ja, natürlich — im Augenblick kommt’s mir allerdings etwas theoretisch vor, was wir uns da zurechtgemacht haben.«

»Daran ist nur dieser Kerl schuld«, sagt Enrico. »Er braucht sich einer Frau nur auf ein paar Kilometer zu nähern, und sie verwandelt sich von einem vernünftigen Wesen in eine Henne.«

Stefanie fährt aus ihrem Sessel hoch: »Willst du damit sagen, daß ich eine Henne bin?«

Ich lehne mich zurück: »Na, Kinderchen, nun mal weiter. Jetzt wird’s interessant!«

»Das möchtest du wohl!« meint Enrico. »Aber hiermit ist das Thema abgeschlossen. Wie geht es denn deiner lieben Frau Mama? Von Anette ganz zu schweigen?« Er steht auf, geht zur Tür und öffnet sie: »Außerdem haben wir ja hier...« Weiter kommt er nicht, denn Cocki stürzt herein, samt Messingschirmständer. Und mit diesem Möbelstück klettert er nach kurzem strategischem Umblick auf Stefanies Schoß, weil man von dort die beste Sicht auf die Platte mit den Sandwiches hat. Die nächsten Minuten sind wir damit beschäftigt, Schirmständer, Stefanie und Cocki auseinanderzusortieren. Das Gespräch versickert, und ich habe den Eindruck, daß es allen Beteiligten so recht ist.

Eine halbe Stunde später gehe ich. Enrico bringt mich zur Tür.

»Sie ist eine ganz bezaubernde Frau«, sage ich.

Er sieht mich finster an und beißt auf seine Lippe: »Manchmal könnte ich dich umbringen. Aber da du’s nun mal so auf die Spitze getrieben hast: soll ich sie heiraten? Ja oder nein?«

»Darauf kommt’s nicht an.«

»Sondern?«

»Auf Stefanie.«

Er starrt mich völlig fassungslos an: »Du zweifelst doch nicht etwa, daß sie mich mit Kußhand nehmen würde?«

»Genau das tue ich. Bye-bye, so long!«