3

Marc sieht wieder sehr sorgenvoll aus und rührt mich, wie jedesmal, wenn ich ihn treffe, denn mit seinem verwuzelten schwarzen Haar und der dicken Brille erinnert er mich an den einzigen Freund meines Lebens, Mäxchen, den die Erde deckt, seit über dreißig Jahren schon. Eine unglückliche Liebesgeschichte drückte ihm den Revolver in die Hand.

»Ich sehe, ich störe Sie, Colonel«, sagt Marc. (Den >Colonel< hat er von den Mädels übernommen, aber er siezt mich, obwohl ich ihn duze und auch ihm das Du angeboten habe. Ich nehme es ihm nicht übel, denn ich weiß, daß dieses >Sie< nur verklemmte Schüchternheit ist.)

Er schmeißt sich in den Sessel, streckt die Beine von sich und polkt gedankenverloren an seiner Lippe.

Ich knurre statt einer Antwort und sortiere mein Manuskript, wobei ich ihn aus den Augenwinkeln beobachte. Unwillkürlich vergleiche ich ihn mit Margots Freund Buddy. Der läßt sich nicht die Butter vom Brot nehmen, nicht mal von Margot, obwohl ich weiß, wie tief er sie von frühester Jugend an liebt. Hat sich während eben dieser Jugend mit einem Stall voll Brüdern und Schwestern herumbalgen müssen, und das hat ihm die schützende Härte verliehen.

Dieser hier aber, Marc, ist etwas ganz anderes. Einziger Sohn einer reichen, verwitweten und diktatorischen Mutter, vergöttert und verwöhnt, Treibhauspflanze. Und doch nicht nur. Es wäre ungerecht, ihn damit abzutun.

Jetzt stößt er mit einer seiner merkwürdig vogelähnlichen Bewegungen den Oberkörper nach vorn: »Wissen Sie, warum ich komme?«

»Ich bin kein Gedankenleser.«

»Dann will ich es Ihnen sagen, Colonel (meinen Spitznamen spricht er so, als spucke er die einzelnen Silben aus), weil ich es nicht mehr hören kann: Der Colonel hat gesagt! und: Wenn das der Colonel wüßte —. Es kotzt mich an, Colonel, und da bin ich denn gekommen, damit Sie es wissen, aus meinem eigenen Mund: Ja, ich schlafe mit einer anderen Frau, weil — weil — es geht einfach nicht anders. Was sagen Sie nun?«

»Ich sage: ‘runter von dem Pferd, mein Junge. Es schickt sich einfach nicht, so hoch zu Roß in die Bibliothek eines friedlichen älteren Herrn geritten zu kommen.«

Er stutzt, wiederholt mechanisch: »‘runter von dem...« Dann versucht er zu lachen und schafft es, einen Moment wieder wie er selbst auszusehen. Eine Sekunde später ist sein Lachen zu einem jammervollen Grinsen zerflossen: »Soo schlimm bin ich nun auch wieder nicht!« (Pause) »Sagten Sie was?«

»Nein.«

»Immerhin glaube ich doch einigermaßen bewiesen zu haben... Schauen Sie, Colonel (diesmal spuckt er die Silben nicht), ich meine, was war ich denn, bevor ich Susanne traf: ein Muttersöhnchen im goldenen Käfig, dem zu gegebener Zeit sogar die Frau von Mamachen ausgesucht werden würde. Ganz zu schweigen vom Beruf: Du brauchst keinem nachzulaufen, das ist mein Stolz. Ich habe schon mit X und Y gesprochen. Sie werden dir Aufträge besorgen, das ist das mindeste, was sie für das viele Geld tun können, das sie an mir verdient haben!«

»Sie hat es sicher gut gemeint, deine Mutter.«

»Ja — ja, ja! Alle meinen es so schrecklich gut. Futternäpfchen schon gefüllt, frisches Wässerchen, und nun besorgen wir dir noch ein nettes Frauchen. Der Mensch als Wellensittich!« Er springt so plötzlich auf, daß ich zusammenfahre: »Aber ich habe es mir selber ausgesucht — das liebe Weibchen. Sie wissen ja, was für Kämpfe es Susannes wegen gab. Zunächst war Susanne für meine Mutter nichts anderes als ein raffiniertes Frauenzimmer, das hinter meinem Geld her war. Tochter eines Waschmaschinen-Vertreters — pah! Bis ich ihr klarmachte, daß ein Vertreter ein Mensch sei, der sich sein bißchen Geld selber und ehrlich verdienen müsse und deshalb weit über mir stehe — und über ihr. Was wir denn bei Licht besehen seien: Parasiten, Nutznießer eines blinden Zufalls, nämlich daß Papa sehr viel Geld, aber nicht immer ganz ehrlich verdient habe.«

»Wie reagierte die Mama?«

»Erst haute sie mir eine ‘runter, und dann schmiß sie die zwanzig Kilo schwere Bronzebüste von Papa in den Kristallspiegel. Eine erstklassige sportliche Leistung, wie Sie zugeben müssen.«

»Erstklassig — und was tat sie dann?«

»Etwas viel Gefährlicheres: sie ließ mich Susanne mitbringen. Die Fortsetzung kennen Sie ja. Sie haben sie selber mitgemacht.«

Und ob ich es mitgemacht hatte!

Die Mutter drehte nach der ersten Aussprache unter vier Augen mit Susanne um hundertachtzig Grad bei. Ich hatte das zweifelhafte Vergnügen, Marc während dieser Aussprache bei mir zu verwahren. Er benahm sich, als ob Susanne das erste Kind bekäme, und wütete derart unter meinen Alkoholvorräten, daß er stockbetrunken war, als die Mutter schließlich bei mir anrief. Ich mußte ihn hinfahren und in einem scheußlichen Salon warten, bis er endlich aus den Gemächern wieder zum Vorschein kam.

Noch jetzt sehe ich ihn, wie er damals mit der Klinke in der Hand vor mir stand und nur immer den Kopf schüttelte wie ein betrunkener Rabe. Ich nahm ihm. die Tür aus der Hand, schloß sie und feuerte ihn in einen Stuhl.

»Es sind schon andere Söhne vor dir enterbt worden«, tröstete ich ihn, »und sie haben trotzdem...«

Er tauchte für einen Moment aus seinem Alkoholnebel auf: »Was heißt hier enterbt — sie sind ein Herz und eine Seele!«

»Wer?«

»Mutter und Susanne! Ich werd’ verrückt!«

Er wurde nicht verrückt, sondern fiel statt dessen mit dem Kopf auf den Tisch und schlief ein. Gleich darauf erschienen Mutter und Susanne. Die Mutter glich der seligen Adele Sandrock. Während sich Susanne mit dem Aufschrei: »Mein armer Liebling!« um Marc bemühte, fühlte ich mich von Adele gemustert.

»Ich habe eine ganze Reihe Ihrer Bücher gelesen«, sagte sie und zählte vier Titel auf. Drei davon waren von anderen Autoren, aber ich zeigte mich gebührend geschmeichelt. Dann bemerkte sie, die rührende Gruppe mit einem ironischen Blick streifend: »Susanne, dieser Mensch ist einfach betrunken. Das ist er immer, wenn es brenzlig wird.« Sie musterte mich streng: »Sie hätten seinen Vater kennen sollen! Als ich mit Marc niederkam, waren wir in Liberia. Mein Mann und eine Negeramme haben mich entbunden. Ich weiß nicht, wo Marc diese Weichheit her hat.«

Ich murmelte etwas von Vererbungssprüngen und erkundigte mich schüchtern nach den Großvätern.

»Ja«, meinte Adele, »vielleicht haben Sie recht. Der Großvater meines Mannes war Dirigent — einer Kurkapelle, zwanzig Jahre lang und immer in Kissingen. Das kommt gleich nach Gehirnerweichung.« Sie faßte mich erneut streng ins Auge: »Um so glücklicher bin ich, daß er nicht irgend so einem modernen Frauenzimmer in die Hände gefallen ist, die Kieselherzen haben und nur noch an gewissen Körperstellen Weiber sind. Statt dessen habe ich eine Tochter hinzugewonnen. Sie entschuldigen mich jetzt bitte — wir beiden Frauen werden diesen Menschen ins Bett bringen. Empfehlen Sie mich Susannes Eltern, es wird mir ein Vergnügen sein, sie bald aufzusuchen.«

Kurz darauf ereignete sich die zweite Sensation: Marc wurde an Susanne zu einem energischen, ja aufrührerischen Mann, was eine Reihe — teilweise nicht druckfähiger — Kommentare im trauten Familienkreis auslöste. Der noch salonfähigste wurde von Addi geliefert und ging dahin, daß bei Susanne ein gewisser Mangel an Intelligenz offenbar durch anderweitige Begabungen aufgewogen werde. Das wiederum nahm Margot, übel, die bei diesem Gespräch zugegen war und sich sofort zum Beweis dafür erbot, daß auch eine intelligente Frau diese anderweitigen Begabungen entwickeln könne. Sie wurde — unter Hinweis darauf, daß sowohl sie wie ihr Buddy noch zahlreiche Semester zu studieren hätten — beschworen, diesen Beweis in Grenzen zu halten. Man glaube ihr die betreffenden Begabungen ohne weiteres, was schon daraus hervorgehe, daß sie einen so notorischen Windhund und Schürzenjäger wie Buddy dermaßen fest an ihrer Wagendeichsel vertäut habe.

Marcs Mannwerdung hatte sich vor allem darin geäußert, daß er aus dem mütterlichen Hause auszog und sich von seinem gesamten väterlichen Erbe ein eigenes, hypermodernes baute, sehr zur Freude Susannes und zum fassungslosen Entsetzen Adeles, die besonders Susanne für diese Wendung verantwortlich machte und jeden Verkehr mit den beiden abbrach.

Ja, und nun sitzt er vor mir, der gute Marc, und polkt an seiner Lippe.

»Cognac?« frage ich.

»Nein, danke, Colonel. Hab’ schon genug heute.«

»Also dicke Luft.«

»Zum Schneiden. Sie wissen natürlich durch die Frauen genau Bescheid.«

»Ich habe nicht mehr gehört als ein Gemurmel. Was ist los?«

Er lächelt schief: »Also — ja — als Architekt hat man’s nicht leicht, wie jeder im freien Beruf.«

»Weiß ich. Weiter. Langt’s nicht mit dem Geld?«

Die Schweißtropfen stehen ihm auf der Stirn, wie ich mit verwundertem Mitgefühl feststelle: »Mit Geld hat es wohl zu tun, aber es ist umgekehrt...«

»Hast du zuviel? Dann könntest du mir gleich mal drei Mille pumpen, ich...«

»Nein, nein — Colonel! Ach, es hat ja keinen Sinn, drumrum zu reden. Also — ich bin, wie Sie wissen, bei Rüttger und Söhne als fester Mitarbeiter, aber nur mit einem kleinen Fixum. Dafür habe ich die Klausel im Vertrag, daß ich direkte Aufträge annehmen kann, vorausgesetzt, daß Rüttger den Bau bekommt. Das Architektenhonorar kann ich dann für mich behalten.«

»Verstehe.«

»Na, und nun haben mir vor zwei Monaten Freunde einen Auftrag zugespielt, das neue Haus von Stefanie Koller — Sie wissen, wer das ist?«

»Keine Ahnung.«

»Koller und Schütte, Keks, Pfefferkuchen, Teegebäck — der alte Koller ist vor einem halben Jahr gestorben, der alte Schütte schon vor zwanzig Jahren. Koller hatte die Firma ganz übernommen, aber den Namen nicht geändert.«

»Na und?«

»Na, und der Koller hat eine ziemlich junge Frau hinterlassen. Stefanie, zweiunddreißig Jahre. Dunkel. Bildschön. Sie kann mir natürlich niemals das sein, was mir Susanne ist, und...«

»Und trotzdem hast du...«

»Sie müssen mich richtig verstehen, Colonel. Dieser Auftrag — abgesehen vom Geld —, das Haus und die Inneneinrichtung kommen durch ihre Beziehungen in die Dame und Film und Frau — das bedeutet für mich künftig doppelte Honorare und doppelt so viele Aufträge, und Susanne hätte jeden Grund...«

»Wodurch weiß es Susanne?«

»Sie vermutet es nur. Sie hat zwei Kinobilletts gefunden, die ich in einer Jacke vergessen hatte.«

»Man vergißt immer etwas in seiner Jacke«, sage ich düster. »Und wie geht’s nun weiter?«

»Ich habe natürlich versucht, ihr alles auszureden, und Stefanie hat sie auf meinen Wunsch eingeladen, damit Susanne sich selbst überzeugen kann, daß alles ganz harmlos ist. Sie — ich meine Stefanie — war ganz entzückend zu Susanne und hat ihr Komplimente gemacht...«

»Ich habe auch nicht erwartet, daß sie ihr zwei verrammelte Betten zeigen würde, verdammt noch mal! Das Luder ist raffiniert.«

»Welches Luder?«

Ich gebe ihm meinen kältesten Eisblick: »Gibt es in diesem Fall zwei Luder?«

Er wird blutrot: »Natürlich nicht...«

»Na also. Lausige Situation, in die du dich da hineinmanövriert hast.« Ich stehe auf: »Jetzt werde ich mal einen nehmen.«

»Ich auch — wo’s endlich ‘raus ist!« sagt er hinter mir, als ich die Schranktür öffne. Wir nehmen jeder einen, lassen die Flasche sicherheitshalber neben uns und zünden uns Zigarren an.

Ich merke, wie er mich prüfend von der Seite mustert: »Sie haben eben gesagt, ich sei in eine lausige Situation geraten. Wieso nennen Sie diese Situation lausig?«

»Weil wir Männer uns immer idiotisch vorkommen, wenn sich uns eine schöne Frau anbietet und wir ihr sagen müßten: Nein, danke, ich bin meiner Frau treu!«

In seinen Augen glimmt Hoffnung: »Sie sagen >müßten< — meinen Sie, daß die meisten Männer das nicht fertigkriegen?«

»Genau. Obwohl gerade das idiotisch ist und nicht das andere.«

Sein Gesicht verdüstert sich wieder: »Warum?«

»Weil unsere Weigerung anständig und selbstverständlich wäre und weil sie einer Frau mit Charakter nur imponieren würde. Offenbar hat deine Stefanie aber keinen.«

Diesen Ausfall mache ich absichtlich, um zu sondieren, wie tief die Sache bei ihm geht. Er wird blutrot und würgt gewaltig. Also sitzt es ziemlich tief. Schlimm.

Jetzt wird er sogar aggressiv: »Meine Frage ist vielleicht unverschämt, Colonel — aber waren Sie mal in einer ähnlichen Lage?«

»Deine Frage ist wirklich unverschämt. Aber damit du nicht glaubst, ich kneife: zweimal.«

»Ah! Und wie haben Sie reagiert?«

»Das einemal war es die Frau eines Freundes. Junge, und was für eine Frau!« Ich schließe die Augen und sehe ihr Gesicht vor mir, die Augen — den Mund, diesen verrückt schönen Mund. »Von dieser Frau...«, entfährt es mir, »habe ich den schönsten Kuß meines Lebens bekommen.«

Als ich die Augen erschrocken wieder aufmache, sehe ich, daß Marc nur noch auf dem Stuhlrand sitzt: »Und weiter — was passierte dann?«

»Dann sagte ich ihr, daß sie eine wunderbare Frau und meine größte Versuchung sei — aber leider die Frau meines Freundes.«

»Und sie?«

»Sie brachte das Kunststück fertig, mich nicht zu hassen, sondern mir eine gute Freundin zu bleiben.«

Sein Blick wird verächtlich: »Zwei Edelmenschen also.«

»Keineswegs, my boy, sie konnte schließlich nichts anderes, als gute Miene zur Enttäuschung zu machen, und mir tat’s hinterher leid.«

Er ist einen Augenblick verblüfft, lacht. »Und beim zweitenmal?«

Ich seufze: »Beim zweitenmal kam gerade eine Tante zu Besuch. Gott sei Dank hatte die Wohnung einen Hinterausgang. Damit ist die Fragestunde beendet, und hör auf mit deinem hysterischen Gewieher! Wie ist Susanne nach diesem Besuch bei deinem Vamp?«

»Besänftigt, aber noch argwöhnisch.«

»Wie lange dauert der Bau noch?«

»Drei Monate.«

»Und dann hängst du sie ab?«

Sein Zögern dauert nur einen Sekundenbruchteil, aber es entgeht mir nicht: »Natürlich hänge ich sie dann ab.«

»Hm. Sag mal, Marc — da wir schon mal unter uns Männern sprechen, wie sah es eigentlich mit deinem erotischen Vorleben aus?«

Er errötet: »Nun — normal.«

»Das hoffe ich. Aber — hattest du längere Verhältnisse oder kürzere?«

»Ja — das kann man eigentlich nicht sagen —, es war da mal eine kurze Sache mit der Zofe von Mama, aber sie hat es gleich gemerkt, die Mama, und hat das arme Mädel ‘rausgeschmissen. Ich hab’ mich aber trotzdem immer noch um sie gekümmert, bis sie sich verheiratet hat. Ja — und dann —, dann hatte ich mal so ‘n paar Mädels von der Straße...«

»Mit anderen Worten, du bist als ziemliches Greenhorn in die Ehe gegangen. Und jetzt fängst du bei Kollers lustiger Witwe an, das zu lernen, was du vorher gelernt hättest, wenn du nicht so ein verdammtes Muttersöhnchen gewesen wärst!«

Er hebt den Kopf, und in seinen Augen glitzert Aufruhr: »Sind Sie nicht ‘n bißchen hart, Colonel? Habe ich nicht bewiesen...«

»Du hast bisher gar nichts bewiesen, sondern nur das getan, was für einen jungen Mann selbstverständlich ist, der seine junge Frau liebt. Daß du ihrer wert bist, wirst du erst beweisen müssen.«

»Was meinen Sie damit?«

»Damit meine ich, daß nach drei Monaten die Krise kommen wird, wenn du nämlich versuchen mußt, dich von Stefanie loszureißen.«

»Sie meinen, daß sie dann gemein wird! Das würde sie auf keinen Fall, sie...«

»Ich rede gar nicht von deiner Stefanie, sondern von dir, mein Junge. Du wirst viel weniger mit ihr zu tun haben als mit dir. Sie wird sich einen anderen Architekten suchen, der ihr die Terrasse umbaut. Aber du, mein Lieber, du wirst beweisen müssen, daß du ein Mann bist. Ich weiß, daß es verdammt schwer für dich sein wird. Mach dir darüber keine Illusionen! So ein Unterricht, mein Junge, der bindet, der sitzt im Blut wie ein Fieber. So was ist wie Krebs, der seine Metastasen von unterhalb der Gürtellinie bis ins Gehirn und Herz schickt. Das mußt du ‘rausreißen — mit Stumpf und Stiel!«

Ich schweige und trete ans Fenster. Noch einmal hole ich tief Atem: »Es ist dir klar, mein Junge, daß wir bisher ziemlich um den heißen Brei herumgegangen sind.«

Er blickt auf, argwöhnisch und böse: »Sind wir das?«

»Das sind wir. Weißt du überhaupt, was es bedeutet, daß dir da ein junges Weib in die Hand gelegt wurde, mit Leib und Leben? Weißt du überhaupt, was das ist?«

»Ja, ein reizendes, aber primitives Geschöpf, das mich für seine Brut und Sicherheit braucht. Wenn ein bißchen Spaß dabei ist, schadet’s nicht. Ich muß aufpassen, daß ich nicht zweckentfremdet werde. Sie sehen aus, als wollten Sie mir jetzt einen Kinnhaken geben — genieren Sie sich nicht, Sie sind stärker und können boxen, wie ich weiß.«

»Ich boxe nicht mit Jammerlappen.«

»Und warum Jammerlappen, wenn ich fragen darf?«

»Du darfst. Weil du alles, was du anstellst, immer nur aus Angst tust. Du hast aus Angst vor deiner Mutter geheiratet und dieses Verhältnis angefangen, aus Angst, dich an Susanne zu verlieren. Und jetzt hast du so nebenbei die Reize einer verfeinerten Erotik entdeckt und glaubst, du könntest auf der Butterbrotseite einfach weiterschlittern. Zum Schluß bleibt dir immer noch die rührende Heimkehr zur unentwegt weiterliebenden Gattin. Aber glaub mir eins, derartige schamlose Rechnungen gehen nie ganz glatt auf. Hast du mal daran gedacht, wie die Nächte deiner Frau aussehen, deiner entzückenden, loyalen Frau, deren erster und einziger Mann du bist? Wie sie in deinem schlafenden Gesicht den alten Marc sucht, den richtigen Marc, und sich verzweifelt fragt: Was habe ich denn falsch gemacht? Das kann doch gar nicht wahr sein! Warum — o Gott! — Soll ich dir sagen, was du jetzt denkst?«

Er fährt zusammen, als habe ihn ein Schuß getroffen: »Wie — was — was ich denke?«

»Du denkst: Quatsch nur weiter Goldschnitt, Opa, Poesiealbum und Blümelein — kommt ja gar nicht mehr in Frage für uns Supermänner! Wir lassen uns nicht fangen, wir lassen die Peitsche über unseren Weibern knallen, und sie lecken uns die Stiefel dafür! Aber in Wirklichkeit bist du ein kleines, mieses Hähnchen, das auf seinem ziemlich erheblichen Mist kräht. — Stimmt’s?«

Hündchen Veilchenauge, das sich inzwischen eingeschlichen und sich Marcs Schuhsenkeln gewidmet hat, hat seinen einen Senkel erledigt, spuckt das Ende aus und nimmt den zweiten in Angriff. Marc starrt auf seine Hände, die er so heftig ineinandergeschlungen hat, daß die Knöchel weiß hervortreten. Wie zwei selbständige Wesen sind diese Hände, sie kriechen ineinander, als suchten sie Schutz vor etwas Entsetzlichem. Aber da ist kein Schutz. Seine Stimme klingt heiser: »Es stimmt nicht ganz. Vor allem haben Sie eine Sorte Angst bei mir vergessen.«

»Und die wäre?«

»Armut — kein Geld haben. Ich — ich glaube doch, daß Steffi sich rächt, wenn ich... Und dann herumgehen, um einen Auftrag betteln, irgend ‘ne kleine Bar umbauen oder Leute anpumpen und mir anhören müssen: >Sie könnten sich doch mit Ihrer Frau Mama aussöhnen! Ich würde Ihnen gern — aber im Moment bin ich leider selber etwas knapp<... Hausieren gehen, betteln und sehen, wie Susanne ihre alten Kleider wendet und mir das eine, dünne Schnitzel zuschiebt und lügt, daß sie bumssatt ist — arm! Jedermanns Beute, jedermanns Fußmatte. Kontrakte für ‘n Butterbrot, nur damit ‘n bißchen was ‘reinkommt! Kann ich nicht, Colonel, nein — kann ich nicht!« Er schreit plötzlich los: »Nein, will ich nicht!« Springt auf, und dann überstürzen sich die Ereignisse.

Er springt auf, kippt in seinen entsenkelten Schuhen nach vorn und fällt — während Veilchenauge und Weffi nach beiden Seiten wegspritzen — mit dem Gesicht gegen den Schreibtisch. Der schwere Renaissanceleuchter, der darauf steht, fällt um, poltert ihm nach und trifft ihn genau auf den Kopf. In diesem Augenblick erscheint von oben das Frauchen: »Was ist denn passiert?« Hinter ihr in der Tür das bleiche Gesicht des Schloßgeistes, die Hand vor den Mund geschlagen, in den Augen ein fahler, triumphierender Schein: Ich wußte es ja — das kommt dabei ‘raus!

Marc steht in der Gegend — auf Socken und hat eine blutige Nase. Seine Schuhe stehen noch brav unter dem Stuhl, und dazwischen sitzt das Wollknäuel. Es verdreht die Augen, krächzt, würgt und spuckt dann das zweite Metallende aus.

»Mein Gott, du Ärmster!« sagt das Frauchen. »Geh mit ihm ins Bad, Hannes. Ein Lappen mit kaltem Wasser wird das beste sein. Ich hole gleich neue Senkel.« Und zu Peter: »Was hast du denn da gemacht?« Das Wollknäuel sieht sie veilchenblau und jammervoll an und macht dann vor Angst eine Pfütze auf den Teppich. Das Frauchen nimmt ihn unter den Arm und verschwindet. Weffi besichtigt sachverständig die Pfütze, und Marc putzt sich die Nase. Er steckt das blutige Taschentuch weg und sagt dann: »Ja, da bin ich also aus den Pantinen gekippt und habe mir eine blutige Nase geholt. Das Leben ist manchmal zweifellos symbolisch.«

»Zweifellos«, sage ich.

Marc sieht unruhig zur Terrassentür: »Ich werd’ mich jetzt mal dünnemachen. Ich wollte nämlich nicht, daß Susanne weiß, daß ich hier bin. Den Wagen hab’ ich im Dorf gelassen und hab’ mich durch die Hintertür bei euch ‘reingeschlichen. Aber jetzt sehe ich jemanden drüben hinter der Gardine, das könnte Susanne sein. Vielleicht hat sie es doch gemerkt. Sie merkt ja alles.«

Er fädelt fieberhaft den ersten Senkel ein, den Frauchen brachte, während ich den zweiten einziehe. Marc ist fertig, murmelt ein hastiges Adieu und saust zur Tür, das blutige Taschentuch vor das Gesicht gedrückt. Im Augenblick, als er die Tür öffnet, steht Susanne auf der Schwelle: »Ich möchte wissen...«, beginnt sie und starrt dann mit entsetzten Augen auf sein Gesicht.

»Entschuldige bitte«, murmelt er hinter dem Taschentuch, drückt sich vorbei und rennt in Richtung Dorf. Susanne sieht ihm nach. Dann wendet sie sich mit den Augen einer angeschossenen Tigerin gegen mich: »Du hättest ihn nicht schlagen dürfen! Du kannst boxen, und er ist nur — das hätte ich dir nie zugetraut, Colonel!«

Während ich sie verdattert ansehe, packt das Frauchen sie am Arm: »Jetzt hör mal zu, Susanne, und werde nicht hysterisch...«

Aber Susanne, blaß wie eine Kalkwand in der Sonne, reißt sich los: »So geht das nicht mehr weiter, ich werde...« Und damit saust sie ab, ‘rüber ins Bentler-Haus.

»Na, siehste!« sage ich zu meiner Gefährtin. »Jetzt haben wir die Bescherung. Ich hab’s dir ja gesagt.«

»Ich gehe ‘rüber, kläre die Sache auf und setze dieser dummen Gans den Kopf zurecht. Das hast du nicht verdient.«

»Vielen Dank. Aber ich glaube nicht...«

In diesem Augenblick braust Teddys Wagen an unserem Fenster vorbei. Am Steuer Susanne. Anettes Augen sind starr vor Entsetzen.

»Um Gottes willen — hoffentlich passiert ihr nichts! In dieser Verfassung — wo will sie denn bloß hin?«

»In die Stadt, zu ihm natürlich. Vielleicht versöhnen sie sich auf diese Weise. Im übrigen brauchst du dich nicht aufzuregen: Kinder und Besoffene haben ihre Schutzengel. Komm, old girl, wir nehmen noch einen auf die Torheit des guten Willens, und dann werde ich mich endlich in Ruhe an mein Fernsehspiel setzen können.«