15

Jemand schüttelt mich aus tiefstem Morgenschlaf wach... Telefon! Es hatte mich gestern ziemliche Mühe gekostet, einzuschlafen. Fast bis Mitternacht waren wir bei Bentlers, wo ich über meinen geistigen Ringkampf mit der Circe berichten mußte. Während der Bericht langsam in eine recht alkoholische Siegesfeier überging, mußte ich wieder und wieder die Einzelheiten schildern. Besonders Marc war geradezu unersättlich. Er hatte es hauptsächlich auf ihre letzten Worte abgesehen: »Sagen Sie übrigens diesen beiden Kindern, daß sie nicht in die Hundehütte zu ziehen brauchen.« Ob ich vollkommen überzeugt sei, daß sie es ernst gemeint habe, und ob sich ihre Worte nur auf die Fertigstellung ihrer Inneneinrichtung oder aber auf die Vermittlung der gräflich-Chenauldschen Schloßrenovierung bezogen hätten? Auch ich hatte schon einen erheblichen Zacken, und Marc langweilte mich mit seiner hartnäckigen Bohrerei. Dann aber sah ich die Angst in seinem Blick und die unterschatteten Augen Susannes, die sich an ihn schmiegte, und zuckte die Achseln: »Tut mir leid, Kinderchen, aber mehr ist nicht drin! Hab’ ja keine Ahnung von deinen Projekten, Junge. Aber selbst wenn, wär’s ein Fehler gewesen, noch lange zu verhandeln, nachdem sie sich so weit überwunden hatte. Ich dachte mir — nix wie weg!«

Anette an meiner Seite nickte so heftig Zustimmung, daß ihr eine Bauchbinde von Teddys Geburtstagszigarren in den Schoß fiel, die er ihr — ohne daß sie es in ihrem Schwips merkte — auf den Kopf gesetzt hatte: »Ja, nix wie weg!« Dann starrte sie auf die Bauchbinde und strahlte mich an, als habe sie in der Lotterie gewonnen: »Sieht aus wie ein Krönchen!« Damit setzte sie sich die Bauchbinde wieder auf den Kopf und griff nach ihrem Glas.

Teddy schlug auf den Tisch und funkelte Marc an: »Jetzt hast du den Hannes aber lange genug gelöchert, und mit der Inneneinrichtung dieser Dame hast du dich auch lange genug beschäftigt — Au!« Er griff mit schmerzverzerrtem Gesicht nach seinem Fuß und sah Addi böse an: »Kann doch mal ‘n Witz machen! Schließlich sind sie ja verheiratet, nicht wahr?«

»Im übrigen«, sagte ich ablenkend, »wird sie unter Umständen bei uns auf tauchen.« Der Erfolg dieser Bemerkung war durchschlagend. Alles starrte mich mit offenem Mund an. »Ja — das ist doch...«, flüsterte Addi und sah ängstlich auf das Frauchen. Dieses hatte offenbar einige Schwierigkeiten, den Sinn meiner Enthüllung in sich aufzunehmen, reckte sich dann hoch und erklärte ganz im Ton der großen Dame: »Bitte, ich habe nichts dagegen. Im Gegenteil, es wird mich sogar interessieren, diese Frau kennenzulernen.« Dann schlich sich Mißtrauen in ihre sanft vernebelten Augen: »Wie kam sie denn darauf?«

»Weiß ich nicht, ergab sich so.«

Anette und Addi waren sofort hellwach: »Wie ergab es sich?« fragten sie im Ton eines Untersuchungsrichters.

»Ja, nun — ich habe ihr, um sie zu trösten, von Enrico erzählt...«

Diesmal haute Teddy nicht auf die Tischplatte, sondern, was viel unangenehmer war, mir auf die Schulter, daß meine Lungenflügel schlotterten: »Na, phantastisch! Du lädst den Enrico dazu ein, die beiden sich sehen — Liebe auf den ersten Blick...«

»Die will — die will aber gar nicht heiraten!«

»Unterbrich mich nicht. Wo war ich stehengeblieben?«

»Liebe auf den ersten Blick.«

»Richtig. Die beiden heiraten sich, erzähl mir doch nicht, daß es eine lustige Witwe gibt, die nicht wieder heiraten will — und wir sind alle zwei los. Geniale Lösung! Wenn wir hier nicht mehr anders weiterkommen, machen wir ein Heiratsbüro auf. Du übernimmst den Außendienst: Bentler & Co., Heiratsvermittlungen, Liebes- und Eheversöhnungen en gros und en detail. Der Ehefriede im Probedöschen...«

»Co. ist mir zu — zu wenig«, erklärte ich verletzt. »Ich habe schließlich...«

Er machte eine großartige Bewegung und warf sein Sektglas vom Tisch. Es war aber nicht kaputt. »Gut, dann nennen wir uns BEBE — Bentler-Bentz. BEBE — haha! Hier, sauf noch was, alter Junge. Wo ist denn mein Glas?«

»Ich hab’s weggestellt«, sagte Addi, »du hast genug.«

Er füllte mein Glas: »Mein Mann dankt! Das haben wir gern, was, Hans?« Damit setzte er die Flasche an den Mund. Er wischte sich, während ihn alle erschrocken anstarrten, ächzend den Mund mit dem Handrücken: »Ein Jammer, daß ich noch Schonzeit habe. Wenn ich an deiner Stelle zu der lustigen Witwe gegangen wäre...«

»Das hätte dir so passen können«, sagte Addi.

Er grinste sie diabolisch an und faßte sie unters Kinn: »Und was haben wir denn so lange mit dem Professorchen zu reden gehabt, o sündenbereites Weib? Ich kenne den Vulkan, der unter deiner Asche schlummert!«

»Jetzt wird es — wi — wird es — gy — gyko — gynäkologisch!« verkündete das Frauchen und stand auf: »Wir gehen.«

Teddy wandte sich hilfesuchend an mich: »Du kennst doch auch ihren Vulkan!«

»Natürlich, dämlicher Hund!«

»Denke an die Hunde«, sagte Anette von der Tür her.

»Und du an die Kinder!« ergänzte Addi, zu ihrem Exemplar gewandt, das sich mit der leeren Sektflasche unter dem Arm schwerfällig und gewaltig wie ein See-Elefant erhob. Auf das Stichwort »Kinder« sahen wir alle zu Susanne und Marc hinüber, die leise miteinander redeten. Marc hatte die Hände zwischen die Knie gepreßt, und in der Stille wurden seine Worte laut: »Wenn ich daran denke, daß wir vielleicht doch zu Mutter hätten ziehen müssen...«

»Das wäre auch nicht das Schlimmste gewesen«, meinte Susanne und strich ihm über das Haar. »Sie hätte uns sicher die untere Etage überlassen.«

»Untere Etage! Wenn ich mir bloß vorstelle, daß ich ihre Schritte über unseren Köpfen gehört hätte...« Er brach ab, als er merkte, daß alles zuhörte. Wir begannen darauf ein allgemeines, hastiges Verabschieden.

An der Tür drehte ich mich noch einmal zu Teddy um: »Du, sie will wirklich nicht heiraten! Wozu sollte sie auch?«

»Eben«, meinte Addi und schob mich in den mondhellen Garten. »Schlaf schön. Du hast’s verdient. Und noch mal tausend Dank!«

Das war also gestern. Und jetzt schüttelt man mich und sagt: »Telefon!« Wo ich doch eben erst eingeschlafen bin. Erstaunlicherweise ist draußen trotzdem schon strahlender Tag.

»Wer ist es denn — soll später anrufen, zum Teufel noch mal.«

»Frau Koller — deine neue Freundin!«

»Ich finde«, sagt das Frauchen von nebenan, »daß es diese Dame bemerkenswert eilig hat.«

Mit einem Ruck bin ich hoch: »Quatsch. Wenn sie sich nur nicht anders besonnen hat!«

»Auch das ist möglich«, erklärt das Frauchen, das auf diese meine Bemerkung hin zum Vorschein kommt. Sie sieht mein gramzerfurchtes Gesicht, geht schweigend zum Schrank und hilft mir in den Schlafrock: »Na, geh mal ‘ran, vielleicht ist es nicht so schlimm.«

Ich habe ausgesprochen weiche Knie, und mir ist ziemlich flau, als ich den Hörer aufnehme. Meine rasende Phantasie zeigt mir, wie ich Susanne und Marc eröffnen muß... »Ja, bitte?«

Die dunkle, heisere Stimme: »Noch geschlafen? Tut mir leid...«

»Aber ich bitte Sie, Verehrteste!«

»Wahrscheinlich ausgedehnte Siegesfeier aus Anlaß neuen Eheglücks?«

»Hm.«

»Irre ich mich, oder räuspern Sie sich immer dann, wenn Sie nicht recht wissen, was Sie sagen sollen?«

Mich packt die Wut. Wenn sie mir schon alles kaputtmachen will, soll sie mich nicht außerdem noch auf den Arm nehmen: »Sie irren sich nicht.«

Sie lacht. Aber es klingt nicht unangenehm: »Na, ich will Sie nicht länger zappeln lassen, Colonel, Sie haben genug Scherereien mit uns Weibern gehabt. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß ich auf vierzehn Tage verreise, damit Ihr Pflege-Schwiegersohn, oder wie ich den kleinen Marc nun nennen soll, in Ruhe mein Haus hier fertigmachen kann, ohne mir zu begegnen. Sie sehen, ich halte mich an mein Wort.«

»Sie tun mehr als das, gnädige Frau.«

»Wohingegen...«

»Ja, bitte?«

»Wohingegen Ihnen nach meiner Rückkehr mein Besuch nicht erspart bleibt.«

»Es wird uns eine Freude sein.«

»Uns? Wenn Ihre Frau einigermaßen normal ist, wird sie vermuten, daß ich meine Jagd nach verheirateten Männern nun auf die reiferen Exemplare umgeschaltet habe.«

»Aber ich bitte Sie...«

»Beruhigen Sie sie, und sagen Sie ihr bitte, ich sei es leid, Männer zu haben, die heimlich auf die Uhr sehen, weil sie fürchten, daß sie zu Hause die Jacke vollkriegen. Darüber möchte ich mal mit Ihnen sprechen, aber nur mit Ihnen. Okay?«

»Okay.«

»Dann auf Wiedersehen!«

»Glückliche Reise! Und — ich danke Ihnen!«

Drüben wird schweigend der Hörer aufgelegt. Ich halte es für möglich, daß sie jetzt weint. Nicht so, daß es sie dabei schüttelt, aber so ein kleines bißchen. Vielleicht nimmt sie auch nur einen zweistöckigen Whisky. Ein warmes Gefühl für die Einsame wallt in mir auf.

»Na, was ist denn nun?« Vier besorgte Frauenaugen starren mich an. Ich komme zu mir und berichte. Frauchen sieht an mir vorbei aus dem Fenster: »Diese Frau imponiert mir.«

Die Mama streicht mir in einem ihrer seltenen Zärtlichkeitsausbrüche über das Haar: »Na, jedenfalls hast du’s geschafft, alter Junge, und kannst in Ruhe morgen feiern. Du hast dich weiß Gott genug aufgerebbelt für andere.«

»Aufgerebbelt — hm — wieso morgen feiern?«

Die beiden sehen sich an: »Ach, nichts Besonderes weiter«, sagt Frauchen. »Es ist nur dein Geburtstag.«

»Mein...« Und plötzlich ist es wieder vor mir, das schmale Gesicht mit den goldenen Augen und den langen Ohren. Eine wilde Entschlossenheit überkommt mich, oder ist es ein Wissen, ein geheimnisvolles...

»Ich muß gleich mal wegfahren«, erkläre ich den beiden völlig Verblüfften. »Sagt ihr netterweise Marc Bescheid über Stefanies Anruf.«

In Frauchens Gesicht steht jähe Besorgnis: »Soll ich nicht mitfahren?«

»Nein. Nein, danke, das kann nur ich allein.«

Als ich Gas gebe, ist mir ganz feierlich zumute. Es hat immer wieder von Zeit zu Zeit hellseherische Augenblicke in meinem Leben gegeben, Empfindungen kommender Ereignisse, die mir noch nicht ihr Gesicht zeigten. Ich wußte nur mit atembeklemmender Sicherheit, daß etwas kommen würde, etwas Gutes oder Böses, und es kam dann auch stets. Meist Böses und hageldick. Und deshalb liebe ich solche Momente gar nicht.

Heute bin ich wieder in einer dieser Stimmungen, aber diesmal hat sie nichts Böses an sich. Es ist, wie gesagt, eine Feierlichkeit, eine feierliche, von innen erhellte Gewißheit, jenseits aller Vernunft.

Aus dieser Stimmung sehe ich unser Dorf, als erblickte ich es zum erstenmal. Man könnte auch sagen, wie eine Fotografie, die man sonst normal und jetzt plötzlich stereographisch sieht, überdeutlich. Da steht der Reiserer-Franz, der Rolle des Boxer-Verlobten entbunden, auf dem Hausdach seiner Mutter, der Schusterswitwe, und mauert. Sein bronzener, schwitzender Körper glänzt in der Sonne mit grellen Spiegeln. Die Millionärin Lindemann huscht gerade vom Metzger heraus wie ein kleines scheues Vögelchen, sie trägt ein winziges Fleischpaket vorsichtig vor sich her. Auf der Bank vor dem Fischerhaus sitzt der Förster Jonas. Er ist achtzig und seit fünfzehn Jahren pensioniert, aber noch immer geht er in Förster-Paradeuniform, knallblauen Auges, den Hut mit dem Gamsbart und vielen Erinnerungsschildchen geziert. Er sieht aus wie das Männlein im Wetterhäuschen.

Nun bin ich schon außerhalb des Ortes. Das große Geviert des Feldkrug unter seinen riesigen Eichen rollt langsam vorbei. Die beiden großen Scheunen und das Gästehaus haben vor lauter Alter richtige Bäuche, und an einigen Fenstern gibt es noch bleigefaßte Butzenscheiben. Ja, sie ist nun auch schon tot, die alte Krug-Wirtin, die mit ihrem halbblinden, wortkargen Sohn bis zuletzt den >Krug< führte. Sie hatte ihn gepachtet, vor fünfzig Jahren, von der Biedersteiner Brauerei und dem alten Hechler, der damals genauso in den besten Jahren war wie sie. Muß ein tolles Weib gewesen sein, die Krug-Wirtin, ein bildschönes, wildes Wesen, das einen geduldigen, braven Gastwirt geheiratet hatte, der mehr Knecht als Wirt war. Man fürchtete sie etwas, die Krug-Wirtin. Den erdverbundenen Menschen hier draußen war das Dämonische in ihr deutlich fühlbar. Wenn am Samstagabend Regen einsetzte und ihr das Sonntagsgeschäft wegzuschwemmen drohte, hatte man sie schon in Nachtjacke und mit offenem, rabenschwarzem Haar, das ihr bis auf die Knie wallte, im Hof stehen und die Fäuste gegen die schwerbäuchigen, blitzdurchzuckten Wolken schütteln sehen. In ihrem Alter ging der Feldkrug dann immer schlechter, und es war immer wieder die Rede davon, daß der Hechler die Pacht aufkündigen und ein Hotel dorthin bauen werde. Besonders seine beiden Söhne wollten das. Der Alte aber weigerte sich und blieb unbeugsam. Solange die Krug-Wirtin lebe, werde er sie auch in der Pacht lassen. Niemand weiß, was dahintersteckte. Eine alte Romanze?

Vor zwei Jahren, kurz vor der Krug-Wirtin, ist der alte Hechler gestorben, und jedermann dachte, nun geht’s los. Aber da gerade geriet die Brauerei in Schwierigkeiten. Irgendeine Großbrauerei war in ihr Gebiet eingedrungen, und jeder Pfennig wurde gebraucht, um den Konkurrenzkampf durchzustehen. Es war, als hielte der alte Hechler noch von drüben seine Hand über der Krug-Wirtin. Jedenfalls rettete sie das, und der Krug lebt auch jetzt noch, obwohl es in seinen oberen Stockwerken schon durch die Decken regnet und der halbblinde Sohn mit einer Magd nach dem Tod der Mutter kaum noch etwas zuwege bringt. Ich denke mir, eines Tages kracht das einfach zusammen und begräbt alles unter sich. Man geht noch manchmal hin, aus Sentimentalität und Mitleid, ich tu’s auch. Und hin und wieder tagt sogar der Schützenverein dort, und dann legen alle Schützen mit Hand an, damit’s geht.

Die Felder zur Rechten und Linken sind abgeerntet. Aber der letzte Heuschnitt, der dritte in diesem Jahr, ist noch in Puppen draußen. Es riecht nach Heu und Brot und warmer Erde wie im Hochsommer, die Grillen zirpen noch, und die Holunderbeeren sind schon ganz schwarz. Scharen von Vögeln hocken auf ihren Dolden. Ein paar Rehe jetzt zur Linken, die gemütlich äsend dem Wagen nachsehen. Ein Wiesel wie ein roter Blitz über den Weg, ein Krähenschwarm in der klaren Luft. Nun die Kurve mit dem Steinbruch, und da liegt es schon in seinen Matten, rund um den altersgrauen Kirchturm hingekuschelt, das andere Dorf, Cockis Dorf. Erst ein paar Scheunen, dann der Zenz-Wirt, ein paar späte Sommergäste älteren Datums sitzen noch draußen im Garten mit den Dahlien, und durch die Fenster sieht man in die blitzsaubere Gaststube. Jetzt rechts und links Höfe, auf der linken Seite muß er sein — da, der Misthaufen, wie mit dem Lineal gezogen. Das ist er, der Reschke-Hof. Alles ist hier ordentlich, auch das Holz, das um drei Hauswände herum aufgestapelt ist, keines länger als das andere und oben schön sauber mit Dachpappe abgedeckt. Gerade kommt der Bauer heraus, hat eben seinen Bulldog über Mittag in die Scheune gefahren. Sein Hemd ist wieder blütenweiß, obwohl er doch sicher vom Feld kommt, und der ganze Mann strahlt jene gesunde Sauberkeit aus, die mir schon beim vorigenmal auffiel. Mein Herz schlägt plötzlich bis zum Hals, und der ganze Wahnwitz meines Unternehmens wird mir bewußt. Was will ich ihm denn sagen, nachdem ich doch schon einmal so eindeutig abgewiesen worden bin!

Trotzdem tritt mein Fuß die Bremse, und während ich noch zweifelnd und im Sturm meiner Gefühle hin- und hergeschleudert sitze, biegt es um die Ecke, mit langen Ohren, schmalem Gesicht und grinsender Nase, darunter die krummen Watschelbeine mit den langen Behängen: Cocki alias Wastl. Er stutzt und ist dann mit einem Satz brüllend an meinem Wagen, springt fast über das Dach, und bei jedem Sprung, wenn er an meinem Fenster vorbei aufwärts fliegt, trifft mich ein fast irrer verlangender Blick aus seinen goldenen Augen. Ich steige aus und umarme ihn. Dann ist über mir ein Schatten, und während sich der Hund in meinen Armen zitternd dreht und windet und mein Gesicht leckt, sagt die Stimme des Bauern: »Ja mei, das ist jetzt spaßig! Die ganzen letzten Tage haben wir von Ihnen geredet, wir wollten schon ‘rüberfahren zu Ihnen.« Und dann fügt er etwas hinzu, was mich durchfährt, als hätte ich eine Starkstromleitung berührt: »Jetzt können Sie ihn haben, den Wastl, wenn. Sie noch wollen, mein’ ich!«

Es drückt mich glatt auf die Erde, und ich sehe ihn verstört an: »Was sagen Sie?«

Er nimmt den breitrandigen Strohhut ab, grinst und kratzt sich den Kopf: »Ja, wissen Sie, das ist so: unsere Kinder, die haben ihn halt gedrückt und gezwickt, nicht, weil sie böse sind, bloß so, wie Kinder eben sind. Und das hat ihm weh getan, dem Wastl, und er hat geschnappt nach ihnen und hat s’ halt gebissen. Und ich mußte ihn schlagen, wegen der Kinder. Er hat’s aber gespürt, daß er’s eigentlich nicht verdient hätt’, und hat dann auch nach mir geschnappt. Die Weibersleut’ haben geheult, und dann haben wir halt so geredet und studiert und haben gemeint, wir geben ihn eben doch dem Herrn, der wo das Buch geschrieben hat. Ja — also — wenn Sie noch mögen...«

Jetzt kommt auch die Frau aus dem Haus, und wie sie uns so sieht, laufen ihr gleich die Tränen herunter: »Die ganze letzte Zeit haben wir ihn schon Cocki gerufen«, sagt sie, »weil wir uns gedacht haben, daß Sie ihn wieder Cocki nennen werden, nach dem Cocki in Ihrem Buch!«

»Ja«, sagte ich, »ja, natürlich...« Und dann merke ich, daß ich mitten in der Einfahrt sitze, auf dem Boden und ganz dicht neben einem Kuhfladen. Langsam stehe ich auf, die Glieder sind mir schwer. Die Frau hat die Schürze vor den Augen: »So ein liebes Hunderl, so ein liebes! Aber es geht halt nicht mehr, wegen der Kinder! Am besten wär’s, Sie würden ihn gleich mitnehmen!«

Gleich mitnehmen — gleich mitnehmen... Ich kann es noch gar nicht fassen. Ich ziehe die Brieftasche heraus und zahle. Unentwegt starren wir uns an, er vor dem Wagen sitzend und die Augen immer wieder nach der Wagentür drehend, den Staub der Einfahrt mit dem kurzen, dicken Stummelschwanz fegend und ich, völlig verdattert vor Glück. Schließlich merke ich, daß die guten Leute mich wegen der langen Kunstpause ganz sonderbar anschauen. Gezahlt habe ich, irgend etwas sagen müßte ich noch, etwas ganz Vernünftiges, Sachliches: »Ein Halsband und eine Leine habt ihr sicher nicht?«

Man ist sichtlich betreten. Nein, das hätten sie nicht. »Aber Sie werden Ihre Freud haben mit dem Wastl«, sagt der Bauer hastig. »Bei dem brauchen Sie keine Leine. Wenn er nicht mit dem Jäger fort war, der ihn sich manchmal ausgeliehen hat, ist er immer um Haus ‘rum gewesen. Die Nachbarhunde besucht er halt manchmal, aber er kommt immer gleich wieder zurück. Sogar wenn eine läufige Hündin in der Nachbarschaft war, ist er auch gleich wieder heimgekommen.« Er kneift ein Auge gegen mich zu: »Er hat’s eben noch nicht mit den Weibern!«

»Ja, also — dann...«, sage ich, öffne die Hintertür, und mit einem Satz ist Cocki im Wagen, fährt — sobald ich die Tür geschlossen habe — zähnefletschend gegen die Scheibe: >Hier kommt mir niemand Fremdes ‘rein, das ist jetzt meine Höhle!<

Händeschütteln, ich steige ein, fahre noch nach Biederstein in eine Lederhandlung und kaufe ihm ein breites Halsband für seinen mächtigen Nacken, rot mit blanken Nägeln drin, und eine starke Leine. Und dann geht’s heim.

Unterwegs liegt er dauernd mit den Tatzen auf der Rückenpolsterung und leckt mich hinter dem Ohr. Im Ledergeschäft war er ausgesprochen drängelig und zitterte vor Angst, daß ich ihn nicht wieder mitnähme. Erst jetzt im Wagen ist er wieder frei. Ich merke gar nicht, daß ich heimwärts fahre, so glücklich bin ich über das, was ich da hinten drin habe, diesen Vierzig-Pfund-Brocken purer, goldener Liebe. Nicht einmal umgeschaut hat er sich, als wir vom Hof wegfuhren. Und dabei waren noch die guten Großeltern heruntergekommen und haben mitgeweint und hinter uns hergewinkt. Ich hab’s im Rückspiegel gesehen.

Jetzt schaue ich wieder in den Spiegel — was macht er eigentlich? Aha, er hat sich auf dem Rücksitz zusammengekringelt und bläst in regelmäßigen Abständen die dicke Flappe mit den lustigen langen Schnurrbarthaaren auf. Es ist so, als habe er sein Leben lang auf diesen Moment gewartet und fühle sich nun endlich heimgekommen.

Heimgekommen — ankommen — hm. Ja, wie mache ich das nun? Es sollte doch eine Überraschung sein!

»Also, paß mal auf, Dicker«, sage ich zu ihm. »Du brauchst keine Angst zu haben, ich lasse dich nur mal für einen Augenblick bei einer guten Tante.«

Am Sägewerk halte ich, und dann schleiche ich mich vor, von hinten durch den Garten bis ans Haus von der dicken Mooshuberin. Sie hängt gerade Wäsche auf.

»Ja, mein lieber Herrgott, was haben Sie denn da? Mei, ist der schön!«

»Der wird erst schön«, sage ich, »ich habe ihn von den Reschkes gekauft.«

»So, vom Reschke-Bauern?«

»Ja, nette Leute, und sie haben ihn auch sehr anständig gehalten, sind überhaupt vernünftig.« Ich erzähle ihr, wie es zu dem Kauf kam, und lege ihr dann den Arm um die Schultern: »Nun paß auf, Mooshuberin. Ich fahre jetzt heim, und sobald ich in der Garage bin, gebe ich dir ein Zeichen. Dann schleichst du dich hinter der Hecke lang in die Garage, und da übernehme ich dann den Cocki.« Wir sprechen die Sache noch zweimal durch, dann streiche ich dem Dicken über den langen Kopf: »Gleich kommst du wieder zu Herrchen, paß schön auf!«

Bisher hat er den Garten visitiert und im Vorbeigehen mal der Mooshuberin die Röcke hochgehoben — eine seiner charmanten Angewohnheiten, die ich ihm bis heute nicht abgewöhnen konnte, aber als sie ihn jetzt an die Leine nimmt und die Schlinge um einen Holzpfosten legt, fängt er erbarmungswürdig an zu zittern. Als ich dann in den Wagen steige, weint er laut hinter mir her.

Als ich zu Hause ankomme, bemühe ich mich, so leise wie irgend möglich in die Garageneinfahrt zu schleichen, so daß man nur sacht den Kies unter den breiten Rädern knirschen hört. Ich habe Glück. In einer Gartenecke haben sich Weffi und Peterle so inbrünstig in einen Zweig verbissen, daß sie mich nicht bemerken. Sie zerren daran, als ob es um ihr Leben ginge, und gerade, als das breite Hinterteil meines Wagens im Garagentor verschwindet, höre ich von oben die Stimme des Frauchens: »Ist da nicht eben ein Wagen gekommen? Mir war so.«

Ich steige aus und gebe der Mooshuberin das Zeichen. Sie erscheint aus den Büschen mit Cocki an der Leine, der sie fast umreißt, weil er zu mir will. Ich übernehme ihn, mache das Garagentor zu und schleiche mich dann durch den Keller nach oben, Cocki immer dicht auf meinen Fersen. Oben vor dem großen Zimmer, in dem die beiden Frauen sind, streiche ich ihm über den Kopf, sage ihm leise ins Ohr: »Platz!« (worauf er sich brav hinsetzt), schlüpfe schnell ins Zimmer und schließe die Tür hinter mir.

»Nanu«, sagt das Frauchen, »da bist du ja! Ich hab’ dich gar nicht kommen hören.«

»Was hast du denn geholt?« will die Mama wissen.

Ich werfe mich nonchalant in einen Sessel: »Was habt ihr denn Schönes zum Mittagessen?«

Ober der Schilderung der bevorstehenden Genüsse vergißt die Mama ihre Frage. Ihre Augen leuchten, als sie die Hühnersuppe mit Backerbsen, das Paprikahuhn und die kalifornischen Pfirsiche als Nachtisch beschreibt. An der Tür kratzt es.

»Laß bloß die Hunde nicht ‘rein«, sagt das Frauchen. »Die haben die ganze Zeit im Garten gebuddelt und gespielt. Außerdem haben sie ihr Fressen schon bekommen.«

Auf das Wort »Fressen« kratzt es wieder. Höchste Zeit, daß ich meine Pointe anbringe: »Ja«, sage ich, »heute vor einem Jahr war unser guter Cocki noch bei uns...«

Das Frauchen vergißt für einen Moment das Mißtrauen, mit dem sie mich dauernd aus den Augenwinkeln beobachtet hat: »Ja, unser süßer Cocki. Mein Gott, wenn ich dran denke, wie er sich morgen gefreut hätte über die Geburtstagswurst, der kleine Löwe...«

Bei dem Wort »Wurst« kratzt es abermals, und es ertönt ein tiefes entrüstetes »Wuff!«

Die beiden Frauen erstarren und sehen mich an. Frauchen faßt unwillkürlich nach ihrem Herzen: »Das war — das war wie Cocki!«

»Na, vielleicht ist er’s«, sage ich. »Macht doch mal auf.«

Sie schaut mich an, als ob sie an meinem Verstand zweifele, geht dann zur Tür, reißt sie auf, und herein marschiert, bis an die Nasenwurzel grinsend, der Dicke. Er hebt Frauchen beiläufig den Rock hoch, schlägt eine Kurve um ihre auf dem Teppich festgebannten Füße, hebt auch der Mama den Rock hoch und nimmt Kurs auf die Küche. Die Mama ist so blaß, daß ich direkt Angst habe.

»Ja — was ist denn das?« Etwas von ihrer Erschütterung geht auf mich über. Es streift mich wie ein Hauch, wie ein kalter Lufthauch, der aber nicht aus dieser Dimension stammt, sondern von >drüben<. Dann packt mich die Angst, daß ich das Schicksalspielen diesmal endgültig zu weit getrieben habe. Ich muß schleunigst wieder eine normale Atmosphäre hersteilen, damit mir nicht eine der beiden Frauen umkippt.

»Das«, sage ich, »ist die Geburtstagsfreude, die ich mir selbst gemacht habe. Der neue Cocki. Damit ich einen Hund ganz für mich habe und der Bund der Drei komplett ist. Na, Cockchen, möchtest du nicht mal herkommen?«

Ein schmaler Kopf und zwei krumme, braun-weiß gefleckte Watschelpfoten mit langen Fahnen erscheinen in der Küchentür und steuern mich an. Offenbar hat er in der Küche nichts Erwähnenswertes gefunden. Das Frauchen ist noch immer ganz erstarrt: »Es ist nicht Cocki«, sagt sie schließlich, »er ist dunkler im Gesicht und — die Augen sind auch anders, aber schön! Wo hast du ihn denn her?«

Ich spüre, daß sie genau wie wir anderen noch das Unfaßlich-Unheimliche fühlt, das hinter diesem neuen Cocki zur Tür hereinkam, etwas von unserem Unvergeßlichen, dessen Hülle jetzt da draußen unter dem Busch liegt. So antworte ich denn so präzise und nüchtern wie möglich: »Von einem Bauernhof, wo ihn zwei kleine Kinder quälten und die Eltern vernünftig und tierlieb genug waren, ihn mir zu geben, weil er dort nicht am Platze war.«

Das Frauchen kniet nieder und hält ihm die Hand hin: »Ja, Cocki, willst du mir denn nicht die Pfote geben?«

Der Dicke grinst über das ganze Gesicht.

»Er zieht die Lefzen hoch«, warnt die Mama, »gleich wird er dich beißen!«

»Nein«, erkläre ich, »das ist bei ihm eine merkwürdige Fehlreaktion. Es ist ein freundliches Grinsen.«

»Na komm, gib Pfötchen«, sagt das Frauchen. Der Dicke wackelt auf sie zu und riecht in ihre ausgestreckte Hand. Sie krault ihn hinter den Ohren, er wirft sich auf den Rücken, tatzelt albern ins Leere und läßt eine Riesenzunge kindisch aus dem Maul hängen, während er die Augen verdreht.

»Na, das fängt ja gut an, du Weiberknecht«, sage ich. Cocki ist plötzlich wieder auf und beginnt, die Spuren der anderen Hunde nachzuriechen. Seine große Pappnase arbeitet wie ein Staubsauger.

»Er riecht Weffi und Peter«, sagt die Mama. »Wie hast du dir das überhaupt gedacht? Diese Bulldogge im Gehpelz frißt sie doch auf!«

»Halte ich für ausgeschlossen.«

Unten vor der Terrasse ist jetzt wildes Gebell. Die beiden haben irgend etwas gemerkt und kratzen an den Scheiben. Peter jault und winselt in den höchsten Tönen. Weffi liefert mit gleichmäßigem Wä-wä-wä die Begleitung dazu.

»Vielleicht solltest du den Dicken erst mal anbinden?« meint das Frauchen.

»Nicht nötig. Angebundene Hunde sind immer böse. Laß sie sich nur ruhig begrüßen. Geh ‘runter, laß die beiden ‘rein, ich bleibe bei Cocki, falls was passiert.«

So geschieht es. Gleich darauf ein wildes Trappeln die Treppe hinauf. Und dann stürzen die beiden ins Zimmer. Sie bleiben verblüfft stehen, als sie den Dicken erblicken. Der nimmt die Ohren nach vorn, pflanzt sein Hinterteil zwischen meine Beine und sieht mich fragend an.

»Na, geh nur ruhig hin«, sage ich. »Das sind deine Brüderchen! Peti und Weffi — kommt, seht euch euren Bruder an!«

Weffi kommt als erster, mit schlotternden Fellhosen. Ganz offenbar hat auch er für einen Moment gedacht, daß sein Cocki wiedergekehrt sei. Dann aber beschnüffelt er den Dicken, wendet sich interesselos ab und drängt seinen Kopf in meine Hand.

Peterchen dagegen saugt aus sicherer Entfernung eine Weile die Witterung ein. Dann saust er unter den Tisch und erscheint mit seinem Bällchen wieder. Er legt es vor sich hin, gibt ihm mit der Nase einen Stups, daß es auf den Dicken zurollt, und kläfft ihn aufmunternd an. Der Dicke geht auf den Ball zu, beriecht ihn erstaunt und geht dann, freundlich mit dem Stummelschwanz wedelnd, auf Peterchen zu. Der wirft sich vor ihm auf den Rücken. Cocki beriecht ihn ausführlich und wirft sich dann dröhnend an seine Seite. Peter ist sofort wieder auf den Beinen, umkreist ihn dreimal wie eine Fliege und zieht ihn am Ohr. Sogleich ist Cocki hoch, hinter ihm her, sämtliche Teppiche geraten in Bewegung, sie schlagen Wellen, die große Tonvase in der Ecke kommt ins Wanken, und schließlich läßt sich Peter, nachdem er dem Dicken zweimal über den Rücken gesprungen ist, von ihm fangen. Cocki, wie ein Löwe brüllend, nimmt den ganzen kleinen Negerkopf in seinen Riesenrachen. Wir halten den Atem an, aber alles ist nur Spiel. Es wird furchtbar viel gefaucht, und Scheingefechte werden ausgefochten. Schließlich schlittert Peter unter einen mit Stoff bezogenen Sessel und schnappt von dort nach Cockis Füßen. Der will auch unter den Sessel, ist aber viel zu dick. Es ist ein urkomischer Anblick: den Kopf hat er drunterbekommen, aber Bauch und Podex mit dem wedelnden Stummelschwanz bleiben draußen. Unter dem Sessel wird schrecklich gefaucht.

»Negerringkampf im Dunkeln«, sage ich. »Na also, alles in Butter.« Erst in diesem Augenblick fällt mir auf, daß Weffchen zwischen meine Knie gekrochen ist und von dort aus zitternd die Kampfszene beobachtet. Immer wieder wendet er den schmalen edlen Kopf zu mir empor, und seine nußbraunen Augen, über denen manchmal schon ein leicht bläulicher Schimmer liegt, fragen mich, was das alles bedeutet. Ich bücke mich und gebe ihm das Bällchen ins Maul: »Du bist natürlich der Beste — und der älteste! Und du bist der Boß! Und der Dicke kommt ganz hintenan! Willst du ihm nicht guten Tag sagen?«

Er versteht es, stelzt auf Cocki zu, der noch immer den Kopf unter dem Sessel hat, und beriecht ausführlich sein Hinterteil. Cocki merkt es, zieht den Kopf vor und beriecht seinerseits ausführlich den weißen Kastenbart. Weffi rülpst bewegt, und Cocki schließt die Augen, offenbar analysiert er das Mittagessen, das Weffi gerade zu sich genommen hat, und dreht sich daraufhin fragend zu den beiden Frauen um.

»Hat er denn heute schon was gefressen?« fragt die Mama.

»Das weiß ich nicht.«

»Hast du denn nicht gefragt?«

»Nee, war viel zu aufgeregt.«

»Wir haben noch zwei Kohlrouladen von gestern«, sagt Frauchen, »und dann können wir auch noch so Knorpelzeug vom Huhn abmachen.«

»Ihr könnt ihm auch einfach Brot ‘reinbrocken«, sage ich, »das ist er gewohnt. Sie haben ihn dort meist mit Brot oder Mehlspeisen oder so ‘nem Schlabberzeug gefüttert.«

»Das sieht man«, sagt Frauchen und klopft ihm auf den breiten Rücken. Es klingt, als ob man auf ein Bierfaß haut. »Na, wir werden dich schon schön schlank kriegen.«

»Der Napf vom alten Cocki ist noch da«, sagt die Mama, »der alte, den er hatte, bevor Anette den Ständer kaufte.«

Einen Augenblick sehen wir uns alle drei an, und es wird uns ganz merkwürdig ums Herz.

»Cocki wird’s ihm nicht übelnehmen«, sage ich schließlich. »Ich habe einem Bruder von ihm ein glückliches Leben verschafft. Damit wäre er sicher einverstanden.«

Die Mama nimmt schnell ihr Taschentuch, schnaubt sich ausführlich und geht dann in die Küche, um den Napf zu holen.

»Ihr müßt den beiden anderen natürlich auch noch ein bißchen was geben«, sage ich, »damit keine Eifersucht entsteht.«

Ein paar Minuten später hat jeder der drei seinen Napf vor sich stehen. Cocki und Weffi räumen im Nu mit den guten Dingen auf, während Peterchen nur davon nascht, dann ein dickes Stück Rouladenfleisch herausholt und es dem Dicken hinlegt.

»Nun sieht dir bloß den rasenden Schnürsenkel an«, sage ich. »Schon ist er zu Cocki übergelaufen!«

Der Dicke atmet das Stück Fleisch ein und wirf dann hypnotische Blicke auf Peterchens Freßnapf. Aber schon ist Weffi da, und als Cocki sich von der anderen Seite dem Napf nähert, zeigt er ihm einen seiner langen Eckzähne.

Cocki sieht mich aus blutunterlaufenen, traurigen Löwenaugen an, geht dann aber zurück und drängt sich wieder an mich. Ich streichele ihn: »Brav, mein Löwechen, brav!«

»Er ist sehr intelligent«, meint Frauchen. »Und schön ist er auch. Auf eine andere Art als unser erster Cocki, aber trotzdem schön. Merkwürdig übrigens, daß er hier sofort frißt! Sonst trauert ein Hund doch drei Tage mindestens seiner alten Heimat nach. Wie erklärst du dir das?«

»Du hast selbst gesagt, er ist intelligent. Dort hat er sich ungerecht behandelt gefühlt, und das vergißt ein Cocker nie. Denke an den Löwen, der ganz stillhielt, wenn er verdiente Prügel bezog, aber nach uns schnappte, wenn er sie seiner Ansicht nach nicht verdient hatte. Cocki hat sich nicht ein einziges Mal umgesehen, als ich mit ihm von dem Hof wegfuhr.«

Frauchen kniet vor ihm und streichelt ihn: »Du wirst es gut bei uns haben! Hier bist du ganz zu Hause, verstehst du?«

Und siehe da, plötzlich reicht er ihr eine dicke Knudeitatze. Ihre Augen werden feucht, und sie steht schnell auf: »Das ist aber eine schöne Geburtstagsüberraschung! Ich dachte, du kommst mit irgend so ‘nem Radauinstrument an.«

»Los, Kinder«, sage ich, »‘raus in den Garten!« Mit allen dreien poltere ich die Treppe hinunter, öffne die Terrassentür und schaue ihnen durchs Fenster nach.

Weffi hat die Führung übernommen, während Cocki artig hinterherwatschelt. Erst zeigt ihm Weilchen die verschiedenen Maulwurfshügel, dann die Stelle, wo wir neulich die tote Amsel begraben haben, und schließlich führt er ihn an des alten Cocki Grab. Der neue Cocki beschnüffelt es aufmerksam und hebt dann das Bein.