5

Ich sitze unten in meinem Zimmer und beobachte Susanne, wie sie eine ganze Weile von ihrem Fenster aus peilt, ob ich auch allein sei. Dann ruft Addi, ihre Mutter, aus dem Obergeschoß zu uns herüber um Hilfe, der Kuchen sei ihr sitzengeblieben. Worauf ich in meinem Obergeschoß einen alarmartigen Aufbruch höre. Frauchen und die Mama rasen die Treppe hinunter und begeben sich im Geschwindschritt ins Nachbarhaus. Hinter ihnen rast, rollt und kugelt das Knäuel und wird erst an der Tür des Bentlerschen Hauses zurückgeschickt. Es sitzt eine Weile auf dem Po und brüllt, sieht sich dann um, ob ich — der dritte seiner Götter — nicht aufzutreiben bin, und begibt sich endlich traurig in die Wiese, die — wie mir plötzlich auffällt — irgendwie verändert ist: ein gutes Drittel aller Butterblumen ist geköpft.

Zu weiteren Beobachtungen aber komme ich nicht, denn ich sehe Susanne über den Rasen sausen. Offenbar nutzt sie die Küchentragödie aus, um das gestern zugestandene Gespräch zu halten. Das Knäuel bricht aus seinem Wiesendschungel und versucht, zugleich mit Susanne bei mir einzudringen, hat aber auch diesmal kein Glück. Worauf es wieder auf Bentlers Schwelle Platz nimmt und so lange brüllt, bis sich drüben die Tür auftut und man es hineinläßt.

Susanne und ich sehen diesem Vorgang schweigend zu. Wir sind, fühle ich, beide froh, daß wir das, was nun kommt, noch etwas hinausschieben können. Dann aber gibt es schließlich nichts mehr zu sehen. Ich stehe seufzend auf, hole den Cognac, gieße uns einen großen ein und sage: »Wir wollen’s kurz machen, Susannchen.«

Sie nickt, quetscht die Hände zwischen die Knie: »Hat er es zugegeben?«

»Er hat vertraulich mit mir gesprochen.«

»Also hatte ich recht. Er hat wirklich...« Und dann schüttelt sie das Schluchzen. Als sie wieder zu sich kommt, fühle ich, wie etwas in mir zerbricht: es ist das Bild der kleinen Susanne, des vierjährigen, zum Fressen süßen Quacks, das ich mir vor so vielen Jahren des öfteren von Addi (zu deren großer Erleichterung) pumpte, um damit zu protzen. Wie eine Abschiedsvision sehe ich sie neben mir im offenen Roadster sitzen, während wir vor einer Straßenbahnhaltestelle halten. Und vom Hinterperron sagt eine Frau, ihren Mann anstoßend: »Schau dir doch bloß das Engelchen an, das da neben seinem Vater hockt!« Noch einmal schwelle ich vor Stolz, und dann gibt es einen innerlichen Knall, einen Knall, in dem auch Susannes Backfischjahre zerplatzen, und vor mir sitzt eine junge Frau, ein Mensch, den ich noch gar nicht kenne. »Ich liebe ihn doch so!« sagt diese junge Frau und wird damit der früheren Susanne noch unähnlicher, die zum Entsetzen der Familie meist kieloben und unter dauerndem Männerwechsel auf dem wilden Meer ihrer neuentdeckten Gefühle trieb.

Dann nimmt sie meine Hand und knetet sie, wie als ganz kleines Mädchen, und für einen Moment bin ich nicht ganz sicher, ob die alte Susanne wirklich tot ist: »Ach, Colonel, was soll ich denn bloß machen? Glaubst du, er liebt mich nicht mehr?«

Ich küsse ihr die Tränen von den Augen (so ein ganz kleines Honorar verschaffe ich mir immer bei derartigen Konsultationen) und sage dann: »Ich fühle mich zwar zu völliger Diskretion verpflichtet, aber in diesem Fall möchte ich sie brechen: er liebt dich — mehr als zuvor.«

Sie starrt mich fassungslos an: »Das verstehe ich nicht! Das kann doch kein Mensch verstehen, Colonel! Dann kann es ihn eben nur verhext haben, dieses Weib!«

»So einfach ist das nicht, mein Kind. Man könnte sagen: Es ist eine Sache, die gar nichts mit dir zu tun hat.«

»Colonel! Um Himmels willen, rede nicht so geheimnisvoll! Du weißt, ich habe das Pulver nicht erfunden!«

Ich streiche ihr über das schmale Gesicht mit dem feinen, leicht gekrümmten Näschen: »Gott sei Dank hast du das nicht, Susannchen, denn es ist keine schöne Erfindung. Aber paß auf: Marc ist unter einer diktatorischen und eifersüchtigen Mutter aufgewachsen. Dann kamst du, und er riß sich von der Mutter los, auch finanziell, und das war für einen verwöhnten Bengel wie ihn beinahe noch schwerer. Aber er setzte seinen ganzen Stolz darein, seine Frau und sich selbst zu erhalten. Sind wir uns so weit einig?«

»Ja, natürlich. Und dann?«

»Und dann stellte sich heraus, daß der Berufskampf ohne den Hintergrund des reichen, bekannten alten Drachens viel schwieriger ist, als er erwartete. Es ist ja ‘ne besondere Sache: du verhandelst ganz anders, wenn du’s im Grunde nicht nötig hast, als wenn es dir auf den Nägeln brennt. Dein Verhandlungspartner spürt das sofort, wenn er nicht total dämlich ist. Hast du Geld, kriegst du hohe Honorare, ohne Geld — niedrige. Widersinnig, aber wahr. Beweist, daß wir bei unserem Berufskampf noch genauso tief im Dschungel stecken wie in der Erotik. In meinem Buch Licht von jenseits der Straße habe ich dieses Problem...«

Sie knetet wieder meine Hand: »Colonel, bitte nicht abschweifen! Du wolltest mir von Marc erzählen!«

»Wie? Ach so — entschuldige. Ja, also...«

»Du hast gesagt, daß es für ihn mit dem Geldverdienen doch schwieriger war, als er geglaubt hat.«

»Richtig. Also — er sitzt etwas in der Klemme. Hat zwar laufend Aufträge, aber so richtig flutscht es nicht. Und dann kommt plötzlich der große Auftrag von diesem Weib, dieser Witwe, und sichert ihn nicht nur zunächst finanziell, sondern öffnet ihm auch den Zugang zu jenen Kreisen von reichen, armen Irren, die ihr Geld in luxuriöse Häuser stecken, an denen nur andere Leute Spaß haben. Aber — es ist eine Bedingung damit verknüpft, wie ihm so ganz allmählich und mit dem üblichen Geschick einer erfahrenen Frau beigebracht wird.«

»Dieses Biest! Ich werde...«

»Langsam, langsam, Susanne. In der ganzen Sache hat die Frau die geringere Schuld — wenn man überhaupt von Schuld reden will.«

Ihre Augen flammen, und das kleine Persönchen richtet sich auf wie eine Kobra: »Natürlich, du als Mann...«

»Wenn du mich ausreden ließest, Susanne...«

Sie sinkt wieder in sich zusammen: »Entschuldige.«

»That’s okay, darling. Also hör zu: Dein Marc steht vor einer schrecklichen Wahl. Entweder er lehnt ab, dann ist er den ganzen Auftrag los und hat eine erbitterte Feindin, die ihm auch den größten Teil aller anderen Aufträge versauen kann. Das bedeutet früher oder später die beschämende und unerträgliche Heimkehr unter die Flügel des Drachens.«

»Ich hätte mit ihm gehungert, gern!«

»Das weiß ich, Susanne. Aber er hätte es nicht ertragen, daß du hungerst. Deswegen und seines Stolzes wegen also ging er den anderen Weg. Da war außerdem noch die Hoffnung, es könnte ihm gelingen, dich zu täuschen — bis er die andere nicht mehr nötig hätte.«

»Aber...«

»Und dann ist da noch was, was ich dir nicht verheimlichen will, und du wirst daran sehen, daß ich unser Geschlecht keineswegs beschönige. Der Mann ist nun mal von Natur polygam — auf eine ganz andere Weise als ihr. Wenn eine Frau einen Mann abweist, weil sie ihrem eigenen Mann treu bleiben will, ist sie ein Vorbild und fühlt sich auch so. Wenn ein Mann eine verführerische Frau abweist, weil er seine eigene nicht betrügen will, ist er — objektiv — auch ein Vorbild, aber kommt sich — subjektiv — unsäglich albern vor. Und außerdem regt sich in ihm — wenn die Frau ihm erotisch liegt — die immer wache geschlechtliche Neugier.«

»Die habe ich auch!« erklärt Susanne und richtet sich wieder auf. »Aber ich halte sie eingesperrt!«

»Du lügst ja, Susannchen!«

Sie senkt den Kopf: »Ja, du hast recht, Colonel. Seit ich Marc kenne, interessiert mich kein anderer Mann. Aber was soll ich denn jetzt machen? Soll ich mich ihm verweigern? Dann treibe ich ihn doch noch mehr in die Arme der anderen! Und trotzdem

— (ganz leise) ich merke, Colonel, daß er in der Liebe — ganz anders ist als früher... Dadurch bin ich doch überhaupt erst auf den Verdacht gekommen! Und jetzt, wo ich’s endgültig weiß... ich glaube nicht, daß... daß ich ihm jetzt noch gehören könnte!«

»Das kann kein Mensch von dir verlangen.«

Wir schweigen. Mein Phantasiemotor springt an, und ich sehe Susanne, ihr schönes, sauberes Heim, auf das sie so stolz ist und in dem sie aus voller Lust herumwirtschaftet: ein eigener Mann, ein eigenes Heim. Und dann findet sie in seiner Jacke die Kinobilletts. Mit wem war er da — mit dieser Frau, für die er jetzt das Haus baut und die er so häufig erwähnt? Ihre Knie wanken, und das Licht um sie herum wird fahl. Dann fragt sie ihn. Vielleicht hat er zuerst geleugnet, aber sein Erschrecken hat sie gesehen. Sie weiß, doch sie will es nicht wahrhaben. Und dann kommen andere Indizien. Seine Zärtlichkeiten sind >anders<, besser gesagt, sie sind nicht mehr natürlich, sie sind nachgemacht. Er, dieser hilflose, junge Esel, versucht sich selbst zu kopieren, so wie er früher war, um ihr das Leid zu ersparen, das längst ihr Herz verbrennt. Sie weichen sich aus, sind von der Barke ihres Glücks in das wilde Meer gestürzt, aber noch klammem sie sich krampfhaft an eine Planke. Vielleicht kann man, einer den anderen nachziehend, wieder hinaufklettern, vielleicht klärt sich der Himmel, legen sich die Wellen, zeigt sich ein Gestade, das man ansteuern kann? Wohin werden sie treiben? Wer läßt die Planke zuerst los?

Aus tiefem Brüten heraus fragt sie mich: »Vielleicht gibt’s das gar nicht, so eine richtige Ehe? Du hast uns früher mal gesagt, es gäbe so was, eine wirkliche Verschmelzung, in der jeder die Hälfte von seinem Ich wiederfindet, das er vor vielen Millionen von Jahren verloren hat.« Sie studiert gramvoll mein Gesicht, und ich bemerke mit Erschütterung auf der blutjungen Glattheit ihrer Wangen die feinen Linien der Bitternis, die sich von der Nase zu den Mundwinkeln ziehen.

»Aber du hast damals auch gesagt«, fährt sie mit einem Seufzer fort, »daß solche Ehen ganz furchtbar selten sind und daß selbst die besten unter allen anderen Ehen diesem Ideal nur ungefähr nahe kommen können. Wo auf dieser Skala, glaubst du, liegt unsere Ehe?«

»Das ist ja wieder mal ‘ne Wucht von Fragen, die du mir da an den Kopf wirfst!«

»Colonel!«

»Jaja, ich drücke mich schon nicht. Zunächst mal seid ihr beide Opfer unserer Zeit, oder genauer gesagt, der immer noch erschreckenden Rückständigkeit auf diesem Gebiet. Ich jedenfalls hätte euch beide erst mal zur Eheberatung geschickt. Das sollten die Eltern mit ihren heiratslustigen Kindern prophylaktisch überhaupt immer tun. Dort sollten sie, jeder für sich, nicht nur in der Einteilung des Wirtschaftsgeldes, auf Blutgruppe und sexuelle Fragen hingewiesen werden, sondern man sollte vor allem feststellen, warum sie sich eigentlich heiraten wollen.«

»Na, weil sie sich lieben — im Moment wenigstens!«

»Ach, mein kleiner Dummiwuschel! Weißt du, wenn ich mich jetzt so bemühe, dir irgendwas Brauchbares klarzumachen, sehe ich, wie schwierig das ist! So wenig wie ein Blatt dem anderen gleicht, so wenig gleicht ein Mensch dem anderen. Und nun packt das Schicksal zwei dieser unendlich komplizierten Wesen zusammen, die nicht ihresgleichen haben. Das erhöht die Schwierigkeit im Quadrat. Ich glaube, ein Rechenroboter mit zweitausend Transistoren würde an dieser Aufgabe zerplatzen.«

»Dann gibt’s also gar nichts, an das man sich halten kann?«

Ich springe auf, zünde mir eine Brasil an und beginne auf und ab zu rennen: »Doch, Kerlchen, es gibt trotzdem ‘n paar allgemeine Regeln. Wo waren wir zuletzt?«

»Bei der Eheberatung. Die soll feststellen, warum man überhaupt heiraten will.«

»Ah, richtig. Ja, also, ich bin dafür, daß man versucht, alle die Verbindungen zu verhindern, die unter Druck und ohne vorherige Prüfung geschlossen werden sollen.«

»Was heißt das?«

»Na, ich meine, man soll nicht jemanden nehmen, nur weil einem so allgemein danach ist und zufällig kein anderer da ist oder weil’s gut in den geschäftlichen Kram paßt oder weil schon ein Kind unterwegs ist.«

»Ja — meinst du denn, ein Mann sollte das Mädchen dann sitzenlassen?«

»Natürlich nicht. Für ihn ist es Ehrensache, es zu heiraten. Wenn er es nicht wirklich liebt, hat er eben Pech gehabt, wie man im Krieg lahmgeschossen wird. Aber das Mädel sollte sich sehr überlegen, ob es sein Angebot annimmt, nur, weil der Antrag aus Anstand gemacht wird. Worauf ich hinauswill, Susannchen: man muß versuchen festzustellen — und zwar vorher —, ob die Partner sich wirklich gegenseitig mögen, sich und keinen anderen. Und dann, wenn sie sich gekriegt haben, muß ihnen klargemacht werden, daß sie mit Ring und Trauschein nicht in den sogenannten sicheren Ehehafen eingelaufen sind, den es nämlich gar nicht gibt, sondern daß sie sich aufs hohe Meer gewagt haben, wo sie Tag und Nacht auf der Wacht sein müssen. Verstehst du mich?«

»Verstehen ja, gewiß —, du hast sicher recht, und es ist ein sehr schönes Bild, aber — was habe ich denn falsch gemacht? Ich muß doch was falsch gemacht haben, Colonel, sonst wäre er doch nicht...«

»Heul nicht, Kind, ich kann das nicht mit ansehen. Da — schnaub dich mal, steck’s ein. Und die anderen Taschentücher möchte ich mal wiedersehen, die du in letzter Zeit so vollgeschnaubt hast. Falsch gemacht — hm. Weiß ich nicht, aber vielleicht kann ich dir sagen, wie man’s richtig macht.«

»Ach, Colonel, wenn du mir das sagen könntest!«

»Also: du hast ein ziemlich kompliziertes und seelisch zerknittertes Exemplar erwischt. Seit seiner Jugend ist er von der Angst besessen, daß man ihn einsperren will, und zwar in Liebe, in eigensüchtiger Liebe. Du mußt ihm die lange Leine geben, so daß er gar nicht merkt, daß er festsitzt. Er will abends noch mal allein weg — bitte schön, viel Spaß! Ein Abenteuer, teils aus Geschäft, teils aus Spaß! Gut, mach, daß du wegkommst, nur laß mich in Ruhe, und sei dir klar darüber, daß ich das gleiche Recht habe. — Sehr wirksames Argument, Susannchen! Er wird natürlich damit rechnen, daß du nie Ernst machst, aber es ist ein Pfeil in seinem Selbstbewußtsein, der langsam tiefer dringt. Auf der anderen Seite: er quält sich redlich und macht sich’s viel schwerer als er nötig hätte, für dich. Ich meine, jetzt, im Augenblick, gilt das alles nicht, was ich dir hier sage, denn du darfst es ihm vor allem nicht zu leicht machen, sonst gewöhnt er sich an solche Eskapaden. Er ist ja noch ein halbes Kind, und ein Kind greift immer nach, in aller Unschuld. Und plötzlich ist ein Gewohnheitsrecht da, und wenn’s mal wirklich knallt, wird dir gesagt — und zwar mit Recht —: Das hättest du mir nie erlauben dürfen! Aber sonst, wenn hoffentlich mal wieder alles in Ordnung ist: bemühe dich, seine Arbeit zu verstehen. Er hat ja niemanden, dem gegenüber er sich Luft machen kann und dem er erzählt, wie er’s dem bummeligen Bauführer gegeben hat, und daß er für Frau Müller einen Satz Delfter Teller ins Speisezimmer möchte oder vielleicht lieber ein paar englische Jagdszenen? Die dumme Kuh versteht weder vom einen noch vom anderen was. Und du mußt mit ihm über Frau Müller lachen und es großartig finden, wie er’s dem Bauführer gegeben hat. Du mußt dich verdrücken, wenn er den Kassenraum für die neue Bankfiliale entwirft, und nachher, wenn er damit fertig ist, eine liebevolle Kritik versuchen, selbst wenn du dich völlig unzuständig fühlst. Er spürt ja nur dein Interesse. Du mußt euer Nest so blitzsauber halten, wie du es jetzt tust, aber du sollst nicht mit dem Scheuerlappen hinter ihm hersausen, wenn er Lehm an den Schuhen hat. Ein Mensch von so geringem echtem Selbstvertrauen wie er fühlt sich dann sofort als Eindringling und glaubt, der Haushalt sei dir zum Selbstzweck geworden.«

Ich seufze: »Und so weiter und so weiter, Kerlchen. Mit anderen Worten: wenn er abends müde und kaputt seinen Wagen heimwärts lenkt und die Lichter eures Hauses an der Kurve sieht, muß er fühlen, daß er heimkommt — richtig heim, verstehst du? In seine Wohnung, in deine Arme, in die wunderbare Nestwärme, die alles auflöst und entkrampft, wo sich alles um ihn dreht und wo er merkt, wozu er eigentlich auf der Welt ist. Hm?«

Ihre Augen blicken in einem Vertrauen zu mir auf, das mich im Innersten beschämt. »Ja, Colonel, genauso! Ich kann’s nur nicht so ausdrücken. Aber ich hab’ alles so gemacht.«

»Was sagst du?«

»Alles — alles so gemacht. Hast du noch ein Taschentuch?«

»Alles so gemacht — hier hast du noch ein Taschentuch, du bist mein Ruin. Alles so gemacht — da du schlecht lügst, muß es stimmen. Und da es stimmt, sollte man diesen Kerl zu Kleinholz zerhacken. Dieses Rindvieh, dieses gottverdammte! Also: verweigere dich ihm. Du gewinnst nichts, wenn du’s nicht tust. Harem aufmachen — wäre ja noch schöner! Die schwarze Kanaille stört das natürlich nicht, nach all den vielen Händen, die sie an sich ‘rangelassen hat. Im Gegenteil: die Katze im Weib. Macht Spaß. Und möglichst wenig Tränen und viel Rouge! Je weniger du dir anscheinend draus machst, desto eher wird er mißtrauisch werden und sich vielleicht doch fragen, ob sich die ganze Sache lohnt. Ich werde auch noch ein paar Zeitbomben bei ihm legen. Vor allem: verzweifele nicht! Er ist ein Esel, aber kein schlechter. Im übrigen möchte ich nicht die Esel beleidigen.«

In diesem Augenblick verdunkelt sich abermals die Terrassentür. Es ist, zu unser beiderseitigem Erstaunen, Margot.

»Nanu?« sage ich. »Heute ist doch erst Freitag? Hast du geschwänzt?«

»Tag, Susanne. Ja, Buddy mußte nach Hause wegen Geburtstag vom Vater, und da bin ich gleich mitgefahren.«

»Warst du schon drüben bei den Eltern?«

»Ja, aber ich hab’ nur meinen Koffer hingestellt. Da geht’s so durcheinander mit Kuchen und eurem neuen Peter, daß kein Mensch für mich Interesse hat. Also bin ich erst mal zu dir gekommen, Colonel.«

»Lieb von dir. Cognac?«

»Immer. Was treibt ihr eigentlich, ihr beiden? Du hast ja geheult, Susanne!«

Ich sehe Susanne an: »Soll ich’s ihr erzählen?«

Susanne nickt, und ich erzähle.

»Was sagst du dazu?« fragt Susanne die Schwester, als ich geendet habe.

Margot schlägt die Beine übereinander, stützt den Ellbogen aufs Knie und das Kinn auf die Faust: »In meinen Augen ist er von jetzt an ein Gigolo und nichts anderes! Das kommt dabei ‘raus, wenn ein Mann zu wenig Erfahrungen mit anderen Frauen hat, bevor er heiratet.«

»Erstens«, sagt Susanne düster, »ist er kein Gigolo, denn schließlich verdient er sich ja sein Geld und läßt sich nicht von dieser Frau aushalten. Und außerdem, wenn er die Erfahrungen gehabt hätte, hätte er eine dumme Pute wie mich wahrscheinlich nicht genommen.«

Margot und ich sehen uns erschüttert und betroffen an, dann ist Margot bei ihrer Schwester und schüttelt sie: »He — du — komm zu dir! Wenn wir uns auch oft gerauft haben, du bist trotzdem ein großartiger Kerl, und vor allem, seit du ihn geheiratet hast, diesen — diesen verdammten Schlawiner! Ich würde ihm rechts und links eine kleben, wenn er hier wäre!«

»Aber was soll ich denn nun machen?«

Susanne beginnt wieder zu weinen. »Der Colonel meint, es ist richtig, wenn ich ihn in bezug auf — und so weiter aussperre, bis er wieder zu sich kommt.«

»Na, das sowieso! Ich würde ihm überhaupt den Stuhl vor die Tür setzen. Was meinst du, Colonel?«

»Erstens meine ich: bei einem jungen Kerl wie Marc, der noch so mit Komplexen beladen und unstabil ist, sollte man vorsichtig sein, sonst passiert womöglich was Schreckliches, und man macht sich sein Leben lang Vorwürfe.«

»Du meinst, er könnte sich was antun?« fragt Margot ruhig, fast verächtlich, während Susanne mich nur entsetzt anstarrt.

»Ja, das ist durchaus mit drin.«

Margot schüttelt den Kopf: »Glaube ich nicht. Dazu hat er nicht den Mumm.«

»Das kann man nie sagen, mein greiser und weiser kleiner Schnickschnack.«

»Und zweitens?«

»Zweitens sollte man der Zeit auch ihre Chance lassen. Sie dreht alle Ebenen der Beurteilung und alle Situationen, und für das, was im Moment unlösbar erscheint, gibt es vielleicht morgen einen Ausweg. Und schließlich sollte man einen Menschen überhaupt nicht ohne letzte und absolute Notwendigkeit zur Verzweiflung treiben. Die Güte, die herzerlösende...«

»Colonel, du wirst alt«, erklärt Margot, »du enttäuschst mich.«

Ich sehe sie mir an, wie sie da sitzt mit ihrem aufrührerischen dunklen Haarschopf und den großen braunen Augen, die jetzt sehr hart sind. »Na, na, mein Äffchen«, sage ich, »paß auf, daß du nicht mal selber in so ‘ner Falle sitzt!«

»Kann mir gar nicht passieren.«

»Erstens entsinne ich mich dunkel, daß es da verschiedene kitzlige Situationen bei dir gab, in denen du mich nicht alt nanntest, wenn ich einen Kompromiß für dich ausknobelte, und zweitens...«

Sie springt auf und fällt mir um den Hals: »Ich wollte dich doch nicht kränken, Colonel! Du siehst aus wie vierzig und...«

»Die Güte, die herzerlösende...«, sagt Susanne leise vor sich hin. »Das ist schön, Colonel. Das ist wunderbar, das hilft.«

»Ach, du bist einfach in ihn verknallt«, meint Margot, und dann wieder zu mir: »Hättest du das für möglich gehalten: Susanne als das treue, still duldende Eheweib?«

Susanne und ich reißen gleichzeitig den Mund auf, um noch etwas zu erwidern, aber noch mal verdunkelt sich die Terrassentür. Es ist der Kuchenstoßtrupp, vorneweg die Mama mit dem Knäuel auf dem Arm, dahinter das ziemlich verbittert aussehende Frauchen.

»Ich habe dir gleich gesagt, du solltest ihn ‘rausschmeißen«, erklärt sie der Mama, »als er drüben auftauchte!«

Susanne und Margot sind aufgesprungen: »Ach, ist der süß!« ruft Margot.

»Sehr süß«, bemerkt Frauchen. »Erst hat er wieder Teddys Papierkorb umgeschmissen und alles zerfetzt, so daß ich zunächst mal den Staubsauger holen mußte, um dieses Schneegestöber vom Teppich zu saugen, und derweilen hat er mindestens vier Teppichfransen abgerissen und aufgefressen.«

»Schließlich ist er noch ein Baby!« erklärt die Mama.

»Ja, ein süßes, kleines Hundekind!« schwärmt Margot. »Gib ihn mir doch mal einen Augenblick!«

»Nachher kriegt er seine Keile«, verkündet das Frauchen. »Hübsch ist übrigens das rote Kleid, Margot! Steht dir sehr gut! An deiner Stelle würde ich...«

Sie hält inne und erstarrt. Peter, auf Margots Schoß hockend, hat das rote Kleid offenbar auch sehr anheimelnd gefunden. Er würgt kurz und legt ihr die vier Teppichfransen darauf, mit Sauce. Margot springt auf: »Er kann nichts dafür! Bitte, tu ihm nichts, Tantchen...«

Die Mama nimmt Margot unter den einen und das Knäuel unter den anderen Arm, und der ganze Frauenverein marschiert ins Bad, wo ein großes Gemache und Gelächter beginnt.

Ich sehe ihnen einen Moment nach. Na, das ging ja noch einigermaßen glatt mit Susanne. Armes, kleines Hascherl! Aber es muß ja immer gleich geheiratet werden. Psychiatrische Eheprüfung — sollte man vom Staat aus zur Vorbedingung machen. Dann setze ich mich wohlig seufzend wieder hinter meinen Schreibtisch an mein Fernsehspiel. In diesem Augenblick taucht der Kastenbart im Türrahmen auf.

Er sieht mich an und blickt dann um sich, als wollte er sagen: >Na, ist die Luft endlich rein?< Dann kommt er tap, tap, tap mit den kleinen Krallenfüßchen zu mir und blickt mich mit seinen stillen braunen Augen an: »Hast du wenigstens noch Verwendung für einen kleinen, alten Foxl?<

»Na, hoppchen!« sage ich. Er springt auf meinen Schoß, und ich beginne, das Gesicht an sein schmales Köpfchen geschmiegt, zu schreiben. Nach einer Weile reißt er die Schnauze auf und gähnt.

»Hauptsache, das Publikum gähnt später nicht so!« sage ich. Er kringelt sich auf meinem Schoß zusammen und beginnt selig durch seinen Bart zu pusten.