7

Ich sehe Margots Profil. Seit sie mit Buddy in der Stadt studiert, ist sie noch bedeutend hübscher geworden. Ein feiner, durchgeistigter Zug hat sich hinzugesellt. Die Mama allerdings hatte behauptet, sie sehe einfach »blaß und spitz aus, weil sie in der Stadt hockt, zuviel lernt und sich alles für den Bengel abknapst, und Jungs in dem Alter sind überhaupt nicht satt zu kriegen. Ganz abgesehen von der jungen Liebe, die ja besonders hungrig macht...« An dieser Stelle war sie von Frauchen gestoppt worden, die von jeher behauptet, in unserer Familie herrsche ein Hang zur Deutlichkeit, der von niemandem außer uns — der Mama und mir — geschätzt würde.

In diesem Fall konnte ich der Mama nicht recht geben. Junge Liebe, viel Lernen und verstänkerte Stadtluft — stimmte alles. Aber außerdem war da noch dieses andere, schwer zu Beschreibende. Fraulich verklärt, das könnte es so ungefähr treffen. Das große Glück gesicherter Liebe und gemeinsamer Arbeit.

Gerade dieser Ausdruck aber ist aus ihrem Gesicht verschwunden, als sie jetzt neben mir sitzt. Sie sieht nachdenklich und verbissen aus.

»Na?« fragte ich. »Wo brennt’s?«

»Ach — Colonel!!!«

Sie richtet sich auf, schlingt die Arme um die Knie und wiederholt: »Ach, Colonel!«

»Das hast du schon mal gesagt. Soll ich dir helfen? Krach mit Buddy? Geht er etwa fremd?«

Ihre Augen flammen: »Wie kommst du denn da drauf? Das überläßt er Marc.«

»Hör mal zu, mein Äffchen, ich entsinne mich, daß wir vor einiger Zeit schon mal über Marc sprachen und daß du dich sehr aufgepustet hast, als ich ihn nur so ‘n bißchen in Schutz nahm. Damals sagte ich dir...«

Sie lächelt mich kläglich an: »>Paß auf<, sagtest du, >daß du nicht eines Tages auch in so ‘ner Falle sitzt.< Ich hab’ so oft dran denken müssen in den letzten Tagen.«

»Schlimm?«

»Ziemlich.«

»Dann schieß los; wer weiß, wie lange wir allein sind.«

Sie holt tief Atem: »Also, es ist so: Wir haben unter anderem einen Professor, für römisches Recht. Er prüft uns auch darin, und man sagt zweierlei von ihm: daß er erstens streng und zweitens rachsüchtig ist. Sonst, als Mann, ist er ganz passabel, sechsunddreißig Jahre, sehr tüchtig, äußerlich zwar nicht mein Typ, unverheiratet...«

»Er hat doch nicht etwa ein Auge auf dich geworfen?«

»Er hat. Und er läßt mich glatt durchfallen, wenn ich ihn einfach abblitzen lasse.«

»Na, na, na, so einfach geht das ja nun auch nicht. Woher weißt du denn überhaupt, daß der Mann sich so weit vergessen würde?«

»Das fühl’ ich! Außerdem ist römisches Recht meine schwächste Stelle.«

»Na, das klingt schon anders, aber willst du denn den Kerl heiraten, bloß um das Examen zu bestehen?«

»Nein — nein, Colonel! Ich will das Examen bestehen, ohne ihn zu heiraten und ohne überhaupt irgendwas mit ihm anzufangen! Buddy will ihn natürlich verdreschen, daß er in keinen Sarg mehr paßt, aber dann sind wir beide erledigt! Und da habe ich ihm gesagt, er soll mit dem Verdreschen warten, ich will erst mal mit dir sprechen, ob es nicht vielleicht auch anders geht!«

»Das war richtig. Hast du’s deiner Mutter erzählt?«

»Ja...«

»Na, das klingt aber sonderbar!«

Sie seufzt: »Ach, du weißt doch, wie Mütter sind. >Überlege dir das gut, mein Kind<, heißt es. >Dein Buddy in allen Ehren, aber ihr müßt mindestens sieben Jahre warten, bis ihr heiraten könnt — und bis dahin — und andererseits — ansehnlicher Mann —< Ansehnlich! wie ich das Wort schon hasse! Und schließlich wurdest du noch zitiert, daß so ein Altersunterschied von fünfzehn oder zwanzig Jahren gar nichts ausmache.« Sie mustert mich argwöhnisch: »Womöglich meinst du das auch in diesem Fall?«

»Kommt auf den Mann an. Außerdem ist es die Pflicht deiner Mutter, dir das alles zu bedenken zu geben«, erkläre ich würdevoll. »Und wenn eine deiner Töchter später in dieselbe Situation kommt...«

»Könnten wir das nicht noch vertagen, Colonel?«

»Sei nicht frech, Göre.« Dann kann ich mir das Grinsen nicht länger verkneifen: »Wie heißt der Kerl eigentlich?«

»Zimmermann, Enrico Zimmermann.«

»Enrico Zimmermann! Das klingt wie Sekt und Käsebrot.«

»Er hatte eine italienische Mutter.«

»Na, wennschon. Dann hätte ich mich entweder hinten Casanova oder vorn Heinrich genannt.«

»Er hat einen Haufen Bücher geschrieben. Du hast sicher schon von ihm gehört.«

»Kein Wort, Gott sei Dank.«

»Aber er hat mehrere Bücher von dir gelesen und schätzt dich sehr.«

»Hm. Worauf willst du eigentlich hinaus, du kleine Kröte? Ich höre mal wieder deine Gehirnräder klicken, so ganz fein und exakt wie deines Vaters Waschmaschinen.«

Sie kratzt sich den Kopf, daß sie wie der Struwwelpeter aus dem Märchen aussieht und ich unbedingt aufstehen und ihr einen Kuß geben muß (kleines Honorar): »Also?«

»Er bedrängt mich, Colonel! Er ist mir bis vor meine Wohnung nachgefahren und hat mir die Ehrenhaftigkeit seiner Absichten versichert. Ich habe ihm gesagt, er solle sich vorsehen, es mache einen schlechten Eindruck, wenn er mit einer seiner Studentinnen...«

»Ausgezeichnet. Und was hat er gesagt?«

»Das mache gar nichts. Er würde mich — wenn ich weiterstudieren wolle, was er bezweifle — einfach an eine andere Universität schicken. Da ich ihn doch aber nicht will und Papa schon für das hiesige Studium kaum das Geld aufbringen kann, nach der Aussteuer für Susanne, behalte ich ihn also als abgewiesenen Freier auf dem Hals, und er läßt mich — wie gesagt — womöglich durchfallen. Buddy jedenfalls bestimmt, wenn der ihm die Jacke vollhaut. Das heißt«, fügt sie nachdenklich hinzu, »wenn’s dazu kommt, ist noch gar nicht sicher, wer die meiste Dresche bezieht, der Zimmermann sieht nämlich athletisch aus.«

»Soso, athletisch, sechsunddreißig Jahre, Junggeselle, Professor. Na schön. Und von deiner Verbindung mit Buddy weiß er also noch nichts.«

»Nein.«

»Das ist gut.«

»Warum?«

»Ich weiß nicht — ich hab’ nur das Gefühl, je weniger er weiß, desto mehr kann man ihm erzählen.«

Jetzt ist sie es, die aufspringt und mir einen Kuß gibt: »Dann kommst du also?«

»Wie — was — wohin soll ich denn kommen?«

»Ach, Colonel, tu doch nicht so! Aber da sieht man wieder, wie fabelhaft du kombinieren kannst!«

»Moment mal — Augenblick bitte, ich habe keine Ahnung, in was für eine üble Situation du mich mit deinen plumpen Schmeicheleien wieder manövrieren willst! Also, was soll ich? Vor allem, geh von der Lehne meines Stuhles ‘runter, es ist der letzte, der noch eine hat. Die anderen hat Ritzewitz zerfressen, während er mittags hier auf meinem Bauch parkt.«

Sie steht auf und setzt sich zu meinen Füßen: »Ich hab’ mir gedacht, du solltest ihn dir mal ansehen — den Zimmermann, meine ich. Und zwar bei mir auf der Bude.«

»Bist du verrückt? Wenn du ihn auf deine Bude kommen läßt, hat er dich schon halb — jedenfalls wird er sich das einbilden.«

»Aber du bist doch als Anstandswauwau dabei, Colonel!« Sie sieht wieder ganz verzweifelt aus: »Glatt abweisen kann ich ihn nicht! Wenn ich mit ihm in irgendein Lokal gehe, werden wir gesehen, es wird sofort geredet, er wird nichts dementieren — im Gegenteil, und schon habe ich den Fuß in der Falle! Bringe ich ihn hier ‘raus, wird im Dorf geklatscht, und Buddy muß ihn auseinandernehmen, um seinen Leuten hier zu zeigen, was er für ein Kerl ist. Außerdem kann ich mich — wie gesagt — auf Mutti nicht verlassen. Andererseits will er sich unbedingt mal privat mit mir unterhalten, und da habe ich gesagt, na schön, er könnte mich mal besuchen, aber es würde der Colonel dabeisein!«

»Na, das ist doch...«

»Das hat er auch gesagt, und da habe ich ihm erklärt, wer du bist, und warum wir dich so nennen, und er hat gelacht — ziemlich sauer, aber immerhin — und hat gesagt, es würde ihn sogar sehr interessieren, und du würdest bestimmt alles viel besser verstehen als ich. So — nun ist’s ‘raus!«

»Na, ich bin direkt glücklich darüber! Es sind gerade drei Monate Ruhe gewesen, seit ich Marc und Susanne und den alten Drachen hier bändigen mußte. Und du bist natürlich ganz sicher, daß ich insgesamt zweihundert Kilometer in die Stadt und zurück fahre, nur um mit diesem albernen Pinsel zu reden?«

Sie sieht mich an — großer Unschuldsblick voller Untiefen —: »Ich bin ganz sicher, daß du es machst, Colonel. Du mußt doch ab und zu zum Fernsehen oder zum Verleger, und bei der Gelegenheit...«

»Das muß ich aber erst mal mit Tante Anette besprechen.«

»Nein, bitte nicht mit deiner Frau!«

»Ja, warum denn nicht?«

»Sie würde in Muttis Horn stoßen, sie kann gar nicht anders als ihre Freundin. Oder sie würde sagen, daß du dich da nicht einmengen sollst.«

Und wie ich sie lange und nachdenklich betrachte: »Bitte, bitte, Colonel!«

»Hm.« Ich kann nicht leugnen, daß mir ihr Vertrauen schmeichelt, daß mich dieser Kerl interessiert und daß mir die ganze Geheimniskrämerei Spaß zu machen beginnt: »Am Donnerstag muß ich in die Stadt, und das ist der Tag, wo hier die Frau Schleussner zum Saubermachen kommt und Anette sowieso nicht weg kann. Allerdings weiß ich nicht, wie ich überhaupt dazu komme, für euch dauernd die Kastanien aus dem Feuer zu holen. An sich genügt es mir völlig, daß mir Susanne...«

»Aber ich weiß, warum du’s tust, Colonel!« erklärt Margot und grinst mich an, als ob sie plötzlich drei Jahre jünger wäre.

»Da bin ich doch wirklich gespannt!«

»Weil wir doch deine Töchter sind, deine beiden Töchter auf Pump! Hast du das in deinem Buch geschrieben oder nicht?«

»Gewiß — aber...«

»Und über Zimmermann wirst du ganz bestimmt auch schreiben und über alles andere. Also?«

»Hm. Dann muß ich also leider in den sauren Apfel oder vielmehr in den sauren Zimmermann beißen.«

Sie springt auf, gibt mir noch einen Kuß, dreht sich lachend um, daß der Rock um ihre hübschen Beine schwingt, und hopst zu ihrem Haus hinüber. Sie hat doch viel von Addi...

»Margot ist ja sonderbar aufgekratzt!« sagt plötzlich eine Stimme neben mir. Ich blicke mich um: es ist Buddy, ein sehr, sehr nachdenklicher Buddy, der an seinen Nägeln kaut und schlecht rasiert ist.

Ich sehe auf die Tür, hinter der Margot verschwunden ist, und seufze: »Es ist völlig umsonst, Buddy, daß du Jura studierst.«

Er wird ganz blaß: »Wieso, Colonel?«

»Du hast mir gesagt, du studierst Jura, damit du nicht ganz im Eimer bist, wenn ihr euch mal scheiden laßt. Du wirst im Eimer sein, ehe du überhaupt weißt, was los ist. Gegen dieses Weib ist kein Kraut gewachsen.«

Er setzt sich in den leeren Stuhl: »Darf ich?«

Und als ich nicke:

»Zunächst will ich sie ja mal heiraten. Aber jetzt, wo dieser Zimmermann aufgetaucht ist...«

Ich sehe ihn streng an: »Glaubst du, daß sie dich seinetwegen sitzenläßt?«

Eine lange Weile starrt er mich an, und als ich die Qual in seinem Blick sehe, fühle ich, wie lieb ich auch ihn habe, diese drahtige kleine Bulldogge.

»Nein«, sagt er dann heiser.

»Dein Glück. Sonst hättest du nämlich wirklich verdient, sitzengelassen zu werden.«

»Ich zweifle ja auch gar nicht an ihr, Colonel, sondern an den Eltern, an meinen und an ihren! Sie wissen doch, wie auf uns eingeredet wird. Wenn die bei mir daheim Bescheid wüßten, ging’s gleich los: Sei froh, daß du sie los bist, ein Mädel ohne Geld, und bis ihr euch heiraten könnt... Und genauso und noch schlimmer ist es bei ihr. Sie gibt’s zwar nicht zu, und ich weiß, daß ihre Mutter mich auch ganz gern hat, aber schließlich ist sie ihre Mutter! Das einzige Mittel ist, daß ich mitten in einer Vorlesung aufstehe, nach vorn gehe, den Kerl verdresche und dann den Kommilitonen erzähle, warum. Dann möchte ich mal sehen, ob...«

»Du wirst dich wundem, was du dann siehst, mein Junge. Zumal ja zwischen Margot und diesem Esel gar nichts passiert ist.«

»Ja, aber man kann das doch nicht so weitergehen lassen!«

»Es wird schon was passieren, bloß ohne dich. Dafür werde ich sorgen.«

»Sie haben ‘ne Idee, Colonel?« In seinen Augen blitzt eine kindlich-rührende Hoffnung auf.

»Ich hoffe, eine Idee zu bekommen«, bremse ich.

»Aber — ich meine, vielen Dank, Colonel, daß Sie sich bemühen wollen! Ich kann mir gar nicht vorstellen...«

»Du sollst dir auch gar nichts vorstellen. Wart’s ab.«

»Und wenn’s nun schiefgeht?«

»Gebe ich dir den Kerl zur Demontage frei.«

»Darauf freue ich mich jetzt schon!«

»Es wäre kein Anlaß zur Freude, Buddy.«

Er senkt den Kopf: »Nein. Vielleicht haben Sie recht.«

»Außerdem, Junge, gibt es noch andere Menschen außer dir, zum Beispiel diesen Herrn Zimmermann, der ja gar nichts von dir ahnt und dem man deshalb nicht übelnehmen kann, daß er sich in Margot verliebt. Du hast’s ja auch getan.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

Plötzlich Ist er hellwaches Mißtrauen.

Idi grinse ihn an: »Ich will damit sagen, daß es in diesem Fall hauptsächlich auf Margot ankommt und vielleicht auch ein kleines bißchen auf mich. Und nun mach, daß du weiterkommst. Ich hab’ nämlich noch ‘ne kleine Nebenbeschäftigung.«

Er versucht, ziemlich erfolglos, ebenfalls zu grinsen: »Sie wollen mir nicht wenigstens ‘ne Andeutung machen, was ihr beide da gekocht habt, Margot und Sie?«

»Nicht die geringste.«

»Trotzdem, vielen Dank, Colonel!«

»Bitte. Sehr ungern geschehen.«

Am Nachmittag sage ich zu Frauchen: »Ich fahre Donnerstag zu Burghard, wegen des letzten Aktes vom Fernsehspiel. Märker soll auch dasein.«

Ich gehe rasch, bevor ihr noch irgendwelche Fragen einfallen. Ich darf nicht vergessen, Burghard zu impfen, falls sie bei ihm anruft...

In meinem Zimmer stehe ich eine Weile unschlüssig herum. Auf dem Tisch liegt mein neuer Roman, aber ich habe keine rechte Ruhe dazu. Die Probleme der beiden Kinder (das sind sie in meinem Innern noch immer) wälzen sich in meinem Herzen umeinander und machen es schwer.

Addi winkt mir von drüben, als sie mich in der Terrassentür stehen sieht. Wahrscheinlich will sie mir jetzt ihr Mutterherz ausschütten, aber ich fühle mich dem ebensowenig gewachsen wie meinem Roman.

Plötzlich will ich, fast wie in einer Panik, weg von hier, von allen weg, ‘raus in den Wald. So winke ich Addi freundlich zu, als hätte ich sie mißverstanden, gehe nach oben und verkünde, daß ich in den Wald führe, um Pilze zu suchen. Die Pilzsaison ist für mich ein Höhepunkt des Jahres, und da man weiß, daß mit mir in dieser Beziehung nicht zu spaßen ist, beschränkt man sich auf die Bitte, ich solle auf dem Rückweg ein Paket >Welpenfutter< mitbringen.

Weffi und Peti haben >wegfahren< gehört und sitzen erwartungsvoll Seite an Seite vor meinen Füßen. Sie wedeln um die Wette. Ich streichele ihre Köpfe — jeden mit einer Hand, damit sich keiner benachteiligt fühlt, und sage: »Es geht nicht, Kinderchen, Herrchen will in den Wald, und da sind diese Brüder mit den Schießprügeln, die kleine Hunde totschießen.«

Ich gehe in die Garage, stehe eine Weile bewundernd vor meinem frisch polierten alten 220er, der auf den Namen Boxie hört, fahre dann Frauchens weißen Sportwagen (der >Weißpferdl< heißt) hinaus und rolle ab.

Zehn Minuten später nähere ich mich der aus zwanzig Bauernhöfen bestehenden Großstadt Pfungsbichl, die das Zentrum meiner geheimen Pilzreservoire bildet. Als leidenschaftlicher Sammler kennt man ja jede einzelne Stelle weit herum. Sehr oft aber muß man entdecken, daß man Konkurrenz hat, die man aus ganzem Herzen zum Teufel wünscht. Meist bekommt man sie nie im Leben zu sehen, obwohl man sich die Galle über sie herausärgert.

Nur einmal habe ich einen von ihnen getroffen. Es war im vorigen Herbst und die Saison für Halimasche und Maronen, Steinpilze nur noch gelegentlich und dann meist groß und entsprechend verwurmt. Wir trafen uns also. Er ging etwas vornübergebeugt und hatte einen gestutzten graumelierten Kinnbart. Offenbar auch ein Intellektueller, wie ich aus seiner gepflegten Sprache und dem Umstand schloß, daß er genau die gleiche Pilzkameradschaft heuchelte wie ich. Wir verglichen unsere beiderseitige Beute. Er hatte bedeutend mehr. Darauf empfahl ich ihm dringend eine Richtung, in der nach meiner Erinnerung noch nie ein Pilz gewachsen ist. Er jedoch erklärt, einen so großmütigen Tip könne er unmöglich annehmen und werde sich mit der Gegend begnügen, in der er sich augenblicklich befinde. Wir schüttelten uns die Hand, wünschten uns Pilz-Heil, und er entfernte sich erfreulicherweise genau in der Richtung, aus der ich kam und alles abgesucht hatte. Da wir uns erst im letzten Moment sichteten, hatte er nicht bemerkt, woher ich kam. Allzuviel Schaden] konnte er also nicht anrichten. Wenigstens ein kleiner Trost!

Mir hingegen blieb anstandshalber nichts übrig, als zumindest zu Beginn selbst in die von mir empfohlene Richtung zu entschreiten. Später konnte ich ja einen Haken schlagen... Ich ging also ein paar hundert Meter in dieser Richtung und sah mich dann vorsichtig um. Er sah sich auch gerade vorsichtig um, und beide winkten wir uns herzlich zu. Dieses Biest! Er traute mir also nicht, weil er wahrscheinlich eine ebenso schwarze Seele hatte wie ich. Und plötzlich mußte ich laut lachen, lachen über diesen Urmenschen von affenartiger Schläue und Bosheit, der da in meinem Unterbewußtsein aufgetaucht war.

Während ich noch so über mich selbst lachte, sah ich vor mir im Moos ein braunes Köpfchen, sammetmatt auf einem kräftigen gelben Rumpf: eine junge Marone. Ich klappte andächtig das Messer auf und schaute dabei in die Runde: da drüben zwischen die Wurzeln einer riesigen Tanne geklemmt, ein ganz großer, fetter Brocken! Er hatte einen wahren Schlangenhals entwickelt, um aus seinem Wurzelversteck doch noch ans Licht gucken zu können. Und rundherum — Maronen — Maronen — Maronen — junge Ziegenlippen — drei Steinpilze und an einem faulen Baumstumpf, der von den großen Waldameisen zur Ritterburg ausgebaut war, ein ganzer Haufen von Halimaschen. Ganz jung und fest. Ich füllte sämtliche Tüten, Beutel und auch noch meine Jacke und den Hut mit Pilzen und schleppte es etappenweise zum Wagen. Auf der letzten Etappe traf ich den Konkurrenten. Er machte einen ausgesprochen melancholischen Eindruck, und die Augen quollen ihm aus dem Kopf, als er den Pilzberg in meinem Wagen sah. »Wo haben Sie die bloß gefunden?« fragte er.

»Genau in der Richtung, die ich Ihnen empfohlen habe«, ich sagte es leichten Herzens, denn ich wußte bestimmt, er würde glauben, daß ich ihn anschwindelte, und deshalb nie in mein’ neues Revier geraten. Ja, so sind wir einfachen und treuherzigen Kinder des Waldes!

Das alles geht mir durch den Kopf, als ich mich nun Pfungsbichl nähere und an den ersten Höfen vorbeirolle — und dann , trete ich auf die Bremse, daß die Räder blockieren: vor einem Hof auf der linken Seite sitzt der kleine Löwe, mein Cocki sitzt dort, etwas brauner im Gesicht und mit noch längeren und schwereren Gehängen, aber mit den gleichen goldenen Augen, dicken Tatzen und gefiederten, krummen Vorderbeinen. Ich lasse den Wagen mitten auf dem Weg stehen und gehe auf ihn zu wie im Traum. Und siehe da — er kommt auf mich, den Fremden, ebenfalls zu, wie magnetisch angezogen und ganz gekrümmt vor Demut. Allerdings zieht er die Nase kraus, was bei anderen Hunden kurz vor dem Beißen kommt. Ich zögere einen Moment, dann knie ich mich nieder und nehme den schmalen, hohen Kopf mit der großen Pappnase zwischen die Hände. Er macht sich vollends krumm und schmiegt sich ganz in mich hinein, während ich es nicht verhindern kann, daß meine Hände zittern. Das Krausziehen der Nase, stellt sich heraus, ist ein freundliches Grinsen, ein Phänomen, das ich noch bei keinem anderen Hund beobachtet habe. »Ja, mein Cockchen«, murmele ich, »hast du mir den hier geschickt, mein kleiner Löwe daheim unterm Rasen?«

Der Hund sieht mich an, als verstehe er jedes Wort. Dann leckt er meine Hand.

Ober mir sagt eine Stimme: »Gell, ein Hund spannt’s gleich, wenn einer ihn mag!«

Ich blicke auf und sehe in zwei gute, nußbraune Augen. Die Bäuerin offenbar. Ein blitzsauberes, junges Weiberl, so sauber und freundlich wie das ganze Anwesen. Jetzt stürmen zwei Rangen aus der Haustür, Junge und Mädchen, so drei bis vier Jahre alt. »Das ist der Franzi und das ist die Kathi«, sagt die Bäuerin.

Kathi macht einen Knix, Franz bohrt in der Nase, dann schmiegen sich beide in die Rockfalten der Mutter.

»Wie heißt er denn?« frage ich und deute auf den Hund.

»Wastl!« schreit Franz und ist gleich wieder in einer Rockfalte verschwunden. Ich streichele den etwas üppigen Rücken Wastls: »Mir ist so einer gestorben, vor ein paar Wochen. Möchtet ihr den nicht verkaufen?«

»Nein, das geht nicht«, sagt die Bäuerin, »der ist nämlich von meiner Schwester, die einen Baron geheiratet hat, drüben in Fichtlstein, den Herrn Baron von Itzenplitz, Cockerzwinger Itzenplitz, kennen Sie den nicht?«

»Nein. Wie alt ist er denn, der Wastl?«

»Anderthalb Jahre.«

»Bißchen dick. Darauf müssen Sie bei Cockern achten!« (Nur im Gespräch bleiben, vielleicht gelingt es mir doch noch!)

Die Bäuerin lacht: »Ja mei, wenn er halt die Mehlspeisen so gern hat, der Wastl, gell?«

Der Dicke hat bei >Mehlspeise< die Ohren hochgenommen, löst sich aber trotzdem nicht aus meiner Umarmung. Merkwürdig.

»Und warum wollen Sie ihn mir nicht verkaufen?« frage ich.

»Ja, mei, wenn meine Schwester das hört, die würd’ mir das übelnehmen, wo’s ihn mir doch zum Namenstag geschenkt hat.«

»Ja, das verstehe ich.« Aber dabei rasen meine Gedanken. Dieses hochrassige Tier hier auf dem Bauernhof, als Dorfhund! Das kann doch für die Züchterin nie im Leben eine befriedigende Lösung gewesen sein, ist wahrscheinlich im verwandtschaftlichen Überschwang zustande gekommen. Und du, Wastl, scheinst mir auch nicht sehr zufrieden zu sein...

Ich nenne der Bäuerin einen guten Preis — sie lehnt ab. Dann nenne ich einen sehr guten und schließlich einen ganz verrückten Preis — sie lehnt wieder ab. Hinter mir hupt es, es ist der Bauer, der mit seinem Bulldog in die Scheune will und dem mein Wagen im Weg steht. Ich springe auf, winke ihm freundlich zu und fahre den Wagen zur Seite. Dann schlendere ich zu ihm in die Scheune. Er klettert gerade vom Fahrersitz, ein breitschultriger, kraftvoller Mann mit hellen, sehr wachen Augen.

»Entschuldigen Sie, bitte«, sage ich. »Aber ich habe gerade versucht, Ihren Cocker zu kaufen. Meiner ist mir vor ein paar Wochen gestorben.«

»Na — und was hat die Frau gesagt?«

»Sie könnte es nicht, wegen ihrer Schwester.«

»Hm«, macht der Mann, dann schaut er sich um, ob ihn die Frau wohl hört, und kratzt sich den Kopf: »Wissen Sie, an sich hätte ich nichts dagegen, wenn der Wastl wegkäme. Aber machen Sie was gegen die Weiberleut’! Sind Sie auch verheiratet?«

»Ja.«

»Alsdann, dann wissen Sie ja eh Bescheid.«

»Ja«, seufze ich, »ich weiß Bescheid. Und warum hätten Sie persönlich nichts dagegen?«

»Ja, sehen Sie, der Wastl ist ein Rassehund mit so einem Stammbaum, der gehört eben nicht auf einen Hof, der gehört zu einem Jäger, für die Wasserjagd. Sie sind bestimmt Jäger?«

»Nein.«

Er sieht mich überrascht und etwas mißtrauisch an. Vielleicht glaubt er, daß ich den molligen Wastl in Weißwürste und Geräuchertes verwandeln will. »So? Zu was wollen Sie ihn denn dann, den Wastl?«

»Nur so...«

Plötzlich kommt mir eine Idee. »Augenblick«, sage ich und renne schnell zum Wagen. Dort habe ich, wie mir eingefallen ist, zufällig ein Belegexemplar meines Hunderomans Der Bund der Drei, in dem mein kleiner Löwe eine der Hauptrollen spielt. Ich gebe dem Bauern das Buch: »Schauen Sie, das habe ich geschrieben, geben Sie’s der Frau zum Lesen, dann wird sie wissen, daß der Wastl es gut bei mir haben wird. Sie kann’s ja auch ihrer Schwester schicken.«

Der Bauer hält das Buch in seinen großen braunen Händen, als sei es eine chinesische Teetasse: »Ja mei, das haben Sie wirklich selber geschrieben, und dann haben Sie’s drucken lassen?« Er blättert und entdeckt ein Bild von Cocki: »Ja, da schau her — da ist er ja, der Wastl! Sie, das lese ich auch!«

»Ich schenke es euch.«

Er streckt mir die Hand hin: »Dann sag’ ich halt dank schön! Sie, das ist eine gute Idee! Wenn das die Weibsleut’ sehen — also, schauen Sie halt noch mal vorbei, nach der Ernte!«

Als ich nach nochmaligem Händeschütteln zum Wagen gehe, wer sitzt da auf dem Vordersitz? Wastl. Er grinst und fegt mit dem dicken Stummelschwanz das Polster. Ich presse ihn an mich und küsse ihn auf den schneeweißen Fleck, den er oben auf dem hohen Kopf hat, dann hebe ich ihn hinaus: »Jetzt noch nicht, Wastl. Aber ich lasse nicht locker, das kannst du mir glauben.«

Nie werde ich den todestraurigen Blick zwischen den langen, schweren Ohren vergessen, mit dem Wastl mir nachsieht, als ich kräftig Gas gebe und um die Ecke fege, um schnell wegzukommen. Im Wald fehlt der sonstige Friede. Ich finde nicht einen einzigen Pilz. Ich versuche es mit Autosuggestion: stell dich drauf ein, sage ich mir, daß es nichts wird. Auch das Buch wird nichts helfen. Frau und Familie dagegen, auch die Kinder sicher. Gib’s auf!

Aber durch all das hindurch schauen mich zwei große, goldene Augen traurig an, und eine braune Pappnase grinst. Schlimmstenfalls klaue ich ihn. Sie wissen ja meinen Namen nicht — doch! Sie haben mein Buch. Verflixt noch mal. Dann fahre ich eben zu der Schwester, dieser Hundezüchterin, und erkläre ihr als Mitglied des Tierschutzvereins, daß das Tier in ungeeigneten Händen ist!

Sie wird mich ‘rausschmeißen, und das mit Recht.

Ganz leise fahre ich in die Garage. In unseren beiden Häusern ist schon Licht. Bei Bentlers sitzen Teddy, Addi, Susanne und Margot beim Abendbrot. Teddy erzählt strahlend — wahrscheinlich von seinem neuen Traumwagen —, und die drei Frauen bemühen sich, ihn nicht merken zu lassen, wie schwer ihnen ums Herz ist.

Bei mir im Hause sehe ich die Mama den Abendbrottisch decken. Das Frauchen steht in Strümpfen auf einem Sessel und repariert die Stehlampe, deren Ziehkontakt ab und zu Launen hat. Sie ist die einzige, die damit fertig wird. Die beiden Hunde sehen ihr voll Andacht und die Mama voller Angst zu.

Es ist fast Vollmond und die Nacht angefüllt von Froschchören und Grillengegeige. Zwei Liegestühle stehen noch an Cockchens Grab. leb setze mich in den einen, er ist feucht von Tau, ebenso wie der weiße Stein auf dem Grab.

»Weißt du«, sage ich, »da habe ich gedacht, daß du ihn mir geschickt hättest, den Wastl. War aber wohl ein Irrtum. Der Bauer mag ihn nicht sehr, das habe ich gemerkt. Aber die andern... Ja, mein kleiner Löwe, es gibt eben Sachen, wo niemand etwas machen kann...«

Seufzend stehe ich wieder auf. Plötzlich freue ich mich, daß ich nächster Tage nach München muß, um gegen diesen Casanova von Professor anzutreten. So kann ich wenigstens für eine kleine Weile zwei traurige goldene Augen und eine selig grinsende Pappnase vergessen. Einen Moment bin ich neidisch auf Teddy, er hat seinen großen Wunsch erfüllt bekommen.