10

Als ich aus dem Nachmittagsschlaf aufwache, ist inzwischen die ganze Bentler-Familie, und zwar inklusive Margot und Teddy, bei uns eingerollt. Noch etwas verdröselt, zeige ich mich erstaunt, wenn auch milde erfreut: »Das ist aber nett, Kinderchen.«

»Wach mal ‘n bißchen auf!« sagt Addi. »Was ist los?«

»Ja«, fragt Margot jetzt auch, »was ist denn nun los, um Gottes willen? Hat er’s krummgenommen? Wird er mich beim Examen abschlachten?«

»Dann schlachte ich ihn ab!« erklärt Buddy düster.

In diesem Augenblick wird es in meinem Gehirn hell: »Gut, daß du das sagst! Also: hört mal gut zu!«

»Mach’s nicht so spannend«, sagt Addi, »wir sitzen schließlich hier seit Stunden wie auf Kohlen...«

Ich küsse sie auf beide Augen (kleines Extrahonorar): »Dann bleibst du eben noch ein bißchen länger mit dem kleinen runden Po drauf sitzen. Ich bin nämlich noch einigermaßen groggy, müßt ihr wissen. Aber, damit ihr schon immer erlöst seid: es ist alles gut abgelaufen. Wir beide haben uns angefreundet, duzen uns, und er kommt das nächste Wochenende her.«

»Was?« schreit die ganze Familie im Chor. Und die Mama ist, wie üblich, am meisten entsetzt: »Was gibt man einem solchen Menschen bloß zu essen? Als ob man nicht schon genug zu tun hätte!«

»Ich schlage vor, daß ihr den Hannes erst mal ausreden laßt!« meint das Frauchen. »Er hat sich nämlich ehrlich für euch abgequält, die ganze Nacht hindurch...«

»Also«, beginne ich und erzähle alles ganz genau. »Die einzige Schwierigkeit bist du, Buddy. Einerseits hat er keine Ahnung, daß du sein Nebenbuhler bist, denn er kennt dich ja nur unter deinem Spitznamen — eben als Buddy. Das ist gut. Andererseits bist du für ihn Amateurboxmeister im Mittelgewicht. Das ist schlecht. Zumal Enrico durchaus so aussieht, als ob er eher aus dir, Buddy, Kleinholz machen würde als umgekehrt.«

Buddy sieht mich düster an und sagt tonlos: »Ich habe überhaupt noch nie in meinem Leben geboxt.«

»Hm — dann müssen wir eben jemand finden, der deine Rolle spielt, wenn Enrico herkommt. Er braucht ja dann nur mal mit zwei Boxhandschuhen über der Schulter über die Bühne zu gehen.«

Teddy sieht sehr besorgt aus: »Das wird jetzt aber allmählich sehr kompliziert, Hannes, findest du das nicht auch?«

Schweigen in der ganzen Runde. Jeder schaut jeden sorgenvoll und gedankenlos an. Plötzlich schreit Buddy: »Ich hab’s — der Reiserer Franz!«

Wir sehen uns alle an.

»Ja, Donnerwetter«, sagt Teddy als erster in der Runde, »das ist die Sache! Der Reiserer Franz, der boxt doch wirklich!«

»...und er hat schrecklich viele Haare auf der Brust«, sagt Margot und fügt hinzu: »Außerdem ist er fast ebenso groß wie der Zimmermann! Und — und einen Bizeps hat er, zum Fürchten!«

»Großartig«, erkläre ich, »wir werden sofort mit ihm sprechen. Du mußt ihm nur seine Rolle genauestens einpauken, Buddy, denn das Pulver hat er nicht erfunden! Wir lassen ihn einen Moment durch den Garten gehen, aber nur so, daß der Zimmermann ihn nicht ansprechen kann... Er kommt einfach so mit den Boxhandschuhen über der Schulter zu dir auf Besuch, Margot, gibt dir ein Küßchen...«

»Bei ihm zu Hause kochen sie alles mit Knoblauch«, sagt Margot.

»Den Knoblauch wirst du eben in Kauf nehmen, und dann geht ihr beide Arm in Arm ab. Glaubst du, du kriegst ihn dazu, Buddy?«

»Glaube ich«, sagt er ziemlich verdüstert. »Das mit dem Küßchen könnte man vielleicht doch streichen?«

»Nein!« sage ich. »Das bleibt! Und wenn er dann hier ist, ich meine, der Zimmermann, kommt nach einer Weile einer von euch zu uns ‘rüber, ganz zwanglos, und dann wird er ebenso zwanglos eingeladen, doch auch mal zu euch zu kommen. Auf diese Weise ist er also Freund des Hauses und nicht mehr abgeblitzter Freier. Und als Freund des Hauses wird es ihm dann auch unmöglich sein, Margot einfach durchfallen zu lassen. So, mehr konnte ich nicht erreichen.«

»Wann kommt er, sagtest du?« fragt Addi.

»Samstag.«

Sie steht auf. »Kinderchen, wir haben euch nun lange genug aufgehalten und mit unsern Angelegenheiten belemmert — außerdem habe ich Hunger und ihr sicher auch.«

»Was meinst du zu der Sache?« frage ich das Frauchen, als wir später beim Essen sitzen.

Sie reicht dem Plusterbart ein Stückchen fettes Fleisch, das sie von ihrem Filet abgeschnitten hat, und seufzt: »Hm — ehrlich gesagt, ich würde nicht überrascht sein, wenn er noch absagt.«

»Ich fürchte sogar«, sagt die Mama, »wenn er seinen Gumpoldskirchner ausgeschlafen hat, wird ihm einfallen, daß er eigentlich furchtbar übers Ohr gehauen worden ist.«

Ich erwäge das eine Weile und schüttle dann den Kopf: »Nein, das glaube ich nicht. Ihr wart ja nicht dabei, als ich mit ihm sprach. Der Mann ist ganz einfach blindwütig heiratslustig. Es ist ihm leid, morgens allein aufzuwachen, von ‘ner alten Tante Kaffee hingestellt zu bekommen und abends in eine einsame Wohnung zu kommen, auch wenn sie noch so nett ist...«

»Na, sie wird nicht immer >einsam< sein«, meint das Frauchen.

»Natürlich nicht. Er hat augenblicklich eine kleine Schauspielerin, die gleichzeitig noch mit dem Beleuchter befreundet ist, also alles doch ziemlich kümmerlich. Und für was anderes hat er bisher einfach keine Zeit gehabt. Wir sprachen ja schon unterwegs darüber. Nein, ich glaube sicher, daß er kommt.«

Am nächsten Morgen fühle ich mich gar nicht so schlecht, wie ich nach der vorigen Nacht mit Enrico erwartet hatte. Den Pfefferminztee zum Frühstück weise ich mit Verachtung zurück, trinke und vertrage Bohnenkaffee und lasse sogar ein Setzei mit einfließen.

Es ist sehr gut, erkläre ich meiner wenig überzeugten Weiblichkeit, wenn ein so solide lebender Mann wie ich von Zeit zu Zeit mal gewaltig auf die Pauke haut.

Nur arbeiten kann ich nicht. Außerdem ist draußen ein geradezu märchenhafter später Augusttag, der in all seinem Prangen und Glühen schon so einen ganz, ganz winzigen Hauch der klaren Durchsichtigkeit des Herbstes hat.

Da läutet das Telefon. Ich lasse es eine Weile voll tiefer Mißbilligung läuten, ehe ich den Hörer abnehme. Dieses schrille Klingeln kommt für mich gleich hinter der Luftschutzsirene. Telefonklingeln regt mich sogar im Hotel oder bei Freunden auf, wo es mich gar nichts angeht. Aber dieses Mal geht’s mich an. Es ist Zimmermann, ein krampfhaft fremder und im Grunde sehr beklommener Zimmermann, der diese Beklommenheit durch ironische Forschheit zu überdecken sucht.

»Ich rufe an«, sagt er, »um gewisse Dinge zwischen uns ins reine zu bringen. Zunächst möchte ich Ihnen mein Kompliment machen für die hervorragende psychologische Taktik, mit der Sie mir klargemacht haben, daß meine Neigung zu Fräulein Bentler auf nicht unerhebliche Schwierigkeiten und nicht zuletzt auch auf Ihren eigenen — ich möchte sagen: onkeligen — Widerstand stoßen würde. >Onkelig< ist im übrigen meine eigene Wortschöpfung. >Sie trat aus meiner Leyer zum erstenmal ans Licht< — um Christian Morgenstern zu zitieren, hahaha... Was sagen Sie dazu?«

»Haha.«

Er wird ängstlich: »Bitte, mißverstehen Sie mich nicht! Die ganze Sache mit der Duzerei und alles andere, an das ich mich im übrigen nur noch undeutlich erinnere, wird von mir als erlaubte Kriegslist zum Schutze einer von Ihnen aus ganz reinen und einwandfreien Motiven geliebten jungen Dame ohne weiteres anerkannt. Absolut fair play. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«

»Vollkommen.«

»So — nun, dann wären wir ja...«

»Nein«, sage ich, »dann wären wir keineswegs.«

»Nicht?«

»Nein. Zunächst möchte ich mal feststellen, daß es für mich keine größere Beleidigung gibt als ein Du, das wieder zurückgenommen wird.«

»Aber ich bitte Sie — dich — ich meine...«

»Zweitens war es natürlich meine Absicht, dich von Margot abzubringen, weil ich der Ansicht bin, daß der Junge, mit dem sie hier geht, besser zu ihr paßt. Vielleicht ist das Quatsch und endet in einer Riesenpleite. Dann hast du nach der Scheidung eine Chance. Aber durch muß sie erst mal, durch das Erlebnis hier, sonst kommt sie nämlich später auf die Jugendtour, und das möchte ich weder ihr noch dir wünschen, da ihr nämlich beide einigen Tiefgang habt.«

»Das ist sehr freundlich und ehrlich von dir, aber...«

»Bei dieser Gelegenheit kam mir jedoch die Idee, daß du und ich uns vielleicht ‘ne ganze Menge zu sagen hätten und eigentlich kein Grund besteht, warum wir nicht aus der Not eine Tugend machen und Freunde sein könnten.«

Im Hörer langes Schweigen. Dann: »Du meinst — richtige Freunde?«

»Genau.«

»Ich hatte in meinem Leben nur einen einzigen Freund, Wolfgang.«

»Was wurde aus ihm?«

»Er heiratete eine Frau, die mich nicht leiden kann. Und du?«

»Ich hatte auch nur einen Freund...«

»Und?«

»Er hieß Mäxchen und erschoß sich mit einundzwanzig Jahren, weil er ein Mädchen liebte, das mich liebte, obwohl ich es nicht liebte.«

»Also beide Male die Frauen...« Ich fühle mit Erstaunen die Aufregung in seiner Stimme: »Mann, weißt du, was das für mich bedeutet — ein Mensch, mit dem man sich mal richtig aussprechen kann und der einem ohne Hintergedanken rät? Du sitzest da auf deinem Kuhdorf, du Glückspilz, schreibst deine Bücher und karrst Mist für den Garten.«

»Ich karre keinen Mist«, sage ich gekränkt, »ich sammle nur Pferdeäppel, und du weißt, wie rar die heutzutage sind.«

Er beachtet meinen Einwand gar nicht. »Aber ich hier, in diesem Stänkerladen mit den lieben Kollegen und Seiner Magnifizenz und den Alten Herren und den jungen Studenten und — ach, du hast ja keine Ahnung, wie einsam man da in seiner Bude hockt, wenn man aus dieser Knochenmühle kommt... Deshalb will ich ja heiraten!«

»Deshalb scher dich, zum Teufel, am nächsten Wochenende her, wie wir’s auch verabredet hatten! Anschauungsunterricht über die Funktion respektive über die Nichtfunktion einer Familie. Nur zum Anschauen, bitte, nicht zum Anfassen, damit es nicht wieder neue Mißverständnisse gibt! Außerdem war ich dreißig Jahre im Großbetrieb, und zwar bei der Presse. Dagegen ist dein Zirkus ein Lämmerhüpfen. Sonst noch was?«

»Wo schlafe ich denn?«

»Bei uns natürlich! Dämlicher Hund.«

»Also, dann...«

Er hat aufgehängt, und ich sitze da und grüble, wieweit ich ihm aus Mitleid etwas vorgespielt habe oder aufrichtig war. Mit Überraschung und dem deutlichen Gefühl, daß ich es nicht verdiene, entdecke ich, daß ich mich auf ihn freue! Teddy wird meinem Herzen natürlich immer am nächsten stehen, aber in der Freundschaft gibt’s ja Gott sei Dank keine Monopole, und jemanden zu haben, mit dem man mal so richtig die Klingen kreuzen kann und eine Sache bis zum letzten durchzudebattieren vermag, wie damals, vor vierzig Jahren, als mir mein unvergeßliches Mäxchen Beethoven vorspielte und wir dann über die Unsterblichkeit sprachen...

Ein Freund...

Plötzlich passiert etwas. Ein Hase rast in voller Fahrt von der Wiese gegenüber durch die Garageneinfahrt. Vielleicht war ein Hund hinter ihm her. Unmittelbar neben meinem Liegestuhl — ich bleibe stocksteif und wage nicht zu atmen — bremst er und duckt sich nieder, denn Weffi hat sich aufgerichtet. Beide bleiben sekundenlang erstarrt Auge in Auge, dann reicht Weffi dem Hasen geziert seine rechte Pfote zum Handkuß. Der Hase bleibt weiterhin, tief ins Gras gekauert, wie gelähmt. Er weiß nicht, wohin. Auf der einen Seite ist Zaun, auf der anderen liege ich. Das Haus mit Garagentor und Haus mit Terrasse verbauen ihm die anderen zwei Fluchtseiten. Ich betrachte die langen, dicht auf den Rücken gelegten Löffel, die pumpenden Flanken, die großen, dunklen Augen. Es ist ein Riesenbengel!

Da kommt Ritzewitz unter dem Liegestuhl vorgeschossen und mit Getöse auf ihn zu. Der Hase rast erst gegen den Drahtzaun, der seinen Körper zurückwirft. Dann in Richtung Weffi, den er umrennt, um schließlich mit einem gewaltigen Haken die Garageneinfahrt zu gewinnen. Ritzewitz, der das alles als gewaltigen Jux auffaßt, hinter ihm her. Alles Rufen ist umsonst! Der Hase saust dem kleinen Wäldchen zu, hält aber im Feld vorher inne und macht Männchen, um die Situation zu peilen.

Ritzewitz, der plötzlich einen Hasenturm vor sich aufragen sieht, bremst so, daß er ein paar Zentimeter auf dem Po weiterrutscht, dann schnüffelt er gegen das verlockend riechende, aber gefährlich aussehende Ungeheuer. Mümmelmann, der ihn nun offenbar in keiner Weise mehr ernst nimmt, peilt wieder, worauf Ritzewitz den Rückwärtsgang einschaltet und Schritt um Schritt vor ihm zurückweicht. Mümmelmann läßt sich nun ermutigt nieder und beginnt zu fressen. Das benutzt Peterchen, um zu drehen und mit eingezogenem Schwanz den Rückmarsch anzutreten. In der Ausfahrt trifft er auf Weffi, der sich aufgerappelt hat und mit nervös schlotternden Hosen in Richtung Hase starrt. Peti setzt sich neben ihn und blickt ihn ratsuchend an. Ich glaube zu hören, was der Kastenbart ihm sagt: »Laß diesen Flegel in Ruhe! Kommt in unser Reich, riecht nach Jagdbarem, wird trotzdem von mir mit Handschlag begrüßt und rempelt mich an! Wer weiß, wozu solch ein Un-Hund noch imstande ist...«

Da hast du Glück gehabt, Mümmelmann, denke ich, daß du auf einen Foxl mit zu niedrigem Blutdruck und auf ein Pudelbaby gestoßen bist. Wenn der kleine Löwe noch lebte oder wenn Wastl hier wäre —

Wastl! Ich werde ihn natürlich wieder Cocki nennen. Ich werde? Wastl — ich hatte ihn ganz vergessen. Ein trauriges Gesicht mit goldenen Augen und langem Gehänge ist wieder vor mir,’ und plötzlich wird mir klar, daß ich ihn keineswegs vergessen hatte, sondern daß sich mein Unterbewußtsein die ganze Zeit bereits mit ihm beschäftigt hatte, während nur das Oberbewußtsein sich bemühte, die verknäulten Beziehungen meiner beiden Mädchen zu entwirren. Sehr unvernünftig übrigens, diese Hartnäckigkeit meines Unterbewußtseins, wo doch nicht die geringste Aussicht besteht... Oder doch? Mein Herz beginnt zu klopfen, aber es hört sofort damit auf, denn ein kleiner grauer Wagen biegt in unsere Einfahrt, dem ein weiblich-rundliches Wesen entsteigt. Frauchen ist sofort da:

»Grüß Gott, Frau Weber!«

Aha, die Trimmerin.

Weffi ist, während ich Frau Weber die Hand schüttele, auch gleich zur Stelle und steckt ihr zur Begrüßung den Kopf zwischen die Beine. Sie krabbelt ihn hinter den Ohren, während er sich wieder aus den Falten des Rockes hervorwühlt und denselben zu beriechen beginnt. Ritzewitz steht hinter ihm und zieht den der Dame anhaftenden Hundeduft mit halberhobenem Naschen ein, weicht aber als echter Pudel der streichelnden Trimmerhand aus und drückt sich eng an Frauchen. »Ganz entzückend«, sagt die Trimmerin, »hervorragende Maße. Na, nun komm doch mal her, wir kennen uns doch schon!« Aber Peterchen kommt nicht.

»Grüß Gott!« sagt jemand vom Balkon herunter. Es ist die Mama, die sich sofort zurückzieht, weil sie wieder in der Küchenschürze auftritt. »Nächstesmal ziehe ich mir ein Seidenkleid an!« hört man sie mit Windstärke neun murmeln.

Das Frauchen nimmt die Trimmerin schnell beim Arm und bugsiert sie in das Innere des Hauses: »Im Bad habe ich schon alles vorbereitet.«

Ich wackle hinterher, obwohl ich das deutliche Gefühl habe, nicht allzu willkommen zu sein. Im Bad steht ein Tisch am Fenster, der mit einem weißen Tuch bedeckt ist. Frau Weber stellt eine Ledertasche auf den Schemel neben der Wanne und entnimmt ihr zunächst einen weißen Kittel und dann mehrere blanke Instrumente. Das Ganze sieht jetzt sehr nach Hebamme aus. Dann hat sie plötzlich mit einem einzigen sicheren Griff Peter in der Hand, drückt ihn an ihren mütterlichen Busen und stellt ihn vor sich auf dem Tisch zurecht. Sie streicht ihm ein paarmal ganz langsam übers Fell, tritt dann einen Schritt zurück und mustert ihn mit dem Blick eines Strategen, während Weffi an ihren Beinen klebt, pustet und niest.

»Es wäre vielleicht besser«, sagt Frau Weber, »wenn ich mit ihm allein bliebe, gnädige Frau!«

Wir räumen das Feld — Weffi muß man mit Gewalt von der Geruchsinsel losreißen — und wandern in die Bibliothek. Oben rasselt die Mama wütend mit den Töpfen, Frauchen zündet sich eine Zigarette an und will sich gerade hinsetzen, als ein markerschütternder Schrei aus dem Bad ertönt. Ein Todesschrei, der dann in das Gebrüll eines Bauchweh-Säuglings übergeht. Irgend etwas fällt auf den Steinboden und zerbricht. »Aber Peterle — Peterle...«, hören wir Frau Weber. »Gnädige Frau, wenn Sie vielleicht doch mal eben...«

Wir stürzen ins Bad. Frau Weber befreit sich gerade von der Tischdecke, die sie sonderbarerweise über dem Kopf hängen hat. Auf dem Boden liegt ein zerbrochenes Zahnputzglas, und Peter kauert zitternd und mit den Augen eines gefolterten Negers in der Badewanne. Die Treppe herunter hören wir die Schritte der Mama. Frauchen dreht sich zu mir um: »Geh nur ‘raus, damit Mami nicht auch noch ‘reinkommt!« Ich mache nur zu gern kehrt, und hinter mir flitzt Weffi, der sich zuerst neugierig an der Wanne hochgerichtet und dann wieder an >Tantes< Kittel geklebt hatte. Auf der Diele steht die Mama, verstörten Auges, die Hand vor den Mund geschlagen. »Was ist denn nur, um Gottes willen?« murmelt sie dahinter vor. »Siehst du, das habe ich gleich befürchtet...« Ich gebe mich sehr männlich-überlegen: »Was hast du befürchtet? Daß dieses verwöhnte kleine Muttersöhnchen brüllt? Laß ihn brüllen — es passiert ihm ja gar nix!« Im gleichen Augenblick fahre ich zusammen: der Bauchweh-Säugling hat den zweiten Vers angefangen. Ich nehme die Mama beim Arm und bin — wie immer — erschrocken, wie mager ihr Arm ist: »Der Text zu dieser Melodie heißt: Oh, wie werde ich getrimmt! Komm, wir nehmen erst mal einen gegen die Aufregung!«

Aber nur mit Mühe geht sie mit mir über die Schwelle der Bibliothek, denn sofort fährt sie wieder herum: im Bad hat es zweimal gepatscht, worauf der Gesang jäh abbricht. Und dann Frauchens Stimme: »Wenn du glaubst, du kannst uns hier tyrannisieren, du kleiner Teufel, du! Entschuldigen Sie, Frau Weber!«

»Wenn er jetzt wieder anfängt«, sage ich zur Mama, »lautet der Text: Oh, wie werde ich vertrimmet, haha!«

»Hoffentlich hat sie ihn nicht geschnitten«, sagt sie düster und starrt gegen die Tür, so daß ich mich meines Kalauers schäme. Ich hole schnell die Flasche und habe eben die Gläser aufgebaut, als ich aus dem Bad gerufen werde: »Du mußt kommen! Zieh dir den Schlafrock über — meine Bluse hat er schon zerrissen...«

Ich ziehe den Schlafrock an und begebe mich an den Tatort. Peter steht zwischen einigen Flocken schwarzer Haare auf dem Tisch. Das Frauchen, mit klaffender Bluse, hält seine Vorderpfötchen fest, Frau Weber ein Hinterbein, während sie in der rechten Hand die Trimmschere hält. »Ein sehr temperamentvoller junger Mann«, sagt sie lächelnd, aber es klingt etwas krampfhaft. Peter rollt die Augen zu mir. Er zittert am ganzen Leib, und vor ihm liegt ein Pfützchen gelber Galle, die er erbrochen hat.

»Nimm bitte die Vorderpfoten«, sagt jetzt Frauchen, »ich nehme die hinteren, und gut festhalten!« Sie läßt die Vorderpfoten los, und im gleichen Augenblick habe ich sie schmerzhaft im Gesicht, so, als habe mich ein Kater angesprungen. Peter kriecht an mir hoch, als ob er mir am liebsten auf den Kopf steigen möchte: nur du allein kannst mich noch vor diesen wilden Weibern retten!

Ich nehme sein Köpfchen an meine Schulter: »Aber — aber, mein kleiner Negerjunge — wir sind doch sonst so mutig! Sieh mal, das geht doch nun nicht anders, du kannst doch nicht als Wollmatratze ‘rumlaufen, bei der man nie weiß, wo vorn oder hinten ist! Weißt du: das ist wie bei der Steuer: ob du willst oder nicht, Haare mußt du lassen und kannst noch froh sein, wenn sie dich nicht ganz aus dem Anzug stoßen.«

Während ich auf ihn einredete, habe ich ihn ganz langsam wieder auf das Marterbrett gesetzt und seine schlotternden Vorderbeinchen fest umklammert, während Frauchen dasselbe mit den Hinterbeinen tut: »Du blutest im Gesicht«, sagt sie. »Das machen wir gleich hinterher mit Jod.« Die Trimmerin hat ganz leise die Schere wieder in Bewegung gesetzt. Peter zittert, aber er hält still. Seine Augen bleiben vorwurfsvoll in den meinen: Auch du hast mich verraten...

»Ich glaube«, sagt die Trimmerin, »am besten unterhalten wir uns ganz ruhig, so, als ob wir uns gar nicht um ihn kümmerten. Sie sind wie kleine Kinder, die es immer wilder treiben, solange sie Publikum haben. Da hatte ich einen Kerry Blue — der von Frau Schmidt — Sie wissen doch, Schmidt und Bäuerle, Küchenmöbel...«

Ihr Redefluß rauscht dahin, und ich schaue derweilen in diese braunen Hundeaugen und flüstere ab und zu etwas in die traurig herabhängenden großen Dreiecksöhrchen, etwas, in dem viele >Fein< und >Weffi< und >Peterle< vorkommen. Dann spitze ich aber plötzlich die Ohren. Das ist ja toll, was Frau Weber da eben zum besten gibt, während sie kunstvoll ein Plusterhöschen an einem pfeilschlanken schwarzen Leib formt, der wie Persianer in dunklen Seidenspiegeln schimmert: »... ja, die alte Lindemann ist überhaupt ein Original. Wissen Sie, da erzählt sie mir doch neulich — ihr Vater war nämlich Sargschreiner...«

»Moment mal«, unterbricht Frauchen, »Lindemann? Das ist doch die Dicke in dem Haus gleich unterhalb der Kirche, wo...«

»Aber nein«, sagt die Trimmerin, »das ist die Lindner! Die Lindemann, die ich meine, wohnt im Haus am Verkehrsspiegel...«

Die Lindemann? Plötzlich weiß ich, um wen es sich handelt. Vor meinen Augen steht ein ergrautes, schüchternes Frauchen, das mutterseelenallein in einem großen Hause und auf einem noch viel größeren Grundstück wohnt, das bis zur Straße hinabreicht. Eine Zeitlang reparierte sie meine Hemden, Manschetten und Kragen, wozu sie prinzipiell ein Vier- oder Rechteck aus dem hinteren unteren Teil schnitt, den sie dann durch neuen Stoff ersetzte. Nur hatte dieser leider in den seltensten Fällen auch nur annähernd die gleiche Farbe wie das übrige Hemd. Als ich mich dann mal bückte — aber, das würde hier zu weit führen! Jedenfalls kam ich mal mit ihr ins Gespräch, als ich an einem Herbstabend ein Hemd bei ihr abholen sollte. Sie ließ mich auf der Ofenbank in dem niedrigen Zimmer mit den Eisenstäben vor den Fenstern Platz nehmen, wo auch das Plättbrett stand. Es roch nach Äpfeln und heißem Eisen und ein wenig nach Katze und dem starken Himbeergeist, den sie mir in einem dickwandigen Stamperl zelebriert hatte. Ich fragte sie, ob das Haus ihr gehöre.

»Ja...« Sie heftete ihren furchtsamen Vogelblick entschuldigend auf mich, als sei ich von der Steuerfahndung. »Ganz allein — ja... Sind alle weggestorben, die Brüder, die Schwestern — ja. Im Kindbett und im Krieg gefallen, und die Christi hat’s im Krieg auch erwischt, zusammen mit der Sofie, die, wo in der Stadt wohnte. Eine Bombe — ja. Und die war damals auch schon Witwe, die Sofie. Kinder waren noch nirgends, denn das von der Barbara ist ja im Kindbett mit ihr geblieben — ja. So bin ich denn halt die letzte...«

Jetzt kommt mir die Stimme von Frau Weber im Bad wieder zum Bewußtsein: »>Ja mei<, hab’ ich der Lisi (Lindemann) gesagt, >du weißt wohl, daß du eine Millionärin bist? Das große Haus, der Grund, bis ‘runter an die Straße, aus dem man sechs Parzellen schneiden könnt. Und die Wälder dazu oben am Hartmannskopf, alles geerbt von den Brüdern und den Schwestern. Und du kriechst hier herum und nähst mit ‘ner Tretmaschine und ‘ner Stahlbrille, die dir nimmer paßt, und zählst die Buchenscheite im Winter! Für wen denn? Wenn du nur einen Wald verkaufen würdest, kannst eine Weltreise machen, erster Klasse auf einem ganz großen Schiff und hast immer noch so viel übrig, daß du dich’s ganze Leben nimmer schinden brauchst.« Da hat sie mich angeschaut wie ‘n ertrunkener Hering und hat gesagt: >I trau mi net, Rosl, i trau mi einfach net!< — >Wieso?< hab’ ich gefragt >Hast Angst, daß du ertrinkst?« — >Na, ich trau mi net!« Weiter kam nix ‘raus. Und dann hat sie mir von ihrer Jugend erzählt. >Weißt, Rosl< hat s’ gesagt, >wir waren arm, ganz arm, mein Vater war Sargschreiner. Wir hatten das kleine Haus, das, wer jetzt die Molkerei drinnen ist. Ein ganz ein kloans Häuserl. Und wie’s so bei die armen Leut ist, je weniger Geld, desto mehr Kinder. Ewig hatten wir keinen Platz net, und so schliefen wir Kinder dann in die Särg’. Der Rest vom Haus war Werkstatt und Ziegenstall, wo wir auch die Hühner hatten. Die Mutter wollte auch noch Gänse und Truthähne dazunehmen, wenn’s uns mal besser gehen sollte. Aber besser ging’s halt nie. Darüber ist die Mutter dann gestorben. Ja — die Särg’! Dir graut’s, Rosl, sag nix, ich merk’s dir an, und ich kann dir’s nit verdenken, aber uns — uns hat’s nix ausg’macht. Wir wußten ja, daß sie genauso wichtig und unentbehrlich sind wie die Betten. Ja, selbst der, wo kein Bett hat, braucht einen Sarg — gottlob, sonst wär’s uns noch viel schlechter ‘gangen. Überall standen sie herum, frisch gehobelt, die Böden und die Deckel; und immer wurde dann mal einer geholt, gebeizt und ausgeschlagen zum Verkauf. Bis dahin aber schliefen wir nicht nur drin, sondern die Mutter brauchte sie auch als Ersatz für Schränke und Kommoden, die wir nicht hatten. Das frisch gebackene Brot hielten wir drin und die Dauerwürst’ und die Wäsche und Anzüg’ für die Buben und von uns Madeln ebenso, halt alles, verstehst? Sie waren halt so geräumig und so bequem, die neuen Särg’, und wir waren froh, daß wir s’ hatten — ja.<

Dann machte sie eine Pause und legte den Kopf gewichtig zur Seite: >Nur eine Ausnahme gab’s! Einen Sarg durften wir nicht benutzen, das war der Sarg, den der Vater für sich selber gemacht hatte. Als Geselle hatte er mal so einen Prachtsarg in der Stadt gesehen und als die Mutter tot war, fing er an, ihn nachzubauen. Immer, wenn er ein paar Stunden frei hatte, arbeitete er an ihm. Er war so schön, wie noch niemand je bei uns einen gesehen oder bestellt hatte. Er war aus Eiche mit geschwungene Füß’, und als dann der Franzel, der Älteste, drüben in Amerika starb und wir die große Erbschaft machten, da hat dann der Vater auch die silbernen Beschläge dafür gekauft und aufgesetzt. Wir blieben weiter in unserm Häusl, trotz des vielen Geldes. In Grund und Boden hat’s der Vater angelegt, und das war gut. So hat’s seinen Wert behalten. Nur er hat nicht mehr viel Freud’ dran haben dürfen. Immer, wenn eins von den Kindern starb, ward er ‘n bißl krummer und weniger, und mit sechzig sah er aus wie hundert. Dann starb er, und als ich ihn in seinem Sarg eingebettet hatte, sah er wie ein kloan’s Kind aus. Der war viel zu groß für ihn, der Sarg...<«

In diesem Augenblick läßt Peter nach längerer Pause wieder einen Babyschrei los. »Wenn Sie jetzt mal den Kopf ganz festhalten könnten!« höre ich Frau Weber. »An den Ohren sind sie nämlich besonders empfindlich, man kann leicht danebenschneiden.«

Ich schleiche mich Wieder in die Bibliothek zurück und stelle mich ans Fenster. Vor mir ist das ängstliche Gesicht der Lisi Lindemann. Ein Leben zwischen Särgen — und eine Weltreise erster Klasse auf einem Luxusdampfer — nein, das paßt wirklich nicht zusammen. Es ist erstaunlich, was für einen sicheren Instinkt, was für ein Stilgefühl die Menschen, hier herum haben, welch starkes Gefühl für die einheitliche Lebenslinie! So wird sie also weiterwerkeln in ihrem großen Haus, die Lisi, fleißig, schüchtern und nun ohne Sorgen, bis eines Tages dieses Leben auch erlischt, ausgeht — wie ein kleines Licht. Vielleicht sucht sie sich aber vorher noch ihren Sarg aus, einen besonders schönen.

Zu meinen Füßen ist ein Seufzen. Der weiße Kastenbart ist mir wie ein Schatten gefolgt, hat sich zusammengekringelt und ist nun am Einschlafen.

Da erhebt sich eine Unruhe vor der Tür! Das Bad ist geöffnet, Peter bellt zum ersten Male wieder und schreit nicht mehr. In die Bibliothek hinein schießt nun etwas Schwarzes, völlig Fremdes. Es ist ein Zauberwesen, aus schwarzem Glas geblasen. Spitzes, hohes Köpfchen mit großen Dreiecksohren, darunter dicke, lange Fellbeinchen und ein tiefer Bug, der sich hoch hinaufschwingt und auf dem seidigen, glatten Rumpf eine Wespentaille erzeugt, hinter der zwei kokette Pluderhöschen sitzen, die wiederum durch ein keckes, dünnes Schwänzchen abgeschlossen werden.

Im Gefolge dieses Zauberwesens Frau Weber, die Mama und Anette: »Ist er nicht hinreißend?« fragt sie. »Wie findest du ihn?«

»Wie einen zweimal verknoteten Schnürsenkel«, sage ich, um meine Rührung zu verbergen.

»Er ist der schönste Pudel, den ich je getrimmt habe«, erklärt Frau Weber nachdrücklich.

Die Mama kann nur gerührt flüstern: »Gleich holt dir die Oma was aus der Küche, mein armer, kleiner Negerjunge...«

Der >arme, kleine Junge<, von der Folter befreit, .rast inzwischen wie verrückt die Treppe hinauf, wieder ‘runter, über meine Couch, den Teppich, auf Weffis Rücken — überall schwarze Haarflocken hinterlassend. Weffi, auf diese ungestüme Weise aus seinem Altersschlummer gerissen, schnappt erst nach ihm, dann beriecht er den so verwandelten Knaben und versucht dann, ihn sich unterzuklemmen. Es mißlingt natürlich. Eher hätte er sich an einem Aal in Schmierseife versuchen können — Peter ist im Nu weg und oben in der Küche bei Mama, während der Kastenbart verdutzt in der Gegend steht. Die unvermutete jugendliche Reaktion des alten Herrn wird von Frauchen gerügt: »Aber das kannst du doch mit Brüderchen nicht machen!«

»Warum denn nicht?« sage ich. »Es ist sein schönstes Kompliment.« Frauchen bückt sich nach den Haarbüscheln: »Sie spießen sich in den Velours, und man kriegt sie mit keinem Staubsauger wieder weg. Aber — findest du ihn nicht hinreißend?«

»Den Staubsauger oder den rasenden Schnürsenkel?«

»Auf der Ausstellung würde er ohne weiteres eine Goldmedaille kriegen!« erklärt Frau Weber. Beide sehen mich streng an, und ich muß lachen: »Na ja, er ist wirklich bezaubernd.«

»Findest du wirklich?« bohrt Frauchen.

»Finde wirklich!«

»Dann geh mal gleich mit ihm und Weffi ‘raus. Aber achte darauf, daß ihm nicht alle aufs Köpfchen fassen, sonst leidet die Frisur.«

»Ich achte auf die Frisur.«

Der rasende Schnürsenkel, von der Mama gefüttert und dadurch offenbar mit zusätzlicher Energie erfüllt, fegt die Treppe herunter, an Weffi und mir vorbei über die Terrasse ‘rüber zu Bentlers, wo er auf ihrem Rasen sofort in die Hocke geht und dort eines seiner kläglichen Würstchen niederlegt. Offenbar reagiert er damit seine innere Erregung ab. Addi, die sonst von derartigen Geschenken nicht sonderlich begeistert ist, stürzt aus dem Haus: »Mein Gott, ist der wieder süß!«

»Hast du ihn auch brüllen hören, als man ihn aus dem Anzug stieß?«

»Nein, ich hatte die Waschmaschine laufen. Ja, ist der goldig! Komm doch mal her, du süße Glasbläserei!« Sie preßt ihn an sich. »Komm ihm nur nicht an das Haarkrönchen!« sage ich.

»Quatsch, warum denn nicht?«

»Das sage ja nicht ich, sondern Anette.«

»Das ist was anderes! Entschuldige bitte.«

»Warum ist das was anderes?«

Sie überlegt einen Augenblick: »Weil es ihr Hund ist.«

»Gestatte, daß ich dazu Quatsch sage! Ihr fürchtet gegenseitig eure Krallen — aber uns haltet ihr für Flaschen.«

Sie steht auf, läßt Peter weiterrasen: »Eine gute Flasche ist auch nicht zu verachten.«

»Übrigens, was macht Susanne?«

»Ach, aus der kriegst du ja nichts ‘raus.«

»Ich finde, sie benimmt sich fabelhaft.«

»Ja, viel zu fabelhaft.«

»Na, vielleicht ändert sich das morgen, wenn Enrico kommt.« Wir grinsen uns verschwörerisch an. Sie faßt mich an und dreht mein Gesicht zur Seite: »Warst du auf der Mensur?«

»Nein, kleines Andenken von Peters Trimmerei. Das Hemd ist auch kaputt.«

»Die Mama winkt, anscheinend sollst du kommen.«

»Wird Telefon sein. Halte bitte die Gartentür zu, damit dieser Aal im Garten bleibt.«

»Mach ich.«

Auf der Terrasse hält die Mama mich fest. »Marc ist da. Wieder hinten ‘rum durch die Hecke! Alberner Kerl. Jetzt sitzt er in der Bibliothek. In einer Stunde spätestens mußt du ihn aber ‘rausschmeißen, dann essen wir nämlich.«

»Gut. Gut.« Ich gehe in die Bibliothek, wo Marc höflich, aber verdüstert in ein Cognacglas stiert. Anette, die ihm bis dahin Gesellschaft geleistet hat, steht jetzt auf: »Sie entschuldigen mich, Marc, ich muß noch das Bad in Ordnung bringen. Peter-chen ist nämlich gerade getrimmt worden...«

Die Mama kann sich nicht verkneifen, noch bedeutsam hinzuzusetzen, daß das Fressen für die Hunde schon fertig sei.

»Ich gehe gleich wieder«, sagt Marc, als wir allein sind.

»Wieso, bist du ein Hund?«

»Nein, aber ich werde so behandelt. Susanne hat mich ja auf Eis gelegt, das wissen Sie wohl?«

»Ja, ich weiß. Kannst du’s ihr verdenken?«

»Nein.«

»Also. Und wie soll’s nun weitergehen?«

Plötzlich ist aller Trotz aus seinem Gesicht verschwunden, er starrt mich verzweifelt mit wilden Augen an: »Ich muß da irgendwie heraus! Und ich komm’ auch ‘raus, es ist nur eine Zeitfrage. Wenn Susanne doch bloß Vernunft und etwas Geduld hätte...«

»Ich finde, sie hat erstaunlich viel Vernunft, auch ziemlich viel Geduld — hält sich großartig!«

»Natürlich, ich kann von Ihnen nichts anderes erwarten, Colonel. Sie steht Ihnen ja schließlich näher als ich. Außerdem haben Sie recht, aber das nutzt mir gar nichts. Ich sitze nach wie vor in der Falle. — Sie können mir wohl nicht doch ein bißchen helfen?«

Ich muß mich mit aller Kraft zusammennehmen, um ihm nicht über den Kopf zu streichen und zu sagen: >Ach, mein lieber, kleiner Junge!«

Ich schaue ihn mir an, diesen Unglücksraben, und plötzlich fällt mir ein, daß seine Angst wunderbar in meinen Plan paßt, der mir in der Nacht bei Zimmermann eingefallen ist.

»Hm — ich könnte dir einen Rat geben.«

»Welchen?«

»Paß auf dein Susannchen auf! Ich habe so das Gefühl, als ob sie sich das nicht mehr sehr lange mit ansieht...«