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Frauchens Frisur ist, wie ich feststelle, vollständig zerrauft und ihr Gesicht rot wie eine Tomate. Im Arm trägt sie ein Bündel, das sie mir jetzt hinhält: »Nun nimm ihn doch mal, er hat mich fast verrückt gemacht während der Fahrt.«

Ich nehme das Bündel. Es riecht nach nassen Windeln.

»Das ist die Aufregung«, sagt sie, ais ich mit den Nasenflügeln wackele. »Sonst ist er völlig stubenrein.«

Ich öffne das Bündel. Es riecht daraufhin noch stärker, aber gleichzeitig erscheint ein schwarzes Wuschelköpfchen mit ziemlich impertinenten, veilchenblauen Augen und macht »Wä-wä«. Als ich mich ihm nähere, beißt es mich fröhlich und mit ungemein spitzen Zähnen in die Nase. Ich setze es vorsichtig auf die Erde, wo es sofort — wenn auch ziemlich wacklig — auf eine Pusteblume zumarschiert und sie demontiert. Die Blume löst sich auf, und das kohlschwarze Wollknäuel muß so niesen, daß es umfällt.

Plötzlich ist Weffi da. Früher begrüßte er die Rückkehr jedes von uns mit jenem ohrenbetäubenden >Weff-weff-weff<, von dem er ja seinen Namen hat. Seit Cockis Tod schwieg er. Er tut es auch jetzt, aber immerhin hat er das Neue gewittert und läßt sich herab, es zu inspizieren. Das Wollknäuel zeigt sich entzückt, nimmt sofort Kurs auf den Kastenbart, unterläuft ihn und beginnt an seiner Unterseite nach den mütterlichen Zapfstellen zu suchen. Dabei muß es an eine Stelle geraten sein, wo es weh tut, denn Weffi knurrt, zeigt einen Zahn und geht auf die Terrasse zurück, offensichtlich angewidert von so viel Blödheit.

»Ja, was ist denn das?« tönt die Stimme der Mama vom Balkon.

»Das ist Peter«, erklärt Frauchen, die mit einem Lappen an ihrem Kleid herumwischt. »Der neue Peter. Eigentlich heißt er Tabu von Sowieso — irgendwas Geschwollenes. Aber für uns ist er Peter, und ich habe ihn besonders für dich mitgebracht.«

»Na, das hat uns gerade noch gefehlt«, erklärt unser guter alter Schloßgeist und ruft dann, während Frauchen und ich einen Blick der Verzweiflung wechseln: »Paß doch auf — er fällt — da, er ist gefallen — ich sage ja, es geht schon los! Als ob man mit den Nerven nicht schon genug herunter wäre!« Und damit verschwindet sie vom Balkon.

Wir drehen uns um. Das Knäuel hat den Versuch gemacht, Weffi auf die Terrasse zu folgen. Dazu muß es aber ein paar Steinstufen überwinden und ist schon von der ersten rückwärts heruntergekollert, liegt auf dem Rücken und mauzt. Ehe wir ihm aber helfen können, ist es bereits wieder hoch und probiert es noch mal mit dem gleichen Ergebnis. Es bleibt stehen und denkt offensichtlich nach. Und dann tut es etwas sehr Verblüffendes: es vermeidet die Stufen und klettert durch den Steingarten zur Seite der Stufen empor. Es gelingt ihm, wenn auch nicht ohne Abenteuer. Die dicke braune Eidechsen-Mutti, die dort haust, huscht aufgeschreckt von ihrem Sonnenstein, und das Knäuel bleibt erschrocken stehen und fragt uns auf veilchenblau, ob dieses unerhörte Wesen gefährlich sei. Als wir nur lachen, setzt es verbissen seine Bergtour fort, bis es auf der Terrasse landet, wo Weffi gelangweilt seine Pfoten pedikürt.

In diesem Moment erscheint die Mama: »Wollt ihr den etwa behalten?«

»Ja, das wollen wir«, sagt das Frauchen. »Gefällt er dir vielleicht nicht?« Es ist eine warnende Schärfe in ihrer Stimme.

»Aber wir hatten uns doch geschworen«, erklärt die Mama, »keinen neuen mehr anzuschaffen, weil...« Ihre Lippen beginnen zu zittern, und das Herz dreht sich mir um.

Das Knäuel hat inzwischen Kurs auf sie genommen und sich unverweilt eines Schnürsenkels bemächtigt. Es gibt einen Knacks, und es hat das eine Ende im Maul. Die Mama bückt sich schnell: »Um Gottes willen — wenn er das Metallende verschluckt!« Sie reißt dem Knäuel das gekappte Senkelende aus der Schnute. Das geht nicht ohne Kampf ab, und als sich die großmütterliche Gewalt als stärker erweist, schimpft das Knäuel mit lautem >wä-wä< hinter dem entrissenen Schatz her, um dann sofort an Mamas Finger zu nuckeln. Sie wirft einen Blick in Richtung auf Cockis Grab und schaut dann in die veilchenblaue Impertinenz, die ihr aus dem wüsten schwarzen Gekräu-sel des kleinen Hundegesichtes entgegenstrahlt: »Na, dein Ende werde ich hoffentlich nicht mehr erleben, Peterle«, verkündet sie düster.

Wir atmen auf: das war eine unverkennbare Rückzugskanonade.

Peter hat das Fingernuckeln nach einigen Sekunden satt und beginnt zu strampeln. Die Mama setzt ihn vorsichtig hin, und er nimmt sofort Kurs auf die Stufen, hinter Weffi her, der sich schweigend zur Wiese hin entfernt hat. Die Stufen hinunter überschlägt sich das Knäuel dreimal, ehe die Mama den ersten Angstschrei starten kann, geht dann am Fuß der Tritte in die Hocke und legt ein Würstchen vor den Steingarten. Die Familie betrachtet voller Rührung das Ergebnis: »Siehst du, er ist schon stubenrein!« sagt das Frauchen.

»Er hätte es auch ins Zimmer gelegt«, erklärt die Mama, »ihm war eben hier gerade so.«

»Er ist stubenrein«, bestimmt das Frauchen, »die Züchterin hat es mir ausdrücklich bestätigt. Außerdem brauchst du dich um nichts zu kümmern, ich mache alles weg.«

Ich fühle, daß es an der Zeit ist, als Blitzableiter zu agieren: »Seht doch mal da...«

Peterle hat einen Moment das Resultat seiner Bemühungen besichtigt. Anscheinend ist er damit zufrieden, denn er bewässert es — auf Hündinnenart. Das Beinheben kann er noch nicht. Dann saust er durch den Wald von Pusteblumen, Margeriten und Fleischernelken auf Weffi zu, der sich neben Cockis Grab gesetzt hat. Er postiert sich dicht vor ihn und wedelt mit dem Schwanzstummelchen. Als ihn der weiße Turm keines Blickes würdigt, springt er hoch und zupft ihn am Bart. Der Bart öffnet sich und entblößt zwei furchterregende Hauer, die sich fauchend in Peters Nacken graben. Sie schließen sich aber nicht, sie zwicken nur. Gentleman Weffi weiß, was er einem hilflosen kleinen Wesen schuldig ist. Das hilflose kleine Wesen quiekt wie eine Ratte und wirft sich vor ihm auf den Rücken. Eine Weile sehen sich die vier Augen an, zwei nußbraune, die schon manchmal vom Alter etwas verschleiert sind, und zwei blitzblanke, veilchenblaue. Dann tatzt Peterchen, immer noch auf dem Rücken liegend, ganz vorsichtig, zärtlich und ehrerbietig nach dem Kastenbart, in dem die Nase wie ein schwarzes Kohlestückchen steckt. Da senkt sich diese Nase auf ihn nieder und läßt sich herab, den kahlen Kinderbauch und die winzige Quaste, die Vorhut kommender Männlichkeit, zu besichtigen. Das Ergebnis scheint interessant, denn Weffi steht auf, er dreht mit der Pfote ganz vorsichtig das Peterle auf die Seite. Rücken und Kopf werden langsam und gewissenhaft inspiziert, und Peterchen benutzt die Gelegenheit, um Weffi schnell ein Küßchen auf die Nase zu geben: >Ich bin dein Sklave, und ich liebe dich, möchtest du nicht meine Mutter sein?<

Worauf sich Weffchen in Bewegung setzt und würdevoll auf den Komposthaufen zuschreitet, wo die Mäuse schon zweimal meinen Kürbissamen aufgefressen haben. Peter arbeitet sich schnaufend durch den riesigen Blumendschungel hinterher. Dort am Kompost beginnt Weffi mit gezierter Pfotenbewegung ein Mauseloch aufzugraben, das Knäuel sitzt daneben und betet ihn an.

»Na, dann wollen wir mal Mittag essen«, schlage ich vor.

Bei Tisch entsteht sofort die Frage, woraus Peterchen fressen soll. Für Cocki und Weffi waren vor Jahren zwei Aluminiumtöpfe angeschafft worden, die in einem Ständer hängen. Frauchen hatte in irgendeiner jener Zeitschriften, die sie vor dem Einschlafen zentnerweise zu verschlingen pflegt, gelesen, daß den Hunden das Futter besser bekomme, wenn sie sich nicht zu bücken brauchten, sondern wenn es ihnen sozusagen in halber Höhe serviert werde. Ich erklärte, daß ich dies für Blödsinn hielte, denn für den Hund sei alles gut, was seinen ursprünglichen Lebensbedingungen entspreche, und es sei nicht anzunehmen, daß ihm die Wildnis seinen Fraß in halber Höhe serviere. Natürlich wurde der Ständer trotzdem angeschafft, und Cocki und Weffi fraßen auch aus halber Höhe wie die Scheunendrescher.

Nun stehen wir zu dritt vor dem Ständer und zögern. Im Geist sehen wir einen kleinen Löwenkopf mit goldenen Augen und einer großen, braunen Nase, unter der das Futter in Minutenschnelle verschwand, während Weffchen, der Aristokrat, seine Portion mit englischer Würde langsam aufmümmelte, scharf beobachtet von dem Löwenkopf, in dem nie die Hoffnung erlosch, daß es Weffi doch einmal zuviel sein könnte. Es war’s aber nie. Nach Cockis Tod hatten wir den zweiten Napf für Weffis Wasser benutzt, aber er weigerte sich, draus zu trinken, und bestand auf der gesprungenen Kompottschüssel, aus der sie gemeinsam gesoffen hatten.

Über den Tod hinaus schützte er so das Eigentum seines Gefährten.

Der Augenblick des schmerzlichen Zögerns endet damit, daß Frauchen die Schüssel aus dem Ständer nimmt, mit Schabefleisch und Reis füllt und für Peterchen auf den Fußboden stellt. Auch Weffi bekommt ausnahmsweise Schabefleisch, damit er nicht neidisch wird. Er schnuppert ein und nimmt dann Kurs auf Peters Napf.

»Habt ihr das gesehen?« fragt Frauchen, die neben dem Napf auf der Erde hockt. »Weffi hat wieder mit Lust gefressen! Und warum?«

»Aus Futterneid«, sage ich.

Ihre Augen flammen: »Ach, du mußt immer alles ‘runterziehen! Er hat es getan, sage ich dir, weil er wieder einen Gefährten hat!«

»Wozu die Aufregung? Futterneid bei Weffi ist doch ein Zeichen dafür, daß er wieder normal wird.«

»Der Peter!« schreit die Mama dazwischen.

Frauchen kann ihm gerade noch eine Teppichfranse aus dem Maul reißen, natürlich eine von dem alten Teheran. Worauf sich das schwarze Bündel keineswegs für den Futternapf interessiert, sondern unter dem Radiotisch einen seit Wochen vermißten Rotstift auftreibt und in Windeseile zerlegt. Jetzt setzt es von Frauchens Hand etwas auf den Po, was mit markerschütterndem Geschrei quittiert wird. Sie hebt ihn ungerührt am Nackenfell hoch und setzt ihn vor den Napf.

»Ich kann das gar nicht mit ansehen«, sagt die Mama, wendet aber keinen Blick von der Erziehungsszene.

»Ja, von irgendwas muß er doch schließlich leben«, erklärt das Frauchen, »noch dazu ein so junges Tier!«

Das junge Tier hat aufgehört zu schreien und begreift, daß dicke Luft ist. Es frißt gehorsam zwei Schabefleischkugeln, die ihm hingehalten werden, gewinnt Geschmack daran und steigt mit allen vieren in den Napf, wo es so lange frißt, bis ihm das letzte Stück mit einem lauten Rülpsen aus dem Maul fällt.

»Das kann er nachmittags fressen«, sagt Frauchen. »Junge Hunde müssen ja sehr häufig...« Sie schweigt, denn etwas sehr Merkwürdiges ereignet sich. Als sie die Hand nach dem Napf ausstreckt, greift sich das Bündel blitzschnell das herausgerülpste Stück, klettert aus dem Napf, wackelt zu Weffi, der sich auf sein Mittagsschlafkissen zurückgezogen hat, und legt ihm den Bissen hin. Es wedelt vergnügt-demütig mit dem Stummelschwänzchen, während Weffi die Gabe würdevoll verzehrt und sich anschließend sogar herabläßt, das Bündel nach weiteren Schabefleischbröckchen abzusuchen, die ihm überall im Fell hängen.

Die Mama hat Tränen in den Augen: »Er schläft natürlich bei mir!« erklärt sie zusammenhanglos. Worauf wir uns zu Tisch setzen. Wenn wir aßen, blieb bisher Weffi auf seinem Kissen am Kamin, weil ihm Betteln bei Tisch verboten ist. Aber plötzlich hält er dieses Verbot offenbar für aufgehoben und sitzt da wie ein Steiff-Tier, den Kastenbart mit dem schwarzen Steckkontakt der Nase und den stillen, nußbraunen Augen hypnotisierend auf das Menschenfressen gerichtet. Hinter ihm hat sich — obwohl bis zum Platzen gefüllt — das Knäuel aufgebaut und imitiert den großen Bruder. Aber schon bei der Suppe fallen ihm die Augen zu, und kurz darauf fällt die ganze Miniaturausgabe auf die Seite. Dann beginnt es so laut zu schnarchen, daß sich selbst Weffi indigniert umdreht.

Währenddessen interviewen wir Frauchen und erfahren, daß es sich bei Peterle um eine — auch im Anschaffungspreis — hochfeudale Sache handelt und außerdem um einen Kleinpudel, was ein Mittelding zwischen Zwerg- und Mittelpudel sei. Alter zwölf Wochen. Dann folgt eine Reihe von Ernährungsvorschriften, die von der Mama mit tiefer Sandrock-Stimme als verstiegener Modequatsch< bezeichnet werden. »Heute nachmittag kaufen wir ein Paket Welpenfutter und dazu viel Milch. Damit haben wir alle unsere Hunde großgezogen!« Es schließt sich eine teilweise hitzige Diskussion über Hundeernährung an, die sich über unseren Braten mit Beilagen bis zum Kompott erstreckt. Während dieser Zeit kassiert Weffchen die Fettränder und Knorpel mit gesenkten Garbo-Wimpern, zitternden Fellhosen und einem wollüstigen >Aaaahhh<, das aus Dankbarkeit und befriedigter Freßlust kombiniert ist. Die Mama beugt sich zu dem schnarchenden Bündel hinunter und nimmt es in den Arm: »Mein süßes, kleines Kerlchen! So klein und schon ohne Mutti! Ich muß dich leider wecken, aber gleich kannst du weiterschlafen.«

Ich stelle fest, daß das Veilchenauge geradezu erschreckend ausgeschlafen und damit beschäftigt ist, von Omas Trachtenjacke einen Silberknopf abzumontieren, aber von ihren großmütterlichen Gefühlen umwallt wie Genoveva von ihren Haaren, merkt sie das gar nicht, sondern verschwindet in ihrem Zimmer. Wir hören, wie sie die Tür hinter sich schließt, und starren uns mit offenen Mündern an. »Hast du das gehört? Sie macht die Tür zu!« sagt das Frauchen. »Das hat sie noch nie getan, weil sie doch angeblich alles hören muß, was im Haus vorgeht!«

»Hast du gesehen, daß sie wieder ganz normal gegessen hat?«

»Ja«, sagt das Frauchen, »von dir ganz zu schweigen, Weffl!« Wir knien uns beide vor ihn hin und streicheln ihn: »Wir sind so glücklich, daß du wieder Fresserchen machst und daß du dein Brüderchen so lieb hast! Brüderchen! Immer lieb sein! Und du bist ja trotzdem der Beste und der älteste! Und Brüderchen ist noch sooooo klein!«

Bei >Brüderchen< hebt er den Kastenbart in Richtung auf Omas Zimmer.

»Ja«, sagt Frauchen, »da ist Brüderchen jetzt und schläft ganz fein artig mit Oma!«

In diesem Augenblick gibt es dort einen Krach — oder vielmehr ein ganzes Bündel von Krächen. Dazu einen Entsetzensschrei unseres Schloßgeistes. Wir stürzen in ihr Zimmer und sehen sie mit aufgerissenen Augen auf ihrer Couch sitzen. Der völlig ausgeschlafene und zu unglaublicher Aktivität erwachte Peter ist wie ein junger Kater auf der Lehne ihrer Couch entlangbalanciert und in ihr Familienheiligtum eingedrungen. Das heißt, er hat einen neben ihrer Couch stehenden Tisch erstiegen, auf dem sowohl die Großeltern wie ich als Baby, Schuljunge, Einsegnungsjüngling mit Kneifer und langer Hose und in allerhand sonstigen Situationen eingerahmt stehen. Mittendrin ein Licht in Form einer kugelförmigen Honigkerze. Auf diese Kugelkerze hatte Peters Auge es abgesehen und — um dahin zu gelangen — den gesamten Wald aus Bilderrahmen und Nippes (darunter mein altes Sparschwein aus Ton) umgelegt. Das Schwein ist heruntergefallen, zerbrochen, und auch der Silberrahmen um Großmama hat sich aufgelöst. Peter saust mit der Kerze, die er geschickt beim Docht gepackt hat, an Oma vorüber, überschlägt sich zweimal in der Luft, landet auf den Füßen und prescht um die Ecke ins Speisezimmer. Wir trösten, leimen Sparschwein und Rahmen und bringen die Mama zur Ruhe. »Nehmt ihm bloß die Kerze weg«, jammert sie, »wenn er das Zeug frißt, kann er sterben.« Wir versprechen es und gehen aus dem Zimmer. »Laßt die Tür auf«, ruft sie hinter uns her, »ich will wissen, was mit ihm ist!«

Im Speisezimmer finden wir den offenbar völlig kindisch gewordenen Weffi mit der Zerlegung der Kerze beschäftigt. Die einzelnen Stücke spuckt er aus, und das Bündel — glühend vor Lernbeflissenheit — kaut die kleinen Stücke noch kleiner und spuckt sie dann, genau nach Vorbild, ebenfalls aus. Ich gebe Weffi eins hinter die Ohren und entreiße ihm die Kerzenruine: »So alt und so albern!« Er sieht mich trotz des Klapses aus großen, glücklichen Augen an und wedelt. »Na ja«, sage ich, »ist ja gut. Besser, als wenn du so als Tränentier ‘rumschleichst.« Ich streichele ihm den langen Kopf und bringe dann der Mama die Überbleibsel: »Hier hast du den Rest, den dir deine Lieblinge gelassen haben. Wenn der schwarze Deubel erst erwachsen ist, kauf’ ich dir ‘ne neue Kerze. Und jetzt wird geschlafen. Basta!«

Damit mache ich ihre Tür zu und gehe, gefolgt von Weffi und dem Bündel, nach unten. Das Bündel fällt die Treppe zum größten Teil sehr geschickt hinunter, aber zwischendurch gelingt ihm auch schon ein Hopser.

Unten im Garten, während die beiden einträchtig Pusteblumen abmontieren, setze ich mich neben Cockis Grab. Susanne erscheint, blaß und lieblich in einem neuen Anlauf, ihr Herz auszuschütten, gibt es aber auf, als sie das Bündel entdeckt: »Ach, ist der süß!« sagt sie. »Darf ich ihn mal ‘rübernehmen?«

»Natürlich, nur gib ihm nichts zu fressen.«

Weffi, der etwas vom Fressen gehört hat, folgt Susanne mit erhobener Nase, und so bin ich endlich mit meinem Cockchen allein. Vor dem Hollerbaum stehen Schwebefliegen, im Flieder summt es von Bienen, und überall sind Pfauenaugen, Zitronenfalter und Kohlweißlinge am Werk. Der Himmel ist tiefblau, sehr hoch und voll kleiner Lämmerwölkchen, Pflastersteine aus zerrupfter Himmelswatte.

Ich streichele, ganz eingesponnen in die schläfrig summende Stille, den sonnenwarmen Hügel neben mir. »Mein kleiner Löwe«, sage ich, »es ist nicht zu fassen, daß du da unten liegst. Und du liegst ja auch gar nicht da, ist ja Quatsch. Ich fühle ganz deutlich, daß du jetzt um mich bist, mein Löwechen. Weißt du noch, wie ich dich aus der Hundehandlung holte, aus dieser Räuberhöhle, vor der du, mit deinen traurigen Goldaugen, an einer Strippe angebunden, im strömenden Regen saßest? Und wie du später über alle Zäune sprangst und das Filet aus dem Eisschrank der Metzgerei klautest? Und wie du, kaum daß wir hier eingezogen waren, zwischen den beiden Foxln von dem guten Onkel da drüben Ordnung schafftest? Du watscheltest mit deinen dicken Latschpantoffelfüßen einfach hinein, packtest das Männchen am Genick, warfst es ins Gebüsch, vergewaltigtest die Hündin, die es gar nicht fassen konnte, daß ihr dieses Glück in ihrem hohen Alter noch mal widerfuhr, fraßest beiden die Näpfe leer, legtest eine Wurst auf die Türschwelle und gingst stolz von dannen. Ach, mein liebes, stolzes, starkes Löwechen, jetzt habe ich doch wieder Wasser in den Augen, und ich dachte, daß ich über deinen Tod alle Tränen geweint hätte, die ein Mann überhaupt in aller Stille und Verborgenheit weinen kann... Ja, also — mein Löwechen, wir haben da plötzlich einen neuen Hund, dieses schwarze Bündel, den neuen Peter. Nach dem Peterchen haben wir ihn genannt, der dich anbetete und den dann der Lastwagen totfuhr. Ein Peterchen wie deines wird es nie wieder geben, wie es nie wieder einen Cocki geben wird wie dich. Aber wie gesagt, es ist ein neues Peterle da. Was draus wird, weiß kein Mensch, aber der Weffi ist wieder jung geworden, und vor allem deine gute Oma, dein Stullendampfer, dem immer zur rechten Zeit ein Stück Fleisch über Bord fiel — sie ist auch wieder froh. Ich weiß, daß dich das mehr freut, als wenn sie dir jetzt schon nachgefolgt wäre. So kann sie noch ein Dutzend Jahre und mehr das Leben genießen und über ihre Kinder und Hunde seufzen. Ich wollte dir’s nur erzählen und dich bitten, Frauchen nicht böse zu sein. Ich brauche mich nicht bei dir zu entschuldigen, denn ich selbst habe noch keinen neuen Cocki, und wer weiß, ob ich ihn je finde. Das Bündel ist Frauchens Hund, das weiß ich jetzt schon, und ich gehöre für ihn nur zur Einrichtung. Das Weffchen ist in seiner unendlichen Güte schon halb nicht mehr von dieser Welt und dem lieben Gott vielleicht näher als wir alle. Also sind wir beiden ganz ungestört, du da unten und ich hier oben!«

Ein Schatten fällt über mich. Ich blicke auf: es ist das Frauchen, und ich habe das peinliche Gefühl, daß sie die Tränenspuren auf meinem Gesicht bemerkt hat. Natürlich läßt sie sich nichts merken und fragt nur, wo die Hunde seien.

»Susanne hat das Veilchenauge mit ‘rübergenommen, weil sie es so süß findet, und Weffchen ist hinterhergelaufen, falls es drüben was zu fressen gibt.«

In diesem Augenblick erscheint Susanne schon wieder, mit Veilchenauge auf dem Arm: »Mami findet ihn goldig! Aber sie hatte gerade die Abrechnungen für Vatis Steuererklärung vor, und ihr wißt ja, dann ist sie immer ganz nervös, und Peterchen hat — als sie ihn auf den Schoß nahm — das Paket mit den Arztkosten erwischt und ist damit unter die Couch gesaust. Mami hat die Couch hochgehoben, und ich bin drunter gekrochen. Er war schon beim Zerreißen, aber es läßt sich noch kleben. Und dann wollte er die Büroklammer ‘runterschlucken, wir haben sie ihm aber aus dem Mäulchen gerissen, und dann hat er sich in einer Sprungfeder mit dem Hinterfüßchen verheddert und dermaßen geschrien, daß wir dachten, der Fuß ist ausgerenkt! Aber er kann schon wieder laufen. So dachten wir, wir bringen ihn lieber zurück!«

Sie setzt das Bündel vor uns ins Gras, und es beweist, daß es tatsächlich noch laufen kann, indem es Weffchen, der still gefolgt ist, in den Bart fährt. Weffi wehrt ihn mit der Pfote ab, das Bündel fällt auf den Rücken und gräbt seine nadelspitzen Zähne in Weffis Pfote. Weffi dreht den Störenfried abermals um, so daß er wieder auf dem Bauch liegt, und tut dann etwas ganz Verblüffendes: er setzt sich einfach auf das Peterle. Das quietscht und windet sich unter ihm, aber Weffchen hechelt uns nur glücklich an: der Störenfried ist unschädlich gemacht. Wir lachen schallend, Susanne auch. Dann erstarrt ihr Gesicht, als erschrecke sie über etwas Unziemliches, und plötzlich schießen ihr die Tränen in die Augen, sie dreht sich um und läuft in ihr Haus zurück.

Während ich ihr verblüfft nachsehe, nimmt Frauchen das quiekende Bündel unter Weffis Po weg und auf ihren Schoß. Dort beginnt sie, ihn abzusuchen. Weffi setzt sich neben sie ins Gras und treibt Pediküre an seinen rosa Zehen. Für einen Augenblick ist es wieder so still, daß man die Bienen summen hört.

»Ist dir nicht aufgefallen«, fragt das Frauchen, »daß Marc die ganzen letzten Wochen nicht mehr zusammen mit Susanne hierher ‘rausgekommen ist?«

»Ja.«

»Du wirst dich da einschalten müssen.«

»Wieso? Man soll sich nie in eine Ehe mischen. Entweder einigen sie sich auf meine Kosten und danken es einem nie, oder es geht schief, dann ist man schuld dran, daß sie sich nicht einigen. Außerdem habe ich noch eine kleine Nebenbeschäftigung.«

»Das möchte dir so passen, du dickes Biest«, sagt das Frauchen, »glaubst vielleicht, du könntest dich verkriechen...«

»Na, erlaube mal«, beginne ich entrüstet und sehe dann, daß sie einen dicken Floh gemeint hat, den sie befriedigt auf einem Stein zerknackt.

»Schließlich«, sage ich, »gibt es in jeder jungen Ehe Anpassungsschwierigkeiten.«

»Leider ist es mehr als das. Ein ganzes Nest von Flöhen unter der Achsel!«

»Ein — ach so, das ist wieder Peterchen!« Es ist eine bemerkenswerte Eigenschaft meiner Gefährtin, über zwei grundverschiedene Themen gleichzeitig zu sprechen und sie fugisch miteinander zu verschlingen. So fährt sie denn ganz unbefangen fort: »Susanne war gestern bei mir und hat mir ihr Herz ausgeschüttet. Marc hat ein Verhältnis mit irgendeinem Weib, dem er augenblicklich ein Haus baut. Reiche Witwe, Langeweile und Bosheit — so ein schwarzes Luder. Wenn er sie frißt, besteht nämlich die Gefahr, daß er Bandwürmer bekommt.«

»Das wäre der Witwe ganz recht, aber wieso bekommt Marc Bandwürmer von ihr? Hat sie einen?«

»Du solltest keine Witze über so was machen. Außerdem weißt du ganz genau, daß ich die Flöhe meine und daß ein Hund nur Bandwürmer bekommen kann, wenn er Flöhe frißt. Du mußt mit Susanne sprechen und mit Marc auch. Vor allem aber mit Susanne. Du weißt, wie die Mädels an dir hängen und daß du noch immer ihre letzte Zuflucht bist.«

Seufzend stehe ich auf: »Na, dann will ich mal ‘reingehen und wenigstens meine Fernsehszene noch zu Ende schreiben, das hätte ich Marc übrigens nie zugetraut. Ich hielt ihn immer für ‘ne nette Flasche.«

»Eben, weil, er eine Flasche ist, ein Schwächling und Muttersöhnchen, deshalb tut er’s. Ein wirklicher Mann macht sich nicht so billig, weil er’s nicht nötig hat.«

»Natürlich.« Ich bemühe mich, es möglichst überzeugend klingen zu lassen. »Weiß es Addi?«

»Ja.«

»Na und?«

»Sie ist natürlich todunglücklich.«

»Und Teddy?«

»Ahnt nichts. Für sein Herz wäre das viel zu gefährlich.«

»Na, dann werde ich mal ‘reingehen.«

Drinnen im Hause aber fängt mich die Mama mit bedeutsamem Augenrollen ab: »Der Marc ist da! Ich habe ihn in dein Arbeitszimmer gesetzt! Sieh zu, daß du ihn bald loswirst, diesen miesen Kerl. Hättest du dich bloß nicht so eingelassen mit diesen ganzen Sachen!«

»Ja, ich weiß, Mulleken.«

»Ich habe es dir schon vor drei Jahren gesagt, als die Bentlers auf Urlaub fuhren und wir die Mädels auf dem Hals hatten!«

»Du hast es mir schon vor drei Jahren gesagt — aber wer hat sich damals am meisten die Beine ausgerissen, du oder ich?«

»Du natürlich. Ich hab’s doch nur getan, weil man sie sich ja nicht einfach selber überlassen konnte.«

»Eben.« Ich gebe ihr einen Kuß und öffne die Tür zum Arbeitszimmer.