12

Ich schaue auf die Uhr: sieben. Durch die Ritzen der Holzläden dringt früher Sonnenschein auf den alten Renaissanceschrank, daß sein Holz aufflammt wie Honig.

Was war eigentlich gestern? Ach ja, die Sache mit Zimmermann, und oben schläft er ja, der Enrico. Einen Augenblick versinke ich wieder in Schlummer, bin dann erneut wach. Inzwischen muß sich mein Unterbewußtsein noch mit dem gestrigen Gespräch befaßt haben, denn ich bin gleich beim Erwachen mittendrin und diskutiere mit Enrico, bis ich merke, daß ich noch auf meiner Couch liege.

Schön, daß man mal wieder so richtig wie in der Jugend — oder später in der Teenagerzeit Margots und Susannes — über alle möglichen Dinge diskutieren konnte. Und plötzlich überkommt mich ein Gefühl herzlicher Freundschaft für Enrico. — Wie spät ist es eigentlich inzwischen? Acht Uhr. Es rührt sich verschiedenes im Haus, bei Frauchen ein Rascheln, ein leichtes Tappen, ein Türquietschen und dann ein Huschen über die Treppe nach oben. Das ist Peterchen, der ausgeschlafen hat. Die Mama ist natürlich schon wieder angezogen und kampfbereit. Richtig, da klappert bereits Geschirr in der Küche. Na, ich werde mal sehen, wie Enrico zurechtkommt. Ich ziehe mir den Schlafrock über, steige nach oben und höre aus dem Bad prustende Geräusche.

»Gut geschlafen, Enrico?«

»Ausgezeichnet!« kommt seine Stimme durch die Tür.

Wo sind eigentlich die Hunde? Ich schaue ins Zimmer der Mama — nichts. Ins große Zimmer — nichts. Balkon — auch nichts. Küche — nein. Bleibt nur Enricos Zimmer. Und da sitzen sie tatsächlich beide vor seinem Koffer. Der ist aufgeklappt und enthält ein Oberhemd, verschiedenes Unterzeug und ein großes Paket, das den halben Koffer füllt und über dem sich malerisch ein Hosenträger schlängelt. Peterchen und Weffi sehen sich flüchtig nach mir um und starren dann wieder auf den Koffer, wobei sie mit den Nasen tief und genüßlich Witterung holen. Was kann denn bloß da drin sein? Weffi begnügt sich damit, mit den Fellhosen zu schlottern und mir auffordernde Blicke zuzuwerfen. Peterchen aber, durch meine Gegenwart ermutigt, nähert sich zunächst mal dem Koffer und packt den Hosenträger, der über dem großen Paket liegt. Der Träger aber hat sich irgendwo im Koffer festgeklemmt und leistet heftigen Widerstand, während Peter, durch diesen Widerstand gereizt, ihn rückwärts zerrend immer mehr in die Länge zieht. Plötzlich gibt der Hosenträger nach, saust auf Peter zu, knallt ihm um die Ohren und versetzt ihn in äußerste Panik. Er rast aus dem Zimmer, aber der Träger, wie ein lebendiges Wesen, rast mit ihm, denn eins von Peters kleinen Füßen steckt in einer Schlaufe. Es sieht wirklich aus, als habe sich eine Gespensterschlange auf Peter gestürzt. Er fegt durch das große Zimmer, der Hosenträger mit. Dann zur Mama auf die Couch, der Hosenträger mit — und dort bleibt Peter völlig starr vor Entsetzen, während ich ihn befreie und dabei laut lache.

»Was war denn los?« fragt Enrico aus dem Bad.

»Schade, daß du das nicht miterlebt hast! Peter wollte irgendwas aus deinem Koffer, Weffi übrigens auch, ich glaube, es war dieses große Paket. Aber darüber lag dein Hosenträger.«

»Moment mal...« Die Tür geht auf, und es erscheint Enrico mit nacktem Oberkörper, in den Händen Rasierpinsel und Napf, in dem er Schaum schlägt.

»Augenblick doch mal! Großes Paket, sagst du?«

»Ja, hätte ich das nicht sagen sollen?«

»Ach, du lieber Himmel! Mensch, weißt du, was da drin ist?«

»Nein, woher sollte ich das wissen?«

»Na, die Bonbonniere, die ich für die Addi mitgebracht habe, falls ich dort eingeladen würde! Sie muß ja einen schönen Eindruck von mir bekommen haben, als ich gestern nachmittag so ohne alles bei ihnen anrückte! Muß ich natürlich gleich heute nachholen.« Er beugt sich hinunter: »Ja, Peterchen, mein armes — hat dich der olle Hosenträger erschreckt?«

Peterchen hat den Hosenträger schon wieder vergessen, sitzt mit verdrehten Augen vor Enrico und himmelt ihn an.

»Na sieh mal«, sage ich, »da hast du eine Eroberung gemacht! So schnell schließt er sich an keinen an, besonders nicht an Männer. Also, mach zu, wir wollen bald frühstücken.«

»Okay, Colonel.«

Ich schaue noch mal ins Fremdenzimmer, dort liegt Weffchen jetzt vor dem Koffer und knabbert an seinen Pfoten. Er ist Philosoph. Irgendwann, denkt er sich, werde ich schon mal an das Ding ‘rankommen.

In diesem Augenblick großes Geschrei aus dem Bad. Enrico reißt wieder die Tür auf, und heraus stürzt Peterchen, das ganze Gesicht voll Seifenschaum.

»Was ist denn das bloß für ein Gebrüll?« fragt eine Stimme von der Treppe. Es ist das Frauchen. Peterchen flüchtet sich in ihre Arme.

»Jetzt hat er sich doch tatsächlich an die Schlagsahne für heute nachmittag gemacht!« sagt sie.

»Er hat gedacht, es sei Schlagsahne«, erkläre ich, »aber es ist Seifenschaum.«

»Seifenschaum?« sagt das Frauchen. »Wieso Seifenschaum? Ach, mein armes Kerlchen! Komm — und in die Äugelchen ist es auch gelaufen!«

»Enrico rasiert sich noch mit dem Messer, und daher Seifenschaum.«

»Na, dann zieh dich mal schleunigst an«, erwidert sie mit einem recht beachtlichen, wenn auch nicht ganz verständlichen Gedankensprung.

Später sitzen wir auf der Terrasse und frühstücken. Peterchen hockt die ganze Zeit auf Frauchens Schoß und hält sich ängstlich von Enrico fern, jenem entsetzlichen Menschen, der Pralinen von Schlangen bewachen läßt und falsche Schlagsahne ausschenkt. Weffi hingegen hat sich vor ihm angesiedelt und erntet einen Brocken nach dem anderen. Er frißt sogar Marmeladenbrötchen, obwohl Marmelade zu den wenigen eßbaren Dingen gehört, die er auf das tiefste verabscheut. Vor jedem Brocken stößt er ein tiefes, genüßliches >Aaahh< aus und zermalmt ihn dann umständlich mit seinem Wolfsgebiß.

Drüben erscheint Addi und gießt das Beet mit den Zinnien und Astern. Sie hat Jeans an, schwarz mit Trägern, und dazu ein kleines Blüschen. Alles zusammen bringt ihre Konturen äußerst vorteilhaft zur Geltung. Enrico springt auf: »Gnädige Frau!« schreit er. »Gnädige Frau!«

Sie wendet sich lächelnd um, winkt uns zu.

»Ich muß gleich zu Ihnen ‘rüberkommen, ich habe was vergessen!«

»Aber trinken Sie doch erst Ihren Kaffee zu Ende! Ist es denn so eilig?«

»Brandeilig! Außerdem bin ich fertig!« Er wendet sich zu uns und sagt zum Frauchen: »Habe ich ganz vergessen — Bonbonniere mitgebracht! Muß mich für einen schönen Flegel gehalten haben!« Er verbeugt sich vor ihr und Mama: »Sie entschuldigen mich?«

»Aber selbstverständlich«, sagt das Frauchen und hat so ein ganz kleines, nur für Eingeweihte bemerkbares Lächeln in den Mundwinkeln.

Enrico saust durch die Bibliothek, die Diele, die Treppe hinauf, und hinter ihm her sausen mit wahnsinnigem Gebell Peter und Weffi. Zwei Minuten später saust er mit der gleichen Geschwindigkeit die Treppe wieder herunter, durch die Diele, die Bibliothek, an uns vorüber und hinüber zu Addi. Unter dem Arm das halb aufgeplatzte Paket und hinter ihm her der rasende Schnürsenkel und das Holzpferdchen.

»Jetzt ist er auf Addi scharf«, sagt die Mama. »Dem sind ja fast die Augen ‘rausgefallen, als sie in dem Kittel da erschien! Ist ja auch ‘n bißchen aufreizend, was?«

»Na, die Sache mit den Trägern und dem Blüschen, und wie sich das da wölbt, finde ich auch nicht schlecht«, meine ich.

»Kinder, laßt sie doch«, sagt das Frauchen. »Wer hat, hat! Und was hat sie sonst schon? Tagein, tagaus die Wirtschaft, und dann kommt Teddy nach Haus und muß gepflegt werden, einmal die Woche ins Kino und zweimal im Jahr ins Theater und überhaupt keine andere Männergesellschaft — sie ist ja schließlich noch eine junge Frau! Da tun ihr so ein bißchen Ritterlichkeit und Verehrung mal gut.«

Wir stellen fest, daß es ihr tatsächlich guttut. In der klaren Morgenluft versteht man jedes Wort:

»Aber ich bitte Sie, Herr Professor«, sagt Addi, »machen Sie doch keine Geschichten! Das kann ich doch gar nicht annehmen!«

Enrico hat nach heftigem Gewühl das Packmaterial beseitigt, das von den Hunden eifrig, wenn auch erfolglos durchschnüffelt wird, und bringt eine Bonbonniere zum Vorschein, die uns erstarren läßt. Es ist eine Über-Bonbonniere, so groß wie das Rad eines Kleinwagens.

»Ja — hat denn der Mensch schon so was gesehen!« sagt die Mama.

»Meine war bedeutend kleiner«, meint das Frauchen.

»Dafür habt ihr ja auch jeder eine bekommen und außerdem Blumen. Der Mann kann sich schließlich nicht zerreißen.«

»Aber ich kann das wirklich nicht annehmen«, sagt Addi wieder. Enrico küßt ihr die Hand: »Sie würden mich aufs tiefste kränken, gnädige Frau! Es ist ein Dank für Ihre reizende Gastfreundschaft und außerdem für den entzückenden Anblick, den ich eben hatte...«

»Ja, da staunt die kleine Gärtnersfrau«, sagt die Mama und grinst wie ein gotischer Wasserspeier. Drüben ist eine deutlich spürbare Verlegenheit eingetreten: »Darf ich mich nach dem Befinden Ihres sehr verehrten Gatten erkundigen?« flötet Enrico.

»Danke, er liegt noch. Sonntags lasse ich ihn immer länger schlafen. Je langsamer er alles macht und je mehr Ruhe er sich gönnt, desto besser.«

»Ich weiß«, versichert Enrico mit etwas allzu tiefem Mitgefühl, »der Infarkt, nicht wahr! Wie lange ist das jetzt her?«

»Knapp ein Jahr.«

»Dann muß er sich mindestens noch ein weiteres, wenn nicht zwei Jahre sehr zurückhalten!«

»Dafür werde ich schon sorgen!« erklärt Addi entschlossen. Enrico küßt ihr abermals die Hand: »Von so einem kleinen zarten Händchen würde ich mich auch gern hätscheln lassen!«

»Na, Prost!« sagt Addi. »Haben Sie sich das kleine zarte Händchen mal genauer angesehen? Damit habe ich eben Unkraut ausgerupft und einen Haufen Schnecken abserviert. Wie haben Sie denn über Ihren heutigen Tag disponiert, Herr Professor?«

»Ich muß auf alle Fälle spätestens um drei hier wegfahren. Bin leider heute abend zum Essen bei einem Kollegen eingeladen. Vielleicht fragen wir mal die Bentzens...«

Die beiden kommen auf unsere Terrasse. Ich küsse Addi innig auf den Mund und strecke dann Enrico, ohne daß die anderen es merken, die Zunge ‘raus.

»Wie wär’s denn«, frage ich, »wenn wir alle zusammen nach Seeburg zum Essen führen?«

Die Frauen fragen sich gegenseitig, was sie zu kochen beabsichtigten, und kommen zu dem Ergebnis, daß es sich bis morgen aufbewahren läßt.

»Ach, wird das schön!« sagt eine Stimme hinter uns. Es ist Susannchen, in einem für die Flitterwochen angeschafften Morgenrock mit Tiefenperspektive. Sie reckt die Arme, wobei die Perspektive sich noch erweitert: »Ist das nicht göttlich heute, Professor? Lieben Sie Bumskaulen?«

»Ja, natürlich«, sagt Enrico mechanisch und starrt sie entrückt an. »Was ist denn das? Frösche? Es klingt jedenfalls sehr ominös.«

Alles lacht. »Bumskaulen sind«, erkläre ich, »die Blüten des Schilfes.«

»Quatsch«, unterbricht mich Addi, »es ist — ja, ich weiß auch nicht genau, was es ist. Jedenfalls sind es so dicke braune Würste, und wenn man sie anfaßt, sind sie wie Samt, und das steht im Schilf, und man kann es auch in die Vase stellen, da sieht es dann sehr hübsch aus.«

»Aha«, sagt Enrico, der seine Augen nicht von Susannes Negligé läßt. »Jetzt weiß ich, was Sie meinen. Das sind die — die, na — jedenfalls sind sie ziemlich selten.«

»Wollen wir uns davon nicht welche holen?« fragt Susanne und schlägt ihre großen blauen Augen mit grenzenlos kindlicher Tücke zu ihm auf. »Wir setzen uns einfach in den Kahn und rudern in die Seerosenbucht, und da pflücken wir sie. Bis zum Mittag sind wir zurück. Zwischendurch können wir ja baden! Und dann fahren wir alle zusammen nach Seeburg.«

»Jaaa —«, sagt Enrico, »ja, natürlich! Mit dem größten Vergnügen!« Er sieht auf die Uhr: »Ich glaube, wir müssen uns sogar beeilen! Ich renne nur schnell hinauf und hole meine Badehose!«

Als er weg ist, dreht sich Addi zu Susanne um: »Meinst du nicht, daß das etwas zu weit geht?«

»Nein«, sagt Susanne verbissen, »außerdem gefällt er mir.«

»Du willst doch nicht etwa...«, fragt das Frauchen.

»Nein, ich will nicht etwa...«

»Na, und wenn das nun Marc hört?« fragt die Mama.

»Er soll’s ja hören!«

»Und wenn der nun plötzlich über dich herfällt«, bohrt die Mama weiter.

»Enrico fällt nicht über sie her«, erkläre ich. »Er ist ein Gentleman. Viel größer ist die Gefahr, daß Susanne über ihn herfällt. Aber ich hoffe, daß du mit dem Rückfall in deine Teenagermanieren noch etwas wartest.«

Sie gibt mir einen Kuß: »Ich danke dir für dein Vertrauensvotum, Colonel. Ich werde von vorbildlicher Harmlosigkeit sein. Es wird zugehen wie im Paradies.«

»Aber bitte mit Feigenblatt und ohne Apfelessen.«

»Sei ganz beruhigt.«

Plötzlich habe ich das Bedürfnis, mich um Enrico zu kümmern, dessen Liebesschicksal hier so öffentlich verhandelt wird. In meinem Zimmer prallen wir aufeinander. Er hat das frische Hemd aus dem Koffer an und hält sich die Hose mit der Hand fest.

»Gott sei Dank sind Schlaufen dran!« sagt er.

»Wo dran?«

»Na, an meiner Hose! Gib mir mal gleich einen Gürtel!«

»Warum nimmst du nicht die Hosenträger?«

»Das weißt du ganz genau, du scheinheiliger Intrigant! Meine Badehose habe ich schon drunter.«

»Das hoffe ich. Hier — der Gürtel.«

»Hast du nichts Besseres?«

»Es ist mein bester. Ich bin kein Modesalon.«

»Also, ich bin noch ganz benommen«, erklärt er, während er sich den Gürtel umbindet. »Diese Bentler-Frauen haben es wirklich in sich. Von Susannchen ganz zu schweigen — die Addi — in dem Gartenanzug! Komplette Venus! Und wenn man sich nun vorstellt, daß dieser dicke Kerl, der Teddy...«

»Teddy ist mein Freund.«

»Pah!« Er mustert mich durchbohrend: »Du sahnst ja selber ab, wo’s geht, du Halunke!«

»Ich sahne nicht ab, ich nasche nur so ‘n bißchen. Außerdem habe ich dir schon einmal gesagt: Teddy ist mein Freund. Und wenn einer mein Freund ist, dann kann er mit Kleopatra verheiratet sein, und die Kleopatra kann sich zu mir ins Bett legen, ich würde ihm keine Hörner aufsetzen — hoffentlich wenigstens.«

»Wenn du die beiden letzten Worte nicht gesagt hättest, wärst du für mich erledigt gewesen.«

»Und was Susanne betrifft, so mache ich dich darauf aufmerksam, daß sie eine junge Frau ist, die dir ihr Vertrauen schenkt, aber nicht mehr!«

»Sollte man das nicht ihr überlassen? Zumal sie ja in puncto puncti ihrem Mann gegenüber frei ist?«

»Nein, man sollte es nicht ihr überlassen, zumal wenn man ein Gentleman ist. In puncto Schenken also gibt’s außer Vertrauen höchstens noch Bumskaulen — verstanden?«

»Brauche noch einen netten, lustigen Schlips«, murmelt Enrico und wühlt ohne jede Hemmung in meinem Bestand. »Im übrigen scheinst du dir hier als so ‘ne Art Patriarch vorzukommen, wohingegen du in Wirklichkeit ein Patriarschloch und heuchlerischer Pascha bist.«

»Vielen Dank.«

»Bitte sehr. Und überhaupt ist es reiner Sadismus, was du mit mir treibst! Du hältst mir eine Frau nach der anderen unter die Nase...«

»Zwecks Anschauung und Bildung. Das habe ich dir von Anfang an gesagt. Das hier ist eine Ausstellung, aber kein Verkauf.«

»Eben! Es ist, als wenn du einem verdurstenden Beduinen Selters vorhältst, und wenn er trinken will, ziehst du’s weg!«

»Verdurstende Beduinen gibt es gar nicht, weil Beduinen wissen, wo Wasser ist. Außerdem bist du kein Beduine, sondern einfach ein Depp.«

Er reckt die Brust heraus: »Wie findest du den Schlips?«

»Kleidet dich großartig, außerdem bindest du ihn ja im Boot wahrscheinlich doch ab.«

»Weiß ich noch nicht. Im übrigen — hab’ keine Angst, old man. Halte mich an die Spielregeln. Hab’ schon eine ganze Menge gelernt. Gesichtskreis bedeutend erweitert! Verstehe zum Beispiel kaum mehr, wie ich Kurs auf die kleine Margot nehmen konnte, so reizend sie ist!«

»Na, das ist die Hauptsache!« entfährt es mir.

»Wieso?«

»Na, ich meine — daß — daß du dir über deinen Typ klarer geworden bist.«

Gott sei Dank hat er meinen Lapsus gar nicht bemerkt und sagt grüblerisch: »Auf jeden Fall müßte sie sehr weiblich sein, wie Susannchen, aber reifer, etwas älter — so irgendwo in der Mitte.« — »Hallo, Professor!« ruft Susanne von drüben.

»Ich komme — ich komme!« Er rast aus dem Zimmer, daß er mich fast über den Haufen rennt. Als ich in die Bibliothek komme, sehe ich Peter und Weffi, die mit wütendem Geknurr und aus Leibeskräften an dem letzten Rest von Enricos Hosenträgern zerren. Der Hauptteil liegt, in lauter kleine Stückchen zerrissen, auf dem Teppich, unzweifelhaft die Arbeit des schwarzen Zerreißwolfes.

»Was hast du denn da gemacht?« frage ich ihn drohend. Er läßt den Gummirest los, der Weffi ins Gesicht fliegt, so daß er sich verdattert auf seinen Fellpo setzt. Dann setzt auch Peter sich hin und sieht mich aufrührerisch an: >Das ist meine Rache an der Schlange! Verstehst du das nicht?< Ich bücke mich seufzend, streiche ihm einmal über den Schopf und klaube die Fetzen zusammen. »Na schön, Peti. Das bleibt unter uns Männern. Ich schmeiße es in die Mülltonne, bevor die Weiber es finden und darüber gackern. Kostet mich, so wie ich Enrico kenne, meinen besten Gürtel.«

Peterchen rollt vergnügt die Negeraugen, legt sich auf den Bauch, klappt die Beine hinten weg und kriecht so, unendlich lang und dünn und grinsend auf mich zu.

»Wenn ich dir doch bloß mal richtig die Jacke vollhauen könnte, du Schnürsenkel, du raffinierter!« sage ich.

Nach drei Stunden, als unser ganzer Verein schon ebenso hungrig wie moralisch besorgt an der Landungsbrücke steht, kommen Susanne und Enrico zurück. Sie haben das ganze Boot voller Bumskaulen. Enrico sieht etwas dumm drein, aber Susannes Augen haben ein eigenartiges Leuchten, das mich ausgesprochen beklommen macht. Zumal sie jetzt auf mich zukommt, meinen Arm nimmt und mir einen Kuß gibt. Dann dreht sie sich zu den anderen um: »Ich möchte mit dem Colonel fahren, wenn ihr nichts dagegen habt, Omi und Tante Anette...«

Man ist etwas erstaunt, aber wohlwollend einverstanden. Addi sieht Susanne scharf an und schaut sich dann nach Enrico um, der in Teddys Coupé geklettert ist und es bewundert, während Teddy diese Bewunderung genießt. Margot hat sich mit Buddy schon im Hintersitz des Coupés angesiedelt, sie werden aber hinausbefördert, um für Addi, Frauchen und die Mama Platz zu machen. Addi flüstert ihnen energisch etwas ins Ohr, worauf sich Buddy betont laut von Margot verabschiedet: »Na, ich werd’ mich jetzt mal dünnemachen, sonst wird dein Franz noch eifersüchtig.«

Enrico droht ihm wohlwollend: »Das würde ich Ihnen auch raten. Kommen Sie zu mir, Fräulein Bentler, mein Wagen kann sich allerdings nicht mit dem Ihres Herrn Vaters messen...« Er hat sich inzwischen nur ungern von Teddys Coupé getrennt.

»Ach, ich finde ihn himmlisch!« sagt Margot und läßt sich neben Enrico in die Polster sinken. Als er anfährt, winkt sie Buddy freundlich zu, der sich mit einem Ruck umdreht und merkwürdig hölzern entschreitet.

»Kleines Aas, mein Schwesterchen«, sagt Susanne neben mir.

»Selber kleines Aas! Also nun los, ‘raus mit der Schilfbeichte.«

Sie kuschelt sich an mich: »Colonel, es hat geklappt!«

»Um Gottes willen!«

»Nicht, wie du denkst! Du solltest dich übrigens was schämen!«

»Mit dem Schämen warte ich, bis ich alles weiß. Also, ihr seid ins Schilf gefahren. Und dann?«

»Dann hat Enrico für mich Bumskaulen geschnitten, und ich hab’ ihm derweil den Rücken mit Nußöl eingerieben. Damit er braun wird und wegen der Stechfliegen — und genau in diesem Moment ist er vorbeigerudert und hat es gesehen!«

»Wer?«

»Na; Marc! Heute morgen hat mir doch Buddy erzählt, daß er wieder seinen Wagen im Dorf abgestellt hätte und hier herumschleicht. Und dann, als wir das Programm besprochen hatten, ist Buddy schnell zu ihm gefahren und hat ihm >im Vertrauern erzählt, daß ich mit dem Professor ins Schilf fahre!«

»Na, und?«

»Marcs Gesicht hättest du sehen sollen! Sogar dem Professor ist es aufgefallen. Er meinte, man sollte doch dafür sorgen, daß der junge Mann auch beweibt würde, damit er nicht so mörderische Blicke zu werfen brauche. Ich habe ihm gesagt, daß er dazu keinen Anlaß habe, denn er sei mehr als beweibt. Ob ich ihn denn kenne, wollte dein Enrico wissen. Ja, habe ich gesagt, ziemlich flüchtig, er ist mein Mann.«

»Ach du arme Neune. Und Enrico?«

»Eine Weile war er ganz still, und dann hat er mir so richtig nett zugeblinzelt und hat gesagt, er hätte das Gefühl, daß an diesem Wochenende ziemlich weitgehend das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden werde und daß du ein ganz verfluchter Kerl seist.«

»Und du?«

»Ich habe ihm gesagt, daß du überhaupt nichts davon gewußt hättest und daß es meine Idee gewesen wäre.«

»Und dann?«

»Dann habe ich ihm einen Kuß gegeben, einen richtigen, damit das Angenehme für ihn nicht zu kurz kommt.«

»Und er?«

»Er hat gefragt, ob es auch zu meinem Plan gehört hätte, ihm diese Belohnung zu verabreichen, während er mit Bumskaulen im kalten Wasser stehe, und außerdem sollte ich meinem Mann nach dieser Kostprobe bestellen, daß er ein kompletter Esel sei.«

In Seeburg gibt es ein fröhliches Mahl. Dann zerstreut sich die ganze Gesellschaft. Frauchen, die Mama und Margot mit Susanne besichtigen die alte Kirche. Teddy und ich spielen mit dem Coupé, indem wir die Gebrauchsanweisung aufschlagen und sie mit der Wirklichkeit vergleichen.

Der Professor hat sich mit Addi zu einem Spaziergang entfernt, und die beiden bleiben so lange, daß es schließlich sogar Teddy auffällt. Der Kirchenstoßtrupp sitzt schon an der Kaffeetafel und sieht recht hungrig aus. Teddy erwacht aus seinen Coupéträumen und schaut auf die Uhr: »Fünf — hm. Wo bleiben denn die beiden?«

»Apropos Uhr«, sage ich hastig, »die hier in deinem Wagen geht auch nicht richtig! Ich habe überhaupt noch keine richtiggehende Autouhr gesehen. Besonders diese elektrisch angeworfenen...«

Aber Teddy schaut nur auf die riesigen Eichen hinter der Kirche, in deren Schatten die beiden verschwunden sind. »Ziemlich wilder Mann, dein Enrico, hm?«

»Mach dich nicht lächerlich. Denk an die Sache im Krankenhaus.«

»Na schön. Aber — da kommen sie. Jetzt habe ich aber Kaffeehunger.«

Die beiden sehen ruhig und freundlich-harmonisch aus. Ich habe weder von Addi noch von Enrico erfahren können, worüber sie miteinander gesprochen haben. »Über Teddy und ihn, den Enrico«, das war alles, was mir Addi später hinwarf, wie man einem Hund ein Stück Brot vom Tisch wirft. Na schön.

Enrico entdeckt plötzlich, daß es höchste Zeit für seinen Aufbruch sei. Wir fahren in einem Höllentempo heim. Anette steuert seinen Wagen und legt einen Zahn vor, daß er ganz blaß daheim aussteigt: »Sportliche Fahrerin, deine Frau, alle Achtung! Jetzt muß ich packen und dann weg.«

Ich begleite ihn bis zum Ortsausgang und steige dort aus. Er hält meine Hand fest, als ich ihm auf Wiedersehen sage: »Bin dir wirklich dankbar für die beiden Tage! Dieses Susannchen — bezaubernd! Weißt du, was ich herausgefunden habe, als ich mit ihr im Schilf war?«

Ich stelle mich unwissend. Außerdem kann mich ja diese kleine Kröte, Susanne, angeschwindelt haben: »Ich wage nicht daran zu denken.«

»Keine Angst, alter Junge. Ich habe herausgefunden, daß sie diesen Schlawiner, ihren Mann, noch immer liebt! Das erste Erlebnis. Und noch was habe ich ‘rausgefunden: Addi, wunderbare Frau! Rasse, Humor und unbedingte Loyalität. Haupttreffer in der Ehelotterie. Wird natürlich von so ‘nem dicken Kerl gewonnen, der Waschmaschinen verkauft!«

»Teddy ist mein Freund, Enrico, das habe ich dir schon ein paarmal gesagt, und da hört bei mir die Gemütlichkeit auf.«

»Hu, was du für Augen machst! Physiognomie, die ich noch gar nicht kannte an dir! Ich glaube, mit dir ist nicht gut Kirschen essen, wenn du mal in Gang kommst!«

»Drum laß die Kirschen lieber in der Tüte, brother! Du hast keine Ahnung, was für ein wunderbarer Mensch Teddy ist.«

»Bezweifele ich nicht, um Himmels willen! Entgleisung meinerseits, alberner Hochmut, mir jetzt selber unverständlich.«

»Mir gar nicht. Du bist einfach eifersüchtig.«

Er wiehert wie ein Pferd und schlägt auf das Steuerrad: »Ausgezeichnet! Haargenau — aber eben völlig aussichtslos. Übrigens hoch interessant! Ich habe die beiden beobachtet, Addi und Teddy, besonders Addi, in ihrem Benehmen ihm gegenüber. Weißt du, was er für sie ist, außer Versorger, Vater der Kinder und Geliebter?«

»Keinen Schimmer.«

»Kind! Mach den Mund zu, sonst zieht’s! Kind, sage ich dir, lebenslanges Kind. Besonders jetzt, nach dem Infarkt. Die Kinder, die richtigen, sind im Begriff, das Nest zu verlassen. Können das mütterliche Herz nicht mehr ausfüllen. Vielleicht später noch mal, als so ‘ne Art zweiter Aufguß, bei den Enkeln. Aber jetzt — Teddy! Das arme, für die Familie abstrapazierte Herz, das geschützt werden muß und gehegt und gewiegt wie ein Säugling! Darum eben für mich — völlig aussichtslos! Selbst wenn die Frau in ihr auf mich angesprungen sein sollte — die Mutter würde ihr einen Tritt geben.«

»Sehr interessant, aber mir bekommt das Stehen nicht. Also entweder fährst du jetzt ab, oder wir gehen hier in die Wirtschaft.«

»Nein, fahre natürlich«, murmelt er geistesabwesend. »Irgendwo in der Mitte zwischen den beiden, wie gesagt. Entweder ganz unberührt, wo ich so was wie Lohengrin oder — bessere Lösung — junge Frau mit Erfahrungen. Witwe oder geschieden. Witwe wäre besser, oder nicht? Besser vielleicht geschieden? Dann hängt sie nicht mehr an dem anderen. Muß mir das noch sehr genau überlegen. Also, wie gesagt: sehr interessant und dir sehr dankbar. Ruf dich an!«

»Okay, Lohengrin, ruf mich an. Aber zunächst gib deinem Schwan mal ‘n Tritt!«

Er legt grinsend die Hand an den Kopf: »Yes, Colonel!«Dann umrast er mit knatterndem Auspuff die Ecke, und ich wende mich erleichtert um.

Wie schön, wieder in mein Schneckenhaus zu kriechen! Weffi, Peterchen, meine Arbeit... Hoppla! Ich bin in den Weg mit den hohen Büschen eingebogen, der vor dem letzten Hof, dem vom Wegmacher, zu unseren beiden Häuschen führt, und hoppla sage ich, weil ich auf jemanden aufgerannt bin, der aus der Hecke in meinen Weg getreten ist. Dieser Jemand ist Marc, ein sehr bleicher und verwüsteter, aber entschlossener Marc, dem ein Fernglas vor der Brust baumelt.

»Ich hab’ alles gesehen!« sagt er mit bebender Stimme. »Den ganzen Tag war ich hier in der Gegend und habe euch beobachtet, mit dem Glas!«

Er studiert mein Gesicht: »Ich kann nur natürlich vorstellen, Colonel, daß Sie keine besonderen Sympathien mehr für mich haben...«

Ich lege ihm die Hand auf die Schulter. Plötzlich tut er mir von Herzen leid, dieser arme Schlums. »Davon kann keine Rede sein, Marc. Aber ich bin etwas müde im Moment. Bißchen viel Rummel heute.«

Seine Augen flammen: »Das kann man wohl sagen! Sogar ins Schilf ist sie mit diesem Orang-Utan gerudert, aber ich respektiere natürlich Ihr Ruhebedürfnis, Colonel. Ich will Ihnen nur eins sagen: jetzt mache ich reinen Tisch! Und zwar sofort. Dann werden Sie anders über mich denken!«

»Sehr schön, mein Junge. Hat’s nicht bis morgen Zeit? Heute will ich nämlich überhaupt nicht mehr denken.«

»Nein«, flüstert er, »es muß heute sein.«