9

Ich erwache davon, daß etwas mit meinem Fuß nicht in Ordnung ist. Es ist sogar sehr etwas damit nicht in Ordnung, denn es hat mich eben ganz deutlich was gebissen. Zuvor schon hatte ich einen schrecklichen Traum: ich war in einer Wüste und taumelte todmüde hinter einer halbverdursteten Karawane her. Endlich hatte der Führer Achmed, der merkwürdigerweise groß und blond, beinahe rotblond war und eine schwarze Professorenbrille trug, die Hand gehoben. Im Nu waren Zelte aufgeschlagen. Ich taumelte als letzter heran: »Achmed — Wasser!« Er wies nur auf eines der kleinen, kegelförmigen Zelte: »Da hinein! Und wage es nicht, das Zelt zu verlassen, denn ringsum wimmelt es von Sandvipern! Ihr Biß ist tödlich.«

Ich hatte um mich gesehen und eine seltsame Bewegung im Wüstensand bemerkt. Deutlich erkannte ich Tausende von Schlangenleibern, die sich unter dem Sand bewegten, grauenhaft! Ich floh ins Zelt. Dort aber war es nicht nur heiß, sondern auch noch stickig, und dann sank das ganze Zelt über mir zusammen und drohte mich zu ersticken. Ich wieder ‘raus aus dem Zelt wie ein geölter Blitz und — peng!, da hatte mich eines dieser Biester gebissen. Und nun lag ich zweifellos im Sterben.

Autsch! Jetzt hat’s mich doch wieder gebissen! Also ist es kein Traum. Und dann komme ich so ganz allmählich zu mir. Ich liege auf einem Empiresofa, einer Kopie jenes Folterinstruments, auf dem seinerzeit Mme. Recamier gemalt wurde. Auf dem Kopf liegt ein Brokatkissen (das zusammengestürzte Zelt), und wenn ich meine langen Haxen ausstrecke, reichen sie weithin über die Lehne hinaus bis an das Bauer eines Wellensittichs, der einen äußerst erbosten Eindruck macht und offenbar nur darauf wartet, mich wieder in den Zeh zu zwicken. Mir gegenüber, hell von der Morgensonne beschienen, steht eine prächtige Couch, ein ausgesprochener Fall von Sündenwiese, völlig zerwühlt, die Decke fehlt; ich finde sie zu Füßen meines Marterinstruments. Rätsel über Rätsel! Verflucht noch eins, tut mir der Schädel weh. Wir hätten den Whisky doch nicht mehr trinken sollen. Immer dieses verflixte Mixen. Der Gumpoldskirchner allein hätte — halt! Jetzt weiß ich, wo ich bin. Bei Caruso — bei Zimmermann, Enrico Zimmermann. Na, so was Blödes. Wenn ich bloß Wasser hätte — Wasser — wo ist denn hier die Toilette — Toilette — die muß da hinten sein, ich war doch mal da, ich war sogar, glaube ich, ein paarmal da, und dann habe ich einmal vergessen, das Licht anzudrehen, und bin ‘rumgetappt und habe die Decke gefunden und habe mich im dunklen Zimmer ‘rumgedreht und nicht mehr gewußt, woher ich kam, und da muß ich auf dem Ding hier gelandet sein. Und seitdem habe ich Wüste geträumt.

Jetzt geht nebenan eine Tür. Schritte. Und dann sagt eine weibliche Stimme: »Na, das ist ja eine schöne Bescherung! Herr Professor!!!«

Es grunzt nur.

»Herr Professor!! Acht Uhr! Höchste Zeit!«

»Uuaaahh!«

»Die Vorlesung beginnt um zehn!«

»Oi me miserum!«

»Das ist sicher was Unanständiges. Und ich nehme es Ihnen nicht übel. Aber wie die Wohnung aussieht!!«

»Uuaahh! Achgottachgottachgott!«

»Warten Sie, ich hole Ihnen ein Glas Wasser.« Und damit ist die Stimmträgerin, ein rundliches Wesen mit weißer Schürze und einem Dutt mitten auf dem Kopf, in meinem Zimmer.

»Jessas!« sagt sie. »Da liegt ja noch ein Kerl! Ja, wie kommen Sie denn auf die Schäselonk?«

»Das möchte ich auch wissen«, erkläre ich düster. »Und — bitte, für mich auch ein Glas Wasser!«

Sie stellt mir ein Glas hin, ziemlich unwirsch, und geht mit dem anderen ins Nebenzimmer: »Wer ist denn der Herr da nebenan?« fragt sie.

»Da ist keiner nebenan«, antwortet Zimmermann stockheiser.

»Ja, um Gottes willen, wie kommt denn der dann her, und was macht er da? Kennen Sie ihn denn nicht?«

»Nein, mein Kind, aber ich werde ihn mir ansehen.« Zimmermann erscheint, den einen Arm um die Schulter der Haushälterin geschlungen, und sieht mich verwüsteten Haares und verquollenen Auges eine Weile an. »Das ist keiner«, erklärt er dann, »das ist nur mein Freund.«

»So«, sagt die Wirtschafterin und unterdrückt offenbar eine ganze Reihe höchst kritischer Bemerkungen. »Na, dann wollen wir uns mal erst ein bißchen in Ordnung bringen!« Und damit schiebt sie den langen Lulatsch ins Bad, macht die Tür hinter ihm zu und dreht sich zu mir um. Allmählich breitet sich ein Ausdruck mütterlichen Erbarmens über ihr Gesicht: »Warum reiben Sie denn Ihren Fuß?«

Ich zeige auf den Wellensittich: »Weil dieses Ungeheuer mich gebissen hat.«

Sie ist sofort bei dem Bauer: »Mein Bub, mein Butzilein, mein Liebster, hat dir der Onkel Angst gemacht?«

»Keine Spur von Angst«, sage ich, »dieses Raubtier wartet ja nur, um mich weiter zu zerfleischen!«

Jetzt stemmt sie die Arme in die Hüften und lacht und lacht, lacht schallend. Aus der Badezimmertür fährt ein zerzauster Kopf: »Telefon?«

»Nein«, sagt die Frau, »ich lache nur.«

»Habe ich noch nicht erlebt«, sagt Zimmermann verdutzt und knallt die Tür wieder zu.

Eine halbe Stunde später sitzen wir uns beim Frühstück gegenüber. Es gibt schönen heißen Kaffee, Toast und Setzeier auf Schinken. Zimmermann schluckt gerade den letzten Riesenbissen hinunter, trinkt die Tasse leer und klopft sich dann auf den Magen: »Bleib schön drin, hörst du?« Dann sieht er mich sorgenvoll an: »Wir hätten den Whisky nicht mehr trinken sollen.«

»Das habe ich mir auch schon gesagt.«

»Du — Sie — duzen oder siezen wir uns nun, oder habe ich das Ganze nur geträumt?«

»Du hast es nicht geträumt. Aber wenn dir beim Siezen wohler ist?«

»Nein!« Er ist ganz erschrocken. »Um Gottes willen nicht! Ich wollte nur sagen, du siehst aus wie ausgespuckt.«

»Danke, gleichfalls.«

»Wir hätten den Whisky nicht trinken sollen.«

»Nein, wir hätten ihn nicht trinken sollen.«

Er schüttelt den Kopf: »Unverständlich. Zwei so alte Suffgurgeln wie wir und immer wieder denselben Fehler machen.«

»Ja, es ist wie mit der Ehe.«

»So ist es, mein Freund. Apropos heiraten!« Sein Ausdruck wird plötzlich mißtrauisch: »Den Zahn mit Margot hast du mir ja ganz geschickt gezogen, du Hund! Ganz raffiniert. Sind eigentlich alle Schriftsteller so raffiniert?«

»Das, mein Teurer«, erkläre ich feierlich, »ist — wie alle Feststellungen — durchaus relativ. Die Verleger zum Beispiel halten die Schriftsteller für Idioten, vom geschäftlichen Standpunkt aus. Aber sie sagen’s ihnen nicht — auch vom geschäftlichen Standpunkt aus. Und die eigene Familie ist der gleichen Ansicht, aber zum Unterschied vom Verleger sagt sie’s.«

Er lehnt sich zurück, zieht sein Zigarrenetui aus der Tasche, betrachtet es stirnrunzelnd und steckt es wieder weg: »Lieber nicht. Du etwa?«

»Nein, auch nicht.«

»Apropos Familie: Du wolltest mich doch in die Bentler-Familie einführen — und das nach der Panne mit Margot. Vielleicht nett gemeint, vielleicht — bei dir weiß man ja nie. Aber völlig unmöglich. Wie stellst du dir das eigentlich vor? Und wieso hast du das überhaupt gemacht?«

»Ganz einfach. Dann führe ich dich eben nicht in die Bentler-Familie ein.« Mit Vergnügen beobachte ich einen Ausdruck tiefer Bestürzung an ihm und fahre fort: »Sondern du besuchst mich als mein Freund. Und dann freß ich ‘n Besen, wenn nicht die Bentler-Weiblein in kurzer Zeit unter irgendeinem Vorwand bei uns auftauchen. Das Susannchen aus Neugier und Addi, die Mutter, auch aus Neugier und außerdem, weil sie’s sicher noch nicht ganz aufgegeben hat, dich als Schwiegersohn zu chartern. Mütter geben so was nie ganz auf.«

Er versinkt in tiefes Nachdenken und zündet sich nun doch eine Zigarre an. Dann sagt er: »Das wäre ja gar keine blamable Situation! Eher im Gegenteil.«

»Eben. Im Gegenteil!«

»Du bist ein ganz verflucht gerissener Hund! Wo habe ich denn meinen Autoschlüssel?«

»Wie soll ich wissen, wo dein Autoschlüssel... halt, warte mal!«

»Ich hatte ihn doch gestern hier in die linke Tasche...«

»Halt die Klappe. Ich denke nach. Jetzt hab’ ich’s! Den haben wir Margot zur Aufbewahrung gegeben, und sie bringt ihn dir heute mit in die Vorstellung.«

»In die Vorstellung?«

»Na ja, ich meine dein Kolleg. Römisches Recht! So ‘n Blech.«

»Bitte, ich habe auch Kunstgeschichte und Philosophie studiert! Und wenn nun Margot den Schlüssel nicht mitbringt? Wie komme ich überhaupt in die Uni?«

»Mit einem Taxi. Und Margot vergißt nie etwas.«

Er blinzelt mich an: »Nie?«

»Nie.«

»Das ist ja entsetzlich!« Er sieht wieder auf die Uhr, steht dann auf: »Ja — also dann wollen wir, was?« Und plötzlich hält er mir mit einem sehr netten Lächeln die Hand hin: »Tut’s dir leid?«

»Nein.«

»Mir auch nicht. Freunde sind rar. Noch rarer wie Frauen.«

»Als«, sage ich. »Nach dem Komperativ immer — als!«

»Du bist immer noch ‘n bißchen besoffen. Ist dir übel?«

»Nur noch wenig. Und dir?«

»Auch nur noch wenig.«

Die Frau erscheint in der Tür: »Höchste Zeit, Herr Professor!«

Er wendet sich majestätisch um: »Frau Merkatz!« Und über die Schulter zu mir: »Sie kann nichts für den Namen, das arme Kind. Also, Frau Merkatz, telefonieren Sie ein Taxi herbei.«

»Ja, aber — was ist denn mit Ihrem Wagen?« fragt sie erschrocken.

»Der wurde mir gestern gepfändet, weil wir die Universität in Brand gesteckt haben.«

Worauf sie die Hand vor den Mund schlägt und uns entsetzt anstarrt. Er tröstet sie: »War ja nur ein Witz, Frau Merkatz!« Und wieder zu mir: »Man muß vorsichtig sein mit ihr, sie erzählt es im Ernst weiter! Es war nur ein Witz, Frau Merkatz, haben Sie das verstanden? Ich meine, haben Sie es richtig in sich aufgenommen? In Ihres Herzens goldener Tiefe bewahrt?«

»Jawohl, Herr Professor!«

»Wenn die Universität abgebrannt wäre, Frau Merkatz...«

»Jawohl, Herr Professor!«

»...dann würde ich jetzt nämlich nicht mehr hin müssen und infolgedessen auch kein Taxi brauchen. Da ich aber ein Taxi brauche, muß ich zur Universität, und da ich zur Universität muß, kann dieselbe nicht abgebrannt sein. Haben Sie das verstanden?«

»Jawohl, Herr Professor!« Und damit ist sie aus der Tür. Wir stehen vor dem Haus und frösteln, obwohl es schon wieder ziemlich heiß ist. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite entdecke ich plötzlich einen schwarzen 220er, der mir sehr bekannt vorkommt, und an seinem Steuer ein weibliches Wesen, das mir noch bekannter vorkommt. Das weibliche Wesen hat den Takt, sich nicht bemerkbar zu machen. Inzwischen kommt das Taxi. Bevor Enrico einsteigt, streckt er mir noch mal die Hand hin: »Du wirst es nicht vergessen?«

»Ich ruf’ dich nächste Woche an. Welcher Tag würde dir passen?«

»Samstag.«

»Also gut. Wenn ich nicht mehr anrufe, bist du Samstag — sagen wir mal, um halb zwölf bei uns. Zu früh?«

»Nein. Du...«

»Ja?«

»Ich bin rasend gespannt!«

»Ich auch.«

Und dann, als er weg ist, gehe ich auf die andere Seite der Straße.

»Ich hab’ dir deinen Wagen gebracht«, sagt das Frauchen, »der fährt doch ruhiger als meiner, und ich kann mir vorstellen, wie’s in deinem Magen aussieht!«

»Nett von dir, mein Kind, sehr nett. Du weißt ja, wie es bei Burghard immer zugeht, wir kommen dann in Fahrt...«

Sie rückt zur Seite, um mir das Steuer zu überlassen: »Du scheinst noch ganz schön in Fahrt zu sein.«

»Wieso?«

»Weil dir gar nicht auffällt, daß ich dich hier von Professor Zimmermann abhole!«

»Ja — was sagst du da... sehr interessant, wirklich! Woher weißt du denn das überhaupt?«

»Von Margot natürlich. Sie hat gleich heute früh bei uns! angerufen, damit wir uns keine Sorgen machten.«

»Das finde ich ausgesprochen nett. Apropos nett: nächsten! Samstag kommt Professor Zimmermann zu uns. Ein ganz reizender Kerl. Wir duzen uns übrigens.«

»Was sagst du da? Komm, laß mich mal fahren und erzähl mir derweil!«

»Nein, durch die Stadt fahre ich und erzähle dir, wenn wir auf der Autobahn sind.«

Ich tue es, und sie zeigt sich sehr besorgt. »Du, das alles hätte ich an deiner Stelle nicht getan! Du weißt, wie oft wir uns die Finger verbrannt haben, und wir haben uns doch geschworen, nie wieder Schicksal zu spielen!«

»Stimmt. Und vielleicht verbrenne ich mir jetzt noch mal die Finger. Aber es ging nicht anders, Margots wegen.«

»Weißt du, daß ich manchmal direkt eifersüchtig auf Margot ; bin?«

»Das sieht dir ähnlich, Affe. Wenn du Grund dazu hättest, würde ich ja wohl ihre Liebe nicht so verteidigen, ihre und Buddys. Übrigens — Buddy: wenn das Gespräch darauf kommt — gut, daß ich dran denke: ich habe Buddy bei meiner Unterhaltung mit Zimmermann zum Amateurboxmeister im Mittelgewicht ernannt. Wir müssen Margot und ihn auch noch verständigen und die übrigen Bentlers, damit sie dabei bleiben.«

»Na, dein Zimmermann sieht mir aber aus, als ob er mit Buddy sehr schnell fertig werden könnte! Das war doch der Professor, der in das Taxi stieg?«

»Ja«, sage ich düster, »das war er, und daran habe ich auch schon gedacht. Wir müssen eben einen Ersatz finden, der Buddys Rolle spielt. Gott sei Dank weiß Zimmermann nicht, wer Buddy ist.«

»Na, das wird ja immer schöner!« sagt sie. »Und wer soll die Rolle spielen?«

»Weiß ich noch nicht. Wird sich schon einer finden. Er braucht ja nur einmal hinten über die Bühne zu gehen, wenn Enrico da ist.«

»Enrico???«

»Ja, Enrico Zimmermann. Tut mir sehr leid, der arme Kerl. Hat sich regelrecht verknallt in Margot. Ich kann’s ihm ja nicht verdenken...«

»Hier, halte mal, Autobahn!«

Wir steigen aus, sie setzt sich ans Steuer und macht einen Kavaliersstart, daß es mich rückwärts in das Polster drückt und ich mich unwillkürlich umsehe, ob vielleicht irgendwo da hinten die Protektoren meiner Reifen stehengeblieben sind. Gleich darauf fahre ich wieder herum, denn sie überholt rasant einen Jaguar, der sofort unsere Verfolgung aufnimmt.

»Hallo«, sage ich, »schone meinen alten Herrn hier!«

Sie starrt verbissen geradeaus: »Margot! Du weißt, daß ich gar nichts gegen sie habe — aber so wie sie ist, laufen Tausende ‘rum. Und wenn du denkst, daß du mich mit deiner Angeberkiste kriegen kannst...«

»Wieso, was hat das mit Margot — ach so, das ist der Jaguar. Weißt du übrigens, daß du hundertsechzig fährst?«

»Ich fahre hundertsechzig, und du siehst, er gibt’s auf! Sie ist jugendfrisch und ganz nett anzusehen. Ich sage ganz nett, denn der Busen zum Beispiel — ich verstehe gar nicht diese ganzen Umstände, die du mit ihr machst, und vor allem dieser Zimmermann! Er könnte doch an jeder Hand zehn so kleine Mädchen haben!«

»Er könnte eben nicht. Zu wenig Zeit und zu viele Bekannte. Von dieser Sexualnot des Prominenten leben ja die Nitribitts und Konsorten. Wir haben das ganze Thema gestern gründlich durchgenommen.«

»Wo denn?«

»In seiner Bude natürlich, mein Argusauge. Und sieh bitte nach vorn, du findest nämlich doch keinen Lippenstift auf meiner Backe.«

»Morgen«, sagt das Frauchen, »kommt die Trimmerin. Es ist eine Frau Weber aus Biederstein. Reizende Frau. — Da oben erwarten uns schon Mami und Peterle am Fenster!«

Peterchen bricht beim Anblick des Wagens in ein langgezogenes Geheul aus und verschwindet vom Fenster wie weggeblasen. Dann hört man oben aus dem ersten Stock das Wä-wä-wä Weffis, und während wir auf schließen, poltert er die Treppe herunter. Peterchen hat entdeckt, daß man, wenn man sich auf die Hinterbeine stellt und ganz aufrichtet, mit dem Naschen durch den Briefschlitz schnüffeln kann, und er schnüffelt nun, um ganz sicher zu sein, daß es auch wirklich Herrchen und Frauchen sind, die nach so langer Zeit endlich heimkommen. Der Brief schlitz hat es ihm überhaupt angetan. Jeden Morgen, wenn der Briefträger die Post durchsteckt, reißt er sie ihm von innen aus der Hand. Der alte Kirmaier, das ist der Briefträger, der seit zwanzig Jahren und in Wind und Wetter die Post bringt, die gute und die schlechte, die nebensächliche und die wichtige, war beim ersten Male ganz entsetzt und klingelte Sturm, um zu sehen, was sich da von innen abgespielt hatte. Peter aber hatte einen Teil der Post bereits in Papierschnipsel verwandelt. Er bekam tüchtig eins auf den Podex, merkte sich das sofort und hat es niemals mehr versucht. Aber das Wegreißen von innen läßt er sich nicht nehmen. Er weiß ganz genau, daß wir uns darüber amüsieren. Das Frauchen hat versucht, ihn darauf zu dressieren, ihr die Post ans Bett zu bringen — aber er ist nicht für Dressur.

Im übrigen war damals unter der zerrissenen Post auch ein Brief von Tante Elisabeth, die anfragte, ob sie mit ihrer uns gänzlich unbekannten Nichte Viktoria für zwei Wochen bei uns wohnen könne. Daß sie auf diese Weise aber keine Antwort erhielt, nahm sie übel und — kam nicht. Später habe ich diese Nichte mal gesehen und wurde in meinem Grundsatz bestärkt, daß alles zu etwas gut ist. Wir erzählten Tante Elisabeth, was sich damals abgespielt hatte, aber sie glaubte uns kein Wort. Wenn man schon mal die Wahrheit sagt...