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Kapitel 14

Interview über Reisepannen
»Von Deutschen kommen die lächerlichsten Beschwerden«

Karl Born, Jahrgang 1943, arbeitete für die Fluggesellschaft Condor und für den Touristikkonzern TUI, wo er es bis in den Vorstand schaffte. Er ist Honorarprofessor an der Fachhochschule Harz in den Fächern Tourismusmanagement und Betriebswirtschaft. Seine satirischen E-Mail-Kolumnen »Borns bissige Bemerkungen« sind inzwischen wöchentliche Pflichtlektüre für alle Touristikprofis.

Frage: Herr Born, in einem Vortrag haben Sie mal gesagt: »Die Beschwerde gehört zum Urlaub wie der Eiffelturm zu Paris und das Hofbräuhaus zu München.« Sind die Deutschen nicht nur Reise-, sondern auch Beschwerdeweltmeister?

Karl Born: Die Beschwerdekultur ist in anderen Ländern offensichtlich nicht so extrem ausgeprägt wie bei uns, vor allem wenn man sieht, worüber die Leute sich beklagen. Da gibt es eine enorme Bandbreite von berechtigten Klagen bis hin zu Lächerlichkeiten. Der Anteil der lächerlichen Beschwerden ist bei den Deutschen überproportional.

Frage: Haben Sie diese Erfahrung auch als TUI-Chef gemacht?

Born: Eine Hoteldirektorin aus Teneriffa hat mir erzählt, dass es Urlauber aus anderen Ländern oft eleganter anstellen, wenn sie an ein besseres Zimmer kommen wollen. Sie sagte, dass Italiener der Mitarbeiterin Komplimente machen und sie anstrahlen, während Schweizer häufig gesundheitliche Probleme als Vorwand nennen. Deutsche dagegen kommen mit der Brechstange und sagen: »Wenn Sie das jetzt nicht ändern, dann verklage ich Sie.«

Frage: Und wer hat am meisten Erfolg?

Born: Da liegt dann Italien vor der Schweiz, und erst am Schluss wird das Problem des Deutschen bearbeitet – hat die Kollegin erzählt.

Frage: Vielleicht wissen die Deutschen einfach zu gut über ihre Rechte Bescheid.

Born: Kann sein. Das Schlimmste ist die berühmte »Frankfurter Tabelle« …

Frage: … eine Auflistung von Prozentsätzen, die für einzelne Reisemängel möglicherweise erstattet werden können.

Born: Genau. Viele sind davon überzeugt, diese Tabelle sei geltendes Recht, sie ist allerdings nur eine Orientierungshilfe für die Gerichte. Die »Bild« druckt sie jedes Jahr, diese Zeitungsseite nehmen die Leute dann mit in den Urlaub. Reiseleiter sind inzwischen schon darauf trainiert, solchen Rechenkünstlern ein wenig den Wind aus den Segeln zu nehmen. Denn die Touristen nehmen fälschlicherweise an, man könne die einzelnen Werte addieren.

Frage: Da würden ganz hübsche Summen herauskommen: Wenn die Fläche des Hotelzimmers zu klein ist, ich einen Riss in der Wand entdecke, der Wechsel der Wäsche mal nicht klappt und mein Tisch im Speiseraum nicht sauber ist, komme ich zusammengerechnet schon auf 50 Prozent Preisminderung pro Tag.

Born: Genau – und wenn ich schon bei so einem Wert bin, entwickelt sich sportlicher Ehrgeiz, auf 100 Prozent zu kommen. Aber das sind dann wirklich die absoluten Hardcore-Beschwerer, deutlich weniger als ein Prozent der Reisenden machen das. Und eigentlich sind das arme Schweine, weil sie sich damit den Urlaub verderben.

Frage: Aus Veranstaltersicht ist es allerdings ein Problem, wenn notorische Nörgler im Freundeskreis ständig von ihren Negativerfahrungen berichten.

Born: Das ist eines der ganz großen Gesprächsthemen, wenn Sie auf einer Party sind: Einer fängt an, über seinen Urlaub mit der TUI zu erzählen, wo alles Käse war, und jeder hat dann eine ähnliche Gruselgeschichte beizutragen. Diesen Effekt gibt es nur bei zwei Themen: Urlaubs- und Autopannen.

Frage: Geben Sie mir mal einen Tipp – wie muss meine Beschwerde aussehen, damit ich bei der TUI auf jeden Fall zehn Prozent kriege?

Born: Ein gewisser Wahrheitsgehalt sollte schon drin sein. Die TUI ist ein schwieriger Gegner, denn da sitzen auf der anderen Seite Profis. Die haben schon Tausende Beschwerden abgearbeitet – daher ist es relativ unwahrscheinlich, dass Sie mit einem kreativen Geistesblitz ohne gute Belege eine Reisepreisminderung kriegen. Aber nehmen wir mal an, Sie haben Bagger und Baulärm vor dem Fenster. Machen Sie ein paar Fotos und schicken Sie noch die Unterschriften von zwei anderen Reisenden mit, die Sie auch zu einer Beschwerde ermuntern – so kommen Sie schon zu Geld. Ob es immer für zehn Prozent reicht, weiß ich nicht. Wichtig ist, dass man Mängel immer sehr präzise belegt.

Frage: Gegen die TUI hat ein Kunde einen Prozess gewonnen, weil ihm die angekündigte Abenteuerreise zu normal war und nie Lebensgefahr bestanden habe – stimmt da was mit dem deutschen Reiserecht nicht?

Born: Der Mann hat tatsächlich vor Gericht argumentiert, er sei nie in Lebensgefahr gewesen. Aber Geld hat er nicht deshalb bekommen. Er gewann den Prozess, weil ein bestimmter Teil der Reise, der ziemlich abenteuerlich und aufregend sein sollte, nicht erbracht wurde.

Frage: Gab es Urlauberbeschwerden, die Sie nie vergessen werden?

Born: Einmal hat ein Tourist versucht, in Westafrika ein Krokodil zu streicheln. Das hat dann nach ihm geschnappt, ihn aber zum Glück nicht verletzt. Der Mann meinte, man hätte ihn ausdrücklich davor warnen müssen. Er ging sogar vor Gericht damit, aber der Richter hat das in fünf Minuten niedergebügelt: Es sei Allgemeinwissen, dass man ein Krokodil nicht streichelt, da brauche er jetzt keinen Sachverständigen.

Ein anderer hatte schon im Vorjahr eine Beschwerde eingereicht und aus Kulanz zehn Prozent erhalten, jetzt wollte er 20 Prozent wegen der gestiegenen Kosten. Ich überlege in solchen Fällen immer: Spinnt der tatsächlich, oder erlaubt er sich einen Scherz?