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Kapitel 3

Aus dem Alltag von Flugbegleitern
Zieh den Slater

Als im August 2010 in Steven Slater die Wut hochkocht, ahnt er noch nicht, dass er bald der berühmteste Flugbegleiter der Welt sein wird. Der 38-Jährige greift das Bordmikrofon fester und lässt seinem Frust über eine unverschämte Passagierin freien Lauf: »An alle, die mir in den letzten 20 Jahren Respekt entgegengebracht haben: Danke, es war eine tolle Zeit«, ruft er durch die Kabine. »An die Passagierin, die mich ›Motherfucker‹ genannt hat: Fuck you!«

Dann legt Slater auf dem New Yorker John-F.-Kennedy-Flughafen einen spektakulären Abgang aus seinem Job hin: Nach einem »That’s it« aktiviert er die Notrutsche am hinteren Ausgang des Jets, die in Sekundenschnelle auf die Rollbahn fällt. Noch ein lässiger Griff zum Servierwagen – und er schliddert mit Dosenbier in der Hand die Rutsche hinab. Mit seiner Flucht geht der New Yorker in die Geschichte der Luftfahrt ein: Er wird zum Symbol des Widerstandes gegen den alltäglichen Wahnsinn über den Wolken und zum Helden aller unterdrückten Arbeitnehmer. Inzwischen werden Kündigungen mit Paukenschlag sogar als »Slatern« oder »Zieh den Slater« bezeichnet.

Es war eine fatale Kette von Gemeinheiten, die den Amerikaner zum Ausrasten brachte: Der Steward hatte schon bei Beginn des Jet-Blue-Fluges 1052 in Pittsburgh um Fassung gerungen, als eine Passagierin ihn bei dem Versuch, einen überdimensionierten Koffer in das Gepäckfach zu stopfen, am Kopf verletzte. »Das war eine ziemliche Beule«, sagte er später dem TV-Sender CNN. Seine Laune wurde während des Fluges nicht besser. Als schließlich dieselbe Frau nach der Landung seine Anweisungen nicht beachtete und ihn wüst beschimpfte, war das Maß voll. Slater flüchtete – und war glücklich, als er vom Flughafen nach Hause fuhr: »Ich war endlich frei. Es war ein netter, heißer Strandtag, und ich hatte nun kaltes Dosenbier.« Immer noch lächelnd wurde er kurze Zeit später von Polizisten aus seinem Haus in Queens abgeführt.

Binnen Stunden ging die Nachricht über den »wütenden JetBlue-Steward« um die Welt. Sein Ausbruch begeisterte vor allem seine fliegenden Kollegen. Auch Susanne Schröder*, eine deutsche Flugbegleiterin mit zehn Jahren Berufserfahrung: »Wir fanden das alle toll«, schwärmt die zierliche Enddreißigerin, »jeder konnte es nachvollziehen, jeder hat so etwas erlebt, jeder hat auf Slaters Facebook-Seite ›Gefällt mir‹ gepostet.« Durch das Internet und die sozialen Netzwerke schwappte eine Welle der Sympathie. Am gleichen Tag noch formierten sich Facebook-Gruppen unter »Free Steven Slater« (35 000 Fans) und »I Support Steven Slater«. Zudem fand seine eigene Seite fast 200 000 Sympathisanten. Eine Besucherin kommentierte: »Von einem Flugbegleiter zum anderen: Du bist mein Held.«

* Name geändert

Alien an der Cockpit-Tür

Bei aller Sympathie für Slater wundert sich Susanne Schröder aber darüber, dass ihr Kollege bei solchen Kleinigkeiten ausgerastet ist. »Wir erleben jeden Tag viel Schlimmeres.« Überzogene Wünsche und respektloses Benehmen, sogar Pöbeleien, Belästigung und Randale – in Zeiten von Billigfliegern und Massenabfertigung machen manche Passagiere Flugbegleitern die Arbeit zur Hölle. An die Öffentlichkeit gelangen die Fälle meist nur, wenn die Polizei einschreiten muss. Wie etwa bei den fünf Russen, die an Bord eines Ferienfliegers aus Bangkok randaliert, geraucht und die Crew bedroht hatten. Statt in der Heimat landeten sie in einem chinesischen Gefängnis – der Pilot hatte ihretwegen einen Zwischenstopp einlegen müssen. In einem anderen Fall begann ein 27-jähriger Ukrainer im Suff auf einem Lufthansa-Flug von São Paulo nach Frankfurt zu pöbeln. Eine Gruppe von Seeleuten »kümmerte sich« um ihn – die Folge: zwei Veilchen und ein Verdacht auf Schädelbasisbruch. In den USA hielt sich ein Passagier gar für einen Außerirdischen und wollte partout den Steuerknüppel im Cockpit übernehmen. Erst mit Hilfe eines mitreisenden Rodeo-Champions konnte der »Alien« überwältigt werden.

Susanne Schröder hatte eines ihrer schlimmsten Erlebnisse auf einem Flug in den Balkan: Eine Passagierin ging mit ihren drei Kindern zur Toilette, quetschte sich mit zwei der Kleinen in die Kabine und schloss ab. Das dritte aber, das nicht weniger dringend musste, pinkelte kurzerhand auf eine Handtasche, die in der Bordküche auf dem Boden stand und einer Stewardess gehörte. Statt sich zu entschuldigen, schimpfte die Frau noch: »Ist doch Ihre eigene Schuld, wenn Sie hier nur eine Toilette haben!«

»Du brauchst dich nicht zu bedanken«

Aus unerfindlichen Gründen scheinen viele Fluggäste ihre guten Manieren am Boden zu lassen. Schröder erzählt von einem Pärchen, das vor einem Flug ab Hamburg gleich nach dem Einsteigen in der ersten Reihe Platz nahm und dann zusah, wie sich die einsteigenden Reisenden an ihnen vorbeidrängelten. Dazu motzten sie: »Machen Sie die Tür zu – es ist kalt.« Auf ihren Hinweis, dass aber noch 150 Passagiere kämen, erhielt die Stewardess als Antwort nur ein: »Das ist uns doch egal!« Allgemein beklagen Crew-Mitglieder, dass »bitte« und »danke« an Bord nur spärlich eingesetzt werden. Und manchmal nicht nur das. Als Schröder einem Mädchen ein Getränk reichte, bedankte die Kleine sich brav. Daraufhin ergriff die Mutter Erziehungsmaßnahmen: »Du brauchst dich nicht zu bedanken, das ist eine Dienstleistung.«

Medizinisch kaum beweisbar, aber auffällig ist, dass mit zunehmender Flughöhe und »dünnerer Luft« das Hirn bei so manchem Passagier langsamer arbeitet. Als Susanne Schröder auf ein Klingelzeichen hin zu einem Gast eilte und fragte: »Was möchten Sie trinken?«, antwortete der Mann: »Steht doch dran: Cola!« Die Flugbegleiterin wunderte sich und fragte, wo das denn dranstehe. Er deutete auf den Klingelknopf: »Das ist doch ein schwarzes Glas!« Schlagfertig antwortete Schröder: »Und wenn Sie auf dem Klo klingeln, gibt es Milch?«, denn dort ist der Knopf weiß. Auftragsgemäß servierte sie das Glas Cola, doch der Passagier beschwerte sich wieder: Er hätte doch zwei Gläser bestellt, »ich hab doch nicht umsonst zweimal geklingelt«.

Weniger harmlos kann es zugehen, wenn Alkohol statt Cola ins Spiel kommt. »Vor allem Männer trinken viel, um Flug-angst zu betäuben«, sagt Schröder. Im Flugzeug können auch abgehärtete Crews noch »einen ganz neuen Grad an betrunkenem Wahnsinn« erleben, wie die australische Flugbegleiterin Melissa, Mitte zwanzig, in ihrem Blog beschreibt. Dazu erzählt sie von ihrem zweiten Moskau-Flug: »Als ich die Economyklasse betrat, bot sich mir ein Bild, wie ich es noch auf keiner anderen Route je gesehen habe: eine Kabine voll mit Erbrochenem – auf den Sitzen, Tischen, auf den Toiletten –, überall, außer in den Spucktüten.« Beim Aussteigen wankten die Passagiere wie nach einer Schlacht über die Gangway: »Wir haben einen Passagier gesehen, dem sein Kumpel unter die Achselhöhlen greifen musste, um ihn hinauszutragen. Ein anderer stützte seinen fast bewusstlosen Freund, hielt ihm eine Spucktüte vors Gesicht und schleppte das Handgepäck für zwei.«

Achtung, Handy-Detektor

Bei solchen Erlebnissen wundert es wenig, dass zur Ausbildung der Flugbegleiter ein Selbstverteidigungskurs gehört. Doch da fliegende Crews oft über den berufsnotwendigen Humor verfügen, wehren sie sich auch auf kreative Weise. So verpassten Susanne Schröder und ihre Kolleginnen einem extrem nervenden Fluggast ein einmaliges Bordmenü: Sie löffelten das Essen aus der Aluschale, legten zwei Gummibärchen hinein, falteten den Metallrand wieder sorgfältig zusammen – und genossen die Verblüffung des hungrigen Passagiers.

Auch unbelehrbaren Vielfliegern, die das Handy-Verbot nicht auf sich beziehen mochten, spielte Schröder einen Streich. Da sie auf ihrem Bluetooth-Mobiltelefon und mit Hilfe der Passagierliste erkennen konnte, wer sein Handy nicht ausgeschaltet hatte, sprach sie eines Nachts Fluggäste gezielt darauf an. Dazu schwindelte sie: »Wir testen ein neues Gerät im Cockpit – aber Sie haben Glück, noch ist es nicht zugelassen.« Die erschreckten Gesichter gaben ihr Hoffnung, dass ihre kleine Lüge pädagogische Langzeitwirkung haben würde.

Ebenfalls ihren Spaß hatte die Lufthansa-Stewardess, die die Hauptrolle in einem Video auf dem Internetportal YouTube spielt: Der kurze Amateurfilm zeigt die dunkelhaarige Frau in Uniform, wie sie sich mit französischen Fluggästen eine Kissenschlacht liefert. Die kleinen weißen Kopfpolster fliegen unter Gelächter durch die Kabine, die Stimmung ist aufgekratzt. Überraschend gab es dafür sogar Beifall vom Arbeitgeber: »Wir predigen immer, dass für diese Tätigkeit an Bord ein gewisses Fingerspitzengefühl notwendig ist«, sagte ein Lufthansa-Sprecher. »Dies ist ein schöner Beleg für einen angemessenen humorigen Umgang mit den Passagieren.«

Ähnliches hatte wohl auch der philippinische Billigflieger Cebu Pacific Air im Sinn, als er seine Stewardessen ein Sicherheitsballett zum Rhythmus von Lady Gagas »Just Dance« aufführen ließ. In knappen T-Shirts schwangen sie lächelnd ihre Hüften und führten den Passagieren in einer einstudierten Choreographie vor, wie sie ihre Sicherheitsgurte richtig anlegen und die Rettungswesten aufblasen sollten. Mit dem lockeren Auftritt bediente die Airline zwar zum Ärger von Flugbegleiter-Kolleginnen das gängige Stewardess-Klischee, landete aber einen großen Werbeerfolg. Das YouTube-Video der Tanzeinlage wurde sogar häufiger angeklickt als das des rappenden Stewards von South-West, der vor einigen Jahren seine Fluggäste mit einer Sicherheitseinführung in Sprechgesang unterhielt.

Slater in Rapperpose

»Fünfhunderttausend Meilen in einer kleinen Blechbüchse / angestrengt lächeln für die unfreundlichen Leute«, rappt inzwischen auch Steven Slater über seine Erfahrungen, und zwar in einem Werbevideo für eine Handy-App. Der rundliche Exsteward stolziert darin über die Straße, das Gesicht von einer schwarzen Sweatshirtkapuze halb verdeckt, die Hände fuchteln in Rapperposen durch die Luft. »Ein Riesenkoffer, gezwängt in ein Gepäckfach / wenn da Platz wäre für so einen Mist, hätte ich es zu meiner Wohnung gemacht«, reimt er, bemüht böse guckend – bis er selber grinsen muss. Seinen Humor hat Slater offensichtlich wiedergefunden. Der New Yorker brachte seinen Prozess hinter sich und kam mit 10000 Dollar Strafe glimpflich davon. Außerdem hat er einen Vertrag für sein erstes Buch in der Tasche. Vorläufiger Titel: »Cabin Pressure« – Kabinendruck.

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Fliegen
wie Clooney

Ryan Bingham ist ein ausgebuffter Vielflieger: effizient und abgeklärt. Der Geschäftsmann, den George Clooney in dem Hollywood-Film »Up in the Air« verkörpert, hat einige Tricks auf Lager, um schneller durch die aufwendigen Checks am Flughafen zu gelangen. Vor der Sicherheitsschleuse führt er seinen Fluglehrling, die 23-jährige Natalie Keener (Anna Kendrick), in das Geheimnis der Warteschlange ein:

 

Bingham: »Passen Sie auf, dass Sie niemals hinter Leuten mit Kindern landen, so einen Buggy kriegt niemand in weniger als 20 Minuten zusammengefaltet. Alte Leute sind noch schlimmer, die haben lauter Metall im Körper und scheinen nicht darüber nachzudenken, wie wenig Zeit auf Erden ihnen noch bleibt.«

Er deutet auf arabisch aussehende Passagiere: »Noch eine Problemschlange, die werden doppelt gescreent.« Er stellt sich an: »Asiaten. Sie packen wenig ein, reisen effizient und haben eine Vorliebe für Slipper – das ist toll.«

Keener: »Das ist rassistisch!«

Bingham: »Da bin ich wie meine Mutter: Ich denke in Schubladen, das geht schneller.«