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Tagebuch Botswana

Pipipause mit Raubkatze

Auf eine Safari nach Afrika fährt man, um Tiere zu sehen. Große, gefährliche – eben solche, die man bei Bernhard Grzimek im Fernsehen kennengelernt hat und im Zoo beobachten kann, wie sie träge, ja meist regungslos hinter Wassergraben und Gitter vor sich hin vegetieren. In Afrika aber, da ist das anders. Da sind Löwe, Krokodil und Flusspferd in ihrem Element, und der besuchende Mensch sitzt oft hinter Gittern auf einem Safaribus, ähnlich regungslos wie die Tiere im Zoo, allerdings vor Ehrfurcht.

Fünf Freunde und ich wollten nun auch die »Big Five« beobachten – aber ohne Gitter. Gestählt durch »Ein Platz für Tiere« in Kindertagen, durch Biologie-Studium und unzählige Zoobesuche mieteten wir uns zwei Geländewagen mit Dachzelten und machten uns auf in das Okawango-Delta in Botswana, genauer: in den Moremi-Nationalpark, eines der, wie es im Reiseführer heißt, »schönsten und landschaftlich abwechslungsreichsten Schutzgebiete auf dem Schwarzen Kontinent«. Angekündigt waren Löwen, Leoparden, Kaffernbüffel, Elefanten und Nashörner, dazu Geparden, Hyänen und Afrikanische Wildhunde. Ein Traum!

An einem Märztag brachen wir früh in der Regionalhauptstadt Maun auf, einem lebhaften Ort in der Savanne. Nach drei Stunden überquerten wir die Nationalparkgrenze, passierten Savannen und Sümpfe und erblickten Elefanten, Giraffen und Impala-Antilopen, Geier und Wildhunde – ganz ohne Gitter vor den Augen. Als Safari-Anfänger ließen wir eine zerfetzte Giraffenleiche links liegen – Fortgeschrittene hätten sich hier die Chance auf eine Raubkatzenbegegnung wohl nicht entgehen lassen. Insgeheim waren wir sechs enttäuscht: keine Löwen, keine Leoparden!

Zweimal mussten wir uns gegenseitig unsere Vierrad-Toyotas aus Wasserlöchern auf die Pisten ziehen, ehe wir endlich unser Tagesziel erreichten: das legendäre Camp Third Bridge im Osten des Moremi-Parks. Ein einfacher Zeltplatz mit Grillstelle, außer uns war kein Mensch zu sehen. Empfangen wurden wir von einer Herde Bärenpaviane. Die recht ansehnlichen und selbstbewussten Exemplare rührten sich nicht einmal von der Stelle, wenn wir auf sie zugingen. So muss es sein, fand ich, das ist schließlich Afrika!

Etwas mulmig wurde mir aber, als ich den Reiseführer genauer las. Diese Macho-Affen hatten ihren Ruf weg: Der Autor bezeichnete sie als »unerträgliche und gefährliche Plage«, es sei schon von »aktiven Angriffen plündernder Pavianhorden auf dort rastende Gäste« berichtet worden. Und dass die Affen »beim Durchwühlen von Feuerstellen die Glut auf nahe stehende Zelte« verteilt und schon Brände ausgelöst hätten. Auch sonst schien die Wildnisidylle nicht ungetrübt: Laut Reiseführer war 1989 eine Besucherin, die im geöffneten Zelt schlief, »von Löwen aus dem Zelt gezerrt und getötet« worden!

Nur wenige Meter neben dem Zeltplatz verband eine Brücke die Ufer des Sekiri-Flusses. Am Geländer war ein »Baden verboten«-Schild angebracht. Im Führer stand wieso: Es gab an dieser Stelle schon »mehrere folgenreiche Attacken von Krokodilen auf Badende«. Weiter hieß es: »Der Platz ist berüchtigt für nächtliche Besuche von Löwen, Hyänen und anderen Tieren, die die Brücke zur Querung des Flusses nutzen.« Auf einem benachbarten Platz sei schon ein Junge einer Hyäne zum Opfer gefallen.

Mit sinkendem Entdeckermut entfachten wir an der Grillstelle ein Feuer. Aufregend war das mit der grenzen- und gitterlosen afrikanischen Natur ja schon, aber: Hatten wir im Zoo je innerhalb des Löwengeheges sitzen wollen? Einigermaßen zeitig klappten wir unsere Dachzelte auf, denn – so der Reiseführer – nach Einbruch der Dunkelheit sollte man »nicht unnötig herumlaufen«, und es war sehr dunkel. Der Gang zu Toilette und Dusche war uns allerdings verwehrt. Die fetten und nicht zu verscheuchenden Paviane hockten zähnebleckend vor den Türen, die zum Schutz vor frechen Affen vergittert sind – doch was nützt das, wenn Pavian und Klobesucher gemeinsam davorstehen?

Einer von uns, Jörg, schlug sich notgedrungen ins Gebüsch. Sekunden später ertönte ein kurzes »Oh«, ein Rascheln und ein schneller Rückzug folgten. »Mich haben plötzlich so schräggestellte, gelb leuchtende Augen angestarrt!«, sagte Jörg und verschwand über die Leiter im Dachzelt. Sollte das endlich unser lang gesuchter Löwe gewesen sein? »Es ist wie Geistergeschichten erzählen, als man klein war«, kommentierte Christian lakonisch aus seiner Zeltklappe, »mit nur einem kleinen Unterschied: Wir sind erwachsen, es ist sehr real, und es ist saugefährlich!« Manchmal können Gitter zwischen Wildnis und Mensch doch die Nerven schonen.

In dieser Nacht hatten Löwe, Krokodil und Co. Besseres zu tun, als deutsche Großstädter zu drangsalieren – und »saugefährlich « war unsere Safari natürlich nicht, es war vielmehr tief beeindruckend, Afrikas wilde Tiere beobachten zu können. Überfallen wurden wir am Ende doch noch: von Menschen auf einem schwerbewachten Zeltplatz. Sie schlugen die Fensterscheiben unserer Jeeps ein, während wir auf deren Dächern schliefen, und klauten unsere Rucksäcke. Aber das ist eine andere Geschichte.

Antje Blinda