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Tagebuch Cook-Inseln

Schnorcheln mit Jeans

Auf dem einzigen Gepäckband des winzigen Flughafens ziehen die Habseligkeiten meiner Mitreisenden vorbei. Braune Koffer, blaue Koffer, Kisten mit Lebensmitteln, dazu viele bunte Trekking-Rucksäcke, die ihre Tragesysteme von sich strecken wie tote Käfer ihre erstarrten Beine. Nach und nach leert sich die Ankunftshalle von Rarotonga, einer der Cook-Inseln in der Südsee, der Flug von Neuseeland hierher hat zweieinhalb Stunden gedauert. Zuletzt stehe ich allein am Band, denn genau ein Rucksack fehlt: meiner.

Das komme schon mal vor, versichert mir die Schalterbeamtin im hellblauen Blumen-Top mit dem Logo der Fluggesellschaft Air Rarotonga. Meistens sei das Gepäck dann in der nächsten Maschine, da solle ich mir keine Sorgen machen. Und wann kommt die? »In vier Tagen!«

Die nächsten 96 Stunden soll ich also mit dem Inhalt meines Tagesrucksacks auskommen. Ich habe keine Zahnbürste dabei und nur die Klamotten, die ich am Körper trage. Zum Beispiel schwere Goretex-Wanderschuhe und eine Jeans – was auf einer tropischen Südseeinsel mit schwülen 35 Grad Celsius Tagestemperatur etwa so angemessen ist wie ein Smoking beim Punkrock-Konzert.

Der Kleinbus des Backpackers International Hostel hupt laut, natürlich warten die anderen Gäste darauf, dass ich endlich einsteige. »No luggage?«, wundert sich der Fahrer. »Luggage in the Pacific«, sage ich, obwohl mir eigentlich nicht zum Scherzen zumute ist, denn ich schwitze wie ein Eisbär in der Sahara. Ich bilde mir ein, dass die Mitfahrenden schon jetzt die Nase rümpfen, während ich mich bis zur Rückbank durchkämpfe. Die sollen mich mal in vier Tagen riechen.

Im Internet erfahre ich, dass Passagiere in einem solchen Fall das Nötigste einkaufen können, die Kosten erstattet dann die Fluglinie. Im einzigen Supermarkt der Insel stehe ich wenig später vor einem Wühltisch voller geblümter Badeshorts in Orange und Lila und beschließe, dass eine kurze Hose vielleicht doch nicht zum »Nötigsten« gehört. Also kaufe ich eine Zahnbürste und Sonnencreme einer obskuren Marke namens »Daffodil Day«.

In den folgenden Tagen finde ich heraus, wie vielseitig so eine Jeans ist: Ob auf dem Marktplatz oder in der Kirche, beim Wandern auf den Te Manga, den mit 653 Metern höchsten Berg der Insel, und sogar beim Schnorcheln im korallenreichen Meer – überall ist das treue Stück Stoff dabei, immer wieder sorgt es für irritierte Blicke. Im Wasser bilde ich mir ein, dass selbst die knallbunten Humuhumunukunukuapua’a- Fische diesmal besonders verdutzt aus dem Schuppenkleid glupschen. Vermutlich weiß schon bald ganz Rarotonga mit seinen paar tausend Einwohnern, dass ein Deutscher über die Insel vagabundiert, der sein Gepäck verloren hat.

Der Vorteil tropischer Inseln ist, dass erst abends gewaschene und aufgehängte Socken und Unterhosen schon am nächsten Morgen trocken sind. Und dass man ein Funktionsshirt als Handtuch verwenden und zumindest tagsüber anschließend anziehen kann, ohne zu frieren. Der Nachteil tropischer Inseln besteht darin, dass man Socken am liebsten dreimal am Tag wechseln würde, wenn man in dicken Wanderschuhen herumstapft. Und dass man als Westeuropäer dringend eine gute Sonnencreme braucht. »Daffodil Day« fällt nicht in diese Kategorie, was ich daran merke, dass sich Nase und Ohren schichtweise aus meinem knallroten Gesicht verabschieden.

Am vierten Tag nach der Ankunft erlebe ich den schlimmsten Sonnenbrand meines Lebens und ein freudiges Wiedersehen: Mein Gepäck liegt tatsächlich am Flughafen. Mehr als 15 Kilo wiegt der Rucksack. Ganz schön viel unnützes Zeug.

Stephan Orth