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Kapitel 5

Bahnfahren weltweit
Delirium im Indien-Express

Wenn Züge zu spät kommen, es in den Abteilen zu heiß oder zu kalt ist und außerdem zu voll, dann wird geklagt, gejammert und gemeckert – zumindest in Deutschland. Dabei ist Bahnfahren hierzulande im Vergleich zu Flugzeug und Auto noch immer die zuverlässigste und bequemste Art des Reisens.

In fremden Ländern sollte eine Zugreise, sofern es überhaupt Gleise und Züge gibt, sogar zum Pflichtprogramm für Touristen gehören. Denn ohne Straßenstress und Navi-Probleme ist sie eine wunderbare Art, Landschaften und Leute kennenzulernen. Wenn am Fenster Savannen, schneebedeckte Berge oder Reisfelder vorbeiziehen und im Schoß der Reiseführer liegt, ist Zeit für Muße, Zeit, über die Erlebnisse der vergangenen Tage zu sinnieren und die kommenden zu planen. Und Zeit für einen Plausch mit Mitreisenden, notfalls mit Händen und Füßen.

Allerdings können Bahnfahrten auf anderen Kontinenten auch leicht zu echten Abenteuern werden – und die beginnen oft schon mit dem Fahrscheinkauf: In Indien etwa hilft nur vehementer Körpereinsatz, um ein Ticket zu ergattern, in Sri Lanka gehört auch mal ein einstündiger Plausch mit dem Bahnhofschef zum Erwerb dazu. Woanders verhilft einem gar nur ein ordentliches Bakschisch oder ein schlechter Deal auf dem Schwarzmarkt zur begehrten Fahrkarte.

Auf Schienen, die in Afrika und Asien auf vielen Strecken noch aus Kolonialzeiten stammen, gleicht die Fahrt dann wahlweise einem Trab auf einem Pferderücken oder einer Schiffsreise auf stürmischer See. In Japan oder China dagegen erwarten den Bahnreisenden einige der schnellsten Züge der Welt, so ungewöhnliche Berufe wie »Zugstopfer« und Strecken bis in die Höhen des Himalajas. Fahrgästen der Tibetbahn stehen sogar Sauerstoffspender zur Verfügung, um der Höhenkrankheit vorzubeugen. In den USA versprühen die Amtrak-Züge noch ein gewisses Johnny-Cash- und Bruce-Springsteen-Flair.

Eine überraschende Showeinlage erleben Peru-Reisende im Zug vom Machu Picchu nach Cusco. Bei ohrenbetäubender Discomusik legen Schaffner und Schaffnerin eine zackige Modenschau mit Alpakapullovern hin, die anschließend den Passagieren zum Kauf angeboten werden. Und in Burma reichen Händler an Bahnhofsstopps getrockneten Fisch durchs Fenster – der Snack baumelt dann bis zur Essenspause unverpackt am Garderobenhaken.

Auch SPIEGEL-ONLINE-Leser haben ihre Erfahrungen auf internationalen Zugstrecken gemacht – wenn auch meist eher heimatnah, wie die folgenden Anekdoten zeigen.

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Auf der Rückreise von Spanien hatte ich einen Platz in einem Liegewagen der französischen SNCF gebucht. Man konnte dort sogar einigermaßen schlafen, weshalb ich erst im Licht der ersten Dämmerung bemerkte, dass mit unserer Fahrtroute irgendetwas nicht stimmen konnte. Als ich aus meinem Fenster auf einen trübseligen französischen Bahnsteig hinausschaute, las ich zu meiner großen Überraschung, dass wir uns gerade in Saint-Dizier befanden, also auf direktem Weg nach Paris, nicht nach Straßburg, wo ich hinwollte.

Erst nach mehreren erfolglosen Anläufen zur Kontaktaufnahme erbarmte sich einer der Zugbegleiter und erwiderte auf meine Frage lapidar: »On s’est égaré.« (»Wir haben uns verfahren.«) Durch meinen Lachanfall ermutigt, erklärte er mir, dass mein Waggon in Dijon an den falschen Zug angekoppelt worden sei.

Jetzt sei man verzweifelt bemüht, uns wieder auf das rechte Gleis zu bringen. Anscheinend hatten mehrere einheimische Mitreisende nicht so verständnisvoll reagiert wie ich und dem Personal mit handfesten Konsequenzen gedroht für den Fall, dass wir den Anschlusszug der Deutschen Bahn in Straßburg verpassen sollten.

Doch dazu kam es nicht – trotz vier Stunden Verspätung. Der andere Zug hatte es geschafft, auf dem Weg vom Depot zum Bahnhof eine Kuh umzufahren. Die Räumungsarbeiten dauerten genauso lange wie unsere Geisterfahrt durch die französische Provinz. So konnten wir ohne lange Wartezeit unsere geplante Verbindung nutzen.

Andreas Herrmann, Reutlingen

Auf der Fahrt im amerikanischen Coast Starlight von Seattle nach Los Angeles wurde unser Zug wegen eines entgleisten Güterzuges auf der Hauptstrecke über die Sierra Nevada umgeleitet. Es gab einen Zwangsaufenthalt, da unser Zugführer mit der Strecke nicht vertraut war. Da wir auf einen ortskundigen Fahrer warten mussten, verbrachten wir die Nacht im Waggon auf einem Abstellgleis in der Nähe von Reno in Nevada.

Am nächsten Morgen, als wir endlich wieder fuhren, begrüßte uns der Zugchef mit den Worten: »Ladies and Gentlemen, nun die große Frage: Wo sind wir? Nun ja, ich habe keinen blassen Schimmer.« Glücklicherweise erreichte der Zug einige Stunden später wieder die Hauptstrecke.

Claus von Horstig, München

Abends bei Dunkelheit im ICE von Frankfurt nach Paris, auf halber Strecke zwischen Frankfurt und Mannheim: Ich saß mit mehreren Fahrgästen im vordersten Abteil direkt hinter der verglasten Lokführerkabine, in der man dem Zugführer bei der Arbeit zuschauen kann, und versuchte zu lesen. Doch sobald einer der Fahrgäste die Beleuchtung anschaltete, erlosch sie kurz darauf wieder. Das geschah etwa vier- oder fünfmal. Die Passagiere murmelten etwas von Wackelkontakt. Nachdem das Licht ein weiteres Mal von einem Fahrgast angeknipst worden war, legte der ICE plötzlich auf offener Strecke eine Vollbremsung hin. Die Glastür der Lokführerkabine wurde aufgerissen, und ein wütender Fahrer blaffte die Passagiere an: »Hören Sie endlich auf, das Licht immer wieder einzuschalten, wenn ich es ausgeschaltet habe. Das blendet mich nämlich, und ich kann so nicht weiterfahren!« Zack, Tür wieder zu. Der Zug fuhr nach ein paar Minuten weiter. Völlig konsterniert saßen die Fahrgäste schweigend bis Mannheim im Dunkeln und verzichteten nun auf ihre Lektüre.

Stefan Walter, Mannheim

Im Eurocity von Köln nach Amsterdam musste der niederländische Zugführer alle Ansagen in drei Sprachen machen. Das Deutsche kostete ihn dabei sehr viel Mühe. Nachdem er auf Niederländisch und Englisch mitgeteilt hatte, dass der Speisewagen wegen eines Stromausfalls außer Betrieb sei, informierte er mit folgender Durchsage die deutschsprachigen Fahrgäste: »Sehr geehrte Damen und Herren, ich muss Ihnen leider eine ernste Mitteilung machen. Im Speisewagen gab es einen schweren Unfall. Aber keine Sorge, wir werden durchkommen …« – lange Pause, irritierte bis entsetzte Gesichter bei den anwesenden Deutschen – »… mit der mobilen Minibar, wo du dich Getränke und Snacks kaufen kannst!«

Carsten Bauer, Kleve

Durchsage auf einer englischen Zugfahrt: »Ladies and Gentlemen, in Kürze erreichen wir Oxford. Allen Fahrgästen, die an Bord bleiben, verspreche ich eine wunderschöne Fahrt durch die Cotswolds. Passagiere, die uns in Oxford verlassen, bitte ich, Ali von der Dönerbude in der Cowley Road zu grüßen.«

Marek Hanusch, Hildesheim

In einem ICE von Frankfurt nach Paris kam kurz vor Kaiserslautern folgende Durchsage auf Deutsch: »Dieser Zug fährt nicht weiter bis Paris, bitte in Saarbrücken alle umsteigen!« Es folgte eine Durchsage auf Französisch, die übersetzt lautete: »Dieser Zug fährt nicht weiter bis Paris, bitte in Kaiserslautern alle umsteigen!« Hei, war das ein spaßiges Durcheinander! Hat eine Weile gedauert, bis in Kaiserslautern alle ausgestiegenen Franzosen wieder im Zug waren, der dann nach Saarbrücken weiterfuhr.

Peter Sielmann, Saarbrücken

Es ist kein Geheimnis, dass die Züge und Bahnhöfe der Österreichischen Bundesbahn in besserem Zustand sind als jene der italienischen Trenitalia. Bei der Fahrt vom österreichischen Innsbruck auf den italienischen Brenner weist die Durchsage der ÖBB dezent zweideutig darauf hin: »Wir erreichen in Kürze den Bahnhof Brenner. Bitte beachten Sie beim Aussteigen den Niveau-Unterschied zwischen Zug und Bahnsteig.«

Armin Kaser, Lüsen, Italien

Auf dem Bahnhof in Västerås in Schweden: »Meine Damen und Herren, der Intercity nach Stockholm muss leider wegen Personalmangel entfallen. Vielleicht schaffen wir es, für den nächsten Zug noch einen Schaffner aufzutreiben. Danke für die Geduld.«

Kristoffer S., Stockholm, Schweden

Ich war in Zürich in den ICE nach Hamburg eingestiegen, der dann mit etwa fünf Minuten Verspätung losfuhr – allerdings im Schneckentempo. Nach einem kurzen unplanmäßigen Halt an der nächsten S-Bahn-Station kam die Durchsage: »Befindet sich zufällig ein Lokführer an Bord?« Das verursachte bei den Fahrgästen ein nervöses Lachen. Wir kamen dann etwa 15 Minuten verspätet in Basel an. Dort schien ein Lokführer zugestiegen zu sein, da es anschließend ohne weitere Verzögerung weiterging.

Stephan Huxol, Winterthur, Schweiz

Auf einer Zugfahrt von Münster nach Amsterdam sagte die deutsche Zugbegleitung die nächsten Haltestellen in barschem Befehlston an: »Nächster Halt: SALZBERGEN!!!« – »Nächster Halt: BAD BENTHEIM!!!« In Bad Bentheim übernahm dann die niederländische Crew, und kurz vor der Grenze gab es einen weiteren Halt. Im fröhlichsten Singsang kam mit deutlich niederländischem Akzent die Durchsage: »Meine liebsten Damen und Herrens, wir haben einen planmäßigen Halt von zehn Minuten. Diese Pause können Sie gerne dazu nutzen, den Zug zu verlassen, um ein Zigarettken zu smoken oder draußen rumzuhoppen! Aber bitte achten Sie darauf, rechtzeitig wieder einzusteigen, sonst müssen wir ohne Sie weiterfahren.« Diese Durchsage wurde dann noch auf Englisch und Niederländisch wiederholt. Die Passagiere krümmten sich vor Lachen, und mit einem Mal herrschte eine deutlich gelöstere Stimmung. Der Urlaub konnte beginnen.

Jörg von Uhlenbruch, Münster

Im TGV von Straßburg nach Paris, irgendwann am frühen Morgen an einem kalten, verschneiten Februartag 2009: Der Zug hielt auf freier Strecke, kurz danach gab es eine schier endlose Erläuterung auf Französisch, warum man sich nun ein wenig gedulden müsse. Die anschließende Durchsage auf Englisch war erheblich knapper: »Ladies and Gentlemen, the train has stopped!«

Andreas Wett, Freiburg

In Schweden gibt es mehrere Bahngesellschaften. Der Schaffner war vermutlich gerade von Tågkompaniet zur ehemaligen Staatsbahn SJ (Statens Järnvägar) gewechselt, denn er sagte: »Meine Damen und Herren, wir erreichen jetzt Mjölby. Danke, dass Sie mit Tågkompaniet gefahren sind!« Aus dem Hintergrund ertönte ein Zuruf an den Ansager, der sich dann korrigierte: »Ich höre gerade, dass wir gar nicht Tågkompaniet sind, sondern SJ. Bitte nicht übelnehmen, die anderen machen halt auch in Zügen.«

Kristoffer S., Stockholm, Schweden

Zum Ende einer Indien-Rundreise wollte ich mit meinem Freund Jack von Khajuraho, das für seine Tempel mit expliziten Kamasutra-Darstellungen berühmt ist, nach Delhi fahren. Im Reisebüro erfuhren wir schon einige Tage vorher, dass der Zug in die Hauptstadt ausgebucht war, wir konnten aber noch ein »Warteliste«-Ticket kaufen. Darauf steht eine Nummer, und wenn man Glück hat, stornieren genug Leute ihre Reise, so dass man doch noch mitfahren kann. Ein verrücktes System, das dafür sorgt, dass die Passagierzüge immer voll sind. Wir hatten die Nummern zehn und elf, der Mann im Reisebüro versprach uns eine 95-prozentige Chance, dass die später in »echte« Tickets umgewandelt würden.

Als wir jedoch am Reisetag bei ihm anriefen, sagte er, wir seien nur bis auf Rang drei und vier vorgerückt, was bedeutete, dass wir kein Zugticket hatten. Es gab aber noch eine andere Möglichkeit: Am neugebauten Bahnhof von Khajuraho stellten wir uns in der enorm langen Schlange für Fahrkarten in der »Viehklasse« an – das sind spartanisch eingerichtete Waggons mit Holzbänken, in denen sich die Fahrgäste wie Sardinen in der Büchse nebeneinanderquetschen.

Zunächst gab es zwei Schlangen, eine für Männer, eine für Frauen. Doch dann machte der Mitarbeiter am Frauen-Schalter Feierabend, und es entstand ein unglaubliches Gedränge. Pro Woche fahren nur zwei Züge nach Delhi, entsprechend groß war die Angst der Leute, beim Ticket-Verkauf leer auszugehen. Verzweifelt drängelten sie sich zu der Scheibe und drückten Banknoten durch die Öffnung. Ein Polizist prügelte mit einem Stock auf Menschen ein, die sich zu dreist vorgedrängelt hatten.

Schließlich waren wir an der Reihe, für 270 Rupien (etwa 4,50 Euro) kauften wir zwei Tickets für die 600-Kilometer-Fahrt, kein schlechter Preis. Am Bahnsteig trafen wir zwei Touristen aus Polen und Frankreich, die ebenfalls nur Karten für die schlechteste Klasse ergattert hatten. Sie waren Bahnfahr-Profis und erklärten, dass es möglich sei, sich ins Schlafabteil einzuschleichen und dort andere Fahrgäste zu bitten, ob man auf dem Boden zwischen den Liegen schlafen könne. Wir gingen also in einen der Großraum-Schlafwagen und freundeten uns mit einer indischen Familie an, die uns erlaubte, bei ihr zu sitzen.

Wir waren nicht die einzigen zusätzlichen Gäste in dem Waggon, an die hundert Passagiere drängelten sich in Gang und Türbereich, um nicht in der Holzklasse fahren zu müssen.

Um 18 Uhr schließlich rumpelte der Zug langsam aus dem Bahnhof heraus.

Bald begannen unsere neuen Freunde, ihre Sitze herunterzuklappen – aus je vier Sitzplätzen wurde eine Schlafgelegenheit. Jack hatte in einer Ecke noch eine Liege erspäht, die niemandem zu gehören schien. Also beschlossen wir, die etwa 1,80 Meter mal 60 Zentimeter gemeinsam zu nutzen, Kopf an Fuß. Da kriegt man jede Bewegung des anderen mit, und nicht nur das: Jacks Füße rochen nicht besonders gut. Die Neonlampen waren immer noch an, und es schien so, als hätte sich die Mehrzahl der Fahrgäste entschlossen, bis spät in die Nacht zu reden.

Richtig unangenehm wurde es, als mein Magen zu rumoren begann. Das erlebt man in Indien häufig, meistens hat man am nächsten Tag Durchfall. Diesmal dauerte das leider nicht so lange, ich brauchte dringend ein Klo. Der Weg dorthin war von einem Teppich aus Menschen versperrt, mit der Zeit waren immer mehr zugestiegen. Wie ein Affe hangelte ich mich an den Metallträgern entlang, an denen die Liegen befestigt sind. Nur manchmal fand mein Fuß Platz auf dem Boden zwischen diversen Köpfen und Gliedmaßen. Die Anstrengungen einer solchen Klettertour sind nicht unbedingt förderlich, wenn man krampfhaft versucht, seine Verdauung zu bändigen, damit nicht unterwegs eine Katastrophe passiert.

An die Klotür hatte sich eine ganze Familie gelehnt und döste vor sich hin. Nur zögernd ließen sie mich passieren, doch die Freude darüber währte nur kurz: In dem Örtchen kam mir unmittelbar eine Szene aus dem Film »Trainspotting« in den Sinn, wo Ewan McGregor durch »Schottlands schlimmste Toilette« tauchen muss, um ein Paket voller Drogen zu retten. Das Loch im Boden vor mir hätte gewiss die Bezeichnung »schlimmste Toilette der Welt« verdient. Ich will nicht zu sehr ins Detail gehen, aber Gestank und Dreck waren unerträglich, und es gab weder Klopapier noch Seife. Ich beschloss, doch nicht so dringend zu müssen, obwohl jede Erschütterung des Zuges mein Problem bestätigte.

Ich mühte mich zurück zu meinem Platz, schluckte zwei Imodium und kletterte wieder zu Jack auf die Liege. Seine Gesichtsfarbe war ein milchiges Grün, auch ihm war hundeelend. Das musste an den Lassis liegen, die wir in der Stadt getrunken hatten. Ich hatte nur einen Schluck genommen und direkt gemerkt, dass der ungenießbar war, doch Jack hatte heldenhaft noch das halbe Glas geleert, bevor auch er aufgab. Das rächte sich jetzt.

Als wir um 4 Uhr morgens Agra erreichten, hatten wir noch keine Minute geschlafen. Ein zugestiegener Mann kam auf uns zu und wedelte mit seinem Ticket: Wir lagen auf seiner Schlaf-liege. Doch anstatt uns zu verscheuchen, bot er an, uns den Platz für 600 Rupien (10 Euro) zu verkaufen. Ich willigte sofort ein.

Eigentlich sollten wir den Hazra-Nizamuddin-Bahnhof in Delhi um 5 Uhr erreichen, doch der Zug blieb ständig auf der Strecke stehen, und erst um 9 Uhr näherten wir uns allmählich der Stadt. Als wir endlich ausstiegen, hatte Jack Fieber und sah aus wie ein Geist. Wir brauchten mehrere Tage, um wieder fit zu werden.

Früher hatten Schlafwagen für mich immer etwas Glamouröses, ganz im Gegensatz zu Reisebussen und Flugzeugen. Ich dachte dann an James Bond, wie er die Abteiltür abschließt, um eine romantische Nacht mit einer slawischen Schönheit zu verbringen. Doch nach dieser Fahrt werde ich bei Schlafwagen immer nur an diese Horrorfahrt denken: an 14 Stunden im 2447A-Khajuraho-Nizamuddin-Express nach Delhi.

Howard Johnson, London, England

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Schlaflos mit
Bettwanze

Sie ist nur wenige Millimeter groß, birnenförmig, papierdünn, und ihr Stich juckt gewaltig: Die Bettwanze, von Fachleuten Cimex lectularius genannt, liebt Menschenblut und ist der Alptraum von Reisenden und Hoteliers weltweit – ob im Sterne-Haus, in der Backpacker-Unterkunft oder sogar im Zug. Die kosmopolitischen Krabbeltiere kommen in der Nacht unter Matratzen hervor, aus Steckdosen, Tapeten, Teppichen, Koffern, stechen zu und verkriechen sich wieder. Beim Saugen sondern sie ein Sekret ab, das zu der extrem juckenden Hautreaktion führt und Allergien und Schlafstörungen auslösen kann.

Wie merkt man, ob ein Hotelzimmer verseucht ist?

Scharfe Augen erkennen vielleicht den Kot als kleine schwarze Punkte auf Tapete und Bettrahmen und Blutspuren auf der Bettwäsche. Untrüglich sind die Anzeichen nach der ersten Nacht: Es juckt, und das meist eine Woche lang. Die Stiche liegen oft dicht beieinander.

Was hilft, wenn man gestochen wurde? Alles, was auch bei Mückenstichen hilft: Antihistamin-Salben, eventuell auch Hydrocortison.

Gibt es Bettwanzen auch in deutschen Hotels? Ja. Zwar gilt zurzeit New York als Hochburg der Cimex-Verseuchung, aber der Befall nimmt weltweit zu. Der Deutsche Schädlings-bekämpfer-Verband spricht hierzulande von einem starken Anstieg seit 2005.

Warum nimmt die Wanzenplage zu? Da immer mehr gereist wird und durch das Internet der Handel mit gebrauchten Möbeln und Kleidung zugenommen hat, sind die Parasiten extrem mobil geworden. Außerdem sind sie Überlebenskünstler: Die zähen Winzlinge können bis zu 40 Wochen ohne Nahrung auskommen, die Weibchen legen pro Tag bis zu zwölf Eier.

Was tun die Hotels? Auch die gepflegtesten Unterkünfte können von den Wanzen befallen werden, und dann hilft selbst eine gründliche Zimmerreinigung nicht mehr: Die Hoteliers müssen professionelle Schädlingsbekämpfer kommen lassen. Manche tauschen prophylaktisch Holz- gegen Metallbetten aus, in der Hoffnung, dass die Wanzen das kalte Metall nicht mögen.