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Tagebuch Kapverden

Hexe auf Kakerlakenjagd

Häufig kommen die besten Tipps für Besucher von Einheimischen. Doch manchmal ist ein gewisses Misstrauen absolut berechtigt. Zum Beispiel, wenn auf den Kapverdischen Inseln der freundlich lächelnde Einheimische nach einleitenden Worten wie »Where are you from? Aaah, Germany, very nice country, my uncle lives in Stuttgart, allesklaa?« zügig zur Sache kommt: »Today I have special price, I can organize nice tour, do you want to see my shop?« Oder wenn er sich auf offener Straße einen Faustkampf mit einem Konkurrenten liefert, der ebenfalls »very good prices, my friend, allesklaa« anzubieten hat.

Wenn jedoch alle Hotels in São Filipe auf der Insel Fogo entweder zu teuer oder ausgebucht sind, ist irgendwann jede Empfehlung recht, selbst von einem geschäftstüchtigen Gute-Laune-Paket mit zwei Handys in der Hand und Dollarzeichenin den Augen.

»I know very good hotel, nice sea view«, versichert der Strahlemann im Hawaiihemd, der sich als Juan vorstellt. Anscheinend meint er, sich durch den Sieg im Boxkampf das Recht erstritten zu haben, mich für die nächsten Stunden zu begleiten. Nun gut, was habe ich zu verlieren? Ein paar Schweißtropfen auf dem Weg, weil hier tropische Temperaturen herrschen. Also, hinspaziert zum Hotel: Zumindest von außen sieht das Haus ganz passabel aus, verdächtig leer ist nur das Fischrestaurant im Erdgeschoss.

Mister Strahlemann verzieht sich kurz zu einer konspirativen Unterredung mit dem Hotelbesitzer hinter die Bar, dann kommt er – breit grinsend – zurück. »My friend, hier gibt es ein tolles Zimmer.« Super, kann ich es sehen? »Setz dich doch erst mal und trink was. No stress. Ten minutes.« An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass in der Kreolsprache der stressfreien Kapverden der Begriff »ten minutes« eine Zeitspanne umfasst, die irgendwo zwischen zwanzig Minuten und zwei Tagen liegt.

In zwei Tagen wäre ich gern schon drei Inseln weiter, deshalb frage ich zwanzig Minuten später, was nun mit dem Zimmer sei. »Noch besetzt«, sagt der nun dazugekommene Hotelchef, »ten minutes.«

Ich lasse den Rucksack da und erkunde die Stadt, komme nach drei Stunden wieder. Ob jetzt das Zimmer frei ist? Zehn Minuten später, die wie eine Ewigkeit erscheinen, wedelt der Chef strahlend mit einem Schlüssel. »Very good room«, versichert er.

Er deutet außen um das Hotel herum. Im Tiefparterre liegt das Zimmer an einer Terrasse, die nur durch eine schwere Metalltür zugänglich ist. Ob es ein schönes Zimmer ist, lässt sich zunächst schwer sagen, denn Boden und Bett sind mit Socken, Hosen, Damenschlüpfern und Koffern bedeckt, und aus der Dusche hört man Wasser herabbrausen.

Ich laufe zurück zum Hotelchef und gebe ihm zu verstehen, dass ich das Zimmer gerne für mich allein hätte. »Die müssten längst draußen sein, so eine Frechheit!« Also noch mal in die Stadt, mehr Zeit vertrödeln, ich gehe was essen, schon wird es dunkel draußen. Ten minutes später (diesmal etwa zwei Stunden) ist das Zimmer bezugsfertig. Zumindest in dem Sinne, dass keine gebrauchte Wäsche mehr herumliegt.

Dafür liegt jetzt jemand anders herum. Schwarz, daumengroß, wissenschaftlicher Name: Blatta orientalis. Als Willkommensgruß wedelt die Kakerlake mit ihren Fühlern, vermutlich signalisiert sie damit ihren Cousins und Freunden unter Bett und Stühlen, dass es was zu erschrecken gibt. Plötzlich scheint jede strategisch wichtige Stelle im Zimmer – Siebziger-Jahre-Vorhang, Oma-Nachttisch, Klotür – von einem fühlerwedelnden Kakerlakenposten bewacht zu werden. Dass auf dem Boden auch ein paar tote Exemplare alle sechse von sich strecken, ist kein Trost.

Also noch einmal in die Bar, jetzt ist nur noch die etwa zehnjährige Tochter des Hauses wach. Sie versteht kein Englisch, aber mit dem Wort »insect«, einer pantomimisch vorgetragenen Größenangabe und meinem schreckverzerrten Gesicht kann sie etwas anfangen. Sie weckt ihre Mutter. Die ältere Frau mit buntem Kopftuch stapft mit kreolischen Flüchen auf den Lippen und einem nach Völkerkundemuseum aussehenden Besen in der Hand den Weg zur Terrasse hinab und betritt das Zimmer des sechsbeinigen Grauens.

Ich habe einmal gelernt, dass man Kakerlaken auf diverse Arten töten kann, nur lieber nicht durch einen kräftigen Schlag, weil sie dann noch Eier verlieren und so den Fortbestand ihrer Dynastie sichern könnten. Leider hat sich diese Erkenntnis der Kakerlakenbekämpfungsforschung noch nicht bis zu der Hexenkopftuchputzfrau herumgesprochen. Sie schlägt so fest mit dem Besen zu, dass sich kleine Splitter aus dem Boden lösen und der Putz von der Decke rieselt. Einige Kakerlakenkadaver werden bei diesem Massaker meterweit fortgeschleudert. Die Tochter hüpft die ganze Zeit aufgeregt durchs Zimmer, endlich passiert in dem Kaff mal was, und lacht sich schlapp.

Eine Stunde später liege ich endlich im Bett und überlege, wie viele Eier pro Quadratmeter mich gerade umgeben und was »Zimmerpreisrückerstattung« auf Kapverdisch heißt. Im Traum schlage ich mit einem uralten Besen auf insektengroße Touristenabzocker in Hawaiihemden ein, die rennen und fliehen und brüllen: »No stress! Allesklaa! Ten Minutes!«

Stephan Orth