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Tagebuch Japan

Ein Bus, zwei Idioten

Was für ein Idiot, ist mein erster Gedanke, als der etwa 50-jährige Mann vom Ausgang seines Hotels zur Bushaltestelle spaziert. Wir sind in einem Kurort mit heißen Bädern irgendwo in der japanischen Provinz. »You are also not from here, what?«, begrüßt er mich. Zweifarbige Designerbrille in Gelblila (!) mit kreisrunden Gläsern, hellgrüner Koffer, kariertes Hemd – seine modische Erscheinung ist ähnlich gewöhnungsbedürftig wie sein holpriges Englisch.

Der Mann ist Holländer, aus der Nähe von Amsterdam, und hat momentan große Angst, in den falschen Bus zu steigen. Er klammert sich an einen hellgrünen Wisch aus dünnem Papier, auf den sein Reiseveranstalter die Route gedruckt hat. »Even bus drivers don’t speak English sometimes!«, ereifert er sich. Um die tatsächliche Dramatik der Situation zu veranschaulichen, muss erwähnt werden, dass es hier lediglich zwei Buslinien gibt und dass ein paar Meter entfernt eine Hotelmitarbeiterin steht, die über das nächste Ziel des Holländers informiert ist.

Bald fährt ein Bus vor. Der Tourist blickt hilfesuchend zu der Hotelangestellten. Sie nickt so geduldig, wie das nur japanische Servicemitarbeiter im Umgang mit westlichen Reiseamateuren vermögen. Erleichtert steigt er ein, ich folge ihm in den Bus.

Er sitzt eine Reihe hinter mir. Jetzt hat er Angst, seinen Zielort zu verpassen. Obwohl eine Frauenstimme vom Band jeden Halt zweimal mit wirklich deutlicher Stimme ansagt. Kann man eigentlich nicht überhören. Außer wenn man mit einem übergroßen Kopfhörer in beträchtlicher Lautstärke indische Meditationsmusik hört wie der Mann aus »also not from here «. Nach zweieinhalb Haltestellen läuft er nach vorne, dabei stolpert er mitten im Gang, und seine rudernden Arme fügen beinahe mehreren anderen Fahrgästen schwere Kopftreffer zu. Beim Fahrer angekommen, zeigt er aufgeregt auf seinen Zettel und sagt so was wie: »I must exit this!«

Super, jetzt weiß wirklich der ganze Bus, dass hier jemand schon mit einer Busfahrt von A nach B überfordert ist. Und ich bin der einzige andere Westler in dem Fahrzeug, sicher denken alle, ich gehöre dazu. So fühlt sich Fremdschämen an.

Der Fahrer bittet den hysterischen Holländer mit geradezu väterlicher Geste, in der ersten Reihe Platz zu nehmen. Eine halbe Stunde später deutet er zur Tür, die Haltestelle »Kami Kochio« ist erreicht, und der Holländer steigt aus. Puh, endlich kann ich die Aussicht genießen, ohne mich weiter über den Mann ärgern zu müssen.

Die Dörfer werden immer kleiner, die Sitzreihen immer leerer. Eigentlich seltsam, schließlich bin ich auf dem Weg nach Takayama, das ist die größte Stadt der Region. Ich gehe nach vorne (stolperfrei) und sage: »Konichi-wa – Takayama?« Der Fahrer blickt mich völlig entgeistert an und sagt: »Iie, iie!« (»Nein, nein!«).

So ein Mist: Ich sitze seit zwei Stunden im falschen Bus.

Stephan Orth