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Tagebuch Laos

Per Wasserrakete ins Opiumdorf

Was ist ein héua wái? Wörtlich aus dem Laotischen übersetzt heißt das »schnelles Boot«, Touristen kennen es als Speedboat. Vor Ort entpuppt es sich als ein motorisierter Bretterhaufen, der mit bis zu 60 km/h über südostasiatische Gewässer rast. »Auf die Benutzung der Schnellboote sollte verzichtet werden «, rät das Auswärtige Amt auf seiner Internetseite. Doch wer liest das schon in einem kleinen Ort im thailändisch-laotischen Grenzgebiet am Mekong?

In Chiang Khong in Thailand diskutieren meine Reisepartnerin Heike und ich, wie wir wohl am besten nach Muang Sing im regenwaldreichen Norden von Laos gelangen. Dort wollen wir bei einer einheimischen Kooperative eine Trekkingtour in den Nam-Ha-Nationalpark buchen. Doch so abgelegen der Ort ist, so vage sind die Angaben zu möglichen Transportmitteln, die wir in dem thailändischen Grenzort erhalten. Am besten erscheint uns ein Angebot, bei dem Fähre, Minivan, Speedboat und Pick-up zum Einsatz kommen sollen. Kompliziert, aber mit einem Tag Reisezeit dreimal so schnell wie die langsamere Alternative – und die teuflischen héua wái haben wir ja noch nicht kennengelernt.

Leichte Panik ergreift mich erst, als wir nach staubiger Autofahrt unser Boot erblicken: ein rund ein Meter breiter und fünf Meter langer Rumpf mit ein paar Sitzbrettern und einem gigantischen schwarzen Außenborder. Ganz nach behördlicher Vorschrift stattet der Kapitän uns mit Helmen samt Plastikvisier und mit knallgelben Rettungswesten aus, dann stellt er einen Kanister mit Benzin hinter uns, hängt einen Ansaugschlauch hinein – und startet den Motor: Der Keilriemen setzt sich in Bewegung, und aus dem doppelrohrigen Auspuff ohne Schalldämpfer ertönt ohrenbetäubendes, auch nicht durch Ohrstöpsel zu filterndes Gebrüll.

Bald wird das Speedboat rasend schnell, hart knallt es wirbelstauchend auf den Wellen auf. Den Antrieb identifiziert seine Aufschrift »4A-GE« als Vierzylinder-Ottomotor mit 16-Ventil-Technik von Toyota. Das ist ein Automotor, der »auch erfolgreich im Motorsport eingesetzt wurde«, wie Wikipedia schreibt. Mit dieser Wasserrakete unter dem Hintern sausen wir den Mekong hinauf, vorbei an goldenen Buddha-Statuen und Pfahlbauten, an tiefgrünem Dschungelgewirr und an bizarren Felsformationen, die weit in den Fluss reichen. Hier ist also das Goldene Dreieck, zwischen Burma, Thailand und Laos, berüchtigt durch seine Opiumproduktion und in den siebziger Jahren überlaufen von Drogensüchtigen aus dem Westen.

Dieses Goldene Dreieck verpesten wir Pseudo-Ökotouristen nun mit unserem Lärm und Gestank. Bei besonders schmerzenden Schlägen auf die Bandscheibe schicke ich eine Entschuldigung an die Akha, Hmong und Khmu in ihren Dörfern, an die Tiger, Malaienbären, Gaur und Elefanten in ihrem Wald (die wahrscheinlich längst abgehärtet gegen den täglichen Lärm sind) – und kralle mich am Bootsrand fest. Auch Heike ist stumm, ein Gespräch wäre sowieso nicht möglich. Plötzlich ist es still. Sind meine Trommelfelle gerissen? Nein, 4A-GE hat sich mit einem Rülpser verabschiedet. Der Laoten-Käpt’n nimmt Schraubenschlüssel und Zange, krabbelt über seinen Motor und fängt an zu basteln.

Das steuerlose héua wái dreht sich im schnellen Strom, stellt sich quer – immer näher kommen die Felsen, die jetzt in der Trockenzeit auch knapp unter der Wasseroberfläche lauern. Ein klappriger, doppelstöckiger Holzfrachter mit chinesischer Aufschrift will vorbei. Ich klappe mein Plastikvisier herunter, ziehe die Rettungsweste enger und klammere mich fester an die Reling. Nach endlosen fünf Minuten brüllt der Rennmotor wieder auf, die Gefahr ist gebannt. Ein Mann mit rotem Käppi winkt am Ufer, ein Anhalter am Mekong-Highway. Wir nehmen ihn mit, und von ihm lerne ich, dass man sich bei jeder Welle mit den Armen am Bootsrand hochstützen muss, um einem Rückgratbruch vorzubeugen: Speedboat-Gymnastik für Fortgeschrittene.

Immer schmaler wird der Fluss, immer höher die Felsen, immer dichter der Dschungel – und wir haben in zweieinhalb statt vier Stunden unser erstes Ziel Xieng Kok erreicht, den nördlichsten am Mekong gelegenen laotischen Ort. Früher war der Hafen traditionelle Verladestelle für Opium, am Ufer wurde die Droge in bis zu acht Raffinerien aufbereitet. Heute legen nur noch Frachter aus der chinesischen Provinz Yunnan an. Noch immer aber soll Xieng Kok als Umschlagplatz für Opium, Heroin und Amphetamine funktionieren – trotz der rigiden Antidrogenpolitik in Laos und Thailand.

Für uns ist das staubige, kleine, hässliche, opiumverseuchte Xieng Kok das Paradies. In erholsamer Stille krabbeln wir erleichtert aus dem Kahn ans rettende Ufer. Wegen unserer ertaubten Ohren wird es noch etwas dauern, bis wir uns wieder verständigen können. Und es ist auch (fast) gar nicht schlimm, dass der gebuchte und teuer bezahlte Pick-up nach Muang Sing sich nicht blicken lässt. Es stört uns sogar kaum, dass wir in dieser Einöde viele Dollar extra für eine Fahrgelegenheit zahlen müssen. Nach der Höllenfahrt auf dem Mekong genießen wir in einem Minivan die Aussicht: auf die kegelförmigen Berge im Abendlicht, auf die reichgeschmückten Akha-Frauen, auf die Regenwald-Riesenbäume. Der Dieselmotor tuckert. So schön still hier.

Antje Blinda