Vorwort

Wer nach Indien will, stattdessen aber zunächst auf den Bahamas und dann in der Dominikanischen Republik landet, würde heutzutage vom Reiseveranstalter sein Geld zurückfordern. Vielleicht würde er vor dem Weiterflug noch ein paar Tage all-inclusive in der Karibik auf Kosten des Unternehmens aushandeln. Und sich am berühmten Strand von Cabarete in der Sonne von dem Schock erholen.

Als jedoch einem 41-jährigen Italiener und seinen Dutzenden Begleitern diese Reisepanne widerfuhr, gab es drei Gründe, nicht bei TUI oder Neckermann anzurufen und die Beschwerdeabteilung zu verlangen. Erstens war er für die Navigation selber zuständig gewesen. Zweitens war er überzeugt, tatsächlich auf einer Insel vor Indien gelandet zu sein. Und drittens gab es TUI und Neckermann zu seiner Zeit ebenso wenig wie Telefone.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die folgenschwerste Reisepanne aller Zeiten von dem Betroffenen nie als solche wahrgenommen wurde. Christoph Kolumbus glaubte bis an sein Lebensende, dass er mit seiner Landung auf den Bahamas im Oktober 1492 den westlichen Seeweg nach Indien entdeckt hatte.

Und natürlich fühlt es sich nicht wie eine Panne an, wenn man nach Wochen auf dem Meer mit einer demoralisierten Crew, nach 6 000 beschwerlichen Seekilometern mit ungewissem Ziel eine paradiesische Karibikinsel erreicht. Sie war fast so schön wie »Kastilien im Mai«, wie Kolumbus später sagte.

Heute gibt es GPS-Navigation, präzise Weltkarten und Google Maps auf dem Handy – größere Irrfahrten sollten damit eigentlich der Vergangenheit angehören. Eigentlich.

Valerio Torresi, ebenfalls aus Italien, verfehlte im Juli 2010 per Flugzeug sein Reiseziel um 17 000 Kilometer – noch mehr als die Entfernung zwischen den Bahamas und Indien. Statt in Sydney im australischen Bundesstaat New South Wales (Abkürzung NSW) landete der 26-Jährige mit seiner Freundin in Sydney im kanadischen Nova Scotia (NS). Ein Reisebüromitarbeiter hatte sich bei der Buchung vertippt.

Die beiden Italiener, die zum ersten Mal außerhalb von Europa unterwegs waren, dachten bei der Landung zunächst, es handle sich um einen Zwischenstopp. Dann merkten sie, dass sie am Ziel angelangt waren. »Meine erste Reaktion war Angst«, sagt Torresi. »Die zweite Reaktion war: ›Nein, das ist ein Witz!‹«

Kolumbus wurde von den Taíno-Ureinwohnern zunächst freundlich empfangen, auch Torresi und seine Freundin wurden schnell zu lokalen Berühmtheiten. Die Zeitung bezahlte dem Paar zwei Hotelübernachtungen und ein feines Hummer-Abendessen, sie bekamen eine Gratisführung zu den Sehenswürdigkeiten des 24 000-Einwohner-Kaffs. Immerhin gibt es dort die angeblich größte Geigenskulptur der Welt, mehr als zehn Meter ist sie hoch. »Ich finde, das ist ein schöner Ort, und es ist toll, das kanadische Leben kennenzulernen«, war Torresis Fazit.

Dies sind nur zwei Beispiele dafür, dass beim Unterwegs-sein Pannen ein gutes Ende finden können. Die Kunst besteht darin, auch unerwartete Wendungen des Schicksals zu akzeptieren – und mit Improvisationsbereitschaft das Beste daraus zu machen. Nennen wir es mal den »Torresi-Faktor« des Reisens: Die unvergesslichsten Erlebnisse sind oft diejenigen, die man vorher nicht geplant hatte.

Wer würde noch Jahre später von seinem gelungenen Urlaub auf Mallorca berichten – als das Wetter stimmte, das Hotel angenehm und das Essen gut war? Selbst die Erinnerung an den grandiosen Sonnenuntergang an einem Karibik-Traumstrand verblasst irgendwann.

Valerio Torresi und seine Freundin dagegen werden die Anekdote von ihrem unfreiwilligen Abstecher nach Nova Scotia wohl noch im Rentenalter zum Besten geben. Und auch die im isländischen Vulkanasche-Chaos im April 2010 ausgebremsten Flugpassagiere werden noch Jahre später von den Odysseen zu ihren Reisezielen berichten.

Wer weiß schon, wie viele Ehen das Luftverkehrsdesaster gestiftet hat, da hier Fremde miteinander litten und einander nahekamen? So manche Freundschaft fürs Leben kann entstanden sein, als Griechenland im Generalstreik versank und weder Bus noch Fähre fuhren – und der nette Einheimische mit seinem Auto aushalf. Mitreisende, Land und fremde Kulturen lernt man besser kennen, wenn die normale Touristeninfrastruktur versagt.

Daher wollen wir an dieser Stelle eine Lanze für die Urlaubspanne brechen. Denn solange es sich nicht um einen schlimmen Fall für die Reiseversicherung handelt, kann Scheitern auch eine Chance sein: Man muss nicht gleich den Lauf der Weltgeschichte verändern, weil man aus Versehen Amerika entdeckt wie der Reisepannenkönig Kolumbus. Auch im Kleinen können Missgeschicke mehr Gutes mit sich bringen als nur den Stoff für eindrucksvolle Abenteuerberichte bei der nächsten Party.

Damit Sie allerdings unterwegs nicht jeden erdenklichen Horror selber erleben müssen, um für den Urlaubspannen-Smalltalk gerüstet zu sein, gibt es nun dieses Buch. »Sorry, Ihr Hotel ist abgebrannt« ist ein Reiseführer der besonderen Art, ein Handbuch, das anhand von lustigen oder skurrilen Erlebnissen und Berichten durch die Untiefen des Abenteuers Urlaub lotst.

Statt wie der Lonely Planet oder Baedeker vor bissigen Haien in Australien zu warnen, lassen wir die Extremkajakfahrerin Freya Hoffmeister von einem Raubfisch-Angriff berichten. Wir stellen keine Listen der besten Gourmettempel Chinas auf, sondern schildern das erstaunliche Geschmackserlebnis in Pekings Penisrestaurant »Ghoulizhuang«. Und wir warnen nicht vor betrügerischen Taxifahrern, sondern lernen von unserem Leser Peter Titze, wie man sie mit ihren eigenen Waffen schlägt.

Pannen, so absurd, schräg und erstaunlich, dass man sie kaum glauben kann, und Amüsantes rund um die Urlaubswelt finden Sie hier versammelt. Zu Wort kommen Leser von SPIEGEL ONLINE, die uns ihre Anekdoten aus Zügen, Flugzeugen und von Mitfahrgelegenheiten zugeschickt haben. Viel Humor haben Touristikunternehmen wie Reisebüros, Veranstalter und Kreuzfahrtreedereien bewiesen, die ihre kuriosesten Kundenerlebnisse mit uns teilten. Ebenso die prominenten Extremreisenden, die bis in die entlegensten Ecken der Welt vordrangen.

Letztlich blieben auch wir Autoren im Urlaub nicht von Pech und Pleiten verschont. So haben wir in unseren Reisetagebüchern gewühlt und erzählen von Kakerlakenmassakern und Katastrophenkarren, von Busirrfahrten und einem Beinaheschiffbruch.

Viel Spaß beim Lesen wünschen

Stephan Orth und Antje Blinda