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KIRCHLICHER TUMULT

»Eine Frau ist das Einzige, wovor ich mich fürchte,
das mir nicht wehtun wird.«

Abraham Lincoln

Tony traf ein, als das Frühstück gerade beendet war. Nach den wenigen Resten auf Cabbys Teller zu urteilen, hatte er sich einen Burrito mit Huhn, Bohnen und Käse schmecken lassen. Und aus dem zufriedenen Gefühl, das sich in Cabby ausbreitete, schloss Tony, dass es sich dabei um eine seiner Lieblingsspeisen handelte.

»Cabby, du hast noch zwanzig Minuten Zeit zum Spielen, bevor ich dich zur Schule bringe. Maggie holt dich heute ab, weil ich zu Lindsay ins Krankenhaus muss. Und Maggie nimmt dich später mit zur Kirche. Gefällt dir das?«

»Cool.«

»Und weißt du was? Maggie-Kumpel wird zum Abendessen Huhn machen, und du darfst für sie das Fleisch von den Knochen lösen, okay?«

Cabby war begeistert und hielt die Hand hoch, bis seine Mutter ihm einen High five gab. Zufrieden mit der Welt trabte er in sein Zimmer und machte die Tür hinter sich zu. Er zog einen Gitarrenkoffer unter seinem Bett hervor und öffnete ihn. Eine kleine rote Spielzeuggitarre befand sich darin, und eine teuer aussehende Kompaktkamera. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass mit der Kamera alles in Ordnung war, klappte er den Koffer wieder zu und schob ihn unter das Bett zurück. Er blickte umher, entdeckte ein Lieblingsbilderbuch und blätterte darin. Er legte die Hand unter jedes der abgebildeten Tiere und nuschelte, für Tony halbwegs verständlich, deren Namen. Doch ein Tier war ihm offenbar entfallen, oder er wusste nicht, wie der Name ausgesprochen wurde. Jedenfalls saß er hilflos da und klopfte stumm unter das Bild.

Tony konnte nicht mehr an sich halten. »Viel-fraß«, sagte er ohne langes Überlegen und erstarrte.

Cabby erstarrte ebenfalls. Er klappte das Buch heftig zu und saß für mindestens zehn Sekunden stocksteif. Nur seine Augen bewegten sich, sein Blick huschte durchs Zimmer, suchte nach dem Ursprung der Stimme. Schließlich öffnete er das Buch langsam wieder und klopfte wiederholt unter das Foto.

»Vielfraß«, sagte Tony in resigniertem Tonfall, da nun seine Anwesenheit verraten war.

»Affengeil!«, quietschte Cabby. Er schaukelte vor und zurück und hielt sich die Hand vor den Mund.

»Cabby?«, rief seine Mutter aus dem anderen Zimmer. »Was habe ich dir gesagt? Nicht dieses Wort! Okay?«

»Okay!«, rief er zurück und ließ sich aufs Bett fallen. Prustend vor Lachen und Freude vergrub er seinen Kopf im Kissen. »Affengeil!«, flüsterte er.

Er setzte sich auf, öffnete das Buch erneut, und diesmal tippte er langsam und entschlossen mit dem Finger auf das Bild. Jedes Mal wenn er das tat, sagte Tony: »Vielfraß!«, und Cabby kicherte wieder prustend in sein Kissen.

Er stand vom Bett auf, schaute darunter, um sich zu vergewissern, dass sich dort niemand versteckte. Er schaute in den Kleiderschrank. Er spähte sogar zögernd hinter seine Kommode. Schließlich stand er mitten im Zimmer und sagte laut: »Keiner da.«

»Brauchst du etwas, Cabby?«, rief seine Mutter.

»Cabby, ich mache es noch einmal, aber schsch«, sagte Tony.

»Nö!«, rief Cabby seiner Mutter zu, und dann flüsterte er: »Affengeil!« Wieder bog er sich vor Lachen.

Tony musste ebenfalls lachen, angesteckt von der Freude des Jungen über dieses ungewöhnliche Abenteuer.

Cabby unterdrückte sein Kichern, so gut es ging, und hob sein Hemd hoch, um darunter nach der geheimnisvollen Stimme zu suchen. Er untersuchte seinen Bauchnabel und wollte gerade die Hose herunterlassen, als Tony sprach.

»Cabby, nicht. Ich bin nicht in deiner Hose. Ich bin …« Er suchte nach den richtigen Worten. »Ich bin in deinem Herzen, ich kann durch deine Augen sehen und ich kann in deinen Ohren mit dir reden.«

Cabby hielt sich die Hände vor die Augen. »Okay, jetzt kann ich nichts mehr sehen«, sagte Tony. Immer wieder bedeckte Cabby seine Augen und nahm die Hände weg, wobei Tony jedes Mal rückmeldete, ob er etwas sehen konnte oder nicht. Wie es schien, hätte dieses Spiel endlos weitergehen können, doch dann hielt Cabby inne und ging zu seinem Wandspiegel. Er hielt sein Gesicht dicht davor und schaute tief in seine eigenen Augen, als könnte er die Stimme dort sehen. Er schürzte die Lippen, trat einen Schritt zurück, betrachtete sich im Spiegel, legte beide Hände auf die Brust und sagte laut: »Cabby.«

»Cabby«, begann Tony, »mein Name ist To-ny! To-ny!«

»Too-ny.« Cabby nuschelte es ziemlich undeutlich, aber er hatte den Namen offensichtlich verstanden. Und dann folgte etwas für Tony völlig Unerwartetes. Ein strahlendes, breites Lächeln erschien auf Cabbys Gesicht. Er legte beide Hände über sein Herz und sagte sanft: »Too-ny … Freund!«

»Ja, Cabby«, erklang die Stimme in ihm. »Tony und Cabby sind Freunde.«

»Jaaaa!«, rief der Junge und hob die Hand für einen High five. Als ihm klar wurde, dass niemand da war, schlug er gegen die unsichtbare Hand der unsichtbaren Stimme. Dann kam wieder etwas Unerwartetes: Cabby schaute in den Spiegel und fragte auf seine nuschelnde, stockende Art: »Too-ny hat Cabby lieb?«

Diese einfache Frage stürzte Tony in Verwirrung. Hatte er Cabby lieb? Er kannte ihn ja kaum. Wusste er denn überhaupt, wie man liebt? Hatte er je wirkliche Liebe kennengelernt? Und wenn nicht, wie sollte er sie dann erkennen, wenn sie ihm begegnete?

Der Junge wartete mit nach oben gerichtetem Gesicht auf eine Antwort.

»Ja, ich habe dich lieb, Cabby«, log Tony. Sofort spürte er Cabbys Enttäuschung.

Irgendwie wusste Cabby, dass es nicht stimmte. Er senkte den Blick, doch seine Enttäuschung hielt nicht lange an. Er blickte wieder hoch und nuschelte etwas, was wie »Kommoch« klang.

»Wie bitte?«, fragte Tony.

»Komm noch«, wiederholte Cabby, um Deutlichkeit bemüht.

Jetzt dämmerte Tony, was der Junge meinte. »Kommt noch.« Dass Tony Cabby liebte, würde noch kommen. Eines Tages. Er hoffte, dass Cabby recht hatte. Vielleicht wusste der Junge Dinge, von denen Tony nichts ahnte.

Sie kamen in das Klassenzimmer, wo Cabby, und damit auch Tony, den größten Teil des Tages verbringen würde. Es befand sich auf dem Gelände einer Highschool, lag aber abseits vom Hauptgebäude, ein spezieller Lernbereich für Jugendliche mit Entwicklungsstörungen, von denen hier etwa ein Dutzend betreut wurde. Es gab eine Menge Aufgaben zu bewältigen, und Tony staunte, was Cabby trotz seiner Behinderung zu leisten vermochte. Seine Lesefähigkeit lag auf Vorschulniveau, aber er konnte einfache Rechenaufgaben lösen. Besonders gut konnte Cabby mit dem Taschenrechner umgehen. Zwei davon stibitzte er, versteckte sie in seinem Rucksack und benutzte sie während des Vormittags ein paarmal heimlich. Auch das Schreiben von Wörtern beherrschte er bemerkenswert gut. Er malte sie, als wären es Zeichnungen, kopierte sie von der Tafel in ein Notizbuch, von denen er bereits viele vollgeschrieben hatte.

Tony verhielt sich ruhig, wollte keine Aufmerksamkeit auf sich oder Cabby lenken. Der junge Mann verstand offensichtlich, dass Tonys Anwesenheit ihr gemeinsames Geheimnis war. Aber wenn er während des Tages Gelegenheit hatte, unbeobachtet in einen Spiegel zu schauen, hielt er sein Gesicht dicht davor und flüsterte: »Too-ny?«

»Ja, Cabby, ich bin noch da.«

Cabby lachte, nickte einmal heftig, und dann stürzten sie sich wieder in die Schulaktivitäten.

Tony war von der Freundlichkeit und Geduld der Lehrer und Betreuer und der als freiwillige Helfer anwesenden Highschool-Schüler überrascht. Es erstaunte ihn, dass so viele Menschen tagtäglich Zeit und Engagement in das Leben anderer investierten.

Zum Mittag aß Cabby mitgebrachte aufgewärmte Burritos vom Frühstück, eine Käsestange und ein paar Feigen-Newtons. Und alles, was er aß, schienen Lieblingsspeisen zu sein. Der Sportunterricht war eine Mischung aus Tanz und unbeholfenem Slapstick, aber alle überstanden ihn unversehrt. Für Tony war das eine gänzlich ungewohnte Welt, aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als sie, an Cabby gefesselt, über sich ergehen zu lassen. Und zu seinem Erstaunen verspürte er dabei ein ihn zutiefst erdendes Realitätsgefühl. Das war das Leben: gewöhnlich und doch außergewöhnlich und unerwartet. Wo war er nur all die Jahre gewesen? Er hatte sich versteckt. Das war vielleicht nicht die ganze Wahrheit, aber zumindest ein Teil von ihr.

Zeit mit diesen Jugendlichen zu verbringen war zugleich schwierig und eine unerwartete Freude. Sein Scheitern als Vater wurde ihm hier schmerzlich bewusst. Eine Zeit lang hatte er sich damals wirklich Mühe gegeben, sogar Bücher über das Vatersein gelesen, aber nach Gabriels Tod … er hatte dann die Erziehung ganz Loree überlassen und war in die sicherere Welt von Leistung, Geschäft und Erfolg zurückgekehrt. Wenn ihn deswegen im Alltag Gewissensbisse geplagt hatten, hatte er sie rasch in die hinteren Winkel seiner Seele verbannt, wo sie sich leichter ignorieren ließen.

Maggie traf pünktlich ein, noch im Schwesterndress. Als sie hereinkam, erhellte sie den Raum mit ihrer geselligen Ausstrahlung und zupackenden, fürsorglichen Art. Nachdem sie Cabby (und Tony) in ihrem verbeulten Wagen nach Hause verfrachtet hatte, putzte sie ein Huhn, bereitete ein paar Beilagen vor und schob das Huhn in den Backofen. Cabby war ein bisschen sauer, dass er keinen seiner zwei neuen Taschenrechner durch die Ausgangskontrolle der Schule hatte schmuggeln können. Er beschäftigte sich mit Puzzeln, malte mit Buntstiften und errang in dem Videospiel Zelda, das er gut beherrschte, einen Sieg. Alle paar Minuten flüsterte er: »Too-ny?«, und wenn Tony antwortete, wurde er jedes Mal mit einem Lachen belohnt.

Als das Huhn genügend abgekühlt war, wusch sich Cabby die Hände und löste dann rasch und geschickt das Fleisch von den Knochen. Seine Hände waren völlig verschmiert, ebenso sein Mund und Kinn, da er, ganz aus Versehen, die besten Bissen genascht hatte. Das Abendessen bestand einfach darin, dass dem Huhn noch Kartoffelbrei und gekochte Möhren hinzugefügt wurden.

»Cabby, soll ich dir helfen, Anziehsachen für die Kirche auszusuchen?«, fragte Maggie.

»Ich helfe dir«, flüsterte Tony, als könnte Maggie ihn hören.

»Nö«, flüsterte Cabby und strahlte, als er auf sein Zimmer ging.

Die beiden erkundeten Cabbys Kleiderschrank und Schubladen, bis sie sich auf das richtige Outfit geeinigt hatten: Jeans, Gürtel, ein langärmeliges Hemd mit Druckknöpfen und ein Paar schwarze Velco-Turnschuhe. Das Anziehen brauchte seine Zeit, wobei der Gürtel eine besondere Herausforderung darstellte, aber schließlich war es geschafft, und Cabby eilte zurück in die Küche, um sich Maggie zu präsentieren.

»Nun sieh einer an!«, rief sie aus. »Was für ein hübscher junger Mann du bist! Und du hast das alles allein ausgesucht?«

»Too …«, begann Cabby.

»Schsch«, zischte Tony.

»Schsch!«, flüsterte Cabby und legte den Finger auf die Lippen.

»Schsch? Was soll das denn heißen?«, lachte Maggie. »Warum soll ich nicht laut sagen, wie hübsch und erwachsen mein Cabby ist? Ich werde das der ganzen Welt verkünden! Geh du noch ein paar Minuten spielen, während ich mich für die Kirche schön mache.«

»Kirche?«, dachte Tony. Seine letzte Pflegefamilie war religiös gewesen, und deshalb hatte er seitdem nie wieder einen Fuß in eine Kirche gesetzt. Er und Jake hatten still sitzen müssen, stundenlang, wie es ihnen schien, auf harten Holzbänken, die offenbar zu Folterzwecken ersonnen worden waren. Trotz der Unbequemlichkeit gelang es ihnen häufig einzuschlafen, eingelullt von der monotonen Stimme des Predigers. Er musste in sich hineinlächeln, als er sich erinnerte, wie er mit Jake eines Abends in der Kirche vorgetreten war und eine »Bekehrung« vorgetäuscht hatte, weil er sich ausgerechnet hatte, dass ihm das bei der Familie Pluspunkte einbringen würde. Das gelang auch. Anfangs zogen sie mit ihrer Bekehrung viel Aufmerksamkeit auf sich, doch bald zeigte sich, dass an jemanden, der »Jesus in sein Herz hereingelassen hat«, weit höhere Erwartungen geknüpft werden, was den Gehorsam und die peinliche Einhaltung von Geboten betrifft. Schon bald wurde Tony zum »Rückfälligen«, einer Kategorie, die, wie er herausfand, noch viel schlimmer war, als lediglich ein Heide zu sein. Das Überleben als Pflegekind war schwierig genug. Für ein in Ungnade gefallenes Pflegekind war es noch um ein Vielfaches schlimmer.

Maggie und Cabby freuten sich aber offensichtlich sehr auf die Kirche. Das machte Tony neugierig. Vielleicht hatten sich die Dinge ja während der vielen Jahre seiner Abstinenz geändert.

Maggie, drall und überaus ansehnlich, legte eine ordentliche Schicht Make-up auf, zog ein Kleid an, das sich elegant an ihre üppigen Formen schmiegte, und schlüpfte in hochhackige rote Schuhe, die perfekt zu ihrer Handtasche passten. Sie betrachtete sich prüfend im Spiegel, strich ein paar Falten glatt, zog ganz leicht den Bauch ein. Mit einem zufriedenen Nicken hängte sie sich ihren Mantel über den Arm und nahm Cabby bei der Hand.

Die Fahrt zum Parkplatz der großen Stadtkirche, bei der Maggie Gemeindemitglied war, dauerte nicht lange. In der Maranatha Holy Ghost Church fand ein Mittwochsgottesdienst mit anschließendem Jugendabend statt, sodass dort reges Treiben herrschte, eine bunte Mischung aus Jung und Alt, die Begeisterung und heilige Absicht miteinander teilten. Tony war beeindruckt, wie hier Menschen unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe zusammenkamen und die finanziell Abgesicherten Schulter an Schulter mit den weniger Gesegneten beteten. Die lockere, freundliche Art des Umgangs überraschte ihn ebenso wie der praktizierte Gemeinschaftssinn. Hier ging es anders zu als in der Kirche seiner Kindheitserinnerungen.

Auf dem Weg zu den Jugendräumen blieb Maggie immer wieder stehen und wechselte ein paar Worte mit diesem und jenem, wobei ihre sympathische Ausstrahlung sichtlich die Herzen erreichte. Als sie gerade in ein Gespräch vertieft war, flüsterte Cabby: »Too-ny?«

»Ich bin hier, Cabby. Was ist denn?«, fragte er.

»Guck!« Cabby zeigte auf ein junges Paar am anderen Ende des Raumes. Die beiden Teenager waren erkennbar heftig verliebt. Sie hatten nur Augen füreinander. Händchen haltend flüsterten sie sich harmlosen Unsinn zu. Ihr ganzes Universum drehte sich ausschließlich darum, einander nah zu sein. Tony lächelte in sich hinein. Es war sehr lange her, dass er unschuldige Liebe bewusst wahrgenommen und beobachtet hatte. Mit der Zeit hatte er sogar vergessen, dass sie überhaupt existierte.

Cabby wirkte plötzlich aufgeregt. Es fühlte sich an, als würde er Tony am Arm zupfen.

»Was hast du denn, Cabby? Bist du okay?«, fragte er.

»Freun-din«, nuschelte Cabby.

»Cabby«, antwortete Tony, der ahnte, worum es ging. »Das Mädchen? Sie gefällt dir?«

»Ja … nein.« Er schüttelte den Kopf. »Cabby will …«

Tony verstand. Er fühlte das rohe, leidenschaftliche Sehnen in Cabby und die einzelne heiße Träne, die sich in Cabbys Augenwinkel bildete und über seine Wange lief. Dieser junge Mann wusste irgendwie, dass es da eine Süße gab, die außerhalb seiner Reichweite und Möglichkeiten lag, und er teilte diese Sehnsucht Tony mit. Cabby würde niemals ein Geschenk erfahren können, das Tony einst mit kaltschnäuziger Geringschätzung behandelt hatte – die Liebe eines Mädchens. Für Cabby war das, was Tony mit Füßen getreten hatte, ein kostbarer Schatz. Wieder wurde ihm klar, wie sehr er die Reife dieses Sechzehnjährigen unterschätzt hatte. Tony fühlte sich peinlich berührt. Offenbar war er dabei, ein Gewissen zu entwickeln, und wusste nicht, ob er das wirklich wollte. War er nicht ohne Gewissen bisher immer gut zurechtgekommen? »Ich bin so ein Arsch«, dachte Tony.

»Es tut mir wirklich leid, Cabby«, flüsterte er ganz leise.

Cabby, der immer noch das junge Paar anschaute, nickte. »Komm noch«, flüsterte er zurück.

Maggie zupfte ihn am Ärmel, und sie gingen weiter. Tony war stumm und aufgewühlt. Sie kamen zu einem Unterrichtsraum, wo Maggie Cabby in die Teilnehmerliste eines Seminars eintrug. Zwei Jungen kicherten. Einer von ihnen sagte so laut, dass man es hören konnte: »Da kommt der Mongo!«

Cabby drehte sich zu den Jungen um. Durch Cabbys Augen sah Tony zwei schlaksige Zwölfjährige, die feixend auf ihn zeigten. Cabby gab sein Bestes, angemessen auf diese Beleidigung zu reagieren, hob die Hand, doch zeigte er ihnen den falschen Finger – den Zeigefinger. Offenbar erinnerte er sich nicht mehr genau, was ihm seine Schulkameraden beigebracht hatten.

»Falscher Finger, Cabby, nimm den mittleren«, empfahl Tony. Cabby schaute auf seine Hand und versuchte zu entscheiden, welcher Finger der mittlere war. Doch schnell gab er auf, hob beide Hände und streckte den Jungen alle Finger entgegen.

»Hah!«, lachte Tony. »Das ist es. Zeig ihnen alle Finger. Gut gemacht!«

Cabby grinste, freute sich spürbar über das Lob. Aber es machte ihn verlegen. Er hielt eine Hand hoch und winkte ab. »Nicht«, sagte er, denn es war ihm wohl peinlich.

»Oh, kümmer dich nicht um diese Jungs«, sagte Maggie aufmunternd. »Man hat ihnen keine Manieren beigebracht. Sie sind sogar zu unwissend, um zu wissen, wie unwissend sie sind! Na, ich habe dich in die Liste eingetragen, und in einer Stunde hole ich dich wieder ab. Viele deiner Freunde sind hier, und Miss Alisa. Du erinnerst dich doch an Miss Alisa, nicht wahr?«

Er nickte zustimmend und setzte dazu an, in den Raum hineinzugehen, doch dann, unerklärlicherweise, schaute er in die Ecke neben der Tür und flüsterte: »Tschüss, Too-ny!«

Das kam ganz unerwartet für Tony, und ehe er etwas sagen konnte, drehte Cabby sich wieder um und drückte Maggie fest an sich.

»Du meine Güte«, sagte sie. »Ist alles okay, Cabby?«

Er blickte zu ihr auf, nickte und schenkte ihr ein breites, von Herzen kommendes Lächeln.

»Gut!«, sagte Maggie. »Wenn du mich brauchst, wird mich jemand holen gehen, aber ich bin sowieso bald wieder da.«

»Okay!« Er wartete.

Wie Maggie es schon tausendmal gemacht hatte, beugte sie sich vor und ließ sich von Cabby auf die Stirn küssen. Diesmal spürte sie dabei, wie eine Art Brise durch ihren Körper fuhr. »Wow!«, dachte sie, »Heiliger Geist! Ich will mehr davon, bitte!« Nachdem sie Cabby noch einmal umarmt hatte, ging sie hinüber zum Gottesdienst.

Wieder einmal glitt Tony davon.

Er wusste sofort, was geschehen war, aber erst jetzt begriff er, was der Katalysator für den Sprung gewesen war: Der Kuss hatte es ihm ermöglicht, hinüberzugleiten. Es fühlte sich genauso an wie beim letzten Mal. Er schwebte mit dem Gesicht nach oben. Es war ein warmes, beruhigendes Gefühl, ein sanftes Getragenwerden, und dann sah er die Welt durch Maggies Augen. Anstelle des kindlichen Staunens und der einfachen Farben – leuchtend Rot, Grün und Blau – von Cabbys Seele trat eine ältere, bewusster ausgeformte Umgebung mit intensiven Strukturen und Mustern, der weite, komplexe Raum einer reifen Persönlichkeit.

Maggie, die nichts von dem Eindringling bemerkte, beschloss auf dem Weg zum Chorraum, einen Zwischenstopp in der Damentoilette einzulegen, um ihr Make-up zu überprüfen. Sie grüßte die anderen Frauen mit Hallo und Kopfnicken, dann blickte sie in den Spiegel, rückte ihr Kleid zurecht und wollte schon wieder hinausgehen, als sie entschied, doch besser noch kurz das Klo aufzusuchen. Man wusste nie genau, wie lange diese Gottesdienste dauerten, und wenn er erst einmal angefangen hatte, wollte sie nichts verpassen.

Tony geriet in Panik. Maggie wollte gerade die notwendige Entblößung vornehmen, als er »Stopp!« schrie. Er wusste nicht, was er sonst tun sollte.

Maggie Saunders wusste daraufhin genau, was zu tun war: Sie erstarrte, löste keine weiteren Knöpfe, verharrte für fünf Sekunden regungslos. Dann schrie sie aus vollem Hals: »Ein Mann! Hier ist ein Mann drin!«

Als hätte jemand eine Konfettikanone verschossen, stoben die Frauen in größter Unordnung aus der Damentoilette. Irgendwo inmitten dieser aufgeregten Welle schaffte Maggie es, sich wieder fertig zuzuknöpfen. Gestikulierend und hyperventilierend berichtete sie der sie umringenden Schar Frauen und den drei herbeigeeilten Saalordnern von der Männerstimme, die sie gehört hatte. Es gelang ihnen, Maggie ein wenig zu beruhigen. Dann näherten sie sich mit der gebotenen Vorsicht den Klokabinen. Alle Kabinen wurden durchsucht, auch der Besenschrank am Ende des Raumes, erfolglos. Maggie ließ sie noch einmal nachsehen, wiederholte, dass eindeutig ein Mann mit ihr gesprochen hatte. Allerdings hatten die anderen Frauen nichts gehört, außer Georgina Jones, die ständig hoffte, dass ein Mann sie ansprach.

Als feststand, dass sich kein Mann in der Damentoilette versteckt hielt, versammelten sich die Saalordner um Maggie.

»Vielleicht war es ja die Stimme des Herrn, Ms. Maggie?«, sagte einer von ihnen, eine hilfreiche Erklärung suchend. »Wir haben alles abgesucht, und hier kommt kein Mann raus, ohne gesehen zu werden.«

»Es tut mir so leid«, sagte sie. »Ich kann es mir nicht erklären, aber ich habe deutlich gehört, dass ein Mann ›Stopp!‹ sagte. Da bin ich mir sicher.«

Da nichts weiter getan werden konnte, löste sich die Menge auf. Doch keine der Frauen, die von dort geflüchtet waren, mochte die Damentoilette wieder betreten. Keine außer Maggie. Das Ganze war ihr furchtbar peinlich, und daher ging sie fest entschlossen wieder hinein, um selbst nachzusehen. Wäre es Tony möglich gewesen, mit dem Kopf gegen die Wand zu hämmern, er hätte es getan. Was war denn in diese Frau gefahren?

Ihre sorgfältige Durchsuchung ergab, dass sich tatsächlich kein Mann dort aufhielt. Sie gab auf und schaute in einen Spiegel, um ihr Äußeres zu überprüfen. Dabei beobachtete sie wachsam, ob sich niemand von hinten heranschlich. Sie atmete tief durch und beruhigte sich allmählich wieder. Als ihr Körper sich entspannte, fiel ihr ein, was sie vor dem Aufruhr hatte tun wollen. Sie ging in eine der Klokabinen und machte Anstalten, sich wieder zu entblößen.

»Um alles in der Welt, Maggie, stopp!«

In der Maranatha Holy Ghost Church geht es ruhig und zivilisiert zu, verglichen mit der Full Gospel Redeemer Fellowship ein Stück weiter die Straße hinunter, die in dem Ruf stand, dass die Ekstase dort ziemlich laut und heftig ausbrechen konnte. Daher war niemand von den im Kirchensaal still meditierenden Besuchern vorbereitet, als Ms. Maggie ein zweites Mal laut schreiend und mit der Handtasche wedelnd aus der Damentoilette stürzte. Gewiss waren sie schon viele Male Zeugen der Aktivität des Heiligen Geistes geworden, und von einigen regelmäßigen Kirchgängern war bekannt, dass der Geist mitunter recht eindrucksvoll über sie kam. Zwar konnten sie, wenn sie im Gottesdienst entsprechend geführt wurden, durchaus in Ekstase geraten, aber sie schlugen dabei nicht über die Stränge und blieben immer höflich. Wenn eine Frau von der Macht des Heiligen Geistes niedergeworfen wurde, achteten sie darauf, dass sie schicklich bedeckt blieb, besonders wenn die Jugendgruppe voller gaffender pubertierender Jungen am Gottesdienst teilnahm.

Aber noch nie hatten sie erlebt, nicht einmal wenn sie Jesus um Erlösung anflehten, dass der Geist derartig über ein Gemeindemitglied gekommen war. Während des zweiten Refrains von Oh Happy Day platzte Ms. Maggie Saunders in den Kirchensaal wie eine kleine Atombombe, rannte durch den Mittelgang und schrie: »Ich bin besessen! Ich bin besessen!«

Einige bezeichneten es später als wirklich erstaunlichen Zufall, dass sie genau auf Clarence Walker zustürmte, Mitglied des Kirchenvorstandes und zudem begehrtester Junggeselle der Gemeinde.

Wie es sich für ein gutes Kirchenvorstandsmitglied gehört, stand Clarence Walker, als er den Lärm hörte, aber er machte den Fehler, in den Mittelgang hinauszutreten, um die Ursache besser sehen zu können. Dort erstarrte er angesichts der Frau, die wie ein entgleister Schnellzug auf ihn zuraste. Gerade als sie ihre Höchstgeschwindigkeit erreichte, brach einer ihrer Absätze ab, wodurch sie ganz unzeremoniell durch die Luft segelte, genau in Kirchenvorsteher Walkers offene Arme. Zwar war er einige Zentimeter größer als sie, doch das machte sie durch die Anzahl ihrer Pfunde wett, sodass die beiden übereinanderpurzelnd zu Boden gingen und Anstand und Heiligkeit großflächig verstreut wurden. Clarence schnappte nach Luft, und da saß sie, schüttelte ihn an den Schultern und kreischte ihm »Ich bin besessen!« ins Gesicht.

Der Chor war völlig aus dem Konzept geraten. Einige versuchten dennoch tapfer, die dritte Strophe von Oh Happy Day zu singen. Alles war so schnell geschehen, dass die Hälfte der Anwesenden nur etwas gehört, den Vorfall jedoch nicht gesehen hatte, und die meisten von ihnen waren nicht sicher, ob sie Amen rufen oder angesichts des offenkundigen Wirkens des Heiligen Geistes mit den Taschentüchern winken sollten. In den hinteren Reihen fielen einige auf die Knie, weil sie dachten, es fände eine Erweckung statt. Saalordner und ein paar in der Nähe sitzende Gemeindemitglieder stürzten sich hilfsbereit auf das ineinander verknäulte Paar. Einige beteten in Zungen und streckten die Hände aus. Ein großer Tumult entstand.

Ein junger Grobian presste seine Hand fest auf Maggies Mund, bis sie zu schreien aufhörte, und mit der Hilfe zweier weiterer Männer trennte er sie von Clarence Walker. Beide wurden sofort in den seitlichen Gebetsraum geführt, während der Chorleiter geistesgegenwärtig Chor und Gemeinde das beruhigende Amazing Grace anstimmen ließ.

Maggie bekam sich schließlich wieder so weit in die Gewalt, dass sie einen Schluck Wasser trinken konnte, während ein paar Frauen ihr die Hand tätschelten und dazu ständig »Gesegnet sei Gott« und »Gelobt sei Jesus« sagten.

Maggie schämte sich unendlich. Sie hatte die Stimme des Mannes deutlich gehört – zweimal. Aber das spielte keine Rolle. Am liebsten wäre sie unverzüglich zu ihren fernen Verwandten nach Texas zurückgekehrt, um sich dort vor aller Welt zu verstecken und in Vergessenheit zu sterben.

Tony war erschrocken darüber, was er ausgelöst hatte, doch andererseits machte ihm der unerwartete Gang der Ereignisse großen Spaß. Hinter der geschlossenen Tür konnte er zwar noch die anrührenden Klänge von Amazing Grace hören. Aber zum ersten Mal war er bereit, in der Kirche in laute Beifallsrufe auszubrechen. Der zweite Adrenalinstoß, der Maggie durchzuckt hatte, vibrierte noch feurig in Tony nach. »Wenn Kirche so viel Spaß macht«, dachte er, »werde ich von nun an öfter hingehen.«

Als Kirchenvorsteher Clarence sich wieder gesammelt hatte, setzte er sich vor Maggie und nahm ihre Hände. Sie war unfähig, ihm ins Gesicht zu sehen. Sie kannten sich nun schon eine ganze Zeit, und dieses Verhalten passte in keiner Weise zu der Frau, für die er eine nicht zu leugnende, wenn auch platonische und reservierte Zuneigung hegte.

»Maggie …« Er hielt inne. Was er sagen wollte, war: »Maggie, was um alles in der Welt ist denn in Sie gefahren?« Aber er sprach leise und väterlich. »Maggie«, begann er wieder. »Können Sie mir, uns, bitte erklären, was geschehen ist?«

Maggie wäre am liebsten im Erdboden versunken. Sie hatte einmal gehofft, dass sich zwischen ihr und diesem Mann mehr entwickeln könnte, aber nun hatte sie das völlig ruiniert, indem sie ihn vor Gott und der ganzen Gemeinde auf den Teppichboden geworfen hatte. Sie holte tief Luft, und mit schamvoll gesenktem Blick berichtete sie, dass sie auf der Toilette gewesen war und dort die Stimme eines Mannes gehört hatte. Die Ordner hätten nachgeschaut, aber niemanden gefunden, und einer von ihnen hätte gesagt, vielleicht hätte Gott zu ihr gesprochen … dieser letzte Satz war eine Option, von der sie hoffte, Clarence würde sie akzeptieren, aber er ging nicht darauf ein. Es wäre ohnehin eine Lüge gewesen, was im Moment bestimmt nicht die beste Idee zu sein schien. Also fuhr sie fort und erzählte, wie sie nach der ergebnislosen Durchsuchung noch einmal zurück zur Toilette gegangen war und die Stimme wieder zu ihr gesprochen hatte.

»Clarence … ich meine, Kirchenvorsteher Walker, es muss ein Dämon gewesen sein.« Jetzt wagte sie es endlich, ihn anzuschauen, flehte ihn mit den Augen an, dass er ihr glauben möge oder wenigstens eine plausible Erklärung für das Geschehen hatte. »Oder was denn sonst …?«

»Schsch, beruhigen Sie sich, Maggie.« Er sprach sie immer noch mit dem Vornamen an. Das war immerhin schon etwas. »Was hat diese Stimme denn zu Ihnen gesagt?«

Maggie versuchte, sich zu erinnern. Sie war nicht sicher. »Ich glaube, er sagte: ›Christus ist draußen. Stopp, Maggie!‹ Daran erinnere ich mich, aber es ging alles so schnell.«

Clarence schaute sie an und wünschte, ihm wäre etwas Hilfreiches oder Tröstliches eingefallen, aber er wusste einfach nicht, was er von der Sache halten sollte.

Da sie merkte, dass ihm die Worte fehlten, versuchte sie, ihm etwas in den Mund zu legen. »Vorsteher Walker, warum sollte denn Christus draußen sein? Und warum muss ich gestoppt werden?«

Clarence schüttelte den Kopf. Er betete leise um Einsicht, fand aber keine Antwort. Er versuchte es mit einer anderen Vorgehensweise. »Sie glauben also tatsächlich, dass es ein Dämon war?«

»Ich weiß nicht. Die Worte drangen einfach in meinen Kopf ein. Würde ein Dämon nicht genau das tun, uns solche Gedanken einflüstern? Glauben Sie, ich habe einen Dämon, Clarence, ähm, ich meine, Vorsteher Walker?«

»Ich bin kein Dämon«, mischte sich Tony nachdrücklich ein. »Ich bin nicht sicher, was ein Dämon ist, aber ich bin auf jeden Fall keiner.«

»Oh, mein Gott«, stöhnte Maggie, und ihre Augen wurden groß wie Untertassen, »er spricht mit mir!«

»Wer?«, fragte Clarence.

»Der Dämon«, antwortete Maggie. Wut flammte in ihr auf und rötete ihre Wangen. »Rede nicht mit mir, du Dämon aus der Hölle … Verzeihung, nicht Sie, Bruder Clarence, ich habe mit dem Dämon gesprochen.« Sie richtete ihren Blick auf einen leeren Punkt hinter Clarence, wo niemand sonst stand. Wohin sonst hätte sie schauen sollen? »Im Namen von Jesus …«

»Maggie«, unterbrach Clarence, »was hat er denn gesagt?«

»Dass er kein Dämon ist. Aber würde ein Dämon nicht genau das sagen, dass er kein Dämon ist?«

»Ich heiße Tony«, ergänzte Tony hilfreich. Er genoss die ganze Sache sehr, vielleicht ein bisschen zu sehr.

Maggie legte die Hand auf den Mund und presste zwischen den Fingern hervor: »Er sagt, er heißt Tony.«

Clarence konnte sich nur mühsam das Lachen verkneifen. »Sie haben einen Dämon, der sagt, dass er kein Dämon ist und Tony heißt?«

Sie nickte.

Er kaute auf seiner Lippe, aber dann fragte er: »Maggie, hat Ihr Dämon einen Nachnamen?«

»Mein Dämon?« Die Andeutung traf sie tief. »Er ist nicht mein Dämon, und wenn ich mir einen Dämon eingefangen habe, dann in Ihrer Kirche!« Sie bedauerte sofort, was sie gesagt hatte, und versuchte, so schnell wie möglich die Fassung wiederzugewinnen. »Natürlich hat er keinen Nachnamen. Jeder weiß, dass Dämonen keinen …«

»Aber natürlich habe ich einen«, schaltete sich Tony ein. »Er lautet …«

»Schweig!«, stöhnte Maggie. »Sag mir nicht, du hättest einen Nachnamen, du Ausgeburt der Hölle.«

»Maggie«, fuhr Tony fort, »ich weiß, dass du mit Molly befreundet bist, und ich kenne Lindsay und Cabby.«

»Oh, mein Gott!« Sie umklammerte Clarence’ Hand fester. »Es ist ein Hausgeist. Er hat mir gerade gesagt, er weiß alles über Molly und Cabby und …«

»Maggie, hören Sie mir gut zu«, sagte Clarence und löste seine Hand behutsam von ihrer. »Ich denke, wir sollten jetzt für Sie beten … ja, wir alle. Maggie, Sie wissen, dass wir Sie lieben. Ich verstehe nicht genau, was für eine Stresssituation es ist, die Sie gerade durchmachen, aber ich versichere Ihnen, dass wir für Sie da sind. Was auch immer Sie, Molly, Lindsay oder Cabby benötigen, Sie brauchen nur zu fragen.«

Nun wusste Maggie, dass Clarence und die anderen ihr niemals glauben würden, dass ein Dämon mit ihr redete. Je mehr sie sagte, desto schlimmer machte sie es. Es war an der Zeit, den Mund zu halten, ehe die Kirchenleute psychiatrische Hilfe anforderten.

Sie versammelten sich um sie, und sie ließ es geschehen, dass man sie mit süß riechendem Öl aus dem Heiligen Land salbte. Dann beteten sie längere Zeit. Aufrichtig hilfsbereite Menschen suchten nach den richtigen Worten, um Gott bei diesem seltsamen Ereignis zu assistieren. Und das wirkte tatsächlich. Maggie spürte etwas. Sie wurde ruhig. Ein Gefühl des Friedens überkam sie, eine Gewissheit, dass alles irgendwie in Ordnung kommen würde, so unmöglich das auch im Moment erschien.

»Oh je, schaut, wie viel Uhr es ist! Ich muss Cabby abholen«, sagte sie, und dann wurde sie von allen umarmt. Sie warf Clarence einen um Entschuldigung flehenden Blick zu, und er war freundlich, lächelte und umarmte sie ebenfalls. Sie hielt ihn eine Sekunde länger fest, als es vermutlich angemessen war, aber sie sagte sich, dass das wahrscheinlich ihre letzte Umarmung war, und sie wollte etwas, was sie in guter Erinnerung behalten konnte. »Ich danke euch allen für eure Gebete und Unterstützung«, auch wenn ihr mich nicht verstanden habt, fügte sie in Gedanken hinzu. Aber sie verstand es ja selbst nicht. Eines Tages würde das eine gute Geschichte sein, die man Freunden erzählen konnte, aber im Moment wollte sie niemanden sehen, außer Cabby und Molly. Molly würde ausflippen.