Buchentsorgung: Abschiedsrituale

Mittlerweile habe ich immer weniger Bedenken, Papierbücher auszusortieren. Doch die Tücke liegt im Detail. Ich war schon bei drei Antiquariaten, keines wollte meine Bücher haben, der Markt sei überschwemmt, hieß es.

Der kultivierte Umgang mit Büchern erfordert heutzutage auch eine Strategie der würdevollen Entsorgung. Jürgen Neffe zum Beispiel pflegt ein kleines Abschiedsritual. Neffe ist Bestsellerautor („Darwin. Das Abenteuer des Lebens“) und Digitalpionier, der mit seinem StartUp „Libroid“ versucht hat, eine interaktive, multimediale Leseplattform zu etablieren. Damit ist er zwar gescheitert, aber dem digitalen Lesen bleibt er treu. Wenn er also wieder einmal Papierbücher aussortiert, wirft er sie nicht einfach ins Altpapier, sondern stapelt sie auf einem Altpapiercontainer zu einem kleinen Haufen wie ein Stupa, ein tibetischer Grabhügel. Dann setzt er sich in ein Straßencafé gegenüber, liest eine Zeitung oder ein E-Book, und blickt hin und wieder auf. Dann sieht er, wie oft schon nach wenigen Minuten sein Bücher-Stupa schrumpft, wie das Papier sich aufzulösen scheint, eingespeist in den großen Kreislauf des Lesens.

Meine eigene Abschiedszeremonie beginnt eher banal. Ich verkaufe Bücher oft an das Berliner Online-Antiquariat Momox. Ich nehme mein Handy, scanne den Strichcode auf dem Umschlag, schon bekomme ich ein Kaufpreisangebot angezeigt. Meist ist es frustrierend niedrig. Aber zumindest weiß ich, dass die Bücher wieder neue Leser finden werden, dass das Wissen zirkuliert.

Wenn eine Altbücher-Kiste voll ist, bringe ich sie zur Post. Das ist ein ungemein erleichterndes Gefühl. Binnen zwei Wochen erhalte ich mein Geld. Momox ist eine deutsche Erfolgsgeschichte, gegründet von dem damals Arbeitslosen Christian Wegner. Inzwischen hat Wegner mehr als 500 Mitarbeiter. Der Januar ist der umsatzstärkste Monat – dann werden die Weihnachtsgeschenke entsorgt.

Fünfzehn Prozent der Bücher sind jedoch auch für Momox unverkäuflich. Eigentlich verkauft Wegner die Bücher weiter. Der Rest wird containerweise an ein Recyclingunternehmen verscherbelt. Wegner kennt die Empfindlichkeiten seiner Kunden, Bücher wegzuwerfen gilt hierzulande als Akt der Barbarei: Daher spendet der Internetpionier den Erlös aus dem Recycling an Aufforstungsprojekte, zum Beispiel am Berliner Müggelsee. Dort werden alte Bücher dann sozusagen zu Rotbuchen. Eine tröstliche Vorstellung, dass meine einstigen Papierbücher im Abendwind rauschen.