Gutenbergs neue Galaxis

„Wie geht es eigentlich Marshall McLuhan? Ist er immer noch tot?“ Dieser Witz kursiert unter Freunden der Medientheorie. McLuhan hatte vorausgesagt, dass die Ära des Gedruckten zu Ende gehe. Marshall McLuhan wird wieder viel gelesen, aber seine Theorien des Medienwandels werden teils anders gedeutet als früher. Viele Medienhistoriker betonen heute weniger den abrupten Umbruch der Mediengewohnheiten als die Kontinuität des Wandels. Und war nicht Gutenberg selbst ein Hacker? Waren es nicht die von ihm erfundenen beweglichen Lettern, welche die Verflüssigung und Digitalisierung der Literatur vorwegnahmen? Kann man das Papierbuch damit nicht vielleicht tatsächlich als Prototyp des E-Books betrachten?

„Die Parallelen zwischen seinem Unternehmen und StartUps aus dem Silicon Valley sind auffällig“, schreibt Jeff Jarvis in seinem Buch „Gutenberg the Geek“. Jarvis ist Professor für „Entrepreneurial Journalism“ an der City University of New York. Nur fünfzig Jahre nach Gutenbergs Erfindung waren 20 Millionen Buchkopien hergestellt worden, mehr als im gesamten Jahrtausend zuvor.

Er sei extra nach Mainz gereist, um sein Buch über Gutenberg zu schreiben, erzählte mir Jarvis am Rande der Konferenz „Digital Life Design“ im Januar 2013. Er halte Gutenberg für den Schutzheiligen des Silicon Valley, „mit seinem Bibeldruck hat er die Grundlagen für die Industrielle Revolution geschaffen.“

Diese Vorstellung hat Tradition. Am 4. Juli 1971, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, tippte der Internetpionier Michael Hart direkt nach dem Feuerwerk das Gründungsdokument der USA in einen Institutsrechner der University of Illinois: die Unabhängigkeitserklärung. Er benachrichtigte Kollegen, die ebenfalls am Arpanet hingen, dem Vorläufernetz des Internet, etwa hundert Leute. Sechs von ihnen luden sich das Dokument herunter.

Michael Hart, Sohn eines Shakespeare-Forschers und einer Mathematikerin, machte trotzdem weiter. Er beschloss, so viele Bücher wie möglich digital und kostenlos zur Verfügung zu stellen. Er gründete eine digitale Bibliothek, die er „Project Gutenberg“ nannte. Inzwischen umfasst sie 40 000 Dokumente. Hart liebte Bücher, in jeder Form, als er vor zwei Jahren starb, war sein Haus mit riesigen Bücherstapeln vollgestellt.