Das Rocketbook stürzt ab

Was, um Gottes Willen, soll denn das sein, fragte der Zöllner. Das war 1997 an der deutsch-niederländischen Grenze, der Beamte durchsuchte das Gepäck von Ralf Gröne und stieß auf ein verdächtiges Gerät. Es sah aus wie ein Plastikziegelstein.

Der Computerdesigner, der im Auftrag der US-Firma Nuvomedia unterwegs war, trug aber keine versteckte Bombe bei sich, sondern den ersten Prototyp eines elektronischen Buchs. Drei Jahre nach der Grenzkontrolle kam das von ihm für Nuvomedia entworfene „Rocket E-Book“ in Deutschland auf den Markt. Er nannte es „Rocketbook“ – ein Wortspiel mit „Pocket Book“, Taschenbuch also. Gröne hatte das das Rocketbook mit Hilfe der 3-D-Grafiksoftware „Alias“ entworfen, die zuvor schon die Saurier in „Jurassic Park“ zum Leben erweckt hatte.

Der Plastikziegelstein lag auf dem Lesepult im großen Saal des Literarischen Colloqiums Berlin, einer Villa am Wannsee. Die Gäste wirkten ratlos. 627 Gramm, eine Textdatenbank für unterwegs, die 45 Bände fassen und 675 Mark kosten sollte. Wer brauchte so etwas? Das sollte die Zukunft des Lesens sein?

Im Juni 2000 baten wir ein paar Schriftsteller, einen Selbstversuch im elektronischen Lesen zu machen. „Elektrolit“ hieß die Veranstaltung, maßgeblich organisiert von Stephan Porombka (heute Uni Hildesheim) und Thomas Wegmann (heute Uni Innsbruck). Das Display des Ziegelsteins war klein, grünlich leuchtend und grob verpixelt.

„Elektronische Bücher sind doch eigentlich nur verkappte Computer“, urteilte der Essayist Michael Rutschky („Das Merkbuch – eine Vatergeschichte“). Er fand enttäuschend, dass er mit dem Rocket E-Book nicht auch im Internet surfen konnte. Er forderte damals sozusagen ein iPad, allerdings zehn Jahre zu früh.

Peter Glaser begrüßte die Lesegeräte, und wünschte sie sich gleichzeitig weg:

„Mein einziger Wunsch an die Technik von morgen ist: die Hardware soll verschwinden, die Funktionen bleiben. Es gibt eine Diskrepanz zwischen der Leichtigkeit der Sprache und der Wuchtigkeit des Computerequipments. Wie spaltbares Material hinter einer Sicherheitsscheibe liegt der elektronische Text im Kathodenvakuum der Bildröhre, auf dem gläsernen Blatt. Der Autor, seit jeher hart am Rand des Stofflichen tätig, rückt mit dem Schreiben am Computer seiner Bestimmung näher. Meine Tinte ist das Licht.“

Das Rocketbook verschwand bald wieder, die Herstellerfirma wurde von einem Elektronikkonzern gekauft, der sein Geld vor allem mit Videorecordern verdient hatte. Der neue Chef nörgelte über den gescheiterten E-Book-Vorstoß: „Ich verkaufe weniger Bücher als der kleine Buchladen an der Ecke.“