Vorsicht, Buch liest mit!

Sachbücher werden immer wieder weggelegt, während Romane eher in einem Rutsch durchgelesen werden. Das hat der Buchhändler Barnes & Noble festgestellt bei der Analyse des Leseverhaltens seiner Kunden, die E-Books gekauft haben. Das Leseverhalten der Kunden wirkt damit zurück auf das, was geschrieben wird. Seit Verlage bemerken, dass viele ihre Sachbücher nicht durchlesen, konzentrieren sie sich auf die beliebte Kurzbuchform mit Namen wie „Snaps“ oder „Singles“.

Auch als Autor spüre ich einen verstärkten Sozialdruck, ich ertappe mich beim Grübeln über Formulierungen mit möglichst hoher Tweetabilität: griffige Schmuckzitate, die meine Leser in Netzwerken verteilen könnten. Autoren beschweren sich bereits, dass ihre Verlage von ihnen heutzutage verlangen, zwischen zwei langen Romanen ein, zwei kurze E-Books zu lancieren, um nicht vergessen zu werden. Es wird lauter in dieser medialen Echokammer.

Nicht nur Verlage interessieren sich für unser privates Leseverhalten, sondern auch Geheimdienste. In Kalifornien trat 2012 der „Reader Privacy Act“ in Kraft, der es Ermittlungsbehörden erschwert, die Lektüregewohnheiten von Verdächtigen zu durchschnüffeln. Der amerikanische Sicherheitsexperte Bruce Schneier befürchtet, dass Leser aus Sorge, beobachtet zu werden, in Zukunft die Finger von kitzligem Lesestoff lassen könnten: Islamwissenschaft, Pornografie, Chemie, Kommunismus, was auch immer. Wenn Texte aus Buchdeckeln befreit werden, geraten Leser in die Gefahr digitaler Kontrolle.

Die Mauern und Wände, die mit großer Geste in den alten Bibliotheken eingerissen werden, entstehen in der unsichtbaren Bücherwolke neu.

„Ein digitales Buch von Amazon können Sie nicht so einfach an Ihre Freunde verleihen, die Software verhindert das“, sagt Caroline Leiß, eine Bibliothekarin aus München: „Fast jedes digitale Buch hat eigene Regeln. Was hier entsteht sind nicht nur virtuelle Mauern, sondern chaotische Geröllfelder und Dschungel, oft merkt man erst, wogegen man anrennt, wenn man sich längst verheddert hat.“