18.
Ich schaute an mir entlang; dann sah ich auf Bert Soutar, der zu meinen Füßen am Boden lag. Keiner von uns beiden war getroffen. Als ich erstaunt den Blick hob, entdeckte ich Bobby Kirkcaldy, dessen Gesicht die Zeichen seiner Niederlage vom Vorabend trug. Er hielt eine Browning in der Hand. Offenbar hatte er einen Schuss in die Luft abgefeuert, aber jetzt blickte ich in die Mündung der Selbstladepistole.
»An die Wand, Lennox«, sagte er, noch immer nervtötend gelassen. »Onkel Bert? Alles okay?«
Soutar erhob sich langsam und beäugte mich dabei voller Hass. Ich wusste, was kommen würde, und Kirkcaldy eindeutig auch.
»Lass es bleiben, Bert«, sagte er. »Wir machen es in der Garage, so wie abgesprochen.«
Soutar packte mich beim Jackettkragen und zog mich von der Wand hoch. Dann stellte er sich hinter mich und drängte mich mit schmerzhaften Stößen in den Rücken zum Haus. Die Auffahrt führte zur anderen Seite des Hauses zu einem weiß getünchten Nebengebäude, das aussah, als wäre es einst ein Stall gewesen, den man zu einer Garage umgebaut hatte. Ein Dachfenster deutete darauf hin, dass der Chauffeur auf dem ehemaligen Heuboden gewohnt hatte. Die Garage hatte eine große Flügeltür; im Innern hätte man leicht vier Autos unterbringen können. Ich sah mir das Gebäude genau an, aus zwei Gründen: Zum einen waren die meisten Verurteilten neugierig auf die Stätte ihrer Hinrichtung, zum anderen wollte ich mögliche Fluchtwege bereits im Vorhinein entdecken.
Soutar stieß mich weiter, und ich überlegte, ob ich noch einmal mit ihm tanzen sollte. Er war ein zäher alter Knochen, aber vielleicht konnte ich ihm das Genick brechen, ehe sein Neffe mich niederschoss. Und vielleicht war Kirkcaldy als Schütze nicht so gut wie als Boxer.
»Und das alles wegen eines manipulierten Kampfes?«, rief ich über die Schulter. »Eins muss ich Ihnen lassen, Kirkcaldy, Sie nehmen Ihre kleinen Gaunereien wirklich ernst.«
»Halt die Fresse und geh weiter.« Onkel Bert stieß mich schon wieder. So langsam wurde er lästig.
»Ein Freund wartet auf Sie«, sagte Kirkcaldy und lachte dunkel und boshaft. Er ging vor uns her zur Garage und öffnete einen Torflügel.
***
Ganz wie ich es erwartet hatte, standen in der Garage zwei Autos: der schlanke Blutstropfen von Collins’ rotem Lanchester und Bobby Kirkcaldys Kabriolett, der Sunbeam-Talbot Sports. Was bist du für ein Blödmann, dachte ich bitter. Da hielt ich mich für gerissen und verschlagen, weil ich Collins beunruhigt hatte, damit er zum Big Boss fuhr. Ja, ich hatte es wunderbar angestellt, aber die Verzögerung bei Collins’ Aufbruch aus dem Büro hatte Kirkcaldy die fünfzehn Minuten verschafft, die er brauchte, um von Strathblane hierher zu kommen und sich auf die Lauer zu legen. Danach brauchte Collins mich nur noch an der Nase zum Haus zu führen. Es geschah mir ganz recht, dass ich jetzt in der Scheiße steckte.
Die Garage war noch größer, als ich angenommen hatte. Die beiden Wagen nahmen nicht einmal die Hälfte des Platzes ein. Jack Collins stand mitten auf der freien Fläche.
»Ich habe doch gesagt, er folgt mir«, sagte er mit einer Verachtung, die ich als verletzend hätte empfinden können.
»Okay, sind Sie also sauer, weil ich meine Arbeit mache«, erklärte ich. »Aber wie ich draußen schon sagte, irgendwas stinkt. Wer macht sich schon so viel Mühe wegen eines abgekarteten Kampfes? Wozu die Artillerie?«
»Vielleicht haben Sie recht, Lennox«, erwiderte Kirkcaldy. »Vielleicht geht hier mehr vor, als Sie kapieren.«
»Dann erklären Sie’s mir«, sagte ich. »Ich bin ein verständnisvoller Mensch. Aber vorher gestatten Sie mir die neugierige Frage eines Fans: Wieso haben Sie den Kampf gestern Abend absichtlich verloren?«
»Wie kommen Sie darauf, ich hätte den Kampf absichtlich verloren?«
»Ach, kommen Sie. Ich war dabei. Und ich habe Sie vorher oft kämpfen sehen. Wenn Sie McQuillan besiegen konnten, hätte Schmidtke ein Spaziergang für Sie sein müssen. Sie haben absichtlich verloren, da gibt es kein Vertun. Haben Sie wirklich Herzprobleme?«
»Ja«, sagte Kirkcaldy sachlich. »Geburtsfehler. Ich habe nie etwas davon gemerkt. Erst im vergangenen halben Jahr kamen die Probleme. Der Doktor sagt, ich muss mich schonen, muss den Stress aus meinem Leben verbannen. Vielleicht sollte ich mit Ihnen anfangen, hm, Lennox?«
»Also haben Sie sich an dem Kampf gesundgestoßen?«
»Jack hat dafür gesorgt. Ursprünglich war es Small Changes Idee. Keine wirklich großen Wetten. Nichts, womit man zu sehr auffällt, aber viele kleine Wetten, auf alle Buchmacher verteilt. Und jede Wette über Mittelsmänner platziert, die man nicht mit Collins in Verbindung bringen kann und schon gar nicht mit mir.«
»Sehr hübsch«, sagte ich. »Aber Sie sind nicht die Einzigen, die es wussten. Zwei junge Flash Harrys haben versucht, über Polen-Tony eine große Summe gegen Sie zu setzen.«
»Davon wusste ich gar nichts«, sagte Kirkcaldy so beiläufig er konnte. Wenn er im Ring genauso schlecht fintiert hätte, wäre seine vorzeitig beendete Karriere sogar noch vorzeitiger zu Ende gegangen.
»Wo sind die beiden?« Ich trieb es auf die Spitze. Wer in einem Schuppen mitten im Nirgendwo mit einer Pistole bedroht wird, deren Knall niemand hören kann, der kann es getrost auf die Spitze treiben.
»Ich sagte doch schon, ich weiß nichts von den beiden oder von sonst jemandem, der Wetten platziert hätte.«
Ich beschloss weiterzumachen, ehe Kirkcaldy die Hose in Flammen aufging. »Mit Ihrem kleinen Trick haben Sie bestimmt ein hübsches Sümmchen eingesackt. Aber nicht genug. Für so viel Ärger reicht das nicht. Es ist nicht einmal Grund genug, Small Change umzubringen.«
»Mit Small Changes Tod hatten wir nichts zu tun. Überhaupt nichts. Und mit dem abgekarteten Kampf hatte er auch nichts zu schaffen.«
»Von wegen. Ich glaube Ihnen, dass Sie Small Change nicht umgebracht haben, aber der manipulierte Kampf hat irgendwas mit seinem Tod zu tun. Vielleicht kam Small Change mit der Idee zu Ihnen, den Kampf absichtlich zu verlieren, aber Sie sollten nur mit einer kleinen Pension Ihre Laufbahn beenden. Er wird von Ihrem Herzfehler gewusst haben. Aber der eigentliche Grund, weshalb Sie die Sache durchziehen mussten, war der, dass Sie jemandem etwas zahlen mussten, und zwar schnell. Jemand, der Ihnen die gleiche Behandlung androhte, wie Small Change sie erhalten hatte.«
Kirkcaldy sagte nichts, aber er tauschte einen Blick mit Onkel Bert.
»Hören Sie, Bobby, ich bin ein gelehrsamer Typ. Ich verbringe viel Zeit in der Mitchell Library und erweitere meinen Horizont. Zum Beispiel, was die Bräuche und Traditionen unserer landfahrenden Vettern angeht. Nehmen Sie die auf Vinegarhill. Zu Anfang dachte ich, es wären nur irische Landfahrer, aber wie sich herausstellte, sind sie Minceir, echte Roma aus Irland ... der wahre Zigeuner-Jakob, könnte man sagen.«
Kirkcaldy schwieg.
»Die Zigeuner haben eine lange, schwierige Geschichte«, fuhr ich fort. »In Großbritannien gibt es sie schon seit Jahrhunderten, wussten Sie das? Und wussten Sie, dass wir sie nach Louisiana verkauft haben, als Sklaven für freigelassene Schwarze, die ihre eigenen kleinen Plantagen betrieben? Oder dass wir sie gehängt haben, nur weil sie Zigeuner waren? Das hat sie zu einem nachtragenden Haufen gemacht. Was Vergeltung und Blutrache angeht, sind sie ganz groß.«
»Was hat das denn mit uns zu tun?«, fragte Kirkcaldy, aber wieder blickte ich hinter seine Unschuldsmiene.
»Ich weiß nicht, was Sie getan haben. Das ist das eine, was ich nicht herausfinden konnte. Wie schon gesagt, habe ich mich über Zigeunerbräuche schlau gemacht. Und ich habe mit Sean Furie gesprochen, dessen Sohn wegen Mordes an MacFarlane vor Gericht soll. Für mich kam Furie zwar eher aus Blackrock als aus Bulgarien, aber wie es scheint, ist er echt. Er und seine Leute halten die Bräuche und Gesetze der Zigeuner ein. Furie selbst ist ein Baro, eine Art Sippenhäuptling. Als Baro sitzt er auch als Richter im Kris, so was wie ein Gericht. Unter anderem fällt das Kris ein Urteil über andere Zigeuner und sogar über Gaje, wie sie die Nichtzigeuner nennen.«
»Sehr interessant, der Scheiß«, sagte Bert Soutar. »Mein Horizont ist erweitert. Jetzt da an die Wand!«
Ich beschloss, im Augenblick noch zu bleiben, wo ich war. »Moment noch, es ist wirklich interessant. Das Kris spricht zum Beispiel das Urteil, wenn ein Zigeuner von jemand anderem getötet wird. Etwa durch Mord oder durch Fahrlässigkeit. Dann kann es dem Angeklagten eine Strafe auferlegen. Aus der Sache kommt man nur raus, wenn man ein Glaba bezahlt. Ein Blutgeld.« Ich schwieg kurz, aber weniger um der dramatischen Wirkung willen als vielmehr, um die Umgebung noch einmal zu mustern. An der hinteren Wand befanden sich zwei kleine, schmutzige Fenster. Darunter hing ein Haufen alter, verrosteter Gartengeräte, einschließlich einer kleinen Sense, deren Klinge mit rotbraunen Flecken übersät war.
Plötzlich fiel ein Schatten über das vom Schmutz trübe Fenster und zog weiter. Da draußen war noch jemand.
»Wie auch immer«, fuhr ich fort, »ich sehe es so: Sie, der gute alte Onkel Bert und der junge Collins, Sie alle haben die Todesstrafe erhalten. Aber der Tod, so schlimm er sein kann, ist nicht halb so furchterregend wie die Art des Todes, die man von der Hand eines Zigeuners erleidet. Ich weiß zwar nicht, ob Furies Sohn die Todesstrafe bei Small Change vollstreckt hat, aber Sie wissen jetzt ziemlich genau, was Ihnen bevorsteht ... es sei denn, Sie kaufen sich mit einem schönen großen Glaba frei.«
»Und was sollen wir verbrochen haben?«, fragte Kirkcaldy.
»Na, das ist doch schon auf den ersten Blick offensichtlich. Unser Onkel Bert lieferte den jungen Pikey-Kämpfer für die Fights mit bloßen Fäusten. Der Junge stirbt. Also werden Soutar, Small Change und Collins zur Verantwortung gezogen. Small Change findet ein klebriges Ende, als ihm mit der Statue seines Lieblingswindhundes der Schädel eingeschlagen wird, und Ihnen werden die traditionellen Todessymbole der Zigeuner vor die Tür gelegt. Ich sollte der Sache auf den Grund gehen. Tja, das habe ich getan. Was ich nur nicht begreife ... Der Zigeunerjunge hat aus freien Stücken gekämpft. Er kannte die Risiken und ist sie freiwillig eingegangen. Wieso macht seine Sippe Sie dafür verantwortlich?«
»Sie sind nicht so schlau, wie Sie glauben, Lennox«, erwiderte Collins höhnisch. Sein Gesicht war weiß und verzerrt. Seine Gelassenheit war verschwunden. Er hatte Angst. Entweder wegen dem, was ich gesagt hatte, oder er wusste, dass er gleich Zeuge von etwas Unschönem wurde. Ich hoffte, es lag an meiner Vortragskunst.
»Halten Sie den Mund, Collins«, sagte Kirkcaldy. »An die Wand, Lennox. Und halten Sie die Hände so, dass ich sie sehen kann.«
»Das war’s dann?«, fragte ich. Mir fiel auf, dass ich weder heftig atmete, noch dass mir das Herz bis zum Hals schlug. So ist das wohl, dachte ich, wenn man schon zu oft gedacht hat, man würde draufgehen. Wenn man zu oft gesehen hat, wie andere dran glauben mussten. »Sie wollen mich wegen eines Zigeunerfluchs und eines amateurhaft manipulierten Boxkampfs umbringen? Nein, das wäre Unsinn. Ich übersehe doch etwas. Wer war noch in Collins’ Wagen vor Ihrem Haus? Und weshalb sind die Landfahrer wirklich hinter Ihnen her?«
Ich stand mit dem Rücken zur Wand, aber beim Zurückweichen hatte ich meine Schritte so schräg gesetzt, dass ich neben der Sense stand. Ein rostiges Gartengerät gegen eine Pistole und zwei erfahrene Faustkämpfer.
»Zeig es ihm!« Kirkcaldy brüllte Collins den Befehl zu und wies mit einem Rucken des Kopfes auf seinen Wagen. Collins ging zu dem Fahrzeug, öffnete den Kofferraum und hob etwas heraus, das in eine Decke eingeschlagen war. Wie ein Baby trug er es auf den Armen. Er legte es auf den Boden und enthüllte es vor mir: die Ky-Lan-Dämonenstatue. Sie war in zwei Teile zerbrochen, und ich sah, dass die falsche Jade keine zwei Zentimeter dick war. Aus der zerbrochenen Plastik quoll der Inhalt: kleine, fest in Wachspapier gewickelte Ziegel.
Ich seufzte, als sich in meinen Bauch ein Knoten bildete. Ich wusste, was es bedeutete, wenn Kirkcaldy das Heroin hatte. »Sammy Pollock?«
Kirkcaldy lächelte und erinnerte mich dabei sehr an Sneddon. »Wie alles in Glasgow ist auch der Clyde unberechenbar, Lennox. Da wirft man zwei Leichen zur selben Zeit an derselben Stelle hinein, und die eine Leiche wird an Land gespült, während die andere spurlos versinkt.«
»Das hatte er nicht verdient, Kirkcaldy. Er war nur ein dummer Junge.« Ich malte mir aus, wie Sheila Gainsborough die Nachricht aufnehmen würde. Bei ihr hatte ich mir mein Honorar nicht verdient, so viel stand fest. Andererseits wäre nicht ich es, der ihr die Neuigkeit eröffnete. Ich lachte bitter auf.
»Was ist denn so beschissen lustig?«, fragte Kirkcaldy.
»Dass ich an zwei Fällen gearbeitet habe, die ich nie miteinander in Verbindung gebracht hätte. Ich bin nicht so clever, wie ich dachte.«
»Sie sind clever, Lennox. Zu clever. Aber mittlerweile sollten Sie wissen, dass in dieser Stadt nichts passiert, ohne dass es mit allem anderen in Zusammenhang steht. Und ehe Sie sich jetzt wegen Pollock aufregen – Sie sollten nicht vergessen, dass er es sich selbst zuzuschreiben hat. Er wollte in der Oberliga mitspielen. Das ist ihm über den Kopf gewachsen.«
»Ich glaube nicht, dass Sie viel mehr Übersicht haben als er. Das Zeug zu besitzen bedeutet, dass nicht nur ein Haufen wütender Zigeuner hinter Ihnen her ist. Haben Sie je von John Largo gehört?«
»Habe ich. Ich weiß auch, dass der Stoff ihm gehört. Aber er sucht weiterhin nach Pollock und Costello. Wir sind nur durch Zufall darüber gestolpert. Wir sind aus dem Schneider.«
»Sie sind nicht aus dem Schneider. Ich habe Sie gefunden.«
»Nein, Sie haben uns nicht gefunden. Alles, was Sie zu Collins gesagt haben, war heiße Luft. Sie haben bloß auf den Busch geklopft. Aber das Wild, das Sie aufgestöbert hatten, schießt zurück. Und Sie werden niemandem mehr etwas erzählen.«
Das war’s dann, dachte ich. Wenn man Kirkcaldy eines nicht vorwerfen konnte, dann war es Uneindeutigkeit.
»Wie sind Pollock und Costello an den Jadedämon gekommen? Sie konnten auf keinen Fall wissen, was darin war.«
»Da irren Sie sich. Pollock besaß einen kosmopolitischen Geschmack. Ein echter Bohemien. Er rauchte hin und wieder Haschisch und hatte mit Opium experimentiert. Niemand in dieser Stadt hätte den Wert von gereinigtem Heroin begriffen – er schon. Nur war das leider die Grenze seiner Klugheit. Er war kein Verbrechergenie, und er dachte, er hätte es mit Al Capone zu tun, als er sich mit Paul Costello einließ. Aber Costello war ein Blindgänger und genauso überfordert wie Pollock.«
»Wie haben sie das Zeug denn in die Hände bekommen?«, fragte ich. Alle drei – Collins, Soutar und Kirkcaldy – standen mir nun gegenüber, den Rücken zur Tür. Kirkcaldy hatte die Tür ein paar Zentimeter weit offen gelassen, und ich hätte geschworen, dass sie sich langsam bewegte. Der Schatten vor dem Fenster war vielleicht doch kein weiterer Komplize. Ich richtete meine ganze Hoffnung auf einen Schutzengel.
»Paul Costello hat immer nach einem Fischzug Ausschau gehalten«, antwortete Kirkcaldy, während ich mir alle Mühe gab, keinen Blick auf das Garagentor hinter ihm zu richten. »Ich glaube, er wollte beweisen, dass er ein richtiger Macker ist wie sein Vater. Aber er hatte keine Chance. Er hatte nicht mal genug Grips, um seine Hose eher anzuziehen als die Schuhe. Sammy Pollock sollte bei dem Duo der Denker sein. Verrückt! Ein Blinder führt einen Blinden! Trotzdem machten sie nachts ein paar Brüche. Sie hatten noch zwei Kerle dabei. Als Erstes haben sie ein Lagerhaus voller Zigaretten ausgeräumt. Französische Glimmstängel. Sie hatten nicht den blassesten Schimmer, wie sie das Zeug loswerden sollten, also zogen sie höchstpersönlich durch die Nachtclubs und Pinten, diese blutigen Amateure. Man dreht doch kein Ding, ohne vorher eine Absprache mit einem Hehler zu treffen, der einem das Zeug abnimmt. Diese Pflaumen hatten keine Absprache. Sie kannten nicht mal einen Hehler!«
»Also gingen sie zu Small Change?« Alles fügte sich zusammen.
»Richtig – und er nahm ihnen das Zeug für ein Butterbrot ab. Nun dass Small Change hin und wieder heiße Ware verschob. Aber nur, wenn es etwas Besonderes war und dabei ordentlich was für ihn heraussprang.«
»Das erklärt immer noch nicht, woher Pollock wusste, dass er den Jadedrachen stehlen musste.«
»Pollock und Costello hatten Hilfe bei ihren Brüchen. Zwei Kerle, die für Costellos Vater arbeiteten, und ein Pikey, der fürs Grobe zuständig war«, sagte Kirkcaldy. Und wieder rastete etwas ein, wo es hingehörte.
»Die fünf haben den Zigarettenbruch gemacht«, fuhr Kirkcaldy fort. »Die Kippen kamen aus dem Lagerhaus dieses Froschfressers. Barnier heißt er. Ehe sie die Zigaretten finden, öffnen sie ein paar andere Kisten, um einen Blick reinzuwerfen. Der Pikey mit den geschickten Händen zerbricht dabei versehentlich eine der Jadestatuen und sieht, dass sie voller Päckchen ist. Er erzählt es Pollock, und der kommt sofort auf die Idee, dass es Haschisch sein könnte. Also nehmen sie auch die Statue und verschwinden. Doch als Pollock nach Hause kommt und eines der Päckchen aufmacht, erkennt er, dass sie alle tief in der Tinte sitzen. Ihm wird klar, dass es kein Haschisch ist, sondern Heroin, und zwar von ziemlich großer Reinheit. Er nimmt eine Probe aus einem Päckchen, legt es zurück und klebt die Statue wieder zusammen. Die Probe bringt er zu Small Change. Small Change hat keinen blassen Schimmer von Rauschgift, also kommt er direkt zu meiner Wenigkeit.«
»Diese beiden Kerle, von denen Sie behaupten, dass sie für Costello arbeiten ... Ich nehme an, dass sie mit Ihnen und Small Change ein Geschäft gemacht und dann Sammy Pollock und Paul Costello ausgeliefert haben. Was also ging schief?« Ich hielt den Blick auf Kirkcaldy gerichtet, ohne die Gestalt am Rande meines Gesichtsfeldes zu beachten, die soeben zur Tür hineinschlüpfte und sich geduckt an der Wand entlang hinter die Autos schlich.
»Der Pikey begreift, dass mehr hinter der Sache steckt, also will er mehr Geld, oder er redet. Er weiß aber nicht, dass ich jetzt mit von der Partie bin. Zufällig ist er ein Faustkämpfer, dem Onkel Bert ein paar Fights in Sneddons Scheune verschafft hat.«
»Und zufällig stirbt er während des Kampfes?«
»Ja, wirklich komisch.« Kirkcaldy grinste kalt. »Ein unglaublicher Zufall. Und dabei hatte Onkel Bert ihm vor dem Kampf noch eine Spezialmedizin gegeben. Er sagte ihm, damit kämpft er besser und spürt die Schläge des Gegners nicht so. Letzteres stimmte sogar. Der blöde Pikey-Bastard schluckte es. Der andere Kämpfer schlug ihn zusammen, und er fing an zu bluten wie verrückt. Ob es von den Schlägen oder von dem Mittel kam, weiß ich nicht.«
»Und Ihr Problem war gelöst.« Ich versuchte, entspannt zu bleiben, während ich innerlich die ganze Zeit die Entfernung zur rostigen Sense abschätzte und darauf wartete, dass die Gestalt, die sich hinter den Autos verbarg, endlich handelte.
»Nee, da gingen unsere Probleme erst richtig los. Wie sich herausstellt, ist der Pikey ein Sohn von Sean Furie – der Bruder von dem Kerl, der wegen Small Changes Ermordung im Knast sitzt.«
»Das also ist das Glaba, das Sie zahlen müssen. Der Sohn eines Baros ist bestimmt nicht billig.«
»Ein paar schweineärschige irische Zigans können mir keine Angst machen. Aber ich kann den Ärger im Moment nicht brauchen. Mit dem Verkauf des Heroins muss ich noch warten, und ich musste Geld besorgen, um mich loszukaufen.« Er wies mit dem Kinn auf die zerbrochene Statuette. »Das ist die beste Geschäftsidee, die ich je hatte. Dieses Zeug wird hier groß einschlagen. Haben Sie Glasgow schon mal am Samstagabend erlebt? Die halbe Stadt säuft sich die Hucke voll. Tausende von Männern sind vom Schnaps außer Rand und Band. Niemand trinkt wegen des Geschmacks und auch nicht um der Geselligkeit willen. Wissen Sie, was die wollen? Sie wollen einen freien Tag. Sie saufen, weil sie dadurch für ein paar Stunden aus ihrem Leben rauskommen. Wenn billiger Whisky oder mieser Rotwein ihnen eine Tagestour nach Largs verschafft, ist dieses Zeug so gut wie zwei Wochen Monte Carlo. Das hier«, er wog das Päckchen in der Hand, als wollte er dessen Wert bestimmen, »das hier ist die Zukunft, Lennox. Das ist Glasgows Zukunft. Wir werden gar nicht genug von dem Stoff beschaffen können, um die Nachfrage zu decken. Ich sage Ihnen, dieser Stoff ist für Glasgow erfunden worden! Denn er lässt Glasgow verschwinden. Ach ja, wo wir vom Verschwindenlassen reden ... genug gequatscht.«
Kirkcaldy richtete langsam seine Browning auf mich. Die drei starrten mich an. Collins war noch blasser. Von dem Augenblick an, in dem er sein Büro verließ, um mich hierher zu locken, hatte er gewusst, was passieren würde. Bert Soutar krümmte die schmalen Lippen unter der zerschlagenen Nase. Er würde es genießen.
Aus einem Grund, der sich mir entzog, trat mir Fiona Whites Gesicht vor Augen. Vielleicht kam es daher, dass sie sich einen neuen Mieter suchen musste, wenn der Unbekannte nicht endlich handelte.
Ich hatte zutreffend vermutet, dass es Singer war, der sich hinter dem Wagen versteckte. Schließlich hatte ich vorgeschlagen, dass er Kirkcaldy beschatten sollte. Nun kam er lautlos hinter dem Auto hervor. Collins’ erschrockener Aufschrei ließ Kirkcaldy und Soutar herumwirbeln. Ich sah, wie Singer blitzschnell die Hand hob, die einen kurzen Bogen durch die Luft beschrieb. Collins stieß ein Gurgeln aus. Blut schoss stoßweise aus seinem Hals, den Singer mit dem Rasiermesser aufgeschlitzt hatte.
Ich sprang nach der Sense. Kirkcaldy hörte das Scharren, als ich sie von der Wand riss. Er fuhr zu mir herum und richtete die Pistole auf mich. Die Sense schnitt in sein Handgelenk, und die Waffe fiel auf den Boden. Ich stürmte vor und schwang dabei wieder die Sense. Diesmal bohrte ihre Spitze sich in Kirkcaldys Rücken. Er schrie auf eine Art, die mich schaudern ließ.
Ich sah, dass Soutar und Singer verbissen miteinander rangen: Soutar hatte mit eisernem Griff Singers Handgelenk umfasst und hinderte ihn daran, ihm mit dem Rasiermesser die Kehle durchzuschneiden. Ich ließ die Sense fallen und hob die Browning auf. Ohne nachzudenken, jagte ich Soutar zwei Kugeln in den Kopf. Er brach zusammen und zog Singer mit sich zu Boden.
Das Ganze kann nur vier oder fünf Sekunden gedauert haben, doch nun lag Soutar vor mir. Collins zuckte und bebte; auf dem Rücken liegend röchelte er sein Leben aus. Kirkcaldy war auf den Knien und umklammerte sein aufgerissenes Handgelenk.
»Danke, Singer«, sagte ich. »Wenn Sie nicht gekommen wären, wäre ich jetzt tot.« Singer richtete sich auf und nickte. Er war außer Atem, aber ich glaubte, in seinen Mundwinkeln die Andeutung eines Lächelns zu erkennen.
***
Wir ließen die Leichen in der Garage. Ich wickelte Kirkcaldy ein Taschentuch ums Handgelenk, und wir setzten ihn auf den Beifahrersitz seines Sunbeam-Talbot Sports. Ich schob mir die Pistole in den Hosenbund, nahm den Jadedämon, wickelte ihn wieder in seine Decke und brachte ihn zu meinem Wagen, wo ich ihn im Kofferraum deponierte. Ich wusste, dass Kirkcaldy mir keine Schwierigkeiten mehr machen würde; daher bat ich Singer, uns in meinem Austin Atlantic zu folgen. Wir hielten an einer Telefonzelle am Straßenrand, und Singer bewachte Kirkcaldy, während ich Willie Sneddon anrief. Ich schilderte ihm kurz, was passiert war, und sagte, wir hätten zwei Lieferungen für Hammer Murphys Wurstmaschine und wo diese Lieferungen zu finden seien.
Auf der Fahrt nach Glasgow versuchte Kirkcaldy ein Geschäft mit mir zu machen. Er bot mir alle erdenklichen Reichtümer an, wenn ich ihm aus dem Schlamassel half. Als ich den Clyde entlangfuhr und das Gallowgate durchquerte, machte ich ihm ein Angebot: Ich würde Leute kontaktieren, die sich seiner annehmen würden.
Singer parkte draußen und wartete auf mich. Ich fuhr in das ummauerte Gelände auf dem Vinegarhill. Der alte Knabe, den ich schon gesehen hatte, rannte eilig zu Sean Furies Wohnwagen und hämmerte gegen die Tür. Furie nickte mir zu, und ich nickte zurück. Keiner von uns achtete auf Kirkcaldys Betteln. Ich ließ seine Wagenschlüssel auf den Boden fallen, und er stürzte aus dem Auto und begann im Staub zu scharren, aber die Schlüssel lagen zu weit weg, und der Ring aus Zigeunern, der sich gebildet hatte, schloss sich bereits um ihn.
***
Als ich Singer an Sneddons Haus absetzte, bedankte ich mich noch einmal bei ihm. Er nickte wieder und stieg aus.
Ich war müde und hatte Schmerzen, aber ich musste noch drei Anrufe erledigen. Es wurde dunkel, dunkler als seit Wochen, und in der Luft des späten Abends kündigte irgendetwas eine kühlere Jahreszeit an. Ich parkte am Clyde, nahm den zerbrochenen Jadedämon aus dem Kofferraum und ging damit ans Ufer. Ich nahm zwei Wachspapierziegel heraus und hielt jeden in einer Hand.
Ich war mehr als mein halbes Leben lang auf der Suche nach dem schnellen Dollar gewesen. Nun hielt ich eine satte Altersversorgung in beiden Händen. Wenn ich das Rauschgift an Largo zurückgab, winkte mir wahrscheinlich ein üppiger Finderlohn. Ich wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis Kirkcaldys Vorhersage eintrat und die Straßen Glasgows mit dem Zeug überschwemmt wurden. Trotzdem, dieses Geld wäre selbst mir zu schmutzig gewesen. Ich zückte mein Taschenmesser, schnitt nacheinander die Ziegel auf und schüttelte große weiße Staubwölkchen heraus. Ich sah zu, wie die Wölkchen vom Abendwind fortgetrieben wurden, und warf das Wachspapier ins Wasser, wo es auf den dunklen Wellen davonschwamm.
Meine Anrufe machte ich aus einer Telefonzelle an der Ecke Buchanan Street. Der erste Anruf ging an jemanden, den alle für ein Phantom hielten: Ich sagte John Largo, er habe eine Stunde Zeit, ehe ich Dex Devereaux mitteilte, wo er zu finden sei. Ohne auf die Einzelheiten einzugehen, erklärte ich ihm, dass alle Konten ausgeglichen seien und er in Glasgow keine Schulden mehr einzutreiben habe. Ich empfahl ihm einen sofortigen Klimawechsel. Irgendwohin, wo die Sonne schien.
Mit dem zweiten Anruf erreichte ich Jock Ferguson zu Hause. Ich sagte ihm, wir würden uns in einer halben Stunde mit Dex Devereaux in seinem Hotel treffen; es würde bedeuten, dass er John Largo die Handschellen anlegen könne.
Mein dritter Anruf war kurz und knapp. Ich versuchte, Jimmy Costello im Empire zu erreichen. Dort war er nicht, aber im Riviera bekam ich ihn an den Apparat. Er fragte mich ungeduldig, was ich wolle. Ich wusste, weshalb er so kurz angebunden war: Er hatte mich gebeten, seinen Sohn zu finden, und Paul war tot aufgefunden worden. Das wurde mir langsam zur Gewohnheit.
»Sind Skelly und Young da?«, fragte ich.
»Ja. Und?«
»Sie sind jetzt gerade da?«
»Aye.« Seine Ungeduld wuchs. »Ich sehe sie direkt vor mir.«
»Dann ruht Ihr Blick auf Pauls Mördern. Zumindest haben sie ihn als Geschenk verpackt, damit jemand anders ihn umbringen konnte. Und keine Sorge – alle anderen Konten sind ausgeglichen.«
»Wenn Sie mich anlügen ...«
»Ich lüge nicht. Skelly und Young haben Paul und Sammy Pollock für Geld verraten. Das ist eine Tatsache. Was Sie daraus machen, ist Ihre Angelegenheit.«
Costello schwieg. Ich hörte im Hintergrund eine Band spielen, dazu die miteinander verschmelzenden Laute vieler Menschen, die tranken und redeten.
»Ich kümmere mich darum«, sagte Costello, was ich keinen Augenblick lang bezweifelte. »Lennox?«
»Ja?«
»Danke.«
***
Ich hielt Largo gegenüber Wort und wartete eine halbe Stunde vor dem Alpha Hotel, ehe ich hineinging und nach Dex Devereaux fragte. Der Nachtportier ließ mich nur widerstrebend passieren, und noch mehr widerstrebte ihm, Mr. Devereaux zu stören.
»Es ist sehr wichtig«, sagte ich und schob ihm zwei Pfundscheine in die Westentasche. »Sagen Sie ihm, ich wüsste die Adresse, die er braucht. Mr. Largos Adresse.«
Ich setzte mich ins Foyer und wartete. Keine zehn Minuten vergingen, bis ein zerzaust aussehender Dex Devereaux herunterkam. Zerzaust bis auf seine Flugzeugträgerfrisur, die genauso präzise zurechtgeschnitten aussah wie immer. Ich reichte ihm den Zettel mit der Adresse.
»Sind Sie sich da sicher?« Er hielt das Papier hoch.
»Das ist er, und das ist seine Adresse.«
Ich ließ Devereaux allein und kam an einem aufgeregten Jock Ferguson vorbei, als der Nachtportier mich hinaus- und ihn hereinließ.
»Dex erklärt alles«, sagte ich kryptisch. Ich war in einer kryptischen Verfassung. Ich musste noch etwas erledigen. Das, vor dem mir am meisten graute. Ich stieg wieder in den Atlantic und fuhr ins West End, zu Sheila Gainsboroughs Wohnung.
***
Zwei Wochen später traf ich mich mit John Largo. Dex Devereaux hatte zu seinem Wort gestanden und mir tausend Dollar für die Information gezahlt, doch als sie ihn verhaften wollten, war der Vogel ausgeflogen. Er müsse gewarnt worden sein, hatte Jock Ferguson ohne den Hauch eines Verdachts zu mir gesagt.
Largo wartete im Dunkeln auf mich, als ich aus dem Horsehead kam. Er behielt die Hand in der aufgesetzten Jacketttasche, und ich vermutete, dass er nicht nur Kleingeld darin hatte. Das war aber in Ordnung. Ich verstand seine Vorsicht.
»Ich wollte Ihnen danken«, sagte er.
»Wofür? Dass ich Sie verpfiffen habe?«
»Dass Sie mir eine Chance gegeben haben. Wie haben Sie mich gefunden?«
Ich holte mein Zigarettenetui aus der Tasche und bot ihm an. Er nahm sich eine Zigarette mit der linken Hand; die rechte blieb in der Jacketttasche.
»Sie sind zu sentimental«, sagte ich. »Ich bin Ihnen zum Denkmal auf dem Lyle Hill gefolgt. Und da dachte ich mir, dass es irgendeine Verbindung zur Maillé Brézé gibt. Also habe ich nachgeforscht.«
Wie ich Devereaux im Hotelfoyer auseinandersetzt hatte, war die Maillé Brézé ein Zerstörer der französischen Marine. Sie hatte in der Mündung des Clyde geankert, am Tail of the Bank unter der Stelle, an der sich heute das freifranzösische Denkmal erhob. Der Tail of the Bank war Sammelpunkt der Atlantik-Geleitzüge gewesen: ein Gewimmel von Handelsschiffen und ihren schwer bewaffneten Beschützern. Dort hatte im April 1940 auch die Maillé Brézé vor Anker gelegen. Der französische Zerstörer hatte gerade in See stechen wollen, als durch einen Unfall zwei Torpedos auf das eigene Deck abgefeuert worden waren. Die Torpedos waren mittschiffs mit einer Gewalt explodiert, die sogar noch in Port Glasgow Fensterscheiben zerschmettert hatte. Das beschädigte Schiff war in Flammen aufgegangen, und ein großer Teil seiner Besatzung saß in der Vorschiffmesse in der Falle. Trotz aller Bemühungen der Feuerwehr von Port Glasgow riss die Maillé Brézé, als sie auf den Grund des Firth sank, achtundsechzig von zweihundert Besatzungsmitgliedern mit in die Tiefe. Ich war noch nie jemandem begegnet, der mit der Katastrophe zu tun hatte. Bis jetzt.
»Ich habe Ihren Namen gefunden«, sagte ich. »Ich meine, ich fand den Namen Alain Barnier. Allerdings stand er auf der Vermisstenliste. Eine Liste der Überlebenden habe ich nicht gefunden.«
»Alain war mein Freund.« Largo lächelte. Ohne das Ziegenbärtchen sah er ganz anders aus. Sein Haar war jetzt so dunkel wie meines. »In gewisser Weise habe ich ihn so in Erinnerung behalten, indem ich seinen Namen am Leben hielt. Aber wie haben Sie meinen richtigen Namen herausgefunden?«
»Erinnern Sie sich an die Schlägerei in Port Glasgow? Ein paar Tage, nachdem die französische Flotte bei Mersel-Kébir angegriffen worden war?«
»Ach so.« Er nickte. »Natürlich.«
»Als ich das erste Mal in Ihr Büro kam, verbesserte mich Miss Minto, weil ich den Namen Clement englisch aussprach. Es gibt viele Namen, die im Französischen genauso geschrieben werden wie im Englischen, die man aber anders ausspricht.«
»Und natürlich«, führte er den Gedanken zu Ende, »gibt es auch viele Wörter, die unterschiedlich geschrieben werden und doch gleich klingen.«
»Dexter Devereaux hatte einen Informanten, der Ihren Namen mitbekam. Er meldete nur, wie er ihn verstanden hatte: John Largo. Aber als ich die Gerichtsakten durchsah, fand ich die Aussage eines gewissen Capitaine Jean Largeau von den Fusiliers Marins. Ich nehme an, Ihre Karriere verlief so farbenprächtig, dass Sie den Namen Alain Barnier angenommen haben.«
»Damals war das vernünftig. Ich habe jetzt einen anderen Namen. Und einen anderen Hafen. Sie haben Glasgow für mich erfolgreich ...«, er suchte nach dem passenden Wort, »... unbewohnbar gemacht.«
»Ich kann nicht behaupten, dass es mir leidtäte. Mir gefällt Ihr Geschäft nicht, Jean.«
Largeau zuckte auf die gleiche Art mit den Schultern wie Alain Barnier. »Amerika ist verdorben, mein Freund. Ich habe die Verdorbenheit nicht geschaffen, ich profitiere nur von ihr. Ich zwinge die Schwarzen nicht, meine Ware zu konsumieren. Ich stille einen Bedarf.«
»Den Zigeunerjungen wird man aufhängen«, wechselte ich das Thema. »Den Boxer, Tommy Gun Furie.«
Largeau sah mich fragend an.
»Für den Mord an Small Change MacFarlane. Er hat auf Anraten seines Anwalts auf schuldig plädiert, aber man wird ihn trotzdem aufknüpfen. Was eine Schande ist, weil ich nicht glaube, dass er Small Change umgebracht hat.«
»Aha.« Largeau schüttelte langsam den Kopf. »Ich fürchte, ich bin mit dem Fall nicht vertraut. Doch was diese Landfahrer betrifft, so sind sie in der Regel schuldig ... an irgendetwas.«
Wir redeten noch ein paar Minuten. Zwei Männer, die vor einer Glasgower Kneipe standen und plauderten. Wir wünschten einander alles Gute, und er nahm die Rechte aus der Tasche, und wir tauschten einen Händedruck. Ich ließ ihn stehen und stieg ins Auto. Als ich losfuhr und in den Innenspiegel blickte, war er verschwunden.
Ich weiß nicht, weshalb ich Largeau nicht der Polizei übergeben hatte und warum ich ihm eine Chance zu entkommen gab. Ich nehme an, es war einer dieser Augenblicke, in denen man denkt: Ach, scheiß drauf ...
Der Krieg hatte mit uns beiden etwas angestellt, und beinahe wäre ich genauso geworden wie Largeau.
War ich aber nicht.